Mattiacus schaute auf seine Prozessnotizen, wenig berührt von dem, was der Angeklagte über die Rechtmässigkeit des Verfahrens gesagt hatte.
"Ich rufe Publius Annaeus Domitianus als Zeugen auf."
Mattiacus schaute auf seine Prozessnotizen, wenig berührt von dem, was der Angeklagte über die Rechtmässigkeit des Verfahrens gesagt hatte.
"Ich rufe Publius Annaeus Domitianus als Zeugen auf."
Caius war sich nicht ganz im Klaren, was er von Helvetius Sulla halten sollte. Dessen fabelhaftes Gedächtnis überraschte ihn, als er ohne einen Blick in den Gesetzestext die passende Norm genauestens zitiert hatte. Das war beeindruckend, allerdings war ihm der recht sichere Umgang mit dem Gesetzestext auch bei anderen Prozessbeteiligten schon früher aufgefallen. Den Prozessen gegen die Verschwörer war wohl eine äußerst gründliche Vorbereitung aller Beteiligten vorausgegangen, was nicht verwunderlich war, wenn man deren Bedeutung in Betracht zog.
An der Rechtmäßigkeit des Verfahrens hatte er dagegen nur wenig Zweifel. Dass der Angeklagte den ranghöchsten Praefecten in Abwesenheit des Kaisers der Befangenheit beschuldigte, grenzte fast schon an Verzweiflung. Die genauen Fundstellen im Gesetz könnte Caius nicht aus dem Stegreif zitieren, dazu war er noch nicht erfahren genug. Jedoch meinte er im Codex Universalis etwas von dem Praetorianerpraefect im Zusammenhang mit der Stellvertreterregelung des Kaisers gelesen zu haben. Diesen also der Befangenheit zu beschuldigen war so, als würde man den Kaiser selbst der Befangenheit beschuldigen. Letzterer jedoch war de lege lata gegen jeglichen Verdacht der Befangenheit immun. Nichts anderes konnte für seinen Stellvertreter gelten.
Aber solche komplizierten Fragen boten viele Gelegenheiten für einen Irrtum und sich den Kopf darüber zu zerbrechen, war nicht die Aufgabe des jungen Patriziers. So beließ er es bei seiner Meinung, dass der Prozess schon in Ordnung ging. Freilich war er anders, als der gegen Pompeius Strabo. Das hieß natürlich nicht, dass er weniger spannend und interessant war. Caius bereute es keinesfalls, hier als Zuschauer dabei zu sein. Das Verhalten des Angeklagten passte zu dem Bild, das Caius sich anhand dessen Aussagen von ihm machte. In Corduba hatte Helvetius Sulla in Ansehung der Aussichtslosigkeit eigener Lage es auf den Kampf gegen die Praetorianergarde ankommen lassen, statt den Aufstand zu beenden oder zumindest den Versuch zu wagen. So auch hier. Aus purer Verzweiflung schien er nichts unversucht zu lassen und führte seinen Kampf hier vor dem Gericht auf verlorenem Posten fort.
Caius war gespannt, was der Zeuge, der von der Anklage aufgerufen wurde, zu berichten wusste.
Das Urteil in diesem Prozess gegen den Hochverräter Helvetius Sulla stand fest, ebenso natürlich mein eigenes abschließendes Urteil über sein Tun. Dennoch hatte ich mich zu diesem Prozess nicht nur eingefunden, um den Hochverräter zu bestaunen wie ein exotisches Tier, sondern um mehr zu erfahren über seine Beweggründe, ja vielleicht sogar, um den Charakter eines solchen Menschen studieren zu können und meine Menschenkenntnis auf diese Weise zu schulen.
Der Angeklagte, der vor einiger Zeit von Prätorianern in den Gerichtssaal gebracht worden war, war zweifellos ein ganz und gar gebrochener Mann. Dazu hätte ich der Information gar nicht bedurft, dass er bei der Niederschlagung des Aufstands und seiner Ergreifung verletzt worden war und einige Zeit im valetudinarium zugebracht hatte; ein Blick auf seine eingefallene Gestalt sagte mir bereits genug. Dass dieser Mann aber ganz und gar nicht dazu bereit sein würde, sich hier vor dem öffentlichen Gericht als Besiegter und Gebrochener einfach nur vorführen zu lassen, offenbarten gleich die ersten Worte seiner langen Verteidigungsrede.
Inhaltlich enthielt sie selbst für einen erst vor Kurzem Zugereisten und Unkundigen wie mich wenig Neues. Dass Helvetius Sulla seinen Helfershelfer bei dem Aufstand, Pompeius Strabo, belasten würde, um sich selber in einem besseren Licht erscheinen zu lassen, konnte niemanden überraschen. Und dass die Verhältnisse in Hispania vor dem Aufstand nicht zum Besten bestellt gewesen waren, war reichsweit bekannt gewesen. Die grellen Farben, die Helvetius Sulla für die Schilderung dieser Verhältnisse auftrug, machten allerdings schon einen gewissen Eindruck auf mich, vor allem da ich mich des Gefühls nicht erwehren konnte, dass der Angeklagte selbst von der Wahrheit seiner Worte auch in ihrer Drastik überzeugt war. Natürlich zweifelte ich jedoch keinen Moment daran, dass der Kaiser mit der Unterstützung des Senats nach seiner siegreichen Rückkehr vom Partherfeldzug rasch und durchgreifend Abhilfe in Hispania schaffen würde.
Was mir von der Verteidigungsrede Helvetius Sullas wohl am meisten in Erinnerung bleiben würde, war daher nicht ihr Inhalt, sondern der Impetus, mit dem sie vorgetragen wurde. Von einer Satzperiode zur nächsten schien sich der Mann immer weiter hineinzusteigern, und seine gebrochene Gestalt schien noch einmal aufzuleben. Mir schien es so, als sei der Hochverräter immer noch davon überzeugt, im Kern richtig gehandelt zu haben, weil er seiner Ansicht nach nicht anders hatte handeln können. Dies war es wohl, was er in seiner Rede zu vermitteln suchte. Nur Kalkül? Ich war mir nicht sicher, Kalkül war gewiss auch dabei, doch vielleicht nicht nur; vielleicht gab es in diesem Mann wirklich einen edlen, unbestechlichen Kern, der jedoch hinfort gerissen worden war über alle Grenzen hinweg durch persönlichen Ehrgeiz, durch Hybris und Fanatismus. So wunderte es mich auch wenig, dass Helvetius Sulla durchaus nicht einging auf die interessante Frage des Vertreters der Anklage, warum er nach dem Abtreten Pompeius Strabos nicht deeskalierend gewirkt habe, sondern stattdessen das Gericht der Befangenheit bezichtigte.
Für einen kurzen Moment ging mir der Gedanke durch den Kopf, ob dies vielleicht etwas sei, was man häufig antreffen könne: einen gewissen Edelmut gepaart mit Fanatismus auf der einen Seite, dagegen auf der anderen Seite Gesetzestreue in Verbindung mit Mediokrität. - Aber nein, die Geschichte unseres Volkes lehrte ganz anderes und enthielt unzählige Beispiele von Männern, bei denen sich gerade Edelmut mit persönlicher Bescheidenheit und Treue zu den Gesetzen verknüpft hatte.
Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder dem Verfahren zu und dem Zeugen, der soeben aufgerufen worden war.
ZitatOriginal von Marcus Decimus Mattiacus
"Ich rufe Publius Annaeus Domitianus als Zeugen auf."
Es war soweit. Der Sinn und Zweck meiner langen Reise lag direkt vor mir, vor diesem Gericht. Zum erstenmal überhaupt in meinen Leben hatte ich die römische Reichshauptstadt betreten, schneller als gedacht, und lieber als mir war holte mich die Vergangenheit ein.
Strabo, Sulla, der Aufstand, tausende toter Männer und Frauen, ein Gemetzel. Voller Verachtung sah ich hinüber zur Angeklagtenbank. Meine Augenbrauen zogen sich zusammen, meine Miene verfinsterte sich, der Blick fixierte den greisen Sulla, der aussah wie ein Lamm, welches man zur Schlachtbank geführt hatte.
Ich hatte mir extra eine neue Toga gekauft für diesen Anlass. Im schneeweißen Gewand und mit der Würde eines Sacerdos hatte ich den Gerichtssaal betreten.
Mir fiel es schwer den Blick von dem Angeklagten zu lassen. Einige meiner Freunde aus Corduba waren durch seine Hand gefallen, sei es das sie im überschwenglichen Fanatismus seinen Reden folgten, oder auf Befehl dieses Saddisten executiert waren. Auf mich war ein Kopfgeld ausgesetzt, verstecken mußte ich mich, um nicht seinen Häschern in die Arme zu laufen.
Die bisherige Rede des Angeklagten, die Beschuldigungen gegen den Iudex, die Tatsache, daß er sich als Opfer hinzustellen wagte, während er alles seinem Kontrahenten Strabo in die Schuhe zu schieben versuchte, machten mich wütend.
Ich mußte mich beherrschen, meine gravitas zu wahren. Stünde ich nicht unter den Augen des obersten Iudex, sowie des Anklägers, ich hätte Sulla eigenhändig angebrüllt und hinausgeschliffen. Auch wenn es wohl mehr Wunschdenken war.
Ich löste meinen Blick und sah zum Advocatus, der mich hinwies, auf der Zeugenbank Platz zu nehmen, was ich auch tat.
"Publius Annaeus Domitianus ist mein Name." gab ich zu Protokoll.
Dieses Posting zeitlich bitte vor dem EIntreffen von Domitianus einordnen
Die ablehnende Antwort des Iudex Prior hatte Sulla erwartet. Trotzdem erzürnte es ihn, dass auch der Ankläger nicht eine Bermerkung zu den durchaus diskutablen Vorwürfen machte. Seine Stimme ertönte erneut im Gerichtssaal.
"Das ich hier nicht mit einem fairen Prozess rechen können würde, war mir bereits im Vorfeld der Verhandlung bewusst, doch dass derart eklatante Rechtsmängel in der Prozessführung mit solcher Unverhohlenheit übergangen und bewusst in Kauf genommen werden, ja das ist ein Armutsszeugnis sondergleichen! Und Caecillius Crassus, du sagst es selbst: Es war der Kaiser, der dies so entschied und entscheiden konnte und genau das ist der Grund, weshalb ich in meinem Leben immer so handeln musste, wie ich gehandelt habe. Diesem Tyrannen steht es zu alte, ehrwürdige, römische Gesetze mit Füßen zu treten ohne in irgendeiner Weise dafür haftbar zu machen zu sein. Der törrichste Narr könnte auf dem Kaiserthron sitzen und die aberwitzigsten Handlungen begehen ohne auch nur einen Funken rechtlicher Konsequenzen erwarten zu müssen. Man muss sich doch fragen, weshalb der Kaiser einen derart herausgehobenen Rechtsstatus besitzt. Ich habe in meinem Leben niemal.s eine zufriedenstellende Antwort auf diese Frage gefunden."
Er hatte dies vor allem zu dem Richter gewendet, gesagt und blickte nun zum Ankläger
"Da ich der vermessenen Hoffnung unterlag mit meinem Hinweis zu der Unrechtmäßigkeit des Prozesses, etwas zu erreichen, vielleicht eine zeitweilige Unterbrechung des Prozesses, so erkläre ich mich nun, da sich diese Hoffnung als lächerliche Illusion herausstellte, dazu bereit, deine Fragen zu beantworten.
Es war nicht so, dass ich 'mein Glück bei Strabo gesucht habe' und es war auch nicht so, dass ich den 'Aufstand' nicht gewollt haben soll. Was mich mit Strabo anfangs verband, war zum einen die gemeinsame Ablehnung der katastrophalen Arbeit der Provinzregierung und zum anderen eine tiefe Skepsis gegenüber dem kaiserlichen System des Imperium Romanums. Diese zwei Punkte kumulierten sich zu dem, was Ihr alle unseren 'Aufstand' nennt. Wir wollten neue Wege gehen für ein besseres Corduba, ein besseres Hispania und langfristig auch für ein besseres Rom. Unsere Ablehnung des Bestehenden vereinte uns, doch unsere unterschiedlichen Wege zum Ziel trennten uns. Strabos Vorstellung von der besten Staatsform war die einer Demokratie athenischen Vorbilds. Auf dem Weg zu dieser Pöbelherrschaft, installierte er seine eigene ilegitime Tyrannei. Ich hingegen bevorzugte die Idee der Konzeption des platonischen Idealstaates: Ein vollkommen gerechter Staat in dem die Vernunft und die Philosophen über die drei natürlichen Stände herrschen. Dass diese Vorstellung auch nicht ansatzweise umgesetzt worden ist, dessen bin ich mir bewusst. Doch ein solcher Prozess braucht Zeit und kann nur in ruhigen Zeiten geschehen. Doch um einen solchen Plan überhaupt in Angriff nehmen zu können, braucht man ein festes Territorium. Deshalb haben wir zunächst alles daran gesetzt, die Region unter unserer Herrschaft vollends unter Kontrolle zu bringen und zu stabilisieren. Dabei ist sicher auch viel Unrecht geschehen, dessen ich mir durchaus bewusst bin. Es tut mir um die Opfer leid, doch es diente einem höheren Ziel. Die Aussicht, dass all die Pläne durch die Landung der Prätorianer schon im Keim zerschmettert werden sollten, brachten mich dazu auch bis zum letzten Moment zu kämpfen. Es war ein verzweifelter Kampf, ja und auch ein Kampf auf verlorenem Posten, doch dieser Widerstand soll für alle Ewigkeiten ein Symbol für den Kampf gegen kaiserliche Tyrannei bleiben!"
Ähm, mein Anwalt Durus ist ja im Urlaub, wie kann die Vertedigung dann den Zeugen befragen? Darf Sulla das dann machen?
]
Wenn der Angeklagte seine Meinung und Einstellung nicht jede Minute ändern würde, wäre ich ihm sehr verbunden. Die Aussage des Angeklagten wird protokolliert, aber der Angeklagte wird erst einmal aus dem Zeugenstand entlassen. Er kann zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal in diesen gerufen werden.
Auf Wunsch der Anklage hin ruft das Gericht Publius Annaeus Domitianus in den Zeugenstand. Crassus wartete bis dieser diesen erreicht hatte: Dem Zeugen ist bewusst, dass er die Wahrheit sagen muss und gegebenenfalls auch vereidigt werden kann? Sollte er keine Fragen zu seinen Rechten haben und so er mit dem Angeklagten weder verwandt noch verschwägert ist, steht seiner Aussage nichts im Weg.
Die Anklage hat das Wort.
Falls er bis dahin noch nicht zurück sein sollte, ja.
Als der Richter Annaeus Domitianus als Zeugen aufrief, war Sulla etwas irritiert. Im ersten Moment hatte er Schwierigkeiten diesen Namen einzuordnen. Es brauchte einige Sekunden bis er sich wieder erinnern konnte wer dieser Mann war. Sulla brachte sich das Gespräch mit diesem Mann in der Casa Helvetia in Corduba wieder ins Gedächtnis. Dieser falsche Heuchler, der Sulla schon vor dem Gespräch gehasst haben musste, hatte sich versucht durch geheuchelte Lobpreisungen Sullas Vertrauen zu erschleichen um Informationen über Laevina zu erlangen. In diesem Moment war Sulla erst recht foh, dass Laevina so wie es schien nicht im Gerichtssaal anwesend war.
Nachdem Domitianus den Saal betreten hatte, spürte Sulla sofort dessen fixierenden Blick. Er entgegnete ihn, doch was er dort erblickte, war verstörend. Aus Domitianus Augen sprach ihn eine Mischung aus tiefstem Hass, Verachtung, Zorn, Schadenfreude und vor allem Rachlust an. Sulla graute es vor diesem Menschen. Er war befremdet, ja geradezu entsetzt über diesen unbeschreiblichen Hass, der ihm alleine aus dem Blick jenes Mannes entgegenschlug. Zweifellos - die Antipathie beruhte auf Gegenseitigkeit, doch warum hasste ihn dieser Mensch so sehr? War es gekränkte Eitelkeit? Oder hatte ER, Sulla, diesem Mann ohne es zu wissen tatsächlich so schwerwiegenden Schaden zugefügt, dass dieser ihn so verachtete? In diesem Moment spürte Sulla neben dem Gefühl der Befremdung auch ein Gefühl der Unsicherheit.
Er versuchte sich nichts anmerken zu lassen, doch das Auftreten dieses Mannes verunsicherte ihn, nicht aus Angst vor Vorwürfen gegen ihn, das Todesurteil stand ja ohnehin fest, sondern es war eine Verunsicherung darüber, wie es sein konnte, das ein Mensch ihn so abgrundtief hasste.
Mattiacus wandte sich an den Zeugen.
"Domitianus, in seinen Ausführungen erwähnte der Angeklagte deinen Namen, deswegen bist du hier als Zeuge geladen."
Mattiacus räusperte sich kurz.
"Bitte lege uns doch, deine Sicht des Aufstandes dar und beschreibe deine Rolle zur fraglichen Zeit in Hispania."
Ich horchte auf, als der Angeklagte endlich doch auf die Frage des Anklagevertreters einging, warum er, Helvetius Sulla, es zu einer derartigen Eskalation der Ereignisse hatte kommen lassen. Die neuerliche Invektive gegen die Regierung des Imperiums durch einen Kaiser überhörte ich, um desto aufmerksamer zu lauschen, als der Angeklagte endlich seine Verantwortung für den Terror einräumte, der in Hispania verübt worden war.
Bei einem Mann aus der gens Helvetia, der zweifellos nur die beste Bildung genossen hatte, konnte man nun eine gute Begründung für dieses schändliche Tun erwarten. Und diese kam auch in der Form, die ich fast befürchtet hatte: Der Angeklagte nannte den idealen Staat Platons als sein Vorbild, und zwar offenbar nach dem Modell der "Politeia".
Nach meinen eigenen Studien war mir diese Skizze des Platon natürlich auch wohlbekannt, und einige Zeit lang, ich muss es gestehen, hatte auch mich diese Vision fasziniert: ein Gemeinwesen zu regieren, wie die menschliche Seele regiert werden sollte - das klang zweifellos bestechend, gerade wenn man jung war, und es stand zu befürchten, dass noch viele Menschen dieser Vision erliegen würden. Dass allerdings ein gestandener Mann wie Helvetius Sulla sich davon angezogen gefühlt hatte, erklärte sich mir nur aus einem ungezügelten eigenen Machtwillen heraus, in dem er sich selbst an die Stelle des herrschenden Philosophen und über die vielen, seiner Meinung nach Unwissenden, gesetzt hatte. Dass ihn gerade dieser ungezügelte Machttrieb als Philosoph und damit zum Regieren disqualifizierte, hatte er geflissentlich übersehen. Wenn ich natürlich auch nicht in das Herz dieses Menschen schauen konnte, so stand für mich nun doch fest: Die ursprünglichen Motive des Helvetius Sulla mochten einer gewissen edlen Denkungsart entsprungen sein; seine eigene Gier nach Macht hatte dann aber jeden Gedanken an das Gemeinwohl vertrieben und ihn nur noch sich selbst sehen lassen. Er hatte einen Konflikt heraufbeschworen, deren Preis Unschuldige hatten zahlen müssen.
Einem konfliktreichen Höhepunkt schien nun aber auch diese Verhandlung zuzustreben, als der angekündigte Zeuge Annaeus Domitianus den Verhandlungssaal betrat. Trotz der Größe des Raumes war es vom ersten Moment an so, als schwirrten lauter unsichtbare Pfeile zwischen dem Annaer und dem Helvetier durch die Luft. Gerichtsverhandlungen konnten umso vieles dramatischer sein als Gladiatorenkämpfe und selbst als die Tragödie. Ich lehnte mich gespannt nach vorne.
ZitatOriginal von Marcus Decimus Mattiacus
"Bitte lege uns doch, deine Sicht des Aufstandes dar und beschreibe deine Rolle zur fraglichen Zeit in Hispania."
Ich überlegte eine Weile.
"Angefangen hatte alles mit einer Bekanntmachung, mit der die Regioverwaltung des neues Comes, Pompeius Strabo alle 20 bis 40 jährigen Männer aufforderte sich zu versammeln. Ich hatte keine Ahnung, was der Comes mit diesem Aufmarsch bezweckte, da ich aber auch angesprochen war, machte ich mich ebenso auf den Weg, dem Aufruf zu folgen.
Irgendwo außerhalb der Stadt hatte man sich versammelt, als der Hochverräter Strabo eine flammende Rede hielt. Ich vermag den genauen Wortlaut nicht mehr zu recitieren, aber es verursachte in mir ein ungutes Gefühl. Er predigte öffentlich gegen den Imperator und proklamierte die Unabhängigkeit Baeticas. Obwohl nicht wenige von den Einwohnern Cordubas den Parolen des Comes nicht folgten, sondern sich abwandten, gab es doch genug Eiferer, die johlend zustimmend vom Charme und der Rhetorik Strabos gefangen waren. Ja, er besaß durchaus eine gewisse Aura. Ich hatte das Gefühl, in vielen projezierte sich durch seine Worte und Taten die Hoffnung aus einer Bedeutungslosigkeit fernab von Rom hervorzutreten und auf sich aufmerksam zu machen. Sie waren 'captus in benevolentia sua'.
Ich hatte mich mit den Meisten vom Platz entfernt. Doch mein ungutes Gefühl bestärkte mich. Da ich selbst jedoch ohne große Möglichkeiten war, wand ich mich an zwei einflussreiche Decurionen, Fabius und Mummius, mit ihrer Hilfe setzte ich einen Brief auf, der die benachbarte Cohors II Emerita benachrichtigen sollte und wie es sich zeigte, kam dieser Brief auch an.
Ich hatte das Gefühl, daß sich mit der Länge des Aufstandes die Politik der Verschwörer änderte. Sie wurde zunehmend härter und richtete sich mehr gegen die Zivilbevölkerung. Auf meine Person wurde ein Kopfgeld verhängt, was dazu führte, daß ich gezwungen war, mich über Wochen zu verstecken. Milizionäre, die Sulla und Strabo gewonnen hatten, beherrschten das Stadtbild, raubten und plünderten."
Ich hielt inne, wartete ob der Ankläger noch eine Frage hatte.
"Du sagtest, Strabo hätte diese flammende Rede gehalten und war quasi der Urheber des Aufstandes. Aber was machte der Angeklagte während dieser Zeit?"
Ich sah zu dem Angeklagten herüber.
"Sicher war Strabo der Urheber des Aufstandes, das steht fest. Doch ich bezweifle, daß er allein fähig war, einen solchen Plan durchzuziehen. Nein, wie sich ja herausstellte war es gerade Sulla, der Kopf der Bande, der die Fäden zusammenhielt und Strabo lenkte.
Strabo ist jemand, der Leidenschaft besitzt, das wurde mir relativ schnell bei all seinen Auftritten klar. Er vermochte die Masse durch seine Eloquenz zu beeinflussen. Doch er besitzt in keinster Weise den Intellekt, das Hirn, sowas auch nur fortzuspinnen. Er sonnt sich im kurzfristigen Ruhm, phantasiert sich eine Traumwelt herbei. Doch der Kopf, der sitzt da drüben und sein Name lautet Appius Helvetius Sulla !"
Mit eiskalter Stimme hat ich diesen Namen ausgesprochen, als fegte ein Windhauch durch das Gericht, den man förmlich spüren konnte, während ich mit dem Finger auf den Angeklagten zeigte.
Ich fragte mich, warum hier so eine Show abzog. Jeder Mann Roms wußte, daß auf Hochverrat der Tod stand und man mit dem Urteil nicht lange fackelte. Jetzt diesem ganzen Theater noch einen demokratischen Anstrich zu geben war genauso schlimm wie der Verrat selber. Da war der Ankläger nicht besser als der Angeklagte mit den ganzen heuchlerischen Zeugen dazu, die je nach Stärke der gewonnenen Partei immer etwas zu wissen glaubten oder gesehen hatten.
Die Götter werden Euch alle strafen murmelte ich und ging weiter meiner Wege,
Mattiacus war mit der Antwort nicht ganz zufrieden, wollte es jetzt aber darauf beruhen lassen.
"Als du dich vor den Häschern der Aufständischen versteckt hattest, hast du da irgendetwas vom Kampf der Prätorianer mitbekommen ? Wenn ja, bist du der Meinung, dass Sulla, nachdem sich Strabo aus dem Staub gemacht hat, weiteres Blutvergießen hätte verhindert werden können?"
"Vom Kampf der Praetorianer ? Nein. Natürlich wußte ich, daß Speculatores in der Stadt waren, aber die kämpfen ja eher geräuchlos."
Dann überlegte ich.
"Die Frage ist mir nicht ganz klar. Wie hätte weiteres Blutvergießen verhindert werden können ? Natürlich hätte Sulla kapitulieren können. Die Frage ist, warum hätte er das tun sollen ?"
Erst nachdem er eine Zeit lang schweigend unter den Zuschauern gesessen hatte, fiel Macer auf, wie unterschiedlich sich Prozesse trotz identischer Anklage entwickeln konnten. Der eine Prozess wurde zu einem Zerrbild einer schlechten Komödie, in der der Angeklagte erst etwas vorzuspielen versuchte, während der andere Prozess sich zu einer ganz normalen Debatte vor Gericht entwickelte, als wenn es um zwei Nachbarn ging, die um einen Grenzstein stritten.
Mit der Aufmerksamkeit eines Mannes, der sich bisher immer noch nicht an die juristischen Prüfungen gewagt hatte, die ihn zum Praetor qualifizieren würden, folgte Macer den Ausführungen der Ankalge, des Angeklagten und des Richters. Mit den wenigsten Paragraphen fong Macer spontan etwas an und auch bei den Fragen musste er annehmen, dass sie für die Urteilsfindung relevant waren. Spannend waren sie zumindest mit Sicherheit, auch wenn Macer davon ausging, dass das Urteil ohnehin schon feststand.
Mattiacus erklärte und es erinnerte ihn an wenig an seine Lehrer von den Schulen des Procolus und Sabinus.
"Genau das ist die Frage: Warum hätte er das tun sollen. Hier geht es nämlich um die Schuld, die culpa, des Angeklagten. Die Culpa ist nach § 58 CodIur der zentrale Aspekt unseres Strafens. Und so wie es aussieht, hat der Angeklate dadurch, dass er nicht kapituliert hat und viele Menschen ihr Leben lassen mussten, sehr viel Schuld auf sich geladen."
Mattiacus musste kurz lächeln.
"Aber ich beginne zu dozieren, dass ist nicht der richtige Ort dafür und du als Zeuge sollst die Schuldfrage nicht entscheiden, dass können nur die Richter."
Er wies mit der Hand zum Richterkollegium
"Du kannst ihnen als Zeuge aber einen Hinweiß darauf geben."
Er wandte sich dann wieder den Richtern zu.
"Keine weiteren Fragen im Moment."
Nach den sehr ausführlichen Fragen der Anklage, soll nun die Verteidigung die Möglichkeit haben den Zeugen zu befragen.
Die Notizen während der Befragung des Zeugen waren tatsächlich beachtlich angewachsen, sodass sich Crassus schon ein neues Täfelchen geben lassen musste.
Sulla war überascht über die dann doch wider Erwarten sehr harmlosen Aussagen des Zeugen und die völlig elanlose und geradezu stümperhafte Befragung durch den Ankläger. Doch das konnte Sulla ja nur recht sein, deshalb antwortete er in einem spöttisch-bissigen Tonfall mit Blick zum Publikum.
"Der außerordentlich gerissenen und geschickten Befragungstechnik des überdurchschnittlich eloquenten und erfolgsorientierten Anklägers habe ich leider nichts entgegen zu setzen und in Anbetracht der dadurch zu Tage geförderten, schier erdrückenden Beweislast, steht es mir eher zu, resignierend zu schweigen, statt den Zeugen hier weiter zu befragen. Daher verzichten wir auf das Befragungsrecht."
Diesen Sulla nicht geheuren Annaer so leicht loswerden zu können, hatte er nicht erwartet.
Wenn ich wegen des Spektakels zu diesem Prozess gegen Helvetius Sulla gegangen wäre, hätte mich die Aussagen des Zeugen Annaeus Domitianus sicher nicht enttäuscht. Wie ich es schon vermutet hatte, als er den Gerichtssaal betrat, bemühte er sich, kein gutes Haar an dem Angeklagten zu lassen, und setzte dazu auch gewisse rhetorische Kniffe ein, vor allem aber einen Vergleich zwischen Pompeius Strabo und dem hier angeklagten Helvetier, der den Pompeius als charismatischen Antreiber des Aufstandes beschrieb, Helvetius Sulla aber als deren kühl planenden und zugleich fanatischen Kopf. Diese Darstellung deckte sich mit den Gerüchten, die mir zu Ohren gekommen waren, worauf ich aber nicht viel gab; die Beschreibung des Helvetius dagegen entsprach ganz dem Eindruck, den er bisher in diesem Verfahren auf mich gemacht hatte.
Alles in allem belastete die Aussage des Annaeus den hier Angeklagten, als ob es dessen noch bedurft hätte, also schwer; dieser Eindruck der Aussage schien mir aber ein wenig durch eine zweifellos interessante, doch vielleicht in ihrer Formulierung noch nicht ganz ausgegorene Frage des Anklagevertreters verwässert zu werden. Der befragte Zeuge jedenfalls verstand die Frage nicht gleich, so dass der Ankläger gezwungen wurde, sie näher zu erläutern, um dann aber ganz auf sie zu verzichten. Dieses Intermezzo zeigte mir einmal mehr, wie anspruchsvoll es sein musste, in einem solchen Verfahren auf den Punkt genau zu denken und zu formulieren. Meine Achtung vor juristisch ausgebildeten Männern stieg ein weiteres Mal, und ich hätte nicht wissen mögen, wie ich mich mit einer solchen Aufgabe geschlagen hätte. Die kurzzeitige vermeintliche Schwächung des Standpunktes der Anklage veranlasste Helvetius Sulla zu einem ganz unappetitlichen Triumphgeheul, mit dem er deutlich das Niveau unterschritt, das ihm unfreiwillig ja sogar die Zeugenaussage attestiert hatte.
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