Auf leisen Sohlen, geschmeidig wie eine Katze, betrat Salambo das Gemach, das still und leer der Rückkehr seiner Bewohnerin, der Herrin Flavia Minervina harrte. In der Hand hielt die Nubierin einen fein säuberlich versiegelten Brief, deutlich adressiert, mit einem leuchtendblauen Band darum - das Schreiben, das ihre Herrin noch vor ihrem überstürzten Aufbruch an ihre Base gerichtet hatte. Salambo, die es ins Reine hatte schreiben müssen, und über den Inhalt bestens informiert war, musterte das Schriftstück einen Augenblick lang skeptisch. Sie bezweifelte dass es klug war, dieses weiterzugeben.
Doch treue Dienerin die sie war, plazierte sie es nichtsdestotrotz gut sichtbar auf einer Kommode. Sorgfältig beschwerte sie eine Ecke mit einem silbernen Kosmetikdöschen, dann musste sie aber noch ganz kurz den Inhalt des Döschens ausprobieren. Es handelte sich dabei ein herrliches kirschfarbenes Lippenrot... Und es schmeckte sogar nach Kirschen! Verzückt lächelte die Nubierin sich kurz im Spiegel zu, dann verließ sie das Cubiculum so still und leise wie sie gekommen war. Und bald darauf verließ sie ebenso still die Villa und machte sich auf den Weg nach Ravenna, wo es eine weitere Botschaft zu überbringen galt.
Liebe Minervina,
mein Entsetzen als ich von den furchtbaren Dingen, die Dir in Hispania widerfahren sind, hörte, war grenzenlos! Den Schrecken, den Du ausgestanden haben mußt, liebe Cousine, vermag ich mir nicht einmal vorzustellen. Doch ich danke den Göttern und Genien dass sie Dich letztendlich errettet haben! In dem Moment da ich dies niederschreibe müsstest Du, wie man mir sagte, bereits wieder auf dem Rückweg zu uns sein. Ich hoffe, dass Du wohlbehalten und bald hier ankommen wirst.
Wie gerne würde ich Dich herzlich in die Arme schließen, meine liebe Cousine, doch leider zwingen die Umstände mich, die Villa und Rom in Eile zu verlassen. Darum hinterlasse ich Dir diesen Brief, und hoffe Du verzeihst, dass ich Dir meine Bestürzung ob Deines Unglückes, so wie meine tiefempfundene Freude anlässlich Deiner Heimkehr nur mit diesen dürren Worten auszudrücken vermag.
Hier hat sich einiges zugetragen, seit Deiner Abreise. Vetter Marcus ist nun verlobt, mit einer reizenden Claudierin in unserem Alter, die, wie ich neidlos anerkenne, über ein ganz exquisites Gespür für Modefragen und das was en vogue ist verfügt.
Doch bei der Feier, welch Eklat! Serenus, unser lieber kleiner Neffe, sandte ihr als Geschenk eine tote Ratte! Und das vor allen Gästen. Es war schockierend, und das kleine Biest (die Ratte) so grauslich dass mir darob vor Entsetzen gar die Sinne schwanden. Seit der Verlobungsfeier ist Serenus verschwunden, er scheint nach allem was man hört mit einigen Getreuen die Villa verlassen zu haben, aus Trotz nehme ich an, und es fehlt bisher jede Spur. Wir sorgen uns alle sehr um ihn.
Vetter Marcus wird in den Krieg gegen die Parther ziehen müssen. Ich habe keinen Zweifel, dass er diesen abscheulichen Barbaren die Allgewalt unseres Imperiums machtvoll demonstrieren wird, und doch bleibt natürlich die Besorgnis um unseren lieben Verwandten. Er ist doch gar zu leichtsinnig und impulsiv, genau wie sein Sohn.
Was mich angeht, so gibt es umwälzende Neuigkeiten. Stell Dir vor, ich werde, gerade so wie Du es mir damals in den Thermen vorgeschlagen hast, eine Reise nach Aegypten unternehmen! Gemeinsam mit Gracchus werde ich noch heute nach Ostia aufbrechen, wo wir uns unverzüglich einschiffen werden. (Darum, liebe Minervina, verzeih bitte die stilistische Nachlässigkeit dieser an Dich gerichteten Epistel - es handelt sich dabei um einen Tribut an die mir gebotene Eile.)
Sicher fragst Du Dich wie es dazu kam. Nun, ich erhielt eine Botschaft meines Vater in der er mich zu sich nach Ravenna zitierte, um dort meine Vermählung mit einem ganz und gar degoutanten, wüsten alten Senator einzuleiten. Im ersten Moment war ich fassungslos. Mein Jammer kannte keine Grenzen. Doch dann, bestärkt durch die Zusprache meines lieben Vetters, Deines Bruders, Gracchus, beschloss ich etwas Ungeheuerliches: Ich werde mich nicht an einen degenerierten alten Libertin verschwenden. Ergo muss ich mich meinem Vater widersetzen.
Noch jetzt überläuft mich, da ich diesen Entschluss schwarz auf Weiß niederschreibe, ein Schauer. Niemals hätte ich gedacht, dass ich jemals zu so etwas fähig wäre! Doch ich hoffe, liebe Minervina, und denke dies auch aus Deiner selbstbestimmten und freimütigen Art schließen zu können, dass Du für meine Entscheidung Verständnis aufzubringen vermagst? Sollte ich mich da irren, so bitte ich Dich flehentlich um Verzeihung, Dich, wenn auch nur in Gedanken, zur Komplizin meiner Auflehnung gemacht zu haben.
Erst einmal werden Manius und ich Aegypten bereisen. Ich fiebere den Wundern an Schönheit und Gelehrsamkeit die dieses Land birgt, bereits ungeduldig entgegen. Es ist ja überhaupt das erste Mal, dass ich Italia verlassen.
Dein Bruder ist ein großartiger Mensch! Und er überrascht mich immer wieder. Ich bin ihm so dankbar für seine liebe Unterstützung in diesem Moment da ich am Scheideweg meines Lebens stehe. Ohne ihn hätte ich niemals die Kühnheit aufgebracht, den Weg des Widerstandes gegen meinen Vater einzuschlagen.
Es schmerzt mich, liebe Minervina, dass wir uns nun wohl für eine noch längere Zeit nicht sehen werden. Doch eventualiter, so dies auch Dein Wunsch ist, könntest Du Dich uns nachträglich anschließen? Ich werde mit Gracchus darüber sprechen, und Dir nach unserer Ankunft neue Nachricht senden.
Und - beinahe hätte ich es vergessen! - bitte sprich mit niemandem über diese Dinge. Ich lasse nämlich verlauten, dass ich nach Ravenna aufbreche. Eine läßliche kleine Verdrehung der Wahrheit dünkt mir das, dazu bestimmt Zeit zu gewinnen, bevor mein Herr Vater die Verfolgung aufnimmt. Oh, wie wird er toben wenn er den wahren Sachverhalt erfährt!
Liebe, hochgeschätzte Cousine, ich schließe diesen Brief nun, da die Zeit drängt. Ich wünsche Dir das Allerbeste! Erhole Dich gut im Schoße der Familie und laß Dich von den Reizen der Stadt beflügeln und zerstreuen.
Es grüßt Dich von Herzen
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PS. Über Nachricht von Dir würde ich mich freilich sehr freuen. (Du könntest als Adresse vorläufig die Hafenmeisterei von Alexandria wählen. Ich werde dort nach Korrespondenz fragen lassen.)