Das Haus des Alabarchen


  • In der näheren Umgebung der Synagoge, im bunten, wimmelnden Kern des Judenviertels steht ein kleines, uraltes aber doch repräsentatives Stadthaus, dessen griechische Bausubstanz zwar noch erkennbar ist, aber dennoch übertüncht wird von einem Sammelsurium orientalischer Eindrücke, bunt bemalter Musterungen, Erker und Fensterchen, Mosaiken und Fresken mit weltabgewandten, Frontalfiguren, die Geschichten, Menschen und Fabeltiere einer fremden, ungriechischen Mythologie darstellen.


    Der richtige Prunk dieses Gebäudes wird jedoch erst dem offenbar, der es betritt: Marmorböden aus verschiedenen Steinen zu aufwendigen Mustern zusammengeschnitten, rote Säulen, exotische Pflanzen allerlei Arten, ein Brunnen und künstliche Wasserwege und vor allem kein Lärm, fast als würde man das Paradies selbst betreten.


    Das Mosaik in der Eingangshalle, eine meisterhafte und imposante Darstellung der Geschichte Mose', wie er die Hebräer durch das schwarze Meer führt und die krachenden Fluten das ägyptische Heer vernichten - durchaus ein politisches Statement - zeigt, dass es sich bei dem Haus einst um den Wohnsitz der alexandrinischen Alabarchen zur Ptolemäerzeit gehandelt hatte.


    Heute lebt hier die Familie des Theodorus


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    2 Mal editiert, zuletzt von Theodoros Alexandreus ()

  • Endlich findet Theodorus die Muße, einen alten Bekannten in Roma einen Brief zu schreiben.



    Ad: Marcus Aelius Callidus
    Roma, ITA


    Theodorus Marco S.D.


    Ich bin nun vor einiger Zeit in Alexandria angekommen in der Hoffnung, meine Idee von der weiteren Zusammenarbeit der Akademien des Reiches verwirklichen zu können. Bedauerlicherweise erwies sich dieses Vorhaben als schwerer als gedacht, denn der hiesige Epistates verweigerte mir Anfangs den Zugang zum Museion und es war einige Arbeit nötig, ihn zu überzeugen, mich überhaupt als Philologos anzuerkennen. Dieser Mann war außerdem insgeheim ein erklärter Gegner der res romana, so dass es mir unmöglich war, ihn diesen Vorschlag zu unterbreiten. Ich habe mich deswegen bisher darauf beschränkt, meine Lehrtätigkeit wieder aufzunehmen.
    Ich schreibe, der Epistates war, denn tragischerweise verstarb dieser weise und umsichtige Gelehrte vor ein paar Tagen unter ungeklärten Umständen. Möge Serapis ihn in seiner Weisheit aufnehmen und Charon-Anubis ihn sicher über den Styx führen. Auch deswegen schreibe ich dir in der Hoffnung, du könntest Aufgrund deiner Tätigkeit als Rector der wichtigsten römischen Akademie und Procurator a Libellis vielleicht eine Empfehlung abgeben, welchen Gelehrten du für diesen Posten als würdig erachtest.
    Ich plane ferner eine Antrittsvorlesung über die Geographie der bekannten Welt abzuhalten, allerdings fällt mir kein geeigneter Titel ein. Vielleicht hast du ja eine Idee. Ansonsten bleibt mir nur, meinen unendlichen Dank für alles auszudrücken, was du für mich getan hast.


    Vide, ut valeas,


    Theodoros Iosephoi Alexandreus

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    Einmal editiert, zuletzt von Theodoros Alexandreus ()

  • Einige Wochen nach seiner Ernennung zum vorläufigen Epistates liegt Theodorus auf seinem Bett und quält sich mit einem Problem, das den meisten an der ganzen Epistatessache Beteiligten wohl nie aufgefallen wäre: Die Meisten würden wohl meinen, der Platz auf dem Musenthron wäre das erstrebenswerteste Ziel eines Gelehrten mit Ambitionen und Theodorus wäre der Glücklichste unter der Gelehrtenschaft dieser Welt. Nur für Theodorus stellt sich diese Sache alles andere als einfach dar: Ein kleiner Schönheitsfehler trennt ihn noch vom Annehmen seiner Aufgabe: Er ist Jude.


    Und er ist nicht nur irgendein Jude, Theodorus ist auch ein gläubiger Jude, Sohn des Alabarchen von Alexandrias, mütterlicherseits in direkter Linie von Herodes dem Großen abstammend. Er, der rationale und urgriechische Pgilologe, glaubt an seinen Gott, die Auserwältheit des hebräischen Volkes und die Gebote der Thora. Mehr noch, er glaubt an seine eigene Auserwähltheit. Keine Bürde könnte schwerer sein als diese. Obwohl jeder Heide zu seinen Götzen betet, zürnt Gott ihm nicht, er hat ihn blind geschaffen und ohne Erkenntnis lebt er vor sich hin. Schlechte und böse Taten werden nach dem Tod bestraft, war er aber redlich und gut, so erlangt er das Himmelreich, auch wenn er Gott niemals gesucht hat. Theodorus aber kennt Ihn, den Allerhöchsten von Kindesbeinen an, sein Leben lang war er auf der Suche nach dem Höchsten, er wurde Rabbiner und respektiert in der Gemeinde Alexandrias.


    Diese Zeit war nun vorbei: Auf dem Weg nach Hause trafen ihn hasserfüllte Blicke, die Leute redeten nicht mehr mit ihm, fragten ihn nicht mehr um Rat und der Vater machte des Abends immer strenge und spöttische Bemerkungen. Denn der Titel des Epistates war nicht irgendein Titel. Es war der Titel des höchsten Priesters des Apollon, mit allen dazugehörigen sakralen Aufgaben und Pflichten. Es war unmöglich, den Posten anzunehmen ohne die eigene Religion zu verraten. Dieses Dilemma macht Theodorus sehr zu schaffen und sorgt dafür, dass der Gelehrte seit Tagen nicht mehr schlafen kann. Unruhig wälzt er sich im Bett hin und her, liest die unheilvollen Lehren aus der Heiligen Schrift, die Geschichten über Sodom und Gomorrha oder den armen Hiob, und ab und zu weint er still in sein Kissen, voller Verzweiflung und Alleine, Niemand ist da, der ihn verstehen würde, Niemand, mit dem er offen reden könnte, nur Theodorus und sein Problem...


    "Oh Herr, warum hast du mich mit dieser Bürde belegt? Was habe ich dir getan, dass du mich derart strafst, welche Aufgabe mutest du mir zu?"


    Aber Gott in seiner unendlichen Liebe und Weisheit schweigt. Der allmächtige Erschaffer des Alls und seiner Bewohner ist weit weg. Nur die schweigenden Wände des dunklen, kalten Zimmers.

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  • Diagoras schalt sich einen Esel. Dieser dumme und ignorante Haufen und selbst er hatte ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, von Theodoros Iosephos, dem Alexandriner gesprochen, oder eben Theodoros Alexandreus. Diagoras konnte sich beide Ohren langziehen, bis sie über seinen Kopf hinausragten. Vielleicht würde er dann besser die Untertöne hören können.


    Diagoras von Melos hatte für Religion nicht sonderlich viel übrig, allerdings war er kein Atheist und keiner, der anderen ihren Glauben nehmen wollte. Er selbst aber beschränkte sich in seinem Verhältnis zu den Göttern auf's Minimum, wenn es sich nicht anders umgehen ließ. Man ging sich freundlich aus dem Weg.


    Die engen Gassen, bei Sonnenschein am Himmel und im Herzen pittoresk und gemütlich, flößten ihm Unbehagen ein, das Verwinkelte mache ihn reizbar. So stapfte er im Zickzack aber zielstrebig seinem Ziel zu. Wie verhagelt seine Stimmung war, vermag der aufmerksame Kenner daran zu erkennen, daß unser Held jede vitaminreiche Wegzehrung verschmäht.


    :blitz:


    Vor einem größeren aber verknurpselten Haus, das aussah, als hätten Generationen von einander spinnefeind gesinnten Architekten und Künstlern daran herumgewerkelt, blieb er stehen und klopfte an.

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    ~Tante Miriam~


    In einem deutlich unfreundlichen Ton (gar nicht so einfach für einen Gegenstand) wird eine Sichtluke in der Tür geöffnet und zwei argwöhnische Augen blinzeln raus in die sonnendurchflutete Straße des Judenviertels. Nachdem die Augen bzw. die dazugehörige Person, Theodorus' eingeheiratete unfreiwillige Tante aus Palaestina, der Hausdrache Mirjam, ihre Überraschung, einen Ungläubigen vor der Türe stehen zu haben, überwunden hat, merkt eine mürrische, krätzige, irgendwie fast männliche Stimme in gebrochenem Koine an:


    "Was willst denn du, Häh?"

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  • 'Deren Gott muß einen unsäglichen Geschmack haben, wenn alle Angehörigen Seines auserwählten Volkes so aussehen.' Fuhr es Diagoras durch den Kopf. Oder vielleicht legte Er ja auf etwas anderes wert.


    Shalom, Guten Abend, ich möchte Theodoros Al... Iosephos sprechen. Jetzt. Wenn er wach ist, hole ihn bitte, wenn er schon schläft, wecke ihn und hole ihn ebenfalls. Ich bin Diagoras von Melos, er und ich kennen uns vom Museion.


    Los, Frau oder was Du auch immer bist, spute Dich. -.^

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    ~Tante Miriam~


    "THEODORUS!?!?!?!" kreischt die Stimme (die übrigens bis auf die Augen unsichtbar ist und deshalb keinerlei Schlüsse auf ihr Äußeres zulässt, höchstens auf ihren Charakter, aber das macht wohl den mangelnden visuellen Eindruck mehr als wett) in einem Tonfall, ähnlich einer auf Marmor zerscheppernden Tonamphore, der unzweifelhaft nicht dem Herbeirufen von Theodorus zugedacht ist, sondern eine Frage an den Melier beinhaltet.


    "Hier wohnt kein Theodorus! Lass uns bloß in Ruhe mit dem Museion und Zeus und diesem... diesem ganzen neumodischen Zeugs! Hier wohnen brave Juden, die brav ihre Steuern zahlen wie jeder andere auch! Täte euch Griechen übrigens auch mal ganz gut, mal so richtig ordentlich Steuern zahlen..."

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  • Warum kommen die Iudäer immer gleich auf Geld? Diagoras verlor zielstrebig die Geduld - gerade wollte sie schon um die Ecke entwischen, da packte er sie gerade noch am Kaputzenzipfel und riß sie zu sich.


    Wenn hier kein Theodoros wohnt, dann nehme ich auch mit dem Sohn des Alabarchen vorlieb. Und wenn Du Dich als brave Jüdin erweisen willst, dann geh' und melde mich dem Sohn des Alabarchen, danke.


    Huschhusch! :motz:

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    ~Tante Miriam~


    Ein lauter Schrei voller Entsetzen und Empörung lässt die Türe und Diagoras' Trommelfell vibrieren. "Was erlaubst du dir eigentlich, du... griechischer Frechdachs!"Hast du denn gar keine Manieren mehr? Ist es das, was die euch da beigbringen in diesem Museion? Unverschämt sein und Forderungen stellen, als wäre die Welt eure! Na wartet, Bürschchen, wartet nur-"


    Tante Mirjam bricht erprupt ab und wer gute Ohren hat, kann ganz gedämpft hinter der Türe mitbekommen, was der Grund ist.



    "Wer ist denn an der Türe, Mirjam...?"
    "So ein Grieche, der meint, dass er dich dich kennt. Warum treibst du dich immer mit solchen Leuten rum, Häh?"
    "Ein Grieche? Warum lässt du ihn nicht rei -"*zack*"Au!"
    "Schämst du dich denn gar nicht, mit solchen Leuten rumzuhängen? Was machst du eigentlich den ganzen Tag? Wozu trefft ihr euch eigentlich? Zum Haschisch spritzen?"
    "Tante Mirjam, Haschisch spritzt man ni -"*zack*"Au!"
    "Jaja, der Herr weiß natürlich immer alles besser! Nun Marsch auf dein Zimmer, sonst setzts was!"
    "Aber ich würde gerne -"
    "Nichts wirst du! Du bist ein Jude, ein Nachkomme Herodes des Großen! Eine Rübennase! Ein Totes-Meer-Jogger! Du solltest lieber zurück nach Iudäa und Zitronen anbauen!"
    "Mirjam, in Israel wachsen keine Zitronen-"*zack* Und hör auf mich zu schlagen!"
    ""In Israel wachsen keine Zitronen!" Wenn ich das schon höre! Ich sag dir was, eines Tages werden in Israel so viele Zitronen wachsen, dass die ganze Welt nur noch Zitronen aus Israel isst!"
    "Nein, das wird nicht passieren! Zitronen können in Israel gar nicht wachsen. Kann ich jetzt bitte den Gast empfangen!"
    "Nichts ist dir recht, nichts ist dir heilig! Na bitte, wenn du dich unbedingt mit diesen Griechen anfreunden willst und dir deine Familie so wenig am Herzen liegt, dann mach halt! Aber erwarte nicht, dass deine Tante dann noch ein offenes Ohr für dich hat, wenn du dann wieder zurück kommst! Wirst schon sehen, was du davon hast, dich mit diesen Griechen zu umgeben, diesen ganzen neumodischen Zeugs...


    Die jammernde Stimme der "Frau" verschwindet immer leiser im Hintergrund. Am Ende klicken und klacken Dutzende von Türriegeln und Schlössern und Theodorus öffnet die Türe. "Chaire, Diagoras. Was führt dich hierher?"

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  • Chaire, Theodoros. Ich wollte mal wieder so richtig in eine Keiferei verwickelt werden, darum bin ich gekommen. -.^ G'sund schaust übrigens aus - so rote Backen!


    :D


    Diagoras war alles andere als gut aufgelegt, aber langsam und allmählich wich das Fieber und er erreichte erträgliche Grade.


    Ich bin gekommen, weil ich mit Dir über meinen Besuch beim Präfekten reden wollte und außerdem über einen möglichen Strategiewechsel, also von überhaupt einer Strategie zu überhaupt keiner Strategie. Ich war nämlich so dämlich wie ich jetzt ratlos bin - Rabbi.


    Ist die Geißel Deines Gottes weg, dann könnten wir ja 'reingehen?!

  • Theodorus, der jetzt in der Türe steht, schaut ratlos auf den sehr aufgebracht wirkenden Melier. Was hat er denn getan, das Diagoras so dermaßen wütend machen könnte? Verdutzt meint er:


    "Ähm... Chaire, Diagoras. Komm doch rein. Aber: über was willst du genau mit mir reden?"


    Theodorus öffnet die Türe und bittet den Mann ins Innere, in den Empangsraum mit dem schönen Mosaik, das zeigt, wie Gott die Fluten des roten Meeres über den ägyptischen Feinde zusammenkrachen lässt. Etwas leiser meint er noch: "Und wenn es dir nichts ausmacht: Vermeide unnötige Kommentare über "gewisse Dinge", bis wir in meinem Arbeitszimmer sind, ja?"

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  • Als Theodoros und sein Gast im Arbeitszimmer angekommen waren - ein Raum, in dem offensichtlich gearbeitet wurde und an dem offensichtlich arbeiten mußte, aufräumen beispielsweise - schob Diagoras einige Rollen unter einern Stuhl und setzte sich daselbst nieder.


    'Machen wir's kurz, sprach der Henker und schlug dem Delinquenten mit einem Hieb den Kopf ab" - Theordos - Du bist Jude. Und ein Jude als Epistates des Museions - sowohl die Griechen wie auch Dein eigenes Volk hätte etwas dagegen - sogar ziemlich Wirksames.


    Im Rat der Bibliothekare und Wissenschaftler ist nie davon die Rede gewesen, daß Du Jude bist. Entweder liegt es an der geographischen Entfernung, an schlechten Informationen oder an der schlichten Dummheit solcher Gremien, die ephemere Dinge einfach nicht zur Kenntnis nimmt. Prinzipiell ist es nämlich egal, ob Du Jude, Phönikier, Kilikier, Thraker oder - die, die man die Götter nennt, mögen uns beistehen! - Römer. Aber in Alexandria ist es - aufgrund der großen Spannungen vor Ort - nicht unwichtig. Und es erscheint mir zweifelhaft, daß die religiöse, die kultische Seite des Epistaten-Amtes sowohl Deinem Volk wie den anderen Alexandrinern unwichtig ist und Du quasi eine Ausnahmegenehmigung bekommt. Von beiden Seiten.


    Was mich zum Besuch beim Präfekten führt: Decius Germanicus Corvus ist Soldat, damit ist im Grunde schon alles gesagt.


    Seine Feinfühlichkeit ist die eines Krokodils, sein Interesse an den regionalen, an den griechischen Besonderheiten vor Ort die eines, eines schläfrigen Hippopotamus. Germanicus Corvus hat entweder selbst keine Ahnung, daß Du Jude bist, was mich nicht wundern würde, oder es ist ihm egal, was mich auch nicht wundern würde.


    Er will einen Schuldigen für den Tod des Tychios finden, gleichgültig, ob das nun das Museion beschädigt oder nicht. Germanicus Corvus ist ein Holzkopf und von gerissenen wie ungebildeten Satelliten umgeben.


    Theodoros, hast Du mit Deiner Gemeinde über eine mögliche Wahl gesprochen? Was planst Du? Oder hast Du Alternativen vorzuschlagen? Ich muß zugeben - und das ist der Grund meines Ärgers - daß ich momentan völlig blank bin, blank wie eine leere Obstschale - und nichts in Reichweite, was man da hineintun könnte.


    Diagoras seufzte und zuckte mit den Schultern. ?(

  • Auch wenn Theodorus dem Diagoras still beipflichten muss - und überdies nichts Neues aus dessen Worten entnehmen kann - so muss er sich mal wieder sehr darüber ärgern, dass das Museion anscheinend wirklich die einzige Stätte dieser Welt mit einigermaßen modernen Weltanschauungen zu sein scheint, inmitten eines Ozeans von Dummheit, Unwissenheit und pathetischer Worte.


    "Lieber Diagoras, tatsächlich sprichst du etwas an, das mir selbst schon seit Langem Kopfzerbrechen bereitet und es ist keine Frage, dass ich, sollte ich tatsächlich zum Epistates ernannt werden, meiner Religio abschwören muss - oder die Stelle, aber lass das mal meine Sorge sein.


    Denn was deine weiteren Äußerungen betrifft, so weiß ich, dass sie der Tatsache zu verschulden sind, dass du neu hier bist und dich mit den örtlichen Gepflogenheiten nicht auskennst: Das Museion untersteht dem König von Ägypten und Niemand Anderem. Kein Beamter der Stadt Alexandria, kein Stadtwächter, kein Nichtgelehrter hat dort irgendetwas zu sagen, es sei dem, der Basileus wünscht es. Und dieser Basileus fördert in seiner unendlichen Weisheit die Schönen Künste, ihm ist es egal, welcher Religio die Gelehrten angehören.


    Und der Eparchos mag ein Soldat sein, der, der ihn beraten hat, Aelius Callidus, ist es nicht. Er ist der Rector der Academia in Roma, ein weiser, kluger und überaus gebildeter Mann, dazu noch einer der engsten Berater des Kaisers und seine Worte haben, solange sich der Kaiser durch Mesopotamien kämpft, genauso viel Gewicht wie die Worte des Kaisers persönlich.


    Was die Wahl anbelangt, so weiß ich beileibe nicht, worauf du ansprichst."


    Und Diagoras' Hinweis auf seine finanzielle Lage beschließt Theodorus zu ignorieren. Schließlich hat der Mann damals einfach sein Zimmer verlassen, als Theodorus ihn eine Arbeit anbieten wollte.


    Sim-Off:

    Übrigens spielt die Synode am Museion zeitlich weit vor diesem Gespräch. Ich bitte dich darum, dich deswegen dort entsprechend zu verhalten. ;)

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  • Diagoras wunderte sich sehr über die Rede des Theodoros.


    Nun, ich mußte feststellen, daß viele Menschen in Alexandria, gleich ob griechischer oder nicht-griechischer Abkunft ganz selbstverständlich Alexandria für eine römische Stadt halten, eine Stadt, die von Römern regiert wird, als ob es die alten Institutionen und Traditionen nicht mehr gäbe. Als sei Alexandria eine römische Stadt mit griechischem Anstrich, das Museion eine römische "Schola" mit griechischem Zierrat. Als ob keinen Alexandriner irgendetwas anging, was in seiner Stadt passiert.


    Ihr habt Euch - die Ihr eigentlich das Leuchtfeuer des Hellenentums sein solltet, so wie es der Turm von Pharos für die Schiffe auf dem dunklen Meer ist - offenbar in ein eigenartiges Schicksal als römisches Anhängsel dreingeschickt, als ob nichts von den Einheimischen und alles von den Römern entschieden werde. Das ist - sei versichert - in keiner Stadt in Griechenland oder in Ionien der Fall, wir haben alle unsere Autonomie innerhalb unserer Stadt bewahrt. Natürlich setzt der Kaiser den Epistaten ein, aber bislang folgte er stets dem Wahlvorschlag und der Weisheit der Gelehrten des Museions. Was will ein Römer, fernab in Rom von den Verhältnissen hier wissen? Aber gut, darüber zu diskutieren scheint müßig.


    Und Du selbst solltest wissen, daß außerhalb Eueres eigenen Landes, die inzwischen römische Provinz ist und Euerer eigenen Nation kein Jude in einer verwaltungs- oder gar verantwortlichen Position berufen wird - und sich auch nicht berufen ließe, außer er würde damit von seiner Religion und seinem Volk abfallen. Das scheint Dir allerdings, so wie Du redest, kaum Probleme zu bereiten. Wieviele Juden sind von ihrem Volk abgefallen und haben die Religion gewechselt? Du währest wohl einer der Handvoll in den letzten Jahrhunderten, wenn es überhaupt so viele gewesen sind.


    Wir haben uns wohl in Dir getäuscht, Theodoros, das bedauere ich. Ich werde in meine Heimat schreiben und dort vom Stand der Dinge berichten, die alles andere als ermutigend sind. Sollte ich keinen anderen Bescheid erhalten, kann ich Dich als Vertreter der Griechen nicht unterstützen, denn Du bist kein Vertreter von uns Griechen.


    Diagoras zuckte bedauernd mit den Schultern und erhob sich.


    Damit ist wohl meine Mission in Alexandria gescheitert. Alexandria ist keine griechische Stadt mehr, sondern eine römische Kolonie, in der auch Griechen wohnen. Griechen, die ihr Griechentum verleugnen und sich zu Handlangern der Römer machen, ohne selbst je Römer zu sein.


    Ich gehe jetzt ins Museion zurück, vielen Dank für Deine Bereitschaft, mit mir zu reden - möge Dein Gott Dir Gnade, Weisheit und Kraft schenken.


    Sim-Off:

    "Daß ich momentan völlig blank bin, blank wie eine leere Obstschale" war kein Hinweis auf des Meliers finanzielle Lage, sondern die Metapher galt der Leere in seinem Kopf.
    /edit am 27.12.: Auch nach öfterem Suchen habe ich nicht gefunden, daß Diagoras eine Arbeit angeboten wurde - oder er das hätte merken sollen/können. Aber irgendwann wird sein Obstvorrat vielleicht zur Neige gehen ... :D

  • Zuerst kratzt sich Theodorus verdutzt den Kopf, dann wird er immer ärgerlicher:


    "Melier, du bist neu hier in der Stadt und scheinst keinerlei Ahnung zu haben, wie diese Stadt hier funktioniert. Und ich mag vielleicht kein Hellene sein, weil ich eure Götter nicht verehre, aber ich lebe hier seit dem Tag, an dem ich geboren bin. Ich besuchte das große Gymnasion in Alexandria, ich wurde im Museion von zahlreichen hellenischen Gelehrten in der Kunst und Kultur dieser Welt unterrichtet, der einzige Unterschied zwischen dir und mir ist, dass ich dem Eparchen Steuern entrichten muss und du nicht.


    Und ich kann dir gleich eines sagen: Alexandria, die Größte und Hellste aller hellenischen Poleis, funktioniert nicht wie irgendein Provinznest im hintersten Makedonien oder an der Küste Lykiens. Hier leben zu gleichen Teilen Griechen, Juden und Ägypter, dazwischen zahlreiche Fremde aus aller Welt von Ultima Thule bis nach Äthiopien, von den Säulen des Herakles bis zu der Inselwelt hinter dem Lande India. Und weil dies so ist, sehen die Griechen hier die Römer nicht als Feinde, denn sie wissen: Ihre Privilegien werden ihnen allein durch die Römer gegen die Juden und Ägypter gesichert. Wenn ihnen was nicht passt, gehen sie zum Eparchen und der folgt ihrem Rat. Versuch das mal, wenn du Sohn zweier Nilbauern bist und du wirst am Kreuze hängen. Das selbe passiert übrigens auch denen, die sich gegen die Herrschaft des Basileus stellen.


    Und was das Museion anbelangt: Die dortigen Lehren mögen zwar hellenisch sein, die Gelehrten selbst waren es niemals unbedingt. Das Museion geht in seinem Auftrag weit über die kleinliche, provinzielle Pseudosophistik der Schulen Achaias und Asias hinaus: Es ist universell ausgelegt und dient allein dem Erwerb und der Sammlung des Wissens der gesamten Menschheit, nicht nur der Griechen.


    Kurz und gut: Meine persönlichen Probleme lass einmal meine Sache sein. Entweder du passt dich den hiesigen Gegebenheiten an oder du gehst dahin zurück, wo du hergekommen bist. Und vor allem: Beiße nicht in die Hand, die dich füttert. Das Museion hat sowieso schon seine Probleme damit, einen Gast zu beherbergen, der sich vor der Ekklesia gegen die herrschenden Sitten der Polis auflehnt..."


    Theodorus hofft, dass die Drohung angekommen ist...

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  • Die herrschenden Sitten dieser Stadt scheinen zu sein, daß man weder seine Meinung frei äußern, noch seinem Gewissen entsprechend handeln darf, ohne in den Verdacht zu geraten, sich gegen "herrschende Sitten" aufzulehnen - oder meinst Du die "Sitten der Herrschenden", Theodoros? - oder verdächtig zu sein, ein "Feind der Römer" zu sein. Was ein Unsinn! Oder gilt hier: 'wer nicht immer brav nickt, der ist gegen uns?'


    Ich habe es für meine Pflicht als ordentlicher polites Alexandrinos mit Recht auf Sitz und Stimme in der Ekklesia gehalten, meinem Gewissen und meiner Meinung Stimme zu geben. Nur, weil die Versammlung im Theater der Stadt abgehalten wird, heißt das nicht, daß die Bürger dieser Stadt nur Statisten oder Publikum sind.


    Wenn Du griechische Werte wie Isonomie, Autonomie und die freie Meinungsäußerung hinter Duckmäusertum, Anpassung und Schmeichelei zurückstellst, dann ist das Deine Sache. Meine ist es nicht. Ich bin Grieche, ich habe meinen Stolz.


    Wenn Du sagst: die Privilegien der Griechen werden in dieser Stadt "allein durch die Römer gegen die Juden und Ägypter gesichert", sprichst Du dann als - was? Als Römer? Gegen die Juden? Du bist ein seltsamer Sohn Deines Volkes.


    Und wenn Du mein Zimmer anderweitig vergeben möchtest, sag' Bescheid. Ich will ja nicht, daß Du in den Ruch kommst, Du würdest das Museion als eine freie Institution leiten wollen.


    Es hat mich gefreut, Dich kennenzulernen, ich bedauere, daß wir in Dissens und Unfrieden scheiden. Wie ich schon sagte: möge Dein Gott Dir Gnade, Weisheit und Kraft schenken. Schalom!


    Damit verabschiedete sich Diagoras mit einer angedeuteten Verneigung und verließ das Haus des Alabarchen.

  • Wüted und ohne Verabschiedung schmeißt Theodorus die Türe hinter sich zu und lehnt sich seufzend gegen die Wand. Was so alles in der Welt herum lief und sich "Gelehrter" nennt, ist ihm bisweilen immer noch unbegreiflich. Ob orthodoxe jüdische Priester, obrigkeitshörige Römer oder sophistierende hellenophile Idealisten, die meinen, sich auf Rechte berufen zu können, die vor Jahrhunderten von den Römern de facto abgeschafft wurden - sofern sie jemals galten, und für Alexandria, die Königsstadt traf das wohl noch nie zu - enttäuschten ihn und trieben ihn regelmäßig zur Verbitterung.


    Was war eigentlich so schwer daran, einen außergewöhnlichen Hort der Kunst wie das Museion, einfach anzuerkennen? Einfach zu akzeptieren, dass genau die Schutzherrschaft eines Königs, der in weiter Ferne in Rom regierte und sich nicht das Geringste um diese Institution kümmerte, dieses Museion zum vielleicht einzigen Ort der Freiheit machte in einer Welt, die geprägt war von Irrglauben, Ignoranz und Streitigkeiten zwischen Völkern, Reichen und Philosophien? Warum musste der Mensch, Gottes herrlichste Schöpfung, sich immerfort bekriegen und unterdrücken, anstatt sein überaus vielfältiges und fruchtbares Potential zu entfalten um seine Aufgabe auf Erden zu erfüllen?


    Waren nicht alle Menschen von selber Herkunft, vom selben Stand, gleich geschaffen, gleich geboren und in all ihren Unterschieden gleich vor Gottes Augen? Liebte nicht Gott alle Menschen, machte er ihnen nicht allen das selbe Geschenk? Die Fähigkeit, Gutes und Böses zu ekennen? War die Schlange am Baum der Erkenntnis nicht auch ein Wesen Gottes, dazu bestimmt, den Menschen zu befreien? War sie nicht gleich zu setzen mit Prometheus, jener Kulturheros, der so gerühmt wird in den Sagen der Hellenen? Warum nur hassten die Menschen Gottes Geschenk so, warum verfluchten sie ihre Gabe, versuchten sie einzuzäunen und sich in unnützen Zwistigkeiten zu entzweien? Warum verstanden die Menschen einfach nicht?


    Niedergeschlagen zieht sich Theodorus zurück in sein Zimmer und rollt eine weitere Schriftrolle auf, um sich abzulenken...

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