Die Ankunft der Nichte

  • Je näher sie der Villa kamen, umso mehr hob sich die Stimmung der Männer. Marcus ihr Anführer überlegte zwar noch, welche Begründung er dem Tribun gegenüber geben sollte, warum seine Nichte die letzten Tage über im Wgen eingesperrt verbringen musste, doch irgendwie war ihm das jetzt auch schon egal. Dass die kleine Furie ihrem Onkel davon erzählen würde davon ging er zumindest aus. Seufzend lenkte er sein Pferd vor die Villa und stieg ab. Insgeheim wünschte er sich zurück in den aktiven Dienst und hätte liebend gerne auf der Stelle gegen die Germanen gekämpft. Müde wartete er, bis sich alle Männer gesammelt hatten und der Wagen seine Position vor der Villa erreicht hatte.


    "So da wären wir !"


    rief er laut und wartete einen Moment auf das unvermeidliche Gezeter, welches gleich aus dem Wagen erschallen würde. Doch es blieb still. Und diese Stille beunruhigte ihn nur noch mehr.


    "Du da ! Geh und hole Jemand der die Nichte von Aurelius Corvinus in Empfang nehmen kann !"


    rief er eilig einem Sklaven zu, der zufällig neben dem Haus stand und offensichtlich gerade dabei war sich um den Garten zu kümmern. Die letzte Order die Nichte persönlich an den Tribun zu übergeben wollte er nicht mehr so eng sehen. Sie waren sehr gut bezahlt worden für diesen Auftrag, doch irgendwann waren auch seine Nerven am Ende.

  • Der Brief meiner Schwägerin war bereits vor etwas mehr als einer Woche eingetroffen und hatte zumindest versucht, mich in irgendeiner Weise auf das vorzubereiten, was mir bevorstand. Irgendwie waren in einem Punkt alle aurelischen Frauen gleich, dämmerte es mir bei einem Becher guten Weines und mit dem Brief in der Hand, in jungen Jahren waren sie kleine Furien, sobald sie aber älter wurden, nahmen sie mehr und mehr angemessenes Verhalten an. Das war bei Helena so gewesen, bei Verina, Licinia und nun auch bei Prisca. Einzig Deandra schien aus der Rolle zu fallen, daher vermutete ich, dass es am aurelischen Blut lag, eine andere Erklärung gab es nicht.


    Jener Brief war mir also überbracht worden, als ich eben noch guter Dinge in meinem officium gesessen und gearbeitet hatte. Nun, die gute Laune war recht bald verflogen und hatte einem unguten gefühl Platz gemacht. Abermals wurde mir so vor Augen geführt, dass ich der einzige noch lebende, direkte Verwandte meiner kleinen Nichte war. Maxentius, Regulus, Iustus...alle waren bereits ins elysium gegangen, und Vespa sollte nun folgen. Ich erinnerte mich nur mehr schemenhaft an ihr Aussehen, wusste aber noch, dass der Klang ihrer Stimme stets sanft gewesen war. Wie lange war das nun her, wahrhaftig schon sechzehn Jahre? Es musste kurz vor meiner Abreise nach Griechenland gewesen sein, mutmaßte ich.


    Nun, jedenfalls erteilte ich gerade zwei Sklaven im atrium stehend einige Anweisungen, als der ianitor auf mich zu kam und davon redete, dass soeben ein Wagen vorgefahren war, welcher meine Nichte wohl beherbergte. Ich schürzte die Lippen, war gespannt, wie sie nun wohl aussehen mochte, und ließ die beiden Sklaven mit einer Handbewegung abziehen. "Ich komme sofort", entgegnete ich. Der ianitor nickte und verschwand, um draußen die Ankündigung an die ehemaligen Soldaten, welche die aurelische Eskorte darstellten, weiterzugebe. Ich selbst indes machte mich auf, um Prisca zu begrüßen.


    Gemessenen Schrittes trat ich schließlich aus dem Haus, blieb kurz unter der Tür stehen und erfasste die sich mir bietende Szenerie. Eine Frau hingegen sah ich nicht, nicht einmal eine Sklavin. Wollte sie denn nicht aussteigen? Ich sagte nichts, denn mein Blick musste genügen, als ich den Anführer fragend und fordernd zugleich ansah.

  • Marcus hatte in der Zwischenzeit schonmal den Riegel an der Wagentür entsichert und war dabei so vorsichtig vorgegangen, als würde er einen Löwenkäfig öffnen. Doch nichts geschah. Weder die kleine Furie noch ihre Sklavin, die sie zwangsweise mit einsperren mußten, rühten sich. Er öffnete die Tür einen Spalt um ein wenig Luft hinein zu lassen. Wieder geschah nichts und Marcus bekam es langsam mit der Angst, aber in dem Moment hörte er auch schon Schritte und als er sich umdrehte, blickte er in die fragenden Augen eines Mannes.


    "oh..Salve ! Ihr müsst Aurelius Corvinus sein !"


    grüßte er überrascht und alle militärischen Grußformeln vergessend. Doch die Erscheinung und sein Gefühl sagten ihm das es der Tribun sein musste.


    "Entschuldigt bitte mein Benehmen ! ich und meine Kameraden sind schon seit 2 Jahren nicht mehr im Dienst. Aber wir fühlen uns irgendwie noch zu jung, um in den Ruhestand zu treten."


    versuchte er seine ungebührenden Umgangsformen zu entschuldigen und was den Ruhestand betraf. Den würden sie nach diesem Abenteuer sicher gerne wählen.


    "Aber wir sind zuverlässige Männer ! Und bringen Euch Eure Nichte .... unversehrt und heil, wie es uns ihre Mutter aufgetragen hatte."


    naja, da war er sich irgendwie in diesem Moment nicht mehr ganz so sicher und äugte noch einmal in Richtung der Wagentür. Doch aus dem Inneren war kein einziger Laut zu vernehmen. Fragend blickte er zurück zu dem Tribun und zuckte mit den Schultern. Vielleicht sollte dieser mal nach seiner Nichte rufen dachte er. Und für den Fall, dass sie nicht mehr ... na, er machte sich schon einmal bereit zu sterben.

  • Ich beäugte den Mann kritisch und fragte mich, warum er meiner Nichte nicht aus dem Wagen half, statt hier große Reden zu schwingen. Ich schürzte die Lippen und räusperte mich. "In der Tat, der bin ich. Gut, dann wäre das also geklärt. Und wo ist meine Nichte nun?" fragte ich noch einigermaßen entspannt, immerhin hatten die Männer wohl gute Arbeit geleistet und Prisca sicher hierher geleitet, es gab hierfür also keinen Grund, missgestimmt zu sein. Dennoch machte mich das Verhalten zugegebenermaßen etwas stutziig.


    Ich ging die wenigen Stufen herunter und trat auf den Wagen zu, um Prisca angemessener begrüßen zu können. Sie schien nicht viel Gepäck und kaum Sklaven mit sich zu führen, was an sich für eine Frau schon verwunderlich war. Wahllos deutete ich auf einen der umherstehenden Männer und dann auf den Wagen. "Hilf ihr hinaus. Und du", sagte ich und wandte mich zu dem Mann, der eben mit mir gesprochen hatte, "wirst mir auf der Stelle sagen, was hier vor sich geht."

  • Die ganzen Tage über schon hatte sich Prisca ihren Racheplan sorgfältig zurecht gelegt. Diese Männer sollten ihre Strafe erhalten für ihre Untat, die einzig darin bestanden hatte sie einfach einzusperren. Ohne Grund selbstverständlich ! Jedenfalls wertete Prisca ihren Versuch davon zu laufen nicht als Grund für solch ein Benehmen. Erschwerend kam hinzu, das sie kaum Gepäck mitnehmen durfte, als die Männer sie ihn Athen mit dem Schreiben ihrer Mutter regelrecht überfallen hatten. Jedenfalls waren Mutters Worte unmissverständlich gewesen: Reise zu deinem Onkel oder es gibt kein geld mehr. Ja nun sollten diese Männer für all das ihre Strafe erhalten. Und das beharrliche Schweigen war ein Teil ihres Planes!


    Doch nun nachdem sie angekommen waren grübelte sie darüber nach, ob ihre Taktik noch die Richtige wäre. Ihr Blick traf die Sklavin, die ihr schon die ganze Zeit über auf die Nerven gegangen war. Sie war zwar ganz hilfreich gewesen, aber eben eine Sklavin die diese Männer ausgesucht hatten, nicht sie selbst.


    "Verschwinde !"


    rief sie und schickte sie mit einer Handbewegung aus dem Wagen. Dann dachte sie nach, während sie den Männerstimmen da draußen lauschte. Wie es schien war ihr Onkel persönlich anwesend und dieser Umstand bedurfte einer leichten Planänderung. Noch bevor der Legionär ihrem Onkel antworten konnte rief sie.


    "Nicht nötig, ich kann alleine gehen !"


    Sie wollte keine Hilfe und am wenigsten wollte sie von einem dieser verschwitzten stinkenden Ex-Legionäre berührt werden. Langsam und würdevoll schritt sie die Stufen des Wagens ab. Ein leichtes Zögern, denn nun musste sie ja doch diesen verhassten Boden betreten.Da sie die übrigen Gesichter bereits kannte und Sklaven von Freien unterscheiden konnte, blieb als einzig fremdes Gesicht das ihres Onkels übrig. Ihre Augen musterten ihn ein paar Sekunden und Prisca musste zugeben, dass dieser Mann einen recht stattlichen aber auch sympathischen Eindruck auf sie machte. Also ging sie zu ihm und setzte ihr Begrüßungslächeln auf.


    "Salve ! mi patrue ...ich freue mich Dich nach all den Jahren einmal persönlich zu treffen. Meine Mutter hat mir schon so Vieles von Dir erzählt "


    Das stimmte sogar, nur hatte sie meist nicht richtig zu gehört und dachte einen Moment darüber nach ob sie ihn überhaupt Onkel nennen sollte. Ja, doch das schien zu passen. Jedenfalls war ihr neuer Plan gefasst: Familientreffen über sich ergehen lassen - Heimreise antreten - Mutter zur Rede stellen - Erst dann diese Männer bestrafen lassen.

  • Sichtlich gereizt von der langen Reise - ich hatte unsere Ankunft hier ebenfalls noch recht gut in Erinnerung - warf Prisca zuerst die Sklavin aus dem Wagen, welche ins Straucheln geriet, aber von einem der Männer aufgefangen und auf ihre Beine gestellt wurde. Nur wenig später hob ich zum ersten Mal die Braue, da dieser schroffe Ton so gar nicht recht zu meiner Nichte passen wollte, welche nun anmutig und geschickt die drei hölzernen Tritte hinunter stieg, kurz im Schritt verhielt und letztendlich auf germanischem Boden ankam. Der Blick, mit dem sie die Männer maß, war nicht gerade freundlicher Natur, ganz im Gegenteil. Da ich ein guter Beobachter war, fiel mir dies auf. "Übergebt die Pferde den Stallburschen, ihr könnt euch stärken und einige Tage ausruhen, Naavi wird sich um Priscas Gepäck kümmern und euch alles zeigen. Geht jetzt", wies ich die Männer an. Naavi verbeugte sich und machte sich bereit, die Männer ins Innere der villa zu führen.


    Als Prisca auf mich zu kam, ging ich ihr entgegen und machte schließlich eine allumfassende Geste, die zuletzt auf das Haus deutete, welches hinter mir aufragte. "Auch mir ist es eine Freude, Prisca, willkommen in Germanien und willkommen in der villa aurelia. Ich hoffe, deine Reise war angenehm? Du musst hungrig sein und müde. Komm, gehen wir doch hinein", schlug ich vor und wandte mich halb um, eine entsprechende einladende Geste machend. Dabei konnte ich die Auge nicht von ihrer Nase lassen, welche meiner sehr ähnelte. Zweifelsohne waren wir verwandt, und zweifelsohne war dies Iustus' Tochter, das verrieten ihre Augen. "Als ich dich das letzte Mal sah, warst du ungefähr so groß und hast mit Holzklötzen gespielt", sagte ich schmunzelnd und stieg die Treppe bereits hinauf.

  • Prisca selbst warf den Männern noch einmal vernichtende Blicke zu, denn wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten sie nichts zu Essen bekommen. Dennoch gefiel ihr der bestimmende Ton ihres Onkels den Männern gegenüber und außerdem mussten sich die Männer ja stärken für die Rückreise. Da ihr Onkel von einigen Tagen sprach, keimte in ihr zumindest die Hoffnung, dass es auch für sie selbst doch recht bald zurück in die Heimat gehen würde. Und ein paar Tage würde sie es schon aus halten.


    "Ich danke Dir für Deine herzliche Begrüßung Onkel ! ... und nein, die Reise war alles andere als angenehm und hat mich doch sehr mitgenommen. Ein paar Speisen und Schlaf werden mir sicher darüber hinweg helfen. Vor allem aber ein Bad und etwas Körperpflege."


    erwiderte Prisca zuerst freundlich und lies dann etwas ihren Unmut über den Reiseverlauf mit einfliessen. Ihr Blick fiel unterdessen auf die Villa, der sie sich gemeinsam näherten. Sie war überrascht ein Haus dieser Größe hier vorzufinden. Zu Hause bei ihren Freundinnen hatten sie sich immer Geschichten darüber erzählt, wie ärmlich hier selbst die Römer hausen mußten. In Holzhütten und mit Waschzubern im Freien, wie sie sonst nur die Sklaven benutzten. Zugegeben da hatten sich alle geirrt. Prisca würde diesen Irrtum aber mit Sicherheit daheim nicht aufklären, denn dann müsste sie ja zugeben, selbst in Germanien gewesen zu sein.


    "Wirklich sehr schön hier Onkel ! und ich freue mich die paar Tage, die ich hier sein werde, in Deinem Haus verbringen zu dürfen."


    Ja da war sie wirklich etwas erleichtert, obwohl sie noch immer nicht wusste, ob das Bad nicht doch im Freien lag. Jedenfalls musste sie bei seiner Bemerkung über die Holzklötze ebenfalls ein wenig schmunzeln, wenngleich sie sich nicht vorstellen konnte, sich jemals mit so etwas einfachem wie Holzspielzeug abgegeben zu haben.


    "Ja, die Zeit vergeht so schnell. Ich finde es direkt schade, das wir uns erst nach solanger Zeit wiedersehen. Und dann auch noch so kurz. Willst Du und Deine Familie uns nicht einmal besuchen kommen, wenn ihr wieder in der Heimat seid ? Hier unter den Barbaren zu hausen muss doch auf Dauer schrecklich sein ?"


    redete sie unverdrossen weiter und Prisca klang direkt mitfühlend für die eigene Verwandtschaft. Jedenfalls war das, was sie über das Wiedersehen sagte ernst gemeint, auch wenn ihre Hauptsorge im Moment ganz der eigenen baldigen Rückkehr nach Rom galt.

  • Seite an Seite gingen wir nun also auf das Haus zu und betraten es bald darauf. Ich führte Prisca ins atrium, welches spärlicher als jenes in Mantua oder gar jenes in Rom verziert war. Ich hatte mir nicht die Mühe gemacht, Ahnenbüsten und Statuen hierher schaffen zu lassen, da mein Aufenthalt ohnehin nur begrenzt war. Und zudem hoffte ich ja, dass man mich zu den nächsten Wahlen zulassen würde, und wenn dies der Fall war, würden wir hier die Zelte abbrechen und neuerlich nach Rom reisen, zurück in die italische Heimat. Ich wies zwei bereitstehende Sklaven an, ein cubiculum vorzubereiten und eine Stärkung für die frisch Eingetroffene zu bringen, welche sie im triclinium würde einnehmen können, und zwar in meiner interessierten Gesellschaft. Für ein Bad wäre später noch Zeit. "Ah, ich verstehe. Es gibt in der Tat auch nur wenige mansiones auf dem Weg von Rom hierher, welche mehr hermachen als ein einfaches Gasthaus es könnte. Nun, der Verzicht wird hier ein Ende haben, Prisca, die Uhren mögen hier anders ticken und die Umgebung einem ebenso fremd wie die Leute erscheinen, aber man gewöhnt sich daran. Bald hat man sich gut eingelebt", entgegnete ich. Ihre Aussage mit den wenigen Tagen konnte ich nicht recht nachvollziehen. Hatte Vespa ihr wirklich nichts, aber auch gar nichts erzählt? Prisca indes plapperte munter weiter. Ihre nächsten Worte verrieten mir, dass meine Befürchtung Tatsache war. Nachdenklich führte ich Prisca ins triclinium, in welchen Korbmöbel und Liegen standen. "Bitte, setz dich", bat ich sie und setzte mich selbst unverzüglich auf eine Liege. Vespa hatte von eine auferlegten Bürde gesprochen, und jetzt wusste ich auch, was sie damit meinte. Ein Sklave brachte bereits gekühlte Getränke und erkundigte sich leise nach Priscas Wünschen, ob sie Wein, Wasser oder gar Saft wünschte, welcher aufgrund von Deandras Vorlieben stets im Hause vorzufinden war. Ich selbst entschied mich für Wein, und zwar unverdünnten. Nachdenklich musterte ich Prisca, im Stillen nach Worten suchen, welche nicht hart oder herzlos klangen. Auf mein Gesicht schlich sich ein bedauernder Audruck. "Prisca..." begann ich zögerlich und legte meine Hände zusammen, legte die Unterarme locker auf meine Knie und blickte sie an. "Was hat deine Mutter dir erzählt?" fragte ich zuerst einmal nach, um sicher zu gehen, ob sie wahrlich nichts wusste oder mich nur zum Narren hielt. Drei Sklaven erschienen im Raum und brachten Platten mit kaltem Braten, Obst, Käse, Brot und verschiedenen germanischen Quarksorten, an welchen ich Gefallen gefunden hatte. Sie warteten darauf, dass Prisca etwas auswählte, um es ihr auf den Teller zu füllen. Ich selbst griff nach einem Stück Brot und krümelte damit herum, ohne es zu essen. Ich konnte schon jetzt sagen, dass ich mich wohl selbst gehasst hätte, wenn ich von mir hätte erfahren müssen, dass der einzige Mensch in meinem Leben gestorben war, der mir je etwas bedeutet hatte.

  • Es war, wie Prisca befürchtet hatte. Schon beim Betreten des Hauses fiel ihr die ungleich einfachere Ausstattung auf die sie von zu Hause her gewohnt war. Hier länger als ein paar Tage zu leben konnte sie sich wahrlich nicht vorstellen. Doch zeigen wollte sie es auch nicht, denn sie fand ihren Onkel sogar sehr nett. Nur warum sie ihn ausgerechnet jetzt und hier treffen sollte wollte Prisca immer noch nicht einleuchten. Eigentlich hätte sie sich lieber erst zurückgezogen, um sich frisch zu machen. Aber gut, das hätte vielleicht dann doch zu lange gedauert. So folgte sie ihrem Onkel brav und lauschte seinen Worten.


    "Ja in der Tat ! aber für mich ist dieses Land nicht nur fremd, es ist schrecklich. Und sich daran gewöhnen ? Bei den Göttern, das kann ich mir nicht vorstellen. In Athen konnte ich zumindest Gefallen an den kulturellen Stätten und der Landschaft finden. Doch hier ? "


    bekundete sie weiterhin ihren Unmut über ihre unfreiwillige Reise nach Germanien, während sie das triculum betraten und sie sich auf die Bitte ihres Onkels hin, wie es sich gehörte, in einem der Korbsessel nieder lies. Schon kam ein Sklave und sie überlegte kurz das nach dieser Reise nur etwas Wein ihr helfen würde.


    "Wein, verdünnt !"


    antwortete sie knapp dem Sklaven ohne ihn dabei an zu sehen. Ihr Blick schweifte stattdessen durch den Raum und blieb an ihrem Onkel hängen, als dieser in einem etwas seltsamen Tonfall ihren Namen nannte. Und als dann diese seltsame Frage folgte, legte sie ihren Kopf etwas zur Seite während sie darüber nachgrübelte was das zu bedeuten hatte und erwiderte.


    "Was mir meine Mutter erzählt hat ? Nun wie meinst Du das Onkel ? Sie hat mich - zugegeben - etwas überrascht, als sie mir vor einem Jahr den Vorschlag machte, ich solle auf eine Studienreise gehen. Das tat ich dann auch ihr zu Liebe. Und habe es nicht bereut, denn Griechenland ist in der Tat ein schönes Reiseziel. "


    Dass sie in dieser Zeit weniger studiert und sich dafür umso mehr amüsiert hatte, verschwieg sie besser. Prisca machte eine kurze Pause um von den dargereichten Speisen zu wählen. Sie deutete auf den Braten, das Obst und das Brot. Diese undefinierbare und unförmige Speise, die wie Brei aussah ignoriete sie.


    "Aber als sie mir dann vor einigen Wochen diesen Brief, zusammen mit einer Eskorte von alternden Soldaten schickte und sie mich dirket zwang, hierher nach Germanien zu einem geplanten Familientreffen zu reisen war ich doch etwas irritiert. Und jetzt wo mir scheint, dass Du und Deine Familie ohnehin in absehbarer Zeit zurück in die Heimat kehren werdet bin ich sogar sehr wütend auf sie ! Warum tut sie mir das an ? Schickt mich hierher, anstatt das Familientreffen zu Hause zu arrangieren. Ich habe doch Recht, oder kannst Du Dir ein solches Verhalten erklären, Onkel ?"


    Prisca geriet richtig in Rage als sie daran zurückdenken musste, wie sie unter diesem Geleitschutz reisen musste. Den Brief ihrer Mutter hatte sie ohnehin zerrissen, den Wortlaut kannte ihr Onkel nun. Nur die Drohung ihrer Mutter das Geld zu streichen, was letztendlich den Ausschlag gab hierher zu reisen, lies sie unerwähnt. Stattdessen schüttelte sie wütend über ihre eigene Mutter nur den Kopf und aß lustlos ein Stück von dem Braten. Dann blickte sie wieder erwartungsvoll zu ihrem Onkel. Wenigstens er musste doch etwas Verständnis für ihre Situation haben.

  • Welch schweres Los mir Vespa zugedacht hatte. Ich saß auf der Liege, den Becher in der Hand, und betrachtete meine zierliche, ja beinahe zerbrichlich wirkende Nichte, auch wenn es nur so schien und sie keinesfalls zart besaitet war, sondern durchaus ihre Meinung kund tun konnte, wie sie vor dem Haus bewiesen hatte. Ihre Worte sprach sie ganz in dem Glauben aus, dass sie nur für die Kurzweil eines Besuchs hier ausharren musste. Ich hob die Hand und legte sie in den Nacken, den Kopf etwas zurückgelehnt und die Decke kurz musternd. Sie musste getüncht werden, stellte ich fest.


    Als Auch Prisca ihren Wein hatte, hob ich den Becher. "Es freut mich außerordentlich, dass du hier bis, Prisca, auf dich", sagte ich und nahm einen tiefen Schluck des roten Rebensaftes, nachdem ich etwas für die Götter auf den Boden gegossen hatte. Ich fragte mich ohnehin, wie die Sklaven immer wieder die Weinspritzer aus dem Polster der Liegen bekamen, denn wenn man lag oder saß, spritzte es immer wieder auf den guten Stoff. Priscas Äußerungen aber holten mich bald aus den Gedanken und zurück in die Realität. Fast war ich versucht länger über Griechenland zu reden als es angemessen war, nur, um vom eigentlichen Thema abzulenken. Doch wie es mit fast allen unangenehmen Dingen war, so schien es auch hier zu sein: Je schneller man sie hinter sich gebracht haben würde, desto schneller würde man sie auch vergessen haben.


    "Griechenland ist ein sehr schönes Land, ich war ja ebenfalls dort. Die Tempel scheinen mit mehr Muße gebaut, und dieses Leichtdenken scheint jedem Stein, jeder Säule innezuwohnen. Die Menschen sind aufgeschlossen und freundlich, und je weiter ich in den Osten reiste, desto mehr habe ich mich heimisch gefühlt. Vermutlich ist doch etwas dran an der behauptung, dass man seinen Wurzeln niemals untreu werden kann im Unterbewusstsein", sagte ich und dachte daran, dass wir Aurelier in Syria unseren Urpsrung fanden. Doch genug hatte ich bereits das heikle Thema verschoben, nun galt es, Nageln mit Köpfen zu machen. Ich holte Luft und begann erneut. "Prisca... Ich verstehe deine Missbilligung, was Germanien anbelangt, doch ich fürchte, dass du keine andere Wahl haben wirst, als hier zu bleiben, bis ich mein Tribunat beendet habe, was noch fünf Monate andauern wird - bitte, höre mir zu, ehe du etwas sagst. Deine Mutter sandte mir vor kurzem einen Brief und bat mich, auf dich acht zu geben. Sie litt an Aussatz, und dies war auch der Grund, aus dem sie wollte, dass du hierher kommst. Deine Mutter war dem Tod näher als dem Leben, als sie die Zeilen auf das Pergament setzte. Sie ist ins elysium gegangen. Es tut mir sehr leid, dass du es auf diese Weise erfahren musst." Und es tat mir wirklich leid. Ich hatte den Becher bereits abgestellt und sah meine kleine Nichte bedauernd an. Zwar hatte ich die verstorbene Schwägerin ohnehin kaum gekannt, doch musste es für Prisca ein schlimmer Schock sein, es so und von mir zu erfahren, von jemandem, den sie kaum kannte.

  • Nachdem sie sich so schön in Rage geredet hatte, hoffte Prisca eigentlich nun auf die zustimmenden und damit für sie tröstenden Worte ihres Onkels. So war sie es zumindest von ihrer Mutter gewohnt, wenn sie sich wieder einmal sehr über etwas aufregen musste. Denn egal, was es auch war, meistens konnte Mutter ihrer kleinen Tochter nicht böse sein, geschweige denn lange widersprechen, wenngleich sie ihr auch oft mit Konsequenzen drohte, die Prisca jedoch nie wirklich ernst genommen hatte. Immer noch auf eine Antwort wartend sah ihrem Onkel dabei zu, wie dieser stumm die Decke ab zu suchen schien. Zu Hause hätte sie sich vielleicht noch einmal bemerkbar gemacht. Aber schließlich kannte sie diesen Mann gerade erst seit kurzem und da sein Gesichtsausdruck zumindest nachdenklich wirkte, wertete sie das für sich als Zustimmung. Ihre Wut ebbte ohnehin schon wieder ab, als ihr der Wein zum Trinkspruch gereicht wurde


    "Deine lieben Worte schmeicheln mir, werter Onkel. Auf Dich !"


    erwiderte sie mit einem Lächeln, das nach all den Strapazen, die hinter ich lagen, doch recht herzlich ausfiel. Ein kleiner Spritzer Wein als Opfergabe musste genügen. Weniger aus Sorge um den Boden als mehr um das eigene Kleid, obwohl dieses von der Reise her ohnehin sehr mitgenommen aussah. Zwar begrub Prisca die Hoffnung auf ein baldiges erholsames Bad und die Gelegenheit sich um zu ziehen , fand aber dennoch Gefallen an der Gesellschaft ihres Onkels und seinen Geschichten über Griechenland. Zufrieden hörte sie zu und nippte von dem Wein der, wider Erwarten, vorzüglich schmeckte bis zu dem Zeitpunkt als sie ihren Namen vernahm und damit unvermutet auf ein anderes Thema gewechselt wurde. Langsam richtete sie sich in dem Sessel auf "Was ?... Was sagst Du da Onkel ?" In Germanien bleiben ? wie kommt er auf so eine absurde Idee,niemals bleibe ich hier ... Ein Brief ? was für ein Brief denn ... meine Mutter eine Aussätzige und tot ? Prisca verstand plötzlich gar nichts mehr von dem, was dieser Mann, den sie gerade eben erst kennen gelernt hatte, damit sagen wollte. In ihrem Kopf begannen sich die Gedanken über das eben Gehörte zu überschlagen. Die Trauer um den Tod ihrer Mutter hatte dabei, mit dem Unglauben darüber, der Tatsache das dies eine Lüge sein könnte und der Erkenntnis, was das alles für sie und ihr Leben bedeuten könnte, zu kämpfen.


    "Nein ... nein ... das glaub ich nicht ... das ... das kann nicht sein ..."


    Kopfschüttelnd versuchte sie mit leisen Worten irgendetwas davon zu begreifen. So berechnend Prisca manchmal auch war, diesmal war es schlicht die körperliche Erschöpfung von der langen Reise und das ständige Grübeln darüber was sie hier sollte, das nun die eben gelegte Wut auf ihre eigene Mutter erneut schürte. War sie vielleicht nur hier, weil ihre Mutter endlich eine ihrer so oft dahergesagten Drohungen endlich wahr gemacht hatte ? "Nein !!" schrie sie und sprang im selben Augenblick auf. dabei verschüttete sie auch noch den Rest des Weines auf ihrem Kleid und damit waren ihre Nerven dahin. Prisca zog die völlig falschen Schlüsse daraus, was ihr Onkel ihr zu erklären versuchte und mit Tränen in den Augen begann sie zu schreien


    "Das hat sich meine Mutter ja schön ausgedacht ! Nach all den Jahren in denen sie mich nur verwöhnt hat, will sie mir jetzt auf diese Weise endlich Enthaltsamkeit und Demut lehren ? Mir ihre eigene Nachsichtigkeit heimzahlen, indem sie mich nach Germanien schickt ? Hat sie Dir das geschrieben, ist das der Plan meiner Mutter ? und Du hilfst ihr auch noch dabei ? ... Das habt ihr Beiden Euch das ja schön ausgedacht ! Aber dass Ihr auch noch die Unverfrorenheit besitzt mir ihren Tod einreden zu wollen ...."


    hätte ihr Onkel sie vielleicht länger gekannt, wären ihm solche spontanen Gefühlsausbrüche nicht neu gewesen. Aber das Prisca das, was sie eben sagte tief in ihrem Herzen bereits bereute, konnte nur sie wissen ... aber nicht in diesem Augenblick, als eine Welt um sie herum ein zu stürzen drohte.

  • Wer wäre nicht erschrocken gewesen und zornig, wer nicht wütend und verletzt gewesen, wenn er dies erfahren hätte, noch dazu von einem Menschen, den man nicht einmal kannte? Ich konnte Priscas Reaktion nur zu gut verstehen. Ich verstand, dass sie sich vergewissern wollte, es sogar musste, wenn sie nicht auf der Stelle zerbrechen wollte. Dennoch schien ihr Entsetzen darüber, dass sie nun hierbleiben musste, in meiner Obhut, alles andere zu überlagern. Im nächsten Moment, ich wollte mich eben erheben und Prisca beruhigend beistehen, sprang sie auf. Der Weinbecher landete auf dem Boden und dunkelrote Flüssigkeit sprenkelte den Saum meiner toga. Ich warf den Spritzern einen missbilligenden Blick zu, stand auf und ging die zwei Schritte auf Prisca zu, die mich von ihr trennten. Nun brach die Wut aus ihr heraus, und da ich selbst ein Mensch war, der andere mit scharfen Worten verletzte, wenn er selbst verletzt worden war, konnte ich nachvollziehen, was in Prisca vorgehen mochte, als sie begann, mich anzuschreien. Ich sah es ihr nach, machte eine beruhigende Geste und wollte sie an den Armen anfassen, um sie an mich heranzuziehen und sie zu trösten.


    Prisca beschuldigte ihre Mutter, vermutete gar, dass ich mit ihr unter einer Decke steckte. Hilflos ließ ich die Arme sinken und zog die Brauen zusammen - ein sicheres Zeichen dafür, dass ich nun nicht mehr mit Verständnis reagierte, denn das, was sie mir und Vespa vorwarf, war absurd. Eine Stimme in mir flüsterte mir zu, dass sie noch ein Kind war und ich Nachsicht üben lassen sollte, doch Priscas rauhe Worte übertönten alles. Zusätzlich schürzte ich leicht angesäuert meine Lippen. "Prisca, beruhige dich!" forderte ich schon eine Spur schärfer. "Ich kann verstehen, wie du dich fühlst, aber dies hier ist kein Komplott gegen dich. Denke doch nach! Was hätte ich davon, dich zu belügen, ich kenne dich ja kaum. Und was hätte deine Mutter davon gehabt, dich ohne vorheriges Treffen herzuschicken, nachdem sie dich nun so lange nicht gesehen hat? Sie wollte dir Leid ersparen, das ist alles. Sie wollte nicht, dass du Tag um Tag an ihrem Bett sitzen und Mitleid üben musst. Vespa hat das für dich getan, und glaube mir, ihr Tod trifft mich genauso wie dich. Dennoch beschuldige ich dich nicht einer vollkommen absurden Sache. Ich sage es nochmals: Ich habe nichts davon, dich zu belügen."


    Anfangs noch scharf, sprach ich zum Ende hin argumentativ. Schließlich streckte ich versöhnlich die Hand nach ihr aus, der Ärger über ihr Verhalten war verraucht. Sie konnte nun entscheiden, ob sie sich trösten lassen wollte, und wenn ja, war ich für sie da. Als letzte Instanz, so beschloss ich, konnte ich ihr noch Vespas Brief zeigen.

  • Wie erstarrt stand Prisca da nachdem sie aufgesprungen war, so als würde jede weitere Bewegung unweigerlich den Einsturz ihrer Welt bedeuten. Nur ihre Augen funkelten vor Wut und wanderten ziellos umher. ... warum tut ihr mir das an ... warum ausgerechnet Germanien ... warum .. was wird jetzt aus mir ? immer wieder gingen die Gedanken einer absurden Verschwörung durch ihren Kopf. Die ungerechte Wut wollte einfach keinen Platz machen für die Trauer, die sich nur mit einem Stechen im Herzen langsam anzukündigte. Selbst als ihr Onkel bereits direkt vor ihr stand, sah sie durch ihn hindurch und suchte irgendwo in weiter Ferne nach der Gestalt ihrer Mutter um endlich einen Antwort von ihr zu erhalten.


    "Es ist ungerecht von Euch ... mich so zu behandeln ... ungerecht und graus ..."


    Immer neue Anschuldigungen wollten weiter aus ihr heraussprudeln, bis der scharfe Tonfall ihres Onkels und seine Worte sie wie der Knall einer Peitsche trafen. Prisca zuckte merklich zusammen, verstummte sofort und erst jetzt richteten sich ihre funkelnden Augen auf ihn. Für einen Moment sah sie in ihm einen Fremden. Jemand der sie anlog und sich gegen sie verschworen hatte. Doch schon begannen die Tränen zu laufen und hinterließen, vermischt mit dem Ruß des Lidschattens, dunkle Strähnen auf ihren Wangen. Sie musste ihre Augen kurz schließen weil sie brannten und als sie ihre Augen erneut öffnete, sah sie wieder den Mann vor sich, der sich als ihr Onkel vorgestellt hatte ... Onkel ... ?! ... verwundert und ungläubig, so als wäre er zuvor nicht da gewesen, sah sie ihn an und schüttelte nur leicht den Kopf. Sie wollte nicht hören, was er ihr nochmals zu erklären versuchte. Seine Stimme war hart und seine Worte klangen schrecklich in ihren Ohren. Aber nur, weil es die Wahrheit. Alle ihre Anschuldigungen erwiesen sich als grund- und haltlos und so wie die Tränen langsam ihre Schminke fort wuschen, taten das seine Worte mit ihrer Wut. Das Funkeln in ihren Augen erlosch und machte der Verzweiflung und der Trauer endlich Platz.


    "Es ist also wahr ... sie ist tot ..."


    wie eine längst überfällige Erkenntnis stellte sie dies fest. Prisca war am Ende iher Kräfte angelangt und fuhr sich mit den zitternden Händen immer wieder über das verweinte Gesicht. Und doch blieb auch jetzt noch ein winziger Rest von der alten, berechnenden Prisca übrig. Was wird nun aus mir und mein Leben ? Bisher war alles so wunderbar einfach, soll das wirklich jetzt mit einem Mal vorüber sein ? Ihre Welt schrumpfte langsam zusammen auf die Größe des Reisewagens, mit dem sie angekommen war. Hätte Prisca sich in diesem Moment wie aus einer Beobachterrolle heraus selbst gesehen, hätte sie sich nur kopfschüttelnd über soviel Elend abgewandt. So blieb wohl auch ein kleiner Teil der Wut auf ihre eigene Mutter zurück und war dies nur, weil sie es durch die jahrelange Nachsichtigkeit einfach nicht anders kannte. Hilflos lies sie den Kopf hängen. Zwar konnte sie nicht einschätzen, was für ein Mann ihr Onkel in Wirklichkeit war, dazu kannte sie ihn schließlich viel zu wenig. Aber alles was er bisher gesagt, getan und wie er sich ihr gegenüber verhalten hatte wirkte freundlich und aufrichtig.


    "Bitte verzeih mir meine Worte und mein Verhalten ... ich durfte dich nicht zu Unrecht beschuldigen ... du hast nur versucht, mir die Wahrheit zu sagen, ... auch wenn ich sie im Moment nicht so recht begreifen kann und will ... Es war dumm von mir und es tut mir wirklich leid ... Aber was wird jetzt aus mir, was soll ich jetzt nur tun ? "


    Zögerlich aber dankbar hatte Prisca zum Schluß die tröstend hingehaltene Hand ihres Onkel ergriffen, um sich aufrichtig und mit ehrlichen Worten bei ihm zu entschuldigen.

  • Das Funkeln in Priscas Augen erinnerte mich lebhaft an eine Abhandlung über die Erinyen, welche ich einst gelesen hatte. Der Tisiphone kam sie wohl am nächsten, der Vergeltungsübenden, der Rachegöttin. Trotz der Situation musste ich leicht schmunzeln, doch schnell wurde ich wieder ernst. Ihre Schminke verwischte und malte aus der hübschen Maske eine trauernde, traurige Maske der Pein. Das verstärkte meinen Beschützerinstinkt noch, sodass ich sie mitleidig ansah und schließlich einfach an mich heran zog, um sie zu umarmen.


    Ein Außenstehender mochte in dieser Geste vielleicht mehr sehen, als es war, doch wir waren allein, abgesehen von den üblichen Sklaven, die momentan ebenfalls ergriffen die Szenerie betrachteten. Behutsam strich ich Prisca durch das Haar und sah an ihrem Hinterkopf vorbei zur Wand. "Scht, ist schon gut, Kleines", sagte ich im Versuch, sie zu beruhigen. Ob es mir gelang, wusste ich nicht, doch die Wut war gewichen und ließ Prisca nun trauern, was die Tränen bewiesen. Immer wieder strich ich über das seidige Haar und suchte sie zu trösten, so gut ich es vermochte. Sie würde sich anlehnen und gehen lassen können, wenn sie es mochte.


    Und bald entschuldigte sie sich für ihr Gebarden. Ich lächelte und herzte sie. "Ist schon gut, ich weiß ja, dass du es nicht so gemeint hast. Ich verstehe dich auch, Prisca. Wenn du es möchtest, zeige ich dir den Brief, den deine Mutter mir schrieb", bot ich ihr an und schob sie eine halbe Armlänge von mir fort, damit ich in ihr Gesicht sehen konnte. Dazu machte ich mich etwas kleiner und legte den Kopf schräg. "Was du tun wirst? Na, ich werde dich gewiss nicht wieder fortschicken. Du bleibst hier bei uns. Deandra und Helena sind ja ebenfalls hier. Sie freuen sich bestimmt, dich zu sehen. Und du wirst schon merken, dass es hier gar nicht so schlimm ist wie du vermutest. Die zwei Mädels können dir bei der Eingewöhnung helfen. Aber erstmal möchtest du sicher in dein Zimmer und auch ein Bad nehmen, hm?" erzählte ich.

  • Prisca unterdessen barg ihren Kopf an der Brust ihres Onkels und gab sich stumm den Tränen und ihrer Trauer hin. Der Schmerz über den Tod ihrer Mutter überwog momentan alles und doch fühlte sie sich auch ein wenig geborgen. Das lag wahrscheinlich daran, dass ihr Onkel sich genauso verhielt wie sie es von ihrer Mutter her kannte. Im Arm gehalten werden und tröstende Worte zu hören das half ihr, sich langsam wieder zu beruhigen und einen Teil ihrer Fassung zurück zu erlangen. Alle ihre bisherigen Pläne hatten sich zwar aufgelöst, doch das liebevolle Verhalten ihres Onkels gaben ihr langsam neuen Mut. Zum Glück für Beide konnte Prisca nicht sehen, wie sie in diesem Moment mit ihrer verwaschenen Schminke und dem beschmutzen Kleid selbst aus sah. Hätte sie es, wäre sie am Ende doch ohnmächtig zusammen gebrochen.


    "Ich glaube Dir auch so Onkel. Aber ich würde ihn gerne sehen, ihre Handschrift zumindest ... noch einmal... irgendwie ist es schon so lange her, dass ich etwas persönliches von ihr in meinen Händen gehalten habe ..."


    Als ihr Onkel anbot, den Brief zu lesen und sie dabei ein wenig von sich weg schob, blickte sie zu ihm auf und murmelnd gab sie zu verstehen, das es eigentlich keiner weiteren Beweise bedurfte. Doch sie wollte einfach ein letztes Mal etwas von ihrer Mutter in Händen halten. Zumindest der Brief, den sie selbst von ihrer Mutter erhalten hatte, lag zerissen irgendwo auf der Akropolis. Dass der Brief an ihren Onkel vielleicht etwas über sie enthalten könnte, was sie nicht wisse sollte, erwartete sie zumindest nicht. Aber ihr Onkel hörte es wohl ohnehin nicht, da er einfach weiter sprach. Die Tatsache bei ihrem Onkel und seiner Familie bleiben zu müssen, empfand sie gar nicht so schlimm. Sein tröstendes Verhalten eben, erinnerte sie doch sehr an ihre eigene Mutter. Prisca brauchte den Trost jetzt wirklich und hoffte, dass ein wenig von ihrem alten, unbeschwerten und liebgewonnenen, Leben später einmal zurückkehren könnte. Aber warum muss es ausgerechnet hier in Germanien beginnen, Onkel ?? erlaubte sie sich im Gedanken doch die Frage.

    "Deandra und Helena ? ... ja ich würde mich wirklich sehr freuen, die Beiden bald kennen zu lernen. Vielleicht ist es ja, wie Du sagst und man kann wirklich eine zeitlang hier leben."


    Als sie von Deandra und Helena hörte, erhellte sich ihre Miene wieder ein wenig und ihre Stimme klang überrascht und erfreut zugleich. Zwar kannte sie Deandra ebenso wenig wie Helena, aber es überraschte sie, dass die Beiden das gleiche Schicksal, hier in Germanien sein zu müssen, mit ihr teilten. Nun ... vielleicht würde dieser Umstand die Zeit, die sie hier gemeinsam verbringen mussten, tatsächlich ein wenig erträglicher gestalten. Sie selbst hatte sich schon, die nächsten fünf Monate lang, nur in ihrem Zimmer aufhaltend gesehen.


    "Aber im Moment können mir wirklich nur ein Bad und ein wenig Schlaf helfen, meine Trauer zu bewältigen und um zu vergessen, wie anstrengend die Reise doch für mich war ... Bei den Göttern, bestimmt sehe ich gerade schrecklich aus ! ... Das Beste wird ohnehin sein, wenn ich heute ganz auf meine Sklavin verzichte. Nein, besser noch ! Schick sie bitte ganz weg. Gib dieses blonde Dummchen aus Griechenland meinetwegen den Männern mit, die sie für mich ausgesucht hatten. Aber schick Alle bitte so schnell wie möglich weg von hier ... Ich kann sie einfach nicht mehr sehen !"


    Unter normalen Umständen wäre ja ihre persönliche Bedarfsliste noch um einiges länger gewesen. Aber was das Bad betraf: Sobald ihr Onkel es erwähnte, bezog sie es sofort nur auf ihr eigenes Aussehen. Und da wollte sie nichts weiter mehr, als sich so schnell wie möglich zurück zu ziehen. Ihre Trauer konnte sie ohnehin nur alleine bewältigen und anfangen würde sie mit dem Vergessen dieser Reise. Was den unmöglichen langen Namen der Sklavin betraf, diesen hatte sie zumindest schon zu Anfang der Reise aus ihrem Kopf gestrichen. Mehr wünsche ich mir doch nicht von dir, lieber Onkel ! entsprechend bittend und erwartungsvoll sah sie ihn aus ihren verweinten Augen an. Mehr wollte sie wirklich nicht.....zumindest für den Anfang.

  • Während wir so dastanden, achtete ich auf den Atem meiner kleinen Nichte, die ja nun eigentlich gar nicht so klein - oder jung - war. Iustus war schließlich um einiges älter gewesen als ich selbst, und da war es nicht verwunderlich, dass er schon eine Tochter im heiratsgähigen Alter hatte. Ich wusste zwar nicht genau, wie alt Prisca wohl sein mochte, doch die vierzehn Jahre hatte sie überschritten, während sie noch nicht so alt war wie Deandra. Zumindest war dies meine Vermutung. Über meinen ersten Eindruck hinweg gesehen, erschien sie mir doch eine interessante Persönlichkeit zu haben - entschlossen und selbstbewusst, wie verletzlich und hitzköpfig zu gleich. Für mich glich sie nach diesen ersten Minuten einem Diamanten in seiner Rohfassung. Ein kostbarer Edelstein, der erst nach dem rechten Schliff vollends und perfekt zur Geltung kam. Allmählich beruhigte sich das aufgewühlte Gemüt auch, wie es schien. Ich strich ihr noch einige Male besänftigend und tröstend über den Rücken, ehe ich einfach zur Liege führte, auf der ich eben gesessen hatte, und sie sanft hinunter drückte. Anschließend nahm ich, ebenfalls sitzend, neben ihr Platz und legte ihr in einer vertrauten wie lässig wirkenden Geste den Arm um die Schultern. "Ganz wie du möchtest, meine Liebe. Aber ich denke, nach einem Bad und etwas Schlaf wäre es angemessener, findest du nicht auch? Du sagtest ja selbst, dass die Reise alles andere als angenehm für dich war. Erzähl einmal, hast du auf dem Weg viel gesehen von den Alpen und den germanischen Landen? Ich weiß noch, als wir hergekommen sind, waren wir alle ganz verwundert über die vielen Nadelbäume, die es hier wahrlich zu Hauf gibt." Ein klares Ablenkungsmanöver, zumindest einerseits, denn andererseits erfuhr ich gern, wie es meiner Nichte so ergangen war auf dem Weg hierher. Dass man sie eingesperrt hatte, davon wusste ich schließlich nichts - sonst hätte ich gewiss auch gänzlich anders reagiert, als die Eskorte hier angekommen war.


    "Deandra ist meine Verlobte, du kennst sie vielleicht noch als Aurelia Deandra, was nicht mehr stimmt, da sie sich in eine befreundete gens hat adoptieren lassen. Das ist zwar schon ein Weilchen her, aber immerhin warst du schließlich auch eine ganze Weile in Griechenland. Und Helena ist eine der Töchter des Cicero, meines Onkels. Ihr seid etwa im gleichen Alter", erklärte ich. Ich zog nun meinen Arm zurück und legte die Hände ineinander. Die Beine aufgestellt und etwas gespreizt, legte ich die Unterarme auf die Knie und saß damit erneut so wie vor einigen Minuten, nur mit dem Unterschied, dass ich nun nicht mehr nach gegenüber blickte, sondern neben mich, in Priscas Gesicht.


    Ihre Bestätigung folgte auf dem Fuße, und während sie noch sprach, winkte ich Brix, der auch sofort verstand und sich auf machte, um im balneum bereits ein angenehmes Bad vorbereiten zu lassen. Er hatte eben den Raum verlassen, als Prisca sich selbst herunterspielte. Gespielt entrüstet sah ich sie an. "Na aber - aurelische Frauen können gar nicht schrecklich aussehen, Prisca", sagte ich mit Nachdruck und zwinkerte ihr zu. "Besonders dann nicht, wenn sie meine Nichten sind", fügte ich verschwörerisch hinzu. Was die Sklavin betraf, runzelte ich meine Stirn, während sie sprach. "Hmm. Gibt es hierfür einen bestimmten Grund? Um ehrlich zu sein, wundert es mich ohnehin, dass du nur mit einer Sklavin gereist bist. Wie sieht es mit den Sklaven aus, die noch in Ostia verweilen? Rein rechtlich gesehen stehen sie nun dir zu. Ich könnte veranlassen, dass sie hergebracht werden, wobei es sich andererseits kaum lohnen dürfte für die verbleibende Zeit... Und was die Griechin angeht, die dich begleitet hat...wenn es dein Wunsch ist, werden wir sie verkaufen und dir an ihrer statt eine neue Sklavin erwerben. Es soll dir schließlich an nichts fehlen hier."

  • Hatten auch nicht viele Erziehungsversuche ihrer Mutter wirklich geholfen, so hatte Prisca zumindest gelernt sich wie eine Patrizierin zu verhalten und zu benehmen. Das gelang ihr auch meistens ... oft ... naja zumindest dann wenn es um den Ruf der Gens Aurelia ging (und wenn sie etwas für sich erreichen wollte). Heute war es jedoch vor allem die herzliche und fürsorgliche Art ihres Onkels, wie das Kompliment über ihr Aussehen, das sie daran erinnerte sich nicht allzu sehr gehen zu lassen. Eilig nahm sie ein Tuch zur Hand und beseitigte notdürftig die Spuren der Tränen und der verwaschenen Schminke. Zuerst konnte sie die Frage nach dem Reiseverlauf und dem unangenehmen Zwischenfall ja noch ignorieren, doch das Thema holte sie zumindest spätestens bei der Bemerkung ihres Onkels über die griechische Sklavin und dem übrigen Besitz in Ostia wieder ein. Das sollte nun alles ihr alleine gehören ? Es klang verlockend und doch wusste Prisca nicht so recht was sie nun damit anfangen sollte. Der Gedanke, alleine dorthin zurück zu kehren, mochte ihr so gar nicht behagen. Andererseits ließe sich vieles davon vielleicht zu Geld machen. Und dann ? Dann kann ich mich endlich amüsieren, soviel ich will und Niemand kann und wird mich belehren oder zurecht weisen können ... Niemand ! dachte sie und das Wort Niemand rief sogleich schmerzlich wieder den Tod ihrer Mutter ins Gedächtnis. Prisca spürte einen kurzen Stich in ihrem Herzen und als sie ihren Onkel wieder anblickte wurde ihr manches von dem bewusst, was ihre Mutter ihr so oft und vergeblich versucht hatte näher zu bringen.


    "Wusstest Du, dass meine Mutter sich viel mit unserer Familie und unseren Ahnen beschäftigt, hat ? Es hat ihr immer sehr viel bedeutet zu wissen, dass wir eine große und bedeutende Familie sind, auch wenn sich viele unserer Angehörigen kaum oder nie persönlich treffen. Auch über dich hat sie oft gesprochen und es hätte sie bestimmt gefreut zu hören, dass Du verlobt bist. Sie hat auch mir immer versucht dies näher zu bringen, doch leider habe ich ihr meistens nicht dabei zu gehört. Dass Deandra sich adoptieren lies wusste ich nicht, ebenso wenig, dass ihr verlobt seid oder das Helena hier ist und nicht in Spanien. Ich habe mich wohl in all den Jahren viel zu sehr auf andere Dinge konzentriert als mir Gedanken über unsere eigene Gens zu machen."


    Fast entschuldigend für ihre eigene Unwissenheit zuckte Prisca mit den Schultern und begann seufzend darüber zu sinnieren, was es wohl für ihre Mutter bedeutet haben könnte. Denn immer noch war sie davon überzeugt, das es einfach ein Familientreffen werden sollte und sie deswegen hier in Germanien war. Und weil es eben der letzte Wille ihrer Mutter war, wollte sie auch den Soldaten gar nicht mehr böse sein. Wenngleich ihr Onkel ruhig wissen sollte, was diese Männer ihr alles zugemutet hatten und es sogar gewagt hatten, sie tagelang in einem Wagen einzusperren. Der Grund dafür bliebe ja geheim und wenn ihr Onkel die Sklavin und die Männer endlich fortgeschickt hätte, könnte sie endlich ganz von vorne beginnen


    "Das war wohl ihr letzter Wille ... Ein Familientreffen ! ... Es war gut gemeint von ihr und ich respektiere ihren Wunsch jetzt. Auch wenn sie diese beschwerliche und eigentlich unzumutbare Reise für mich nicht sehr sorgfältig bedacht und geplant hat. Sonst hätte sie mir wohl nicht diese, zugegeben sehr zuverlässigen, aber eben völlig unkultivierten und für die Bedürfnisse einer Frau ungeeigneten Soldaten geschickt, die zu allem Überfluss auch noch der festen Überzeugung waren, dass EINE Sklavin genug für mich wäre ..."


    Prisca machte eine Pause und sog merklich die Luft ein. Ihr Onkel war ja auch beim Militär fiel ihr gerade eben auf....


    "Ich meinte natürlich Ex-Legionäre. Alte und einfache Veteranen, einfaches Fussvolk eben, natürlich nicht so wie Du lieber Onkel !" versuchte sie schnell das Gesagte zu retten und plapperte sofort weiter um es zu überspielen. "Du wolltest ohnehin wissen wie mir die Reise gefallen hat ?! Nun ich kann nicht behaupten DAS sie mir gefallen hat. Zuerst per Schiff auf dem Mare Adriaticum, seekrank und in dem Wissen, dass Rom zwischenzeitlich schon in greifbarer Nähe lag. Schließlich wieder römischen Boden unter den Füssen, als wir Aquileia erreichten nur um in einen unbequemen Reisewagen um zu steigen ... Die Alpen !! bei den Göttern ... ich dachte schon ich müsse jämmerlich erfrieren. Und Germanien selbst ? ich kann nicht sagen, dass mir das Land sonderlich gefällt. Zumindest bis wir Augusta Vendelicorum erreicht wo ich dann den Entschluss fasste ...."


    Da passierte es und während Prisca nach einer Umschreibung suchte zögerte sie ein wenig zu lange. Prompt biss sie sich auf die Unterlippe und blickte schnell zu Boden. Ein verhängnisvoller Fehler, denn das Zögern würde ihrem Onkel wohl nicht entgangen sein. Nun half wohl nur noch die volle Wahrheit


    "Ä hem , hm also ... als wir dort Rast machten, traf ich eine Patrizierin aus Rom Sie war sehr nett und befand sich mit ihrem Gefolge gerade auf dem Rückweg nach Rom. Sie bot mir an mit ihr zu reisen und da hab ich eben zugesagt. Nur kamen wir nicht sehr weit ... dennl meine zurückgelassene Sklavin hat wohl meiner Eskorte davon berichtet und letztendlich holten sie uns doch ein. Naja und den Rest der Reise bis nach Mogontiacum verbrachte ich dann eben eingesperrt in meinem Wagen. Jetzt weißt Du auch warum ich will, dass sie so schnell wie möglich verschwinden."


    So jetzt war es raus. Ein wenig beschönigt noch, aber so in etwa war es eben passiert. Prisca spürte direkt wie ihre Wangen glühten vor Wut über diese Unverfrorenheit der Soldaten aber wohl auch, weil sie sich ein wenig für ihre eigene Tat schämte. Und als letzten Versuch, das alles irgendwie so schnell wie möglich aus dem Gedächtnis zu streichen meinte sie zuletzt.


    "Schick sie einfach weg, Onkel. Mehr will ich ja nicht. Und was den Besitz und die Sklaven in Ostia betrifft .. das alles soll am Besten auch verschwinden. Ich verkaufe einfach alles. Dann habe ich genügend Geld und kann machen was ich will."


    Wieder einmal stellte Prsica unbewusst ihre eigene Unbedarftheit und Unüberlegtheit zur Schau, als sie ihren Onkel treuherzig dabei an sah.

  • Ein Sklave reichte der jungen Dame ein blütenweißes Tuch, damit sie sich wieder etwas herrichten konnte, was Prisca auch umgehend tat. Ich sorgte indes für flüssigen Nachschub, indem ich einen Sklavin heranwinkte und ihm deutete, Prisca einen neuen Becher zu reichen und mir selbst nachzuschenken. Was meine Nichte in diesem Moment dachte, konnte ich nicht erahnen. Kaum hatte ich den Becher an die Lippen gesetzt, um einen Schluck zu nehmen, sprach sie erneut von ihrer Mutter. Ich setzte das Glas ab und betrachtete sie aufmerksam von der Seite, während sie sprach, nun wieder gefasster als zuvor, wie ich anerkennend feststellte. Im Verlauf ihrer Rede zeigte sich ein Lächeln auf meinem Gesicht, und ich erwiderte: "Es freut mich, dass deine Mutter die Ahnen geehrt und sich für die Familie interessiert hat. Weißt du, es ist auch nicht weiter schlimm, dass du selbst kaum etwas von der Familie weißt. Immerhin fällt es dir selbst auf, und allein dies ist schon ein positiver Aspekt. Ich werde dir auch gern Rede und Antwort stehen und dir alles erzählen, was ich weiß, wenn du das möchtest, Prisca. Aber das hat Zeit, wir müssen nichts überstürzen. Wisse aber, dass ich stets für dich da bin, wenn du mich brauchst oder eine Frage hast." Ich lächelte ihr aufmunternd zu, wollte ihr den Einstieg in ein neues Leben so leicht wie möglich machen. Und außerdem war ich nun ihr tutor, und dazu gehörte auch die Hilfestellung, wenn sie ihre eigenen Fehler einsah und verbessern wollte. Darüber hinaus sah ich es stets als positiv an, wenn man sich eingestand, Fehler gemacht zu haben und dies bessern wollte.


    Die Worte bezüglich des angeblich letzten Willens Vespas und dem Reiseverlauf hingegen ließen mich etwas stutzen. Vespa musste ihr nicht erzählt haben, dass sie mich als ihren tutor bestimmt hat. "Mit Sicherheit wollte sie dich nicht allein in Rom wissen, sondern bei der Familie. So ist es auch besser." Als Prisca dann schlecht von den Soldaten sprach, musste ich schmunzeln. "Ach, Prisca, mach dir nichts draus. Ich bin zwar beim Militär, aber der tribunus laticlavius st eher ein Verwaltungsposten. Mit dem gladius in der Hand würde ich wohl gegen einen einfachen legionarius schon Schwierigkeiten haben", klärte ich sie auf. Ich hatte zwar eine Kampfausbildung genossen, doch diese lag schon einige Jahre zurück, und mir würde es zudem wohl an Kondition fehlen. Vielleicht sollte ich mal wieder ringen gehen, doch mit wem? Mir fiel auf, dass ich kaum einen kannte hier in Germanien, und sah man von geschäftlichen Bekanntschaften oder den Kumpanen in der Legion ab, so kannte ich niemanden, mit dem ich hätte Ringen gehen können. Erneut aber rissen mich Priscas Worte aus den Gedanken, als sie von der Reise erzählte. Und was sie sagte, empörte mich durchaus. "Dann hattest du nicht einmal einen kurzen Aufenthalt in Rom? Tja, durchaus verständlich, dass dir die Reise dann nicht gefallen hat. Du musst wochenlang unterwegs gewesen sein...und dann diese schlechte Nachricht noch. Prisca, nimm dir so viel Zeit, wie du möchtest, um die Stadt um die Umgebung zu erkunden, oder auch um einfach auszuspannen."


    Im weiteren Verlauf des Gesprächs schien sie etwas verschweigen zu wollen. Forschend blickte ich sie an, weil sie verlegen wirkte, bis sie endlich weitersprach. Dass sie schon beinahe wieder auf dem Rückweg gewesen war, nahm ich mit einiger Verblüffung zur Kenntnis, und dass die ausgedienten Soldaten keine andere Möglichkeit als die sahen, Prisca einzusperren, verärgerte mich. Als sie geendet hatte. schwieg ich kurz, sinnierend, ehe ich antwortete. "Nun ja, was soll ich sagen...? Es war nicht klug von dir, mit jemandem zurückzureisen, den du gar nicht kennst, Prisca. Man hätte dich entführen können, und keiner hätte dich vermisst. Versprich mir bitte, dass du so etwas nie wieder tun wirst. Und was die Männer angeht - sie hatten nicht das Recht, dich einzusperren, und dafür werden sie bestraft werden, das werde ich veranlassen." Ich nahm an, dass die Röte ihrer Wangen von der Scham herrührte, die sie befallen haben musste, als sie ihren Fluchtversuch beichtete. Einen Moment noch grübelte ich nach, was ich mit den Männern machen konnte, dann schüttelte ich bedauernd den Kopf auf Priscas Vorstellung hin. "Liebe Nichte, ich fürchte, das wird nicht der Fall sein. Es gab noch einen Grund, aus dem deine Mutter dich hierher geschickt hat. Sie hat mich zu deinem Vormund bestimmt, was bedeutet, dass ich bis zu deiner Heirat deinen Besitz verwalten werde. Ich werde den Verkauf der Besitztümer in Ostia anordnen und auch einiges hierher bringen lassen." Ich hielt einen Moment inne und überlegte, ob ich Prisca schon fragen sollte, was sie von einer Heirat überhaupt hielt, verwarf diesen Gedanken dann aber doch und schob ihn auf. Die Kleine hatte heute schon genug durchmachen müssen. Ehe Prisca etwas erwidern konnte, trat ein Sklave ein und vermeldete, das entspannende Bad für die Herrin sei bereitet und man warte nur auf ihre Bereitwilligkeit, es zu nutzen. Dem Sklaven teilte ich mit, dass man ihr Camryn zur Betreuung während des Bades abstellen sollte, meine Leibsklavin. Ich wusste um ihre Massagekünste und dachte, dass Camryn Prisca beim Entspannen helfen konnte. "Nun ja. Ruh dich erstmal aus, meine Liebe. Wenn du möchtest, zeige ich dir später die villa, doch nun muss ich ins castellum, die Pflicht ruft. Ich werde gegen Abend wieder da sein, vielleicht triffst du inzwischen Deandra oder Helena, hm?" schlug ich vor und erhob mich, sie fragend anschauend.

  • Als ihr Onkel aufstand war das wohl das Zeichen, dass ihn nun die Geschäfte riefen. Prisca erhob sich daher ebenfalls, ohne jedoch auf den herbeigeeilten Sklaven und der Meldung über das Bad zu achten. Ihre Miene verriet nichts von dem, was sie gerade dachte. Nur die fast unmerklichen Bewegungen ihrer Wangenknochen und der Schläfen mochten andeuten, dass sie das Gesagte gedanklich erst noch verarbeiten musste. Ihre anfänglichen Vermutungen, die sie zugegebenermaßen in überzogener Art und Weise ihrem Onkel an den Kopf geworfen hatte, schienen sich auf andere Art und Weise nun doch zu bewahrheiten. Ihre Mutter hatte also sogar post mortem einen Weg gefunden, die Erziehung ihrer Tochter nicht aus der Hand zu geben. Die Tatsache, dass nun der Onkel ihr tutor und Vormund sein sollte und sie damit über ihr Vermögen nicht verfügen konnte wie sie wollte, stimmte Prisca seltsamerweise gar nicht so wütend wie sie es eigentlich von sich selbst erwartet hätte.


    Vielleicht war es ihre momentan sehr angeschlagene Verfassung die es ihr nicht erlaubte, sich gegen die Entscheidung ihrer Mutter und ihres Onkels aufzulehnen. Die Reise und die Nachricht von ihrem Tod waren schließlich nicht spurlos an ihr vorüber gegangen. Oder lag es eher daran, dass der neue Onkel und die Begrüßung ganz anders ausgefallen war, als sie erwartet hatte ? Älter ! ja auf jeden Fall, vielleicht mit grauen Schläfen oder weißem Haar. Ein Bart noch dazu ? griesgrämig und alt ! ... ja so in etwa hatte sie sich ihn oder ihren tutor immer vorgestellt. Aber das genaue Gegenteil traf zu. Ihr Onkel musste ja damals bei dem Treffen , als sie zwei Jahre alt war und von dem ihr ihre Mutter einmal erzählt hatte, selbst noch ein Kind oder zumindest ein Jungendlicher gewesen sein. Das fiel ihr erst jetzt so recht auf, wie sie ihn erneut betrachtete. Zudem war er auch noch so verständnisvoll und lieb. Zumindest bisher und was den Umstand ihrer Reise betraf. Er wollte sogar die Männer für ihr Verhalten bestrafen. Das gab ihr innerlich die Genugtuung die sie wollte und das hatte sie ihm bereits mit einem zufriedenen Lächeln gedankt.


    Es konnte aber auch das unschöne Wort gewesen sein, das er fast beiläufig erwähnt hatte. Und die kurze Pause die er folgen lies, schürten nur noch mehr ihre Befürchtungen, dass er sich darüber, früher oder später, Gedanken machen würde. „HEIRAT“ ! Ich und heiraten ? warum sollte ich mich freiwillig an die Seite eines einzigen Mannes begeben ? Nur um dann als die brave Ehefrau zu Hause zu sitzen, während er sich vielleicht jahrelang im Krieg befindet, ganz in seiner Arbeit aufgeht und mich vernachlässigt ... und am Ende sogar die Frechheit besitzt, sich mit Sklavinnen vergnügen zu wollen ? Nein, diese Rolle wollte Prisca auf keinen Fall, denn sie war eben kein Kind von Traurigkeit und genoss die Aufmerksamkeit der Männer. Vor allem dann, wenn sie sich in materiellen Geschenken äußerte. Natürlich wusste sie sich immer zu benehmen und wie weit sie dabei gehen durfte, um nicht Schande über sich und die Familie zu bringen. Sonst würde sie ja nur in Ungnade fallen und somit alles verlieren. Was also eine Heirat betraf so würde ihr Onkel, wenn es nach ihr ginge, das Vermögen bis an ihr Lebensende verwalten müssen.


    Es war letztendlich die Summe dieser Gedanken und dem, was ihr Onkel gesagt und getan hatte, die Prisca dazu bewog, ihre Entscheidung zu treffen den Anfang für ihr „neues Leben“ so unvoreingenommen und offen wie möglich zu gestalten. Dementsprechend ehrlich war der Seufzer, und das Lächeln mit dem sie sich wenige Sekunden später, nachdem sie aufgestanden war, den Worten ihres Onkels fügte.
    "Ja Onkel, ich weiß jetzt, dass es dumm von mir war. Aber ich verspreche dir gern, nicht mehr davon zu laufen." ...somit wäre zumindest nicht allzu viel versprochen. "Jetzt habe ich ja auch keinen Grund mehr dazu. Im Gegenteil, ich freue mich auf deine, Deandras und Helenas Gesellschaft. Und was den Besitz meiner Mutter betrifft. Wenn sie es so wollte und Du es für richtig hältst, dann soll Alles so geschehen wie du sagst." ... zumindest solange es nicht ums heiraten geht. "Und ..."jetzt muss ich es doch wissen. "... was ich dich noch fragen wollte. Ist es dir überhaupt recht, wenn ich Onkel zu dir sage ? Ich meine, für mich bist und bleibst du es ... aber ich hatte eben fälschlicher Weise immer angenommen, dass mein Onkel wesentlich älter wäre."


    Mit dieser abschließenden Frage hob sie die Hand zum Zeichen für den Sklaven, dass sie nun bereit wäre ins Bad zu folgen, sobald ihr Onkel sich von ihr verabschiedet hätte.

  • Ob sie diese Nachricht nun als niederschmetternd betrachtete oder sie guthieß, sie würde nichts an der Tatsache ändern können, dass ich von nun an ihr Vermögen verwaltete, auf dass es sich mehren würde statt sinnlosem geldausgeben zum Opfer zu fallen. Um jedoch meine Milde zu demonstrieren, erinnerte ich mich an die den Frauen (Deandra ausgenommen) liebste Tätigkeit: Das Einkaufen. "Also, wenn du möchtest, werde ich Helena oder Deandra - oder beide - bitten, dir später oder im Laufe der Woche die Stadt zu zeigen. Die mogontiacischen Märkte bieten auch eine Vielzahl an exquisiter Mode und auch Schmuck. Ich denke, du wirst sicher etwas Passendes finden", schlug ich vor. Vielleicht etwas banal oder unpassend angesichts der Mitteilung, welche sie eben erst erhalten hatte und noch verarbeiten musste, doch eine Ablenkung war es sicherlich - und vielleicht brachte sie das Land meiner kleinen Nichte etwas näher, sodass ihre Anwesenheit hier etwas angenehmer verlief als sie wohl befürchtete.


    Dass Prisca mich musterte, war mir durchaus bewusst. Auch mir kam der Gedanke, dass ich doch für einen tutor nicht gerade das übliche Alter hatte, und doch würde ich diesen letzten Wunsch Vespas respektieren und ihre Tochter leiten und schützen, soweit es in meiner Macht stand. Ich dachte an Rom, wohin wir bald zurückkehren würden, und dort lauerten vermutlich mehr Gefahren auf Prisca als hier. Mehr männliche, um genau zu sein. Ich hegte indes keinen Zweifel, dass sie wohlerzogen war und keine Dummheiten begehen würde, und dennoch musste ich spätestens nach unserer Ankunft in der Hauptstadt des Reiches ein ernstes Gespräch mit ihr führen. Denn wenn sie nicht gerade Vestalin werden wollte, würde sie früher oder später heiraten müssen. Die Flavier und die Claudier waren sicherlich eine gute Wahl, während ich die Tiberier für weniger geeignet hielt, Durus einmal ausgenommen. Prisca indes schien gar nicht begeistert von dem Gedanken an Heirat. Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter und bat: "Beruhige dich, kleine Nichte. Es ist kein so abwegiger Gedanke wie du denken magst. Doch es ist einer, der noch einiges an Zeit hat. Ich wollte lediglich deine Meinung hierzu erforschen, denn es obläge auch mir, einen geeigneten Gatten zu suchen - es sei denn, du willst den Vestalinnen beitreten. Doch, wie gesagt, das hat durchaus noch Zeit." Ich lächelte sie beruhigend an. Die Einsicht, die sie zeigte, erfreute mich ebenfalls. Anerkennend nickte ich. "Es freut mich, dass du mir zustimmst. Wenn du aus dem Haus gehst, nimm stets Trautwini und einige weitere Sklaven mit, sie werden für deine Sicherheit sorgen und dafür, dass du dir nicht selbst Platz verschaffen musst in einer Menschenmenge. Ich werde leider erst abends wiederkommen, doch Deandra und Helena sind ja da, sodass du nicht allein bist. Soweit ich weiß, beschäftigen sie sich damit, den Garten hübsch zu machen, vielleicht hast du ja Lust, dich daran zu beteiligen? Die siehst mir aus, als hättest du einen grünen Daumen", witzelte ich und zwinkerte ihr zu, doch kurz darauf brach ich in schallendes Gelächter aus, als sie mich fragte, ob es mir recht war, wenn sie mich Onkel nannte. Gut gelaunt legte ich ihr einen Arm um die Schultern und ging an ihrer Seite schon mal voraus ins atrium. "Zugegebenermaßen gibt es mir das Gefühl, älter zu sein, als ich eigentlich bin. Doch ich habe rein gar nichts dagegen, wenn du mich Onkel nennst, immerhin hast du recht damit. Du kannst aber auch gern Marcus sagen, wenn du möchtest, wie es dir beliebt." Ich blieb stehen, denn Camryn steuerte auf uns zu. "Du hast nach mir rufen lassen?" fragte sie. Ich nickte bestätigend und deutete auf Prisca, während Camryn sie musterte. "Das ist Prisca, meine Nichte. Sie wird von nun an bei uns leben. Ihr wurde ein Bad bereitet, ich möchte, dass du dich um sie kümmerst wie um ein kostbares Schmuckstück. So, meine Liebe, ich muss nun wirklich. Wenn du einen Wunsch hast, zögere nicht, ihn Camryn mitzuteilen. Sie ist gewissenhaft und fleißig. Wir sehen uns am Abend. vale bene, kleine Nichte" erteilte ich zunächst Camryn eine Anweisung und verabschiedete mich dann von Prisca mit einem Lächeln und einem Kuss auf die Stirn. "Ja, dominus", entgegnete Camryn etwas verwundert ob dieser Neuigkeit und wartete dann, bis ich fort war. "Dann würde ich vorschlagen, wir gehen ins balneum, domina. Bist du eben erst angereist, wenn ich fragen darf?" hakte sie nach und führte Prisca bereits in den Baderaum, in welchem immer noch Wasser in das großzügig gehaltene Becken floss.

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