Die Reise nach Edessa

  • Eine Reise von Assur nach Edessa kann man nicht wirklich als einen Katzensprung bezeichnen. Viele hundert Meilen trennten die beiden Städte voneinander, zudem war Edessa nicht an einem großen Fluß gelegen. Surenas stand vor der Möglichkeit, entweder mit einem Schiff den Tigris raufzufahren und dann den Chaborus runter- und wieder raufzufahren, bis sie in der Nähe von Edessa waren, oder den Weg großteils zu Pferd zu absolvieren. Und Surenas hatte wirklich überlegt, doch sich dann gegen den Flußweg entschieden, obwohl dieser sicher um vieles angenehmer wäre. Aber die Armee wollte auch geführt werden, und er traute den Leuten des Sháhs nur bedingt. Wenn Surenas diese allein gelassen hätte, wer weiß, welche Disziplinlosigkeit dann herrschen würde. Er war zwar geachtet unter den Adligen und im einfachen Volk, doch die Stimmung konnte bei einem Fehler rasant ins Gegenteil ausschlagen. Viele Schlachten hatte Surenas geschlagen und man sagte ihm zu Recht ein gewisses taktisches und militärisches Genie nach, doch war Surenas nicht dumm. Jeder Kommandant wurde nur nach der zuletzt gezeigten Leistung bewertet und dieser Tatsache war sich Surenas nur zu sehr bewußt. Also ritt Surenas an der Spitze, stets umgeben von ein paar seiner Getreuen, die nicht nur seine Freunde und Saufkumpanen, sondern auch seine Leibwächter waren. Was ihn allerdings nicht davon abhielt, selbst auch andere Vorsichtsmaßnahmen zu setzen.


    Die Informationen, die er von einem Lakai des Sháhs bekommen hatte, waren nicht besonders ergiebig. Die Römer waren also mit ein paar Legionen in Syria, auch deren Oberhaupt, Imperator nennen sie ihn, war mittendrin statt nur dabei. Eine faszinierende Tatsache, so dachte Surenas darüber nach, als er in einem der Nächte auf dieser Reise in seinem Zelt saß und über die politische und militärische Lage sinnierte. Wenn der Imperator seine Hauptstadt verließ, dann waren die Römer wohl kaum zum Einkaufen hierhergekommen. Die Römer wollten mehr als die gepflegten Grenzstreitigkeiten der letzten Jahre. Da drauf zu kommen war jetzt allerdings keine taktische Höchstleistung. Draußen vor dem Zelt bekam ein Soldat einen Husten-, der nächste einen Lachanfall. Etwas genervt von der akustischen Störung sah Surenas sich die nächsten Notizen an. Mehrere Legionen, angeblich sechs, zu je etwa 6000 Mann waren nicht gerade ein Trupp, den man unterschätzen konnte. Noch lagern sie in Zeugma, aber angeblich waren sie schon am Aufbruch. Es konnte also nicht mehr lange dauern, bis sie den Euphrat überschritten haben. Seine Spione haben zudem von zwei Legionen berichtet, die nicht in Syria gelandet waren, sondern in Kleinasien an Land gingen. Angeblich nordwärts und angeblich mit dem Ziel Armenias. Das waren ein paar "angeblich" zuviel, aber bessere Informationen hatten seine Spione nicht, noch nicht. Was weiter bedeutete, dass der Sháh sich dieses Mal ungeheuer viel Zeit gelassen hatte, ihn nach Edessa zu schicken. Ob der Sháh die Römer unterschätzte? Oder war er zu sehr mit seiner Innenpolitik beschäftigt? Oder - was viel wahrscheinlicher war - mit seiner Eitelkeit?


    Mißmutig blickte Surenas in seinen Becher. Schon wieder leer und niemand hier, der ihn hätte nachfüllen können, da der Satrap alle Bediensteten weggeschickt hatte, um eine Zeit lang alleine zu sein. Nun würden sie schlafen und Surenas hatte keine Lust, mit seinem Geschrei nach mehr Wein das halbe Lager aufzuwecken. Er trat vors Zelt und sah sich um. Außer den Wachen schliefen alle, allerdings zweifelte er nicht, dass auch irgendwo eine Wache schlief. Noch war dies zu verzeihen, sie waren noch im sicheren Binnenland, aber bald würde er denjenigen aufknüpfen lassen, der während der Wache einschlief. Ohnehin mußte er jemanden hinrichten, sowas hob die Moral und die Männer kämpften besser. Surenas blickte hoch zu den Sternen. In ein paar Stunden würde die Sonne aufgehen. Einer der Wachen hatte ihn nun bemerkt, kam zu ihm und fragte ihn nach seinen Wünschen. Surenas schüttelte stumm den Kopf, doch dann entschied er sich anders und er verlangte nach Wein. Und einen Boten. Es dauerte nicht lange, da wurden seine Wünsche auch erfüllt, und zwar genau in dieser Reihenfolge, was von Surenas sehr begrüßt wurde. Er ließ den Boten ein wenig warten, wollte er doch zuerst seinen Durst stillen und außerdem sollte der Bote ruhig wissen, dass er in der Rangordnung unten stand, auch wenn der Kommandant etwas von ihm wollte. Sonst kam sich noch ein gewöhnlicher Bote wichtig vor, ein unerträglicher Gedanke.


    "Du reitest sofort zum Satrapen Narseh Abgar nach Edessa und überbringst ihm meine persönliche Hochachtung und Ehrerbietung und so weiter. Dann meldest du unsere Ankunft in ein paar Tagen an und bittest ihn um Unterkunft und Verpflegung für mich und meine Männer. Er wird es nicht abschlagen, sollte er doch Sperenzchen machen, dann lässt du nebenbei fallen, daß wir vom Sháh in Sháh geschickt werden, verstanden?" Der Bote nickte und machte dabei ein Gesicht, als könnte ihn kein Wässerchen trüben. Wenn er unfähig war, dann zeigte er es zumindest nicht jetzt schon. "Gut, und solltest du der Prinzessin Shirin begegnen..." Surenas stockte. War es wirklich klug, ihr über einen Boten eine Nachricht zu schicken? Nein, er würde sie ohnehin bald sehen. "... was du allerdings kaum schaffen wirst, so überbringe ihr meine Glückwünsche zur baldigen Hochzeit mit dem ehrwürdigen Parthamasires, Neffe des Sháh in Sháhs." Shirin würde diese Nachricht besser verstehen als dieser tumbe Bote vor Surenas, der wieder verständnisvoll nickte und dabei keine Miene verzog. "Gut, beeile dich und komm mit der Antwort des Satrapen so schnell wie möglich zurück." Der Bote nickte wieder stumm, Surenas fragte sich, ob dieser wohl seine Zunge verloren hätte, und verschwand dann. Surenas hingegen trank noch einen Becher Wein und legte sich dann schlafen. In den nächsten Tagen würde er wieder viele Stunden im Sattel verbringen, so lange bis er endlich in Edessa war.

  • Der Bote war zurückgekommen, als die Armee des Sháh in Sháhs mit ihrem Kommandanten Surenas nur mehr zwei Tagesreisen von Edessa entfernt war und ihr Lager für den Abend gerade erst aufgestellt hatten. Auf der Rückreise hatte der Bote das Pferd ziemlich verausgabt, das konnte Surenas am durchgeschwitzten Fell des Tieres sehen, als er zufällig die Ankunft des Boten sah, dann in sein Zelt ging und Vírámak, den Boten empfing. Er sah den Boten ein wenig skeptisch an, glaubte er im ersten Moment doch, dass der Bote keine guten Nachrichten bringen würde. Doch dem war dann doch nicht so. Zufrieden nickte Surenas, als er die Antwort des Satrapen Nasreh vernahm. Zumindest eine Sorge war ihm dabei abgenommen. Nicht, dass er mit dem Verrat des Satrapen gerechnet hätte, aber in diesen Zeiten und in seiner Position musste man einfach auf alles gefasst sein. Kühnheit ist wenn, dann nur auf dem Schlachtfeld angebracht.


    Erst nach einigen Momenten des Nachdenkens bemerkte Surenas, dass der Bote ja noch immer da war. "Was ist denn noch?" herrschte er den Boten an, der diesmal, so schien es Surenas, mehr zusammenzuckte als bei der letzten Begegnung. Welche Genugtuung. Der Bote zögerte ein wenig, sicher wegen des gebieterischen Tones, und sagte dann, dass er die Ehre einer Audienz bei der Prinzessin hatte. Surenas' Augenbraue wanderte ein wenig, eigentlich schon unmerklich wenig, nach oben. Damit hatte er jetzt allerdings nicht gerechnet. Entweder war Shirin jetzt von allen guten Geistern verlassen oder sie hatte den Palast so sehr im Griff, dass eine solche Vorgehensweise nicht groß auffallen würde. "Und? Hast du ihr meine Botschaft überbracht?" Der Bote nickte und antwortete, dass die Prinzessin eine Botschaft für ihn hätte. Alle Achtung, jetzt war sie wohl wirklich übergeschnappt, dachte sich Surenas, als er es sich auf seinem Sessel gemütlich machte und einem Sklaven schnippte, der sich darauf in Bewegung setzte und dem Satrapen etwas Wein einschenkte. "Ja und? Jetzt sag schon." Surenas war schon etwas genervt, weil er dem Boten alles aus der Nase rausziehen musste.


    Der Bote vor ihm nickte erneut und holte dann tief Luft. "Prinzessin Shirin dankt gütigst für die liebenswürdigen Glückwünsche. Doch in Zeiten des Krieges muss das persönliche Glück zurücktreten, und so fürchtet sie, dass bis zu ihrer glücklichen Verbindung mit dem Hause des Großkönigs noch allzuviel Zeit ins Land ziehen wird. Wenn es soweit ist, hofft sie den edlen Prinzen Surenas unter den ganz besonderen Ehrengästen begrüßen zu dürfen."


    Surenas blickte den Boten etwas ungläubig an. Das war allerdings eine Nachricht, mit dem er nicht gerechnet hatte, war doch in dieser Nachricht eine zweite Botschaft versteckt, die nur die beiden verstanden. Surenas brach in Gelächter aus und da der Bote doch ein wenig zu blöde stierte, schickte er ihn weg und lachte weiter. Erst nach vielen Augenblicken kriegte er sich wieder ein. "Dieses kleine Luder. Na warte, so einfach mache ich es dir nicht. Du wirst bald heiraten."

  • Zwei Tagesreisen später war es soweit, Edessa war zu sehen. Nur wenige Reitstunden trennte das parthische Heer des Sháhs von der Stadt, die Surenas vor den Römern beschützen sollte. Er konnte sich noch gut an die Audienz beim Sháh erinnern, dieser Auftrag hatte einen Nebenton, der ihm überhaupt nicht gefiel. Surenas zog hörbar die Luft ein, er konnte sich schon denken, was passieren würde, wenn er versagte. Und die Folgen gefielen ihm ganz und gar nicht, denn er war nicht verwandt genug mit dem Sháh, als dass ein Einfall der Römer ohne Folgen bliebe.


    Surenas kniff die Augen zusammen. Der Tag war noch jung, dennoch stach bereits die Sonne, als ob sie bereits den Höchststand überschritten hatte. Dementsprechend flimmerte das Bild der Stadt vor ihm und er beschloss, noch heute in die Stadt zu kommen. Das heißt, wenn ihn der Satrap einlud und nicht draußen warten ließ, was auch vorkommen konnte. Surenas wandte sich ab und trank etwas Wein aus seinem Schlauch. Mürrisch gelaunt ob der Hitze und der stechenden Sonne veranlasste er, dass ein Bote nach Edessa gesandt wird, um ihr Kommen anzukündigen und den Satrapen um Einlass zu bitten.


    Für ihn hieß das jetzt warten. Auf den Einlaß und in gewissem Maße auch auf Shirin.

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