Hortus | Die Schönheit und der Marspriester (Claudia Antonia et C' Flavius Aquilius)

  • Es war ein ausgesprochen schöner Tag, die Vöglein zwitscherten munter vor sich hin, fast kaum eine Wolke traute sich, den strahlend blauen Himmel mit verräterischen weißen Flecken zu bedecken, und halb Rom schien bester Laune zu sein - mit einer Ausnahme: Mir. Gutes Wetter war schön, und meinetwegen sollten die Römer auch ihre Freude haben, aber die morgendliche Post hatte mir die Laune derart vermiest, dass ich irgend etwas brauchte, um mich abzureagieren. Unangenehmerweise weilte Nefertiri immernoch in Achaia, zumindest vermutete ich das, sie war mir vermeintlich nachgereist, während ich mit Fieber ganz in der Nähe weilte, ohne zu wissen, wer ich war - und nun wartete ich darauf, dass meine kleine Bettgefährtin wieder zurückkehrte, die entsprechenden Anweisungen hatte ich per Post getroffen. Aber ausser langweiligen Berichten von meinen Gütern und ähnlich wenig anregenden tabulae waren nichts dabei gewesen, was mich hätte aufheitern können. Seit Tagen fühlte ich mich ruhelos und fand weder in der Villa noch außerhalb irgend etwas, was mir ein wenig Entspannung hätte verschaffen können.


    So ging ich im Garten der Villa umher und versuchte, mich wenigstens ein wenig durch das laufen abzulenken, wenn es schon meine Post und die Schriftrollen, die ich noch lesen wollte, nicht schafften. Eigentlich hätte ich mit Manius sprechen wollen, aber einerseits wollte ich ihm weder zur Last fallen, andererseits war es ausgesprochen zwiespältig, ihn überhaupt zu sehen. Einen Menschen zu lieben und ihm nicht nahe sein zu dürfen war auf Dauer einfach nur die schmerzvollste Art der Folter, die man sich vorstellen konnte, dieses gladius schmerzte tiefer und heftiger, als es jede Schnittwunde jemals gekonnt hätte. Als ich um eine Ecke bog, wurde mein Schritt automatisch langsamer, denn zumindest von hinten bot sich mir ein atemberaubender Anblick - nichts konnte mich leichter und schneller ablenken als eine attraktive weibliche Figur. Noch ahnte ich nicht, zu wem sie gehören mochte oder was diese Frau in den Garten geführt hatte, und so betrachtete ich sie einige Augenblicke lang durchaus genüsslich, bevor ich mich räusperte.

  • Das schöne Wetter hat Antonia aus ihrem Cubiculum in den Garten der Villa Flavia getrieben. Unglücklicherweise würde das wohl eine leichte Braunfärbung der sonst so perfekt weißen Haut nach sich ziehen, doch in diesem Fall ist sie bereit, das in Kauf zu nehmen.
    So steht sie nun, in eine leichte Tunika gehüllt, vor den berühmt-berüchtigten Rosenbüschen des Senator Felix, die sie zwar nicht fachmännisch, aber doch bewundert inspiziert. Er hatte entweder einen guten Gärtner, oder wirklich ein Händchen für derlei Dinge.
    Gerade als sie die Hand ausstreckt, um eine der Blüten zu berühren, hört sie ein Räuspern hinter sich.
    Erschrocken zieht sie die Hand zurück, weiß sie doch genau, dass der Senator einen Tobsuchtsanfall bekommt, wenn jemand seinem Heiligtum zu Nahe kommt. Doch zu ihrer Erleichterung erblickt sie als sie sich umdreht keinen tobenden Senator.
    Salve Aquilius., grüßt sie lächelnd. Hast du mich erschreckt.

  • "Das lag nicht in meiner Absicht, verzeih mir..." antwortete ich ihr lächelnd und trat ein wenig näher. Gracchus' schöne Frau trieb mir immer ein Lächeln auf die Lippen, ohne dass ich genau hätte sagen können, warum das der Fall war, ich mochte sie einfach, wie man eben eine typische Sympathie niemals ganz begründen konnte. Manches Mal hatte ich mir schon gewünscht, sie wäre meine Gemahlin anstelle die meines Vetters, doch vertrieb ich diesen Gedanken stets wieder dorthin, wo er herkam, und sagte mir, dass die Dinge eben so waren, wie sie sind, und ich zumindest die Gelegenheit hatte, sie zum lächeln zu bringen, wenn ich es wollte. "Du bewunderst die Rosen des Flavius Felix? Aber ich muss Dir sagen, gegen Dein Lächeln wirken sie heute ausgesprochen blass, fast als neideten sie Dir den Sonnenschein ein wenig." Einige Schritte mehr trugen mich an ihre Seite und ich hatte nicht ihre Scheu davor, die Blüten zu berühren - ich zog ihr eine Rosenranke sanft heran, sodass sie an der vollendet geformten Blüte riechen konnte, wenn sie es wollte.


    "Ich hoffe doch, Du hast Dich in diesem Haushalt und vor allem unserer Familie inzwischen ein wenig einleben können, Antonia," fuhr ich mit dem Gedanken fort, den Impuls unterdrückend, nach der Rose auch an ihr schnuppern zu wollen, um die Süße des Duftes zu vergleichen. "Wir Flavier sind nicht immer pflegeleicht und auf die meisten Menschen dürfte das Chaos, das wir Familienleben nennen, wohl eher befremdlich wirken. Falls man unser Nebeneinanderherleben überhaupt als Familienleben bezeichnen kann ..." Ich schüttelte sachte den Kopf, als ich mich an die sponsalia von Aristides und Claudia Epicharis erinnerte, die ein ausgesprochen gutes Beispiel flavischer Verrücktheit in die Geschichte eingehen würde. Selbst Serenus war ein wahres Prachtbeispiel für die flavische Tradition, immer zuerst dem eigenen Ego folgen zu müssen. "Wenn ich Dir also Deinen Tag heute etwas erhellen kann, so sage mir nur, was ich tun soll, und ich werde es tun."

  • Mit einer abwinkenden Geste signalisiert sie, dass der Schreck keineswegs unangenehm war. Wäre ihr Mann hinter ihr gestanden, ihre Reaktion hätte wohl anders ausgesehen.
    Doch sie denkt nicht weiter darüber nach, sondern richtet ihren Blick wieder auf die Pflanzen, bis Aquilius´ Kompliment sie wieder aufsehen lässt. Anders als bei den meisten anderen Flaviern hat sie bei ihm nicht das untrügliche Gefühl, jedes Wort sei geheuchelt. Nein, was er sagte klang immer wundervoll und ehrlich. Eine erfreuliche Abwechslung, die das seltene Lächeln wieder erscheinen lässt.
    Langsam bringt sie ihre patrizische Nase der dargebotenen Rose näher und zieht ihren Duft ein.
    Ich denke ich habe mich ganz gut eingelebt., erwidert sie schließlich, noch immer nach vorn geneigt. Weißt du, die Flavier und Claudier sind sich glaube ich gar nicht so unähnlich.
    Schmunzelnd richtet sie sich wieder auf und ihren Blick auf den Flavier.
    Ich wüsste zumindest auf Anhieb kein Mitglied meiner Familie, das ich als gänzlich normal und gut umgänglich bezeichnen würde. Mich selbst eingeschlossen.
    Epicharis vielleicht. Sie scheint Antonia bisher die angenehmste Angehörige zu sein. Andererseits hat sicher auch sie ihre wunderlichen Seiten. Von Antonias sonderbaren Obsession den Gott Merkur betreffend wussten schließlich auch nur sehr Wenige.
    Aus diesen Grüblereien gerissen wendet sich die Claudia von den Rosen ab und lässt ihren Blick über den Rest des Gartens schweifen.
    Du könntest mir ein wenig Gesellschaft leisten und mich im Zweifelsfall vor Serenus´ grässlichem Hund beschützen.
    Schmunzelnd erwartet sie Aquilius´ Reaktion.

  • Die anmutige Bewegung, mit der sie sich der Blüte entgegen neigte, um ihren Duft einzuatmen, ließ mir das Herz ein wenig schneller schlagen. So manche Patrizierin war einfach nur überkandidelt, überspannt, nervös und von sich selbst viel zu überzeugt, doch zwei Claudierinnen hatten mich in der letzten Zeit angenehm vom Gegenteil übrzeugt, und Claudia Antonia vermochte es immer, durch ihre ruhige, elegante Art den Atem der alten Zeit mit sich zu bringen, in der Patrizier noch hoheitsoll und stolz gewesen waren, keine ruhmsüchtigen Ämterjäger, wie es heute der Fall war. Ob Gracchus sie jemals beim Genießen beobachtet hatte? Vielleicht würde er dann verstehen, wieso mich Frauen so leicht zu faszinieren wussten, genügte doch nur eine Geste, die Gedanken wandern zu lassen. Vorsichtig, um sie nicht zu erschrecken, brach ich die Blüte vom Strauch ab, vollendet dunkelrote Blätter schimmerten in der Mittagssonne und spiegelten die Perfektheit der Natur wider, die der Mensch niemals erreichen würde - und mit einem Lächeln überreichte ich ihr die Rose - was Flavius Felix zur Vergwaltigung seiner Rosenbüsche sagen würde, war mir in diesem Augenblick herzlich egal, eine Blüte mehr oder weniger würde dem vielbeschäftigten Hausherrn ohnehin nicht auffallen.


    "Nur zu gerne leiste ich Dir Gesellschaft, denn Du hast mir auch schon einen großen Dienst erwiesen, ohne es zu ahnen - Du hast mir einige sehr dunkle Gedanken auf das Angenehmste zerstreut. Was Serenus' Schoßtier angeht, so genügt im allgemeinen ein autoritär gesprochener Befehl, um es zum Gehorchen zu zwingen, auch wenn ich nicht davon begeistert bin, dass ein Junge in seinem Alter bereits ein solches Tier besitzt. Man sollte erst befehlen dürfen, wenn man weiss, wie man Befehle annimmt und ausführt, und gerade daran scheint es meinem jungen Verwandten ein wenig zu mangeln," plauderte ich und hoffte insgeheim, sie würde die Blüte in ihr Haar stecken, ein wenig die lockere Stimmung des Augenblicks bewahrend, in der wir nur zwei Menschen waren, nicht durch Blutseide aneinander gebunden. Dass sie nur eine leichte Tunika trug, die ihre Formen kaum wirklich zu verhüllen wusste, machte mir diesen Spaziergang nicht gerade leichter, aber ich kannte mich in diesen Dingen leider viel zu genau: Die süße Qual war mir immernoch lieber als ein mit Schriftstücken vollgestopfter Schreibtisch - und ihr Lächeln war wohl mit das stärkste Argument, meine Arbeit gänzlich zu vergessen.

  • Langsam, als ob sie die Zeit nicht zu schnell verstreichen lassen will, setzt Antonia einen Fuß vor den anderen und hat ihre Aufmerksamkeit scheinbar dem Garten zugewandt.
    Eine Sekunde lang fragt sie sich, ob dem Senator die fehlende Rose wohl würde auffallen. Im nächsten Moment ist der Kopf der Familie jedoch schon wieder vergessen, stattdessen riecht die Claudia noch einmal den Duft, den nur eine Rose von sich geben kann und lächelt das Lächeln, wie es nur eine unglückliche Frau tun kann.
    Dunkle Gedanken an einem so schönen Tag?, fragt sie kopfschüttelnd und hakt sich bei Aquilius ein. Die Rose hält sie weiter in der Hand, streicht mit einem Finger über die samtig weichen Blütenblätter und fragt sich, wie wohl ein Kleid aus Rosenblättern aussehen würde. Umgehend zwingt sie sich jedoch zurück in die Realität, die ihr ausnahmsweise einmal auch nicht so trostlos scheint wie an den anderen Tagen in der Villa Flavia.
    Nichtsdestotrotz fühlt sie sich beim Gespräch über Serenus an die unglückselige Verlobungsfeier ihrer Großcousine erinnert.
    Serenus ist in der Tat eine Klasse für sich. Wenn ich nur an meine arme Verwandte denke, die bald seine Stiefmutter sein wird.
    Sie ertappt sich beim Gedanken, dass sie lieber auf ewig Gracchus´ Verachtung ertragen würde, indem sie ihm keinen Erben gebar, anstatt einen Erben wie Aristides' Sohn großziehen zu müssen.

  • "Dunkle Gedanken eher nicht ... sondern Unlust, mich mit Verwaltung meiner Güter und des Besitzes meines Familienzweiges belasten zu müssen. Zahlenkolonnen sind nichts für mich, ich werde dabei immer schnell ungeduldig, vor allem, wenn nicht die Post dabei ist, auf die ich gewartet habe - Du kennst das sicher," winkte ich mit einem Lächeln ab, wollte ich sie doch nicht mit dieser unerquicklichen Thematik belasten. Sie würde sicherlich andere Dinge interessant finden als Verwaltungsfragen, zumindest kannte ich keine Frau, die an Mathematik und Verwaltung Freude empfand, und irgendwie hoffte ich, dass sie ebenso nicht zu jenen zählte. "In sofern ist es mir Freude und Erleichterung zugleich, hier auf Dich getroffen zu sein, unser letztes Gespräch liegt immerhin schon sehr weit zurück und ich glaube mich zu entsinnen, dass uns nicht wirklich viel Gelegenheit gegeben war, einander kennenzulernen. Nun sind wir verwandt, und ich würde dieses Manko gerne aufholen." Wenngleich ich sie wohl kaum so gut würde kennenlernen können, wie ich es wollte - diese weichen Lippen waren zu verlockend, sie einfach nur zu betrachten rührte schon einen vagen Hunger in mir.


    Als mich ihre Hand berührte, sie sich vertraulich unterhakte, musste ich meinen Atem bezähmen, damit ich mich nicht verriet, wie lange hatte ich ohne Frau gelegen? Zu lange, viel zu lange, sonst würde mir mein Leib keinen solchen Streich spielen. Oh Mamarce, gib mir die Kraft, nicht zu schwach zu werden, dachte ich im stillen, wohl wissend, dass Er sicherlich die Gelegenheit ergriffen hätte, diese fleischgewordene Venus in seine Arme zu führen. Aber sie war Grachus' Frau, ich durfte nicht einmal daran denken. "Ich denke, Epicharis wird mit ihrer Klugheit einen Weg zu Serenus' Herzen finden, auch wenn es sicherlich seine Zeit dauern dürfte. Er hat seine Mutter sehr geliebt, eine andere Frau an der Seite seines Vaters zu sehen ist sicherlich sehr schwer für ihn, so etwas ist für niemanden leicht - und Aristides hat seine Kinder recht unvermittelt vor vollendete Tatsachen gestellt, das dürfte die Situation nicht erleichtert haben. Aber sei Dir sicher, Epicharis wird, sollte sie Hilfe brauchen, von meiner Seite gewiss Hilfe erlangen können." Als ich sie über einige anmutig drapierte Steine führte, nutzte ich die günstige Gelegenheit, sie mir ein klein wenig näher zu ziehen - ihr Duft berauschte mich, mischte sich doch nun der Rosengeruch mit ihrem eigenen Parfum, ließ mich genüsslich einatmen und für einen Moment die Zeit vergessen.

  • Zahlen sind nichts für dich?, wiederholt sie ein wenig ungläubig, lächelt jedoch im nächsten Moment verschmitzt. Zahlen sind doch etwas Wunderbares. Überhaupt, die Mathematik. Alles logisch, alles einfach, alles berechenbar.
    In der Hoffnung, Aquilius würde sie nun nicht für eine Stubenhockerin halten, die liebend gerne im Kerzenschein die Bilanz der Betriebe ihres Gatten kontrolliert, legt Antonia ihm schnell die Hand mit der Rose auf den Arm.
    Sofern es eine gewisse Herausforderung in der Lösung der mathematischen Aufgabe gibt, natürlich. Ewige Kontrolle der immer gleichen Zahlen, die doch kaum etwas aussagen würde mich auch zu Tode langweilen.
    Lächelnd zieht sie die Hand wieder zurück. Sie erinnert sich noch gut an ihre Kindheit. Das Kopfschütteln ihrer Brüder, wenn sie, anstatt Gedichte auswendig zu lernen, lieber Zahlen auf ihre Wachstafel geritzt hatte. Praktischen Nutzen hatte sie davon natürlich nie gehabt.
    Aber lassen wir das lieber, wenn dich das zu sehr abschreckt. Es gibt sicher interessantere Themen.


    Indes stellt die Claudia fest, dass ihr gewähltes Schuhwerk für einen Spaziergang nicht besonders gut war. Es war mehr jene Art Sandalen, in denen man eine Weile ganz gut stehen konnte, besser war jedoch Sitzen oder Liegen - Gehen nur im äußersten Notfall. So ist sie für die starken Arme, die sie halten, umso dankbarer. Und wieder beginnt sie unbewusst, ihren Begleiter mit ihrem Gatten zu vergleichen. Würde sie sich auch so bereitwillig von Gracchus helfen lassen, oder würde ihr Stolz dies verbieten? Sie vermutet Letzteres, was ihre Sympathie für den Vetter ihres Mannes nur noch steigert.
    Ich hoffe es so für Epicharis. Sie ist so eine nette Person, eine tote Ratte an ihrem Verlobungstag hat sie wahrlich nicht verdient. Du kennst sie schon ein wenig?

  • "Für Zahlen habe ich leider wenig Geduld," bekannte ich freimütig, warum hätte ich lügen sollen. Zudem schien mir, dass sie eher zu den Frauen gehörte, die eine Wahrheit bevorzugten denn eine gut geschminkte Lüge, und zumindest heute gefiel es mir, bei der Wahrheit zu bleiben. Am Ende hätte sie noch wettrechnen wollen, und dann hätte ich mich ganz sicher blamiert. "Mein Vater legte viel Wert darauf, mir die Mathematik näherbringen zu wollen, aber wie es mit vielen Dingen ist, sobald man gezwungen wird, stemmt man sich umso stärker dagegen. Er wollte aus mir einen guten Politiker machen, und heute bin ich sacerdos..." Leicht zuckte ich mit den Schultern und schmunzelte, den Gedanken genießend, wie wenig meinem Vater meine bisherigen Lebensentscheidungen gefallen hätten, hätte er sie noch erlebt. "Mit guter Literatur und den klassischen Rhetorikern kannst Du mich viel eher locken als mit logischer, klarer Mathematik," fügte ich mit einem Lächeln an und überlegte, was sie wohl sagen würde, wenn ich ihr Ovid zitierte, natürlich eine der unanständigeren Stellen.


    Ihre Hand ließ ein nur allzu vertrautes Prickeln auf meiner Haut zurück, und ich versuchte, mir den Satz des Pythagoras wieder ins Gedächtnis zu rufen, um mich von ihrer duftenden, warmen Nähe abzulenken. Allerdings hatte ich mir mathematische Formeln nie gut merken können, sodass meine Erinnerung schlichtweg streikte und mich allzu schnell wieder zur Gegenwart zurückführte. "Wenn Du Dich einmal sehr langweilen solltest, würde es Dir etwas ausmachen, einen Blick in meine Bücher zu werfen? Der vilicus, den mein Vater für unseren Besitz in Tarraco einsetzte, ist zwar ein tüchtiger Mann, aber zu lange fehlende Aufsicht lässt die Menschen gern eigene Wege gehen und ich habe das Gefühl, dass er mich betrügt, komme aber einfach nicht darauf, wo die Zahlen getürkt sind. Also .. falls es Dir nichts ausmachen sollte, wäre ich ob ein wenig Hilfe dankbar ... nur sage Gracchus bitte nichts davon. Es ist mir ein bisschen peinlich, so überhaupt keinen Sinn für derlei zu haben, und Du kennst ihn, er ist in vielen Dingen so hervorragend, dass es einem schwer fällt, neben einem solchen Beispiel zu bestehen."


    Sie war so leicht, wie konnte eine Frau mit einer so weiblichen Figur so leicht sein? Man hätte meinen können, mein Arm hielte weiche Seite mit diesem überirdischen, verlockenden Duft, der mein Blut kochen ließ. Musste es denn mein Schicksal sein, immer das zu begehren, was ich nicht begehren durfte? Wenn ich schon liebte, was ich nicht lieben durfte, wäre es wohl gnädig gewesen, wenigstens beim Begehren auf normalen Wegen zu wandeln. Sachte legte ich meine Hand auf die ihre, die Vertraulichkeit des Augenblicks versuchend zu steigern, unschuldig, als hätte ich wirklich nur ein freundschaftliches Gespräch im Sinn. "Nun, ich traf eher durch Zufall auf Epicharis, wir begegneten einander vor dem Marstempel und ich war so in Gedanken, dass ich sie umrannte - glücklicherweise ist ihr nichts geschehen und sie warf mir auch keine Dinge nach, sodass wir ins Gespräch kamen. Ich denke, Aristides wird mit ihr sicherlich glücklich werden, er braucht eine Frau, die ihn ein bisschen fordert und umsichtiger ist als er es jemals sein wird."

  • Es ist nunmal nicht jeder zum Politiker geboren., erwidert sie nickend. Ich persönlich halte ohnehin nicht viel von ihnen.
    Ein Zwinkern folgt. Familienangehörige und Ehegatten natürlich ausgenommen.
    Dem war mitnichten so. Gerade die waren oft die Schlimmsten, doch allzu offen will sie nun doch nicht sein.
    Ich kann mir vorstellen, dass sie Arbeit eines Sacerdos auch viel.. befriedigender sein muss, als die eines Mannes, der dauernd zum Senat geht, nur um sich den Rest des Tages entweder zu langweilen, oder zu streiten. Im Dienst eines Gottes zu stehen hat da doch etwas ungleich Nützlicheres an sich.


    Leise grinst sie in sich hinein.
    Oh, gegen gute Literatur habe ich natürlich auch nichts einzuwenden. Doch ich hatte als Kind einen fürchterlichen Lehrer, der mich oft ellenlange Gedichte auswendig lernen ließ, das hat mir wohl die Freude daran ein wenig verdorben.
    Doch diese unliebsame Erinnerung ist im Nu weggewischt, als Aquilius sie um Mithilfe bei seinen Büchern bittet. Umgehend beginnen Antonias Augen zu leuchten.
    Meinst du wirklich?
    Anhand der Tatsache, dass die Claudia beginnt auf ihrer Unterlippe zu kauen bemerkt der (aufmerksame) Beobachter, dass sie keineswegs abgeneigt scheint und sich bereits in Gedanken das zu lösende 'Rätsel' vorstellt.
    Ich werde dir mit dem größten Vergnügen helfen., verkündet sie also schließlich. Verschwörerisch neigt sie sich ein wenig näher zu Aquilius, stockt einen Moment, als sie sein Gesicht so nahe an ihrem wahrnimmt, flüstert dann jedoch: Und sei unbesorgt, Manius wird nichts erfahren.
    Einen Moment lang verharrt sie so, ehe sie sich eines Besseren besinnt und wieder eine normale Körperhaltung einnimmt.
    Er scheint wirklich in Allem was er tut perfekt zu sein. Unmöglich, seinem Urteil stand zu halten.
    Doch nicht allein aus Sympathie oder Antipathie dem einen, bzw. anderen Flavier gegenüber willigt Antonia ein zu schweigen. Sie wüsste schlicht und einfach gar nicht, wann sie Gracchus dergleichen erzählen sollte.


    Sie ruft sich das Bild von Aristiges und Epicharis auf der Verlobungsfeier vor ihr inneres Auge. Er war um einiges älter als sie, wirkte oft ein wenig deplaziert im Kreise der Flavier, die - soweit Antonia das feststellen konnte - nur so um sich warfen mit Eloquenz und wohlgewählten Worten. Doch gerade diese Tatsache macht den Soldaten umso liebenswürdiger für sie.
    Ich glaube, auch Epicharis wird ihre Wahl nicht bereuen.
    'Sofern Serenus zur Räson gebracht werden kann', fügt sie in Gedanken hinzu.
    Doch wie ist es mit dir, Aquilius? Ich bin sicher die Claudier hätten auch für dich noch eine Tochter frei.
    Unschuldig beginnt Antonia zu Grinsen.

  • "Nun, der Senat ist wohl nur etwas für jene, die sich auch wirklich wünschen, darin zu sitzen - und mein Wunsch ist es sicher nicht, auch wenn ich wohl irgendwann doch diesen Weg anstreben muss, allein schon aus dem Grund, dass ich der Letzte aus meinem Familienzweig bin und damit verpflichtet, die Tradition des Dienstes weiterzuführen," meinte ich und versuchte, diesen unerquicklichen Gedanken schnell wieder loszuwerden. "Aber ich wäre wohl nicht der erste und nicht der letzte Senator, der dieses dauernde Gestreite sanft verschläft." Leicht schmunzelnd betrachtete ich ihr Gesicht, als sie sich meine Bitte durch den Kopf gehen ließ - dass sie sich dann allerdings zu mir neigen würde, hatte ich weder erwartet noch beacht. Wusste sie überhaupt, was sie mir damit antat? Die Woge warmen, höchst persönlichen Geruchs, die ich unwillkürlich einatmete, ließ mich für einige Momente lang erstarren. Ihre weich schimmernden Lippen waren so nahe, dass ich ernsthaft in Versuchung war, sie zu küssen, ihr diesen Kuss zu stehlen, um diesen vertrauten Augenblick zu krönen. Aber sie hatte sich mir so unschuldig genähert, ich wagte es nicht, auch wenn jede Faser in meinem Inneren danach schrie.


    "Wenn Du Freude an meiner Buchführung findest, wäre es für mich eine sehr große Erleichterung, dies in Deinen Händen zu wissen - ich werde mich auch gerne revanchieren, wenn es etwas geben sollte, was Du Dir wünscht und was Dich erfreuen kann - Du musst es mir nur zu sagen, und ich werde mich mühen, Dir diese Wünsche zu erfüllen," sagte ich nach einer kleinen Kunstpause, die ich brauchte, um meine Sinne wieder zu sammeln. Die Wünsche, die ich ihr am Liebsten erfüllen würde, würde sie ohnehin nicht nennen, aber vielleicht würden wir ein bisschen mehr Zeit miteinander verbringen, was für mich sicherlich weder unangenehm noch störend sein würde - ich war gern in ihrer Nähe, vielleicht fast zu gerne. Und dieser verschmitzte Blick, wenn sie sich über etwas freute, wenn es etwas gab, was ihre Interessen berührte - ob Gracchus ahnte, wie heiter seine Frau wirken konnte, wenn sie sich freute? In seiner Nähe lächelte sie zwar, aber ich hatte das Gefühl nie verhehlen können, dass sie ebenso unglücklich war wie mein Vetter selbst. Selbst unerfüllt zu lieben schien die Sensibilität den Gefühlen anderer gegenüber wohl zu stärken.


    "Ach, das heiraten ist so eine Sache," winkte ich eilig ab, nicht aber ohne mich zu versichern, dass sie noch immer nahe bei mir ging und mir ihr Arm dadurch nicht entglitt. "Ich plane, den Weg bis zum flamen Martialis zu gehen, und wenn mir die Götter gewogen sind, wird es mir auch gelingen, doch ... verheiratet sollte ich dafür sein und ich muss gestehen, damit tue ich mich schwer. Die meisten Frauen wirken auf mich so ... verloren in ihren Wünschen nach Schmuck, Kleidung und all diesen kurzlebigen Vergnügungen. Ich bräuchte wohl eine Frau, die es mit mir aushält und die auch damit leben kann, nicht dauernd ein römisches Vorbild in ihrem Bett zu haben, die damit leben könnte, nicht schwerreich zu werden, sondern eher zufrieden zu leben - und das ist, wenn man nur unter vier patrizischen Familien wählen kann, nicht einfach. Die angenehmsten Claudierinnen sind ja leider schon vergeben, ich wünschte, ich hätte mich früher um eine Verlobte aus Deiner gens bemüht ..." Damit blickte ich ihr direkt in die Augen, abwartend aber auch forschend, um zu ergründen, ob sie verstand, in welche Richtung sie meine Gedanken schnellen ließ.

  • Der Letzte?
    Dies lässt Antonia nun wirklich aufhorchen.
    Da bist du ja in bester Gesellschaft bei mir. Ich habe vor Kurzem auch den letzten nahen Verwandten verloren., seufzt sie. Nun habe ich nur noch Onkel, Tanten, Vettern und Basen.
    Damit nicht genug, hatte doch wohl einer ihrer Brüder, oder gar ihr Vater selbst, fast das Gesamte Familienvermögen durchgebracht. Wobei ihr einfällt, dass es ja auch noch dieses verwunschene Grundstück gab, wegen dem sie bald mit Gracchus eine Reise würde antreten müssen. Allein der Gedanke daran stellt ihr die Nackenhaare auf.
    Ein im Senat zwischen diversen grauhaarigen Eminenzen schlafender Aquilius entlockt ihr allerdings ein leises Lachen.
    Oh, ich kann mir dich sehr gut im Senat vorstellen. Vielleicht kannst du dir ja ein Ludus Latrunculorum mitnehmen, damit du nicht alles verschläfst.
    Wieder lässt ein Kichern ihre Schultern beben.


    Ach, weißt du, meint sie schließlich und tätschelt Aquilius' Arm, Ich bin sicher, mir fällt etwas ein, wie du Wiedergutmachung leisten kannst. Und sei es nur durch gelegentliche Spaziergänge im flavischen Hortus.
    Und wirklich, sie kann sich nicht erinnern, wann ihr das letzte Mal etwas so viel Spaß gemacht hatte, wie dieser einfache Gang durch den Garten. Wenn nur ihr Gatte ein wenig mehr wie sein Vetter wäre. Wenn nur der Vetter.. erschrocken zuckt Antonias Kopf zurück. Fast fragend sieht sie ihren Begleiter an, prüfend, ob er ihre Gedanken hatte erahnen können. Da er nicht zu lachen beginnt, nimmt die Claudierin erleichtert an, dass er diese Gabe nicht besitzt.
    Innerlich schüttelt sie über sich selbst den Kopf. Kam nun etwa neben den zahllosen Neurosen und Psychosen, die sie zweifellos hatte, eine Paranoia hinzu?


    Ein Mann wie du tut sich schwer eine Frau zu finden? Das kann ich fast nicht glauben., wundert sie sich. Die Erklärung jedoch scheint ihr einleuchtend. Ihr fallen auf Anhieb zehn ihrer Freundinnen ein, auf die seine Beschreibung zutreffen.
    Zufrieden leben? Für Antonia klingt das im Moment verlockender als alles Geld der Welt, doch das Schicksal wollte es anders.
    So kommt es, dass sie sich durch Aquilius' forschenden Blick ertappt fühlt und verlegen die Augen gen Boden richtet.

  • "Seltsam, in welchen Dingen wir uns zu gleichen scheinen," sagte ich auf ihre Bemerkung zur Familie hin und musste sachte schmunzeln. Nicht, dass ich meinen chaotischen Familienanhang besonders vermisste, allzu warme Gefühle hatte ich nie zu meinen Eltern und Geschwistern gehabt, und noch weniger zu jenen, die sich allzusehr an Messalina geklammert hatten. Dennoch war es bisweilen ein seltsames Gefühl zu wissen, dass ich der letzte war, dessen Entscheidungen bestimmten, ob dieser Familienzweig gänzlich ausstarb. "Wobei ich nicht ganz ehrlich war, in ein oder zwei Monaten werde ich Vater sein, und damit lebt die hispanische flavische Linie weiter." Die Mutter war einer Erwähnung in den Annalen der Familie sicher nicht wert, dennoch stand mir Orestillas Gesicht deutlich vor Augen, als hätte ich sie erst gestern verlassen. Für einige Wochen war sie meine Frau gewesen und ich hatte nicht daran gezweifelt - wie ewig schien das Meer inzwischen entfernt. Glücklicherweise lenkte sie mich ab, und auch ich musste lachen, als ich mir vorstellte, mit einem ludus latrunculorum im Senat zu sitzen, während wichtigere Männer über irgendeine Nichtigkeit debattierten.


    "Ich bräuchte wohl eher einen Sklaven, der mich immer in die Seite piekt, wenn mir die Augen zufallen," blieb ich bei dem Gedanken, der ihr offensichtlich Spaß gemacht hatte, und als sie von weiteren Spaziergängen sprach, konnte ich nicht anders als ein wenig breiter zu lächeln. Es tat gut, einfach einmal die Gedanken wandern zu lassen und ein wenig Lachen mit jemandem zu teilen, wohl wissend, dass sie diesen Moment der Entspannung nicht nutzen würde, um mir zu schaden. Bei meiner eigenen Familie war ich mir da nie ganz sicher, Manius einmal ausgenommen. "Vielleicht bin ich, was Frauen angeht, auch einfach zu anspruchsvoll?" sann ich dem Gedanken nach.


    "Ich möchte nun einmal, wenn ich abends nach Hause kommen, jemanden vorfinden, mit dem ich mich unterhalten kann, ohne stundenlang die Vorzüge irgendwelcher cabatinae miteinander verglichen zu bekommen, ich wünsche mir eine Frau, die klug ist, die sich an ihrem Leben freut, gerne lacht und sich auch nicht davon abschrecken lässt, dass ich sie wohl jeden Abend in ihrem cubiculum besuchen komme ..." Sie hielt den Blick gesenkt, und ich fragte mich, ob es aus Verlegenheit resultierte oder weil sie nicht wollte, dass ich ihre Augen sah. "Was hattest Du Dir denn für Deinen Gemahl gewünscht, als Du noch nicht verheiratet warst?"

  • Du wirst Vater?, wundert sie sich, eine Augenbraue in die Höhe gezogen. Eine Geste, die sie sich unbewusst von ihrem Mann abgeschaut hat.
    Und du willst das Kind anerkennen?
    Dass das Kind ein Bastard war stand außer Frage - zumindest im Moment, war Aquilius doch nicht verheiratet und er machte auch nicht den Anschein, als wolle er die Mutter ehelichen.
    Ihre eigene offensichtliche Unfähigkeit ein Kind zu gebären, geschweigedenn zu empfangen stimmt Antonia an dieser Stelle wieder betrübt. Kurz weilt ihr Blick in weiter Ferne - das heißt, er würde es, wäre nicht die Wand der Villa Flavia im Weg.


    Von diesen allzu betrüblichen Gedanken wird sie jedoch umgehend durch Aquilius wieder herausgerissen, auch wenn ein ungutes Gefühl in der Magengrube bleibt.
    Vielleicht noch ein Wassereimer, damit der Sklave dich im Zweifelsfall aus dem Tiefschlaf wecken kann.
    Ein tropfnasser Senator Aquilius - die Vorstellung gefällt Antonia äußerst gut.


    Mit der nicht-eingehakten Hand winkt die junge Frau ab.
    Kann man denn überhaupt zu anspruchsvoll sein? Ich denke, es ist besser vorher seinen Maßstab hoch anzusetzen, anstatt den Rest seines Lebens mit einem Menschen zu verbringen, den man unmöglich findet.
    Da sie selbst sich nicht an ihre eigenen Ratschläge gehalten hat, erwartet sie jedoch von Aquilius nicht, es anders zu halten. Irgendwann würde er heiraten müssen, ob er wollte oder nicht.
    'jeden Abend in ihrem cubiculum besuchen komme ...' - diese Worte hallen wieder und wieder in ihren Ohren. Jeden Abend? Jeden Abend.
    Das scheint ihr so weit hergeholt, dass sie zu lachen beginnt.
    Meinst du das ernst? Jeden Abend? Ich meine, Gracchus und ich..
    Erschrocken schlägt sie die Hand vor den Mund und errötet.
    Ich.. äh.. also.. , beginnt sie zu stammeln.


    Um das Thema dezent zu übergehen, wechselt sie schnell ebendieses und beantwortet stattdessen die Frage nach ihrem 'Traumehemann'.
    Nunja, vermutlich einer, wovon alle kleinen Mädchen träumen.
    Schelmisch schmunzelt sie, während sie ihre Wunschvorstellung offenbart.
    Ursprünglich wollte ich immer den Kaiser heiraten.
    Ein breites Grinsen zeigt, wie schnell sie dies abgelegt hat.
    Später wurde ich ein wenig realistischer. Ich wollte ich eigentlich immer nur einen Mann, bei dessen Anblick ich nicht in Heulkrämpfe ausbrechen muss und der mich achtet und respektiert.
    Dass Gracchus in ihren Augen diesem Bild nicht entspricht, lässt sie unausgesprochen, weiß sie doch, dass Aquilius und er sich sehr schätzten. Wie sehr ahnte sie freilich nicht.

  • "Ich weiss es noch nicht ... wenn er mein einziger Erbe sein sollte, dann wohl schon, es hängt davon ab, ob ich heirate oder nicht," meinte ich und atmete tief ein. Der Gedanke war noch immer ein wenig beängstigend, ein Kind zu haben, ein lebendiges Wesen, das irgendwann höchstwahrscheinlich alle meine schlechten Eigenschaften aufweisen würde und Orestillas warmes Lächeln. "Zumindest habe ich dafür gesorgt, dass er und seine Mutter ein gutes Auskommen haben und sich über nichts Sorgen werden machen müssen."


    Einen Fischereibetrieb hatte ich gekauft, den Orestilla nun leitete, gerade einmal zwei Stunden des Weges von Rom entfernt, in der Nähe von Ostia - und die Fische, die dort verkauft wurden, waren gute Ware. Ich konnte sie jederzeit besuchen, aber ich fürchtete mich davor, ich wollte die Frau, die mich mit einer so großen Lüge hatte leben lassen, einstweilen nicht sehen. Auch, weil ich ahnte, dass etwas an dem Leben mit ihr mir fehlte, die Vertrautheit, die Nähe, das Teilen der Stunden voller harter Arbeit ... auch ich musste Gedanken vertreiben und lachte umso lieber über die Vorstellung des platschnassen Senators Aquilius. "Ich glaube, ich würde im Senat zumindest der auffälligste Senator werden, wenngleich nicht der eifrigste," meinte ich schmunzelnd und schüttelte den Kopf. Ihr Lachen machte mir selbst die Vorstellung, eines Tages wirklich im Senat zu sitzen, leichter, seltsam genug.


    "Zu anspruchsvoll zu sein führt einen selten ins Glück - ich denke, wenn man zuviel will, wird man viel eher enttäuscht als wenn man seine Ansprüche auf einem realistischen Maß hält," überlegte ich und wurde dann überrascht, als sie lachte. War es denn für sie so ungewöhnlich, dass ein Mann die Zeit mit seiner Frau verbrachte ...? Aber im gleichen Moment beantwortete ich mir die Frage selbst - sie war Gracchus' Frau, und ich war mir ziemlich sicher, dass Gracchus jede Gelegenheit nutzte, ihr fern zu bleiben, ausser, es war unbedingt notwendig. Er würde wohl nie wirklich Gefallen an Frauen finden, ebenso, wie ich wohl niemals einen Menschen ausser ihm finden würde, den ich lieben durfte, ohne vergeblich zu hoffen. "Natürlich meine ich das ernst," ich versuchte überzeugend zu klingen, auch wenn ich es mit einem Mal nicht mehr war.


    "Manche Männer schätzen die gemeinsam geteilte Leidenschaft mehr als andere, es ist eine Frage der Vorlieben - manche lesen gern, andere nicht, ein dritter schätzt die Mathematik, ein vierter gar nicht. Aber es geht nicht nur um die Leidenschaft alleine, sondern auch um gemeinsam verbrachte Stunden, in denen man sich unterhält oder einfach still nebeneinander liegt, um sich Nähe zu schenken." Alles, was mir Orestilla geschenkt hatte, die einfache peregrina mit dem warmen Lächeln. Die Lügnerin Orestilla. "Ich denke, Gracchus kann sich glücklich schätzen, nun doch nicht imperator werden zu müssen," versuchte ich das Ganze wieder auf die scherzhafte Ebene zu lenken. "Wobei ich ehrlich gesagt nie die Kaiserin heiraten wollte, sie war mir immer schon zu alt - auch wenn das nicht sehr charmant ist." Ich drückte ihre Hand sacht und zog sie weiter, tiefer in den hortus hinein, zwischen die tiefhängenden Äste der Weiden, die vor vielen Jahren dort gepflanzt worden waren und die Geräusche der villa vollkommen abzuschirmen wussten.

  • Du weißt bereits, dass es ein Sohn wird?
    Neckisch stuppst sie ihn in die Rippen. Es war schon ein wenig sonderbar: Fünf Minuten nach der Zeugung war der Mann im Prinzip überflüssig und dennoch wurde er als Krone der Schöpfung betrachtet.
    Zumindest zeigte dieses Exemplar seiner Gattung Verantwortungsbewusstsein und scherte sich nicht, wie viele hochgestellte Persönlichkeiten, nicht darum, was aus seinen zahlreichen unehelichen Nachkommen wurde.


    Du musst dann aber darauf achten, dass dein Purpurstreifen nicht verläuft. Sonst bist du nass und rot.
    Über die Vorstellung eines fleißigen Senators muss Antonia schließlich ebenso lachen, wie über die eines nass-roten. Nie könnte sie solche Scherze mit Gracchus machen, das weiß sie. Viel zu ernst, viel zu pflichtbewusst wirkt er immer. Allein Leontia vermag es, ihn aus der Reserve zu locken.


    Aber bedenke, meint sie schließlich und hebt schulmeisterhaft ihren Zeigefinger, Auch eine Enttäuschung, wenn sie nur gründlich und endgültig ist, bedeutet einen Schritt vorwärts.
    Sie weiß zwar nicht mehr, wo sie das aufgeschnappt hatte, doch scheint ihr das Zitat an dieser Stelle sehr zu passen. Triumphierend lächelt sie Aquilius an - nicht lange, denn für sie klingt Aquilius sehr überzeugend. Nun umso sicherer, dass ihr Mann sie abgrundtief verachtet, verstummt sie, blinzelt ihren Begleiter verwundert an und legt schließlich die Stirn in Falten.


    Nur schwach dringt ihr Lächeln wieder durch, keineswegs so befreit wie noch im Moment zuvor, eher bedrückt wirkt die Claudia.
    Nunja, ich wäre die Letzte, die Gracchus davon abhält Imperator zu werden.
    Allein darum, weil der Kaiser seine Frau sicher noch seltener sieht als der Sacerdos des Iuppiter die Seine.
    Was die Heirat mit dem Kaiser angeht.. ich glaube, es war mehr das Amt, weniger der Mann an sich. Wobei ich unserem Kaiser natürlich nicht zu Nahe treten will. Als Kind hatte ich ohnehin meine eigenen Vorstellungen vom Äußeren des Imperators.


    Abrupt bleibt sie stehen, lässt jedoch nicht von Aquilius' Arm ab, sodass er sie entweder weiter ziehen muss, oder es ihr gleich tun und stehen bleiben. Die Stille, die zwischen den Bäume herrschte, war ihr zu angenehm, um sie gleich wieder hinter sich zu lassen.

  • "Die Mutter hätte gerne einen Sohn und jede Amme, jeder Priester, den sie bisher aufgesucht hat, bestätigt ihren Wunsch, wissen die Götter, wieso sie alle glauben, das vorhersehen zu können - wohl weil das Kind besonders heftig gegen ihren Bauch tritt oder weil sie sich morgens dauernd übergibt, ich weiss es nicht," meinte ich und zuckte mit den Schultern, die Geheimnisse des Kindbetts waren etwas, von denen ich nicht unbedingt mehr wissen wollte als unbedingt nötig. "Im Grunde ist es mir egal, ob es nun ein Junge oder Mädchen wird, Hauptsache, es kommt gesund zur Welt und die Mutter überlebt die Geburt, es würde ihrem Vater das Herz brechen, käme sie zu früh in den orkus." Auch wenn ich manchmal nicht wusste, ob ich mir nicht genau das wünschte, um die Erinnerung an all ihre Lügen endgültig auszutilgen, all die Abende, in denen sie meine Ehefrau gespielt, mir Liebesworte zugeflüstert hatte, die doch nichts als eine Lüge waren ... ich zwang meine Gedanken zurück in die Realität und schmunzelte etwas über den rot gefärbten Senator.


    "Ich würde wohl eher unseren Schneider verklagen, wenn er mir solche Ramschware andreht, die beim ersten Wasserguss verläuft," überlegte ich und schüttelte dann amüsiert den Kopf. Auf was für Gedanken diese Frau doch kam! Man konnte fast meinen, sie hätte sonst nicht viel Gelegenheit, in dieser Form zu scherzen - aber gleichzeitig erstaunte es mich nicht unbedingt, Gracchus' Humor war subtiler und hintergründiger als unser beider Scherze es sein konnten. "Enttäuschungen zeigen einem meistens mehr über das Leben als Erfolge, da gebe ich Dir Recht, und wenn man danach nur weiss, wo man genau steht, es ist ein Fortschritt."
    Ihre Stimmung wechselte, und auch mich machte dies nun aufmerksam - was verbarg sie, warum wirkte sie auf einmal wieder so unglücklich, so gedämpft? Es drängte mich, dieses Geheimnis zu erfahren, ebenso, wie es mich drängte, mehr von ihr kennenzulernen, auch wenn sie viermal die Gattin Gracchus' sein mochte, sie faszinierte mich. Ich hätte sie hassen müssen, verabscheuen, beneiden, doch fehlten mir diese Gedanken, denn wie eine zufriedene Ehefrau wirkte sie nicht. Und ich wusste nur zu gut, wieso ihr Gracchus nicht der Ehemann werden würde, den sie sich vielleicht erhofft hatte.


    Ich bedeutete ihr den Weg zu einer kleinen Steinbank, die ein kluger architectus hier im hortus hatte aufstellen lassen, und nach einigen Schritten konnten wir uns setzen und die Stille des Augenblicks genießen. Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen den Stamm der hinter dieser Bank stehenden Weide und blickte zwischen den Zweigen hindurch auf die sorgsam angelegten Blumenrabatten, Hecken und Zierbäumchen, die zu jeder Jahreszeit ein buntes und vielschichtiges Bild boten - wenn es eines gab, was ich an der villa Flavia Felix wirklich schätzte, war das der hortus. Wenigstens für einen Moment konnte man hier das laute Rom vergessen.
    "Du bist hier nicht wirklich glücklich, nicht wahr?" fragte ich schließlich, ohne sie anzublicken.

  • Eine ganze Weile herrscht Stille zwischen den beiden Verwandten. Keine Verwandten des Blutes, vielmehr des Geistes. Und dennoch zögert Antonia, in diesem einem Punkt, der ihr gesamtes Dasein, ihren Aufenthalt in der Villa Flavia überschattet, ehrlich zu Aquilius zu sein.
    Nachdenklich sieht sie zu ihren Sandalen - etwas, das sie oft tut, wenn sie ihren Gatten in ihrer Nähe weiß, einfach nur, um nicht seinen vorwurfsvollen Blick ertragen zu müssen. Der Blick, der zu sagen schien, 'womit in aller Welt habe ich nur eine solche Versagerin als Frau verdient?'
    Mit ihren Händen stützt sie sich auf dem warmen Stein der Bank ab, die Schultern hat sie hochgezogen, fast, als wolle sie sich von fremden Blicken abschirmen. Sie blickt nicht auf, als ihr Begleiter sie anspricht. Auch als sie antwortet, fixiert sie den Boden.
    Nein.
    Ein zögerliches und sehr leises 'Nein', doch bestimmt genug, um über eine vorübergehende Laune einer gelangweilten Ehefrau hinweg zu täuschen.
    Wieder verstreicht einige Zeit, in der dieses 'Nein' unerklärt in der Luft hängt und zunächst wirkt die Claudia auch nicht so, als würde sie dies tun wollen. Doch schließlich hebt sie den Kopf, sieht nicht zu Aquilius, sondern auf ein nahes Blumenbeet.
    Ich glaube, ich bin ihm zutiefst zuwider. Er sagt zwar, dem wäre nicht so, aber ich weiß es. Ein Mann, der seine Frau nicht verachtet verhält sich anders.
    Er sagte, alles was er verlange, sei, dass ich ihm einen Erben schenke. Doch wie bei allen Göttern soll ich dies tun, wenn er sich weigert, einen zu zeugen? Erwartet er vielleicht, dass Iuppiter dies für ihn übernimmt?

    Schnell hat sie sich in Rage geredet und ebenso schnell verstummt sie, als ihr dies bewusst wird.

  • Sie schwieg lange, und ich befürchtete schon ernsthaft, dass ich mich zu weit vorbewegt hatte auf die zerbrechliche Oberfläche unserer neu entstandenen Vertraulichkeit, dass meine Worte sie hätten zersplittern lassen in unzählige kleine Trümmer, die sich niemals wieder würden errichten lassen. Dann sprach sie, und dieses leise 'Nein' bestätigte mir in seinem Klang, was ich geahnt hatte - der darauf hin folgende Ausbruch machte es nicht schlimmer, nur klarer. Wie sollte ich sie trösten, indem ich ihr nicht sagte, wie sich die Dinge verhielten? Dass ihr Gemahl einen anderen liebte als sie, dass ich derjenige war, dem Manius' Gefühle galten, dass ich am liebsten an ihrer Stelle gewesen wäre, hätte es irgendein Gesetz gegeben, das zwei Männern eine Lebensgemeinschaft ermöglichte, ohne von der Gesellschaft geächtet zu werden? Ich fühlte mich in diesem Augenblick so unendlich schuldig an ihrem Unglück, dass es mir die Kehle zuschnürte und jedes Wort im Hals steckenblieb, weil es nicht ausgesprochen werden wollte. Was sollte ich tun? Ihr und Gracchus irgendwie helfen und mir jeden Weg zu ihm damit unmöglich machen? Die beiden auseinander treiben und beider Leben in einer unglücklichen Ehe noch unglücklicher machen? Vielleicht würde es ihnen wirklich helfen, einen Erben zu haben ...


    Gleichzeitig erinnerte ich mich an den Tag ihrer Hochzeit, an dem ich Manius am liebsten fortgezogen hätte, irgendwohin, dass er sich nicht vor den Göttern versprechen würde, und doch hatte ich es nicht gekonnt. Ich konnte ihn vor nichts schützen, und auch sie würde ich nicht schützen können ... oder vielleicht doch? Ich wusste nicht, ob Manius fähig war, ein Kind zu zeugen, aber von mir selbst wusste ich das genau.
    "Hast Du Dir schon einmal überlegt, dass Gracchus' Zurückhaltung nicht Dir gilt, sondern eine generelle Lebenseinstellung sein könnte? Ich erfuhr erst neulich, dass er wohl einstmals eine discipula ausgebildet hat, die nach kürzester Zeit den cultus deorum verließ, ohne Gründe zu nennen. Vielleicht ist er generell nicht der Mann, der mit Frauen gut zurechtkommt, bedenke, dass er den ganzen Tag nur mit Pflichten und Arbeit - und Männern! - zu tun hat. Da geht leicht das Gefühl für andere Bedürfnisse verloren. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass er Dich verachtet, denn ich weiss, wie er jemanden behandelt, den er verachtet, und Dich behandelt er anders."


    Was tat ich hier? Versuchte ich wirklich, diesen beiden ihre Ehe zu erklären, etwas zu verbessern an dem, was war? Und doch, ich konnte nicht anders, ich wollte ihn glücklich sehen, wenn ich es schon nicht tun konnte, und sie ... sie sollte nicht leiden müssen, weil eine Liebe existierte, die wir nicht leben durften. "Vielleicht verlangt er nur deswegen allein einen Erben, weil Du ihm zu kostbar bist, um noch mehr von Dir zu verlangen. Vielleicht wagt er nicht, von dir mehr zu fordern, als allein dies, Antonia, denn Du bist schön, gebildet, klug ... wieviele Frauen vereinen solche hervorragenden Eigenschaften schon auf sich? Wäre ich nicht ein unverbesserlicher Freund von Schönheit und herausragenden Frauen, wäre ich wohl von Schüchternheit befangen und würde nicht wagen, Dich anzusprechen ... wie soll es einem Mann da gehen, der weniger Erfahrung im Umgang mit Frauen hat?"

  • Ein verächtliches Schnauben ist zunächst die einzige Antwort, die Antonia sich gestattet, ehe sie sich ruckartig von ihrem Sitzplatz erhebt und einige Schritte auf und ab geht.
    Das ist Unsinn und das weißt du.
    Mittlerweile stehen geblieben sieht sie, die Arme verschränkt, zu Aquilius.
    Hast du ihn je mit Leontia gesehen? Oder Tiberia Livia? Es ist, als wäre er ein anderer Mensch.
    Schmerzlich ist ihr jeder dieser Momente in Erinnerung. Wie oft hat sie sich gefragt, was sie so sehr von diesen anderen Frauen unterschied, was sie falsch machte, dass ihr Gatte sie gänzlich anders behandelte.


    Seine letzten Worte lassen sie erneut einen Moment verstummen. Und erneut widerspricht sie, als würde sie sich zwanghaft ein Versagen auferlegen wollen.
    Leontia ist schön, klug und gebildet. Tiberia Livia ist schön klug und gebildet.
    Seufzend setzt sie sich wieder, legt hilfesuchend eine Hand auf die von Aquilus.
    Was ist es, Aquilius? Sag es mir. Was mache ich falsch? Was ist nicht richtig an mir? Du kennst ihn doch schon so lange.
    Doch schon im nächsten Moment kommt sie sich albern vor. Eheberatung bei einem unverheirateten Verwandten ihres Mannes.. was dachte sie sich nur dabei? So zieht sie ihre Hand wieder zurück, doch ausgesprochen war es nun einmal.

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