Plutarchs Reisen | Besuch eines Tempels

  • Inmitten des Straßengewirrs des Fremdenmarktes, ganz in der Nähe des Hafenbeckens, befand sich ein größerer Platz, auf welchem ein Tempel aufragte, der unverkennbar in römisch-griechischem Stil erbaut wurde. Dieser Tempel war das Hauptheiligtum der Stadt, das Cäsareum.


    Er wurde von Kleopatra VII., eben jener großen Kleopatra, die es aufs vorzüglichste verstand, zwei der größten Feldherren Roms zu umgarnen und so die Unabhängigkeit ihres Reiches zu wahren, gestiftet. Wir wissen, dass der zweite von ihnen, Marcus Antonius, der Widersacher Octavians ihren Reizen vollkommen erlegen war, dass er auf ihr Geheiß und Aufgrund seiner Liebe zur griechischen Kultur sogar alles römische ablegte und vergaß und sich selbst zum König über Rom und das Reich in Nachfolge Alexanders ernennen lassen wollte. Dank des Geschick des Octavians wurde jedoch nichts aus seinen Plänen, aber wer weiß, vielleicht hätte die Geschichte durch seinen Sieg einen ganz anderen Lauf genommen und in Rom, heute eine eine griechische Polis, würde heute ein griechisch sprechender Basileus tyrannisch über den Erdkreis regieren. Vielleicht wäre auch nicht einmal Rom die Hauptstadt, sondern Alexandria.


    Der erstere der beiden Feldherren hingegen, der göttliche Gaius Iulius Cäsar, war viel umsichtiger in seinem Plan. Seine Treue stand fest zu Rom und er wusste, dass die Wiedereinführung des Königtums bei den Römern niemals akzeptiert werden könnte. Deswegen zog er es vor, Ägypten als römischen Klientelstaat zu erhalten. Seiner und Kleopatras Sohn wurde als Ptolemaios XV. Kaisareion (der kleine Cäsar) sogar der letzte König der ägyptischen Dynastie und verband Rom und Ägypten untrennbar miteinander.


    Auch Kleopatra zeigte sich gegenüber Cäsar dankbar. Während dieser nach Rom zurückkehrte, als einfacher Mann und Feldherr, wurde er in Ägypten nach griechischer Tradition zum Gott erklärt. Kleopatra ließ zu seinen Ehren diesen Tempel errichten, in dem seitdem die römischen Kaiser verehrt werden.


    Neugierig auf die Art und Weise, wie die Alexandriner ihre Götter ehrten, besuchte ich den Tempel...

  • Jeder gebildete Mensch kennt wohl das griechische Pantheon mit seinen Göttern und der unermesslichen Vielzahl von Heroen, Halbgöttern, Titanen und anderen über oder neben dem Menschen stehenden Sagengestalten und zumindest die wichtigsten Mythen und Legenden. Dieser Kanon ist eines der gemeinsamen Banden, die uns Griechen egal welcher Polis gemein ist und von den Barbaren abgrenzt.


    Doch nun sind wir Griechen nie ein Volk gewesen, das sich über eine gemeinsame Herrschaft definierte und wir werden es auch niemals sein. Nichts ist uns wichtiger, als die Unabhängigkeit unserer Stadt, an die wir uns in erster Linie gebunden fühlen. Und jede einzelne dieser Städte drückt ihre Eigenständigkeit auch in den Heroen und Göttern aus, die nur sie auf ihre eigene Art und Weise verehrt. Der offizielle Stadtkult ist weniger für das Seelenheil der einzelnen Menschen wichtig, sondern eher für das Heil der Polis an sich.


    Das selbe gilt natürlich auch für Alexandria: Die wichtigste Göttin Alexandrias ist Isis. Isis ist die Herrin über Leben und Tod in Ägypten, die Göttin des Mondes und der Gestirne, des Nils, des Meeres, der Magie, der Geburt und der Fruchtbarkeit, die Bezwingerin des Totenreiches und Herrin und Retterin des Menschengeschlechtes. Auch die Mutter des Horus und die Gattin des Osiris ist sie. Eng mit dem Kult der Isis verbunden sind die alexandrinischen Kulte der Demeter, der Persephone, der Aphrodite und der Io, welche den Alexandrinern alle als verschiedene Aspekte der Isis gelten.


    An Isis Seite steht Sarapis in all seinen verschiedenen Aspekten. Als Zeus ist er Herrscher, Retter, Träger des Weltgefüges, als Dyonisos Gott der Lust, des Rausches, der Natur und Fruchtbarkeit, der Rettung und Bezwinger Indiens, als Asklepios Gott der körperlichen und seelischen Heilung und der Medizin, als Hades und Osiris Herr über den Tod und das Totenreich und Gatte der Persephone und der Isis und als Horusknabe, welcher auf ihrem Schoß liegt und an ihrer Brust saugt, der wiedergeborene Sohn der Isis.


    Die Hüteriin der Stadt ist Tyche, das Schicksal, welche im Tychaion verehrt wird. Sie wird mit Alexander dem Großen identifiziert und wacht über die Stadt. Sie trägt die Mauerkrone, das Steuerruder und als Isis auch das doppelte Füllhorn. Auch die Schlange, Symbol von Klugheit und Weisheit, ist ein häufiges Symbol von ihr.


    Poseidon hat einen wichtigen Tempel, um die See und den Hafen zu beruhigen, und Herakles steht ebenfalls in hohen Ehren. Und im Museion werden die Musen verehrt.


    All diese Götter sind nicht scharf voneinander abgetrennt und können in diesem Aspekt dem einen, in jenem dem anderen Gott näher kommen, aber die Alexandriner selbst sehen das so, dass es ein männliches und ein weibliches Prinzip des Göttlichen gibt, das gibt und nimmt, belohnt und straft und welches der Mensch in der Beschränktheit seines Verstandes nicht erfassen kann. Deswegen betet man diese Prinzipien in Form verschiedener Gottheiten an.


    Im Übrigen bemerkte ich noch etwas anderes, als ich mir die Liste der Götter durch den Kopf gehen ließ: Die Götter waren entweder Götter der Freude, des Wohlstandes und des Vergnügens oder dunkle Gottheiten des Todes, der Nacht, des Nichts und der Magie. Oft auch Gottheiten, die beides gemeinsam repräsentierten. Fast so, als würde sich der innere Zwiespalt der Stadt in ihren Gottheiten manifestieren.

  • Bei den vielen Göttern, die ich aufgezählt habe, fällt aber noch etwas auf: Häufig geschieht es, dass man einen Tempel der Isis oder ein Heiligtum des Dyonisos findet, in welchem die Gottheit als König oder Königin dargestellt wird. Dazu kommt noch, dass man manchmal einen Schrein oder ähnliches findet, der gar keinen der Götter, sondern nur einem König geweiht ist. Diese Vermischung von Götter- und Königskult ist aber kein Wunder, schließlich war Alexandria ja über Jahrhunderte Residenzstadt eines mächtigen Königshauses.


    Ich erwähnte ja bereits, dass es sich nach den Sitten der Griechen so verhält, dass ihr König von ihnen als lebendiger Gott verehrt wird und seinen festen Platz im Götterhimmel neben Zeus, Apollon und Dyonisos hat.


    Diese Tradition hat Alexander der Große den Griechen geschenkt. Er war nämlich überaus beeindruckt von der Art, wie sich die Könige in den von ihm eroberten Gebieten von ihren Völkern feiern ließen. Deswegen ließ er sich, als er in Ägypten angelangt war, von den Amun-Priestern als legitimer Nachfahre der ägyptischen Pharaonen zum lebendigen Gott Amun ausrufen. Da Amun zu dieser Zeit mit dem griechischen Zeus gleichgesetzt wurde, galt Alexander seitdem als Sohn des Zeus. Und all seine Nachfolger folgten ihm in dieser Linie.


    Auch die Römer, die den Königen folgten, taten es ihnen gleich. Römische Feldherren fanden sehr schnell Gefallen darin, von der Bevölkerung irgendwelcher Dörfer als lebendiger Gott verehrt zu werden. Und der Senat freute sich über die Gründung zahlreicher Roma-Kulte in der griechischen Welt. Als Octavian die Herrschaft über Ägypten übernahm, knüpfte er sofort an diesen alten Brauch an. Deswegen wird der Kaiser, der für die Römer nur erster Bürger ist, hier als Gott verehrt.

  • Für das private Seelenheil hingegen zieht sich der normale Grieche lieber vom Öffentlichen zurück und huldigt alleine an seinem Hausaltar oder in einer kleinen Gemeinschaft von Eingeweihten einer bestimmten Gottheit, der er sich aus freien Stücken angeschlossen hat. Diese Gottheiten versprechen ihm Glück und Frieden auf Erden und Erlösung im Jenseits und ihre Rituale sind geheim und nur Auserwählten zugänglich. Sie bestehen oft aus gemeinsamen, aber auch nur dem Einzelnen vorbehaltenen Erleuchtungen, Grenzerfahrungen, in denen der Kultist das Wesen alles Unerklärlichen wie den Tod, die wahre Natur und Nähe des Göttlichen, sowie eine Verschmelzung mit dieser erlebt. Um dies zu erfahren, werden dem Eingeweihten Techniken der Meditation und Körperbeherrschung beigebracht, aber auch profanere Dinge wie magischer Hokuspokus, Drogen und Geschlechtsverkehr mit den Priestern spielen eine wichtige Rolle.


    Wichtige bekannte Mysterienkulte sind der des Dyonisos oder der Demeter für die Griechen, aber auch fremde Religionen wie Mithras, Kybele, Baal, Jahwe, sowie Isis und Sarapis - wie die griechischen Kulte offizieller Kult auf der einen, Mysterienkult auf der anderen Seite - erfreuen sich großer Beliebtheit.


    Ebenso wie mit der Religion verhält es sich übrigens im Privaten auch mit der Philosophie, die für viele, vor allem für die gebildeteren Schichten die Rolle des Götterkultes übernommen hat. Auch dies entspricht einer alten griechischen Tradition. In der alten Zeit nämlich, als sich in Athen und anderen Städten die Philosophie als eigenständige Kunst herausstellte, geschah dies hauptsächlich aus dem Grundgedanken, dass die Existenz der Götter nicht ausreichte, die Welt zu erklären. Man nahm an, dass auch die Götter an Regeln und Prinzipien gebunden waren oder sogar, dass sie gar nicht existierten. Die Philosophie wurde zu einem neuen Modell der Erklärung der Welt, einem neuen Glauben. Philosophische Strömungen wie die Pythagoräer oder die Orphiker nahmen auch die Züge und Lehren eines Mysterienkultes an und nur wenige Philosophien, wie die Sophisten, die Skeptiker und eben die Alexandriner grenzen sich vom Religiösen ab.

  • Was mir aber mal wieder am Cäsareum besonders auffiel, waren die Bettler. Wirklich, so viele arme und elende Gestalten wie in dieser Stadt habe ich in meinen ganzen Leben noch nicht gesehen. Aber auch hier bin ich noch nie auf eine solche Schar getroffen. Natürlich war hier aber auch der ideale Ort für sie, denn fromme Tempelbesucher lassen sich gerne um den ein oder anderen Obulus für wohltätige Zwecke erleichtern.


    Tausende von ihnen saßen an den Tempeltreppen und flehten die Vorbeiziehenden um eine milde Gabe an. Viele von ihnen verkauften auch selbstgebastelte Kleinigkeiten, boten ihre Fähigkeiten als Hellseher an oder gingen der Prostitution nach, wobei letztere Kategorie alle Geschlechter und Altersstufen umfassten, von einer alten Frau bis zum vielleicht 6jährigem Knaben. Auffällig waren hier auch die vielen Legionäre, die sich an eine Wand gelehnt hatten, gelangweilt dem Treiben zusahen, sich unterhielten und aufpassten, dass nichts geklaut wurde und keiner zu Schaden kam.


    Denn Streitigkeiten unter Bettlern sind in keiner Stadt eine Seltenheit. Meistens haben sich die Leute, die diesem Gewerbe nachgehen, zu einer inoffiziellen Gilde zusammengeschlossen, die die Reviere und Standplätze der einzelnen Personen festlegt, sich um die Schlafplätze und die Sicherheit der Angehörigen kümmert (denn Bettler sind Aufgrund ihres Lebens auf den Straßen ein besonders lukratives Ziel für deren größte Konkurrenz, die Diebe) und die Ausbeute des Tages untereinander aufteilt.


    Selten sind diese Gilden dabei gerecht zu ihren Mitgliedern, fast überall gibt es Vorstehende, die oft selbst nicht betteln müssen, sondern nur vom Ertrag der armen Teufel leben, von denen sie sich selbst den Löwenanteil nehmen. Den anderen bleibt dann oft nichts anderes übrig, als ohne Befugnis ihre Pläzte zu erweitern. Da für die Bettler ein kleines bisschen mehr oder weniger ihre nackte Existenz bedeutet, kommt es dann oft zu Gewalttätigkeiten und nicht selten verreckt der Unterlegene dann unbeachtet im Straßengraben...


    Ich hatte auf jeden Fall genug von dem Elend und wollte weiter, mir die angenehmeren Seiten der Stadt anschauen...

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