• Sophus nickte Durus freundlich zu.


    "Keineswegs wollte ich andeuten, dass wir allein handeln sollten. Ich spreche hiermit nicht nur die Auguren an, doch ich nehme sie auch nicht aus. Sofern wir etwas beitragen können, sollten wir es tun."


    Er befeuchtete seine Lippen, ehe er weitersprach.


    "So es mir erlaubt ist, will ich noch etwas weiteres zur Sprache bringen.
    Ich erwähnte bereits, dass ich daran denke, das Archiv unseres Collegiums neu zu eröffnen und unsere Sichtungen und Urteile gewissenhaft aufzuschreiben. Dies wirft jedoch besonders die Frage danach auf, wie denn eine Ordnung aussehen soll, nach der wir die Aufzeichnungen gestalten, damit sie für jedermann verständlich werden, der sich für sie interessiert.
    Ich fürchte, dass es uns nicht erspart bleiben wird, sollten wir uns auf diese Tradition rückbesinnen, einen Leitfaden zur Erstellung der Texte, die bekanntermaßen auch Grundlage für darauf folgende Urtiele unsererseits sein sollen, zu entwickeln."

  • Diese Sache war weitaus deutlicher Sache der Auguren und deshalb war Durus auch weitaus interessierter - sogar Aemilius Pansa hörte zu.


    "Diesem Antrag kann ich zustimmen, auch wenn ich bemerken möchte, dass es wohl kaum möglich sein wird, all die komplizierten Regeln und Fallunterscheidungen der Auguren-Tätigkeit für den gemeinen Mann durchsichtig zu machen.


    Dennoch - ein Anfang wäre durchaus zu machen."

  • "Zweifellos. Nur der gelehrte Bürger wird Aufschluss darüber erhalten können. Das liegt in der Natur der Sache.
    In dieser Sache geht es mir jedoch ebenfalls darum, unsere eigenen Aufzeichnungen konsequent einer einheitlichen Struktur zu unterwerfen, um sie auch für uns selbst - und für die Neuen unserer Profession - sowohl verständlich als auch nachvollziehbar zu machen. Wenn es uns möglich ist, jede Aufzeichnung gezielt zu durchsuchen und zu verstehen, ohne dass wir den kennen, der sie verfasste, so wird es uns gelingen, dass auch in einhundert Jahren unsere Urteile heute noch relevant bleiben.
    Wie sich die Zeit wandelt, so wandeln sich die Geister. Unseren Geist können wir nicht erhalten, die Erklärung einer solchen Struktur jedoch schon."

  • Eines weiteren Tages fand wieder eine Contio des Collegium Augurum statt. Wie immer war auch Durus anwesend, als der alte Magister der Auguren nach der formellen Eröffnung der Sitzung zu einem Tagesordnungspunkt kam.

    "Uns erreichte ein Brief aus Ostia. Der dortige Magistrat bittet um Nachforschungen bezüglich des Mercurius-Tempels.


    Genaugenommen scheint die Tempelbaustelle mehrfach eingestürzt zu sein. Nun fürchtet man, dass Mercurius überhaupt keinen Tempel will. Ein Augur sollte also entsandt werden und Nachforschungen anstellen."


    erklärte Esquilinus. Durus horchte auf. So etwas hatte er noch nicht gehört.

  • Sophus horchte gleichsam auf. Er war betroffen und war der erste, der seine Stimme erhob, um - mit ruhigen Worten zwar, allerdings mit aufgescheuchtem Geist - etwas zu erwidern:


    "Dies ist ein schwerwiegender Fall. Jeder Tempel ist doch von einem von uns bereits geprüft worden? Sollte Ostia Zweifel an dem Tempel anbringen, so ist dies auch Zweifel an dem Urteil, das damals gefällt wurde und somit ein Zweifel an einem Augur.
    Es beschämte mich, sollte einer von uns so sehr fehl gegangen sein in seinem Urteil. Sehr wohl bin ich der Auffassung, dass es eine Untersuchung dieses Falles zu geben hat, allein um unser selbst Willen."


    Er setzte sich wieder.

  • | Verginius Esquilinus


    Der Alte sah in die Runde. Niemand schien vor Begeisterung aufzuspringen, was wohl daran lag, dass die meisten Auguren noch andere lukrative Nebengeschäfte unterhielten, die ihre Zeit beanspruchten.


    "Ich denke, dass Du würdig genug bist. Daher beauftrage ich Dich, Dich dieses Problems anzunehmen."


    erklärte Esquilinus und sah in die Runde, ob es Widerspruch gab.




  • Da offensichtlich kein Widerspruch zu hören war, stand Sophus auf und verneigte sich vor seinem Herrn.


    "Ich bin geehrt." sagte er und setzte sich wieder, damit die Sitzung weitergehen konnte ...


    Er würde noch am selben Tag abreisen.

  • Wie ich es Orestes versprochen hatte, hielt ich es auch. Am frühen Nachmittag desselben Tages also machte ich einen Umweg über das Heim des Verginius Esquilinius, und hoffte, dass er zugegen war. Den mich begleitenden Sklaven gebot ich bis auf Alexandros, zu warten, dann deutete ich dem Griechen, an die porta zu klopfen und mich anzukündigen. Wenn ich Pech hatte, war der Vorsitzende der Magister nicht zu Hause.


    Ein alternder ianitor öffnete und fragte, wie er helfen könne. Er leierte seinen Spruch so herunter, dass selbst mir auffiel, wie eintönig und monoton sein Dienst sein musste. "Salve! Das ist der Senator und pontifex Marcus Aurelius Corvinus, und er möchte gern eine Unterredung mit dem magister der Auguren führen. Ist er da?" Ich staunte nicht schlecht, Alexandros machte sich. Der ianitor murmelte etwas in seinen nicht vorhandenen Bart, zog dann aber die Tür weiter auf und bat uns mittels Gestik hinein. Ich entschloss mich kurzum, den Griechen mit hineinzunehmen. Und drinnen, im atrium, warteten wir dann gemeinsam auf Verginius Esquilinus, der angeblich jeden Moment kommen würde.

  • | Lucius Verginius Esquilinus


    Das Atrium dieses Hauses war eher dunkel, geschmückt mit einer Ahnengallerie, die dieses edle Geschlecht bis auf die Verginii Tricosti zurück, die in der frühen Republik von großem Einfluss gewesen waren. Heute war das Geschlecht jedoch eher kraftlos und konnte kaum erfolgreiche Politiker in ihren Reihen aufweisen. Stattdessen suchte man seine Aufgaben beim Kult der Götter.


    Der Magister der Auguren trat aus einer anderen Tür ins Atrium. Er war nur in seine Tunica gehüllt, die allerdings angesichts der winterlichen Temperaturen lang war. Nur sein dürrer Hals ließ auf sein knochiges Äußeres schließen.


    "Aurelius Corvinus! Was verschafft mir die Ehre?"


    Natürlich erinnerte er sich an die bemerkenswerte Inauguratio des Aureliers (obwohl man es schwerlich als echte Inauguratio bezeichnen konnte).




  • Die Anzahl der Wachsmasken, welche die spärlich ausgeleuchtete Halle säumten, war beeindruckend. Hier und dort waren Masken ausgebessert worden, wie ich feststellte, während ich wartete. Der Führer der Auguren kam kurz darauf, um mich zu empfangen. Alexandros hielt sich im Hintergrund und hatte die Arme leicht fröstelnd um den Leib geschlungen.


    "Sei gegrüßt, Verginius", erwiderte ich auf die Worte des Hausherren hin. "Die Ehre ist ganz meinerseits. Ich komme mit einer Empfehlung, die genau genommen eine Bitte ist." Ein Schmunzeln huschte über mein Gesicht, dann beherrschte der Ernst meine Züge erneut. "Ich hörte, dass Abronius Penula vor einigen Wochen aus dem collegium ausgeschieden sei. Dem Senat wurde bisher kein Nachfolger empfohlen, und dies ist der Grund, aus dem ich dich heute um einen kurzen Moment deiner Zeit bitten möchte." Nun wartete ich zunächst einmal ab. Wenn der Verginier nun das Gegenteil versicherte, würde der Senat in Kürze hören, für wen sich die Auguren entschieden hatten.

  • | Lucius Verginius Esquilinus


    Der alte Verginier hörte dem Pontifex aufmerksam zu. Man konnte erkennen, dass er Corvinus großen Respekt entgegenbrachte, denn er schätzte und achtete Inhaber des Pontifikats.


    Als die Sprache auf Penula kam, trübte sich sein Blick.


    "So ist es. Wir bedauern dies sehr, doch noch konnten wir uns nicht entscheiden. Möchtest du mir etwa jemanden empfehlen?"


    Etwas anderes konnte sich Esquilinus nicht erklären - eine Empfehlung, eine Bitte, der Tod von Penula - doch wen wollte der Aurelier nun vorschlagen?




  • "Es ist niemals leicht, einen angemessenen Ersatz für jemanden zu finden, der sich stets aufgeopfert hat für eine höhere Sache", bemerkte ich. Abronius Penula vwar mir zwar nicht persönlich bekannt noch hatte ich anderweitig seinen Namen in positivem Zusammenhang irgendwo aufgeschnappt, doch der nomenclator hatte mir versichert, dass dies der Name des Mannes sei, der aufgrund seiner vermutlich sehr bald tödlich endenden Krankheit nicht länger seinem Amt nachgehen konnte. "Ich habe in der Tat eine Empfehlung für euch. Mein Neffe zweiten Grades, Manius Orestes, ist gegenwärtig sacerdos publicus. Er hat sich besonders in Ausbildungsbelangen hervor getan und ist überdies ein ausgezeichneter Priester des Iuppiter Optimus Maximus. Vielleicht hast du selbst schon einmal seine Dienste in Anspruch genommen, er arbeitet vorwiegend im Hause der Göttertrias. In kürze wird er zum decemvir kandidieren." Eine kleine, rhetorische Pause folgte. "Er würde dem collegium augurum gewiss gute Dienste erweisen. Und nicht zuletzt wäre es mir eine Ehre, wenn ich mich zu gegebener Zeit bei dir revanchieren könnte, sofern du dir vorstellen kannst, vor den Auguren für ihn zu sprechen." Woraufhin ein vielsagender Blick folgte.


    /edit: Bunt, bunt ist die Welt...

  • | Lucius Verginius Esquilinus


    "Aurelius Orestes? Der Name kommt mir tatsächlich bekannt vor."


    erklärte der alte Verginier und rieb sich nachdenklich die schlaffe Haut am Hals. Als Corvinus noch nachschob, dass er sich als dankbar zeigen würde, erstarrte er.


    "Dir ist natürlich klar, dass ein solch wichtiges Amt nicht käuflich ist? Aber ich werde dem Collegium seinen Namen vorschlagen und soweit es dem Collegium gefällt, wird er auch gewählt werden können."


    Möglicherweise war Verginius unbestechlich...möglicherweise wollte er aber auch nur den Preis hinauftreiben...möglicherweise wollte er aber auch etwas anderes als Geld!




  • "Das ist mir sehr wohl bewusst, ebenso wie mir bewusst ist, dass ein jeder Fürsprache benötigt, der in ein collegium berufen werden möchte", erwiderte ich. "Ich bitte dich darum, dich vor deinen Amtskollegen für ihn einzusetzen, Verginius, ich will dich nicht bestechen." Ich schob ein höfliches Lächeln nach. Der Alte würde mich schon verstehen.
    "Denkst du, dass du etwas bewirken kannst?" Immerhin war er der magister der Auguren, und sein Wort würde schwerer wiegen als das anderer. Ihn als Fürsprecher zu haben, wäre gewiss von Vorteil für Orestes.

  • | Lucius Verginius Esquilinus


    Als Corvinus seinen Willen, ihn nicht bestechen zu wollen, kundtat, rümpfte Esquilinus die Nase - wieder war es schwierig zu sagen, ob es daran lag, dass er enttäuscht war oder daran, dass man ihm auch nur die Möglichkeit von Bestechlichkeit unterstellte.


    "Das kann ich zweifelsohne. Aber gerade deshalb ist es für mich wichtig, den Kandidaten zu prüfen."


    erwiderte er schließlich.


    "Für gute Männer mache ich mich gern zum Fürsprecher."


    fügte er schließlich noch an. Dann schien er einen Augenblick nachzudenken, ehe er das Wort erhob.


    "Wie lange dient er denn schon dem Cultus Deorum?"




  • "Selbstverständlich", erwiderte ich und neigte dem magister ehrerbietend den Kopf. "Er dient dem Kultus seit rund drei Jahren, magister Verginius." Kurz überlegte ich, ob ich anfügen sollte, dass mir nur wenige Männer bekannt waren, die dies mit demselben Elan taten wie Orestes, doch ich entschied mich dagegen. Wenn der Verginier noch weitere Fragen hatte, würde ich sie ihm selbstredend beantworten. Doch ich nahm an, dass der augur zunächst selbst Informationen über Orestes einholen würde.

  • | Lucius Verginius Esquilinus


    "Dann hat er ja bereits einige Erfahrung vorzuweisen. DAs spricht natürlich für ihn."


    bemerkte Esquilinus und rieb sich erneut nachdenklich das Kinn.


    "Ich werde mich über ihn unterrichten lassen und dann, wenn er sich als würdig erweist, mich auch vor dem Collegium für ihn stark machen."


    erklärte er schließlich. Das war alles, was für heute von ihm zu erhalten war.


    "Ich möchte Dich nicht herauswerfen, doch mein Enkel ist zu Besuch und ich kann ihn schwerlich warten lassen. Ich danke Dir daher für Deinen Besuch und Deinen Vorschlag. Vale!"


    Die Verabschiedung war ein wenig kurz angebunden, doch offensichtlich hatte es der Verginier nun plötzlich ein wenig eilig - er wies den Sklaven an, Corvinus hinauszugeleiten, während er selbst wieder dort verschwan, wo er hergekommen war.




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