Arbeitsraum Claudius Menecrates

  • Sie sah nicht auf. Natürlich spürte sie die Enttäuschung. Sie kannte den Mann schon so lange.
    Doch wie? Wie sollte sie ihm – einen der Oberschicht Roms verkehrte, einen der wohl nie in Kontakt mit jenen gekommen war, jene die Terror, Angst und Schrecken verbreiten- erklären? Wusste er, dass es Menschen von heute auf morgen Verschwinden, die man später im Tiber fand?
    Wusste er von ungeklärten Morden die eindeutig deren Anschrift trugen? Nein sicher wusste er es nicht. Warum sonst hätte er eine Aussagen verlangte für eben jener Anführer der Terroreinheit?
    Und doch verlangte er eine Erklärung. Im Grunde war es jetzt auch schon egal. Aber der alte Claudier, der ihr Schutz hatte geben wollen, der sie aufgenommen hat, der verdiente eine Erklärung. Auch wenn es ihr wohl nicht mehr nützen würde.
    „Wahrheit....ist nicht immer das was man sagt. Ich kann dir nicht die Wahrheit sagen. Ich habe es damals im Kerker versucht und dannach bitter bereut. Ich muss gehorchen.“ Sie sah nun doch auf und blicke den Consul an. „Ich tanze wenn sie es wollen. Ich essen wenn sie es wollen. Ich atme wenn sie es wollen. Ich lebe oder ich sterbe, so wie sie es wollen.“ Sie traute sich nicht den Namen derer auszusprechen zu groß war ihre Furcht. „Sage ich die Wahrheit. Bin nicht nur ich des Todes. Wenn es nur um mein Leben ging, wäre ich dazu bereit. Aber es ist so wie du sagtest es geht um so viel Leben – unschuldige Leben.“ Würde er es verstehen? Würde er es? Sie wusste es nicht.

  • Er besaß in der Tat wenig Verständnis dafür, dass sich ein denkendes Wesen zu einer Marionette umfunktionieren ließ. Er kannte Morrigan von früher, ihre Unbändigkeit brachte ihm manchen Ärger ein, aber heute erkannte er sie nicht. Auf seiner Stirn entstand eine Falte, als sie sagte, dass Wahrheit nicht immer das war, was man sagte.
    "Bei mir gibt es einen klaren Codex: Das, was man sagt, HAT immer die Wahrheit zu sein. Ich will mich mit nichts anderem umgeben. Du kennst mich, du hättest das wissen müssen." Plötzlich fragte er sich, worin damals im Kerker eigentlich Morrigans Problem lag. Sie hatte bereits ein Geständnis gegenüber den Praetorianern abgelegt, das hatte sie erwähnt. Was hinderte sie daran, ihm ebenfalls zu gestehen? Stattdessen ließ sie ihn glauben, sie sei unschuldig. Menecrates ging noch immer davon aus, dass Morrigan bei der Kommission die Wahrheit gesagt hatte und der Versuch der Wahrheit im Kerker ein Verschleiern selbiger war.
    "Hast du mich deswegen im Kerker angelogen, weil du wusstest, dass ich keine Christin aufnehmen würde?"

  • Er verstand es nicht. Sie hätte es wissen müssen. Jemand wie er konnte es wohl auch kaum verstehen. Wie sollte er auch? Immer behütet. Er kannte die Prätorianer wohl nur als Garde des Kaisers. Aber sie kannte die andere Seite.
    Die Hoffnungslosigkeit sie ergriff vollends.
    Sie nickte. Natürlich wusste sie, dass er Wahrheitsliebend war. Und doch war es nicht immer einfach. Sie sah den Claudier nun also direkt in die Augen. "Ich sagte dir im Kerker die Wahrheit." Ja sie hatte ihm doch damals gesagt, dass sie genauso wie viele gebangt hatte. Das sie ihm sogar Schutz gewährt hätte wenn sie sich getroffen hätten während des Aufstandes. Das sie ein Geständnis unterschrieben hat. Unterschreiben. Nicht das sie gestanden hat. Morrigan sackte in sich zusammen, er hatte wohl nicht verstanden. Er hatte die Feinheiten nicht verstanden. Also war selbst dieser kleine Versuch, der ihr selbst so viel qualvolle Stunden eingebracht hatte, erfolglos gewesen.
    Die Sklavin brach fast zusammen, ihre Haltung drückte nun jene Resignation aus, die sich in ihr breit machte. Er wollte keine Christen in seinem haus. Nein das wusste sie nicht.
    Aber es war nun auch schon egal. Sie schaute kurz auf ihre Hände die sich wieder ineinander verkrampften. Ihre Stimme war nun tonlos. "Nein, dass wusste ich nicht. Schickst du mich jetzt in die Steinbrüche?" Sie hatte gehört, dass viele Christen dort endeten. Und sie konnte ja nun auch kaum eine Rolle rückwärts machen und ihm sagen, dass sie nie eine Christin war und auch nie eine sein wird. Was würde er wohl dann tun. Er würde sein Wissen nutzen und dann wüssten die Prätorianer, dass sie nicht funktionierte, dann wäre nicht nur sie in Gefahr. Ihr Blick war nun leer ohne jede Hoffnung. Doch bevor der Claudier antworten konnte fügte sie hinzu. "Es wird wohl das Beste sein. So sind du und deine Familie wenigstens in Sicherheit. Ich könnte nicht damit leben, wenn dir etwas zustößt." Ja sie hatte gehört, dass auch ein Senator durchaus mal einen "Unfall" hatte. Und hatten sie es ihr doch gesagt. Jeden den du kennst. Jeden in deinem Umfeld werden wir töten. Sie erkannte, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Der Claudier war ein guter Mensch und hatte das hier nicht verdient. "Ich hätte dich schon im Kerker anlügen sollen, damit du es ablehnst mich aufzunehmen." Sagte sie mit leiser Stimme.

  • Menecrates verstand vieles nicht und Morrigans Antwort verwirrte ihn mehr als dass sie ihn aufklärte. Immerhin hatte sie erreicht, dass er nachdachte und das behinderte ihn beim Pflegen seines Grimms. Er konnte höchst selten zwei Dinge gleichzeitig tun. Höchstens dann, wenn es nicht darauf ankam, dass beides reibungslos funktionierte.
    "Es ist schwierig einer Person zu glauben, wenn man weiß, dass sie einmal gelogen hat und es besteht kein Zweifel daran, dass du mich belogen hast." Er blickte sie strafend an, denn er hasste Unwahrheiten und Unaufrichtigkeit. Gleichzeitig gestand er ein, dass sich Morrigan in einer Ausnahmesituation befand und sicher nicht die erste war, die unter Folter absurde Dinge gestand. Er brummte einmal grimmig, dann fuhr er fort.


    "Wenn du mir im Kerker die Wahrheit gesagt hast, bedeutet das, du warst nicht am Aufstand beteiligt. Wie erklärt sich dann deine Aussage heute vor der Kommission, dass du eine von Ihnen bist." Sogar eine Christin, fügte er in Gedanken an und schüttelte sich innerlich.
    Seine Abscheu gegenüber Unwahrheiten und dem Christentum hinderte ihn daran, Empathie für Morrigan zu empfinden, die er sonst sicherlich hätte. Sie wirkte wie ein schutzbedürftiges Vögelchen und im Grunde besaß Menecrates ein sehr großes Herz. Bausteine der Unwahrheit verbauten es im Augenblick.
    "Und was, zum Hades, treibt einen Menschen dazu, seine Religion zu verraten und Christ zu werden? Folter wird das ja sicherlich nicht gewesen sein."

  • Morrigan blickte immer wieder auf ihre Hände, als könnte sie dort Sicherheit finden. Sie fand diese aber nicht. „Ja das habe ich, ich habe dich belogen.“ Sagte sie mit leiser bebender Stimme auf seine Feststellung hin. Unsicher sah sie auf. Sie konnte und sie durfte ihm nicht die Wahrheit sagen. Das brachte auch den Claudier in Gefahr. Morrigan zweifelte keinen Augenblick daran, dass die Männer in Schwarz auch vor ihm nicht zurückschrecken würden. Wie sollte sie ihm also erklären, warum sie heute so ausgesagt hat wie sie ausgesagt hat ohne ihn in Gefahr zu bringen. „Angst.“ Ein Wort, dass eigentlich alles erklärte ohne zu viel zu sagen. „Angst vor dem was geschehen könnte, wenn ich etwas anderes sage.“ Sagte sie und kaute dann unsicher an ihrer Lippe. Sie durfte nichts sagen, sie konnte nicht. Sie konnte ihm einfach nicht die Wahrheit sagen. „Ich würde wohl immer wieder so aussagen.“ Sagte sie und senkte ihren Blick. Ja sie offenbarte gerade, dass sie jederzeit diese Lügen wiederholen würde.
    Die letzte Frage war um so schwerer zu beantworten, da sie ihre Götter ja gar nicht verraten hatte. Also sprach sie einfach aus, was sie in der Situation vor der Kommission dazu getrieben hatte zu behaupten dass sie eine Christin sei. „Nein nicht die Folter, purer Verzweiflung. Pure Verzweiflung treibt einen Menschen dazu – trieb mich dazu.“

  • Der Consul besaß Kenntnis über die menschliche Psyche, weil er Zeit seines Lebens Menschen vorgesetzt war und sie zu nehmen lernen musste. Daher wusste er auch, dass Angst die stärkste aller Emotionen war, weil sie den Menschen nicht nur einnahm, sondern vor allem, weil sie ihn lähmte. Zorn verrauchen zu lassen, war verhältnismäßig einfach, Ekel zu überwinden ebenfalls, aber Angst zu verlieren, verlangte einen langen Prozess, bei dem zu keinem Zeitpunkt die Sicherheit bestand, den Kampf zu gewinnen.
    Dass Morrigan Angst gefangen hielt, glaubte er ihr in diesem Moment - trotz aller Vorbehalte. Sein Blick ruhte auf der Sklavin - immerhin. Zum Zeitpunkt der Kommissionstagung konnte er ihren Anblick nicht ertragen und hatte stets an ihr vorbeigesehen. Er schwieg und dachte nach.
    Es fiel ihm schwer, die Dinge zu akzeptieren, vor allem, weil er sie teilweise nicht nachvollziehen konnte. Manche verstand er nicht einmal. Deswegen hakte er nach.


    "Mir fehlt jegliche Fantasie, welche Verzweiflung es sein könnte, die einen Menschen dazu treibt, seine Religion aufzugeben." Er zog eine Schlussfolgerung und äußerte sie. "Für mich klingt das so, als wärst du nicht freiwillig Christin geworden. Dann dürfte es ja auch kein Problem sein, diesen Unsinn wieder abzulegen." Er suchte nach Morrigans Reaktion, bevor er fortfuhr.
    "Heißt das außerdem, viele dieser angeblichen Christen wurden nur zu einem bestimmten Zweck Christen? Besaßen sie nur die Bezeichnung Christen? Das ist wichtig, Morrigan. Und ich möchte nie wieder eine unwahre Antwort von dir hören!" Dies sagte er vorbeugend, um seine Erwartung an die Antwort noch einmal klar zu machen.

  • Am liebsten hätte sie geschrien. Er verstand es nicht? Warum verstand er es nicht? Sie sollte was? Sie sollte ablegen eine Christin zu sein? Konnte man etwas ablegen was man gar nicht war? Natürlich konnte man das. Sie hatte es doch eh nur behauptet weil sie sich in die Ecke gedrängt fühlte von dem Trecenarius und von ihm. Natürlich hatte sie trotz der Angst, die sie vor der Kommission verspürte, bemerkt wem sie die Schuld geben wollten. Sie hatte auch verstanden, dass sie keine Beweise hatten. Und Morrigans Verstand funktionierte immer noch ganz gut, sie hatte sich nicht um sonst an die Spitze der Subura gearbeitet, dies gelang nur wenn man einen wachen Verstand hatte.
    Und sie konnte mit dieser Behauptung Beweise liefern. Sie wusste, dass so lange die Prätorianer dachten sie könnte liefern, sie zumindest so lange sicher wäre. Sie wusste natürlich auch, dass sie sich damit erneuten Befragungen aussetzte.
    Aber auch wenn der Claudier ihr zugesetzt hatte, wusste sie, dass seine Fragen auch für ihn gefährlich waren. Man legte sich nicht mit den Schwarzen an.
    „Ja das ist möglich.“ Sagte sie nach einer ganzen Weile. „Ich weiß wirklich nicht, was andere dazu bewegte zu den Christen zu gehen. Sie lehren das man nach dem Tod ins Paradies kommt. Viellicht treibt das viele an?“

  • Menecrates verspürte nicht minder Verzweiflung mit Morrigan, denn er kannte sie, wusste, wie intelligent sie war und bemerkte teils ausweichende Antworten. Er zweifelte nicht daran, dass sie seine Fragen verstand. Zwar wusste er, die Angst trieb sie dazu, aber er konnte nicht einschätzen, wie weit Morrigan gehen würde. Außerdem fiel es ihm schwer, sich zu konzentrieren und analytisch zu denken.


    "Ich weiß es nicht, kann mir aber kaum vorstellen, dass Christen in ein Paradies kommen, wenn sie zuvor morden. Morrigan, deine Erklärungen stimmen teils vorne und hinten nicht." Vorwurf lag in seiner Stimme. Niemand musste vor ihm herumeiern. Besonders seine Familien und all diejenigen, die er unter seine Obhut genommen hatte, pflegte er zu beschützen. Eine Hemmschwelle für offene Worte durfte es eigentlich nicht geben.

    "Ich kann heute keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ich werde dir morgen meine Entscheidung mitteilen. Du tust aber gut daran, dich umgehend von diesem abartigen Glauben loszusprechen. Wie geht eigentlich so eine Glaubensänderung vonstatten?"
    Morrigan musste es wissen, sie wechselte ja schon einmal und überprüfen würde Menecrates die Entsagung von diesem christlichen Geist auf jeden Fall.

  • Sie nickte nur stumm. Natürlich stimmte einige ihrer Erklärungen nicht. Wie sollten sie auch. Sie waren nichts weiter als Lügen, Ausflüchte, Selbstschutz und Schutz derer die ihr was bedeuteten. Sie hatte eh keine Hoffnung, das der Claudier es verstand. Und so ging sie davon aus, dass auch wenn er die Entscheidung vertagte sie bald die Villa verlassen würde.
    Packen brauchte sie ja nichts. Sie besaß nichts. Nicht mal die Kleidung die sie trug.
    „Man bekennt sich zu dem einen Gott, aber genau so wie man sich zu ihm bekennen kann, kann man ihm auch wieder entsagen.“ Sagte sie. Für sie klang das zumindest logisch. Sie hatte von einigen gehört, die sie dem einen Gott zuwandten. Die legten eine Art Bekenntnis zu diesem Gott ab. Also musste es doch auch möglich sein, dieses Bekenntnis zu widerrufen.
    Eines wollte sie aber noch gesagt wissen. Denn ihr klangen die Worte des Prätorianers noch in den Ohren. „Dominus, ich weiß ich habe kein Recht dazu, aber ich habe eine Bitte. Gib mich nicht in die Hände der Prätorianer zurück, der Steinbruch wäre mir lieber.“ Sagte sie, senkte ihren Blick und schaute auf ihre nun wieder sich ineinander verkrampfenden Hände. Ja auch wenn der Steinbruch wohl einem Todesurteil gleich kam, würde Morrigan lieber dorthin gehen, als zurück in die Hände jener Folterer.

  • Gern hätte der Claudier erfahren, wie dieses Entsagen vonstatten ging, doch wieder blieb Morrigan in ihren Äußerungen allgemein. Langsam begann er daran zu zweifeln, ob sie überhaupt Einblicke in DAS besaß, von dem sie ihm Glauben machen wollte, dass sie es wusste.



    "Wir zelebrieren die Entsagung hier und jetzt",
    beschloss er kurzerhand, weil er so direkt beurteilen konnte, wie glaubhaft Morrigans Glaubenswechsel war. Er trat vor die Sklavin und blickte sie ernst an.


    "Schwöre oder sprich mir nach - je nachdem:


    Sagst du dem christlichen Gottglauben ab?


    Sagst du dem christlichen Gottesdienst ab?


    Sagst du allen christlichen Gotteswerken ab? Den Gehilfen oder Genossen dieses christlichen Gott..." Er kam ins Stocken, weil er nicht wusste, wie er das Ding bezeichnen sollte. "Gottgebildes?"



    Abschwören bedeutete, ein Niemand zu sein. Jeder Mensch brauchte einen Glauben, also musste sich Menecates mindestens einen weiteren Vers ausdenken.
    "Glaubst du an die Götter deines Volkes?"

  • Jetzt und hier? Morrigan sah den Claudier verwirrt an, nickte dann aber und sprach.
    „Ich entsage dem christlichen Gott.
    Ich sage allen christlichen Gotteswerken ab.
    Ich sage den Gehilfen des christlichen Gottgebildes ab.“
    Den letzten Vers jedoch konnte sie so nicht wiederholen. Denn an die Götter ihres Volkes glaubte sie schon lange nicht mehr. Sie war ja noch ein halbes Kind, als man sie ihren Eltern entrissen hatte.
    Sie hatte viele Glauben kennengelernt und eigentlich hatte sie ja auch nur noch an den Opfern für die Götter der Römer teil genommen. So also wandte sie den letzten Teil entsprechend ab.
    „Ich glaube und ich diene den Göttern des römischen Volkes. Mögen sie mir verzeihen, dass ich sie verleugnet habe und dem christlichen Irrglauben erlegen bin.“
    Auch wenn sie dem Gott der Christen nun entsagt hatte – nicht das sie dem hätte entsagen müssen, sie hat ja nie an diesen geglaubt – stand dennoch immer die Lüge im Raum. Und Morrigan wusste, dass der alte Claudier Lügen verachtet. Er lebte ja auch in einer Welt in der man es sich scheinbar leisten konnte auch ohne Lügen auszukommen. In ihrer Welt war diese anders. So bleib also immer noch offen, ob sie bleiben durfte. Oder Nicht. Sie konnte nur hoffen, dass er sie nicht an die Prätorianer zurückgab.

  • Menecrates musste als Kind die Korrektheit mit der Muttermilch eingetrichtert bekommen haben, denn sie machte ihn Zeit seines Lebens aus. Manchmal besaß er zwar eine individuelle Auslegung von Korrektheit, aber das änderte nichts daran, dass er stur seinem Leitbild folgte. In dieser Sache artete die Korrektheit allerdings in Pingeligkeit aus.

    "Schwöre dem christlichem Gottesdienst ab.
    " Diese Aussage hatte Morrigan vergessen und der Claudier legte Wert darauf.
    Bei der zweiten Abwandlung seiner Vorlage horchte er positiv überrascht auf. Er hätte nie verlangt, dass Morrigan auf die römischen Götter schwor, weil er einen aufrichtigen Schwur wollte. Der soeben gehörte musste aufrichtig sein, denn sie wählte ihn von allein.


    Er zeigte sich zufrieden, bis auf eine winzige Kleinigkeit. "Ich würde den letzten Schwur gern noch einmal hören, wenn am Ende statt der Formulierung 'erlegen bin' ein 'erlegen war' stünde." In Erwartung stand er vor ihr und betrachtete sie.

  • Sie verstand zwar nicht warum, aber sie gehorchte und wiederholte so wieder der Claudier es verlangte erneut die Worte diesmal alle und mit der gewünschten leichten Abwandlung.
    „Ich entsage dem christlichen Gott.
    Ich sage allen christlichen Gotteswerken ab.
    Ich sage den Gehilfen des christlichen Gottgebildes ab.
    Ich schwöre dem christlichem Gottesdienst ab.
    Ich glaube und ich diene den Göttern des römischen Volkes. Mögen sie mir verzeihen, dass ich sie verleugnet habe und dem christlichen Irrglauben erlegen war.“
    Nachdem sie nun zum zweiten Mal die Worte gesprochen hatte entkrampften sich ihre Hände auch etwas, ja man konnte fast meinen eine Last wäre von ihr abgefallen. Und tatsächlich war es auch irgendwie so. Gerade weil sie nie an den Gott dieser Christen geglaubt hatte und es nur aus der Not heraus behauptete hatte lastete diese Lüge schwer auf ihr. Diesem Gott nun zu „entsagen“ war fast wie eine Befreiung. Dennoch traute sie sich immer noch nicht aufzusehen. Denn immer noch stand im Raum wann sie die Villa verlassen musste und wohin. Denn Sie ging immer noch davon aus, das der Claudier derart enttäuscht von ihr war, dass er ihre Anwesenheit in seinem Haus nicht dulden würde.

  • Das Hin und Her, die teils absurde Konstellation und Morrigans zunehmende Lockerheit färbten schließlich auf Menecrates ab. Wenn die Situation nicht so ernst wäre, würde er fast lachen können. Vielleicht lachte er auch in ein paar Wochen. Für heute zeigte er sich bereits mit einer spürbaren Entspannung zufrieden.


    "Das war gut", resümierte er und meinte das Gesamtgespräch, nicht nur den fehlerfreien Schwur. Eine Antwort stand noch aus. "Steinbruch und Praetorianer sind keine Option. Vielleicht für eine Christin, aber jetzt nicht mehr. Ich möchte trotzdem eine Nacht darüber schlafen." Häufig genug stellte sich am Morgen entweder Zweifel oder eine spürbare Sicherheit ein, wenn Tags zuvor noch Unklarheit herrschte. Durch den Aufschub konnte auch Morrigan ihre Grundhaltung ihrem Herrn gegenüber noch einmal überdenken. Menecrates wollte nicht handlungsunfähiger Zuschauer bei einem Spiel zwischen den Praetorianern und Morrigan sein. Doch ob die Schwarzen je aus seinem Lebensbereich verschwinden würden, wenn Morrigan blieb, bezweifelte der Consul.

    "Geh jetzt schlafen, wir sprechen morgen vor der Tagung noch einmal miteinander."

  • Weder Steinbruch noch Prätorianer? Erleichterung war es, die Morrigan nun verspürte. Aber es würde für sie wohl dennoch eine unruhige Nacht werden. Dennoch nickte sie und sagte mit leiser Stimme. „Danke Dominus, bis Morgen.“ Auf leisen Sohlen verließ sie das Zimmer um sich in ihre Unterkunft zu begeben.


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    Natürlich war es, wie schon vorhergesehen keine ruhige Nacht für Morrigan. Sie hatte sich hin und her gewälzt. Lag lange wach und hatte gegrübelt. Natürlich würde sie dem Claudier zu gern die Wahrheit sagen. Aber sie konnte es einfach nicht. Nicht ohne auch ihn und seine Familie in Gefahr zu bringen. Aber etwas konnte sie tun. Sie würde den Prätorianern zukünftig nichts liefern. Sie würde ihnen nichts sagen was den Haushalt der Claudier betraf. Sie würde Menecrates gegenüber absolut loyal sein. Egal ob sie hier in der Villa bleiben konnte oder nicht.


    Mit diesem gefassten Vorsatz betrat sie leise am nächsten Morgen das Arbeitszimmer des Claudiers.
    Mit einem leisen „Dominus.“ machte sie sich bemerkbar.

  • Auch Menecrates' Nacht verlief alles andere als geruhsam. Er grübelte viel, stand auf, um sich Notizen zu machen, legte sich wieder schlafen, um dann doch kein Auge zuzumachen. Mit schmerzendem Kopf und griesgrämiger Laune erhob er sich am Morgen. Er ließ sich ankleiden, verweigerte das Frühstück und begab sich sofort in sein Arbeitszimmer. Hier befasste er sich mit den Notizen der Nacht, strich durch, schrieb dazu, während seine Stirn in Falten lag.


    Er arbeite bereits eine Weile und blickte mit steinerner Miene hoch, als Morrigan das Zimmer betrat. Mit ihr wollte er sich nicht lange aufhalten, denn das Vorbereiten der Sitzung am Vormittag besaß Priorität. Es fiel ihm schwer, von einem Thema zum anderen zu wechseln, aber er bemühte sich. Außerdem lag er gut in der Zeit und stand fast vor dem Abschluss der Vorbereitungen.


    "Morrigan." Er wischte sich über die Stirn und schob gleichsam die Eckpunkte des Sitzungseinstiegs fort. "Meine Entscheidung ist gefallen." Er legte mit Absicht eine Pause ein, damit das Gesagte nicht lapidar erschien. "Du kannst bis auf Weiteres in meinem Haus bleiben. Betrachte die nächsten Monate als Zeit der Bewährung. Verläuft sie problemlos, erwirbst du dir ein dauerhaftes Bleiberecht." Was er im Einzelnen erwartete, formulierte er nicht. Morrigan kannte die claudischen Regeln des Umgangs miteinander, sie wusste, worauf er Wert legte und was er verabscheute.


    "Halte dich heute noch einmal für eine Befragung bereit. Ob es dazu kommt, kann ich nicht im Vorfeld sagen, aber auf alle Fälle möchte ich nicht, dass du vor dem Sitzungsraum wartest. Bleib hier und lass dich nicht auf eine Befragung außerhalb der Kommissionstagung ein - sollte sich so etwas anbahnen."

  • Aufgeschoben? Er hatte die Entscheidung aufgeschoben. Sie würde also in den nächsten Monaten – in einem nicht genau bestimmten Zeitrahmen – unter Beobachtung stehen? Ungewissheit? Zu der Angst vor den Prätorianern, kam also nun noch die ständige Angst etwas Falsch zu machen und somit der Villa verwiesen zu werden? Auch ihre Aufgaben formulierte er nicht. Natürlich kannte sie die Regeln des hause, sie würde sich an sie halten und würde sich in die Sklavenschaft einreihen. Nein einreihen war wohl das falsche Wort. Sie wusste nur zu gut wo ihr Platz war. Sie war für einige hier immer noch die die geflohen war – was ihr einige immer noch nicht verziehen hatten. Für andere die die zur Sklavenschaft verurteilt war. Sie konnte nie mehr frei sein, und damit stand es für alle fest, Morrigan stand am Ende der Nahrungskette der claudischen Sklaven. In den letzten Tagen – seit sie mehr belastbar war, hatte man ihr das auch schon deutlich gezeigt. Sie hatte jene Aufgaben ausgeführt, die sonst keiner machen wollte. Ob es nun das Anheizen der Öfen im Haus, das Putzen der Latrine oder andere unliebsame Aufgaben waren. Sie hatte es Schweigend hingenommen, so wie sie nun auch die Ankündigung des Claudiers hinnahm.
    Sie sollte also hier warten und sich auf keine Befragungen einlassen. „Ja Dominus.“ Bestätigte sie leise und stellte sich an eine Wand des Arbeitsraumes. Damit sie nicht im Weg stand. Wie ein Möbelstück würde sie hier warten, bis er sie rufen würde.

  • Magrus eilte zum Arbeitsraum von Herius Claudius Menecrates, klopfte und trat ein.


    „Dominus, Lucius Vicinius Massa ist gekommen und möchte dich sprechen. Er sagt es geht um den Cursus Honorum. Willst du ihn empfangen und wohin soll ich ihn bringen?“

  • In diesen Arbeitsraum zog sich Menecrates nur zurück, wenn er familiären oder anderweitig privaten Angelegenheiten nachging. Hier empfing er Morrigan, seinen Sekretär oder Familienmitgleider. So lange er Consul war, nutzte er für berufliche Zwecke das eigens dafür hergerichtete große Arbeitszimmer.


    "Curus Honorum? Das betrifft meine Amt. Magrus, führe den Besucher in das große Arbeitszimmer. Ich komme gleich nach."
    Den Namen des Besuchers prägte er sich ein.

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