peristylium | Kostbare Fracht sicher im Hafen

  • Gleich am nächsten Morgen nach unserer Ankunft in Rom, machte sich ein kleiner Trupp auf, um Deandra zu Hause abzuliefern. Auch ich selbst war dabei, natürlich, immerhin hatte ich Vesuvianus versprochen, auf Deandra aufzupassen und sie heil wieder abzuliefern. Kaum hatte man die Sänfte vor der villa Claudia abgestellt, lief bereits ein emsiger Sklave los und pochte energisch an die porta. Ich entstieg der Sänfte und reichte Deandra eine helfende Hand, ehe wir gemeinsam zur Tür gingen und sie durchschritten, da ein fleißiger ianitor bereits die Tochter des Hausherren erkannt und beide Türflügel weit geöffnet hatte.* "Sorge dafür, dass man Deandras Habseligkeiten ins Haus schafft", teilte ich einer herumlaufenden Sklavin mit, die ich bei meinem letzten Besuch noch nicht gesehen hatte. Deandra am Arm geleitend, hielt ich eine zweite Sklavin an. "Du da, melde uns beim Hausherren an: Aurelius Corvinus, Deandra dürftest du kennen. Und ich würde es begrüßen, wenn ich einen Schluck Wasser haben könnte", teilte ich dieser mit und blickte dann zu Deandra. "Mein Hals kratzt. Hoffentlich ist es nicht wieder eine Erkältung, ich habe allmählich genug davon", sagte ich zu ihr und deutete zum impluvium. "Setzen wir uns dort oder - ach, lass uns besser in den Garten gehen, das gute Wetter muss man ausnutzen", meinte ich. Germaniens Witterung hatte mich das milde und teilweise heiße Klima Italiens noch mehr schätzen gelernt. Hoffentlich war Vesuvianus überhaupt da...



    Sim-Off:

    * Ich hoffe, ich durfte so die obligatorischen Klopfpostings umgehen? ;)

  • An diesem Morgen fand ich einfach alles traurig. Vor dem Germanienaufenthalt bewohnten Antoninus und Severina Nachbarzimmer in dieser Villa. Sie begegneten mir letzte Nacht in meinen Träumen, die stets damit endeten, dass ich sie verlor, unter Tränen aufwachte und bald darauf erneut in den Schlaf fiel. Die erlebte Bewegungsunfähigkeit, die Hilf- und Machtlosigkeit in diesen Traumabschnitten ließ mich zerschlagen wie selten aufstehen, und der Gedanke an den Abschied von Corvi – als nichts anderes sah ich die räumliche Trennung nach der langen Zeit des Zusammenlebens an – setzte meiner gedrückten Stimmung noch den I-Punkt auf.


    Als ich ihm nach dem Ankleiden, Frisieren und Schminken entgegentrat, blickte ich ernst. Traurigkeit zeichnete meine Gesichtszüge, ich seufzte einmal vernehmlich und äußerte anschließend, dass ich keinen Hunger, geschweige denn Appetit verspürte. Keinerlei Zureden half, ich stieg, ohne eine Mahlzeit eingenommen zu haben, in die Sänfte und fragte mich immer wieder, ob es ihm tatsächlich gar nichts ausmachte oder es nur so schien. Im Grunde würde ich nichts von seinem Alltag miterleben und er nicht von meinem. Eine Reihe anderer Personen würden unsere Anwesenheit genießen und unsere Aufmerksamkeit erhalten. Vielleicht wollte ich auch alles derart schwarz sehen. Andererseits, was erwartete mich? Eltern, an denen ich nicht mit dem Herzen hing, und Familienmitglieder, die ich kaum oder gar nicht kannte. Oh ja, die Adoption in die Claudia war mein Wunsch gewesen, aber doch nur deswegen, damit eine Heirat möglich war. Es lag nicht in meiner Absicht, hier mein Leben zu leben. Der Mut der letzten Tage hatte sich verflüchtigt, weil ich jetzt den Augenblick der endgültigen Verabschiedung nicht mehr verdrängen konnte – er stand bevor.


    Einer Marionette gleich legte ich meine Hand in seine, um der Sänfte zu entsteigen. Seine Anweisungen an die Sklaven erreichten mich nur von Ferne, bis er mich direkt ansprach. Es dauerte allerdings Momente, bis der Inhalt seiner Aussage in mein Bewusstsein drang. Währendessen schaute ich ihn nachdenklich an.


    „Bei mir hilft Honig und Milch eher gegen Halsschmerzen als Wasser“, erwiderte ich nebenbei, weil ein Teil meiner Gedanken in der Zukunft weilte. Wo wir letztlich warteten, war mich egal – ob nun im Atrium oder Garten. Ich ließ mich von ihm führen.


    „Wenn ich nach hinten blicke, muss ich an unsere Eltern denken“, flüsterte ich nach einer Weile. „Und wenn ich nach vorne schaue, sehe ich in ein Loch, das wie ein aufgestellter Reifen anzusehen ist, in dem ich nichts erkenne und keine Antworten finde.“

  • Deandras Trübsal war mir nicht entgangen, dennoch war diese Ablieferung zu Hause unvermeidbar. Sicherlich hätte ich sie gern in meiner Nähe gewusst, doch gerade bei der Vorbereitung zur Wahl und zumindest in der ersten Zeit einer potentiellen Amtsausübung würde es gar nicht so schlecht sein, wenn ich etwas Ruhe und Zeit für mich selbst hatte und nicht die personifizierte Ablenkung im Haus herumschwirrte. Nicht zuletzt würde der Abstand ihr selbst sicherlich auch gut tun, so dachte ich zumindest, nach dieser letzten großen Hürde.


    So kam es, dass ich der räumlichen Trennung gar nicht so negativ gegenüberstand wie Deandra. Für mich war das keine unmöglich zu überstehende Zeit und auch nicht der Anfang vom Ende, sondern lediglich eine andere Situation - eine, die jener ähnelte, die nach Deandras Umzug in die villa Claudia gegeben gewesen war. Wenn Deandra nicht mehr bei mir wohnte, würde ich außerdem auch nicht Gefahr laufen, sie während der Wahlvorbereitung und der ersten Zeit im neuen Amt zu vernachlässigen. Wie sich alles entwickeln würde, müsste man dann sehen. Immerhin gab es nun viel mehr Personen, um die ich mich zu kümmern hatte oder mit denen ich mich beschäftigen wollte. Nicht mehr nur sie, Prisca und Helena, sondern zusätzlich noch Cotta, Lupus und natürlich die kleine Sisenna. Ob ich zum Vaterdasein geboren war, wusste ich allerdings noch nicht.


    "Milch mit Honig, hm. Nein, darauf habe ich nun keinen Appetit. Heute Abend vielleicht", entgegnete ich und zuckte mit den Schultern. Am Arm führte ich Deandra ins Peristyl, in den Säulengang des Hauses. Blumenduft und eine angenehme Brise wehte uns entgegen. Deandras Worte ließen mich aufhorchen. Ich geleitete sie zu einer entfernteren Säule und bleib stehen, um mich umzuwenden und ihr die Hand an die Wange zu legen. "Nicht doch, Aglaia mea. Wir haben doch ein Ziel vor Augen", sagte ich und küsste sie auf die Wange. "Nicht vergessen. Und die Villen stehen ja auch keine Tagesreisen auseinander, wir können uns doch besuchen."


    Als ich Schritte hörte, wandte ich den Kopf. Hatte endlich mal ein Sklave den Hausherren benachrichtigt?

  • Sim-Off:

    Sory, ihr Armen wartet ja immer noch!


    Fiona war auf dem Weg zur Küche, als sie beim vorübergehen im Peristyl zwei Fremde, einen Mann und eine Frau, erblickte. Offenbar warteten sie auf jemanden oder auf etwas. Sie wirkten etwas verloren.
    Sie ging auf den Fremden zu.
    "Salvete, kann ich euch in irgendeiner Weise behilflich sein, Herr?"

  • Nachdem ihm ein Sklave vom Eintreffen seiner Tochter und Aurelius Corvinus berichtet hatte, begab sich Claudius ohne Verzögerung in das Atrium. Beim Betreten war er zu weit entfernt gewesen, um Corvinus’ Worte vernommen zu haben, aber immerhin geleitete ihn das Gemurmel an die richtige Stelle des Säulenganges. Er räusperte sich, als er die vertraute Geste bemerkte, um Aurelius Zeit zu geben, sich ihm zuzuwenden.


    "Salvete, ihr beiden. Ihr kommt um ein gutes Jahr zu spät." Diesen Hinweis konnte sich Menecrates nicht verkneifen, war doch seinerzeit versäumt worden, ihn über die Verlängerung des Tribunats zu informieren. Er blickte zunächst streng und ohne die Miene zu verziehen, aber schließlich erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht. Er tilgte den kurzen Abstand zu dem Paar, legte Deandra die linke Hand auf die Schulter und reichte gleichzeitig die Rechte Aurelius, um ihn am Handgelenk zu umfassen.


    "Willkommen daheim! Es gibt sicher einiges zu erzählen, und ich bin auch ganz Ohr, lasst uns daher auf den Klinen Platz nehmen und bei einem Imbiss allerlei Neuigkeiten austauschen."


    Claudius war die Mode stets egal gewesen, in seinem Atrium standen Liegen, weil der ehemalige Offizier es schätzte, an der frischen Luft die Mahlzeiten einnehmen zu können. Ein flüchtiger Blick wies Fiona an, sich um Getränke, Oliven und leichte Spezialitäten zu kümmern.

  • Fiona nickte wortlos und lief zur Küche. Dort wollte sie sowieso hin. Eigentlich sollte sie Pustula beim Gänse rupfen helfen.
    Sie war nie eine "Küchenfee" gewesen und war deshalb froh, daß ihr Pustula beim anrichten des Imbisses half.
    Während die beiden die Speisen zubreiteten, erzählte sie Pustula von den Neuankömmlingen. Die Köchin klärte sie über die beiden auf. Es war doch immer nett, mit der warmherzigen Pustula zu plaudern.
    Schließlich hatten sie auf mehreren Tellern Oliven, Schinken, Wachteleier,frischgebackenes Brot und frisches Obst angerichtet. Natürlich durften die Getränke auch nicht fehlen. Fiona füllte Mulsum in eine Kanne und Wasser in eine Karaffe.
    Doch Pustula ließ sie nicht eher gehen, bis sie auch einen Bissen zu sich genommen hatte.
    "Du bist so dürr und so blass, Kindschen! Hier nimm und laß es dir schmecken! Ist gut, nischt?"
    Mit einem vollbeladenen Tablett verließ sie die Küche in Richtung Atrium.
    Dort angekommen, bediente sie erst die Gäste, dann den Herrn.
    Danach zog sie sich in den Hintergrund zurück und verharrte dort aufmerksam in der Nähe ihres Herrn.

  • Als Deandras neuer Vater in den Säulengang nahe des Gartens trat, ließ ich von Deandra ab und trat einen Schritt zurück, erst dann wandte ich mich dem Claudier zu. Seine Worte versetzten mich in Erstaunen, denn ich hatte natürlich angenommen, dass Deandra während der zwei Jahre in Germanien nicht nur einen Brief an ihren Vater oder die liebgewonnene neue Schwester geschickt hatte. Sicherlich hatte er nur überlesen, dass der Kaiser mein Tribunat verlängert hatte? Ich sah Deandra kurz fragend an und wandte dann den Blick zu ihrem Vater, ebenso fragend schauend. Sein strenger Blick schien durch mich hindurchzudringen. "Claudius Vesuvianus, es ist wahrlich eine Freude, dich zu sehen", erwiderte ich herzlich und umfasste meinerseits ebenfalls sein Handgelenk zur Begrüßung. Nur zu gern ließ ich mich von ihm einladen, auf einer Liege Platz zu nehmen und mich an kleinen Häppchen zu erfrischen. Der Schreck, den Lupus uns bei unserer Ankunft eingejagt hatte, saß mir sozusagen noch in den Knochen. Deandra bot ich erneut meinen Arm an, obwohl der Weg nur ein kurzer war, und dann nahm ich Platz. "Hab Dank für das herzliche Willkommen. Hier bringe ich dir Deandra weitestgehend unversehrt zurück, wie ich es versprochen habe. Ich hatte gehofft, man hätte dich bereits von der Verlängerung meines Tribunats unterrichtet?" fragte ich und warf erklärend einen Blick zu Deandra. "Und zu erzählen gibt es wahrlich eine Menge. Aber ich lasse gern deiner Tochter den Vortritt", fuhr ich fort und betrachtete flüchtig die Sklavin, die eilends fortgewackelt war und nun gerade wieder mit Getränken und Speisen zurück kam.

  • Ich wusste es zu schätzen, als Corvi auf meine Bedrückung einging, sie demnach nicht nur bemerkte, sondern auch ernst nahm. Seine Worte und seine Gesten - die Hand an der Wange, der Kuss - trösteten für den Moment, weil ich zum Glück noch nicht wusste, WIE weit unser Ziel entfernt lag, das uns zwar verband, aber gleichzeitig bis zu seinem Erreichen voneinander trennte. Aus Ermangelung an passenden Worten lächelte ich einfach nur, um meine Dankbarkeit auszudrücken.


    In diesen Moment der stummen Zwiesprache fiel die Begrüßung meines Vaters, der mir zum jetzigen Zeitpunkt fremd wie jeder andere flüchtig Bekannte war. In mein Empfinden, das sich vermutlich auf meinem Gesicht widerspiegelte, mischte sich erneut die Sorge um meine Zukunft inmitten von Menschen, die ich kaum kannte und zu denen ich keine Bindung spürte. Mein banger Blick haftete auf Corvis Gesicht, versuchte, seine Augen festzuhalten, aber vergeblich. Die Höflichkeit gebot die Erwiderung des Grußes, dem ich nunmehr auch mit leiser Stimme entsprach.


    „Salve.“ Das Wort ‚Vater’ wollte mir nicht über die Lippen kommen, nachdem ich durch den Tod meiner einstigen Adoptiveltern zu spüren bekam, was einen ‚richtigen’ Vater von einem allein durch Rechtsspruch befähigten unterschied.


    Ob ich derzeit etwas essen konnte, musste sich zeigen, denn mein Hals war zugeschnürt. Aber die Einladung zu einem Imbiss bot die Chance, mich wenigstens teilweise anderweitig zu beschäftigen, als nur über die ungeliebte Situation nachzugrübeln. Corvis Arm erschien mir derzeit wie ein Rettungsanker, den ich dankend annahm. Bei den Liegen angelangt überlegte ich nicht lange, sondern setzte mich ohne Verzögerung auf das Fußende der Kline, auf die sich Corvi niedergelassen hatte. Er warf mir wiederholt fragende Blicke zu, die ich jedoch nur mit einem leichten Schulterzucken erwidern konnte. Mehr als einen Brief an meinen Vater und einen an meine Schwester hatte ich tatsächlich nicht geschrieben. Zum einen mochte ich Briefeschreiben nicht sonderlich und zum anderen war die Grundlage von zwei Monaten in meinen Augen zu wenig, um eine engere Beziehung geknüpft zu haben.


    Auch Plaudern gehörte keineswegs zu meinen Stärken, wenngleich Corvis Aufforderung mich dazu zwang, aus mir herauszukommen, was in der jetzigen Situation sicherlich kein Fehler war. Und doch … mir fiel spontan der Tod meiner einstigen Eltern ein. Einen Augenblick zögerte ich noch, aber es musste ohnehin zur Sprache kommen, warum also nicht als erstes? Gab es überhaupt etwas Wichtigeres?


    „Wir haben Antoninus’ und Severinas’ Tod zu beklagen“, platzte ich schließlich gedämpft, aber ohne Umschweife heraus.

  • Obwohl sich der Claudier nicht unbedingt als geschulten Beobachter bezeichnen würde, sondern viel häufiger von anderen auf auffällige Verhaltensweisen seiner Mitmenschen aufmerksam gemacht werden musste, entging ihm Aurelius’ Verwunderung nicht, mit der er auf seine banale Feststellung, sie kämen ein Jahr zu spät, reagierte. Die nachfolgend ausgetauschten Blicke zwischen Corvinus und Deandra verrieten eine einstimmige Ratlosigkeit, die nun wiederum Claudius verblüffte. Wäre Aurelius ein anderer gewesen, würde er sicherlich ungehalten über die versäumte Benachrichtigung sein, aber Corvinus gehörte nicht nur zu seinem engeren Freundeskreis, sondern sein höfliches und korrektes Auftreten gegenüber seiner Tochter, das Claudius bisweilen schon beobachten konnte, hatte seine Sorge klein gehalten, sie im Grunde gar nicht erst entstehen lassen. Er legte sich entspannt auf die Liege und stützte sich auf den rechten Arm.


    "Ich habe von der Verlängerung deines Tribunates erst aus der Acta erfahren", erklärte er als erstes, obwohl ihn die zuvor erfolgte Bemerkung durchaus hellhörig gemacht hatte.


    "Was muss ich mir jetzt unter 'weitestgehend unversehrt' vorstellen?", hakte er daher sofort nach und musterte die jungen Leute vor ihm. War Deandra erkrankt? Wurde sie verletzt? Oder hatte Corvinus etwa die Grenzen des Anstandes überschritten?


    Doch anstelle einer Antwort gab Aurelius das Wort an Deandra weiter, was Claudius erneut verwunderte. Er betrachtete seine Tochter, die auf ihn nicht unbedingt den Eindruck einer glücklichen Frau machte, und wartete gespannt auf ihre Ausführungen, während er Fiona mit einem Wink aufforderte, etwas mehr Wasser in seinen Wein zu mischen. Er griff in die Schale mit Oliven, um sich durch den Verzehr auf einen längeren Bericht, den er nicht zu unterbrechen gedachte, einzustimmen.
    Doch es kam anders. Anstelle langer Ausführungen, setzte ein Satz den Claudier annähernd außer Gefecht. Er stellte zunächst das Kauen ein, schluckte anschließend die nur grob zerkaute Olive hinunter und setzte sich auf. Die restlichen Oliven in seiner Hand fanden Platz auf dem Tisch, bevor er sich über Stirn und Kinn strich. Er kannte Antoninus und seine Frau, im Grunde sogar besser als seinen Sohn Corvinus. Sie waren Freunde und Waffenbrüder gewesen, dienten über Jahre in derselben Legion.


    "Was hat die Götter nur veranlasst, beide so zeitig zu sich zu rufen?"


    Claudius war selbst zu betroffen, um an Beileid zu denken.

  • Aufmerksam lauschte Fiona der Unterhaltung im Hintergrund, ohne allerdings ihren Herrn aus den Augen zu lassen. Offensichtlich war jemand gestorben. Sie wußte nur zu gut, wie schmerzlich es war, einen oder mehrere geliebte Menschen zu verlieren.
    Als ihr Herr ihr einen Wink gab, trat sie näher und tat wie ihr geheißen wurde.
    Anschließend zog sie sich wieder nach hinten zurück und lauschte weiter.

  • Erneut musste ich die Stirn runzeln, wie schon so oft in den letzten Tagen und Wochen, die wir Rom immer näher gerückt waren. Deandra schien mit jeder Meile freudloser und schweigsamer geworden zu sein, und ich hatte beim besten Willen keine Ahnung, woran das lag. Ich schob es auf ihr Unwohlsein und auf die Aussicht, nun wieder getrennt zu hausen bis zu einer Ehe. Doch dass sie nicht wenigstens den Schein wahrte und ihren 'Vater' ebensowenig herzlich grüßte wie Sisenna, fand ich einfach nicht gut. Vesuvianus hingegen schien die mangelnde Vertrautheit einfach nicht zu stören, und so beließ auch ich es dabei und ging nicht weiter darauf ein. "Das...betrübt mich zu hören", antwortete ich auf die Erwähnung des Tribunats und vermied einen Blick in Deandras Richtung. Ich wusste zwar, dass sie nicht gern schrieb, aber solche wichtigen Dinge tauschte man doch dennoch aus? Trotzdem war es mein Fehler, denn ich hatte mich nicht vergewissert, dass der Claudier informiert war, sondern es als gegeben angenommen, dass er über die Verlängerung bescheid wusste, da er auch keine Rückfrage gestartet hatte. Daher sagte ich: "Mein Versäumnis tut mir leid, Vesuvianus. Ich hätte nicht darauf hoffen sollen, dass du diese Information aus anderen Quellen beziehst." Womit ich mehr Deandra meinte als die acta diurna.


    Ehe ich auf die nächste Frage bezüglich der Unversehrtheit antworten konnte, hatte Deandra wissend oder unwissend das richtige Wort ergriffen und informierte ihren Adoptivvater kurz und präzise auf den Punkt gebracht, was genau ich mit der Umschreibung meinte. Dennoch kam dieser Themenumschwung für mich zu abrupt. Ich wandte den Kopf und starrte Deandra einige Herzschläge lang an, dann schluckte ich, ließ den Blick über einen Umweg über das Essen zurück zu Vesuvianus schweifen und sah zu, wie ihn diese Nachricht traf. Seine Frage stand einen Moment unbeantwortet im Raum, da ich hoffte, Deandra würde weitersprechen, doch als sie es nicht tat, sprach ich, auch wenn ich nur zu gern oberflächlich blieb, denn von den Worten des Briefes meines Vaters und der Art, wie er ihr gefolgt war, hatte ich auch ihr nichts gesagt und sie hatte nicht gefragt. "Mutter war krank", erklärte ich mit belegter Stimme. "Vater hat ihren Tod nicht ertragen. Sie starben auf Sicilia, die Riten wurden von einem ansässigen Priester in Abgeschiedenheit vollzogen." Ich beobachtete den Claudier, der tief in Gedanken versunken schien. "Mein Vater war einst ein Kamerad", erinnerte ich mich laut. "Verzeih uns, dass wir mit dieser schlechten Nachricht gleich am Beginn des Besuchs mit der Tür ins Haus fallen." Ich warf Deandra anschließend einen Blick zu, denn ich hätte gern noch etwas länger gewartet, ehe ich von diesem Tod gesprochen hätte.

  • Die versäumte Benachrichtigung wegen dem verlängerten Tribunat spielte inzwischen keinerlei Rolle mehr. Der Tod seines einstigen Waffengefährten überlagerte diese Tatsache ebenso wie das durchaus auffällig distanzierte, ja freundlose Verhalten seiner Tochter. Claudius zeigte sich sicherlich nicht von vielem betroffen, wohl aber in Bezug auf ihm nahe stehende Personen. Gerade Kameraden hatten ihm über Jahre die Familie ersetzt.


    "Es ist tröstlich zu wissen, dass sie nach den üblichen Riten bestattet wurden", bemerkte er schließlich an, denn die Überfahrt konnte schwierig werden, wenn die Zeremonie versäumt oder auch nur teilweise ausgeführt wurde.


    Augenblicke vergingen, ehe er erneut das Wort ergriff. "Ich hatte ebenfalls eine Nachricht für euch, die mir angesichts dieser Offenlegung jedoch vollkommen banal erscheint. Ich möchte sie gerne an das Ende der Mahlzeit verlegen und euch bitten, weitere und hoffentlich bessere Erlebnisse der Zeit in Germanien zu berichten. Bei aller Trauer, die uns einnimmt, hilft es unseren Lieben nicht, wenn wir selbst in Trübnis versinken. Ich möchte euch dennoch mein herzliches Mitgefühl ausdrücken."


    Die einschneidenden Erlebnisse im Leben des Claudiers beliefen sich auf eine höchst geringe Anzahl, Antoninus' Tod zählte jedoch zweifellos dazu. Der Appetit war ihm dadurch vorübergehend abhanden gekommen, während das Bedürfnis nach unvermischtem Wein plötzlich stieg. Er hob seinen Becher als Zeichen für Fiona.

  • Ich ließ das Thema nun weitestgehend ruhen und entgegnete zum Tod meiner Eltern nichts weiter als ein "Ich danke dir aufrichtig." Er sprach wahre Worte, Severina und Antoninus hätten gewiss nicht gewollt, dass man Trübsal blies und sich fortwährend Gedanken machte. Dennoch blieb der Tod meiner - unserer - Eltern eine Erfahrung, die ich mir auszusetzen gewünscht hätte. Aber ändern konnte man ohnehin nicht das Schicksal, das von den drei Weberinnen gesponnen wurde und ohne Einfluss der Menschen, die es betraf, unaufhörlich dahinfloss.


    Um den äußerst unangenehmen Moment des Schweigens zu überbrücken, griff ich nach einer einzelnen Olive, studierte die Färbung des kleinen, ovalen Leckerbissen und steckte ihn dann in den Mund, um länger als nötig darauf herumzukauen. War es doch von Deandra sicher nicht beabsichtigt gewesen, trübte die verfrühte Erwähnung der jüngsten Ereignisse doch den weiteren Verlauf des Gesprächs. Zu gern hätte ich Menecrates gedrängt, seine "Nachricht" kundzutun, doch da er bereits entschieden hatte, dies später zu tun, wollte ich nichts fordern. Auch ich hob meinen Becher und betrachtete die Rothaarige einen flüchtigen Moment lang. Mir schienen die rothaarigen Personen in meiner näheren Umgebung in letzter Zeit durchaus zahlreicher zu sein - ob mir das etwas sagen sollte? Ich verschob den Gedanken auf später und beantwortete Vesuvianus' Frage stattdessen unvermittelt.


    "Meine Zeit beim Militär war insgesamt sowohl interessant wie auch lehrreich. Ich möchte die in Germanien gesammelten Erfahrungen rückwirkend nicht mehr missen, auch wenn ich gestehen muss, mich bei der Anreise gefühlt zu haben, als sei ich ins Exil verbannt worden. Einstiegsschwierigkeiten waren natürlich vorprogrammiert, immerhin hatte ich außer den Übungen mit meinem gladius n jungen Jahren, zu denen mich Vater gedrängt hat, keine Erfahrung mit dem Soldatsein. Gut, das Amt eines Tribunen ist auch nicht gerade mit dem Leben eines centurio zu vergleichen..." Ich schmunzelte und genoss einen Schluck des erlesenen Weines. "Ich will dich auch ganz und gar nicht mit Einzelheiten langweilen, Vesuvianus."

  • Nachdem der Herr ihr ein Zeichen gab, welches ihr signalisierte, daß es ihm nach mehr Wein verlangte, eilte sie zu ihm und schenkte ihm nach. Das gleiche tat sie auch, als der Gast seinen Becher hob.
    Für einen kurzen Moment schien sie das Interessen des Fremden geweckt zu haben. Offensichtlich waren es ihre schönen roten Locken, die ihn auf Fiona aufmerksam werden ließen.
    Was haben diese Römer nur mit meinen Haaren? Bin ich etwa die einzige "echte" Rote hier? dachte sie nachdem sie wieder ihren Platz im Hintergrund eingenommen hatte.

  • Nach meiner Äußerung über den doppelten Trauerfall, schien das Klima im Raum um etliche Grade zu sinken. Mich fröstelte es trotz der sommerlichen Temperaturen. Ich schlang meine Arme um mich, was keineswegs Wärme erzeugte, sondern eher eine symbolische Geste darstellte, und obwohl mein Blick zu Boden gerichtet war, bemerkte ich im Augenwinkel die auffallend bewegte Reaktion meines Vaters. Ich blickte überrascht auf, denn ich hatte bei allem selbst empfundenen Schmerz vollkommen vergessen, dass er meinen ehemaligen Vater ebenfalls sehr gut kannte, sogar mit ihm befreundet gewesen war.


    Während der Betrachtung seiner Ergriffenheit bemerkte ich einen weiteren Blick, der mich seitlich traf und meine Aufmerksamkeit abzog, weil er ohne Worte deutliche Bände sprach. Corvi war der Absender. Ich hielt seinem Blick stand, als er mich lange Momente regelrecht anstarrte, als hätte ich etwas Verbotenes gesagt. Oder war er einfach nur erschrocken, weil ich die Nachricht annähernd in Form einer Anklage hervorgebracht, ja fast hervorgeschleudert hatte? Wollte ich protestieren? Aber wogegen? Vielleicht gegen den Verlauf, den das Leben genommen hatte? Allerdings stellte mein Vater keineswegs die richtige Stelle für eine Klage dar, das sollte mir klar sein. Wollte ich vielleicht gleichzeitig gegen die Aussicht protestieren, in diesem Haus leben zu müssen? Allein der Gedanke war für mich derart abwegig, dass ich bislang keine Minute damit vergeudet hatte, eine Art von Vorstellung diesbezüglich zu entwickeln. Die Lösung und Neufassung meiner Adoption sollte ursprünglich nicht mein Leben und meine Wohnsituation auf den Kopf stellen, sondern allein die rechtlichen Voraussetzungen für eine Heirat mit einem bis dato verwandten Familienmitglied schaffen. Ich merkte, dass ich derzeit annähernd gegen alles protestierte, und obwohl Corvi im Grunde die Lösung für annähernd alles war, denn er hätte sowohl die Wohnsituation ändern als auch meinen Schmerz wegen Vaters und Mutters Tod lindern können, tat es aber nicht oder nur ungenügend, war er doch annähernd der Einzige, dem ich gegenüber offen geblieben war. Logisch erklären konnte ich mir meine paradoxe Reaktion nicht, aber bewusst war sie mir immerhin.


    Mein Blick haftete weiterhin auf seinem Gesicht, als er sich meinem Vater zuwandte, um auf dessen Frage einzugehen. Ich wusste kaum etwas über die näheren Todesumstände, wollte einerseits auch keine Einzelheiten hören, lauschte andererseits aber wissbegierig seiner kurzen Erklärung. Die erneut einsetzende Trauer fing jedoch unvermutet sein abschließender Satz auf, der mich verwundert die Brauen heben ließ. Er entschuldigte sich für die schlechte Nachricht, die wir einem Überfall gleich eröffnet hatten? Wir? Mein Mundwinkel zuckte in dem Versuch, lächeln zu wollen, schaffte es aber wegen der traurigen Thematik nicht. Und obwohl sein Blick durchaus einen Anflug von Unverständnis über meine Direktheit enthielt, hatte er meinem Vater gegenüber Verantwortung über den schlechten Themenstart übernommen, für den doch allein ich verantwortlich war. Manchmal handelte er erstaunlich.


    Das von meinem Vater geäußerte Mitgefühl wirkte auf mich keineswegs nur dahergesagt, was es wertvoll machte. Ich wandte mich ihm zu, nickte leicht und äußerte mich unmittelbar nach Corvi.


    „Danke.“ Mein Flüstern nahm der knappen Aussage in Verbindung mit einem freundlichen Gesichtausdruck die Distanz. Eine eigenartige Gemeinsamkeit, die mich seit diesem Augenblick mit meinem Vater verband, ließ die Abwehrhaltung schmelzen. Das einsetzende Schweigen empfand ich allerdings als unangenehm. Die Männer trösteten sich offenbar mit Wein, also lag es nahe, mir mein Trostmittel Nummer eins zukommen zu lassen.


    Ich gab der Sklavin einen Wink.


    „Ist Gletschereis in dieser Villa vorrätig?“, fragte ich sie in gedämpften Tonfall. Die Chancen waren höchst gering, das war mir bewusst, denn sowohl die vorgeschobene Jahreszeit sprach dagegen als auch die Tatsache, dass nur die aurelischen Haushälter von meiner Vorliebe wussten. Womit ich wieder beim Thema war: Hier kannte mich niemand tatsächlich, hier war ich nicht zu Hause.


    Bei Corvis nachfolgenden Ausführungen wurde mir klar, wie wenig er mit mir über seinen Dienst gesprochen hatte.


    „Ich wünschte, du hättest noch ein weiteres Tribunat abgeleistet“, platzte ich heraus, ohne mir vorher Gedanken zu machen, wie diese Aussage wirken mochte. Ich musste über mich selbst den Kopf schütteln, lächelte, senkte verlegen den Blick auf meinen Teller und tat so, als wäre ich höchst beschäftigt mit dem Essen, obwohl ich nur unschlüssig die Bissen hin und her schob.

  • Gletschereis, jetzt mitten im heißesten Sommer? dachte Fiona. Doch mittlerweile war sie davon überzeugt, daß in diesem Haus fast alles möglich war.
    " Ich werde nachsehen, Herrin!"
    Fiona verließ das Atrium und begab sich zur Küche, um sich bei Pustula zu erkundigen, ob wohl noch Gletschereis vorrätig war.

  • Spätestens, als Deandra Eis orderte, wusste ich, dass etwas nicht stimmte. Verstohlen musterte ich die nach unten gezogenen Mundwinkel, die traurig dreinschauenden Augen und den lieblosen Ausdruck auf ihrem Gesicht. Ich lehnte mich dann wieder vor und griff nach einem Stück Brot, das ich größtenteils im weiteren Verlauf des Gesprächs zerkrümelte, statt es wirklich zu essen.


    Meine Gedanken kreisten noch darum, warum Deandra so unglücklich wirkte, als sie ihren Wunsch äußerte. Ich stellte das Kauen ein und wandte den Kopf, um ihr meine erstaunte wie erschütterte Miene zu zeigen. Ich ahnte, warum sie diesen Wunsch hegte. Mit seiner Äußerung hatte sie indirekt ihrem Adoptivvater vor den Kopf gestoßen und mir verdeutlicht, dass sie mehr als nur einfach unzufrieden war. In einer kategorischen Bewegung legte ich das Knüstchen zurück auf den krümelübersähten Teller und griff nach dem Wein, von dem ich nun einen großen Schluck trank. Ich entgegnete nichts auf Deandras Worte hin, sondern suchte meine Erschütterung mit dunkelroter Flüssigkeit fortzuspülen. Gleichzeitig hoffte ich, dass Vesuvianus die undankbar wirkenden Worte seiner Tochter auf den Schock über den Tod meiner Eltern schieben würde. Tat er das nicht, würde der weitere Verlauf des Essens einen unausweichlich schlechteren Kurs einschlagen, als das bereits der Fall war. Vielleicht war es das beste, wenn Deandra über Kopfschmerzen klagen und sich zurückziehen würde, überlegte ich, so hart das auch klang. Bei diesen Gedanken musterte ich sie nachdenklich, was mir allerdings gar nicht auffiel.

  • Es nahm etwas Zeit in Anspruch, bis Fiona mit einem Schälchen des begehrten Gletschereises zurückkehrte.
    Nach Pustalas Worten mußte es sich anscheinend um den letzten Rest gehandelt haben. Es bedurfte einiges an Überzeugungsarbeit, bis sie sich endlich mit dem Eis zurück zum Atrium begeben konnte.
    Sie näherte sich Deandra und reichte ihr das Gletschereis.
    "Das Gletschereis, Herrin!"
    Dann zog sie sich wieder zurück.

  • Corvinus’ knappen Ausführungen über den Militäreinsatz in Germanien folgte der Claudier keineswegs gelangweilt. Zum einen war das sein Metier, zum anderen störte er sich langsam, aber doch, an der unangenehmen Stimmung, die aufgekommen war.


    "Militärische Dinge können mich gar nicht langweilen", merkte er daher folgerichtig an, als der Aurelier geendet hatte.


    Sein Erstaunen über die Gesprächsentwicklung nahm jedoch noch größere Ausmaße an, als sich Deandra zur Sache äußerte. Der Versuch, sich erneut dem Essen zu widmen, erstarb daher mitten in der Bewegung. Claudius zog die Hand zurück und blickte zwischen seinen Gästen hin und her. Nach seiner Ansicht stimmte etwas nicht, und zwar über den Tod wichtiger Bezugspersonen hinaus. Sein Blick lag auf Deandras Gestalt, untersuchte Haltung und Gesichtsausdruck, befand jedoch nach ausgiebiger Prüfung, dass es sich nicht um ein Zerwürfnis zwischen den jungen Leuten handeln konnte. Dagegen sprach eindeutig der Inhalt ihrer Aussage, sie wäre gerne noch für ein weiteres Jahr in Germanien und somit auf engstem Raum mit Corvinus geblieben. Aber was störte sie an Rom? Oder fürchtete sie sich etwa doch vor der nahenden Vermählung? Hätte sie diese lieber aufgeschoben gewusst?


    Wieder einmal stellte Claudius fest, dass es anstrengend und wegen des häufigen Misslingens zumeist auch unerfreulich war, Frauen verstehen zu wollen. Trotzdem nahm er sich vor, seine Tochter einmal in einer ruhigen Minute dahingehend zu befragen.


    Um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, entschloss er sich spontan, seine Mitteilungen vorzuziehen. Er zog seinen Blick von Deandra zurück, schaute zunächst auf die Speisen, die zum größten Teil noch unangerührt waren, um anschließend Corvinus zu betrachten, der noch immer seine Tochter intensiv musterte.
    Claudius räusperte sich.


    "Ich habe mir heute beim Praetor die Versicherung abgeholt, ohne Bedenken meinen Geburtsnamen wieder annehmen zu können. Für morgen ist die offizielle Verkündung an alle Familienmitglieder, Klienten usw. geplant, ihr erfahrt es bereits heute. Ab sofort also wieder Menecrates. Und dann wäre noch etwas …" Er blickte zu Deandra, die mit nachfolgenden Information stärker konfrontiert war als Corvinus. "Meine Frau weilt seit kurzem wieder in Rom, ebenso mein Sohn Lucius."
    Claudius brach ab, denn nach seiner Meinung befragt, hätte er eingestehen müssen, dass sich die Familie noch immer im Zustand des Zusammenraufens befand, was sicherlich wenig aufmunternd anzuhören gewesen wäre.

  • Die Unterhaltung verlief ungünstig, aber nicht nur die Themen sorgten dafür, sondern auch eine sonderbar bedrückte Stimmung, die sicherlich vor allem von mir ausging. Ich stocherte auf meinem Teller herum und blickte höchst selten auf. Allein dem Gletschereis widmete ich meine Aufmerksamkeit, als es eintraf.


    Erst als mein Vater von der Namensänderung sprach, hielt ich inne, senkte die Hand, die den Löffel hielt, auf den Schoß und schaute ihn verwundert an. Nicht so sehr, weil er fortan anders hieß und ich mir den Namen einprägen wollte, sondern weil ich von der nachfolgenden Erklärung überrascht war. Seine Frau?


    „Ich habe eine … Mutter?“, fragte ich ungläubig, und - zugegeben - völlig überflüssigerweise nach. Die Eröffnung traf mich unvorbereitet. Ich fragte mich, ob es nun gut war, eine neue Mutter zu haben oder nicht? Ich würde vergleichen, das blieb gar nicht aus. Bereits jetzt keimte die Abwehr gegen einen Mutterersatz auf, denn ich konnte mir momentan nicht vorstellen, einen solchen hinnehmen zu können, doch genau das sollte in nicht allzu ferner Zukunft passieren. Die Ankündigung eines Bruders hörte ich zwar, maß ihr aber keine weitere Bedeutung bei. In meiner Vorstellung musste dieser Bruder längst dem Knabenalter entwachsen sein, so zumindest verhielt es sich bei meinen ehemaligen Brüdern. Vielleicht würde ich ihn sogar mögen, wer weiß?


    Trotz der verblüffenden Wendung kam meine Redseligkeit nicht in Gang, sie war ohnehin nie stark ausgeprägt. Ich blickte wieder auf mein Eis, ließ die gesamte Situation noch eine Revue passieren und überlegte angestrengt, wie ich mich geben sollte, wenn sich Corvi verabschieden würde. Was würde überwiegen? Die Traurigkeit? Oder eine Form von Vorwurf? Bockigkeit, die mich auch mitunter ausmachte? Trotz? Rebellion? Eine Vorahnung von Sehnsucht? Am liebsten würde ich mich vor dieser Verabschiedung gänzlich drücken wollen, denn sie konnte einfach nicht angenehm werden. Aber was war schon angenehm in letzter Zeit?


    Plötzlich fragte ich mich, ob es Mutter und Vater nicht von uns allen viel besser ging. Sie hatten sich wenigstens. Aus diesem Gedanken erwuchs just eine weitere Erkenntnis, die mich unwillkürlich aufrichten ließ, so sehr beeindruckte sie mich: Mein Vater wurde augenblicklich zum Halbgott, zum Ideal, weil er sich nicht nur um Mutter gesorgt hatte, sondern sie selbst im Tode nicht alleine ließ. Corvi meinte, er konnte ihren Tod nicht verwinden. Ob wohl Vater gutheißen würde, dass mich Corvi einfach ablieferte? Oder wollte er das sogar? Automatisch wandte ich den Blick und schaute ihn an.


    „Du hast doch … da war doch eine Nachricht“, begann ich stockend. „War die von …“ Fast wäre mir ‚mein Vater’ herausgerutscht, aber ich konnte mir noch auf die Zunge beißen. Ich stellte die Schale mit Gletschereis ab und blickte Menecrates bittend an.


    „Bitte verzeih, es ist einfach noch nicht alles geklärt.“


    Bevor Corvi die Villa verließ, wollte ich über alles Gewissheit haben. Vielleicht gab es ja so etwas wie einen letzten Willen? Noch überlegte ich, ob ich mich vorerst zurückziehen sollte, damit die Männer zunächst ihr Gespäch beenden konnten. Andererseits wäre es auch eine Möglichkeit, mich nur noch auf das Zuhören zu beschränken. Oder aber Menecrates zog sich diskret zurück?

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