Entschuldigung für den verspäteten Beginn. Hab momentan so wenig Zeit.
Callidus betrat den Raum, in dem sich doch einige Römer eingefunden hatten, was ihn nicht allzu sehr erstaunte, da die Rhetorik in Rom noch bei weitem den größten Stellenwert aller Künste innehatte. Er stellte sich an das Pult, wo Actuarius ihm bereits einen mit Wasser gefüllten Becher platziert hatte, so dass Callidus die Kehle anfeuchte konnte.
> Werte Zuhörer, wie der Titel meiner Lesung verrät, geht es um die Kunst des Redens. Zunächst möchte ich diese Kunst, diese Begrifflichkeit an sich näher erläutern.
Seit jeher wird die Rhetorik als eine handwerkliche, ja gar technische Kunst angesehen. Gorgias nannte die Rhetorik die Meisterin der Überredung, wie uns Platon überliefert. Aristoteles definiert sie genauer, er sagt, sie sei die Fähigkeit für jeden Einzelfall das, was glaubhaft gemacht werden könne, in den Blick zu nehmen. Und genau diese Ansicht teilt auch unser Quintilianus, der sich mit den einzelnen Definitionen befasst hat, um dann aber mit nur drei Worten abzuschließen: Die Rhetorik sei bene dicendi scientia, die Wissenschaft oder das Wissen gut oder schön zu reden.
Schließlich brachte Cato der Ältere eine der wichtigsten Bezeichnungen ein, er nannte den Redner vir bonus dicendi peritus, einen guten Mann, der des Redens kundig ist. Die Bezeichnung des vir bonus oder griechisch agathos ist einer der Grundsteine der Rhetorik, wo nur der Gute, Erhabene, der von Fehlern freie Mann die Rede auch gut einsetzen kann.
Doch wie entwickelte sich diese den Römern so typische Kunst? Bereits in alten Zeiten der Republik übten sich unsere Vorfahren in der Rede, die ein wichtiges Element in Politik, Militär und Rechtswissenschaft war. Die römischen Institutionen wie die comitia, der senatus und die Aufgaben der advocati brachten schon eine auf Übung und Imitation beruhende Redekunst hervor. Auch die Leichenbegängnisse gaben Gelegenheit für die öffentliche Rede, wie die laudatio funebris. Durch diese stets in Rom vorherrschende öffentliche Rede war der Übergang vom Erfahrungswissen zur wissenschaftlichen und theoretischen Beschäftigung mit dem Stoff ein Leichtes.
Nach den punischen Kriegen, als sich Rom auch zum Osten öffnete, kamen Strömungen der Rhetorik aus Griechenland nach Rom, die damals besonders durch die Nobilität verachtet wurden. Ich erzählte bereits in meinem Kurs de litteris antiquis von Cato, der alles Griechische hasste und griechische Philosophen aus Rom ausweisen ließ. Was war so gefährlich an diesen neuen Einflüssen? Der Senat setzte sich seit den Standeskämpfen aus den ehrbarsten Familien zusammen, die ihre Eignung für die Leitung des Staates aus ihrem Namen, aus ihrem Geschlecht ableiteten. Die Kunst des Redens jedoch fand in der Oberschicht großen Anklang, da viele Römer sich durch diese Fertigkeit einen politischen Aufstieg versprachen und auch erreichten. Cicero ist das beste Bespiel für diese Entwicklung. Er schaffte es als homo novus bis ins höchste Amt, machte sich zunächst aber als Redner einen Namen, besiegte durch geschickte Gerichtsreden sogar den damals besten Redner Hortensius und zeigte damit, dass die Rede, wenn sie geschult ausgeführt wird, zu hohem politischen Ansehen und politischen Erfolgen führt. Ist er auch der größte Redner Roms, so benutzten bereits die Gracchen als Volkstribune die stilisierte Rede, um das Volk zu überzeugen. Auch sie hatten bereits die Techniken erlernt, die von gebildeten Römern wie einem Papirius Carbo und natürlich einem Aelius Tubero zu jener Zeit gelehrt wurden. Dass diese Entwicklung der damaligen Nobilität in ihren festgefahrenen Hierarchien übel aufstieß, ist deutlich. Der Einzug der systematischen Rede in Rom war allerdings nicht durch die Vertreter der alten Traditionen im Senat aufzuhalten, auch wenn Cato der Überzeugung war, dass moralische Überlegenheit zusammen mit natürlicher Begabung ausreichend wäre. Und an dieser moralischen Überlegenheit zeigt sich das „bonus“. Mit dieser Auffassung der Überlegenheit des moralisch guten Menschen lehnt sich Cato eng an die stoische Auffassung an, die ebenso den guten Redeinhalt und einen integren Redner fordert. <
Er nahm einen Schluck aus seinem Becher.