Hortus /Ein netter Zeitvertreib

  • Fiona war gerade im Garten beschäftigt, sie sollte dort die Rosen beschneiden, eine Tätigkeit, die sie gerne verrichtete, denn sie mochte Blumen. Außerdem war dies ein guter Ausgleich zu manch anderen Dingen.
    Aber was war das? Jemand hatte sich an den schönen Rosen zuschaffen gemacht! Wer konnte das bloß gewesen sein? Nordwin vielleicht, der stand ja mit Rosen auf Kriegsfuß.
    Plötzlich sah sie einen Jungen am anderen Ende des Gartens, der sich gerade über ein anderes Blumenbeet hermachte. Da sie nicht wußte, wen sie vor sich hatte und es sie wurmte, was er den armen Blumen gerade antat, rief sie mit lauter Stimme:
    "Hey du! Kurzer! Was machst du da mit den Blumen?"
    Sie lief zu ihm hin. Erst hielt sie ihn für einen Sklavenjungen (in letzter Zeit waren ja ettliche neue Sklaven ins Haus gekommen), doch als sie sich dem Jungen näherte, sah sie, daß er anders als die Sklaven gekleidet war.
    Zöglerlich fragte sie: "Wer bist du denn? Ich habe dich hier noch nicht gesehen?"
    Sie schaute in sein frech dreinblickendes Gesicht und mußte grinsen. Er erinnerte sie sehr an ihren kleinen Bruder. Sie schätzte den Jungen auf 5 oder 6 Jahre.

  • Auch Leah war zur selben Zeit im Garten beschäftigt. Sie beschnitt die längst verblühten Rosen, allerdings einige Meter entfernt von Fiona. Und nicht, weil es ein netter Zeitvertreib war, sondern weil sie von Nordwin zu dieser Arbeit eingeteilt worden war. Behutsam knipste sie eine weitere Blüte ab. Selbige legte sie in den kleinen Korb, in dem sich bereits eine beachtliche Menge Rosenblüten zusammengefunden hatte. Bei einem kurzen Blick auf den Boden bemerkte sie eine kleine Ansammlung von Unkraut, ignorierte es aber. Ihr Auftrag war die Rosen zu beschneiden, nicht Unkraut zu zupfen. Sie schreckte auf, als Fiona lauthals im Garten herumschrie. Fast hätte sie einen Ast abgeschnitten.
    Erstaunt blickte Leah zu Fiona, und dann in die Richtung in die sie eilte. Dort sah sie Lucius, den kleinen Sohn ihrer Herrin. Gerade wollte sie Fiona noch zurückrufen, da war es schon zu spät. Das Unheil war angerichtet. Leah eilte ebenfalls zu Lucius und flüsterte leise Fiona zu: » Das ist der Herr Brutus, der Sohn der Herrin Ofella! « Leah spürte, dass sich Schlimmes anbahnte.

  • Mit Augen, die nun zu Schlitzen verkommen waren, drehte sich Lucius um.


    "Wen nennst du hier kurz?!"


    Doch es schien nur eine Sklavin zu sein, so dass er sich wieder zu den Blümchen drehte und weitere abbrach, um sie vorsichtig in seine linke Hand zu legen. Schließlich brauchte Mama einen Strauss Blümchen, das war immer gut. Wenn es gut verlief, konnte noch etwas für ihn rausspringen und dabei dachte er nicht an die Küsschen und Wangenkniffe seiner Mutter, sondern an neue Holzboote für seine Teichflotte oder einen Pegasos secundus mit offenem Maul. Einmal wurde ihm sogar ein Tigerbaby versprochen, aber in der Phase konnte er nicht einfach still sitzen, so dass er es verwirkte, war sich aber sicher, dass es irgend ein ander Mal versprochen werden würde und dann wäre er bereit artig zu sein.

  • Fiona hatte Leahs Warnung gehört, doch das störte sie erst mal nicht.
    "Na, so kurz bist du ja gar nicht mehr! Wie alt bist du? Sechs?....Für wen pflückst du die denn?"
    Sie beobachtete ihn noch einen Augenblick, mit welcher Hingabe er die Blumen pflückte. Sie mußten wohl für einen besonderen Menschen sein.
    "Sag mal, dir muß doch hier in diesem Haus totlangweilig sein, ich meine, so als einziges Kind. Hast du niemand der mit dir spielt?"
    Sie dachte an ihre eigene Kindheit, wie sie mit ihren Geschwistern die größten Abenteuer erlebte, wie sie den ganzen Tag draußen herumtollten.
    Doch der Kleine hier war ganz alleine, ständig nur unter Erwachsenen. Irgendwie hatte sie so etwas wie Mitleid mit ihm.

  • Sechs? Wenn Lucius zählen könnte, er hätte es gesagt. Aber schon früh wurde ihm beigebracht, dass er nach jedem Geburtstag einen Finger mehr zeigen konnte und letzten Geburtstag durfte er schon seine ganze Hand zeigen, was zu bedeuten hatte, dass er fünf Finger alt war.
    So hielt er ihr die mit Erde beschmutzte Hand vors Gesicht.


    "So alt bin ich schon. Und ich pflücke sie für Mama, die mag Blumen wie jede Frau. Und wenn die Blumen sehr schön sind, dann bekomme ich vielleicht etwas geschenkt."


    Er drehte sich wieder um, denn vorne war noch ein ganz besonderes Exemplar, denn es war weiß mit roten Verzierungen.


    "Nö, hier sind keine Kinder und das ist auch gut so. Stell dir vor hier gäbe es Mädchen, igitt! Und zum Spielen habe ich immer jemand, von den Sklaven ist immer einer da."

  • "Oh, fünf bist du also!...Aber was heißt hier Mädchen igitt?! Mein kleiner Bruder Dylan fand es immer toll, wenn ich mit ihm gespielt habe! Wir haben die tollsten Sachen zusammen gemacht, weißt du. Wir sind manchmal den ganzen Tag im Wald herumgetobt. Manchmal hat uns unser Vater auch mit zur Jagd mitgenommen. Da haben wir einiges gelernt.... Sag mal, kannst du eigentlich mit Pfeil und Bogen schießen?


    Ganz enthusiastisch erzählte sie dem Jungen aus den schönen vergangenen Tagen ihrer Kindheit.
    Für sie war das wie eine kleine Befreiung aus ihrem dunklen Alltag.
    Wie schön wäre es, wenn sie etwas Zeit mit dem Kleinen verbringen könnte...

  • "Dann war dein Bruder auch ein Mädchen. Jungs spielen nicht mit Mädchen, weil Mädchen immer beissen, wenn sie etwas nicht bekommen. Ich weiß das, ich kenne Mädchen."


    Sagte er entschieden und riss noch eine Blume heraus.


    "Wir Römer jagen nicht, zumindest durfte ich noch nie und kenne auch keinen, der jagt. Opa Galeo hat erzählt, dass es im Theatrum Flavium große Jagten gibt, aber dort war ich auch noch nie.
    Nein, kann das nicht. Kannst du es?"


    Hoffentlich hatte sie, falls sie es konnte, ihren Pfeil und Bogen dabei. Lucius hatte schon seit einigen Tagen das Bellen eines Hundes im Nachbarhaus verfolgt, er kam um diese Stunden immer in den Garten. Und weil Lucius Angst vor Hunden hatte, musste Lucius dann immer weg, da war es natürlich praktisch, wenn die Sklavin schiessen konnte, dann wäre er den Hund los und könnte auch Nachmittags im Teich mit seiner Flotte spielen.

  • Na dann, wenn du nicht mit Mädchen spielen willst, dann kann ich dir ja auch nicht zeigen, wie man mit Pfeil und Bogen schießt!"
    Mit diesen Worten wollte sie sich von dem Jungen abwenden und wieder zurück zu ihren Rosen gehen. Schließlich hatte sie ja noch einiges zu tun.

  • Interessiert wandte er sich um.


    "Du lügst doch. Mädchen können das nicht."


    Und wenn doch? Schließlich wurde ihm erzählt, dass die Göttin Diana auch mit Pfeil und Bogen rumrannte, wie auch die Amazonen.
    Und wenn sie eine Amazone war? Nein, dazu war sie zu klein und dürr, die Amazonen, hatte man ihm gesagt, waren Frauen so stark wie Männer. Und die da konnte seiner Meinung nach gar keinen Mann besiegen, vielleicht ihn, aber er war noch nicht ausgewachsen.

  • Fiona wandte sich wieder dem Jungen zu.
    "Was, du glaubst, ich lüge? Hey, ich lüge nicht! Hast du Pfeil und Bogen? Dann kann ich´s dir zeigen!
    Da, wo ich her komme, kämpfen die Frauen an der Seite ihrer Männer, wenn es zum Krieg kommt! Hast du davon noch nie gehört?
    Dann kennst du sicher auch nicht Boudicca, was?"

    Fiona sah ihn fragend an. Sicher hatte er noch nichts von der großen Icenerkönigin gehört, die vor fast einem halben Jahrhundert die Römer in Britannien in Angst und Schrecken versetzt hatte. Woher sollte er auch? Sicher erzählte man ihm nur davon, wie Rom ein Land nach dem anderen unterwarf und besetzte.

  • Brutus seufzte hörbar.


    "Wenn ich einen Pfeil und einen Bogen hätte, würde ich dann hier Blumen ausreissen? Nein, ich würde Hunde jagen gehen, natürlich habe ich keinen Pfeil und Bogen!"


    Sklaven konnten auch sooo schwer verstehen. In Baiae gab es auch einen gestörten Sklaven, der nur nickte und nichts sagte, der war irgendwie lutig gewesen, aber Mama hatte ihm damals verboten mit dem zu sprechen. Sie sagte immer er habe eine Schlangenzunge.


    "Wer ist diese Boudingsda? Und wo kommst du her?"


    Komischer Name war das.

  • "Oh, du hast also gar keinen Bogen! Na kein Problem, kann ich dir bauen. Pfeile kann ich dir auch machen. Ich muß nur mal schauen, ob ich auch das nötige Material hier finde.
    Das habe ich mir gedacht, daß du noch nie etwas von Boudicca gehört hast!
    Also, Boudicca war in meiner Heimat, Britannien, eine Königin- nicht von meinem Stamm, nein, vom Stamm der Icener. Als ihr Mann, der König gestorben war, sollte sie nach altem Brauch alleine herrschen. Doch das paßte den Römern nicht. Nachdem sie nicht besonders nett zu Boudicca waren, erhoben sich die Icener. Nach und nach schlossen sich ihnen auch andere Stämme an. Schließlich hatte sie fast alle Stämme unter sich vereinigt und zog mit ihnen in die Schlacht. Sie hat den Römern das Fürchten gelehrt! Beinahe wäre es ihr gelungen, die Römer aus Britannien zu vertreiben. Doch dann wurde sie vernichtend geschlagen. Man munckelt, sie sei verraten worden! Doch bevor man sie nach Rom bringen konnte, hatte sie sich selbst getötet.

    Fiona erinnerte sich, wie ihr Vater ihr immer die Geschichten von Boudicca und der Zeit bevor die Römer kamen, erzählte. Sie liebte seine Geschichten heiß und innig! Als junger Mann hatte er selbst mitelebt, wie vor einem Vierteljahrhundert, die Silurer unterworfen wurden.

  • "Toll, geh schnell und bau mir einen Bogen, aber erzähl das keinem, so etwas darf ich nämlich offiziell nicht haben!"


    Hach, war das schön. Er durfte heimlich reiten, bekam wohl bald heimlich einen Bogen mit Pfeilen, es fing an ihm hier zu gefallen.
    Doch die Erzählung war schon komisch, eine Frau, eine Anführerin, das konnte nicht sein.


    "Jaja, und ich bin ein Hündchen. Das stimmt doch gar nicht! Eine Frau darf keine Anführerin sein und wenn, die können das doch gar nicht, sind nur Mädchen!
    Und außerdem, wenn die wirklich sich von einer Frau haben führen lassen, dann geschieht es ihnen Recht, dass die besiegt wurden. Da hätte ich sie besser anführen können."


    Darüber konnte auch Lucius nur den Kopf schütteln. Dumme Menschen, die eine Frau zur Anführerin machen, natürlich mussten die Götter sie bestrafen. Außerdem waren Frauen ehe böse und nicht gut, das hatte ihn schon die Erzählung über die Pandora gelehrt.

  • Fiona mußte über diesen kleinen Wicht schmunzeln. Sicher würde es nichts bringen, dem Jungen noch mehr über die kulturellen Unterschiede zwischen ihren beiden Völkern zu erklären.
    "Na schön, ich werde dir einen Bogen bauen und ein Paar Pfeile dazu. Doch du mußt mir versprechen, daß du damit keine Dummheiten anstellen wirst. Du wirst damit weder auf Menschen noch auf Tiere schießen! Sonst werden wir beide, du und ich große Schwierigkeiten bekommen! Wirst du mir das versprechen?
    Ich werde dir auch noch eine Zielscheibe anfertigen. Damit kannst du dann prima üben! Und dann werde ich dir mal zeigen, was ein Mädchen so alles machen kann!"

    Sie lachte herzlich, doch sie machte sich auch Sorgen, daß der Junge sich nicht daran halten würde, worum sie ihn gebeten hatte.
    " Ich werde einige Zeit brauchen, bis ich alle Materialien zusammen habe. Ich denke, in zwei bis drei Tagen, werden die Pfeile und der Bogen fertig sein. Wir können uns ja dann wieder hier im Garten treffen."
    Fiona ging dann wieder zurück zu ihrer Arbeit. Sie hatte noch einiges tun.

  • "Was denkst duuu denn? Ich bin gaaanz brav."


    Sagte Lucius mit einem freundlichen Engelslächeln und grinste innerlich. Außerdem würden sie nicht beide Ärger bekommen, wenn er sich an die Abmachung nicht halten würde, sondern nur sie.
    Was sagte sie da? Tage?


    "Kannst du nicht viel schneller machen? Bitte, bitte."


    Wieder das Engelslächeln und die Sache sollte geritzt sein.

  • Irgendwie war ihr der Junge nicht ganz geheuer! Er tat ganz brav, schaute sie mit einem zückersüßem Gesicht an und bat sie so schnell, wie möglich den Bogen und die Pfeile zu bauen.
    Sie überlegte, was wohl passieren würde, wenn er sich nicht an die Abmachung halten würde. Sicher würde man dann nur sie alleine zur Verantwortung ziehen. :hmm:
    Aber dann guckte er noch süßer. Könnte sie diesem "Engelchen" widerstehen? -.^
    "Na gut, ich werde versuchen, den Bogen und ein bis zwei Pfeile bis morgen zu bauen. Dann können wir uns vielleicht am Nachmittag hier wieder treffen und ich kann dir dann beibringen, wie man damit schießt. Ich werde hier im Garten auf dich warten! Also bis dann!"
    Mit einem Lächeln verabschiedete sie sich von ihm und ging wieder zurück an ihre Arbeit.
    Sicher würde sie es irgendwie einrichten können, daß sie am nächsten Tag wieder im Garten arbeiten könnte.
    Nachdem sie mit ihrer Arbeit fertig sein würde, würde sie sogleich mit dem Bau des Bogens und der Pfeile beginnen.

  • Fast die halbe Nacht hatte Fiona damit verbracht, einen Bogen und Pfeile für Klein-Brutus zu bauen. Dementsprechend müde war sie schon den ganzen Tag.
    Am Nachmittag trat Fiona gähnend in den Garten hinaus und hielt nach dem Jungen Ausschau. Doch sie konnte ihn nicht entdecken.
    Aber sie hatte ihm ja versprochen, daß sie hier im Garten auf ihn warten würde.
    Den Bogen und die Pfeile hatte sie in ein Tuch gewickelt. Sie hatte niemanden von der Bogenschieß- Aktion erzählt. Selbst Kassandra nicht, mit der sie am Morgen eine nette Unterhaltung geführt hatte.
    Da der Junge immer noch nicht da war, versteckte sie sein neues Spielzeug unter einem Busch und begann Unkraut zu jäten.

  • Brutus war gerade unterwegs eine neue Seeschlacht im Teich zu zelebrieren, als er die Sklavin sah. Sofort drückte er die Spielzeugschiffchen dem Numibier in die Hände und eilte zu der Sklavin.


    "Bist du fertig, bist du fertig?"


    Fragte er aufgeregt und blickte sich dabei verschwörerisch um, er musste leiser sprechen, Mama dürfte nichts hören.

  • Fiona erhob sich, als sie Brutus´Stimme vernahmn.
    "Ja, ich bin fertig! Warte, hier ist er! Und zwei Pfeile konnte ich auch schon bauen!"
    Sie zog das Päckchen unter dem Busch hervor und befreite den Bogen vom Tuch. Da war er. Sicher, es war kein Bogen, mit dem ein Krieger auf die Jagd oder geschweige denn in den Kampf gezogen wäre. Doch für einen Jungen als Spielzeug war er recht gut gelungen.
    "Na, wie gefällt er dir? Wenn du magst, kann ich dir den Bogen noch mit einigen Ornamenten verzieren!.... Und hier schau, das sind die Pfeile. Ich habe sie nicht ganz angespitzt, damit du dich und Andere nicht so leicht verletzen kannst."
    Sie hielt ihm die Pfeile und den Bogen hin und war darauf gespannt was er dazu sagen würde.

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