Arbeitszimmer|Gracchus~Quintus Tullius? et Arrecina die kleine Nichte

  • Sie hatte es nicht geschafft irgendwelche Zeilen an ihren Vater zu schreiben. Irgendwie fehlten ihr die Worte, aber vielleicht würden sie ja kommen, wenn sie bei ihrem Onkel gewesen war, denn wenn sie wüsste, dass sie zu ihrem Vater gehen könnte bevor er in den Krieg zog kamen vielleicht auch die Worte wieder schneller aus der Feder, zumindest hoffte sie es und sie hoffte auch, dass ihr Onkel ihre Ängste wieder würde niederschlagen können.
    Deswegen huschte nun die kleine und schmale Gestalt von Arrecina durch die Villa Flavia, in einer Hand den Brief und die andere Hand frei um an die Tür des Arbeitszimmers von Gracchus zu klopfen als sie endlich vor diesem stand. Sie wusste nicht einmal ob er hier war, aber es war ein Versuch wert ansonsten musste sie eben die ganze Villa nach ihm absuchen oder Aquilius fragen, aber sie wusste wenn sie bei Aquilius war würden ihre Gefühle wieder verrückt spielen. Es schien als wäre sie immer noch mit einem Fluch belegt und zwar mit einem Fluch der ihre Gefühle vollends auf den Kopf zu stellen vermochte.

  • Rastlos war Quintus Tullius durch die langen Korridore der Villa Flavia geirrt, auf der Suche nach dem Arbeitszimmer seines Bruders. Schließlich hatte er sich doch herab gelassen einen Sklaven mit einigen subtilen Bemerkungen und Fragen dazu zu bringen, ihm den Weg zum Arbeitszimmer zu zeigen. Wenn er sich nicht beobachtete fühlte, lief Tullius mit dem geschmeidigen, leicht rollenden Gang, den er sich in den Jahren auf den Planken seines Schiffes angeeignet hatte, stets im Bewusstsein die Macht auf der Triere zu besitzen, weswegen auch jetzt sein Gang noch von dem Gefühl beherrscht wurde. Selbst wohl es ein herrlicher Sonnentag war, die Vögel gar lieblich im Garten zwitscherten und die Bäume mit zahlreichen Blumen sprossen und ihre Blüten gen blauen Himmel streckten, so war der Gang hier von den düsteren Wänden umschattet, die Ombrage schlich Quintus Tullius, nein, Manius Flavius Gracchus, hinter her und schienen mit dem Windzug den er mit sich trug, nach Flavia Arrecina zu greifen und sie zu umschlingen. Doch es war dann nur der Bruder, der dem Manius Flavius Gracchus so sehr similar war, der an Arrecina heran trat und sie nicht verschlang, wenngleich seine Augen sie mit einem solchen Blick maßen. Denn mit dem Blick wollte Tullius erkennen, ob er vor sich die Frau des Gracchus hatte. Zwar war sie nur eine junge Frau, gerade noch ein Mädchen, mit dem Ausdruck in den Augen, den Tullius bei zahlreichen seiner unschuldigen Opfern gesehen hatte, dennoch im heiratsfähigen Alter. Wenn das die Frau von Gracchus war, dann konnte er die Kühle verstehen, denn wer mochte schon eine Frau haben, die kaum dem Kindesalter entwachsen war. Tullius trat nahe an Arrecina heran und legte seinen Zeigefinger unter ihr Kinn und zwang sie, so den Kopf anzuheben und ihm in die Augen zu blicken.
    „Suchst Du mich? Liegt Dir gar etwas auf dem Herzen?“
    Sardonisch lächelnd griff Tullius an Arrecina vorbei und öffnete die Tür. Tullius trat an Arrecina vorbei und in den Arbeitsraum hinein, sah auf die zahlreichen Schrifttafeln und nickte zufrieden, denn womöglich würde er hier fündig werden. Mit einigen Schritten ging er zu dem Schreibtisch und wandte sich um, sah abermals zu Arrecina.
    „Nun? Was gibt es, meine Liebe?“



  • Es schien so, dass er nicht da war und sie hatte schon grade gehen wollen als sie ihn nahe bei sich spürte. Sie drehte ihren Kopf auf die Seite und sah ihren Onkel an spürte nur kurze zeit später seinen Finger unter ihren Kinn und wie er es anhob. Leichte Verwunderung über diese Nähe lag in ihren Augen, war er die ganze Zeit doch meißt auf etwas Abstand bedacht. So schaute Arrecina ihm genau in die Augen und runzelte leicht ihre Stirn. Zwar war es nicht so, dass er sie nie anfasste, aber berührte er sie doch nie so, doch dieses Gefühl verschwand auch so schnell wieder wie es gekommen war und sie blinzelte einmal kurz.
    "Ja ich habe dich gesucht," meinte sie bevor er in sein Arbeitszimmer trat und sie ihm einfach folgte. Nur wenige Meter blieb sie hinter ihm stehen und erwischte sich wieder einmal bei dem Gedanken, dass er gar nicht so schlecht aussah wie sie es schon einmal gedacht hatte. Seit ihre Gedanken fast alle wieder zurück waren und sie sich erinnern konnte kam auch immer mehr das alte Ich von ihr zurück und sie wusste nicht so ganz ob ihr das gefiel aber Rutger konnte sie nicht vergessen.
    "Ich habe einen Brief von meinem Vater bekommen wo er schrieb, dass er in den Krieg ziehen muss und er sagte auch, dass du noch einmal nach Mantua reisen wirst um ihn zu besuchen und ich vielleicht mit könnte. Ich habe Angst um ihn egal was geschehen war in der Vergangenheit. Du hast mir schon einmal geholfen die Ängste zu überwinden, kannst du es wieder machen?" Wieder hatte sie diesen flehenden Ausdruck in ihren Augen den sie schon damals gehabt hatte als sie solche Angst hatte von den Geistern geholt zu werden. "Ich hatte versucht ihm zu schreiben aber mir fallen einfach keine Worte ein."

  • Ein Papyrus fiel langsam vom Tisch und glitt über den steinernen Boden, welcher in strahlendem Sonnenlicht getaucht wurde und somit die Grenzen von Licht und Schatten noch viel klarer zu zeichnen vermochte. Und Quintus Tullius stand halb im Schatten, seine eine Gesichtshälfte blieb durch die Schwärze verborgen, die Andere offenbarte eine belustigte Miene. Schweigend wandte sich Tullius um und nahm hinter dem Tisch Platz, deutete scheinbar freundlich auf einen Stuhl und griff nach einigen der Aufzeichnungen, die sein Bruder in einer minutiösen Art sortiert dort hinterlassen hatte. Einige Schriften über verblichene Römer und ein Testament durchwanderten Tullius Hand, was er alles desinteressiert zur Seite legte und das Schweigen über Arrecina lasten ließ, nur unterbrochen von dem Rascheln des Papyrus. Die wenigen Worte des Mädchens hatten Tullius offenbart, es war nicht die Ehegattin seines Bruders, sondern seine Nichte, die er vor sich hatte, die Tochter des soldatischen Flaviers in Mantua.
    „Arrecina, Krieg ist nun mal notwendig in unserer Welt.“
    Tullius fixierte Arrecina, lehnte sich in dem Stuhl zurück.
    „Der Reichtum und die Macht des Imperiums beruhen einzig und alleine auf den Schlachten und die Kriege, die unsere Vorfahren ausgefochten haben. Auch Deine Sicherheit, Arrecina, würde nicht lange währen, wenn niemand die Grenzen des Imperiums verteidigen würde. Und nicht nur verteidigen, sondern auch Angriffskriege führen, zeigt sich doch darin erst die Stärke eines Reiches. Angezogen wie die Motten vom Licht würden sie kommen, um uns den Reichtum zu nehmen, die Kinder in die Sklaverei zu verschleppen und solche hübschen Mädchen wie Dich zu schänden. Also sei froh darum, dass Dein Vater in den Krieg zieht. Und wenn er stirbt, die Wahrscheinlichkeit ist noch nicht mal sonderlich gering, dann kannst Du Dir sicher sein: Er ist immerhin für den Machtzuwachs des Kaisers gestorben, womöglich hatte es sogar einen Sinn. Und sicherlich wird es das Ansehen der Familie, einen toten Kriegshelden zu haben, ein wenig steigern.“
    Ungerührt ob irgendwelchen sentimentalen Ausbrüchen seitens des Mädchens vor sich, wandte Tullius seine Augen einem Papyrus zu und las interessiert die Zeilen darauf. Exorzismus und das Vertreiben eines Fluches wurden dort mit einer äußerst eleganten Handschrift beschrieben. Tullius Augen weiteten sich marginal, denn in jenem Augenblick hielt er ein Schriftstück in der Hand, was ihm vielleicht von dem elenden Fluch des Weibes befreien konnte, was ihn vor vielen Wochen mit einigen üblen Verwünschungen bedacht hatte. Vielleicht war sein Bruder doch zu etwas nutze und dessen Leben nicht von völliger Tristes gezeichnet. Arrecinas Name und das eines Fremden fiel ihm auf, Tullius Augenbraue wölbte sich in die Höhe.
    „Es ist in der Pflicht eines Patriziers, Arrecina, zu lernen, wie einer zu leben. Auch eine Frau muss dies tun und ganz besonders Du, meine Liebe!“
    Tullius hegte eine tiefe Abneigung gegen Frauchen und Weibsbilder, die sich als Klette an den Mann hängten und stets davon abhängig waren, dass sich ein Mann um sie kümmerte. Darum entsprachen die Worte seiner innersten Überzeugung, wenn er auch glaubte, sie an dem Mädchen vor sich zu verschwenden. Aber scheinbar hatte Gracchus in der Vergangenheit versäumt, dem Mädchen die kalte Welt vor Augen zu führen, in der sie nun mal lebte.
    „Niemand kann Dir die Ängste nehmen, außer Dir selber. Also höre auf, Dich wie ein weinerisches Mädchen zu benehmen und andere Deine Sorgen aufzubürden. Lerne damit umzugehen, kämpfe und zeige, dass Du mehr bist als eine kriecherische Sklavin. Schließlich bist Du eine Patrizierin. Und wenn Dir nichts einfällt für einen Brief, dann lass es einen Sklaven verfassen. Dein Vater wird es sicherlich nicht bemerken.“
    Sorgfältig rollte Tullius das so kostbare Papyrus zusammen, was sich mit dem Fluch auseinander setzte, lächelte sadonisch und taxierte Arrecina.
    „Rutger, fürchtest Du Dich vor ihm? Des Fluches wegen?“




  • Schon lange war sie nicht mehr so sprachlos gewesen wie jetzt. Arrecina war her gekommen um sich einen Rat oder Hilfe zu holen aber hier wurde ihr einfach nur vor den Kopf gestoßen. Nichts erinnerte im Moment mehr an den Onkel der sie in ihrem Zimmer in den Armen gehalten hatte, der ihr Trost mit seinen Worten gespendet hatte und ihr helfen wollte. Rein gar nichts erinnerte mehr an den Mann. Dieser Mann hier war kühl, erschreckend kühl und schien sein Herz irgendwo verloren zu haben und sie hatte absolut keine Ahnung warum das auf einmal so war. Hatte sie vielleicht etwas bei den Geschehnissen im Garten falsch gemacht? Unsicher sah sie ihn an und setzte sich auf den Stuhl, der ihr auf einmal viel zu hart vorkam und vor allem unbequem. Es war irgendwie…..unheimlich war das passende Wort dafür.
    Musternd war ihr Blick als sie die Schatten seines Gesichtes beobachtete, es schien, wenn man sie anschaute, dass sie etwas suche, etwas bestimmtes, aber das tat sie natürlich nicht. Es waren einfach die verwirrenden Blicke der Nichte, nicht mehr oder weniger, oder vielleicht doch?
    „Ich weiß wohl, dass Kriege von nöten sind, dass wir ohne sie nicht überleben könnten, aber ist es dennoch ein Grund mich ein weinerliches Mädchen zu nennen wenn ich Angst um meinen Vater habe?“ Fest waren auf einmal ihre Worte und nicht mehr ängstlich. Arrecina war eine Mischung geworden aus alter und neuer Arrecina. Sie war wechselhaft geworden so wie auch ihre Stimmungen. Sie konnten das eine mal hell hoch begeistert sein und im nächsten Moment war sie das ängstliche Mädchen, dass sie eigentlich früher niemals gewesen war und dann war sie wieder die kühle Patrizierin die keine Gnade kannte. Im Moment konnte man sich bei ihr nicht mehr sicher sein, wer sie war, wie sie war und wann wieder das andere Ich zum Vorschein kam.
    Schmal presste sie ihre Lippen zusammen und suchte seinen Blick, denn sie wollte ihm genau in seine Augen sehen.
    Das Geraschel der Papyri ging ihr auf die Nerven und sie kräuselte immer wieder ihre Stirn. Es schien als wären die Geräusche einfach doppelt oder dreifach so laut als normal und es schallte in ihrem Kopf. Sicher würde sie später wieder Kopfschmerzen haben. „Ich weiß wie man sich als Patrizier zu benehmen hat, keine Sorge, doch glaube ich, dass es andere nicht immer wissen.“
    Sie strich sich ihre braunen Haare hinter die Ohren und straffte ihre Haltung ein wenig mehr. Ihre Gedanken waren nicht ganz hier, denn sie war grade dabei einen Entschluß zu fassen die Rutger betrafen. Sie mussten hier weg, denn sie spürte, dass sie hier nicht glücklich wurde, dass sie beide nicht glücklich werden konnten. Ihre Gedankensprünge würden sie auch noch eines Tages in den Wahnsinn treiben.
    „Mein Vater ist nicht dumm, er kennt meine Schrift und ich werde sicher nicht irgendeinen Sklaven meine Briefe schreiben lassen. Entschuldige, dass ich dir deine Zeit stehle, ich dachte nur, da du mir schon einmal geholfen hast würdest du mir wieder helfen, aber man kann sich auch irren vor allem in dieser Familie kann man es sehr gut und…….“ sagte sie enttäuscht und geriet dann ins Stocken als er auf Rutger zu sprechen kam.
    Das war eine Frage mit der sie nicht gerechnet hatte und sie wich ihm einen Moment mit ihren Blicken aus.
    „Er hat mich nicht verflucht! Niemals hatte er das getan doch jeder glaubte das. Auch du, aber du wolltest mir nur helfen doch machte es mir nur noch mehr Angst. Vor Rutger fürchte ich mich nicht und werde es auch niemals. Ihm habe ich mein Leben zu verdanken aber das interessiert hier ja niemanden.“

  • Das kleine Patrizierkätzchen konnte also Krallen zeigen und entblößte ihre kleinen Zähnchen. Darüber ergötzt verzogen sich Tullius Lippen zu einem kalten Lächeln und langsam stand er auf, denn außer dem kleinen Exorzismus, den das Papyrus beschrieb, interessierten ihn im Augenblick die Schriften von Gracchus Amtsgeschäfte wenig. Doch noch mehr tat es Arrecina, die ihm womöglich mehr über die Entfluchung, die Gracchus geplant und womöglich schon ausgeführt hatte, verraten konnte. Langsam und mit einem geschmeidigen Gang trat er um den Tisch herum und vor die flavische junge Frau, lehnte sich gegen die Kante des massiven Schreibtisches und taxierte unverwandt Arrecina. Die kleine Anspielung auf seine Person war ihm mitunter nicht entgangen, doch Arrecina erntete dabei nur weiterhin das kühle Lächeln, was ihren Zorn ungerührt von sich abprallen ließ.
    „Den Tod, Arrecina, solltest Du nicht fürchten, weder von denen, die Dich umgeben, noch Deinen Eigenen. Erst dann, meine Liebe, wirst Du wahrhaftig anfangen zu leben und Deine Geschicke selber in die Hand nehmen können.“
    Tullius beugte sich vor und sah der jungen Frau prüfend in die Augen, als ob er nach etwas in ihr zu suchen schien, gar schon in ihr entdeckt hatte. In Wirklichkeit prüfte Tullius lediglich, ob eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihr und Gracchus, somit auch ihm, war er doch seinem Bruder similar, zu erkennen war. Die braunen Augen waren in gewisser Weise denen von Gracchus ähnlich, auch der Ausdruck darin ähnelte seinem Bruder, wenn er ihm derart forschend in die Augen gesehen hatte, was nicht lange gewährt hatte. Aber er hatte einen tiefen Eindruck von seinem Bruder in sich und versuchte sich einen von der restlichen Familie der Flavier zu verschaffen.
    Vielleicht war das Eruieren in ihren Augen auch der Grund, warum ihm ein marginales Flackern, eine Unbehaglichkeit auffiel, die nicht von Angst oder Grauen herzurühren schien. Dennoch wusste Tullius zu wenig, um genaueres zu sagen. Aber die Leidenschaft, mit der Arrecina über ihn sprach, öffnete die Tür Erkenntnis einen Daumen weit zu dieser verborgenen und er suchte hinein zu spähen, diesem kleinen Geheimnis, mochte es womöglich dennoch unbedeutend sein, auf die Spur zu kommen. Schließlich hatte sich Tullius genug schon in der Villa gelangweilt und suchte wieder ein interessanteres Spiel.
    „Meine Liebe, Du lässt den Brief verfassen und schreibst ihn mit eigener Hand ab, wenn es Dir so viel bedeutet, kleine, süße Arrecina.“
    Tullius beugte sich noch weiter vor und legte seinen Finger unter ihr Kinn und zwang sie, ihn abermals anzuschauen.
    „Was bring Dich dazu zu vermuten, dass er Dich nicht verflucht hat, Arrecina?“
    , fragte Tullius durchaus wissbegierig, lastete auf ihn doch selber ein Fluch und es war auch an der Zeit sich damit zu befassen.
    „Dein Leben hat der Germane also gerettet? Meine Liebe, dann ist Dir doch sicherlich bewusst, was das in der Konsequenz bedeutet?“
    Mit dem Daumen strich Tullius an Arrecinas Kinnlinie entlang und betrachtete sie im höchsten Maße amüsiert. Wenn Gracchus ihm nicht gesagt hätte, dass Arrecina zu den Flaviern gehörte, die ihn nicht gut kannten und kaum Verdacht hegen würde, hätte er sich sicherlich nicht zu dieser Art hinreissen lassen, mit ihr zu sprechen, doch die Langeweile machte ihn geringfügig unvorsichtig, dennoch war er sich seines Äußeren genug bewusst, was jeglichen Verdacht hemmen sollte. Wer vermutete schon hinter dem Gesicht eines Onkels oder Vetters einen Zwilling dessen?
    „Wenn er Dein Leben vor Plutos Macht geschützt hat, meine Liebe, dann stehst Du tiefer in seiner Schuld als bei deinem Vater, der Dich nur mit seinen Lenden gezeugt hat. Es ist eine Verbindung, die weit über das Leben hinausgeht, weit über eine normale Bindung. Gedenkst Du, das wieder gut zu machen, kleine Arrecina?“
    Ein wenig Chaos in den Frieden der Villa zu bringen, würde Tullius sicherlich genauso belustigen. Und so sah er Arrecina unverwandt in die Augen.
    „Aber sag, meine Liebe, warum sprichst Du so leidenschaftlich über diesen Rutger?“




  • Arrecina hatte kein einziges mal vorgehabt ihren Blick von ihm abzuwenden. Das wäre bestimmt ein Zeichen von Schwäche gewesen und sie wollte nicht mehr schwach sein, wenigstens etwas wollte sie von ihrem alten Leben wieder haben und das war ihre Stärke die sie immer gehabt hatte. Wieder einmal bildete sich eine Idee in ihrem Kopf, sie musste mit ihrem kleinen Bruder reden und zwar dringend. Gedanken über Gedanken und immer noch den Blick auf seinen gerichtet. Es waren fast die gleichen Worte die sie schon einmal von ihm gehört hatte. Schon beim letzten mal sagte er, dass sie den Tod nicht fürchten müsse, aber es war alles so einfach gesagt, aber Gedanken konnte sie nicht einfach in Luft auflösen lassen. Es funktionierte nicht und vielleicht hatte er wirklich deswegen keine Angst weil er den Göttern noch viel näher war als sie.
    „Ich kann nichts dazu, dass ich Angst habe meine Lieben zu verlieren, dass ich Angst habe selber Opfer dessen zu werden. Es sind kleine Gedanken mit doch so großer Wirkung.“Etwas funkelte in ihren Augen auf, ein kleiner Funken vielleicht bedeutungslos, vielleicht aber auch nicht. Dieser Funken schien immer deutlicher zu werden je näher er sich zu ihr beugte. Sie wusste nicht ob sie sich unwohl fühlen sollte oder nicht. Arrecina kannte ihren Onkel zu wenig um ihn wirklich einschätzen zu können, vielleicht würde ihr genau das einmal zum Verhängnis ihm gegenüber werden. Vielleicht….
    Sie versuchte seinem Blick, der etwas bohrendes, suchendes inne hatte nicht auszuweichen auch wenn es ihr ziemlich schwer fiel, denn sie fühlte sich in diesem Moment so nackt. Ja genau das war das perfekte Wort sie fühlte sich nackt weil sie das Gefühl hatte er könne ihr mitten in die Seele sehen und somit ihre Geheimnisse freilegen.
    Sie öffnete ihre Lippen als wolle sie etwas sagen als seine Finger sich unter ihr Kinn legten und ihr jede Möglichkeit raubten ihren Kopf wieder wegzudrehen. Sein Blick hatte sie eh schon gefangen gehalten aber nun war ihr jeder Weg versperrt, denn sie spürte, dass er es nicht so schnell zulassen würde sie einfach ´gehen´zu lassen.
    „Nichts geht über die eigenen Worte einer Tochter Gracchus, er würde es merken, denn er kennt mich so sehr sehr gut, schließlich ist er mein Vater. Ich möchte dich nicht weiter mit meinen diesigen Belangen langweilen, ich denke du hast noch genügend andere Dinge zu tun.“Als er wieder ein Stückchen näher kam schluckte sie was man an ihrem Hals deutlich sehen konnte. Irgendwie brannten sich seine Finger in ihre zarte Haut. Irritiert sah sie ihn an. „Ich weiß einfach, dass er mich nicht verflucht hat. Ich weiß es einfach.“Ganz leicht weiteten sich ihre Augen ein wenig als sein Daumen über ihre Haut strich. Momente lang dachte sie an Aquilius, wie sich die Berührungen der beiden doch glichen und beide waren sie jeweils ein Onkel von ihr, etwas Verbotenes. Ein Schauer schlich sich langsam und schleichend über ihren Rücken und die Hände die auf ihrem Schoß lagen griffen auf einmal in ihre Knie.
    Flüsternd kamen ihre Worte über ihre Lippen die sich kaum zu bewegen schienen. „Ich stehe in seiner Schuld und würde dafür wohl auch alles machen und ich will nicht, dass man ihm auch nur ein Haar krümmt. Er begann einen Fehler aber er ist auch nur ein Mensch und diese machen nun einmal Fehler.“Ihre Muskeln spannten sich an und sie fühlte sich ertappt, aber sie konnte nicht mit Sicherheit sagen ob er auch etwas wusste oder nur seine Spielchen mit ihr trieb.
    „Ich spreche nicht leidenschaftlich über ihn zumindest nicht leidenschaftlicher als über jeden anderen auch,“ beteuerte sie.

  • Als äußerst drollig empfand Quintus Tullius das Bemühen der Flavierin vor seinen Augen nicht mehr als schwach und weinerlich zu wirken. Sogar seinem Blick wich sie zu keiner Zeit aus. Zugegeben, das vermochten noch nicht mal alle Männer, geschweige denn Frauen oder gar noch Mädchen, aber indes, Tullius war nicht sonderlich beeindruckt von ihrem Verhalten, wenn er es auch aufgeben würde, seine, aus seinem Leben gesammelten, Erfahrungen an das Mädchen vor sich weiter zu geben. Es war der Mühe nicht wert, wenn er es auch mehr als ergötzlich gefunden hätte, wäre die junge Arrecina im Willen stärker und somit einem potentiellen Ehegatten etwas lästiger. Einer ebenbürtigen Frau war Tullius noch niemals in seinem Leben begegnet, hier war das auch nicht anders. Soden rang er sich ein Lächeln ab, es sah nicht sonderlich ernsthaft aus, Tullius hatte auch nicht die Absicht. Wiewohl er nicht auf ihre Ängste und Sorgen eingehen wollte, behauptete er doch anderes.
    „Aber nicht doch, meine liebe Nichte, nichts läge mir ferner als Dich von mir zu weisen. Und Deine Sorgen und Ängste langweilen oder belästigen mich doch in keiner Weise, möchte ich Dir doch nur das Licht am Horizont offenbaren und einen Weg offerieren, das Leben stärker und mit mehr Lebensmut zu beschreiten. Verzeih mir meine harschen Worte.“
    Höchst zufrieden über die Wortwahl lehnte sich Tullius marginal zurück, betrachtete ob die Worte und die Entschuldigung womöglich Früchte trugen und freute sich daran, derart schamlos das junge Mädchen anlügen zu können. Tullius war sich durchaus bewusst, dass dies womöglich keine Meisterleistung von ihm war, aber die Langeweile des Tages, der Ärger über den Hausdrachen, den Bruder des Mädchens, steckte ihm noch tief in den Knochen. Den Vater dieser beiden Kinder beneidete Tullius nicht und verstand vollauf, warum dieser lieber die Stadt Mantua und die Legion gewählt hatte. Die beiden Kinder waren schier nicht zum aushalten. Im Grunde befand Tullius das bei allen Kindern, die er für schwach, nervig und unnütz erachtete.
    Tullius verschränkte die Arme vor der Brust und taxierte ohne Unterlass das junge Mädchen, lächelte amüsiert und meinte, ein verräterisches Glitzern bei ihr wahr zu nehmen. Derart sie sprach und seine Frage negierte, desto sicherer wurde sich Tullius in seiner Vermutung. Sicherlich ging es ihm nicht darum, das Innerste des Mädchens zu erkunden, gar ihr dann auch noch helfen zu wollen. Er wollte schlicht die nötigen Informationen haben, um genug Chaos und Leid, Trauer und Bitterkeit in die Villa Flavia sähen zu können. Und vielleicht lag auch hier ein Schlüssel darin.
    „Süße Arrecina, ich sehe es Dir an Deiner kleinen Stupsnase an…“
    Abermals beugte sich Tullius vor, umgriff ihr Kinn und sah ihr tief in die Augen.
    „Du liebst diesen Mann! Du brauchst es nicht zu verbergen, meine Liebe, ich weiß es doch schon lange. Rutger hat mir alles gestanden.“
    Eine Lüge, aber dessen schämen tat sich Tullius freilich nicht, womöglich lehnte er sich damit weit aus dem Fenster, doch selbst wenn das Mädchen misstrauisch werden würde, es machte ihm nicht viel aus.




  • Es schienen alle in dieser Villa irgendwann irre zu werden, und ihr kam es so vor als wäre Gracchus nun von irgendwas eingenommen worden, weil so kannte sie ihn einfach nicht. Er machte ihr auf irgendeine Weise Angst und dann spürte sie noch etwas anderes was sie nicht in Worte fassen konnte, es wollte sich nicht greifen lassen, aber seine Art war irgendwie verwirrend.
    „So?Nicht von dir weisen?“ Diese kleine Anspielung konnte sie sich trotz allem nicht verkneifen und hätte sich dafür nun fast auf ihre spitze Zunge gebissen. „Ich merke an deinen Worten ich könnte vielleicht noch so einiges von dir lernen, aber nur vielleicht.“
    Arrecina versuchte auch weiter seinem Blick stand zu halten auch wenn sie bemerkte, dass es ihr langsam aber sicher immer schwerer fiel genau das zu tun. Sie wollte einfach nicht schwach sein und wegblicken und doch tat sie es, wenn auch nur für wenige Sekunden aber sie konnte nicht anders und ihr Blick wanderte an ihm vorbei. Hatte sie ihren Onkel jemals so schon gesehen? Eigentlich nicht was auch daran liegen mochte, dass sie fast nichts mitihm zu tun hatte ansonsten. Das erste mal wirklich bewusst als er sie von dem Fluch erlöst hatte, wobei sie sich sicher war, dass sie nicht verflucht gewesen war.
    Starr vor Schreck sah sie ihm in die Augen und spürte abermals seine Finger um ihr Kinn. Die Worte die dann langsam in ihr Bewusstsein drangen schienen von weit her zu kommen, denn das konnte einfach nicht wahr sein, das musste eine Lüge sein. Rutger sie verraten? Niemals! Ausser sie hatten ihn gefoltert und dieser Gedanke schmerzte ungemein und das bis in die Tiefen ihrer Seele.
    „Er würde niemals mich verraten, hörst du, niemals!“ Zu spät erkannte sie ihren Fehler. Zu spät merkte sie, dass sie es ihm ja grade gestanden hatte, dass sie Rutger liebte. Er würde es in ihren Augen deutlich sehen können, dass sie sich nun selber vor sich erschreckte weil sie etwas preis gegeben hatte was geheim bleiben sollte.
    "Es darf keiner wissen, sie würden ihn töten....bitte Gracchus." Flehend sah sie ihren Onkel an und hoffte, dass er sie nicht verraten würde.

  • Erheitert vernahm Quintus Tullius die Worte der jungen Frau, bedachte sie durchaus mit Interesse, denn gleichwohl es mehr eine Vermutung war, hatte sich sein Verdacht doch durchaus erhärtet. Tullius Lippen kräuselten sich marginal und er richtete sich von der Tischkante auf und trat abermals um den Tisch herum. Seine Finger strichen über das glatt polierte Holz eines elegant geschwungenen Regals, auf dem sorgfältig archiviert einige Schriftrollen noch ihrer Bearbeitung harrten, an manchen prangte das städtische Siegel der Archive, an anderen wiederum ein Flavisches. Schweigend und ohne auf Arrecinas Flehen einzugehen, brach er eines der städtischen Siegel, lass die Angaben zu einem verstorbenen Individuum. Die Schriftrolle trat den Rückweg zu seinem ursprünglichen Platz ein, befand Tullius derartige Belange doch als sehr fatigierend. Weiterhin seine Beschäftigung auf die Dinge, die er in Gracchus Officium vor fand, lenkend, erwiderte er beiläufig, fast sogar embetiert:
    „Meine liebe Nichte, Du musst Dich doch nicht Deiner Liebe schämen. Es ist doch imitativ für eine junge Frau wie Dich, dass sie sich verliebt. Und Amor war schon immer sehr launisch mit seinem Segen.“
    Spöttisch verzogen sich Tullius Mundwinkel nach unten, denn an die Liebe glaubte er so wenig wie an das Recht der Schwachen überleben zu dürfen. Noch nachfolgend dem Atemzug seiner zuletzt gesprochenen Worte, erblickte Tullius ein Objekt, welches seine Aufmerksamkeit erregte. Vorsichtig fuhren seine Finger über das Holz und an dem Schloss einer Truhe entlang. Nun wandte er sich doch temporär Arrecina zu, wollte er doch, dass sie nicht unbedingt gleich sein Tun erkannte. Mit einer Hand holte er seinen Dolch hervor, offenbarte Arrecina erneut seinen Rücken und konzentrierte sich auf das Öffnen des Schlosses. Metall schabte auf Metall, dann ein leises Knirschen und schon was die Truhe geöffnet. Tullius seufzte leise, steckte den Dolch unauffällig unter seine Toga und hob den Deckel an. Seine Augen weiteten sich marginal und seine Mundwinkel hoben sich, denn was ihm dort entgegenblitzte, war evident sehr erfreulich. Tullius drehte sich um und taxierte Arrecina.
    „Lange, meine liebe Nichte, habe ich mit mir gerungen. Denn zum einen plagte mich das schlechte Gewissen, ob Deines Geheimnisses. Sollte ich es nicht lieber Deinem Vater anvertrauen, damit er die notwenigen Maßnahmen ergreifen könnte? Ich habe mich dagegen entschlossen. Darum, und verzeih es mir noch einmal, war ich vorhin so hart zu Dir.“
    Unter großer Mühe rang sich Tullius ein Lächeln ab, was man durchaus als freundlich interpretieren konnte.
    „Es war nur eine Visitation, um zu erkennen, welche Kraft in Dir ruht, kleine Arrecina. Und ich bin sehr zufrieden mit Dir.“
    Was für eine Aneinanderreihung von Lügen, gesprochen in scheinbarer Absicht, Arrecinas zu einem guten Ausgang ihrer Sorgen zu führen, dabei suchte Tullius nur unsichtbare Fäden um sie zu spinnen und sie, genauso wie ihre Familie, ins Unglück zu stürzen. Tullius ergötzte sich derart daran, daß er ein wenig zu selbstgefällig wurde und ein Flackern in seine Augen trat.
    „Darum, liebe Arrecina, habe ich mich entschlossen, Dir einen gar ungewöhnlichen Rat zu geben. Suche Dir Dein Glück selber, lass es nicht zu, dass jemand Deiner Liebe im Weg stehen wird. Obzwar Du eine Patrizierin bist, so muss es Dich nicht daran hindern, Fortunas und Amors Gaben anzunehmen.“
    Mit einer Hand langte Tullius nach einem Beutel aus der Kiste, in der es klimperte, waren doch viele Goldstücke darin enthalten. Ein Teil des flavischen Vermögens, wie Tullius spekulierte.
    „Gehe mit Rutger fort von hier, verlasse Rom und suche mit ihm ein neues Leben zu beginnen. Ich werde Dir helfen, von hier zu entfleuchen, ebenso werdet ihr beide genug Geld von mir bekommen, um in der Fremde einen Neuanfang zu beginnen. Ich denke, fünfzig bis hundert Aurei müssten dafür genügen.“
    Sicherlich würde sich jetzt beweisen, ob Arrecina diesen Germanen wahrhaftig liebte, oder es sich nur um eine kindische Schwärmerei handelte, die Tullius nicht nützlich sein würde.
    „Bist Du bereit, Deine Schuld wieder gut zu machen und Deinem Herzen zu folgen?“
    Niemals hätte Tullius gedacht, derart abscheuliche Worte in den Mund nehmen zu müssen, solche, die große Verachtung in ihm wecken würden, wenn ein anderer sie gesprochen hätte.



  • Ihr Blick folgte jeder seiner Bewegungen, auch wie seine Finger über den Schreibtisch strichen. Es waren Bewegungen die sie daran erinnerten wie Finger über ihre Haut strichen und sie musste mit sich kämpfen diese Gedanken wieder aus ihrem kopf zu bekommen. Das war alles andere als leicht, aber es musste sein. Sie hatte schon die ganze Zeit gewusst, dass an ihrem Onkel etwas geheimnisvolles war, aber das war an jedem Priester, doch heute war er noch sonderbarer und anziehender auf sie, dass sie sich zusammenreißen musste.
    "Ich schäme mich nicht, aber ich kenne die Konsequenten aus dieser Sache und ich weiß wenn mein Vater das erfährt bringt er ihn um und mich steckt er zu den Vestalinnen und da will ich sicher nicht hin."
    Langsam glitten ihre Finger nun über ihre Arme, strichen dabei über kleine Narbe die sie von ihrem Abenteuer zurückbehalten hatte und versuchte zu sehen was er da machte, aber daran verlor sie auch schnell wieder das Intresse und lenkte ihren Blick auf den Schreibtisch zurück. Kurzzeitig blieb ihr Herz einfach stehen als er das sagte und sie dachte wirklich er würde ihren Vater einweihen und sie und Rutger verraten. "Bitte," sagte sie und war auf der Stelle wieder still als sie sich das weitere anhörte. Arrecina glaubte sich zu verhören, nein sie musste sich einfach verhören, denn diese Worte konnten einfach nicht von ihrem Onkel kommen. Gracchus hätte sicher alles getan um ihr zu helfen aber doch nicht DAS! Ihr fiel fast der Kiefer runter und sie wusste nicht was sie sagen sollte, denn sie glaubte immer noch sich einfach nur verhört zu haben.
    "Helfen?Flucht? DU!??" Sie begann zu lachen was etwas leicht hyterrisches an sich hatte beruhigte sich dann aber wieder. "Entschuldige, aber glaubst du wirklich, dass ich dir das abkaufe? Ich meine gerade DU sagst mir ich solle mit Rutger fliehen und zwar mit deiner Hilfe. Das ist sowas von absurd. Warum willst du das machen? Gehörtest du nicht zu denen die Rutger tot sehen wollten und am liebsten alles getan hätten damit er am Kreuz landet????"
    Sicher war es ein sehr verlockendes Angebot und von jedem anderem hätte sie es auf der Stelle angenommen, aber aus dem Grund weil es Gracchus war traute sie der Sache eben nicht auf der Stelle.

  • Eine einzelne Fliege verirrte sich durch die Lücken in den Fensterläden. Tief brummend flog sie durch den Raum und landete schwer auf dem im wenigen Sonnenschein glänzenden Holztisch. Quintus Tullius betrachtete das Insekt interessierter als in der Beachtung von Arrecinas Worten. Ihm war gänzlich egal, welche Konsequenzen die verbotene Liebschaft von Arrecina zu dem Germanen barg. Auch, ob ihr Vater sie zu den heiligen Jungfrauen geben oder sie an einen alten Senator verheiraten würde.
    „Dir droht das Schicksal in den Hallen der heiligen Vesta zu dienen nur, wenn Du eine Jungfrau bist, meine liebe Arrecina.“
    Ob sie das noch war, konnte Tullius natürlich nicht wissen. Aber auch das war ihm einerlei und gleichgültig. Tullius verschränkte die Arme vor seiner Brust, wölbte seine Augenbraue in die Höhe und konnte nur schwerlich ein Schmunzeln unterdrücken. Ihre Überraschung und Verwunderung ergötzte ihn einen marginalen Atemzug lang, denn Tullius war sich durchaus bewusst, dass er sich nicht lange an dieser Situation erfreuen konnte. Tullius überwand die wenigen Schritte zwischen der kostbaren Kiste und Arrecina und legte ihr den Beutel mit den Aurei auf den Schoß.
    „Nein, das ist kein Versuch Dich zu täuschen, meine kleine Nichte, noch Dich zu prüfen. Lediglich ist das ein Anliegen von mir, Dir Dein Glück zu ermöglichen, wenn es schon hier in der Villa nicht erdenklich sein wird und Du mit jedem Schritt hier weiter in Dein Leid hinein stürzt. Und das kann ich mir nicht länger ansehen.“
    Tullius schätzte seinen Bruder tatsächlich als ein wenig wehleidig ein, so dass dieser das womöglich nicht 'ertragen' hätte. Aber im Grunde wusste Tullius, dass sein Bruder niemals der kleinen Tochter von seinem Vetter dieses Angebot gemacht hätte. Die Beine der Fliege strichen sorgfältig über die Flügel, um diese von einem Staubkorn zu befreien. Tullius ließ seine Hand hinter die Fliege gleiten und hatte das kleine Geschöpf im nächsten Augenblick in seiner hohlen Hand gefangen. Wild summend suchte sich die Fliege einen Weg aus seinem Käfig.
    „Wie dieses kleine Wesen hier in meiner Hand bist Du gefangen in dieser Villa. Meinst Du ich kann das länger mit ansehen? Nein!“
    Tullius ging zu dem Fenster und öffnete einen Fensterladen. Das goldene Licht tauchte ihn in eine strahlende Corona, in seiner Hand hielt er die Fliege und sah hinaus auf einige Frühlingsblumen. Mit seiner Faust, den Rücken dabei Arrecina zugewandt, zerquetschte er die Fliege und tat so als ob er sie scheinbar in die Freiheit entließ. Dann schloss er abermals den Holzladen und wandte sich erneut seiner Nichte, war sie es doch und nicht nur die von Gracchus, zu.
    „Es ist Deine Wahl, Arrecina. Nimm das Geld und fliehe mit Deinem Germanen. Oder lass es bleiben, doch dann kannst Du gewiss sein: Liebe war es nie bei Dir.“
    So oder so, Tullius würde ein wenig Bewegung in die Villa bringen. Aber langsam wurde er allen überdrüssig, auch dieses Spiel mit dem Mädchen vor sich.
    „Was von Nöten sein wird, damit Du mit Rutger aus dem Carcer fliehen kannst, werde ich veranlassen. Alles andere wird Dir überlassen sein. Nun, Arrecina, wie entscheidest Du Dich?“


  • Dieses Schicksal blieb ihr dann ja erspart musste sie spöttisch in ihren Gedanken zugeben, aber ihrem Vater würde eine andere Strafe einfallen wenn er davon erfuhr, dass sie etwas mit dem Sklaven hatte. Nicht nur seine Enttäuschung wäre überaus groß sondern auch seine Wut auf Rutger wäre enorm.
    Sie hob ihre Hände ein wenig an als das Beutelchen in ihrem Schoß landete und schluckte. Es war ihm wirklich ernst, denn sie hatte es bis jetzt noch als Scherz gedeutet, schließlich war er ihr Onkel und zwar einer von der Sorte der immer irgendwie ernst war, aber nun überraschte er sie wieder.
    Ihr Blick blieb an der Fliege hängen die in seiner Hand summte. Ja sie war eine Gefangene und konnte diesem goldenen Käfig nie entfliehen wenn sie nicht seine Hilfe annahm. Warum man sie in einen solchen Käfig steckte konnte sie ebenfalls nicht nachvollziehen, aber es schien ihr Schicksal zu sein. Dass er letztendlich die Fliege zerquetschte hatte sie nicht gesehen und das war auch gut so, denn ansonsten wäre sie nicht auf ihn eingegangen wie sie es nun tat.
    "Ich möchte, dass er frei ist, dass er wieder das Leben leben kann was er möchte, was mit mir dabei ist, ist egal, aber er muss frei sein, denn wenn er hier bleibt dann wird er sterben und das will ich nicht. Bitte hilf uns, dass das gelingt." Flehend sah sie ihn an und hoffte, dass es nicht nur leere Worte waren die er da sprach.

  • Die Strahlen des Mithra, dergleichen sein Amicus diese genannt hätte, wärmten Tullius Rücken, nicht jedoch sein Gemüt oder seine vom Schatten umhüllte Seele. Wenn Platon recht hatte und es gab zwei Seelenpferde, die das Gespann dieser Essenz zogen, dann hatten Gracchus und Tullius womöglich ein Gemeinsames geerbt und Gracchus das Erhabenere der Beiden. Die Tücke war in Tullius Augen zu erkennen, wenn man unmittelbar vor ihm gestanden hätte, doch so umhüllten die Schatten, geworfen durch den Schein an seinem Rücken jeglichen Ausdruck in seinem Gesicht. Tullius löste sich von der Fensterbank und bewegte sich auf Arrecina zu, seine Hand legte sich flach neben eines der Schriftstücke und seine Lippen kräuselten sich zu einem zufriedenen Lächeln.
    „Dann ist Deine Entscheidung getroffen. Du hast heute Abend eine Stunde Zeit, Rutger aus dem Gefängnis zu befreien. Ich werde dafür sorgen, dass die Wachen zur Stunde der Cena nicht im Gang warten werden. Doch alles andere wird an Dir liegen, Arrecina. Mehr kann ich nicht tun, außer Dir den Segen der Götter zu wünschen und Dir das Geld hier zu überlassen. Und sei gewiss, ich werde um Dein Glück bei den Göttern beten und ihnen ein Opfer zu kommen lassen. Viel Erfolg.“
    Gelogen, Tullius hatte das natürlich nicht vor, selbigen Gedanken hegte er als er sich umwandte und abermals zu der Kiste zurückkehrte. Stumm glitten seine Finger durch die Münzen, in der stillen Frage, ob das das ganze Vermögen im Haus war, könnte es doch durchaus möglich sein, dass es noch ein anderes, weniger offensichtliches Versteck gab. Viele Römer wähnten sich in dem Irrtum, dass Räuber und Diebe sich durch solche offen stehenden Reichtümer blenden ließen und nicht mehr nach dem wahren Schatz suchen würden. Tullius sah über seine Schulter hinweg und seine Augenbraue wölbte sich in die Höhe.
    „Gibt es sonst noch etwas, meine liebe Arrecina?“




  • Eine Stunde sie wusste nicht wie sie das schaffen sollte aber sie wollte es versuchen, wollte Rutger seine Freiheit schenken egal auf welchem Weg. Es war eigentlich noch so viel zu beachten, aber das konnte bis zum Abend warten. Sie musste sehen, dass sie alles vorbereitete vielleicht noch einmal mit ihrem kleinen Bruder reden oder so. Das etwas schief gehen konnte war ihr bewusst und, dass es eine große Schande sein würde auch, aber sie wollte es versuchen. Das Säckchen mit dem Geld hielt sie in ihren Händen fest und stand auf.
    "Nein ich denke es ist alles gesagt worden, wenn du nichts mehr hast dann würde ich jetzt wieder gehen um alles vorzubereiten. Ich werde dann heute abend sehen ob alles gut geht oder nicht."
    Ob Rutger überhaupt mitmachen würde, daran dachte sie grade und dachte ebenfalls an das Gespräch was er mit ihr hatte. Er hatte sie weggeschickt und wollte sie doch gar nicht mehr sehen und doch war sie hier um ihn zu retten. Vielleicht würde sie ihm das Geld auch einfach geben und hier bleiben was vielleicht besser war, aber sie wollte, dass ER frei war, das war ihr Hauptziel und nichts anderes, aber das würde sich alles am Abend rausstellen was nun sein würde oder nicht.

  • Die Causa seiner Nichte war für Quintus Tullius jetzig passé, die Fäden gesponnen, das Netz ausgeworfen und die Spinne bereit, die Opfer in die Falle zu locken, wobei die Frage im Raum stand, ob seine Fallgrube sich auswirken würde oder einfach verpuffen. Doch im Grunde war es Tullius indifferent und seine Gedanken, flüchtiger und leichtfertiger als die Taten und Intentionen seines Bruders, schon auf die nächste Begebenheit gerichtet.
    „Wunderbar, meine liebe Nichte. Dann wünsche ich Dir viel Erfolg. Den Segen der Götter hast Du, Arrecina. Vale.“
    Tullius in Gestalt des Gracchus wandte sich von seiner Nichte ab und umrundete den Tisch, um vor der Kiste zu verharren. Seine Fingerspitzen ruhten auf dem warmbraunen Holz, das sorgfältig glatt poliert war. Seine Ohren waren jedoch gespitzt auf die Bewegungen der Frau hinter sich und erst als er meinte, sie hätte den Raum verlassen, wandte er sich um und stolzierte durch den Raum mit einigen federnden Schritten, betrachtete erneut den Anblick des grünlieblichen Gartens und den vielen Kirschblüten, die sich schon auf seinem, mehr den seines Bruders, Tisch heimelig gemacht hatten und deren penetrant süßer Duft ihn in der Nase juckte. Scheinbar hatte Leontia die Blumen im ganzen Haus verteilt. Schweigend wandte er sich um und verließ den Raum, um sich in den Garten zu begeben.



    tbc: Hortus | Unter dem Mandelbaum - Leontia und der Wolf im Schafspelz




Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!