[Baiae] Landsitz der Gens Flavia

  • Nahe der Hafenstadt Baiae thront auf den karg bewachsenen Klippen jener Landzunge, welche zwischen Puteoli und Cumae in das Mare Tyrrheneum hinausleckt, eine Villa, welche dort bereits zur Zeit des Kaisers Titus Flavius Vespasianus des Älteren, genannt Vespasianus, erbaut wurde. Seit jeher ist jene Villa im Besitz der flavischen Familie, derzeit in den Händen Flavia Agrippinas, der letzten Frau des Lucius Flavius Corvinus. Umgeben von einem weitläufigen Gelände werden der Hortus der Villa und das Gebäude selbst von schlanken Zypressen eingerahmt. Zum Meer hin öffnet sich das Gebäude zu großzügigen Terrassen, auf welchen Sitzgruppen, Clinen und Bänke zwischen allerlei wohlgestalteten Statuen und bunt blühenden Blumen und Büschen in großen Tontöpfen zum Verweilen einladen. An jene Terrassen angeschlossen sind in der einen Hälfte des Hauses Peristyl und Triclinium, in der anderen Hälfte ein kleiner Thermenbereich mit Kalt- und Warmwasserbecken und einem Dampfraum. Neben den weitreichenden Räumlichkeiten für die flavischen Familie stehen im Obergeschoss zahlreiche Gästezimmer und Suiten bereit, um jederzeit Besucher empfangen zu können. Ein Stamm von Sklaven und Bediensteten, dessen Größe gar dem Kaiserpalast Roms zur Ehre gereichen würde, sorgt dafür, dass das Haus jederzeit wohnlich und angenehm erscheint und den Bewohnern jeder Wunsch bereits von den Augen abgelesen wird. Durch die strenge, auf Sitte, Tradition und Anstand bedachte Führung des Haushaltes durch Flavia Agrippina lässt sich hier leicht vergessen, dass das ungezügelte Leben und bunte Treiben des Vergnügungsortes Baiae nicht weit entfernt sind.

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  • Ein kleiner Tross erreichte die Villa von Misenum her, wenige Sklaven um eine Sänfte herum, an ihrer Spitze Sciurus, der Leibsklave des Flavius Gracchus. In der Sänfte lag sein Herr gebettet, fiebrig von der Seereise aus Alexandria her, kaum bei Bewusstsein, in seinen Träumen noch immer seinem Zwilling und seiner Base nachjagend. Ein Bote, aus Misenum gesandt, hatte das Anwesen schon eine Stunde zuvor erreicht, so dass das Eintreffen des Flavius bereits angekündigt war. Es sekierte die Hausherrin ein wenig, dass jener nicht bereit war, ihr zu berichten, was ihn nach Baiae trieb, mehr noch, dass sein Sklave kaum Auskunft gab, doch da der Gast zu diesem Zeitpunkt ohnehin nicht bereit war, das Leben in der Villa mit seiner Anwesenheit zu tangieren, geschweige denn zu bereichern, ignorierte Agrippina seine Anwesenheit vorerst, und überließ ihren Neffen gänzlich dem Personal. Gracchus wurde in eines jener Zimmer gebracht, welche jederzeit für die Familie bereit standen, der griechische Leibarzt der Agrippina wurde aus dem nahen Baiae geordert, konnte jedoch nicht mehr als Ruhe, kalte Umschläge, und Schwitzen verordnen, um das Fieber aus Gracchus heraus zu treiben, welcher noch immer zwischen Traum und Realität schwebte, ohne zu wissen, wo die Grenze lag. Wabernd und wogend bewegte sich der trübe Schleier aus nebulöser Unwissenheit um ihn herum als einen Tag später seine Augen sich langsam öffneten, die Lider waren schwer als würden bleierne Anker an ihnen haften, die tief auf dem Grunde des Mare Internum im felsigen Grunde steckten. Er wusste nicht wo er war und er wusste nicht wer er war. Immer wieder sah er sich in seinen Träumen, sah sein Antlitz deutlich vor sich und doch war es das Antlitz zweier Personen, waren zwei unterschiedlichen Namen ihm zugeordnet, stritten zwei Seelen um die Oberhand. Gegensätzlich wie Jupiter und Dispater, und doch gleichsam zwei die zueinander gehörten, zwei die eins waren, vielleicht mehr noch gar wie die Gesichter des Janus - doch welcher von beiden war er? War er Anfang oder Ende? War er Sieg oder Niederlage, Verheißung oder Verderben, Scheitern oder Versagen, Schuld oder Sühne? Zweifel erfüllten seinen Kopf, obgleich ohne Anfang und ohne Ende, ohne Sieg und ohne Niederlage, Zweifel ob der Sinnhaftigkeit, ob dem einen oder dem anderen. Schweiß stand ihm auf der Stirn und die Hitze machte das Denken ihm unerträglich, das helle Licht, welches durch die weit geöffneten Fenster fiel, blendete ihn in seinen Augen und die schwere Ungewissheit in seinem Geiste drückte unbarmherzig auf jede Überlegungen hernieder. Nur eines, dessen war er sich sicher, er musste seiner Base folgen, er musste sie finden und sie vor dem Unheil der Welt bewahren.
    "Leontia"
    , keuchte er heiser ob des Fiebers bevor ihn erneut die tiefe, warme Dunkelheit umfing, er für wenige Augenblicke in die erlösenden, befreienden Arme des Somnus fiel, nur um bald darauf jenen durch dessen Bruder Morpheus erneut entrissen zu werden.


    ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Friedlich lag das Peristylium der Villa Flavia im Schein der nachmittäglichen Sonne, welche honigfarben durch die Öffnung des Daches auf den reich gedeckten Tisch und die Clinen darum herum hinab fiel und das gesamte Arrangement in ein harmonisches Licht tauchte. In einem goldenen Käfig auf einem Tisch an der Seite zirpte ein buntfarben gefiederter Vogel fröhlich vor sich hin und untermalte somit das goldfarbenen Lachen Leontias, welche im fröhlichen und unbeschwerten Scherzen inbegriffen war. Stillschweigend tat sich Gracchus an ihrem Humor und und ihrem Esprit gütlich, ließ sich von ihrer Entzückungen anstecken, von ihrem reinen, unschuldigen Wesen hinfort tragen, sich seine Gedanken von ihren Worten beflügeln und sich in diesem Augenblick perfekter Harmonie zufrieden dahin treiben, denn jegliches Zögern und Zaudern war vergessen. Als es an der Pforte klopfte erhob sich Gracchus, ließ sich von Leontia diskulpieren, trat durch das Vestibulum zur Türe hin und öffnete sie.
    "Salve, Quintus."
    begrüßte er den anderen in seiner eigenen Gestalt und zog die Türe weiter auf.
    "Tritt herein, Leontia erwartet dich bereits in Peristyl."
    Mit einem dankbaren Nicken verschwand Quintus zum Peristyl hin, von wo ein erfreutes "Teuerster Vetter, wie entzückend!" erklang, und Gracchus veriließ die Villa, schloss die Türe hinter sich und trat barfuß in die Kälte hinaus. Er wandte sich um und blickte wartend zur Villa, viel zulange bereits waren Quintus und Leontia alleine dort. Viel zulange tat sich nichts, bis dass endlich die Türe sich öffnete und auf einem wilden Strom blau-graufarbener Wellen ein Schiff aus dem Haus hinaus fuhr. Oben auf Deck, am Steuer, stand Quintus Tullius in schmutziger Kleidung, bärtig und hielt eine Sica schwingend, ein Pirat durch und durch. Verzweifelt ließ Gracchus seinen Blick über das Schiff wandern, suchend, bis er schlussendlich gefunden hatte, nach was er suchte. Vorn am Bug hing der Körper seiner Base, aufgespießt als Galionsfigur, ihr Gesicht graufarben starrten die leeren Augen ihn vorwurfsvoll an.

    ~~~


    Mit einem entsetzten Keuchen erwachte Gracchus aus seinem Alptraum, starrte in die Dunkelheit und sah noch immer die Augen seiner Base vor sich, bis er endlich zurück in den fiebrigen Schlaf fiel, nicht bemerkend, wie die Tage an ihm vorüber zogen.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~


    Düsternis am Himmel zog,
    darüber eine Möwe flog.
    Ein Tropfen fiel vom Boden her,
    im Sand der Wüste lag ein Speer.
    Davor ein Schatten sich erstreckte,
    der böse Ahnung in Gracchus weckte.


    Es war sein Umriss, es war sein Ich,
    und dennoch war es widerlich.
    Er war es selbst vom Fuße bis zum Schopfe,
    ein Lächeln auf dem hoch gereckten Kopfe.
    Ein Lächeln - doch bösartig und gemein,
    dies Ich wollt Gracchus selbst nicht sein.


    So war's denn Quintus, der elend'ge Köter,
    der räuberische Pirat und Basentöter.
    Er hob den Speer und legte an,
    um Gracchus' Herzen wurd' es bang.
    Zum Ziele er sich sah auserkoren,
    glaubte sich alsbald verloren.
    Denn rings umher nur Treibsand lauerte,
    da Gracchus noch sich selbst bedauerte.


    So stand er denn nur still und bangte
    als des Speeres Spitze an ihn angelangte.
    Sie bohrte sich tief bis in sein Herz,
    doch Gracchus spürte keinen Schmerz.
    Sein Zwilling war's in dem die Spitze steckte
    und er war's der ihn niederstreckte.
    So wars am Ende er allein,
    denn zwei von einem, dies konnt' nicht sein.
    ~~~


    "Quintus ..."
    In quälender Langsamkeit hob Gracchus die Lider und blinzelte in dämmriges Kerzenlicht hinein, Hitze umfing seinen Geist wie seinen Körper, seine Kehle war ausgedörrt und seine Gedanken leer. Es dauerte einige Herzschläge bis er sich der schattigen Gestalt wurde gewahr, die neben dem Bett auf einem Stuhl saß, das ebenmäßig schöne Gesicht vom Schein der hinter ihr flackernden Flammen umrahmt, eben ein feuchtes Tuch über seine Stirn tupfend. Als sie Gracchus' Erwachen bemerkte, umrahmte ein mildes Lächeln ihre Lippen und sie sprach leise einige Worte, Worte die so fern waren, dass Gracchus kein einziges davon verstand. Der sanfte Klang ihrer Stimme jedoch erinnerte ihn an etwas, das wichtig war, doch je intensiver er versuchte, sich auf jenen Gedanken zu konzentrieren, desto weiter entfernte er sich von ihm. Es war die beruhigende Stimme der Frau an seiner Seite, welche schlussendlich dazu führte, dass er erneut in einen haltlosen Dämmerzustand hinfort driftete und von Träumen umfangen wurden, welche so wirr waren, dass er selbst am wenigsten ihren Sinn begreifen konnte.

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  • ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Obgleich niemals so wenig Schiffe im Hafen Ostias vor Anker lagen - im Detail trieb nur ein einziges allein im großen, durch goldene Mauern eingefassten Hafenbecken - so war dies doch unzweifelhaft die Hafenstadt im Südwesten Roms. Eine orangefarbene Sonne bedeckte mit ihren wärmenden Strahlen das blühende Land, leckte über die sich kräuselnden Schaumkronen auf den sanften Wellen hinweg und ließ das endlose Meer türkisfarben schimmern. Ein Lächeln umspielte Gracchus' Lippen als er seine Base zu dem weißen, geflügelten Pferd hin führte, welches darauf wartete jene zu dem gewaltigen Schiff hinüber zu transportieren.
    "Hab keine Furcht, Leontia."
    sprach Gracchus mit sanfter Stimme.
    "Es wird dir nichts geschehen. Vertrau mir."
    Zärtlich drückte Leontia seine Hand zum Abschied, lächelte entzückt, stieg auf das Pferd und ließ sich durch die Luft auf das wartende Schiff tragen. Winkend stand Gracchus am Hafenbecken als die Segel sich blähten und die weißen Schwingen des Pegasus sich tief in das Wasser gruben. Auch Leontia winkte an der Reling stehend als er selbst neben sie trat und ihr den Arm um die Schultern legte. Hämisch grinste er und winkte sich selbst zu, doch war er nicht er selbst, war es Quintus, der bei Leontia war. Am Ruder stand er und steuerte das Schiff, war Kapitän zugleich und blies den Wind in die Segel, auf dass sie sich unter seinem Atem aufbäumten. Unendlich wurde die See und graufarben, düster der Himmel, wolkenverhangen. Grelle Blitze durchzuckten die Nacht und erleuchteten sie für Bruchteile eines Herzschlages taghell, so dass das Schiff wie ein Gerippe vorm Himmel erschien. Haushohe Wellen schlugen hart über die Reling, begruben Leontia unter dem schweren Nass, spülten über die hölzernen Planken und umtanzten Tullius' Füße, welcher noch immer am Steuer stand. Ein gewaltiger Abgrund tat sich mit einem Male vor dem Schiff auf, ein gewaltiger Schlund öffnete sich und sog das Wasser in sich ein, riss das Schiff einer Nussschale gleich über die Wellen. Verzweifelt klammerte sich Leontia an den Mast, Furcht stand in ihren Augen geschrieben, flehentlich streckte sie ihre Hand aus und rief nach ihm. "Hilf mir, Gracchus! So hilf mir doch!" Quintus nahm sie in seinen Arm, drückte sie mit der einen Hand an sich, während er mit der anderen das Steuer umgriffen hielt. Doch der Sog war unbarmherzig, unaufhörlich zog er das Schiff in sich hinein in kreisenden Bewegungen, erst langsam, doch schließlich schneller und schneller wurde es hinab gerissen in die Tiefen des Meeres, wurde sie hinab gerissen, Leontia, wurde verschlungen von den Gewalten der See, an ihrer Seite Quintus, der Spieler, der im Spiel mit den Gewalten des Meeres seinen Meister fand. Als die Sonne sich goldfarben glühend über das Meer erhob glitzerte feiner Schaum auf den sanft schlafenden Wogen und einzig ein weißer Flügel, welcher einsam auf den unendlichen Weiten der See trieb, kündete von dem, was einst gewesen war.

    ~~~


    Im Lichte silbrig glänzende Schweißperlen standen auf Gracchus' Stirn als die Lider seiner Augen sanft auseinander drifteten und er mit verklärtem Blick die Decke des ihm fremden Raumes so intensiv musterte, als könne er aus der Struktur der Bemalung dort oben ablesen, welches Haus dies war. Sein Atem ging flach und seine Glieder waren schwer, sein Körper schwach durch das Fieber. Er starrte noch immer zur Decke hin als Sciurus an das Bett herantrat und seine Stirn mit einem feuchten Tuch abtupfte. Gracchus wusste nicht, seit wann er hier war, wusste nicht weshalb und ebenfalls nicht, wo hier war, doch all dies war belanglos.
    "Wo ..."
    , keuchte er leise, im Ansinnen nach seiner Base sich zu erkundigen. Er erschrak ein wenig ob der Tonlage und der Farblosigkeit seiner eigenen Stimme, denn an jenem heißeren Flüstern war kaum mehr etwas von seiner tiefen, sonoren Stimme, welche im Bedarfsfall bei einer Opferung fest über einen großen Platz hinweg schallen konnte. Sein Leibsklave Sciurus jedoch missverstand jenes einzelne Wort, strich seinem Herren die feuchten Haare aus der Stirn und blickte ihn sorgenvoll an. "Du bist in Sicherheit, Herr. Dies ist die Villa Flavia in Baiae, das Heim der Flavia Agrippina. Erinnerst du dich, dass wir Aegyptus verließen? Die See war rau und dein Zustand verschlechterte sich mehr und mehr. Erst glaubte ich es wäre die Kumulierung der erneuten Fahrt über das Meer, so kurz nach jener ersten Überfahrt von Ostia aus. Doch bald musste ich erkennen, dass dein Zustand weit über die einfache Seekrankheit hinausging. Der Kapitän war erst nicht bereit wegen eines einzelnen Mannes seine Fahrt zu unterbrechen, denn ein nächtlicher Sturm hatte uns ohnehin schon beträchtliche Zeit gekostet. Doch als mir dein Zustand so bedenklich erschien, dass ich bald befürchten musste, du würdest dein Leben auf See lassen, konnte ich ihn schlussendlich überzeugen in Misenum vor Anker zu gehen." Sciurus' Überzeugung hatte in gewaltigen Drohungen bestanden, was geschehen mochte, wenn ein Flavier aus dem Zweig des Flavius Romulus auf seinem Schiff dahin scheiden würde, ohne dass er als Kapitän etwas unternommen hatte, um dies zu verhindern, und nicht zuletzt auch aus einer Menge Münzen, mehr als der Seemann in einem ganzen Monat üblicherweise in Händen hielt. "Von dort war es nicht weit bis Baiae und die ehrenwerte Agrippina setzte alle Hebel in Bewegung als sie von deiner Ankunft erfuhr." Langsam und träge blinzelte Gracchus und schluckte schwer.
    " Wo ... ist Leontia?"
    Ausweichend mied der Sklave seinen Blick, begann die Arme seines Herren mit dem feuchten Tuch ab zu reiben. "Ich habe alles mögliche versucht, um über den Verbleib des Schiffes etwas zu erfahren, Herr. Es erreichte Alexandria nicht, bis heute nicht, und es landete auch in sonst keinem Hafen im gesamten Imperium. Ich war selbst bei den Händlern in Ostia, es war ein großes, wertvolles Schiff. Die Händlervereinigung setzte einiges daran, um über seinen Verbleib mehr zu erfahren, doch nirgendwo gab es einen Hinweis, keine Überlebenden, die irgendwo an Land gespült wurden, keine Kisten mit Waren, die irgendwo auftauchten. Es scheint als hätte das Mare Internum die Pegasus mit Mann und Maus verschlungen. Doch wir werden deine Base finden, Herr, wir werden sie finden."
    "Nein!"
    Gracchus' Körper bäumte sich auf und er keuchte, sein Atem beschleunigte sich und sein Innerstes krampfte sich zusammen als wolle es sich nach außen kehren, jegliche Farbe wich aus seinem ohnehin schon blassen Gesicht und seine geröteten Augen füllten sich langsam mit Flüssigkeit.
    "Nein"
    ,keuchte er wieder in mühevollem Blinzeln versuchend, die Tränen aus seinem Antlitz zu vertreiben. Qualvoll zog sich der Schmerz der Erkenntnis durch seinen gesamten Körper.
    "Sie ist tot ... sie ist tot. Ich habe es gesehen ... in meinen Träumen ... das Meer hat sie verschlungen!"
    Die Last der Wahrheit drückte auf Gracchus' Schultern, drückte auf seine Brust, so dass er kaum atmen konnte, seine Glieder waren längst nicht mehr zu spüren, die Kehle schien ihm abgeschnürt. Leontia - sie war ihm gefolgt und er hatte sie in den Tod geführt. Quintus - seinetwegen hatte er Rom verlassen und er hatte ihn in den Tod geschickt. Im nächsten Augenblicke schob sich die Dunkelheit in Gracchus' Blick, zog das Licht sich zu einem winzigen Punkte zusammen, seine Pupillen wandten sich nach oben als wollten sie das Kissen unter seinem Kopfe erblicken, die Lider zitterten kurz, dann war sein Geist erneut umfangen von der stillen, befreienden Dunkelheit der Bewusstlosigkeit.

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  • Erneut stieg in den kommenden Tagen das Fieber in Gracchus' Körper, als wolle er damit die unveränderliche Wahrheit aus sich heraus brennen, als würde die Hitze den Schmerz wenn nicht vertreiben, so doch zumindest verdrängen. Unermüdlich wachte Sciurus an der Lagerstatt seines Herrn, schickte weiter Boten aus, um Neuigkeiten über den Verbleib der Pegasus zu sammeln, doch vergeblich - nicht ersteres, doch letzteres. Tage zogen sich dahin in gleicher Eintönigkeit wie Nächte, vergeblich wandelte Gracchus in des Morpheus' Gefilden, fiel von einem wirren Traum in den nächsten ohne je seinem Ziel näher zu kommen, wachte nur selten auf, nur um nach einigen Schlucken Wasser erneut sich zu flüchten in die realitätsferne Fremde, in welcher längst die Hoffnung nicht so vergeblich war wie in Baiae, wo noch immer Leontias Spur zu finden war, zumindest ab und an.

    ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~
    Wüste ward im fahlen Mondschein,
    Stille ward und Zeit zerran.
    Einsam stand das Ich als Monster,
    in der Hand den wilden Fang.


    "Teuerste Base", säuselt's leise,
    "komm mit mir in meine Welt.
    Trau' den Worten aus meinem Antlitz,
    zeig' ich dir was mir gefällt."


    "Teuerster Vetter, könnt' ich niemals dir
    nicht Glauben schenken und deinem Wort.
    Zeig sie mir, geliebter Vetter,
    zeigt sie mir und nimm mich fort."


    Nahm das Ich die Bas' behände,
    die ihm reicht die eig'ne Hand,
    riss das Maul auf, zeigt die Zähne,
    riss sie fort in fremdes Land.


    Trän' um Trän' fällt fort vom Himmel,
    doch im Sande keine Spur.
    Kaum noch Hoffnung in der Wüste
    bleibt am End Verzweiflung nur.
    ~~~

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  • Obgleich die Wahrheit um nichts an ihrer Bitterkeit verlor, so musste doch schlussendlich das Fieber Gracchus aus seinen Klauen entlassen, so dass jener sich dem musste stellen, was jenseits von trügerischem Traumreich ihn erwartete. Obgleich selten er aus den Fängen des Morpheus entkommen war, so erinnerte er sich doch mit schmerzhafter Deutlichkeit an die Kunde seines Sklaven, welche mehr noch mit all den Bildern der Dunkelheit ihren niederschmetternden Sinn ergab. Denn kein Traum war Trug allein, kein Traum war geboren nur aus Hoffnung und Wunsch, kein Traum gar, dessen Bilder sich so deutlich in die Seele hatten gebrannt, war einzig Ausgeburt des Geistes. Ungehindert wandelte der Traumfürst durch seine Welten, keine Grenzen für ihn unüberwindbar, so dass alles Geschehen sich in seinen Gaben konnte vermengen, so dass ferne Gestade sein Reich waren gleich den heimischen Gefilden.
    Leontia war tot.
    Quintus war tot.
    Von den unbarmherzigen Tiefen des Meeres waren sie verschlungen, ihr Leben verloren an die wilden Gestalten des Schiffe-verzehrenden Neptun. Eine eisige Hand legte sich um Gracchus' Herz und drückte es langsam zusammen, Tränen stiegen in seine Augen, nichts konnte ihr Emporkommen verhindern. Er stand am Fenster und blickte über die felsigen Klippen hinaus auf den Golf von Neapolis, die friedfertig schaukelnden Wellen, das heimtückische Meer, welches so friedvoll in türkisfarbenem Blau im Licht der mittäglichen Sonne schimmerte. Gleich wie er es drehte und wendete, gleich wessen Sinne er in seiner Gestalt sah, Manius Flavius Gracchus hatte seine Base in den Tod gesandt - er höchstpersönlich selbst oder sein Bruder, dem er bereitwillig sein Selbst hatte überlassen - schlimmer noch, ebenen jenen Bruder hatte er ebenfalls mit ins Verderben gerissen. Obgleich ihn der Verlust seines eben erst gefundenen Zwillings tief schmerzte, mehr noch, da all dessen Tun mit dem Ende seiner Existenz nichtig war und einzig die Verbundenheit blieb, die verlorenen Chancen und das Band des Blutes, trotz dessen war jene Trauer nichts im Vergleich zu dem grenzenlosen, qualvollen Schmerz ob des Todes seiner Base und der unendlichen Last seiner eigenen Schuld daran. Wie alle wahrhaften Römer war Gracchus jederzeit bereit, einem Feind ins Auge zu sehen und ihn durch eigene Hand ins Jenseits zu befördern - obgleich sich dies theoretisch natürlich einfacher darstellte, als es würde tatsächlich sein, doch würde es nicht an Bereitschaft und Entschlossenheit mangeln, wenn auch womöglich an Mut und Durchsetzungsvermögen - doch seine eigene Base, jene unschuldige, reine Person in den Tod geschickt zu haben, ihr Verderben in seiner Schuld zu wissen, dies ließ Gracchus mehr als alles um ihn herum in tiefem Defätismus versinken.

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  • Agrippina war eine äußerst traditionsbewusste und sehr konservative Patrizierin, genau genommen bestimmte sie nicht nur für einen Großteil der flavischen Familie Tradition und Sitte, sondern für alle Familien, welche etwas auf sich hielten, in halb, womöglich gar in ganz Baiae und der Bucht, welche daran anschloss. Da Agrippina nicht in einem Korbsessel zu sitzen pflegte, war es seit Jahren in Baiae verpönt für Frauen, selbst oder aber gerade auch für jene aus den besten Häusern, auf Korbstühlen zu sitzen wie es in vielen traditionellen Familien noch immer der Fall war, denn Agrippina lag für gewöhnlich auf einer Cline, genauer gesagt immer auf jener Cline des Hausherren und tatsächlich lag sie nicht einfach nur darauf, sie thronte. Ihre gesamte Erscheinung war dazu angetan die Aufmerksamkeit aller auf sich zu ziehen, die Reife ihres Alters hatte nicht dazu beigetragen, ihre Schönheit zu mindern - obgleich böse Zungen munkelten, dass sie schon seit einigen Jahren jedes Jahr erneut ihren fünfzigsten Geburtstag feierte - gegenteilig schien sie mit jedem weiteren Jahr mehr und mehr zu erblühen. Die Fältchen um ihre Augen und den Mund waren durch geschickte Kosmetik verborgen, um die Augen herum schimmerten dezente Farben. Das Haar Agrippinas war noch immer glänzend schwarz - graue Strähnen womöglich künstlich überdeckt worden - und in strenger Weise um den Kopf gesteckt, wie es dieser Tage im römischen Reich getragen wurde. Nur wenig Schmuck war an ihrem Körper zu finden, doch jenes Geschmeide dafür um so exklusiver, aus reinstem Gold und mit strahlenden, rotfarbenen Schmucksteinen. Ihre schlanke, wohlproportionierte Gestalt hielt die angeheiratete Flavierin aufrecht, ihren Kopf erhoben, das Kinn immer ein wenig in die Höhe gereckt, ihre Augen blickten stets klar und konzentriert, wichen nie dem Blick ihres Gegenübers aus. Sogar Angehörige der flavischen Familie und damit ihrer eigenen Verwandtschaft fürchteten sich vor ihrem bösen Blick und taten für gewöhnlich alles, um nicht das Ziel jenes zu werden. Agrippina beherrschte den Raum derart, dass sich Gracchus selbst dann noch in eine Ecke gedrängt fühlte, als er bereits auf der Cline des Gastes zu ihrer Seite lag. Da sein Befinden in den zurückliegenden Tagen sich gebessert hatte, hatte Agrippina darauf bestanden, dass er endlich mit ihr würde Soupieren, und Gracchus war weder zu dieser Zeit, noch zu jeder anderen in der Lage, dieser Forderung nicht nachzukommen. Ein wenig unsicher ob seiner selbst hielt er die übliche Maske der Höflichkeit aufrecht und hoffte einen suffizient aufmerksamen Eindruck zu erwecken. Agrippina indes scherte sich weder um das Gemüt ihres Neffen, noch um seine Bemühungen, ihre ganze Aufmerksamkeit galt wie üblich ihrem umspannenden Netz aus Information, Intrige, politischem und familiärem Kalkül.
    "Weshalb warst du in Aegyptus, Gracchus?"
    Den Kopf ein wenig schief gelegt sammelte Gracchus einen Augenblick seine Gedanken. Er hat diese Frage erwartet, sich die Lüge zur Wahrheit zurecht gelegt, denn die tatsächliche Wahrheit musste verborgen bleiben, auch jetzt noch nach Quintus' Tod.
    "Sicherlich weißt du um Aetius' Absichten, Leontia erneut in eine Ehe zu geben. Leontia jedoch war demgegenüber abgeneigt, sie bat mich um meine Hilfe, um ein wenig Zeit zu gewinnen. Sie wollte sich nicht offen gegen ihren Vater auflehnen, doch sie sehnte sich nach Ruhe, um ihre Gedanken ordnen zu können. Du weißt, wie Aetius ist - impulsiv, drängend, unüberlegt. Darum sprach ich ihr zu, erklärte mich bereit, sie zu unserem Landsitz nach Aegyptus zu begleiten, wo sie die Gelegenheit würde finden, in sich zu kehren. Doch hielten mich vorerst meine Aufgaben in Rom. Leontia wollte nicht warten, sie befürchtete, ihr Vater würde sie aus Rom fortholen lassen, so trat sie den Weg bereits ohne mich an. Sobald mir dies möglich war schiffte auch ich mich nach Alexandria ein."
    Ein Augenblick des Schweigens entstand während dessen Gracchus bemüht war um seine Selbstbeherrschung.
    "Doch Leontia ist nie dort angekommen."
    "Weshalb nicht? Wo ist sie denn?"
    Missbilligung lag in Agrippinas Blick, denn solcherlei törichte Abenteuer um einer Ehe zu entgehen, welche womöglich durchaus mehr Nutzen aufwies, als ein junges Ding wie Leontia dies sehen würde, hatte sie noch nie gutheißen können, zudem hatte sie Leontia bisherig für durchaus vernünftig gehalten.
    "Das Schiff versank im Sturm. Ich blieb kaum in Alexandria, es drängte mich zurück nach Ostia, um dort mehr in Erfahrung zu bringen, doch Fortunas Launen brachten mir das Fieber und mich hierher. Sciurus zog Erkundigungen über die Pegasus ein, jenes Schiff, mit welchem Leontia aus Osita aufbrach. Nichts blieb übrig, kein Schiff, keine Waren, keine Überlebenden, keine Hoffnung."
    Schweigen legte sich über den Raum, senkte sich schwer auf Gracchus hinab, zerriss ihm das Herz, schnürte ihm die Kehle zu.
    "Leontia ist tot. Wir müssen uns damit abfinden."
    Obgleich er sich um Ruhe bemühte, zitterte seine Stimme. Die Wahrheit ausgesprochen drückte erneut heftig auf sein Gemüt, es drängte ihn danach den Raum zu verlassen, sich zurück zu ziehen, zu flüchten in eine Welt, in welcher Würde nicht gefordert war. Selten zuvor hatte er so sehr bedauert zu sein was er war.
    "Ist dies sicher?"
    "Zu viel Zeit ist bereits vergangen als dass es könnte anders sein. Ich werde in Rom dafür Sorge tragen, dass ihrem Geiste Ruhe gegönnt sei. Obgleich kein Körper zurück blieb, um ihn den Riten gemäß dem Feuer zu übergeben und beizusetzen, so können wir doch ihre Gaia nicht rastlos darben lassen. Unsere Traditionen kennen viele Beispiele, um das Fehlen des Stofflichen auszugleichen, sicherlich finden sich in den Bibliotheken gar Vorgehensweisen für solch einen Fall."
    Obgleich es durchaus häufig war, dass den Anverwandten weder Körper noch Asche von ihren Verstorbenen blieb, so hatte Gracchus eine solche Beisetzung bisherig in seinem Leben nicht selbst erlebt. Einzig sein Bruder Animus war in der Ferne verschollen und verstorben, doch da jener bereits zuvor aus der Familie verstoßen worden war, hatte niemand sein Dahinscheiden betrauert. Nachdenklich nickte Agrippina, ihr Blick war nicht mehr ganz so hart wie noch zuvor, doch hiervon abgesehen gestattete sie sich keine Regung ob des Todes ihrer Nichte. Stille breitete sich erneut über den Raum aus, erst durchbrochen als Gracchus sein Glas mit Wein anhob und einen Schluck daraus in den Becher für die Ahnen und Götter gab. Agrippina griff zu einem der Fleischkügelchen, welche auf ihrem Teller ruhten, tunkte es in eine leichte Knoblauchsauce und eröffnete damit das Mahl. Ob des erst kürzlich zurückliegenden Unwohlseins hielt sich Gracchus jedoch generell und mit scharfem Essen im Besonderen zurück, gleichsam verspürte er ohnehin nur spärlichen Appetit, folgte jedoch den Regeln der guten Sitten und schwieg solange sich Agrippina dem Essen widmete.

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  • Schließlich durchbrach Gracchus das Schweigen, denn es drängte ihn eine Frage, welche nur noch wenige Mitglieder der flavischen Familie würden beantworten können.
    "Du warst schon immer über die Geschehnisse in der Familie informiert, nicht wahr?"
    Interessiert blickte Agrippina auf. Sie zog ihre Finger durch eine Schale mit warmem Wasser um sie zu reinigen und tat dies mit einer solchen Sinnlichkeit in ihrer Bewegung, dass Gracchus hätte tatsächlich schwach werden können, wäre er dem weiblichen Geschlechte zugeneigt gewesen.
    "Schon immer", entgegnete sie ihm.
    "So wirst du von meinem Bruder wissen, von meinem Zwilling. Wie war sein Name?"
    Für einen Augenblick verlor Agrippina die Kontrolle über ihre Miene, Erstaunen und Verwunderung zeigte sich darauf, bevor ihr Antlitz erneut zu einer Maske der Neutralität erstarrte.
    "Sein Name war Quintus Flavius Gracchus. Doch er ist schon lange tot. Wie hast du von ihm erfahren?"
    Erneut nahm Gracchus das Glas vor sich und goss einen Schluck daraus in den Becher für die Geister der Flavier.
    "Quintus Flavius Gracchus - was hätte nur aus ihm werden können. Ich habe dies von einer ehemaligen Sklavin erfahren, doch sie konnte sich an seinen Namen nicht mehr erinnern. Was ist mit ihm geschehen?"
    Agrippina lehnte sich auf ihrer Cline zurück und sann einige Augenblicke nach, in ihrer Erinnerung die Zeit zurück drehend, ein halbes Leben aus ihrer eigenen, beinahe ein gesamtes Leben aus Gracchus' Sicht.
    "Er wurde entführt, von einer übereifrigen Amme und - ich glaube, es war ein Stallbursche. Sie wollten sich ihre Freiheit erpressen und gleichzeitig ein kleines Vermögen, um ihr neues Leben zu beginnen. Doch etwas ging bei der Lösegeldübergabe schief. Ohne schlecht über ihn sprechen zu wollen, so war es vermutlich dein Vater, welcher die Kontrolle verlor, es hatte mich ohnehin gewundert, dass er das Geld überhaupt bezahlen wollte. Er tötete den Sklaven, doch das Mädchen konnte mit deinem Bruder entkommen. Die Jagd auf sie dauerte mehrere Tage, schlussendlich vollstreckten die Götter selbst das Urteil. Man fand nur noch ihre Leichen in einem abgebrannten Schuppen draußen auf dem Land, eine Frau und ein Kind, um das Handgelenk der Frau lag noch ein silbernes Armband, welches sie aus dem flavischen Haushalt geraubt hatte. Deine Mutter hat es später einschmelzen und einen Ring daraus gießen lassen, dein Vater hat ihn bis zu seinem Tod immer bei sich getragen. Natürlich ließen Vespasianus und Nyreti diese Geschehnisse nicht an die Öffentlichkeit vordringen. Sie gaben an, dass dein Bruder an einer Krankheit verstorben war, ich weiß nicht mehr genau was, irgend eine von diesen Kinderkrankheiten. Es war nicht schwer, dies zu vertuschen, denn wen kümmert Aufenthalt und Befinden der Kinder, so es nicht die eigenen sind?"
    Augenscheinlich war Quintus' vermeintliche Mutter tatsächlich ein wenig gewitzt gewesen, vielleicht durch ihre Angst zu diesem Einfall getrieben, zudem in gewisser Hinsicht skrupellos. Dies erklärte zumindest, weshalb niemand versucht hatte Quintus zu finden. Gracchus' Gedanken kreisten noch um seinen Zwilling und dessen Schicksal, da Agrippina jene Gedanken jäh unterbrach, da sie augenscheinlich bei ihren eigenen Kindern und Kindeskindern angelangt war.
    "Wie geht es meinem kleinen Schatz Serenus? Weshalb hast du ihn nicht mitgebracht?"
    Verwundert hob Gracchus eine Augenbraue. Agrippina wusste um das Malheur bei Aristides' Verlobung, sie wusste, dass dessen Junge aus Rom entwichen war, ebenso wie sie wissen musste, dass Gracchus nicht wissen konnte, wo er war.
    "Seit seinem Verschwinden aus Rom bin ich ihm nicht begegnet."
    Nun war es an Agrippina eine Augenbraue in preziöser Indignation zu heben.
    "So? Du warst nicht einmal in der Villa in Alexandria?"
    "Alexandria? Serenus ist in Alexandria?"
    Hätte er nicht befürchten müssen, durch seinen Zwilling doppelt in Aegyptus zu erscheinen, so hätte er womöglich die Villa aufgesucht, doch dazu war es nicht gekommen.
    "Nein, ich war nicht dort. Da Leontia nicht in Alexandria angekommen war, entschloss ich mich für die direkte Rückreise. Wie ist sein Befinden?"
    "Wie bedauerlich. Da du jedoch ohnehin schon am Herumreisen und Zeit verstreichen lassen bist, wird es dir sicher nichts ausmachen, noch einmal nach Alexandria zu reisen und ihn zurück nach Rom zu bringen. Es geht ihm den Umständen entsprechend gut, doch ich will nicht, dass mein Junge zu einem Pröpstling heranwächst, die Genusssucht Alexandrias ist immerhin sprichwörtlich."
    Die Farbe wich aus Gracchus' Gesicht und hinterließ eine ungesunde Blässe um seine Nase, sein Magen rebellierte bereits ob der überaus degoutanten Reminiszenz an die zurückliegende Überfahrt, ohnehin schon, doch mit Leontias und Quintus' Schicksal im Hinterkopf noch mehr.
    "Nein."
    Langsam schüttelte er den Kopf.
    "Verzeih, doch dies kannst du nicht von mir verlangen, Agrippina. Ganz davon abgesehen, dass meine Rückkehr nach Rom indispensabel ist, so ist das letzte, was ich nach dieser grauenvollen Reise tun werde, all zu bald erneut ein Schiff zu besteigen."
    Agrippinas vernichtender Blick bohrte sich bis tief in seine Seele.
    "Du würdest in deiner larmoyanten Art wahrhaft noch Eurylochos in den Schatten stellen, Manius Flavius Gracchus."
    Schon ihr Blick allein war bereits dazu geschaffen, einen Mann in sich zusammen schmelzen zu lassen wie alpines Gletschereis in der Sonne Roms, doch die despektierliche Stimmlage ihrer Worte ließ das aus der Schmelze zurückbleibende Wasser gleichsam noch im selben Augenblicke verdampfen. Nur zu gerne wäre Gracchus ein kleiner Wassertropfen in diesem Dampfe gewesen, hätte sich in Luft aufgelöst, alles, um nur nicht ihr gegenüber sitzen, ihr antworten zu müssen, denn das vernichtende Urteil aus ihrem Munde verlangte nach einem Wort ebenso unumstößlich, einem festen Gegenwort oder gar einer Apologie, mutig ausgesprochenen aus dem Mund eines wahren Flavius.
    "Ich weiß."
    Es war nicht ganz ein Gegenwort, von einer Apologie ganz zu schweigen, genauer war es gar eine blamable Bestätigung Agrippinas Aussage, doch Gracchus konnte nicht aus seiner Haut heraus und fühlte sich zur Wahrheit verpflichtet, selbst wenn dies ihn in ungutes Licht rückte, vielleicht auch gerade dann. Ihre Antwort hierauf bestand aus Stille, ihr starrer Blick fixierte Gracchus, der ob dessen den seinen beugen musste, ihrer Präsenz nicht konnte standhalten und um so mehr sich nicht mehr nur zu einem Wasserpartikel wünschte, denn direkt zu einem bedeutungslosen Staubkorn in der Luft. Da die bedrückende Stille nicht wollte enden, räusperte sich Gracchus schließlich leise und durchstieß sie selbst.
    "Der Scham in mir ob dessen ist außerordentlich groß, dessen sei dir versichert."

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  • Agrippina ignorierte die Worte ihres Neffen, denn Schwäche hatte keinen Platz in ihrer Welt.
    "Was macht deine Karriere, Gracchus? Deine Absichten für die Familie in Ehre, doch Rom regiert sich nicht von selbst. Wie lange liegt deine letzte Amtszeit zurück?"
    "Die Familie steht vor Rom, Agrippina, denn in Rom ist sich jeder selbst der nächste. Vigintivirat und Quaestur liegen hinter mir, und obgleich ich durchaus geneigt bin, meine Pflicht ein weiteres mal zu tun, so wirst du mir sicherlich zustimmen, dass eine erneute Quaestur einem Flavier kaum gut zu Gesichte steht."
    "In der Tat. Weshalb also ist nicht die Gegebenheit für ein Aedilat vorhanden? Ist Felix' Einfluss dahin?"
    "Sein Einfluss ist stark wie eh und je. Doch, ... nun, es scheint, dass er sich dazu entschieden hat, einzig seinem Zweig, nein, einzig seinem Favoriten den Weg zu ebnen. Selbst Milo hat er aus Rom hinfort gesandt, damit Furianus' Zukunft nichts im Wege steht, selbst sein eigener Bruder nicht. Die anderen Familienzweige finden Felix' Unterstützung wenn es ihm dienlich, wenn es ihm nicht hinderlich ist oder wenn ihm die Sinne danach stehen, doch wer kann schon die Gedanken hinter seinem Tun erkennen? Wie du weißt befindet sich der Imperator auf einem Feldzug, so dass er um so mehr auf jene Nachrichten seiner Vertrauten aus Rom angewiesen ist, doch wo keine Nachricht, da auch keine Entscheidung. Daneben, nun, ohne den Zusammenhalt der Familie ist es indes schwer, in Rom noch irgendwohin zu gelangen. Die patrizischen Familien verlieren noch immer an Einfluss, homini novi drängen weiter in alle Ämter vor und kaum bemüht sich ein Mann aus unserem Stande um etwas, so ertönen sogleich die Stimmen, dass unserem Stand noch immer alles würde in den Schoss fallen, auf der anderen Seite können wir nach Ansicht des gemeinen Volkes gar nicht genug tun, um unseren patrizischen Pflichten gerecht zu werden. Bei Iuppiter Stator, ein Patrizier muss sich dieser Tage drei mal rechtfertigen, wenn er ein Amt anstreben will, während ihm gleichsam vorgeworfen wird, dass er nicht genügend für das Imperium würde leisten und sich auf den Taten seiner Vorfahren würde ausruhen."
    "Andere Männer hat dies nicht aufgehalten."
    Agrippina bedachte ihn mit einem unzufriedenen Blick. Sie hob ihr Weinglas an ihre sinnlich roten Lippen, trank einen Schluck und tupfte sich sodann mit der Serviette einen Tropfen des roten Rebensaftes von ihrem Mund.
    "Ich sehe, du reihst dich direkt in die Reihen der flavischen Taugenichtse ein. Es ist deine gesamte Generation, ich habe es schon früh prophezeiht. Man kann euch aus den Analen dieser Familie streichen, angefangen bei deinem Vetter Felix, welcher sich auf seinem Senatorentitel ausruht, es nicht einmal dauerhaft in den Senat zu schaffen scheint, geschweige denn über das Aedilat hinaus. Gefolgt von deinem verdorbenen Bruder, welcher seinem Christengott hernach eilte, deinem Bruder Lucullus, welcher sich von einem gemachten Nest in das nächste flüchtet, von den Hispaniern will ich besser erst gar nicht sprechen. Als du in den Cursus Honorum eintratest, hegte ich tatsächlich die Hoffnung, zumindest du würdest diesen Weg noch einmal zu Ende gehen und das Ansehen dieser Familie hoch halten. Dabei jammerst du nur hier herum, bleibst ebenso auf deinem angewärmten Polster sitzen wie deine Vettern, anstatt voran zu gehen."
    Ihren eigenen Sohn und seine ebenso unstandesgemäße Lage erwähnte Agrippina nicht, doch Gracchus war sich sicher, dass sie sich gerade seiner Person im Besonderen bewusst war. Doch er hatte keine Gelegenheit, ihrem Vorwurf zu entgegnen, denn sie fuhr in direkter Art fort.
    "Es ist völlig unnütz und überdies Verschwendung, noch Mühe, Kraft oder Ressourcen in eure Zukunft zu stecken. Ihr habt versagt. Die Zunkunft der Flavier liegt in Händen der nächsten Generation, Furianus hat es bewiesen. Ich beobachte ihn genau und er ist der einzige von euch, der den Willen, das Durchsetzungsvermögen und die Stärke der Flavier aufweist. Er hat euch alle überflügelt und er wird längst Consul sein während ihr euch noch darüber Gedanken macht, wie ein Senator sich zu verhalten hat. Marcus hätte meinen Enkel besser in seine Obhut gegeben als in die deine, Serenus wäre auf dem besten Wege in die Politik, statt in Alexandria philosophischen Schwätzern zu lauschen."
    "Schweig, Weib!"
    fuhr Gracchus nun endlich auf und echauffierte sich regelrecht, so dass gar die Blässe aus seinem Gesicht wich und durch eine leichte Röte ersetzt wurde. Schon immer hatte er sich durch die Ansprüche seines Vaters selbst als unzulänglich wahrgenommen - ob zu Recht oder Unrecht sei dahingestellt, doch so sehr er sich selbst demütigen ließ ohne dem etwas entgegen zu setzen, so sehr erzürnte ihn die Demütigung seiner Familie.
    "Es ist genug! Du magst mich erniedrigen, du magst meine Person durch den Schmutz ziehen, vielleicht sogar zu Recht, doch ich dulde nicht länger, dass du meine Familie und unsere Gens auf derart insolente Art und Weise desavouierst!"
    Ob seiner ohnehin schon aufgewühlten Gefühlslage hatte sich gar eine Spur von Zorn in Gracchus' Stimme manifestieren können.
    "Nur weil dein eigener Sohn nicht deinen überzogenen Ansprüchen gerecht werden kann, hast du kein Recht uns alle zu verurteilen. Jeder von uns kennt seine Pflichten und jeder von uns nimmt seine Pflichten wahr wie es sein Wesen ihm ermöglicht. Du sitzt fern allen Geschehens in deinem kleinen Palast, weißt nichts, absolut nichts über die Gründe, die dazu führen, dass wir stehen, wo wir stehen. Und dennoch, Agrippina, wo wir auch stehen - als Sacerdos in einem Tempel, als Centurio in Parthien oder auch als Civis in Rom - wir stehen dort als Flavier. Niemand kann uns dies nehmen und wir sind uns dessen nur allzu bewusst. Wenn dir der Sinn nach Tadeln steht, so solltest du bei deinen eigenen Fehlern beginnen. Nur hüte künftig deine Zunge, wenn du Gäste bewirtest, denn ich werde nicht dulden, dass du uns zum Gespött des Imperium machst. Magst du über Rom, magst du gar über den Kaiser und selbst über die Götter spotten soviel du willst, doch sei vorsichtig in Bezug auf die Flavia!"
    Indigniert stand er auf ohne darauf zu warten, dass ein Sklave ihm zuvor die Sandalen an die Füße zog.
    "Es wird Zeit zu gehen. Ich danke dir für deine Gastfreundschaft und ich danke dir für deine Mühen, doch ich werde in Rom gebraucht, gleich ob du dies goutierst oder nicht. Ich werde morgen früh abreisen. Einen angenehmen Abend wünsche ich dir."
    Ohne eine Antwort abzuwarten, dreht sich Gracchus um und verließ den Raum, so stolz und würdevoll wie dies ohne Schuhe möglich war. Flavia Agrippina blieb allein im Triclinium zurück, einen undurchsichtigen Ausdruck in ihrem Blick. Als Gracchus am nächsten Morgen wie angekündigt die Villa verließ, ließ sie sich als abwesend entschuldigen, und Gracchus wusste, dass er einen Fehler begangen hatte und sich besser nicht in allzu naher Zukunft sollte in Baiae blicken lassen.

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  • Einige Wochen zuvor im Süden von Italia


    Perlmut bis rosé erstrahlte der morgendliche Himmel. Im Kuß mit Aurora leuchtete er mild und mit pastell-farbener Tönung über dem Mittelmeer, der Küste von Italia und der Badestadt Baiae, dem Wohnort von so manch einem reichen Römer, vornehmen Patrizier, aber auch einigen Fischern, Sklaven und dem üblichen Gesindel, was sich in einer Stadt nieder gelassen hatte. Eine Schar von Tauben zog ihre Kreise über den roten Dächern der Stadt, überquerte luxeriöse Gärten, große Plätze, einige insulae und den breiten Steg zu den Schiffen der reichen Römer, die sie zu ihrem Vergnügen hielten. Eine einzige grau-blaue Taube flog hinab zu einem Haus am Rande der Stadt. Der Wind zupfte an ihrem Gefieder. Elegant glitt sie über die roten Ziegel hinweg. Mit einem sirrenden Geräusch landete die Taube auf dem Dachsims und plusterte ihr Gefieder mit dem weißen Taubenhalsband auf. Doch nicht lange war ihr der friedliche Moment dort oben gegönnt. Ein gellender Schrei durchbrach die Idylle des Morgens und verscheuchte die Taube vom Dach. Eine Tonschale fiel auf steinernen Boden und zerbrach in viele Scherben.


    Die junge Sklavin, Agathe, starrte entsetzt auf das Meer aus rotem Lebensodem, was auf den weißem Mosaikboden vergossen war. Ihre grünen Augen waren starr geweitet und ein Laut des Entsetzens drang aus ihrer Kehle. Der Geruch des Todes stieg in ihre Nase. Und einem Vorboten gleichend wußte sie um ihr eigenes Schicksal. Doch sie war keine kluge Frau, ein einfaches Mädchen, was nur für die einfache Arbeit getaugt hatte. Abrupt wirbelte sie herum.


    „Hilfe! Hilfe!“


    , schrie sie laut. Ihre Stimme echote im Hinterhof. Ihre Sandalen traten über einen Blutfleck hinweg und sie merkte nicht, wie sie einen Blutabdruck am Boden hinterließ. Dann war der Hof wieder verlassen. Doch die Taube war nicht mehr zu sehen.


    Eine halbe hora später ertönte das kräftige und rhythmische Klacken von genagelten Sandalen. Drei Soldaten betraten den Hof, der eine einzigartige Aussicht über die Klippen von Baiae ermöglichte und einen herrlichen Ausblick auf die Morgensonne. Der Älteste von den Dreien- der regionarius dieser Gegend, ging voran und blieb stehen. Sein Mund öffnete sich stumm und es war einer seiner Männer, der das ausdrückte, was er nicht zu sagen vermochte.


    „Bei den Göttern!“


    Arrius Afer, ein Mann in den gemütlichen Jahren, hatte eigentlich nicht mit derartigen Komplikationen in seinem Amt gerechnet. Der bärtige Mann kratzte sich am Kinn und starrte betroffen auf das Bild, was sich ihm bot. Nach einigen Herzschlägen holte er tief Luft. Der regionarius hatte viel gesehen, aber derartiges war ihm noch nie in seinem Leben untergekommen. Nachdem er seinen Schrecken und die erstarrende Lähmung abgeschüttelt hatte, drehte er sich um. Grimmig war sein Gesichtsausdruck und entschlossen. Er würde nicht ruhen, ehe dieses Verbrechen aufgeklärt sein würde. Nein, er nicht. Selbst wenn ihm das niemand mehr zutrauen wollte.


    „Haltet die Sklaven fest, wenn sie noch nicht geflohen sind. Und sperrt hier alles ab. Niemand darf das sehen. Verstanden?“


    Die beiden Männer, Sklaven unter seiner Aufsicht, nickten erschrocken. Schnell kamen sie seinen Befehlen nach. Und wie es so war: Schaulustige kamen herbei gerannt, doch weitere Sklaven des regionarius drängten sie zurück. Gerüchte flammten auf und schon einige Stunden später war überall in der Stadt zu hören, daß in dem Hof wohl etwas Schlimmes passiert sei.

  • Ebenfalls einige Wochen zuvor


    Das Wellen brandeten gegen die Felsen der hohen Klippen. Stolz und majestätisch erhob sich die villa vor der azurblauen Kulisse. Leuchtend war der Himmel, strahlend das weite Meer. Am Himmel zeichneten sich weiße Schäfchenwolken ab und im Meer vereinzelt die Flecken weißer Segel. Salzig ist der Geruch in der Luft, frisch dabei und emsig bereits dar Treiben vieler Sklaven. Aber auch eine kleine Traube von Sklaven hatte sich hinter dem Haus versammelt. Sie spähten durch einige Büsche hindurch auf die breite Terrasse, die zum Meer hinaus ging. Gespannt verfolgten sie dort das Gespräch der Herrschaften.


    In blauer Seide gehüllt und auf einer dunkelblauen Kline ruhend, lauschte Flavia Agrippina den Worten des regionarius, Arrius Afer. Mit jedem Wort, das der bärtige Mann sprach, wurde Agrippinas Mienenspiel eisiger und verschlossener. Der regionarius, der vor Agrippina stand, wurde immer nervöser. Natürlich war Agrippina nur eine Frau, nicht mal die Reichste in Baiae -selbst wenn ihr Enkelsohn wohl anderes glaubte- aber sie war keine unbekannte Stadtgröße und jemand vor dem er sich ganz gewiß in Acht nehmen würde. Wenn er seinen Posten noch länger behalten wollte. Nach einigen Minuten an Bericht fing Afer an zu stottern und langsam versiegten sein Redefluß, seine Versicherungen und Erklärungen. Afer holte tief Luft und sah fragend, zweifelnd und zerknirscht zu Agrippina. Doch Agrippina schwieg. Lange Zeit. Was den regionarius umso nervöser und kopfloser machte. Einige Herzschläge später wandte Agrippina ihren Blick wieder dem Mann zu, der bereits seit über einer Dekade hier regionarius war.


    „Niemand wird von den Vorfällen erfahren. Meine Enkelin ist an einem Unfall gestorben. Wer weiß noch davon?“


    Der Mund von Afer stand offen. Erstaunt stierte er auf die Flavia hinab, deren Ebenholz-schwarze Haare in einem feinen Netz aus Perlen und Goldfäden hoch geflochten war und die stets die Haltung bewahrte. Selbst im Angesicht des Todes ihrer Enkelin. Nervös schluckte Afer. Doch nach einem kurzen Zögern nickte er. Was hätte er auch anderes tun sollen?


    „Niemand. Nur ich.“


    Es erstaunte Afer mit was für eine Leichtigkeit er die Flavia anlog. Skeptisch wurde er beäugt. Schwitzend ließ Afer die Prüfung über sich ergehen und rang hinter dem Rücken mit seinen Händen. Nach einer scheinbar endlosen Zeit sah er ein Zeichen der Zustimmung.


    „Dann hoffe ich für Dich, daß niemand von den wahren Umständen erfährt. Mein Sklave wird Dir einen genauen Bericht der Ereignisse zuschicken. So und nicht anders hat es sich zugetragen. Natürlich wird Dein Aufwand entlohnt. Wir verstehen uns?“


    Die Aussicht auf eine gute Summe an Geld vermochte Afer gewiss aufzumuntern. Er hatte schon oft gelogen und betrogen, Geld eingesackt, wo er es nicht durfte, und die Obrigkeit beschummelt. Was würde es da für einen Unterschied machen, wenn er es nun auch in diesem Fall und sogar auf Anraten der Verwandtschaft tat? Afer neigte ergeben sein Haupt. Mehr gab es nicht zu sagen und er wußte, was er zu tun hatte. Eilends verließ er die villa Herkulanea. Zurück blieb eine nachdenkliche Flavia Agrippina. Ihr reifes und dennoch noch schönes Gesicht sah niedergeschlagen auf das Meer hinaus. Einen Moment schien man ihr tatsächlich die etwas mehr als 50 Sommer anzusehen. Etwas, was sich sonst nie auf ihrem Gesicht offenbarte. Ein Schatten fiel auf ihr Fußende. Agrippina mußte nicht aufsehen, um zu ahnen, wer dort stand. Stumm und schweigend wartete der ältere Sklave, der schon seit über dreißig Jahren in den Diensten von Agrippina stand. Dem Einzigen, dem sie in der Villa vertraute.


    „Hole mir Feder und Papyrus. Ich muss nach Rom schreiben. Und sorge dafür, daß sich die Sklaven um sie kümmern. Aber suche Dir nur zwei von ihnen aus. Sonst darf keiner meine Enkelin sehen. Nimm zwei nutzlose Frauen. Du weißt, was Du dann tun musst?“


    Demütig und mit tiefer Zuneigung zu seiner Herrin neigte Hasdrubal den Kopf. Keine weiteren Anweisungen waren notwendig. Er kannte seine Herrin wie sonst niemand auf der Welt. Selbst ihr eigener Sohn kannte die Flavia nicht derart, verklärte er sie doch stets und dessen Sohn - der junge Serenus - war noch zu jung, um alles von seiner Großmutter erfassen zu können. Der Sklave schritt davon und Agrippina blieb zurück. Schweigend und ernst.


    Aufgeregt tuschelten die Sklaven leise und stoben auseinander, um nicht entdeckt zu werden. Doch schon Stunden später sprach sich die Kunde im Ort von Baiae herum, daß die junge Flavia Arrecina verstoben sei. Gerüchte brandeten auf und wollten nicht mehr verstummen. Doch niemand vermochte genau zu sagen, was passiert war. Womöglich ist das jedoch ein Geheimnis, was zu einem späteren Zeitpunkt gelüftet werden würde.

  • Einige Tage war Marcus unterwegs gewesen; mit Karren und Pferd, einige Getreue bei sich und immer noch in tiefer Melancholie gefangen, auch, was die Abkehr von der Familie in Rom anging, dennoch, es mußte sein und Marcus freute sich, nach mehr als 7 Jahren endlich wieder nach Hause zu kommen und die geliebte Heimatstadt zu sehen – zudem seine Mutter, die er genauso lange nicht gesehen hatte und die er bitterlich vermißte, immerzu, da er mehr an seiner Mutter hing als an jeder anderen Frau und in seiner jüngeren Zeit auch mit eindeutig ungesunden Gedanken für einen Sohn, aber es gab nun mal keine schönere Frau neben seiner Mutter – keine!


    Es war der vierzehnte Tag, als endlich die wunderbare Stadt Baiae gesichtet wurde. Marcus, der auf seinem Pferd saß, reckte sich und sein Gesicht erhellte sich seit einigen Tagen das erste Mal. Die blaue Lagune von Baiae glitzerte und funkelte, die Häuser erstrahlten in den prächtigen Farben, denn hier wohnten viele reiche Römer, und die roten Dächer schimmerten im Sonnenlicht. Unwillkürlich ließ er sein Pferd antraben und lenkte es zu dem Gut, daß noch seinem Vater gehört hatte und daß nun im Besitz seiner Mutter war. Etwas später erreichte er es, ritt an den prächtigen Statuen vorbei, die den Weg säumten, unter den silbrig farbenen Ölivenbäumen entlang und direkt auf das prächtige Anwesen, in dem er den größten Teil seines Leben verbracht hatte. Eilig sprang er von dem Rücken seines Pferdes und drückte die Zügel einem verblüfften Sklaven in die Hand, den er jedoch kannte.
    „Salve, dominus, willkommen zurück.“
    , meinte der Sklave schnell, Marcus lächelte ihm jovial zu und lief in die Halle hinein. Mit einem erleichterten Strahlen auf dem Gesicht. Die trüben Wolken schienen mit einem Mal hin fort zu sein. Er war wieder zu hause, er war bei seiner Mutter – und es würde somit wieder alles gut werden.
    „Mutter, ich bin zurück!“
    , rief er in die Halle und marschierte mit leichterem Schritt in das atrium.


    --- Und so kehrte ein zwar nicht verschollener Sohn heim, aber einer, der den Weg verloren hatte. Marcus Flavius Aristides verblieb in Baiae und kehrte schnell zu seinem alten Leben zurück, alte Freunde, alte Gewohnheiten, Feste und Orgien, einige schöne und dunkelhäutige Sklavinnen, die er sich leistete und das Lotterleben von einst. Nur diejenige, die er für den Tod seiner Tochter verantwortlich machte, hatten nicht mehr zu lachen, denn einer nach dem Anderen starb unter mysteriösen Umständen in den nächsten Monaten.


    Und wenn Marcus nicht in Baiae war, dann reiste er herum, unter anderen nach Spanien.



    ....und wenn er nicht gestorben ist....FINIS für Marcus Flavius Aristides

  • Flavia Epicharis, Landsitz der Gens Flavia, Baiae



    Teuerste Epicharis,


    es war eine überaus große Freude, deine Worte zu lesen, welche aus dem fernen Baiae künden und eurer dortiges Wohlergehen bestätigen. Gleichsam ist es überaus erfreulich, dass du Agrippinas Gesellschaft derart genießen kannst, wiewohl du Nachsicht üben musst mit Marcus ob seines Weinkonsumes, gleichwohl mir jegliche Sorgen darob unbegründet erscheinen, denn ich kenne keinen Mann, welcher mehr Wein an einem Abend verträgt als er.


    Wahrhaft deplorabel indes ist, dass ich deiner Einladung muss absagen. Obgleich uns - Antonia, Minor und mir - es wahrlich eine große Freude wäre, euch in Baiae zu visitieren, so lassen die Pflichten doch nicht mich aus ihren Fängen in Rom, wiewohl meine Gemahlin die weite Reise alleine scheut, insbesondere gemeinsam mit unserem Sohne in Hinblick auf dessen Wohlergehen und Sicherheit. Fernerhin kann ich dir wohl versichern, dass das angespannte Verhältnis, welches mit Agrippina mich verbindet, keinesfalls auf mangelnder Sensibilität ihren Kaprizen gegenüber zurückzuführen ist, sondern weitaus profundere Gründe dem vorausgehen, deren Explikation an dieser Stelle zweifelsohne verzichtbar ist.
    Um so mehr jedoch wären wir alle hier in Rom erfreut, so Marcus und du euren Weg zu uns findet, bietet doch auch Rom - so es nicht mit Obliegenheiten und Verpflichtungen aufwartet - durchaus reichlich Möglichkeit zur Kurzweil.


    Antonia befindet sich wohl, obschon der lange Winter ein wenig ihr auf das Gemüt zu schlagen vermochte, was hinwieder sie beständig durch unermüdliche Sorge um unseren Sohn zu vertreiben sucht - kaum wohl gab es je eine fürsorglichere Mutter als Antonia, was mir die Sorge um unseren Spross ein wenig von den Schultern nimmt. Gleichsam ist Besorgnis zweifelsohne gänzlich unnötig in Hinsicht auf unseren Minimus, entwickelt er sich doch gar prächtig, wächst scheinbar jeden Tag ein Stück dem Himmel entgegen, saugt mit unermüdlicher Neugier begierig jedes neue Wissen in sich auf, wiewohl von Sprachlosigkeit längstens nichts mehr an ihm zu entdecken ist und er alle Prämissen zeigt, dem Blute in seinen Adern wahrhaft zur Ehre zu gereichen. Über die Murmeln war er überaus glücklich und hütet sie nun einem wahrhaften Schatze gleich.
    Die übrige Familie hier in der Villa befindet sich ebenso wohl, und auch unserer Nichte Celerina im Hause der Aurelia geht es vorzüglich - erst kürzlich noch habe ich mit ihrem Gemahl gesprochen.


    Neuigkeiten aus Rom indes weiß ich fürwahr dir wenige zu berichten, welche nicht auch in der Acta Diurna veröffentlicht wurden. Der Senat debattiert vorwiegend über neue Gesetze, welche die alten Texte substituieren, konkretisieren, präzisieren, variieren oder gar reformieren sollen, und das Collegium Pontificium sucht redlich wie eh und je die pax deorum in Absenz des Imperators zu erhalten. Unser Vetter Aulus Piso wurde in das Collegium der Siebenmänner berufen, wiewohl in der laufenden Amtszeit zum Tresvir Capitalis gewählt, unser Neffe Furianus hinwieder kandidiert für die kommende Periode zum Consul - doch auch dies werdet ihr zweifelsohne bereits vernommen haben. Über das Wohlbefinden des Imperators wird wenig nur in Rom verlautbart - vermutlich habt ihr weit mehr Kenntnisstand über sein tatsächliches Befinden, da doch Baiae Misenum viel näher ist als Rom - so dass das politische und gesellschaftliche Leben stets um diese Lücke, welche seine Absenz scheinbar hinterlassen hat, sich herum drück, gleich einer Schar, welche um einen geöffneten mundus herum tanzt, mit dem Rücken hin zur alles verschlingenden Tiefe - manche tatsächlich diese ignorierend, manche darum nicht wissend und manche mit der Peitsche zur Fröhlichkeit sie antreibend. Ich muss gestehen, mir kein Urteil darüber erlauben zu dürfen - bin ich doch mir unschlüssig, welche der Rollen ich selbst einnehme - doch je länger dieser Reigen andauert, desto mehr beschleicht mich das Gefühl, dass dieser mundus letztlich nur eine Kuhle ist, in welcher Kinder ihre Murmeln sammeln, und so wir alle dort hinein stürzen, wir nur gänzlich verwundert sein werden, dass manch einer sich allfällig die Knie dabei aufschlägt, doch letztlich niemand darin verschlungen wird.


    Bitte überbringe Marcus meine besten Grüße, richte auch an Agrippina einen solchen, und wisse dich selbst meiner aufrichtigsten Grüße versichert.


    Mögen die Götter stets dir und Marcus gewogen sein!


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    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Einige wenige Tage nachdem Maecenas Rom erreichte, hatte sein Gefolge den Rückweg nach Baiae angetreten. Natürlich musste diese Gelegenheit genutzt werden, um auf diesem Weg einen Gruß zu überbringen.



    Ad
    Flavia Agrippina
    Villa Flavia
    Baiae


    Liebe Großmutter


    Mit diesem Schreiben möchte ich dir mitteilen, dass meine Reise nach Roma eine durchaus angenehme gewesen war. Wie du bereits gesagt hattest, habe ich wohlwollende Aufnahme gefunden. Lass dir versichert sein, dass es mir gut geht und das mein Tatendrang ungebrochen ist. Deine, sowie Vaters Grüße und jene der Familia habe ich dem werten Onkel Gracchus überbracht. Das erste Gespräch habe ich sehr genossen und seinem Rat folgend werde ich noch heute damit beginnen die Stadt, welche meine neue Heimat werden soll, zu erkunden. Bitte richte auch du nun einem jedem meine Grüße aus.
    Diesem Brief werden zur Stunde noch weitere an Sextus Aurelius Lupus, Herius Claudius Menecrates und auch an den Magister Salii Palatini folgen, denen ich beizutreten gedenke. Natürlich werde ich es nicht versäumen, dich über meine weiteren Schritte auf dem Laufenden zu halten.


    Mögen die Götter ihre Hände über dich halten und dir stets gewogen sein.


    Dein Enkel


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