Der Feind in meinem Haus oder ein zweiter Manius Flavius Gracchus

  • Die ersten Morgenstunden grauten, lebhaft und in zahlreichen Chören zwitscherten die Vögel im Geäst der flavischen Gärten, um und im Haus. Fahlgelb fielen die Sonnenstrahlen durch die Öffnung im Dach des Atrium, in dem Quintus Tullius, in Gestalt von Manius Flavius Gracchus nun stand. Es war ein Leichtes gewesen, mit diesem Gesicht, der Kleidung seines Bruders, in die Villa Flavia zu gelangen, der Sklave hatte nicht einen Atemzug gezögert und ihn herein gelassen. Noch völlig verlassen und still lag das prachtvolle Atrium zu den Füßen von Quintus Tullius, nein, Manius Flavius Gracchus.
    In seinen Augenwinkeln bemerkte Quintus Tullius die diskreten Bewegungen der vielen Sklaven der Villa, ein neugieriges Augenpaar, was sich auf ihn heftete. Lange sollte er nicht in dem Atrium stehen bleiben, die Pracht des Marmors, der edlen Statuen betrachtend, wenn er nicht schon im ersten Moment Verwunderung oder gar Mißtrauen erregen wollte. So schritt er, mit hoch erhobenen Hauptes weiter und in den nächst besten Gang hinein. Im Halbdunkel des Ganges blieb Tullius stehen und bemerkte: Er wußte nichts über den Grundriß der Villa, weder wo die Räume von Manius Flavius Gracchus, die doch jetzt die Seinigen waren, lagen, noch die der anderen Familienmitglieder. Ärgerlich presste Tullius die Lippen zusammen, doch schon der nächste Sklave löste das Dilemma von Tullius. Kalt durchbohrten seine dunklen Augen den Sklaven mit seinem Blick.
    „Lass mir etwas Brot und Wein auf mein Zimmer bringen.“
    Der Sklave neigte schnell den Kopf und entschwand. Tullius schlenderte unbeirrt weiter, betrachtete den Säulengang und spähte in den nächsten Gang, der genauso leer und verlassen vor ihm lag. Doch die Schritte einer mageren Sklavin unterbrachen seine Erkundung. Sie trippelte hastig an ihm vorbei, warf ihm einen erschrockenen Blick zu und fragte schüchtern: „Herr, möchtest Du hier das Mahl zu Dir nehmen?“
    Herrisch winkte Tullius ab.
    „Nein, auf meinem Zimmer. Los, spute Dich.“
    Dennoch ein wenig unzufrieden folgte Tullius der jungen Frau, die mit einem Ellbogen die Tür zu Gracchus Zimmer öffnete und im Halbdunkel verschwand. Es würde noch ein wenig bedurfen, wollte Tullius tatsächlich als Manius Flavius Gracchus überzeugen können.
    Als das Mädchen den Raum verlassen hatte, die Tür hinter sich schließend, stand Tullius alleine in dem Gemach seines Zwillingbruders, starrte düster auf die Einrichtung des Flaviers, die Bronzefigurine sinnend betrachtend. Einen Schritt darauf zu ließ er seine Finger über das glatte und kühle Metall gleiten.
    „Dein Heim, Dein Leben, Manius! Wer Du wohl bist...?“
    Suchend sah sich Tullius um und begann die Sachen von Gracchus zu durchsuchen, mit der Absicht Hinweise nach der Persönlichkeit seines Bruders zu finden.


  • Langsam erwachte die Villa Flavia zu neuem Leben, das Treiben der Sklaven wurde emsiger, Tullius meinte in dem Haus das kräftige Bellen eines Hundes vernehmen zu können, samtweich strich eine Katze an den Fensterläden des Cubiculum vorbei und schmale Lichtstreifen fielen auf den Boden des Zimmers. Tullius hatte sich mittlerweile auf das Bett seines Bruders, sein Bett nun, gesetzt und sah nachdenklich auf das Lager, welches sich direkt neben der Tür des Cubiculum befand. Während er vertieft seine Unterlippe zwischen seinen Fingern knetete, sann er über den Benutzer dieses Nachtlagers nach: War es eine Sklavin, die Bettgefährtin von Manius Flavius Gracchus und die Person, die Gracchus vor ihm, Quintus Tullius, so dringlichst beschützen wollte, der Grund, warum er derart kühl von seiner doch angeblich so schönen Frau sprach?
    Unter Tullius raschelte leise der Stoff aus feinem Leinen als er sich zurück lehnte und das Bett taxierte als ob es aller Geheimnisse Schlüssel wäre, vielleicht war es das auch, womöglich verbarg sich jedoch nur ein profaner Hintergrund hinter jener Liegestatt. Mit einem Ruck erhob sich Tullius von dem unerhört dekadent weichen Bett und trat auf den Schreibtisch zu, strich im Vorbeigehen nochmalig über die bronzene Apollostatue und blieb vor einer Reihe von Wachstafeln stehen. Sauber und akkurat lagen sie aufgeschichtet, schienen noch auf das Beschreiben zu warten, dem Griffelstrich Gracchus, welcher das Wachs mit philosophischen Gedangengut, wohlgesetzten Worten oder eindringlichen Botschaften zu beschriften gedachte. Tullius sah auf die leere Tafel hinab, hob sie hoch und starrte mit verkniffenen Lippen an ihr vorbei auf einen schwarzen Punkt an der Wand. Achtlos legte er sie beiseite und nahm am Schreibtisch Platz, suchte mit seinen Augen und seinen Fingern nach einigen persönlichen Schriftstücken, vielleicht Briefen oder gar einem Tagebuch, was ihm mehr über Gracchus verraten hätte. Zerstreut griff er nach der Karaffe mit Wein, goß sich ein und ergriff schließlich ein Schriftstück, was er in einer kleinen Schublade fand. Seine Augen streiften prüfend die elegante Handschrift.



  • Sieh! Die Kirschblüte,
    verstreut über den Himmel,
    verführt Erde und Sonne.



    Begleitet von einem Schwarm ihrer Sklavinnen wandelte Leontia leichtfüßig durch die lichten Gänge der Villa. In den Händen hielt sie einen großen Strauß lieblicher Kirschblüten. Die Zweige hatte sie soeben im Garten mit eigenen Händen geschnitten, und auf den duftigen weißen Blüten, in die sich ein Hauch keuscher Röte mischte, lagen noch funkelnde Tautropfen. Auch ihre Begleiterinnen trugen Blumengebinde in den Händen, aus Veilchen und Narzissen, Anemonen und Blaustern, die sie nach Leontias Anweisungen harmonisch über die Räume der Villa verteilten. Mit einem besonderen Augenmerk auf farbliche Ausgewogenheit, versteht sich.


    Auch Leontia selbst war an diesem Morgen in helle Frühlingsfarben gehüllt. Ihre zartblaue Tunika trug eine blassgoldene Stickerei von Blüten und Schmetterlingen, und raschelte leise bei jedem Schritt. In ihr tiefschwarzes Haar, das seitlich kunstvoll zurückgeflochten war, hatte ihre Ornatrix zur Zierde einige reinweiße Kirschblüten gesteckt. Hier und da legte auch Leontia mit Hand an, rückte eine Vase zurecht, oder arrangierte die Blumen noch ein wenig um. Den Schrein der Laren schmückte sie höchstselbst, voll Ehrfurcht, und besah sich dann mit einem heiteren Lächeln ihr Werk.


    Jetzt blieb nur noch der Kirschblütenstrauß. Leontia entließ ihre Sklavinnen bis auf Salambo, und wählte eine passende Vase - eine schlanke, aus feinornamentiertem Silber. Frohgemut lenkte sie dann ihre Schritte zum Gemach ihres liebsten Vetters, und kündigte sich mit einem sanften Pochen an seiner Türe an…

  • Wie ein Verhängnis näherte sich der Tür des gracchischen Cubiculum eine Erscheinung, die Tullius nicht mehr zuwider sein konnte, in ihrer ganzen süßlichen Pracht jedoch ihn zu überraschen gedachte, hätte er von dieser gar entzückenden Gestalt geahnt, wäre es ihm eventuell noch möglich gewesen reiß aus zu nehmen, er hätte sich einen anderen Ort in der Villa gesucht, um den Geheimnissen seines Bruders auf die Spur zu kommen, doch da Tullius weder sibyllische Fähigkeiten, noch die Augen eines griechischen Sehers hatte, ahnte er nichts von dem, was auf ihn zukam.
    In einer Hand hielt er den Brief der Minervina, die Schwester von Gracchus, derer wegen er sich auch keine Sorgen machen brauchte, sie weilte weit genug weg, um in ihm nicht ihren Bruder, den sie womöglich von früher her kannte, zu erkennen. Doch mit einem amüsierten Flackern in den Augen las er die Zeilen um ihren Retter, der flavische Name schien alle möglichen Männer zu blenden, wie die Elstern vom Gold angezogen wurden, so wohl auch jene Männer, die sich als heldenhafte Retter bestimmt gut in dieser Rolle gefielen. Von Rettern hatte Tullius noch nie sonderlich viel gehalten. Nicht unpassend empfand er dieses Korrelat der Elster, bezüglich eines Plebejers, der danach zu streben schien, ein wenig vom Glanz einer patrizischen Familie zu erfahren. Das Einzige, was ihn an dem Brief interessierte, war die Aussage über die „Elefanten“, verspürte er schon eine fast solidarische Verbindung zu den Entführern. Doch Lösegeld war noch nie seine Methode gewesen, viel zu riskant, viel zu unbequem.
    Gelangweilt ließ Tullius das Pergament auf den Tisch fallen, beobachtete, wie es sanft über den polierten Tisch glitt und dann auf den Boden rauschte. Tullius seufzte leise, es war nichts bei den Briefen, was ihm sonderlich Aufschluss gewährte. Stille lastete über dem Raum, nur sein Atem unterbrach diese seltsame Ruhe, und dann ein kaum wahrnehmbares Pochen. Tullius Augenbraue wölbte sich in piratischer Art nach oben, vielleicht war es auch genauso wie bei seinem Bruder, und er lehnte sich in dem Stuhl zurück.
    „Herein!“

  • Im höchsten Maße erfreut, dass ihr liebster Vetter offenbar im Hause weilte, streckte Leontia die Hand aus, wollte schon die Türe öffnen, als ihr noch etwas anderes in den Sinn kam. "Salambo, lauf geschwind und hole das Ludus Latrunculorum herbei, das wir jüngst auf den Trajansmärkten erstanden. Und sieh nach, ob mein kleiner Neffe zugegen ist, dann können wir es gemeinsam überreichen." - "Sehr wohl Domina." Beflissen eilte die Nubierin von dannen.


    Ein feines Lächeln umspielte Leontia Mundwinkel, ließ eine Ahnung zarter Grübchen auf ihren blassen Wangen entstehen, als sie in das Cubiculum schwebte. "Manius.", sprach sie voll Wärme. "Wie schön Dich anzutreffen. Wie geht es Dir?" Über die Wolke duftiger weißer Blüten richteten sich ernste, nachtblaue Augen voll sanfter Zuneigung auf den Piraten.


    "Am Arbeiten wie ich sehe?", bemerkte sie respektvoll. "Verzeih wenn ich störe, doch - eben da Du stets von den Pflichten Deines honorablen Amtes in Anspruch genommen bist - hoffte ich, Dich mit Hilfe dieses Straußes eines Anfluges der epheremen Frühlingspracht, die zur Zeit in unserem Hortus prangt, teilhaftig werden zu lassen. Ich habe die Zweige im Frühtau mit einer silbernen Schere geschnitten. Gefallen sie dir? Wo meinst du, machen sie sich am besten...?"


    Leise raschelte das pastellige Gewand, als Leontia zur Fensterbank trat und den Strauß dort probeweise plazierte. Sie rückte ihn hin und her, schüttelte dann leicht den Kopf und murmelte: "Nein, das harmoniert nicht mit dem phrygischen Mamor..." Und mit einem liebreizenden Lächeln kam das junge Patrizierfräulein direkt auf den blutrünstigen Wolf im Schafspelz zu, hielt die silberne Vase dabei mit schlanken Alabasterhänden zierlich umfasst. Drei zarte weiße Blütenblätter lösten sich aus den Zweigen, schwebten herab, fielen federleicht auf die polierte Tischplatte.
    "Auf dem Schreibtisch vielleicht?"

  • Serenus bog um die Ecke. Genau genommen sah die Reihenfolge etwas anders aus. Zuerst kam der schwere Kampfhund Nero, dann zeitgleich Dido und Serenus, wobei dieser behauptete eine Nasenlänge schneller gewesen zu sein. Dann kam eine keuchende Salambo, welche das Geschenk für Onkel Gracchus trug. Dido trug eine sonnenblumengelbe Tunika, ein rotes Hüfttuch als Gürtel und ein blaues Kopftuch. Während Serenus heute eine Tunika in Laubfroschgrün trug. Dazu ein regenbogenfarbenes Kopftuch und eine Augenklappe. Beide Kinder waren mit Holzschwertern bewaffnet. Zusammen ergaben sie ein recht farbenprächtiges Bild.


    Da die Tür zum Raum halb offen war, klopfte Serenus einmal und stand im Raum drin.


    Salve Tante Leontia. Salve Onkel Gracchus. Ihr habt mich rufen lassen. Was..."


    Weiter kam Serenus nicht, denn Nero schob sich an ihm vorbei und stellte sich schützend vor ihn, den Blick auf Onkel Gracchus fixiert. Der schwere Kampfhund legte die Ohren an und nahm den Schwanz runter. Anstelle eines üblichen Schwanzwedelns gab er diesmal in Richtung von Onkel Gracchus ein gefährliches Knurren von sich. Die Nackenhaare des Tieres stellten sich auf, Zähne wurden gefletscht und ein beachtliches Gebiss präsentiert.

    "GRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRRR!"

  • Kühl und nüchtern stellte sich die Atmosphäre des gracchischen Raumes der ganzen Lieblichkeit entgegen, die Quintus Tullius entgegenschlug, und wie eine aufdringliche Welle zu überschwappen gedachte, war doch der betörend süße Duft der Kirschblüten schon beim ersten Eintritt von der Patrizierin, Flavia Leontia, deutlich zu eruieren. Langsam erhob sich Quintus Tullius von seinem Sitz, strich mit seinen Fingerspitzen über das kühle Holz des Tisches und trat einen Schritt näher, taxierte die junge Frau mit einem opaken Ausdruck in den Augen, die doch denen von Manius Gracchus so similar waren, mal von dem seltsamen Funkeln abgesehen, mit dem er Leontia bedachte, in dem Versuch Leontia einzuschätzen. Gracchus Frau schien das zu sein, wunderte sich Tullius indes, warum Gracchus mit Kälte über sie sprach, wenn sie ihm so viel Wärme entgegen brachte. Es ergötzte Tullius jedoch schon, dass sie ihn bei Arbeit zu stören wähnte, war er doch eigentlich über einigen unbedeutenden Schriften hängen geblieben. Gleichsam kräuselten sich Tullius Lippen zu einem diffizilen Lächeln.
    „Aber nicht doch, ist mir doch diese kleine Behelligung meines tristen Arbeitstages mehr als genehm.“
    Tullius glaubte schon zu wissen, dass es sich um Gracchus Eheweib handeln musste. Ein wenig mager erschien sie ihm, indes sie anmutiger und lieblicher Erscheinung war, außergewöhnliche Augen besaß und gar schon sinnlich vor gewölbten Lippen.
    „Aber wenn Du sie persönlich zur Morgenstunde geschnitten hast, muss mir ein derart berückendes Sträußchen doch meinen düsteren Tag mit einem Leuchten der Lenzzeit erhellen.“
    Nur mit Mühe konnte Tullius die angewiderten Empfindungen verbergen, die ihm beim Anblick der Blumen überkam und noch mehr von der Süßlichkeit, die Leontia verströmte. Vielleicht war deswegen Gracchus Kälte zu erklären, wenn dieser ihm in dieser Hinsicht glich. Erneut einen Schritt auf Leontia zugemacht, schließlich wollte Tullius alle Aspekte von Gracchus Leben auskosten, und somit auch dessen Frau, derer er vor sich wähnte.
    „Auf dem Schreibtisch würden sie sich gar prächtig machen!“
    Schon streckten sich seine Finger nach Leontia aus als Serenus den Schauplatz betrat. Tullius Hand zog sich schnell zurück, er legte sie auf seinen Rücken und wandte sich dem jungen Mann zu und dessen Hund. Der Junge hatte augenblicklich Tullius unbeabsichtigt einen Gefallen getan, er hatte ein böses Missverständnis ausgeräumt, und Tullius vor der eigenen Enttarnung bewahrt. Zwar despektierte Tullius Kinder noch mehr als das weibliche Geschlecht, wenn auch aus einem gänzlich anderen Grund als sein Bruder, sah er doch in Frauen nur das schwache Geschlecht, doch Kinder waren noch mehr unnütz als Frauen in Tullius Augen. Sie waren keine Sklaven, aber auch keine vollwertigen Menschen.
    Prüfend musterte Tullius den Bengel vor sich und verkniff seine Lippen zu einem schmalen Strich als sich der Hund nach vorne drängte, ihn derart provozierte. Denn seine Hand am Rücken lag nicht weit vom Dolch, den er in einer schnellen Bewegung in den Hals des Hundes stechen vermochte. Sicherlich hatte sein Bruder das schon des Öfteren mit Tieren getan, doch gewiss im Rahmen eines Opfers und Tullius konnte sich derzeit die perplexen Mienen der Beiden bei einem solchen Tun in dem Cubiculum vorstellen. Tullius hob sein Kinn marginal an und sah zu Serenus. Da Gracchus so täuschend ehrlich war, dass Tullius nicht glaubte, er hätte ihn belogen, wenn Tullius sich auch dessen bewusst war, dass Gracchus ihn genau damit ins Messer laufen lassen konnte, nahm Tullius jede Information erst mal als Wahrheit an.
    „Lucius Serenus, schicke Deinen Hund nach draußen. Ich schätze ihn ganz und gar nicht in meinem Raum.“




  • Glücklich, dass ihr liebster Vetter sich offenbar so über die Blumen freute, plazierte Leontia die Vase auf dem Schreibtisch, und arglos lächelnd sah sie seine Annäherung, die von Serenus' Ankunft unterbrochen wurde. Auch sie wandte sich Serenus zu. "Salve, mein Spatz, schön dass... - Also nein, dieses Tier!" Ihre Augen weiteten sich, und erschrocken schlug sie die Hand vor den Mund, bei Neros bedrohlichem Gebaren. "Was ist bloß in ihn gefahren? Kusch! Oh du meine Güte, er ist wirklich eine unberechenbare Bestie." Sie nickte beifällig, als Tullius die Bestie des Raumes verwies, und hoffte heimlich, dass dieser Auftritt endlich Anlass sein würde, dieses haarige Ärgernis ein für alle mal in den Zwinger zu verbannen. Wenn nur Serenus nicht so an ihm hängen würde!


    "Wir - Serenus und ich - haben etwas für Dich, Manius.", eröffnete sie anschließend, und bedeutete Salambo mit einem nahezu unmerklichen Wink mit zwei Fingern näher zu treten. "Nur eine Kleinigkeit, die wir neulich auf den Trajansmärkten fanden, als wir uns zusammen mit Antonia und ihrer Base dort ein wenig umgeschaut und die Zeit vertrieben haben. Ein recht ergötzlicher Tag war das, nicht wahr mein Spatz? - Nun, das ist es." Lautlos und geschmeidig trat die Nubierin vor, trug in den Händen das prächtige Ludus Latrunculorum, eingeschlagen in ein schweres weinrotes Seidentuch. Gesenkten Hauptes trat sie vor Quintus Tullius, um ihm das besagte Mitbringsel mit Demut und Grazie zu überreichen.

  • Serenus war klein, erst 10 Jahre alt, aber sicher kein Idiot! Hier stimmt etwas nicht. Nero war sein Leibwächter, der beste und größte Kampfhund von ganz Baiae. Sein Stammbaum konnte es mit jeder patrizischen gens aufnehmen, sogar mit der Gens Ulpius. Der Instinkt des Hundes war etwas dem Serenus blind vertraute. Wenn Nero sich jetzt so aufführte, dann hatte er dafür seine Gründe. Augenscheinlich standen Tante Leontia und Onkel Gracchus vor ihm, aber der Hund signalisierte „Hab Acht!“ und „Gefahr“. Als ob er Onkel Gracchus nicht mehr leiden konnte. Serenus musterte seinen Lieblingsonkel aufmerksam. Sonderbar. Hatte er Streit mit Tante Antonia gehabt? Aber dann hätte Nero nicht so reagiert.


    Nero war noch nie im Cubiculum von Onkel Gracchus gewesen! Wieso störte der Hund ihn also hier?
    Er hatte sonst nie Probleme mit seinem Hund!
    Er hatte ihn Lucius Serenus genannt, nicht nur Serenus wie sonst immer! Und wenn er schimpfte, dann sagte er stets Lucius Flavius Serenus.


    Serenus verschränkte die Arme.


    „Nein! Nero und Dido bleiben bei mir und ich schicke sie nicht aus dem Zimmer! Ein Kapitän lässt seine Mannschaft nicht im Stich, nur weil sich ein Segel der Classis am Horizont zeigt. Und ja, es war ein netter Tag auf dem Markt gewesen.“


    Serenus wechselte seine Piratenklappe von dem einen Auge auf das andere und funkelte seinen Onkel an. Sehr sonderbar, war der Fluch von Arrecina bei der Entfluchung etwa auf Onkel Gracchus übergesprungen? Stand dort etwa ein von Rutger dem germanen beseelter Onkel Gracchus vor ihm? Nero grummelte weiter und fletschte die Zähne, während er weiterhin vor Serenus und Dido stehen blieb und sich zusätzlich noch etwas vor Tante Leontia schob.

  • Reserviert ließ Quintus Tullius einer der Falten seiner Toga marginal höher rutschen und wandte nicht seine Augenmerk von dem Tier und seinem Besitzer ab. Einer griechischen Statue, wohl doch mehr einer Büste aus dem Garten oder dem Atrium mutete Quintus Tullius an, als ob ein Bildhauer sich seiner Gestalt schon vor seinem Tod angenommen hätte. Ähnlich war der Ausdruck auf dem Gesicht des ehemaligen Piraten, im Gewand des eigenen Bruder gekleidet, zu deuten, kalt, abweisend und versteinert, denn Widerworte von einem Jungen hatte auch Tullius nicht erwartet. Hernach kräuselten sich Tullius Lippen und er trat einen Schritt auf Serenus zu, eine Hand, die auf seinem Rücken lag, nahe seines Dolches. Sanft, wohl denn ein kalter Unterton diese Tonlage seiner Stimme begleitete, sprach er zu dem Jungen.
    „Serenus, Du schickst das Tier nach draußen. Es genügte mir bereits, heute eine Katze auf meinen Schriftstücken vorgefunden zu haben, die mich dann auch noch angesprungen hat als ob ich ihre Kätzchen angreifen wollte. Wenn mir das bei Deinem Hund nun denn gleichermaßen ergehen würde, könnte mich das sehr alterieren.“
    Tullius war innerlich wie ein strammer Faden eines Spinnennetz, welches im Morgengrauen geknüpft wurde, eine unvorsichtige Bewegung, eine falsche Handlung des Jungen vor sich und er würde sich vergessen und dem Tier sicherlich ein Ende bereiten. Indes hoffte Tullius oberflächlich weiterhin eine vollendete gelassene Haltung zu bewahren.
    Eine Augenbraue wölbte sich in die Höhe, wie es wohl nur einem Patrizier zu Eigen war, womöglich lag es nur an der similaren Erscheinung, die Tullius mit seinem Bruder aufwies. Seine Hand griff nach der Piratenklappe und zog sie von Serenus Kopf. Interessiert musterte er das Prachtstück.
    „Verkleiden sich die jungen Römer heutzutage mit solchem Tant? Aber, Serenus, weißt Du denn nicht, dass Piraten keine Augenklappen tragen, genauso wenig haben sie Hunde oder Frauen als Gefolgsleute.“
    Marginal schmunzelnd, auf gewisse Weise erheiterte es Tullius durchaus, reichte er die Klappe wieder an Serenus zurück.
    „Rauhes und wildes Pack sind ihre Handlanger und das Zeichen eines Piraten ist sein Schiff und sein blutiges Schwert, ebenso die Reichtümer in seiner Kajüte. Morden und Rauben ist seine Profession, dennoch steht es einem Patrizier wie Dir selbst im Spiel nicht an, solches Pack zu imitieren.“
    Tullius beugte sich ein wenig vor und sah Serenus direkt in die Augen.
    „Oder meinst Du gar, es wäre möglich, wir hätten einen Piraten in unserer Familie? Spiel doch lieber Gladiator und Raubtier mit Deinem Hund. Im Innenhof.“
    Nur mit Mühe konnte Tullius ein boshaftes Lachen unterdrücken, richtete seine Gestalt wieder zu der erzwungenen Linie auf. Mehr lustlos als interessiert taxierte Tullius das Brettspiel, er hatte solche Kinderspiele noch nie geschätzt, war doch bei dem Spiel nicht viel zu gewinnen, noch zu verlieren, womit er keinen großen Reiz darin entdecken konnte. Abermals rang er sich ein freundliches Lächeln ab.
    „Exzeptionell. Ein superbes Spielbrett und so unvergleichlich gearbeitet, liebe Leontia. Ich danke auch Dir, Serenus. Womit komme ich zu der Ehre, dieses Geschenk zu erhalten?“
    Hoffentlich hatte Gracchus nicht einen wichtigen Tag in jener Zeit, was die Familie noch zelebrieren wollte, denn weder den Tag seiner Geburt kannte Tullius, noch hatte er das Fest einer Bullaablegung je erlebt.




  • Ah! Eine Katze auf den Schriftrollen von Onkel Gracchus. Das war dann akzeptabel im Hinblick auf die heutige Abneigung gegen Nero. In Sachen Schriftrollen war er etwas pingelig. wie Serenus bei den Ausgaben von “Sklave Gaius ist der Beste”.


    “Onkel Gracchus! Hunde und Frauen sind halt leider das Ergebnis des hiesigen Sklavenmangels in der Villa. Alle müssen heute auf Anweisung von Sciurus besonders hart arbeiten, weil sie sich in ihrem Sklavenquartier gestritten haben. Das bedeutet, daß sie nicht ausgelastet sind und daher auch heute nicht mit mir spielen dürfen. Daher heute kein rauhes und wildes Pack. Reichtümer habe ich genug in der Kajüte, nur der Fischteich ist zu klein für ein Schiff. Aber wir haben uns ein provisorisches Boot im Atrium gebaut.
    Es wäre echt toll, Onkel Gracchus, wenn wir einen Piraten in der Familie hätten! Dann wäre sicher endlich mehr Stimmung hier in diesem Mausoleum. Und einen Pirat in der Familie hat nicht jeder. Giftmischer, Mörder und Verrückte haben ja die meisten patrizischen Gentes zu bieten, aber keine Piraten. So, jetzt muß ich aber mit meinen Piraten im Atrium ein römisches Handelsschiff aufbringen. Wir sehen uns später alle beim Essen.”


    Und schon war Serenus mit Nero wieder aus dem Raum.

  • Ein wenig Potential vermochte Quintus Tullius in dem Bengel zu erkennen. In zehn oder fünfzehn Jahren würde das möglicherweise zum Tragen kommen, wenn der Junge die Zeit bis dahin überlebte und er nicht nach patrizischer Manier vorher schon vergiftet, erdolcht oder erdrosselt wurde. Man wusste nie bei diesen Menschen, zu welchen Taten sie fähig waren, angeblich vermochten das schon die Kinder, wenn ihnen Macht entgegen winkte. Das war ein Zug, den Tullius als einzigen an den Patriziern zu schätzen vermochte. Ein ergötztes Kräuseln offenbarte ein unwesentliches Schmunzeln auf seinen Lippen.
    „Ein Pirat in der Familie wäre allerdings ein Unikat, aber wohl kaum erstrebenswert. Aber gut, dann versenke die Flotte des Kaisers, Serenus, und wir sehen uns beim Essen.“
    Oder auch nicht, wie Tullius inständig hoffte. Möglicherweise würde er sich noch rechtzeitig davon entschuldigen können, einige Pflichten oder religiöse Belange vorschieben und sich um die interessanten Dinge von Gracchus Leben kümmern, wenn er denn welche fand. So drehte sich Quintus Tullius zu Leontia um. Womöglich konnte er sie auch noch los werden, so betrachtete er das Spiel bis ihm ein glänzender Einfall kam.
    „Leonita, erlaube mir den Vorschlag, ob wir uns nicht am frühen Nachmittag im Garten zu einer Partie jenes vortrefflichen Spieles treffen und zudem noch die Gelegenheit für ein erbauliches Gespräch führen.“
    Abermals rang sich Tullius ein Lächeln ab, was man als freundlich empfinden könnte.
    „Aber wenn Du mich bis dahin exkulpieren würdest, meine Pflichten rufen mich noch.“
    Schnell ergriff Tullius einige leere Papyrusseiten, klemmte sie sich unter dem Arm, schenkte Leontia ein weiteres Lächeln ehe er den jungen Serenus imitierte und eilends, nicht zu schnell jedoch, das Zimmer verließ.


    tbc:
    1. Ein böser Onkel und seine Nichte
    2. Der Wolf im Schafspelz und die unschuldige Base


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