Ein Rückblick | Strafe muß sein oder Das Schicksal eines Eunuchensklaven

  • Es war zur Mittagsstunde, am Tage nach dem Verlöbnis des Flavius Aristides und der Claudia Epicharis. Das glanzvolle Fest war vorüber, die sichtbaren Spuren bereits von fleißigen Sklavenhänden getilgt - doch dieses Feier hatte noch weit mehr Spuren hinterlassen als auf den ersten Blick ersichtlich. Der junge Herr Flavius Serenus war spurlos verschwunden, der Eklat mit der toten Ratte hatte sich längst in der ganzen Villa herumgesprochen, man munkelte außerdem dass die junge Herrin Flavia Arrecina sich ein wenig plötzlich aus der Gesellschaft zurückgezogen hatte, beinahe zeitgleich mit einem der geladenen Gäste... - nicht, dass man damit irgend etwas andeuten wollte, versteht sich. Auch wer von den Herrschaften mal wieder zu viel getrunken hatte, und sich wann, wo und wie danebenbenommen hatte, wurde in der Sklavenschaft der Villa natürlich eifrig diskutiert.


    Flavia Leontia war nicht amüsiert. Aus verschiedenen Quellen hatte sie von dem Debakel am Vorabend erfahren: anscheinend hatte Daphnus, ihr schöner Eunuchensklave, ihr während ihrer Ohnmacht - inmitten all der Gäste! - einfach einen Eimer Wasser über den Kopf geschüttet. Unfassbar! Horribel! Wie das ausgesehn haben musste! Man würde spotten und hinter vorgehaltener Hand über sie lachen! Dafür würde Daphnus büßen!


    Mit säuerlicher Miene stand sie nun im Innenhof, unter einem kleinen Baldachin gegen die Sonne, umgeben von einer Schar ihrer Sklaven. Eine lange und blütenweiße Tunika umfloss in leichtem Faltenwurf ihre zierliche Gestalt, ein silberner Reif hielt die Fülle ihres schwaren Haares zurück, und die Blässe ihres liebreizenden Antlitzes, sowie die bläulichen Schatten um ihre Augen, zeugten noch von der seelischen Erschütterung in die sie die Kunde von jeder Blamage gestürzt hatte. Erwartungsvoll sah sie zu, wie zwei ihrer herkulischen nubischen Sänftenträger den Delinquenten grob in die Mitte des Hofes führten. Dort war schon das hölzerne Gerüst aufgebaut, an das man in diesem Hause bisweilen die Sklaven zur Auspeitschung fesselte. Die soliden Balken und die kräftigen Ledergurte, von alten Blutflecken übersät, waren dunkel in der strahlenden Mittagssonne, wirkten klobig und roh inmitten der harmonischen Pracht des Innenhofes. Ein Springbrunnen plätscherte, Rosen verströmten ihren Duft, und ein kleiner roter Singvogel hüpfte zwitschernd in seinem Käfig auf und ab.


    "Bindet ihn fest." Leontias Stimme war frostig. Anmutig setzte sie die silbernen Schühchen, als sie einige Schritte auf den Sklaven zutrat, der sich den unverzeihlichen Fehler hatte zu Schulden kommen lassen. Eilig folgten ihr die Träger des Baldachins, ebenso die anderen Sklaven, darunter einer mit einem Fächer aus Pfauenfedern, der der jungen Patrizierin stets dezent einen frischen Lufthauch verschaffte. Natürlich fehlte auch nicht Salambo, die sich beflissen an der rechten Seite ihrer Domina hielt, und ihre tiefe Genugtuung kaum zu verbergen vermochte - denn schließlich war sie es gewesen, die Daphnus die ganze Zeit über so hartnäckig und bösartig angeschwärzt hatte, dass eine derartige Szene schließlich unausweichlich geworden war. Sie kannte nun einmal ihre Domina und wusste sie geschickt zu lenken, schmeichelte sich die Nubierin, und der Anflug eines hämischen Grinsens umspielte ihre vollen Lippen, als sie das Unglück ihres Rivalen in vollen Zügen genoss. Zu Leontias Linken dagegen wurde sie von ihrem Custos Hamilkar flankiert, der wie stets grimmig dreinsah, und mit den Lederkordeln des Flagrums in seinen Hände spielte.


    "Was hast Du Dir dabei gedacht, Sklave?!" Eisig sah Leontia zu dem Germanen auf, fixierte den Übeltäter böse mit großen nachtblauen Augen. "Wie, bei allen Göttern der Unterwelt, konnte dir solch ein irreparabler Fauxpas unterlaufen - und das auch noch in Gesellschaft! Sag mir einen Grund, Du verkommener Wilder, der Du nicht würdig bist zu meinem Besitz zu gehören, sag mir nur einen Grund, warum ich Dich nicht auf der Stelle zu Tode peitschen lassen sollte!"

  • All diese wütenden Fragen waren rein rhetorisch. Leontia wollte keine Antwort hören, keine Verteidigung, nichts, das die Schuld des schönen Eunuchen womöglich relativiert hätte. Mit einer unwirschen Geste und einem herrischen: "Schweig!", schnitt sie ihm deshalb das Wort ab, noch bevor er es richtig hatte ergreifen können, hörte auch gar nicht hin was er zu sagen hatte. "Hamilkar!", befahl sie stattdessen: "Drei Dutzend Schläge für diesen Nichtswürdigen! Vorerst..."


    "Sehr wohl, Domina." sprach der kräftige Custos, und trat hinter den Verurteilten. Er schwang die Geißel und ließ sie, auf ein kleines Nicken von Leontia hin, unbarmherzig auf Daphnus' Rücken niederschnellen. Das Klatschen hallte durch den Innenhof, wieder und wieder. Leontia besah sich die Angelegenheit ruhig, das zarte Kinn ein wenig nach vorne gereckt. Ihr Atem schien etwas schneller zu gehen, und ihre feinen Nasenflügel bebten, als wolle sie den Schmerz des Schönen trinken und sich daran laben. Da geschah es dass ein Tropfen Blut sich im Schwung von den Schnüren der Geißel löste und den Weg auf ihr Gewand fand. Der Tropfen traf sie an der Schulter, nässte das reine Weiß und breitete sich zu einem sattenroten Fleck aus."Tölpel!", scholt Leontia ihren Custos, gebot ihm Einhalt, und sah, auf eine seltsame Weise beunruhigt auf ihre Schulter hinab, wo das Blut wie ein Wundmal in der Sonne glänzte. Es schien ihr ein böses Omen zu sein, und sie schauderte trotz der Sonnenwärme. Salambo griff schnell ihren Arm und Leontia stützte sich auf ihre Sklavin bis der Moment der Konfusion vorüber war.


    "Mach weiter!", gebot sie dann. "Ich werde der Bestrafung nicht länger beiwohnen. Doch ich wünsche die Schreie des Sklaven bis in mein Cubiculum zu hören. Sollte das nicht der Fall sein, beginnt die Prozedur von neuem, und du, Hamilkar, wirst dann sein Schicksal teilen... Und dass er mir nicht mehr unter die Augen kommt! Wenn du fertig bist, geh und verkaufe diesen ungehobelten Wilden an... an...einen Steinbruch! Oder ein Bergwerk!" Schon wollte sie sich zum Gehen wenden, doch der Anblick des Schönen, so gequält und ihr ganz ausgeliefert, fesselte sie, so dass sie wieder an ihn herantrat und ihn fasziniert noch länger betrachtete. Seit jeher hatte der Akt etwas Schönes zu zerstören einen beruhigenden Einfluß auf ihr überspanntes Gemüt gehabt. Leontia hob die Hand und ließ die schlanken Finger langsam durch Daphnus' goldenes Haar gleiten. Das war überaus besänftigend.


    "Nun ja...", meinte sie dann etwas milder, "Vielleicht lernt er ja doch noch Benimm..." Er war doch gar zu dekorativ - nein, mehr als das, wie Leontia in Wirklichkeit genau wußte. Er war von einer wahrhaftigen Schönheit die eine jede Frau, deren Sinne dafür empfänglich waren, aufwühlen und erschüttern musste! Beinahe fürchtete sie sich vor ihm, oder viel eher vor der Macht, die da in ihm waltete, und als ihr dieses bewußt wurde, wandte sie sich abrupt von ihm ab. "Atlas!", befahl sie herrisch einem der gewaltigen Nubier: "Sorge dafür dass der Eunuche, so er die Bestrafung überlebt, und wenn er wieder präsentabel ist, meinem Vetter Gracchus übergeben wird. Ich will ihn nicht mehr, aber vielleicht kann mein Vetter ja noch etwas mit ihm anfangen. Schmücke das Geschenk dann auch ein bisschen - mit Blumen und dergleichen." Affektiert griff sie sich an die Stirn. "Aber ich will nichts mehr von dieser leidigen Angelegenheit wissen! Kein Wort mehr darüber! - Weitermachen!" Und ohne noch einen Blick zurückzuwerfen verließ Leontia, gefolgt von ihren Sklaven, mit gezierten kleinen Schritten den Innenhof, wo Hamilkar alsbald wieder die Geißel schwang.


    Leontia begab sich in ihr Cubiculum, wo sie etwas zerstreut den Geräuschen der Bestrafung lauschte. Sobald Salambo sie von der befleckten Tunika befreit hatte, und sie gegen ein reines frisches Gewand getauscht hatte, ließ Leontia sich die Besitzurkunde bringen und überschrieb besagten Germanen ohne Zögern ihrem liebsten Vetter. Bestimmt würde Gracchus besser mit dem Sklaven zurechtkommen. Vielleicht erfreute ihn auch das kleine Geschenk. Leontia war jedenfalls maßlos erleichtert, diesen Quell der Verwirrung ein für alle mal los zu sein!

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