Atrium | Sklavenscheuchen auf Flavisch

  • Meine Laune war düster, um nicht zu sagen, ausgesprochen schlecht, und wie so oft an solchen Tagen hatte ich die starke Befürchtung, dass dieses gesamte Sklavengesindel der Villa Flavia Felix es irgendwie ahnte, dass man mir heute nichts recht machen würde - bis auf einige wenige Mutige gingen mir alle anderen tunlichst aus dem Weg. Ich hätte als Sklave wohl auch nicht anders gehandelt, aber im Augenblick, nach einem langen, harten Tag voller nervtötender Opfernder, einem Kollegen, der mir meine Pause am Mittag noch durch sein Geschwätz versaut hatte, mit knurrendem Magen und einem Durst auf irgendeinen Wein, Hauptsache viel und genug, um mir den bevorstehenden Abend zu versüßen, der mir wohl wieder einmal alleine bevorstand, ärgerte ich mich nicht gerade wenig über die völlige Absenz irgendeiner Bedienung.


    Wahrscheinlich hatte Felix die Haussklaven zum Rosenstreicheln eingeteilt oder irgend etwas in der Art, ich durchstreifte einen der Korridore auf der Suche nach einem Sklaven und fand niemanden, und zur culina herunterzusteigen und dort nachzufragen war ein absolut undenkbarer Prozess für einen Patrizier. Oder besser: Wenn es soweit kam, dass ich mich selbst dorthin begeben musste, dann würden in dieser Nacht die Peitschenhiebe knallen, soviel war sicher.


    Leise mit den Zähnen knirschend schritt ich durch das atrium und ließ mich auf einer der dort aufgebauten Liegen nieder - keine Speiseliege, eher ein Möbelstück zum Entspannen, genau richtig für einen unentspannten Priester mit Nackenschmerzen wie mich. Ich hob die Hände und klatschte zweimal vernehmlich, eigentlich das perfekte Zeichen, um deutlich zu machen, dass hier jemand war, der auf eiliger Bedienung bestand. Normalerweise machte ich mir über die Sklaven dieses Haushalts eher weniger Gedanken, sie waren da, sie sorgten dafür, dass alles reibungslos ablief und man sich auf die richtigen und wichtigen Dinge konzentrieren konnte, und ansonsten gab es andere Themen, die meinen Kopf beschäftigten, vor allem derzeit.


    Stöhnend rieb ich mir den schmerzenden Nacken, irgendwie musste ich heute ein gutes Maß an Zugluft abbekommen haben, die mit der Hitze des Tages gepaart ihre Spuren hinterlassen hatte. Nicht zum ersten Mal vermisste ich meine kleine Nefertiri sehr, die sich um derlei Bedürfnisse immer sofort gekümmert hatte, doch auf meinen Brief nach Achaia, zu einem der Besitztümer meines Familienzweiges, an dem sie nun eigentlich angekommen sein müsste, hatte es noch keine Antwort gegeben. Hoffentlich war ihr nichts zugestoßen .. nicht zuletzt, weil ich sie irgendwie mochte und auch nicht die rechte Lust hatte, mich auf einen neuen Leibsklaven einstellen zu müssen.


    Überhaupt war es heute sehr still in der Villa - Felix war wohl ausgegangen, Furianus desgleichen, und alle anderen waren ohnehin ausgeflogen oder auf Reisen. An Gracchus' Absenz wollte ich gar nicht erst denken, es macht die dumpfe Wut in meinem Inneren nur größer, mich daran zu erinnern, wie sagenhaft wieder einmal alles zwischen uns schief gelaufen war. Seufzend ließ ich mich zurücksinken und verdrängte alle Gedanken an ihn in irgendeine dunkle Ecke meines Kopfes, während ich die Augen schloss und einfach den Geräuschen lauschte, die es hier geben musste - und als ich Schritte vernahm, leise, aber wohl in Richtung des atriums kommend, beschloss ich, nicht sofort nach der Peitsche zu greifen, sondern mir zuerst anzuhören, wieso es so hadesverflucht lange gedauert hatte, bis sich ein Sklave hatte blicken lassen.


    Sim-Off:

    Frei für jeden/jede, der mag :D Vorsicht, bissiger Marspriester!

  • Sim-Off:

    Na gut, wenn sich sonst keiner traut :P


    Der unglückselige Sklave, der gemächlichen Schrittes hereinkam war Pallas, der eigentlich nur auf dem Weg in Richtung Küche war. Seine Herrin hatte einen jener unerklärlichen Essanfälle, den nur Frauen zu bekommen schienen. Wie üblich hatte er mit einigen anderen Sklaven Strohhalme gezogen, um zu ermitteln, wer der arme Tropf war, dem diese Ehre zuteil wurde. Wie so oft zog er den Kürzesten und so musste er sich auf den Weg durch die halbe Villa machen, um etwas zu besorgen, das Claudia Antonia doch nur wieder durch den halben Raum werfen würde. Vorzugsweise auf den Überbringer der Speisen.


    Dass ein weiterer Bewohner des Hauses bedient werden wollte entging ihm gänzlich. Es kümmerte ihn auch nicht, sah er sich doch als Privat- und nicht Gemeineigentum. Auch ein Sklave hatte schließlich seinen Stolz. Besonders ein Britischer.
    Und so kam er, die Arme hinter seinem Rücken verschränkt, den Blick auf die Wandmalereien gerichtet, ins Atrium. Eine sonderbare Sitte der Römer, sich Bilder an die Wand zu malen. Es sah nicht schlecht aus, kein Zweifel. Doch blieb es ihm zeitlebens schleierhaft, wieso man erst riesige Bauten aus Stein dazu verwendete, alles, was an Natur erinnerte aus den Städten zu tilgen, nur um danach Parks, Hortii, Mosaike und Malereien anzulegen und -zu-fertigen, die wiederum das Verbannte zurückbringen sollten. Die spinnen, Römer. Manchmal fühlte er sich wirklich wie ein kleiner Außerirdischer.


    So vertieft in seine Überlegungen bemerkte er zunächst gar nicht, dass sich noch jemand im Raum befand. Als Pallas den Blick jedoch wendete, entdeckte er Aquilius und blieb umgehend stehen. Es folgte eine angemessen tiefe Verbeugung.
    "Herr.", grüßte er, richtete sich wieder auf und wollte seinen Weg fortsetzen. Der Herr sah 'not amused' aus, daher schien es dem Sklaven besser, so schnell so weit weg wie möglich zu kommen.

  • Na endlich, ein Sklave! Ich hatte auch lange genug gewartet - dass dieser Jüngling einen anderen Auftrag haben könnte, kam mir erst einmal nicht in den Sinn, immerhin hatte ich geklatscht und er war erschienen, also für wen sollte er sonst da sein als für mich? Aber was war das? Er sah aus, als wollte er wieder weitergehen? Brachte man den Sklaven in diesem Haus denn gar nichts bei? Kein Wunder, dass es schon länger keine Orgie oder sonstige Abendbelustigung mehr gegeben hatte, mit solchen Sklaven musste man sich ja wirklich nach außen hin schämen, wenn das jemand mitbekam. "Wo willst Du hin?" fragte ich im 'wag es ja nicht, jetzt weiterzugehen' Ton und runzelte die Stirn.


    "Du bringst mir jetzt erst einmal ein angemessenes Abendessen und einen Krug Falerner dazu, und danach brauche ich Dich für eine Nackenmassage." Mein Ton ließ keinen Zweifel zu, dass ich jede Antwort ausser 'Ja, Herr' nicht hören wollte und wenn dieser junge Mann ein kluger junger Mann war, dann würde er genau das sagen und nichts anderes. Nach diesem Tag hatte ich wirklich anderes im Sinn, als mich auch noch mit Gedanken an irgendwelche aufmüpfigen Sklaven herumschlagen zu müssen.

  • Ooooh, nein, der war wirklich nicht gut drauf.
    Mitten in der Bewegung hielt Pallas inne und wandte langsam, als würde er sich einer Raubkatze gegenüber sehen, den Kopf zu Aquilius.
    Einen Moment lang schien er zu überlegen, was nun die angebrachte Reaktion wäre. Um sein Heil in der Flucht zu suchen war es nun zu spät, der Herr würde ihn im Zweifelsfall sicher wieder erkennen. Die Frage war nun lediglich, wer würde das schlimmere Donnerwetter über ihm hereinbrechen lassen wenn sich die ihm aufgetragene Arbeit verzögerte - Antonia oder Aquilius?


    "Herr?", begann er zaghaft. "Verzeih, aber eigentlich soll ich für die Herrin [SIZE=7]Claudia Antonia[/SIZE]...
    Immer leiser wurden seine Worte, angesichts der Miene des Marspriesters. Er schluckte und verstummte ganz. Naja, wenn er ohnehin in die Küche musste, konnte er ihm ja eigentlich auch gleich etwas bringen.
    "Wünschst du etwas Bestimmtes zu speisen, Herr?"
    Indes fragte der Brite sich, wo nur all die anderen Sklaven abgeblieben waren, die ihm hätten aus der Klemme helfen können. Aber das würde er sich merken, er vergaß nie etwas. -.-

  • Eine ganze Weile schon hatte der Germane sich, nachdem er die Sklavenunterkunft verlassen hatte, in der Villa nach Flavius Aquilius umgeschaut. Als er dessen Stimme aus dem Atrium vernahm lenkte er seine Schritte dorthin. Leise trat er in die prachtvolle Mamorhalle hinein, schritt im Schatten einiger Statuen auf die beiden Männer zu und erschien, als in ihren Wortwechsel einen Augenblich lang Stille eintrat, auf einmal neben ihnen.
    Noch immer gemahnte seine Erscheinung - bleich und hohlwangig, der Hals geziert von den vividen Malen der Strangulation - eher an einen Geist als an einen jungen Krieger. Doch in seine Bewegungen, seine Haltung, war die alte Spannkraft und Gewandheit schon beinahe wieder zurückgekehrt.
    "Flavius Aquilius.", sagte er heiser.
    Kurz streifte sein unsteter Blick den anderen Sklaven, dessen Gesicht ihm aber nichts sagte, dann legte der Germane den Kopf schief und musterte seinen Herrn nachdenklich, ohne sich von dessen düsterer Miene aus der Ruhe bringen zu lassen.
    "Ich bin wieder - gesund. Ich suchte nach Dir. Was soll ich tun?"

  • Man hätte nicht viel Phantasie gebraucht, um die schwarze Gewitterwolke mit den daraus hervorzuckenden Blitzen um meinen Kopf herum zu bemerken - ich hatte selten wirklich schwarze Laune, aber heute war die Ausnahme die Bestätigung der Regel. Dass diese Laune anscheinend zumindest bei Pallas ihre Wirkung gezeigt hatte, war wenigstens für einen kurzen Augenblick befriedigend, wenngleich es sonst nicht meine Art war, allzu tyrannisch vorzugehen. Dass Severus allerdings den Sklaven der Antonia aus seiner Not befreite, war fast noch ein wenig besser, denn mit Severus betrat ein Mitspieler die Bühne, auf den ich zu Recht Wut hegen konnte. "Geh schon zu Deiner Herrin," beschied ich Pallas knapp und brüsk, wedelte mit der Hand in seine Richtung, als müsste ich ihn wie eine lästige Fliege vertreiben, dann glitt mein dunkler Blick zu Severus.


    "Bring mir etwas zu essen und einen Krug Falerner dazu," wiederholte ich meine Anordnungen, die wenige Augenblicke zuvor schon Pallas hatte vernehmen müssen. "Danach wirst Du Dich zu mir setzen und wir werden uns über Deine Zukunft Gedanken machen." Es klang unheilsschwanger, und so sollte es auch klingen - er sollte nicht glauben, dass er es, nachdem ich Gnade vor Recht hatte ergehen lassen, leichter haben würde als bisher, nochmals würde ich nicht zulassen, dass er den Weg verließ, der ihm bestimmt war.

  • Zukunft... Es war seltsam, auf dieses Wort wieder ein Anrecht zu haben.
    Der Germane nickte ansatzweise, verließ das Atrium, und begab sich in die Küche - beziehungsweise bis zur Türschwelle. Denn ein solches Durcheinander herrschte in dem großen Raum, so viele Bedienstete liefen durcheinander und werkelten emsig an der Zubereitung des Abendessens, dass er stockte und einen Augenblick lang zögerte, sich in die Mitte dieses Treibens zu stürzen.
    Unbehaglich war es ihm zumute, als er schließlich eintrat, und sich bei der Köchin bemerkbar machte. So viele Menschen auf einmal, laut redend, tätig und lebendig war er nicht mehr gewöhnt.
    "Ich brauche Essen und Wein für Flavius Aquilius."
    Die Angesprochene, gerade am Gemüseschneiden sah zu ihn auf, und bekam diesen ungläubigen und zugleich unwirschen Ausdruck, mit dem ihn viele der flavischen Sklaven seit der ganzen Affäre betrachteten. Ein 'du-solltest-doch-eigentlich-tot-sein'-Gesicht.
    "Was will er denn?", fragte sie barsch nach.
    Er zuckte die Schultern.
    "Irgendwas. Und Falerner."
    "Ist da in der Amphore."
    Sie wies mit dem breiten Küchenmesser auf ein Bord an der Seite, und scheuchte ein Küchenmädchen, eine Platte mit Essen zu richten.


    Der Germane ging auf die Suche nach Krug und Becher, und fand sich dabei auf einmal der unscheinbaren kleinen Astraia gegenüber.
    "Oh, Severus!"
    Sie fuhr zusammen, ließ beinahe den Pinsel fallen, mit dem sie eben irgendwelche Teigfladen bestrich, und begann verlegen, an ihren Haaren zu nesteln.
    "Was machst du denn hier?"
    "Ich suche einen Krug", antwortete er wahrheitsgemäß, und setzte noch ein "meine schöne Griechin.", hinten dran.
    Gleich bekam sie rote Ohren, und er dachte: Sie ist wirklich ein Mauerblümchen.
    "Die sind da drüben in dem Schrank.", murmelte sie, schien sich dann ein Herz zu fassen und fragte:
    "Magst du mal kosten?"
    Dabei brach sie ein Stück von dem Gebäck ab und streckte es ihm entgegen.
    Ein mutiges Mauerblümchen, dachte er spöttisch, und merkte aber doch, dass ihre schlichte Wärme ihm, nach all dem Schrecken der hinter ihm lag, ziemlich wohl tat. Lächelnd beugte er sich vor, nahm den Bissen mit den Lippen aus ihren Fingern, und verschlang das süße Honigzeug.
    "Mmh. - Astraia, du hast vorhin übrigens dein Kopftuch vergessen. Ich habs gerade nicht dabei, aber treffen wir uns doch nachher, sagen wir zur zweiten Stunde der Nacht, sagen wir im Hof, da wo das Holz lagert."
    Er grinste und versprach unschuldig:
    "Dann bekommst Du es wieder."
    "Ich weiß nicht...", kicherte sie, und sah nach rechts, und sah nach links, wo die anderen Küchenmädchen lange Ohren machten.
    "Mal sehen, vielleicht muss ich ja arbeiten..."
    "Los, los, weitermachen, nicht schwatzen da drüben!", kommandierte da die Köchin, und unterbrach so das zarte Techtelmechtel. In sich hineingrinsend ging der Germane, und holte einen Zinnkrug aus dem gewiesenen Schrank. Natürlich kostete er den Wein, bevor er den Krug füllte - hätte ja auch verdorben sein können! - war aber gut. Und natürlich kam er nicht auf den abwegigen Gedanken, ihn mit Wasser zu panschen. Das wäre auch ein Jammer gewesen.


    Mit Krug und Becher in der einen Hand, die gefüllte Platte und das Besteck in der anderen, kehrte er ins Atrium zurück. Adrett hatte die Küchensklavin die Speisen arrangiert, ein paar Eier am Rand, ein Schälchen Garum, eines mit Oliven, etwas Brot, und auf einer Unterlage von irgendwelchem Gemüse lagen zart gebratene Streifen von Gänsebrust, garniert mit gerösteten Nüssen.
    Stumm stellte er die Sachen auf dem niedrigen Tisch neben Aquilius' Kline ab, und schob sie zurecht, ohne sich seinen Widerwillen anmerken zu lassen. Sich den Becher zu füllen überließ er dem Flavier allerdings selbst - denn Mundschenk zu sein, das war nach seiner festverwurzelten Vorstellung eine Aufgabe der Frauen.
    Danach setzte er sich auf die gegenüberliegende Kline. Auch dies war ungewohnt, nachdem er so lange nur den nackten Boden dafür gehabt hatte. Er rückte etwas hin und her, streckte dann schließlich die Beine von sich und stützte sich auf den ausgestreckten Arm. So saß er, schweigend und in sich gekehrt, und wartete darauf dass der Römer auf die Zukunft zu sprechen kam.

  • Ich blickte ihm nach, gleichsam gedankenverloren wie desinteressiert - auch wenn diese Bezeichnung wohl eher in den Bereich des Absurden einzuordnen sein musste. Man konnte nicht gleichzeitig desinteressiert sein und jemandem nachblicken, überlegte ich, und stellte fest, dass mich das Spiel des Lichts auf seinem Körper, der Blick auf die sich langsam verfärbenden Würgemale auf Severus' Hals weit mehr interessiert hatten als die Tatsache, was er in diesem Moment denken oder fühlen mochte. Diese Farben hatte ich hervorgerufen, es waren meine Hände, die ihn so weit gefasst hatten, dass der Lebensfunke kurz davor gewesen war zu erlöschen, und seltsam, wie flüchtig das Leben doch sein konnte.


    Ein festerer, längerer Druck, und er wäre nicht mehr hier, würde nicht jetzt in die Küche gehen, um meinem Befehl zu gehorchen, sondern sein Leib wäre längst verbrannt, die Asche in den Wind gestreut. Ein Zeichen eines Lebens, das ich in meiner Hand gehalten hatte, ohne es zu wollen. Clementia. Der Wert, den uns Caesar einst so nachdrücklich immer und immer wieder anempfohlen hatte, um dann von der Hand derjenigen zu fallen, denen er vertraut hatte. Durfte man milde sein? Vertrauen? Es würde sich weisen müssen, in Gestalt meines Severus.


    Als er zurückkehrte, musste die Dunkelheit meiner Gedanken noch im Blau meiner Augen stehen, doch ob er dies bemerkte oder nicht, konnte ich nicht erkennen. Er hatte jedenfalls getan, was ich ihm gesagt hatte, eine angenehme Abwechslung zur Vergangenheit, als ich noch gehofft hatte, ihn durch Nachsichtigkeit und Geduld zu zähmen. Ich nickte ihm dankend zu - letztendlich war er immernoch ein Mensch und kein essentragendes Möbelstück - und bediente mich gemächlich an den Dingen auf dem Teller, ohne recht zu merken, was ich überhaupt aß. In diesem Augenblick ging es darum, ihn warten zu lassen, und meinen Hunger effizient zu stillen, bevor ich irgend etwas anderes tat. Ich schlang das Essen natürlich nicht herunter, wie es wohl der ein oder andere plebejer getan hätte, sondern aß, wie es mir anerzogen war, langsam und manierlich, dennoch konnte ich eine gewisse Erleichterung nicht verhehlen, als ich spürte, dass sich mein Magen langsam füllte.


    So aß ich gemächlich, und als der ärgste Hunger gestillt war, blickte ich auf, ihn wieder zur Kenntnis nehmend - er hätte wohl zwischenzeitlich auf dem Kopf stehen und ein Lied singen können, ich hätte es wohl nicht einmal wirklich wahrgenommen.
    "Nun, Severus. Wie stellst Du Dir Deine Zukunft vor?" stellte ich die Frage sachlich in den Raum. "Du hast ein ganzes Leben vor Dir, neu gewonnen."

  • Als ob das, was ich mir vorstelle, für Dich einen Wert hätte, dachte der Germane resigniert. Aber eigentlich, so erkannte er beim genaueren Hinsehen, war da gar keine Vorstellung. Nur Leere.
    Zukunft... Wer sollte dieser "Severus" sein, und was sollte der sich von der Zukunft erhoffen? Der Germane hatte keine Ahnung.
    Langsam wandte er Aquilius sein Gesicht zu. Sah ihn ernst an.
    "Du hast... Severus am Leben gelassen. Er... ich stehe in Deiner Schuld. Ich werde kämpfen für Dich und Dich beschirmen vor Gefahr. Ich schulde Dir Gefolgschaft. Ich schulde Dir Treue."
    Du hast Rutger getötet. Ich schulde Dir nichts als einen kalten Stahl in der Kehle.
    Der Germane schüttelte den Kopf, und fuhr sich fahrig durch die Haare.
    Nein. Die Toten mögen schweigen.
    "Ich halte mein Wort."
    Und nach einer Pause:
    "Mehr weiß ich nicht."

  • Er war wortkarg geworden, mein Severus - Rutger hätte mir in diesem Augenblick wohl eine leidenschaftliche Rede gegen die gemeinen Gepflogenheiten meines Volkes um die Ohren geknallt - und ich hatte meine Schwierigkeiten, in diesem Mann noch etwas von dem zu entdecken, was mir bekannt und vertraut war. Dennoch, er lebte. Er hatte eine Chance bekommen, die wenige Menschen überhaupt erhielten, auch wenn sie selten so brutal kamen wie es hier der Fall gewesen war.
    "Mehr weisst Du nicht ..." sprach ich gedehnt und nahm mir nachlässig eine der Trauben vom Teller, bevor ich sie mit der Zunge an meinem Gaumen zerdrückte und den süss-säuerlichen Geschmack in meinem Mund explodieren fühlte.


    "Als Kämpfer brauchst Du Übung, Severus, und ich denke, es gibt einen Weg, auf dem Du diese Übung erlangen wirst. Ich gehe nicht davon aus, dass Du jeden Tag vor dem Tempel herumstehen und auf mich warten wollen wirst - ich fände das selbst höchst langweilig und vor allem uneffizient - in sofern werde ich Dich zur hiesigen Gladiatorenschule mitnehmen und wir sehen dort, ob Du mit den Gladiatoren gemeinsam trainieren kannst. Nicht für die Arena, sondern um Deine Kampfkraft zu erhalten, ein Kämpfer ist nichts ohne beständige Übung. Was hältst Du davon?"
    Eine weitere Traube fiel meinen Lippen zum Opfer, und ich blickte zu ihm hinüber, ohne wirklich viel von ihm zu sehen, zu deutlich waren mir andere Bilder im Kopf. Das Mal an seinem Hals ließ die unwirkliche Szenerie seines Fast-Todes so deutlich zurückkehren, als würde sie sich ein zweites Mal ereignen - nur ein entfernt erklingendes Scheppern in irgendeinem anderen Teil der Villa vertrieb das Echo des staubigen heißen Tages glücklicherweise wieder.

  • Unwillig zogen sich die Brauen des Germanen zusammen, ließen eine steile Falte dazwischen entstehen. Es schien ihm, dass er sich dem Flavier nicht hatte verständlich machen können. Vielleicht lag es an der Sprache. "Fides", in der Mundart der schlangenzüngigen Südländer bedeutete sicherlich etwas vollkommen anderes, als das, was er damit sagen wollte.
    "Ich werde tun was nötig ist um meine Aufgabe zu erfüllen.", antwortete er kühl. "Training ist gut. Aber diese Gladiatoren, die führen ein dekadentes Lotterleben, das hab ich damals ja mit eigenen Augen gesehen. Das ist nichts für mich, das verdirbt einen Krieger."
    Er schüttelte bestimmt den Kopf, als er an die ausschweifenden Szenen auf der Cena Libera dachte. Dementsprechend stellte er sich nämlich auch das sonstige Gladiatoren-Dasein vor. Nicht gegen ein Gelage mit hübschen Weibern, aber das damals war in seiner bodenlos verschwenderischen, degenerierten Zügellosigkeit einfach nur - na gut, vor allem - abstoßend gewesen. Die Elefanten allerdings, die hatten ihn schon fasziniert.


    "Treue", sagte er noch einmal, rauh und beinahe grob, in seiner Sprache. Es war absurd, dass er einem Römer diese leisten musste, noch dazu einem aus der Sippe des Kaisers, der sein Volk, wenn auch vor beinahe einem Menschenleben, mit Krieg überzogen hatte. Aber so waren die Regeln! Wollte er kein Neiding sein, musste er fortan für den Römer kämpfen, der sein Leben verschont hatte - auch wenn die Art, in der er dies getan hatte, dergestalt gewesen war, dass der, mehr als seines Namens beraubte, Germane gewiss niemals Dankbarkeit dafür empfinden könnte...
    Aber Du bist niemand mehr. Du bist auf jeden Fall ehrlos. Pfeif doch auf seine vergiftete sogenannte Gnade. Er holte dich nur aus der Hölle, in die er dich selbst hineingestoßen hat. Alles nur Spielchen. Alles nur Hohn. Was hindert dich noch daran dem Pack nachts die Kehlen aufzuschlitzen und die Villa über dem Kopf anzuzünden?
    Der Germane fixierte den Römer starr, blinzelte, fuhr sich mit der Zunge unruhig über die trockenen Lippen.
    "Flavius Aquilius.", fragte er dann eindringlich, mit einem seltsamen Unterton in der Stimme.
    "Nimmst Du meine Gefolgschaft an? - Oder nicht?"

  • "Die Gladiatoren, die Du an jenem Abend gesehen hast, waren am nächsten Tag zum großen Teil tot," sagte ich nüchtern und lehnte mich wieder etwas zurück. "Es ist eine Sitte hier, dass man jenen, die dem Tode geweiht sind, ein letztes Mahl bereiten lässt, bei dem sie alle Freuden des Lebens noch einmal kosten dürfen, weil sie nicht wissen, ob sie den nächsten Tag noch erleben. Ich weiss natürlich nicht, ob Du derartiges kennst, aber es scheint mir fairer zu sein, als sie ohne Freude und ohne Schönes in den Tod zu schicken, damit geifernde Massen sich am Blut berauschen können, das sie zu sehen bekommen. Täusche Dich nicht, das Leben der Gladiatoren besteht fast nur aus Training, denn nur wer gut ist, überlebt lange genug, um sich die Freiheit zu erkämpfen. Was Du gesehen hast, war ein Tag, ein einziger, unter so vielen anderen. Was Du vom Gladiatorenleben zu schmecken bekommst, ist das harte Training, und es wird all Dein Können brauchen, um dies zu bestehen." Warum ich in diesem Augenblick erlaubte, dass meine Abscheu über den Arenakampf zu hören war, wusste ich nicht wirklich, aber dieses war mir schneller entschlüpft, als dass ich darüber hätte nachsinnen können.


    "Ich nehme Deine Gefolgschaft an, Severus, und sowohl bei Deinem Volk wie auch bei meinem ist ein solches Wort bindend. Wer Dich angreift, greift mich an, werde ich angegriffen, bist Du ebenso der Angegriffene. Ich werde nicht noch einmal nachsichtig sein," beendete ich diesen törichten Ausflug in die Gefühlsduselei mit knappen Worten, denn diese soldatischen Werte, die von so vielen Lügnern und Egoisten für sich beschworen wurden, um ihnen zu nützen, waren für mich erst wertvoll, wenn ich gesehen hatte, dass beide Seiten sie ernst nahmen. "Du wirst an meiner Seite stehen, Severus, und auch dafür werden wir Dir einige neue Sachen beschaffen müssen, genauso wie wir beide gemeinsam trainieren werden, damit ich nicht schlaff und faul werde wie so viele andere meines Standes." Dass ich nicht mit den Gladiatoren trainieren würde, verstand sich von selbst - in die Arena ging ich höchst ungern, weil mich dieses sinnlose Gemetzel langweilte, und so würde ich es auch in meiner Freizeit halten.

  • Jetzt verstand der Germane den Sinn dieser Orgie. Es war ein Vorgeschmack auf die Freuden, die einen erwarteten in der Halle der Einherrier, damit die Kämpfer Tags darauf den Tod nicht scheuten! Sehr klug. Das zerstreute natürlich seine Bedenken. Den ganzen Tag zu trainieren, dass erschien ihm allerdings ziemlich, nun ja, anstrengend, wenn er auch keine Sorge hegte, dort bestehen zu können. Aber etwas ließ ihn sichtlich aufmerken: 'um sich die Freiheit zu erkämpfen'.
    "Das ist möglich?!", fragte er lebhaft, überrascht, nach. "Sich die Freiheit erkämpfen? Wie? - Ich dachte am Ende wäre alle in der Arena nur Opfer zu Ehren eurer Götter. Und du bist doch Gode, Sacerdos meine ich, hältst Du denn nichts von Menschenopfern?"


    Die treulosen Gedanken, die sich so hartnäckig an die Oberfläche seines Geistes stehlen wollten, verstummten, als Aquilius es bestätigte: Gefolgschaft. Treue. Der Germane nickte, und ihm war, als erschiene in der befremdenden Leere, die dieser seltsame Severus in sich trug, so etwas wie ein Pfeiler. Etwas festes, etwas das Halt gab.
    "Ja."
    Einer seiner Mundwinkel verzog sich ein wenig, als Aquilius vom Training sprach und von neuen Sachen. Er zog kurz an dem Saum seiner ungeliebten Tunika und murmelte, nicht so ganz ernst:
    "Was das passt wär ganz gut..."
    Dann atmete er tief ein, legte nachdenklich den Kopf schief, und stützte ihn auf die Hand, wobei er unwillkürlich mit den Fingern über die verfärbten Male hinwegstrich.
    "Das heißt...", fragte er schließlich zögernd, und ein Ausdruck qualvoller Verunsicherung stand in seinen Augen geschrieben, als er Aquilius' Blick suchte, dann gleich wieder unruhig in die Ferne sah, "dann soll das also... ist das also... also ich meine wirklich - mein Name?... Soll ich das denn sein?"

  • "Natürlich ist es möglich," sagte ich gelassen. "Denkst Du denn, wir wären Unmenschen? Aber was frage ich, Du hast es mir oft genug deutlich gemacht, dass Du genau das denkst. Und wärest Du nicht so vermessen gewesen, als Du eingekerkert warst, hätte ich Dich in das Gladiatorentraining geschickt, damit Du Dir durch Siege eben diesen Weg erkaufen hättest können - die Freiheit, selbst durch Deine Handlungen verdient. Dieser Weg ist Dir nun verschlossen, denn was immer Rutger getan hat, Severus werde ich bei mir behalten, solange ich denke, dass es Sinn für mich macht. Nur wenn ein Sklave in die Arena direkt verkauft oder von seinem Herrn dorthin geschickt wird, um vor Publikum zu kämpfen, besteht diese Option. Es gab immer wieder Sklaven, die es geschafft haben, frei zu werden, und die nach ihrer Befreiung reiche und einflussreiche Männer wurden - aber es gibt noch mehr, die scheiterten, denn die Arena ist ein Blutbecken, und jeder, der dorthin kommt, um zuzusehen, will Blut sehen, und noch mehr geschlagene Opfer auf dem Boden." Wieder mischte sich ein gewisser Abscheu in den Klang meiner Stimme, und ich entspannte meine Gesichtszüge bewusst, um nicht zu zornig zu werden, wie ich es zu oft wurde, wenn das Thema auf die Arena kam.


    "Früher war es noch so, dass alle Kämpfe in der Arena zu Ehren des Mars ausgetragen wurden, unseres Kriegsgottes, dem Gott, dem ich diene, Severus, doch heute sterben die Menschen nur noch, um die Massen zu belustigen, die gierig darauf lauern, ihren Blutdurst an sterbenden Menschen zu stillen," fuhr ich fort. "Menschenopfer ... über diese barbarische Zeit sind wir hinweg. Wir halten es vielmehr für sinnvoller, Tiere zu opfern, wenn Blut vergossen werden muss, und des Menschen Handeln muss es sein, das den wahrhaften Dienst leistet, nicht sein genommenes Leben allein." Er schien stiller geworden, unsicher? Ich runzelte die Stirn, nahm ihn genauer in meinen Blick, um zu erkunden, was er wohl denken mochte, doch taten mir die Götter wie stets keinen Gefallen, sodass mir nur blieb, gut zu raten.
    "Ich habe Dir diesen neuen Namen nicht ohne Grund gegeben, Severus, mein Volk legt viel Wert auf den richtigen Namen für einen Menschen - und jeder Name hat eine Bedeutung. Severus bedeutet 'ernst', 'streng' und 'gewissenhaft', Dinge, die auf Deine Seele übergehen sollen, auf dass Du nicht noch einmal dieselben Fehler begehst. Ernst sollst Du erwägen, ob die Dinge richtig sind, die Du tust, streng sollst Du zu Dir selbst sein, denn nur mit Strenge wird ein Mann zu einem wahren Krieger - und gewissenhaft sollst Du tun, was Dir geboten ist und was Du Dir selbst gebietest."

  • Natürlich. Aber nicht für Dich. Wärest, hättest, könntest. Von wegen. Seine Miene verdüsterte sich, enttäuscht, und ärgerlich dass der Römer noch immer dieses Spiel trieb, und das er noch immer darauf reinfiel. Nicht zum ersten Mal kam er sich vor wie ein Esel, dem man die Karotte vor die Nase hält, und, wenn er vorwärtsstrebt, im letzten Moment wieder wegzieht. Er schwieg. Und auch dass Aquilius ihn so belehrte, dass Namen nicht ohne Bedeutung waren, konsternierte den Germanen, überhaupt bedauerte er sofort, sich eine Blöße gegeben zu haben. Wieder glomm ein Funken von Trotz in seinen Augen. Er hob den Kopf und zog die Augenbrauen hoch.


    "So. Nun dann scheint ihr eure Götter aber nicht hoch zu schätzen, wenn ihr ihnen das höchste Opfer verwehrt. Namen haben auch bei uns Bedeutung. Mein Name hieß: Der ruhmreich mit dem Speer kämpft. Severus, das ist ein kalter Name. Es ist nicht ein Name für einen Mann, dem warm das Blut durch die Adern rinnt."
    Er schüttelte den Kopf, und sprach leise, traurig, dann zunehmend aufgewühlt.
    "Ich weiß was ein wahrer Krieger ist - er ist kühn und ergreift die Gelegenheit zu siegen ohne Zögern, möge es auch sein Untergang sein. Es... war ja auch sein Untergang. - Ich werde Dir folgen weil ich es Dir schulde und Dir dienen weil ich keine Wahl habe. Aber das war Du da "Seele" nennst, das was ihr, und eure Flüche und Kerker und... Spielchen und all das, von mir übrig gelassen habt, das ist, verdammt noch mal, immer noch meins."
    Seine Hand krallte sich in den Stoff, der die Kline bedeckte, als wolle er sich daran festhalten. Oder etwas festhalten.

  • Zumindest schien noch ein Teil des alten Rutger meinem Sklaven innezuwohnen, er zeigte mir dieselbe saure Miene, die ich noch nur zu gut in Erinnerung hatte - ein vages Erheben meiner Augenbrauen ließ ihn wissen, dass ich seinen Gesichtsausdruck sehr wohl registriert hatte und keineswegs guthieß. Dieses Gesicht wollte ich nicht mehr sehen, es hatte ihm schon einmal kein Glück gebracht, und es würde auch weiterhin nicht für Glück sorgen.
    "Auf dem Schlachtfeld opfern wir den Göttern, Severus, dort fließt genug Blut. Es ist nicht notwendig, in der Umgebung von Familien, von Friede und Zufriedenheit, auch noch Blut zu vergießen," spann ich den Gedanken weiter und betrachtete ihn eine Weile sinnierend. "Ger, so nennt man den Speer bei euch, nicht wahr? Ger-manen ... ger und manus, die den Speer in der Hand führen? Oder ger-Mannen, die Speermänner? Woher auch immer diese Bezeichnung rühren mag, der Mann, der den Speer führte, ist tot, und Severus ist ein tugendreicher, traditionsreicher römischer Name. Ob Du ihn mit Leben füllst, ob Du die Wärme, die er in sich tragen kann, erstehen lässt, liegt bei Dir, und Dir allein - nichts muss kalt sein, nichts muss schlecht sein, wenn man es nicht unbedingt will."


    Wieder griff ich nach einer Traube und ließ einen Augenblick verstreichen, in dem ich mich dem flüchtigen Genuss dieses Geschmacks hingab, ich erkannte sie schon allein an der Zartheit des sich langsam entfaltenden Aromas - es war eine der Trauben von meinem Landgut, und sie würden spätestens im nächsten Jahr einen hervorragenden Wein geben.
    "Severus spiegelt eine römische Tugend, die wir von jedem Mann erwarten, der einst als Familienvater und Versorger Frau und Kinder bei sich hat, dessen Wort den Weg der Familie bestimmt und dessen Arm die Seinen beschützt - Strenge, die ein rechtes Maß nicht überschreitet, ist wichtig. Aber sie hat auch andere Seiten, denn nur wer Strenge erfahren hat, kann wirklich schätzen, Freigiebigkeit zu erfahren, niemand kann immer nur streng sein. Kennst Du Ianus, den Zweiköpfigen? Er blickt nach hinten und nach vorn, und ähnlich geht es Dir. Du hast lange genug nach hinten geblickt, jetzt blicke auch nach vorn. Ich bin kein Unmensch, Severus, es liegt mir nicht, einen Menschen ewig in Ketten zu halten, der sich mir als wertvoll erwiesen hat. Du hast ein ganzes Leben vor Dir, und es liegt bei Dir, was daraus wird."

  • Salbungsvolle Worte. Ein Name also, der bis zum Rand erfüllt war von römischen Tugenden und Tradition. Das drosselte nun nicht unbedingt seine Abneigung.
    "Nein. Ich kenne ihn nicht - Ianus. Ist er ein neuer Sklave hier?"
    Solch eine Missgeburt hätte ihm doch eigentlich auffallen müssen. Anscheinend hatte die Römer eine Vorliebe dafür, wie man auch an dem kleinen Krüppel sehen konnte, der in Diensten der rothaarigen Freundin von Aquilius, die so flink mit den Haarnadeln war, stand.


    Langsam schüttelte er den Kopf, und sprach müde, aber bestimmt:
    "Flavius Aquilius. Ich weiß dass Du kein 'Unmensch' bist. Sonst hätten mich ja schon die Raben gefressen. Aber: Es ist wie es ist. Man ist Herr über sein Leben oder man ist es nicht, frei oder unfrei. Zu beschönigen versuchen musst Du mir das - gewiss - nicht. 'Blicke nach vorn! Es liegt bei Dir! Frei musst Du im Geist sein!' Wären - nur mal angenommen - die Schicksalsfäden anders geknüpft, und Du wärst an meiner Stelle in Gefangenschaft geraten, und ein Sklave geworden, wie das einem jeden passieren kann wenn die Götter ihm nicht hold sind, so würden Dir solche eitlen Ratschläge ebenso wie mir nun wie der blanke Hohn klingen. Ich bin weder Kind noch schwachsinnig und ich bitte Dich höflich, Flavius Aquilius: hör damit auf."
    Er hoffte dass er sich nun nicht die aller(aller)letzten Sympathien restlos verscherzt hatte. Aber das hatte er einmal sagen müssen.

  • "Ianus ist ein Gott, Severus, und das soll Deine erste wirkliche Aufgabe sein neben Deiner Pflicht, auf mein Leben zu achten - lerne unsere Götter kennen, unsere Riten, unsere Feste. Du musst sie nicht feiern, aber doch kennen, denn es gibt genug fromme Menschen, die sich beleidigt fühlen könnten, wenn sie das Gefühl haben, ein Sklave würde sich nicht auskennen. Es wird Dir in der Zukunft einigen Ärger vom Hals halten, über unsere Gesellschaft Bescheid zu wissen," sagte ich ruhig, noch immer nicht wirklich von seinen Worten berührt. Sein Fast-Tod hatte mir einen Zugang zu Gefühlen versperrt, die tiefer reichten als ein momentaner Augenblick, und ich ertappte mich selbst dabei, wie seine Nähe auf mich noch immer wie verschleiert wirkte, als sei dies alles nicht real. Wollte ich ihn überhaupt als Sklaven behalten? Oder war er für mich inzwischen wirklich austauschbar geworden, einer unter vielen, die mir wenig mehr als Unbekannte bedeuteten?


    "Du besitzt noch immer denselben Geist, wie mir scheint, und wer weiss, wie ich als Sklave gewesen wäre - diesen Einblick haben uns die Götter nicht gewährt, in sofern könnte ich nur vermuten. Ich kann Dir nur sagen, dass ich mich in den vielen Monaten, in denen ich vergessen habe, wer ich war, und woher ich stammte, glücklicher und zufriedener gelebt habe als jemals zuvor, und dass auch ein Patrizier von Banden gefesselt sein können, die einen unfrei machen. Es mag Dir wie Hohn klingen, und schätzungsweise wirst Du auch diese meiner Worte verächtlich abtun wie stets, dennoch - es ist eine Frage des Blickwinkels. Willst Du denn in die Arena und um Deine Freiheit kämpfen?" Wenn ich ehrlich war, dauerte mich diese ganze Sache langsam aber sicher doch ein wenig, und wenn er vor die Entscheidung gestellt wurde, dann konnte er sich am Ende wenigstens nicht darüber beschweren, er hätte nie die Möglichkeit erhalten. Im Augenblick jedenfalls kam ich mir ein wenig vor wie ein Vater, der mit seinem Nachwuchs nicht allzu viel anfangen kann, nachdem er festgestellt hatte, dass die gewünschten Erziehungsziele offensichtlich nicht erreicht worden waren.

  • Ein Gott. Ach so. Früher wäre ihm die Aussicht, sich mit den römischen Göttern und Bräuchen vertraut zu machen, falsch erschienen, und er hätte wohl gefürchtet, das Missfallen seiner eigenen Götter damit zu wecken.
    Doch die hatten ihn verlassen, ihn allein gelassen - sein Speer war geborsten, und beigestanden hatten sie ihm nicht, als er verzweifelt um ihre Hilfe ersuchte. Denen schuldete er gar nichts mehr, das waren nicht mehr seine, und sowieso nicht die Götter eines "Severus", eines Sklaven.... So nickte er bereitwillig.
    "Ja. Wer soll mich das lehren?"


    Wieder und wieder wunderte er sich, wie ruhig der Flavier immer blieb, und war in diesem Moment auch recht froh darüber. Jedoch verstand er nicht worauf dieser anspielte. Monate, in denen er vergessen hatte wer er war? Unverständnis spiegelte sich in der Miene des Germanen und fragend blickte er den Römer an. Und wieder betonte dieser, dass auch römische Patrizier "unfrei" sein konnten. Und wieder schüttelte der Germane befremdet den Kopf. Er starrte auf Aquilius' unversehrte Handgelenke, die glatte Haut auf der nie ein schweres, kaltes, immer scheuernden Eisen seine Spuren hinterlassen hatte, und verspürte einen Moment lang den Wunsch, dass der Flavier einmal die wahre Unfreiheit kennenlernen würde, in all ihrer demütigenden, vernichtenden, gar nicht abstrakten, Hässlichkeit. Aberwitzig war es, so dachte der Germane, die Befindlichkeitsstörungen übersättigter Patrizier damit in Bezug zu setzen.
    Aber warum eigentlich, fragte er sich zugleich, war es ihm nicht egal was Aquilius darüber dachte? Er musste ihm doch nur dienen, seine Schuld abtragen, was der Römer in ihm sah, sollte ihm komplett gleichgültig sein. War es aber nicht, bemerkte der Germane, als er in sich hineinhorchte, und dort ganz simple Wünsche vorfand - Er wollte als ein Mensch gesehen werden. Nicht als ein räudiger Hund, und auch nicht als ein schwachsinniger "Barbar". Respektiert werden eben. Wie dumm! Diesen sentimentalen Zug bei sich zu entdecken, nach allem was passiert war, ärgerte ihn. Er zuckte die Schultern, und sagte lieber nichts mehr zum Thema Blickwinkel.


    "Ob ich will?!"
    Ungläubig, dass Aquilius ihn überhaupt sowas fragte, wandte er ihm ruckartig das Gesicht zu, und antwortete aus tiefster Seele, voll verzweifelter Inbrunst:
    "Aber ich würde doch ALLES tun, um eines Tages wieder frei zu sein! - Sag mir was ich tun soll, Flavius Aquilius, sei es die Knochenmühle oder was auch immer sonst! Ich tue was Du sagst, kämpfe auf Dein Wort hin, töte wen Du willst!"


    Ich habe keine Ehre mehr. Ich hätte am Kreuz sterben sollen.
    Hätte ich nur nicht die Nerven verloren. Das ist unwürdig.
    Ich wollte bloß leben. Aber wenn ich doch irgendwann, vielleicht, wieder frei sein könnte...
    frei...
    Ich? Wer - Ich?

  • "Du kannst die anderen Sklaven um Hilfe bitten, dir die Grundbegriffe unseres Glaubens zu erklären, und wenn Du die Namen der wichtigsten Götter und Göttinnen kennst, werde ich Dich selbst unterrichten," sagte ich und überlegte für einen Moment, ob ich ihn zum Unterricht der beiden Schülerinnen mitnehmen sollte, die man mir zugeteilt hatte. Aber eingedenk der Wirkung, die er einst auf Arrecina gehabt hatte, entschied ich mich dagegen, sie würden sich wohl eher gegenseitig ablenken und am Ende würde ich mitempörten Vätern verhandeln müssen, welche die Ehre ihrer Töchter verletzt sahen - nein, das musste nun wirklich nicht sein.


    Der heftige Gefühlsausbruch Rutgers ließ mich dann doch kurz zusammenzucken - hatte er denn immernoch nicht verstanden, hatte ich mich für ihn so unverständlich ausgedrückt? Aber dann fiel mir ein, dass er nicht als Sklave geboren und aufgewachsen war, dass er immer nur den eigenen Weg gesehen hatte und ihm das Einfühlungsvermögen in die Gedankenwelten anderer - zumindest der Römer - schwerzufallen schien. Innerlich seufzend stellte ich wieder einmal mit nicht geringer Frustration fest, dass wir trotz all der Ereignisse anscheinend noch keinen wirklichen Schritt weitergekommen waren. Lohnte es sich überhaupt, ihm so viele Gedanken und Zeit zu opfern? Bemüht, eine ruhige Miene zu wahren, blickte ich zu ihm herüber und nahm erst noch einen Schluck Wein, der mir die nötige Zeit zur Beruhigung verschaffen würde. Der Geschmack lenkte wenigstens für einige Lidschläge ab, auch wenn der Grundtenor meiner Gedanken sich nicht wesentlich änderte.


    "Das einzige, was ich von Dir erwartet habe, als Du noch Rutger warst, das einzige, was ich jetzt von Dir erwarte, da Du nun Severus bist, sind Loyalität und ein Grund, dir zu vertrauen, Severus! Glaubst Du nicht, ein Paar Muskeln könnte ich mir an jeder Ecke kaufen, wollte ich sie? Glaubst Du nicht, jeder Idiot könnte eine solche Arbeit verrichten? Überlege Dir gut, wer Du bist, und warum ich Dich wohl an meiner Seite zu sehen wünsche, dass ich dieses Possenspiel mit einem toten und einem lebenden Sklaven vollführt habe!" Ich drückte die Fingerkuppen beider Hände aneinander und blickte ihn über dieses Konstrukt hinweg sinnierend an. "Ich glaubte in dir einen Menschen zu erkennen, der mehr ist als nur ein Krieger, der klug genug ist, auch zu wissen, wann ein Kampf nicht lohnt, und wann er sinnvoll ist - und vor allem jemanden, der aufgrund dieser Charaktereigenschaften einmal es verdienen wird, den Namen einer kaiserlichen Familie in dem seinen zu führen. Sei mir ein Gefährte, der mir ehrlich seine Meinung sagt, sei mir ein Schild gegen den Wahnsinn dieser Stadt, und ich werde Dich eher früher als später zu einem freien Mann machen. Das hier ist doch kein dummes Spiel für Kinder, die ihrem Geist noch nicht trauen können."

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