Nachmittagsspaziergang eines Marspriesters

  • Ein sonniger Tag hatte für einen normalen Römer mehrere Optionen bereit, je nachdem, welcher Gesellschaftsschicht man angehörte. Dass ich das Glück (oder, wie manche auch sagen würden, Pech) gehabt hatte, als Sohn eines Patriziers auf die Welt zu kommen, ließ mir viel Muße neben meinem Tempeldienst, und so genoss ich es, nachdem ich meine täglichen Aufgaben vollendet hatte, einen kleinen Spaziergang in Roms Tempelgegend zu machen. Die Menschen, die bei praller Sonne unterwegs waren, hatten sicherlich nur dringende Anliegen, die meisten anderen genossen jetzt in den Eingeweiden der Stadt ihr Mittagsschläfchen, die tägliche Schale Brei oder die Freuden einer lupa oder ihrer Eheweiber. Aber mir war weder nach Brei noch nach Schatten, auch die lupae dieser Stadt reizten mich wenig, sie kosteten doch zumeist zuviel und was man sich dabei holen konnte, war ein teurerer Preis, als mir das kurze Vergnügen wert sein konnte. Und ich hatte wenig Lust, die von Gracchus ausgeborgte, blütenweiße Toga in irgendeiner subura-Kaschemme zu beschmutzen.


    Das sportula, welches ich wie so oft von der morgendlichen salutatio in unserer Villa geklaut hatte, enthielt heute neben einem Krug Apfelwein auch einen dicken Laib Brot, Käse und Trauben, was wollte man schon mehr, um einen kleinen Spaziergang passend abzurunden. Während ich den Tempel des Mars passierte und ein soldatisch aussehender Mann an mir vorbeihastete, glitten meine Gedanken schon weiter in die Ferne. Vielleicht sollte ich der Venus wieder einmal opfern, dass sie ein Einsehen mit Orestilla haben würde - sie würde mein Kind gebären, aber heiraten konnte und wollte ich sie nicht, nicht eine peregrina mit unbestimmter Herkunft. Und so sehr sie mich auch liebte, ich mochte sie, aber ich konnte mich nicht zwingen, ein Gefühl zu erwiedern, das ich nicht empfand. Sie würde nur unglücklich damit werden ... ich blickte in die strahlende Sonne hinauf, in jenen blauen Himmel, der keinerlei Wölkchen zeigte, und seufzte etwas. Manche Dinge mussten auch kompliziert sein, vielleicht wollten die Götter nicht, dass irgend etwas einfach verlief. Vielleicht hatte ich auch schon zuviel Schuld auf mich geladen. In Gedanken versunken, schritt ich weiter, und bemerkte ein auftretendes Hindernis in der Form einer Person erst, als ich dagegen rempelte.


    Sim-Off:

    Wer mag, der darf gern das Hindernis sein ;)

  • Es war Epicharis ein Gräuel gewesen, bei diesem wunderbaren Sonnenschein auf dem claudischen Anwesen bleiben zu müssen. Zwar war der Garten wirklich nett, doch konnte er ihr schon lange keine Abwechslung mehr bieten. So hatte sie sich kurzerhand dazu entschlossen, die Bibliothek der Schola aufzusuchen und sich ein bekanntes Werk auszuleihen, welches nicht in der hauseigenen Bibliothek aufzufinden war. Nach längerem Stöbern - Nordwin hatte bereits mit den Augen gerollt, als er glaubte, sie sähe es nicht - hatte sich die junge Claudierin schließlich für ein Werk von dem weniger bekannten Diogenes von Apollonia entschieden und es entliehen. Nun schlenderte sie recht gemächlich und mit der Nase bereits im Buch steckend am Tempel des Mars vorbei. Diogenes schrieb von der Welt und deren Bestandteile, und es klang wahrhaftig logisch, wenn er beschrieb, dass der Grundstoff der Elemente Luft war. Zweifelsohne eine unübliche Literatur für eine junge Patrizierin, doch Epicharis war schon immer recht eigen gewesen, was Interessen und Wissensgebiete betraf. Solange ihr Vater nicht erfuhr, dass sie sich für Politik interessierte, und die ganze restliche Männerwelt keinen Verdacht schöpfte und sie anschließend für zu gescheit hielt, war es durchaus interessant, sich damit zu befassen. Gleiches gilt für Naturwissenschaftliche Dinge, wie 'De Natura' eines war.


    Sie sah auf, als der Schatten einer Person die Seiten des Buches für einen kurzen Moment verdunkelte, ihre rosigen Lippen teilten sich, um eine Warnung auszusprechen, doch da war der Priester - es musste einer sein - schon heran und stieß unsanft mit ihr zusammen. Nordwin war mit einem Satz zur Seite und bereit, doch nachdem Epicharis einen erschrockenen wie verärgerten Laut ausgestoßen hatte, schüttelte sie in seine Richtung den Kopf und blickte den Mann dann wieder verärgert an. Er war Patrizier, wie sie taxierend feststellte.


    "Welch unrühmliches Zusammentreffen, im wahrsten Sinne des Wortes", entgegnete sie sarkastisch und wartete auf eine formvolle Entschuldigung. Dass sie dabei selbst vom Weg abgekommen war und ihre Schritte inzwischen über den spärlichen Rasen der Tempelanlage und damit direkt auf den Mann zu geführten hatten, tat dabei nichts zur Sache - fand sie.

  • Ich stieß gegen etwas weiches, das zudem noch einen zarten Geruch verströmte, und erst der nächste Augenblick samt eingehenderer Betrachtung brachten mich zu der Erkenntnis, dass ich - mal wieder - eine Frau umgerannt hatte und sie nicht zu jenen Gossendirnen gehörte, die um diese Zeit zum Venustempel fluteten, um für ihre miserablen Ehen um den Beistand der schönen Göttin zu flehen. Einer Patrizierin sah man ihren Stand zumeist an, und diese Frau hatte jene besondere Klasse, welche die meisten Frauen unseres Standes auszeichnete. Dann, erst ein ganzes Stück später, registrierte mein inneres Sein, dass sie schön war. Wie sehr musste mein Selbst durch dieses Fieber gelitten haben, dass mir solches nicht zuerst auffiel, aber die Schriftrolle, die sie mit der einen Hand umklammert hielt, blieb eine nicht weniger wichtige Konnotation. Was sollte ich also tun, als das, was einem Mann in einer solchen Situation immer geboten ist, schuld am Zusammenstoß oder nicht? Ich lächelte und versuchte, verlegen auszusehen. Es gelang mir ganz gut.


    "Ich hoffe, Du entschuldigst meine Unaufmerksamkeit, auch wenn es eigentlich keine Entschuldigung dafür gibt, eine Frau wie Dich nicht sofort zu bemerken, wenn sie den eigenen Weg kreuzt. Aber vielleicht bewegt Dein Herz ein wenig Gnade, wenn ich Dir offenbare, dass mich schwerwiegende Gedanken bewegten und es zudem keine Absicht war. Ich hoffe doch, ich habe Dich nicht verletzt?" Natürlich war sie nicht verletzt, nicht einmal ihre palla war in Unordnung geraten, aber sicher war sicher. Manche Patrizierinnen waren ausgesprochen zickig, wenn man sie auf dem falschen Fuß erwischte, was einer der großen Nachteile jener Frauen war. Gab man einem Menschen zu viele Freiheiten, nutzte er sie naturgemäß gerne aus, ob niedrig oder hoch geboren. Ich trat einen Schritt zurück, bis uns wieder ein vor den Augen der Öffentlichkeit schicklicher Abstand trennte, und neigte ihr höflich den Kopf zu.


    "Erlaube, dass ich mich Dir vorstelle: Caius Flavius Aquilius, sacerdos publicus martialis. Wenn es irgendetwas gibt, womit ich Dein Ungemach durch diesen unangenehmen Zwischenfall lindern kann, so lass es mich wissen und ich will gerne versuchen, den ersten Eindruck in ein etwas besseres Licht zu rücken." Wenigstens war mir als Fischer die formvollendete Rede nicht ganz abhanden gekommen, und nun erst nahm ich mir Zeit, sie ein bisschen genauer anzuschauen, ohne dass es zu sehr auffiel. Ich selbst mochte wohl dem oftmals etwas bequem und lebenslustigen Bild der meisten an Opfergaben fett gefressenen Priester nicht entsprechen, vom langen Arbeiten draußen war ich noch gebräunt, die weiße Toga bildete einen fast grellen Kontrast zum Rest der Erscheinung. Die Narben auf meinem Unterarm gehörten eher einem Soldaten als einem Priester, und das ausgebleichte, helle Haar eher einem Arbeiter denn einem Patrizier.

  • Sie bemerkte wohl, dass er sie einen Moment lang eingehend musterte, doch dazu sagte Epicharis nichts, sondern setzte einfach zum Gegenangriff an, indem sie ihn ihrerseits ebenfalls genauer unter die Lupe nahm. Beim genaueren Hinsehen erkannte sie einige Unstimmigkeiten. Wenn das ein Patrizier war, was sie anhand des halbmondfömigen Knöchelschmucks zu erkennen glaubte, so war er ein äußerst komischer Vertreter ihrer Schicht. Statur, Aussehen und auch die sichtbaren Narben auf den Armen des Mannes erzählten widersetzliche Geschichten und ließen Epicharis skeptisch schauen, auch wenn der Mann sich höflich und in aller Form entschuldigte. Dieser Umstand stimmte Epicharis durchaus etwas milder, und sie ließ sich zu einem - wenn auch nur flüchtigen - Lächeln hinreißen. "Nein, mir geht es gut, auch wenn ich nicht alle Tage umgelaufen werde", entgegnete sie und fragte sich insgeheim, welche schwerwiegenden gedanken den Mann wohl dazu veranlasst hatten, blindlings durch die Welt zu stapfen. Doch sie kannte ihn nicht und hütete sich daher, ihn danach zu fragen. Obwohl nicht verrutscht, ordnete Epicharis ihre Palla mit einigen wenigen Handgriffen und registrierte nebenbei zufrieden, wie der Priester, wie sie wenig später bestätigt bekommen sollte, etwas zurücktrat. Das Lächeln auf ihren Zügen weilte nun einen Moment länger und war diesmal wirklich erfreut. "Ich bin Claudia Epicharis. Es freut mich, dich kennenzulernen, Flavius Aquilius. Deinen Namen habe ich schon einmal gehört", sprach sie und schloss nun beide Hände um das Pergament vor ihrem Körper. "Es gibt in der Tat etwas, das du tun könntest", begann sie alsdann schmunzelnd und mit zur Seite geneigtem Kopf. "Verrate mir doch bitte, wie du verwandtschaftlich zu Flavius Aristides stehst." Diese Bitte mochte den Flavier vielleicht überraschen, aber Epicharis hielt ihr unverhofftes Zusammentreffen inzwischen für einen witzigen Zufall. Jetzt, da sie wusste, dass sie einen Flavier vor sich hatte, war sie auch keine Spur mehr verärgert darüber, dass er sie nicht gesehen hatte. Immerhin bot sich hier die Gelegenheit, die Familie etwas näher kennenzulernen, und diese Gelegenheit würde Epicharis nicht ungenutzt verstreichen lassen. Es war schließlich immer besser, wenn man nicht vollkommen ahnungslos in eine Sache hineinschlitterte, sagte sie sich, und da konnte es nicht schaden, Aristides' Verwandtschaft vor der Feier kennenzulernen. Leontia kannte sie ja bereits, und auch von anderen Flaviern hatte sie schon gehört, wenngleich sie sie auch (noch) nicht kannte. Da fragte sie sich, ob Aristides wohl seinen Verwandten von ihrer Abmachung erzählt hatte. Vorweggreifen wollte sie ihm eigentlich nicht. Andererseits...vielleicht wusste Aquilius bereits Bescheid. Epicharis würde es im Gespräch herausfinden.

  • Komischer Kerl, erst anrempeln und sie dann mit den Augen ausziehen. Ich würde schon aufpassen, dass er nichts anstellte, immerhin war ich ja dazu da. Ich würde sicher nicht davor zurückschrecken, einen Patrizier zu verdreschen, wenn er der Herrin dumm kam und sie wollte, dass er eine Lektion bekam. Grimmig dreinblickend ließ ich meine Fingerknöchel mal als Vorwarnung knacken, blieb aber wie ein Fels in der Brandung etwas abseits stehen und wartete auf meinen Einsatz. Dieses braungebrannte, blondgelockte Würstchen sah eher wie ein junger Germane aus als ein hochwohlgeborener Patrizier, auch wenn er so redete. Naja, abwarten...

  • Eine Claudierin also - wenngleich sie Claudia Antonia, Gracchus' Ehefrau, nicht unbedingt ähnelte, aber vielleicht entstammte sie auch einem anderen Familienzweig, genau wie ich mit Gracchus und Aristides nur entfernt verwandt war. Wer die genauen familiären Zusammenhänge aller römischen Patrizierfamilien kannte, verdiente zweifellos nicht nur eine Auszeichnung, sondern auch das Mitgefühl eines jeden römischen Mannes, denn wer sich freiwillig mit diesem Chaos befasste, musste schon ein sehr armes Leben haben. Der Sklave beäugte mich so kritisch, wie es jeder gute Wachhund tun sollte, in sofern schien sie zum einem Familienzweig der Claudier zu gehören, der Wert auf die Tugend und Unversehrtheit seiner Frauen legte, ein weiterer Punkt, der für diese lesende Schönheit sprach.
    "Die Freude liegt ganz auf meiner Seite, Claudia Epicharis," erwiederte ich freundlich und überlegte gleichzeitig, warum um alles in der Welt sie wohl meinen Namen kannte. Ich war weder Politiker noch in irgendeiner Form namentlich in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten - aber sie beantwortete mir die Frage mit ihrem nächsten Satz schon selbst. Wenn eine Frau nach einem bestimmten Mann fragt, hat sie Interesse an ihm, und wie es schien, war Aristides der Glückliche.


    "Nun, Flavius Aristides ist zufürderst ein guter Freund aus Kinder- und Jugendtagen, und der Einfachheit halber bezeichnen wir uns als Vettern, auch wenn wir aus verschiedenen Familienzweigen stammen, er aus dem italischen, ich aus dem hispanischen, und die eigentliche Verwandtschaft somit ein bisschen schwieriger zu erklären ist ... ich hoffe, Du bist auch mit der ein wenig einfacheren zufrieden, ansonsten muss ich Dir nun unseren Stammbaum in den Staub malen." Ich schmunzelte bei dem Gedanken, dass ich einer Wildfremden unsere Familiengeschicke preisgeben sollte, und gleichzeitig wusste ich auch, dass ich aufgeschmissen wäre, müsste ich es wirklich tun, denn an einige Namen und Gesichter konnte ich mich noch immer nicht erinnern. Hoffentlich würde es ihr reichen, was ich ihr bereits gesagt hatte, andererseits waren die meisten Frauen furchtbar neugierig ... nun, ich würde sehen. "Darf ich fragen, wieso Du Dich für meinen Vetter interessierst? Er weilt derzeit in Mantua, bei der Legio, wenn ich mich nicht irre, und es dürfte schwer werden, ihn hier anzutreffen."


    Zumindest hatten mir das die Haussklaven gesagt, und ich hatte bisher keinen Grund gehabt, daran zu zweifeln. Wandelte Aristides derzeit gar auf Freiersfüßen? Dann war eine Claudierin, vor allem eine Frau mit Klasse, sicher keine schlechte Wahl, wobei es mich vor die Schwierigkeit stellte, mir aus dieser Familie dann sicher keine Braut zu suchen, damit die flavischen Linien nicht irgendwann an zu dünnem Blut und daraus resultierender Irrheit erlöschen würden, zwei Männer mit einer claudischen Frau in der Familie waren genug. Heiraten .. allein der Gedanke daran war unangenehm, nicht zuletzt, weil die meisten Patrizierinnen heillos überspannt waren.

  • Nordwins skeptischer Blick entging Epicharis nicht, doch sie scholt ihn nicht deswegen. Immerhin hatte sie ihn wegen seiner Wachsamkeit und des guten Gespürs Gefahren betreffend als engsten leibwächter immer mit dabei, wenn sie das claudische Anwesen verließ. Etwas Skepsis konnte selbst dem sanftmütigsten Mann gegenüber nicht schaden, immerhin hatte Epicharis etwas bedeutendes zu verlieren, solange sie nicht verheiratet war.


    Auf Aquilius' Erklärung bezüglich der Verwandtschaft reagierte sie mit einem amüsierten Schmunzeln, von seinen Gedanken ahnte sie freilich nichts. Sie fand seine Erscheinung für den Umstand, aus einem spanischen Familienzweig zu entstammen, noch seltsamer, denn waren nicht die Iberer dunkelhaarig und -häutig? Aquilius wies zwar eine starke Bräunung auf, aber von dunklen Locken war keine Spur. Gerade aber seine hellen Haare, fand Epicharis, standen ihm sehr gut zu Gesicht. Als er den Stammbaum erwähnte, winkte sie lachend ab. "Oh, nein, nein! Danke, aber das ist gewiss nicht nötig. Ich hatte nur angenommen, ihr wäret enger verwandt, was gewiss dein Familienname in Verbindung mit deinem souveränen Auftreten impliziert hat", erklärte sie und schmunzelte. Dennoch wäre es sehr interessant gewesen, mehr zu erfahren, aber Epicharis zügelte sich gekonnt und ging auf das Verwndtschaftsthema nicht näher ein, bis der Flavier nun seinerseits nach dem Grund für ihr Interesse an seiner Familie, genauer gesagt an Aristides, fragte. Er wusste es also noch nicht, dachte Epicharis bei sich. Verschmitzt sah sie ihn an und legte den Kopf schief. Er weilte in Mantua? Soso...


    "Ich muss dich leider enttäuschen, Marcus hält sich gegenwärtig noch in Rom auf, wir sind später bei der Sibylle verabredet. Natürlich darfst du auch nach dem Grund meines Interesses fragen, Flavius Aquilius, auch wenn er vermutlich nun auf der Hand liegen mag", erwiderte sie und hob beim Sprechen des letzten Satzes ihre Hand etwas an, damit er den wunderschönen Ring betrachten konnte, wenn er wollte. "Er ist mein Verlobter. ich kenne bisher nur wenige Flavier, und davon nur Leontia in persona. Deswegen interessierte mich dein Verwandschaftsverhältnis zu Marcus; damit ich auf der Sponsalia nicht ganz so verloren zwischen all seinen Verwandten wirke", erklärte sie. Epicharis lächelte, doch war es dieses Mal keine Höflichkeitsgeste, sondern ein überzeugtes Lächeln, denn sie fand Aquilius sympathisch und darüberhinaus machte es ihr stets Freude, andere Unwissende über den richtigen Sachverhalt aufzuklären. Das war eine Eigenart Epicharis', die sie manches Mal belehrend oder gar besserwisserisch erscheinen ließ. "Ich hoffe, ich halte dich nich auf?" fragte sie ihn mit neckischem Ton.

  • Es gab nicht vieles, womit mich eine Frau noch überraschen konnte, dafür hatte ich in der Vergangenheit zuviele Umarmungen, zuviele Lügen und zu viel Lächeln genossen. Irgendwann glichen sie sich alle, zumindest in den grundsätzlichen Überraschungsmöglichkeiten - aber heute wurde ich eindeutig eines Besseren belehrt, als sie erwähnte, dass sie Aristides' Verlobte war. Zum einen war es erstaunlich genug, dass mein bärbeißiger Vetter nun doch den Bund fürs Leben eingehen wollte - entweder war er sehr verliebt oder sehr verzweifelt - zum anderen erstaunte es mich, dass eine so kultivierte Frau, wie diese junge Dame offensichtlich war, ausgerechnet an Aristides Gefallen gefunden hatte, er schien über Seiten zu verfügen, die ich bisher noch nicht bemerkt hatte. Bald würde ich von Ehen umrundet sein, überlegte ich, und als einziger lediger Flavier in die Geschichte eingehen.
    Ich versuchte, meinen Unterkiefer davor zu bewahren, auf Brusthöhe herunterzuklappen, und hielt mein Lächeln aufrecht.


    "Ich muss wohl doch länger auf Reisen gewesen sein, als ich dachte, wenn nun auch mein Vetter Aristides mit einer reizenden und freundlichen Braut aufwarten kann," versetzte ich und blickte sie unter dem Gedanken an, künftig mit ihr verwandt zu sein. So unangenehm war diese Vorstellung nicht, eine Frau, mit der man sich anscheinend auch sinnvoll unterhalten konnte, war in Rom selten, und da sie anscheinend gerne las, würden wir sicherlich das ein oder andere Thema finden. "So freut es mich umso mehr, ein Missgeschick begangen zu haben, denn wann trifft man schon die Verlobte seines Freundes zufällig in einer Stadt wie dieser? Ich bin mir sicher, auf Deiner sponsalia wirst Du erkennen, dass unsere Familie zwar groß ist, Dich aber warmherzig und freundlich empfangen wird - besonders Antonia, die Gemahlin meines Vetters Gracchus, wird sich sicher freuen, eine Gefährtin in Dir zu finden, denn es gibt nicht viele Frauen in unserem Hause." Zumindest hoffte ich, dass es so war, das war mein letzter Informationsstand und vielleicht hatte sich wenigstens dies nicht grundlegend gewandelt. "Du hältst mich nicht auf, keine Sorge. Soll ich Dir vielleicht hier etwas zeigen, falls Du den Tempelbezirk noch nicht kennst? Dann wird Dir die Wartezeit bis zu Deinem Termin bei der Sybille nicht lang."

  • Ob es Epicharis war, die Gefallen an Aristides gefunden hatte, oder ob es umgekehrt war oder gar keine der beiden Varianten definitiv zutraf, vermochte vermutlich niemand zu sagen. Fakt war, dass Epicharis zum einen ihrem Vater eine gute Tochter, zum anderen später eine gute Ehefrau sein wollte. Wieder dachte sie an Tante Sagittas idyllisch anmutenden Erzählungen ihrer annähernd perfekten Ehe mit Onkel Bassus, und sie wollte ganz offensichtlich den gleichen Status für sich selbst und ihren zukünftigen Ehemann erlangen. Sicher tanzten Sagitta und Bassus nun wieder gemeinsam über die saftig-grünen Wiesen des Elysiums, davon war Epicharis überzeugt. Da sie so in Gedanken versunken war für einen kurzen Moment, bemerkte sie die Überraschung des Flaviers nur am Rande, obwohl sie doch so offensichtlich war und er ihr auch mit seinen Worten Ausdruck verlieh. Dennoch vernahm sie das Kompliment und lächelte flüchtig in Verlegenheit. Er drückte sich gewählt aus und wurde ihr immer sympathischer. Auch, wie er über die Aufnahme in die Familie der Flavier sprach, beeindruckte Epicharis in nicht unerheblichem Maße, hörte man doch teilweise grausige Geschichten aus dem Hause dieser Gens. Natürlich wusste man nie, was stimmte und was nicht, bis man einen Sachverhalt selbsttätig nachgeprüft hatte, aber die Flavier, die Epicharis bisher kennen gelernt hatte, erschienen ihr durchwegs freundlich. Leontia kaufte mindestens ebenso gern ein wie sie selbst, Aquilius war zuvorkommend und schien recht gebildet, Aristides war charmant und erschien ihr in mancherlei Hinsicht selbstlos und Antonia war schließlich eine Claudierin. Dann gab es da noch Serenus, der ihr ungezogen und frech erschien, aber wenn sie seine Stiefmutter war, würde sie zumindest versuchen etwas daran zu ändern. Mehr Familienangehörige Aristides' kannte sie noch nicht.


    "Ich habe schon einen kleinen Eindruck erhalten, als ich vor Kurzem mit Leontia, Antonia und Serenus über die Märkte schlenderte. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt noch keine Rede von einer bevorstehenden Hochzeit. Dennoch war es spaßig und Leontia wie Sereuns sehr freundlich", erzählte sie. Antonia kannte sie schließlich schon recht lange. Auch die Einladung Aquilius' klang recht nett, daher beschloss Epicharis im Bruchteil einer Sekunde, darauf einzugehen. "Etwas zeigen? Sehr gern. Es ist schon etwas länger her, dass ich in einigen der Tempel war. Etwa zwei Jahre, um genau zu sein. Ich war bei meiner Tante in Tarraco", fügte sie erklärend hinzu. "Gegen eine kleine Führung hätte ich also rein gar nichts einzuwenden."

  • Ein sonniger Tag, ein gut gefülltes sportula und eine hübsche wie kluge Frau an meiner Seite, was hätte ich mehr wollen können als im Augenblick? Der frühere Aquilius hätte wohl versucht, mit ihr zu flirten, dieses Spiel mit Worten und Blicken zu spielen, das einem Mann den Tag und einer Frau vielleicht die Nächte im Traume zu erhellen vermochte, aber zum einen war sie Aristides' Braut und er konnte mit einem gladius zweifelsohne besser umgehen als ich, und zum anderen ... irgendwie war mir einfach nur ein Gespräch mit ihr gerade lieber. War ich während meiner Zeit als Fischer etwa zum zahnlosen Ehemann verkommen oder waren diese Instinkte einfach genauso vergraben wie meine Erinnerungen? Aber ich wollte jetzt auch nicht zu lange über dieses unerquickliche Thema nachdenken, das mich wahrscheinlich ohnehin wieder auf die falsche Fährte geführt hätte, wie stets, wenn irgend etwas in meinem Leben mit Frauen zu tun hatte. Frauen hatten zumeist die unangenehme Eigenschaft, entweder bezaubernd oder langweilig zu sein, und wenn sie bezaubernd waren, brachten sie noch viel mehr Probleme mit sich als langweilige Frauen.


    "Ich hoffe, Serenus hat sich Dir gegenüber angemessen benommen - er ist fern der Stadt aufgewachsen und weiss nicht immer so genau, wo seine Grenzen verlaufen, wie jeder junge Römer in diesem Alter eigentlich. Leontia habe ich leider noch nicht kennengelernt, aber ich war auch in den letzten Jahren viel auf Reisen - und so erlebt man stets immer wieder Überraschungen mit der eigenen Familie. Langweilig wird es Dir mit den Flaviern sicher nie werden," nahm ich unseren Gesprächsfaden wieder auf, bevor die sich entwickelnde Pause zu lang wurde. Was sie wohl mochte? Welche Art von Scherzen sie wohl verlegen erröten ließ, welche Themen würde sie leidenschaftlich vertreten? Es war lange her, dass ich auf eine Frau getroffen war, die sich so gewandt auszudrücken wusste, dass es mich in gewissem Sinn als Patrizier herausforderte, nicht nur als Mann.
    "Tarraco, sagst Du? Dort liegt auch das Anwesen meiner Eltern, aber ich war lange nicht dort. Vielleicht sind wir uns früher irgendwann über den Weg gelaufen, ohne es zu wissen - das fände ich wirklich einen amüsanten Zufall. Wenngleich mir eine junge Dame wie Du sicher in Erinnerung geblieben wäre, ich müsste blind gewesen sein, Dich zu übersehen." Dann jedoch machte ich eine deutende Handbewegung zum fernen Marstempel hin, meinem alpha und omega. "Wenn Du möchtest, zeige ich Dir zuerst die Stätte meines Wirkens."

  • Genaugenommen war ihr der kleine Serenus weder sonderlich erzogen vorgekommen, noch sehr höflich. Die Erklärung, die Flavius Aquilius ihr für dieses Verhalten lieferte, erklärte allerdings so einiges. Epicharis konnte es nicht verhindern, verstehend zu nicken. Wenn der Junge wirklich auf dem Land aufgewachsen war, war sein Verhalten durchaus verständlich - er kannte es eben nicht besser. Ihre Aufgabe würde es somit wohl sein, ihm die Erziehung zukommen zu lassen, die man bisher schmerzlich an ihm vermisste. Keine besonders erfreuliche Aufgabe, zugegebenermaßen. Auf seine weiteren Worte entgegnete sie: "Oh, glaub mir, diese Überraschungen erlebst du auch, wenn du inmitten der Familie weilst." Schmunzelnd winkte sie ab und blinzelte anschließend in die Sonne.


    Aquilius sprach nun von Hispanien, und Epicharis dachte an die unbeschwerten und fröhlichen Tage bei ihrer Tante zurück. Sie glaubte, sie schwach an die Erwähnung des flavischen Familienzweiges in Tarraco im Zuge eines Gesprächs ihrer Tante mit anderen spanischen Frauen erinnern zu können, es ging wohl um Beziehungspflege und Verbindungsknüpfungen, doch waren diese Erinnerungen nur mehr vage und sie konnte sich nicht mehr recht daran erinnern. "Ganz recht, das wäre ein lustiger Zufall", entgegnete sie und blickte verlegen zur Seite, als er auf ihr Erscheinungsbild zu sprechen kam. "Wenn es der Fall war, so kann ich mich nicht erinnern. Allerdings ist mein letzter unbeschwerter Aufenthalt in Spanien auch schon ein Weilchen her. Zuletzt pflegte ich meine Tante, da war nicht viel Zeit, um die Stadt mit all ihren Vorzügen zu genießen." Kurz dachte sie an Tante Sagitta zurück und seufzte leise, dann folgte sie mit dem Blick der Geste des Flaviers, der auf den Tempel des Mars deutete. "Sehr gern", sagte sie und setzte sich in Bewegung. "Dann bist du also ein Marspriester? Marcus erzählte mir, dass viele Flavier als Sacerdotes tätig seien. Ein wichtiges Amt, dessen Bedeutsamkeit von vielen leider unterschätzt wird", plauderte sie. Nordwin und die anderen Sklaven folgten ihr in einigem Abstand.

  • Ihr Lächeln war reizend und ich konnte Aristides langsam aber sicher ausgesprochen gut verstehen, dass er sich für diese junge Frau entschieden hatte. Sie hätte mich wohl selbst gereizt, hätte ich sie früher kennenglernt, aber in diesem Punkt war das Schicksal wohl nicht ganz auf meiner Seite gewesen - dafür wusste ich nun, dass ich Vater werden würde und konnte auf etwa ein halbes Jahr interessante Lebenserfahrung als Fischer zurückblicken, ein Umstand, den ich ihr wohl besser nicht offenbaren würde, wer wusste schon, wie sie auf solch eine wilde Geschichte reagieren würde. War sie wohlerzogen und entsprechend weltfremd erzogen, dann würde sie sich zweifelsohne fragen, wie jemand wie ich ein eil der flavischen Dynastie sein konnte. Der Gedanke ließ lich kurz ein wenig mehr schmunzeln, und mit etwas Glück würde sie es auf ihre Worte beziehen.


    "Ich bin mir sicher, Du warst Deiner Tante Hilfe und Stütze zugleich," sagte ich lächelnd und war von diesen Worten auch ziemlich überzeugt, eine Frau, die wie sie auftrat, war garantiert genau das, wa man gerne um sich haben würde, wenn man sich langweilte und einer helfenden Hand bedurfte. Eine kluge Frau konnte einem Kranken die Stunden nicht zu lang werden lassen - vielleicht sollte ich auch einmal längere Zeit krank spielen, um mich in den Genuss ihrer Pflege zu bringen? Es kostete mich einige Mühe, nicht zu breit zu grinsen, und nahm das Thema mit meiner Arbeit schneller auf, als ich es gewollt hatte, um mich nicht zu verraten.
    "Es scheint uns ein wenig in der Familie zu liegen, niemals untätig sein zu wollen, und wer in der Politik nicht seinen Weg findet, der ist im Dienst bei den Göttern gut aufgehoben - man steht niemandem im Weg, und welche ehrenvollere Aufgabe gäbe es wohl für einen Mann, dem Staat und Volk noch zu dienen ausser als Soldat? Den meisten in unserer Familie liegt es im Blut, sich eine Aufgabe zu suchen, Untätigkeit ist nicht unsere Sache." Gemächlich schlenderte ich mit meiner reizenden Beleitung in die Richtung, aus der ich gerade gekommen war, und sonnte mich ein bisschen in dem Glanz der Blicke, die uns andere zuwarfen - eine edle Frau als Begleitung hatte man schließlich nicht alle Tage.

  • Epicharis ging nicht näher auf die Worte bezüglich ihrer Tante ein. Sie hatte sie sehr gemocht und ihr dahinschleichender Tod hatte sie sehr mitgenommen, und sie wurde jedes Mal wieder daran erinnert, wenn das Gespräch auf die Krankheit fiel. Dennoch lächelte sie und schritt weiter an Flavius Aquilius' Seite entlang auf den eindrucksvollen Marstempel zu. Seine Erklärung die Untätigkeit betreffend kam ihr recht bekannt vor, hielt es doch ihre Familie genauso. Ihr Vater hätte sicherlich Gefallen an diesem Mann und seiner Einstellung gefunden, vielleicht würde dereinst die Möglichkeit bestehen, die beiden miteinander bekannt zu machen. Epicharis würde es im Hinterkopf behalten, vielleicht ergab sich ja noch die ein oder andere Gelegenheit, immerhin hatten die claudier noch einige hübsche Töchter vorzuweisen.


    "Oh, ich weiß, was du meinst. Meine Familie hält es ähnlich. Mein Onkel Bassus zum Beispiel hat im hohen Alter noch dem Reich als Sacerdos in Tarraco gedient. Deine Einstellung hätte ihm sicher gefallen. Er war auch ein Mann, der die Götter und Ahnen geehrt hat, wie kein anderer in seinem Kreise. Und mein Großonkel Myrtilus möchte seine berufliche Laufbahn als Augur vollenden."


    Und schon waren sie vor den Stufen zum Tempel des Mars angekommen. Epicharis erklomm rasch die ersten drei Tritte und wandte sich zu Aquilius um. "Nun, ich bin gespannt, ob sich sehr viel seit meinem letzten Besuch hier verändert hat, oder ob ich mich gleich in einem Kindheitstraum wähnen werde."

  • "Ich wundere mich, dass immer weniger junge Römer sich überhaupt für den Dienst im cultus deorum entscheiden - sicherlich, die legio hat viele Vorzüge und ist eine Stütze des Reiches, die wir nicht entbehren können, doch was wäre die legio ohne das Kriegsglück, was wäre ohne unser Volk ohne die Aufmerksamkeit der Götter, die uns vor Schlimmem bewahren und jene schützen, die uns lieb und teuer sind?" Ich ließ das Thema mit ihrer Tante lieber ruhen, denn wenn sie es von sich aus nicht selbst verfolgen wollte, dann mochte sie vielleicht diese Gesprächswendung nicht oder aber es verbanden sich Erinnerungen damit, an die sie nicht tasten wollte - nichts, was ich nicht verstanden hätte. Ich folgte ihr gemessenen Schritts die Treppe hinauf und reichte ihr die geöffnete Hand, ohne sie zu berühren, sollte sie Hilfe brauchen, die Stufen empor zu steigen, konnte sie meinen Arm in Anspruch nehmen, wollte sie es nicht, dann hatte ich nichts verloren. Schon bevor wir das Gebäude betraten, fühlte ich mich auf eine seltsame Weise zuhause, wie ich es immer tat, wenn ich Mars in seinem Heim besuchte. Hier war ich eher zuhause als an jedem anderen Ort im Imperium - und man mochte es meiner Miene vielleicht auch ablesehen, dass ich mich hier wohler fühlte.


    "Es dürften wohl einige Risse mehr in den Wänden sein," meinte ich schmunzelnd auf ihre Bemerkung hin. "Wir suchen immernoch einen fähigen Architekten, der sich dieser Aufgabe gewachsen fühlt, aber mir scheint, den Wissenden in Rom fehlt es am nötigen Mut, eine Schande ist das." Das ärgerte mich wirklich, denn im Reden waren die meisten Römer immer größer als im Tun gewesen - nicht, dass ich eine allzu große Ausnahme gewesen wäre, aber wenigstens die Götter sollte man nicht vernachlässigen, wenn man sich einigermaßen ernst nahm. Schon eröffnete sich im kühlen Tempelinneren die durch ihre Präsenz raumfüllende Statue des bärtigen Mars, angetan mit den Insignien seines Kriegertums, prächtig anzusehen wie stets - und für mich wie jedes Mal ehrfurchtgebietend.

  • Epicharis war beeindruckt von der kurzen, doch sehr inbrünstigen Rede des Priesters. Sie musterte ihn flüchtig und nickte anschließend. "Da hast du recht. Ich finde es auch bedauerlich. Eigentlich hätte ich zu den Vestalinnen gehen wollen, doch die Pläne meines Vaters waren andere, und nun werde ich einen deiner Verwandten heiraten. Die Wege der Götter sind unergründlich, doch statt zu resignieren und mich einfach meinem Schicksal zu ergeben, strebe ich nach Vollkommenheit mit Unterstützung durch die Götter. Wenn sie also meinen, eine Ehe wäre das Richtige für mich, so will ich weder an ihrer Entscheidung noch an den Worten meines Vaters zweifeln und mir sicher sein, dass dies der Weg zur Vollkommenheit ist", entgegnete Epicharis voller Überzeugung. Sie erklommen die Stufen, und Aquilius war ganz der höfliche Mann, als den sie ihn einschätzte. Seinen Arm brauchte sie nicht, und dennoch wirkte der Flavier so vertrauenswürdig auf die Claudierin, dass sie dankend die Geste annahm und sich so führen ließ.


    Die mächtigen Säulen, welche zu ihrer Rechten und zu ihrer Linken empor ragten, erweckten den Eindruck, neben dem Gott klein und richtig zu wirken, was einerseits sicher Absicht, andererseits auch schlicht die Wahrheit war. Sie traten durch den Eingang, gerade als Aquilius Epicharis' Bemerkung mit den Rissen aufgriff und sie damit zum Lächeln brachte, ehe ihre Gesichtszüge leicht verschmitzt wurden und sie ihn von der Seite ansah. "Nun, vielleicht kann ich hier behilflich sein, doch mehr dazu erst, wenn ich Konkreteres weiß", gab sie geheimnisvoll preis und strebte dann einige weitere Schritte weiter hinein in das Heiligtum des Mars, der in einer Statue am Ende des Tempels und doch zugleich in dessen Mittelpunkt thronte und der Claudierin eine flüchtige Gänsehaut bescherte. Sie ging ganz bis zu den großen Marmorfüßen des Gottes, bedächtig und langsam, dabei den Blick über die Wände schweifen lassend und die weihrauchgeschwängerte Luft einziehend. An Mars' Füßen angekommen, ging sie anmutig in die Hocke und legte dem marmornen Gott eine Hand auf den großen Zeh. "Hier habe ich früher immer gebetet, dass meinem Vater nichts passieren möge und Mars darum gebeten, auf ihn aufzupassen", erzählte sie, schmunzelte und erhob sich wieder, um Aquilius anzusehen. "Kommen denn viele in den Tempel, um zu opfern?

  • Ein wenig wunderte mich ihre Ergebenheit in die Entscheidungen ihres Vaters schon, aber letztlich war dies eine sehr seltene Eigenschaft, die bei einer Patrizierin wohl noch höher geachtet werden mochte als bei allen anderen - die wenigsten fügten sich gerne in eine Ehe mit einem Unbekannten, und so war es nicht ungewöhnlich, dass sich patrizische Ehepartner schnell aus dem Weg gingen, wenn es einmal Erben gab und die Verpflichtungen erfüllt waren.
    "Mit Aristides hast Du sicherlich einen guten Mann gefunden, auch wenn Du nicht viel von ihm haben wirst, so Du ihn nicht in den Krieg begleitest wie viele andere Ehefrauen von Offizieren," bemerkte ich, während wir die Treppen erklommen - sie hatte mein Angebot angenommen und ich konnte mich damit schmücken, dass sie an meiner Seite ging, meinen Arm akzeptiert hatte. Nicht wenige Tempelbesucher warfen uns einen neugierigen Blick zu, aber ich schwieg dazu und schmunzelte nur still vor mich hin, mochten sie doch denken, was sie wollten, immerhin waren wir beide wohl bald verwandt, und einer Verwandten zu helfen, war nicht verboten.


    Fast beneidete ich Mars darum, dass sie seinen Zeh berührte, aber auch meinem Gott sollte schließlich das Vergnügen ihrer Gesellschaft zuteil werden können, nach all den verfetteten Matronen war sie wirklich ein ausgesprochen erfrischender und angenehmer Anblick. "Im Augenblick sind es viele, die um ihre Verwandten und Geliebten fürchten, wir haben einiges mehr zu tun als sonst - aber auch in den ruhigeren Zeiten herrscht hier ein stetiger Besucherstrom, der Vater Mars um seine Beistand bittet - was ich bei den meisten jungen Männern auch für eine sehr kluge Entscheidung halte, sobald sie in den Krieg ziehen oder etwas ähnlich wichtiges tun." Kurz blickte ich zu Ihm hinauf und stellte fest, dass Er bald wieder einmal gesäubert werden musste - die Tempeldiener überließen den Priestern gern diese Aufgabe, und die wenigsten meiner schon dicklich von den vielen Opferkeksen gewordenen Priesterkollegen drückten sich gerne davor, auf Leitern steigen zu müssen. "Willst Du ein Gebet sprechen? Ansonsten sollten wir für andere Besucher Raum zum opfern lassen," meinte ich lächelnd mit einem kurzen Blick zu den anwesenden anderen Menschen.

  • "Oh, es ist gut, dass ich nicht mit ihm reise, obwohl ich es ohne zögern tun würde. Aber lenkt die Anwesenheit einer Frau und die Sorge um sie einen Mann nicht zu sehr ab? Nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass Marcus es gutheißen würde, mich mitzunehmen", erwiderte sie und schüttelte ansatzweise den Kopf. Und auch Epicharis' Vater hätte alles andere getan als ihr die Erlaubnis zu geben, nach Parthien zu ziehen. Die neugierigen Blicke der Umherstehenden ignorierte Epicharis schlicht.


    Aquilius' Bestätigung, nun mehr zu tun zu haben als sonst, ließen Epicharis nicken. So etwas hatte sie sich schon vorgestellt. "Ja, ich dachte mir, dass es einen großen Ansturm geben muss auf die Marstempel der Region. Ein Gebet möchte ich nicht sprechen, aber ich werde sicherlich nochmals herkommen, Flavius Aquilius, um dem Mars ein gebührendes Opfer darzubringen. Vielleicht könntest du mir dabei behilflich sein, wenn es deine Zeit und der Ansturm auf den Tempel erlauben?" fragte sie ihn und reckte keck das Kinn etwas vor. Sie traten schließlich beseite, da eine Familie wohl opfern wollte. Großmutter, Mutter und vier Kinder rückten näher. Epicharis fragte sich, ob der Ehemann der Greisin wohl auch in den Krieg gezogen war, oder ob es eine andere Ursache für sein Fehlen blieb. Doch dann wurde ihr Blick erneut auf Aquilius gelenkt, und sie sah ihn forschend an. "Ich halte dich auch ganz bestimmt nicht von der Arbeit ab?"

  • "Die Frage beim Reisen ist nicht alleine, ob sich Dein Liebster nicht zuviele Sorgen um Deinen Verbleib machen würde, wenn Du bei ihm bist - so mancher Mensch schöpft die meiste und beste Kraft aus der Nähe eines anderen, der ihm aufrecht zugetan ist. Ich weiss nicht, wie die Dinge zwischen euch gediehen sind, doch solltet ihr einander von Herzen lieben, wird sich die Frage nach der Sorge nicht mehr stellen. Ich habe schon Offiziere kennengelernt, die lieber ihre Ehefrau nahe bei sich hatten als viele Stunden des Weges entfernt, auch wenn es gefährlicher war. Sie haben mir dann erklärt, dass nichts sie wirkungsvoller entspannt hätte als eine Stunde Plauderei mit ihrer Liebsten oder auch eine Nacht an ihrer Seite - vielleicht ist dies etwas, das man erst nachzuvollziehen lernt, wenn man vermählt ist und dieselben Erfahrungen gemacht hat," gab ich sinnierend zu bedenken und schmunzelte etwas. Aristides in Begleitung seiner Verlobten, die augenscheinlich ein wenig mehr Wert auf die Klassiker legte als er - nun, es wäre sicherlich interessant zu sehen, wie er sich nach einem halben Jahr noch benehmen würde. Mein dem Wein und den Weibern zugetaner Vetter als Pantoffelheld war ein Gedanke, für den er mich wohl über's Knie gelegt hätte!


    Als sie ein Opfer ansprach, nickte ich leicht. "Natürlich stehe ich Dir gern zur Seite, Claudia Epicharis. Zum einen ist dies ohnehin eine meiner Aufgaben, zum anderen bist Du als baldige Verwandte und Bittsprecherin für meinen Vetter wohl diejenige Person, die ich zu allererst unterstützen würde, nicht zuletzt, weil ich für sein Wohl ebenso opfern will. Wir könnten gemeinsam opfern, was hältst Du davon?" Was die leichteste Lösung war - sie musste nicht befürchten, irgend etwas falsch zu machen und Mars würde vielleicht bei zwei gleichzeitig betenden Menschen ein bisschen aufmerksamer sein, wenngleich ich mich über mangelnd Aufmerksamkeit bisher noch nie hatte beklagen müssen. Wer beklagte sich auch ernsthaft über die Götter, wenn er nicht vom Blitz getroffen werden wollte? Eine Braue hebend, schüttelte ich leicht den Kopf.


    "Keineswegs. Auch ein Priester muss ab und an seinen Kopf durchlüften, bevor er platzt - und ich war gerade unterwegs, in Ruhe etwas zu essen, als wir aufeinander trafen. In sofern hältst Du mich allerhöchstens vom Essen ab, aber sicher nicht von der Arbeit." Ich zwinkerte ihr vergnügt zu und geleitete sie wieder in Richtung Tempelvorplatz, denn wir hatten mit der Unterhaltung wieder einen Punkt erreicht, der andere Betende sicher stören würde. "In sofern ... verurteile ich Dich dazu, mein Mittagsmahl zu teilen, Du wüste Verbrecherin."

  • Epicharis schwieg, denn Aquilius' Worte hatten sie sehr nachdenklich gestimmt. Ob sie sich wirklich von Herzen liebten...konnte man das nach der kurzen Zeit, die sie sich überhaupt kannte, denn schon sagen? Etwas war da, zumindest seitens Epicharis, doch was Aristides fühlte, blieb ihr verborgen, wusste sie doch nicht, wie er sonst mit anderen Frauen umging, ob er nur sie so behandelte oder Verwandten wie Unbekannten ebenso herzlich gegenübertrat. Eine Nacht an der Seite der Geliebten... Nun, so eine war sie nicht. Sie konnte zwar auch nicht mit unabweichlicher Genauigkeit ihre eigene Zukunft vorhersagen, doch ihren Prinzipien würde sie wohl stets treu bleiben. Aquilius musste ihr nachdenkliches Gemüt sicher bemerken, doch um ihm keinen Anlass zu geben, das Thema noch zu vertiefen - sie hatte ja verstanden, was er damit anregen wollte - schenkte sie ihm ein kurzes Lächeln und richtete den Blick sodann wieder auf die Stufen, die sie hinabstiegen.


    Kaum bat er ihr seine Hilfe bei einem Opfer an, legte sie ihm die rechte Hand rasch auf den Unterarm und sagte: "Bitte, nenn mich einfach Epicharis, schließlich sind wir bald verwandt, und außerdem bist du mir sympathisch." Einen Augenaufschlag später war die Hand wieder fort und Epicharis und Aquilius auf dem Tempelvorplatz angekommen. "Ein gemeinsames Opfer käme mir sehr gelegen und wäre darüber hinaus noch eine sehr praktische Angelegenheit. Kekse und Küchlein können wir ja hier vor Ort erwerben, nicht? Dann lasse ich ein Ferkelchen besorgen, oder hättest du etwas anderes im Sinn?"


    Kurz darauf brachte er die Claudierin zum Lachen. Sie schüttelte fröhlich den Kopf und entgegnete: "Na gut, das geht ja gerade noch." Verschwörerisch sah sie sich um. "Nur gut, dass um diese Zeit auch alle anderen beim Essen sind und der Platz recht verwaist ist..da wird niemand die Leiche eines verhungerten Marspriesters bemerken und ich kann mich schnell aus dem Staub machen." Epicharis grinste verschmitzt, riss aber empört die Augen auf, als Aquilius sie auf witzige Art zum Essen verurteilte. Lachend hob sie den Zeigefinger, krümmte ihn und wackelte dann damit hin und her. "Flavius Aquilius, ich muss mich ja sehr wundern... Aber gut, du hast gewonnen, ich werde dich ohne Gegenwehr begleiten."

  • Sie wirkte ein wenig gedankenverloren, aber nachdem wir uns noch nicht allzu lange kannten, wollte ich dem nicht zu forschend nachbohren, es hätte sie wohl eher verärgert denn wirklich etwas geholfen. Und diese lockerleichte Atmosphäre eines gegenseitigen Neckens und Gedankenaustauschens wollte ich jetzt nicht unbedingt für ernstere Fragen beiseiteschieben, dafür würde immernoch Zeit bleiben.
    Dass sie mich so anlächelte, kombiniert mit einem reizvollen Augenaufschlag, ließ mir kurz einen vagen Schauer über den Rücken rinnen, aber ich ließ es mir nicht anmerken. "Dann nenne mich bitte auch einfach Aquilius, immerhin sind wir bald verwandt, und da ist für derlei Förmlichkeiten ohnehin nicht viel Platz. Zudem ..." ich tat so, als müsse ich ernsthaft überlegen, milderte dieses Schauspiel aber durch ein belustigtes Zwinkern ab, "... zudem bist Du mir ebenso sympathisch. Was das Opfer anbelangt, sollten wir bei Wein und Opferkeksen bleiben, ein Ferkelchen ist zwar eine schöne Gabe, aber doch für eine einfache Bitte um Schutz für Aristides ein bisschen überdimensioniert. Ein Ferkel würde ich für die gesamte Prima opfern, nicht nur für einen einzigen Mann."


    Bei der Vorstellung, als ausgehungerte Leiche vor dem Tempel herumzuliegen, musste ich herzhaft lachen und schüttelte den Kopf. "Auf was für Ideen Du kommst, ist fast ein wenig erschreckend. Ich überlege wirklich, ob ich mir für ein gemeinsames Essen mit Dir nicht doch lieber eine Eskorte aus ein paar kräftigen Sklaven mitnehmen sollte," sagte ich schmunzelnd und versuchte, mir dieses Bild vorzustellen, ohne wieder lachen zu müssen. "Es gibt hier in der Nähe ein recht annehmbares Lokal mit einigen Spezalitäten, zumindest kulinarisch gesehen kann ich Dir versprechen, dass Du Dich nicht langweilen wirst." Gemächlich ging ich in jene Richtung und musste sie nicht einmal vor irgendwelchen entgegen kommenden Leuten beschützen, es war heiß genug, dass der rege Passantenstrom langsam abzuflauen begann. "Gibt es etwas, das Du besonders gerne isst? Für einen sehr auserlesenen und komplizierten Geschmack müssen wir allerdings ein bisschen weiter gehen."

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!