Am Nachmittag ging Stella ins Scriptorium, in dem Abschriften der Texte angefertigt wurden.
Sie brachte eine Menge Schriftrollen mit, die kopiert werden mussten und bat die fertigen Buchrollen
in ihr Officium zu bringen. Dann verließ sie so leise wie sie gekommen war den Schreibraum.
Scriptorium
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Mit einem Liedchen auf den Lippen, einem Bonbon in der Backe und den Rollen, die mir die curatrix Furia Stella ausgehändigt hatte wandere ich ins scriptorium, um Arbeit loszuwerden und um Arbeit aufzunehmen.
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~ Marcus Minolta ~"Kannst Du nicht anklopfen, Bengel?" begrüßt mich der leitende scriptor. "Steht draußen: Bit-te-an-klo-pfen-!!!"
"Kannich' lesen", sage ich grinsend, bin ja nur der neue scriba Logei. Ich lege mit Geräusch die Rollen auf den Tisch. "Hier, das sind die nächsten Exemplare zum Kopieren."
"Na und, was geht mich das an? Paß' gefälligst auf, analphabetischer Rotzlöffel, ein wenig mehr Res-pekt!"
"Hast Du die anderen Rollen kopiert? Ich soll sie holen und korrigieren", erwiedere ich. Man hatte mir geraten, Marcus Minolta mit überbordender Unverschämtheit zu begegnen, alles andere würde ihn kränken.
"Du sollst sie holen und kor-ri-gie-ren? Sind jetzt alle jetzt völlig ...!!! Naja, der alte Botenjunge war auch nicht anders." Minolta schaut mich kritisch an. "He, Du bist der neue scriba, na-tür-lich!, würdiger Nachfolger was? Frech wie Caius und nix im Schädel als lauter nackte Mädchen, was? Ein Flavier, nicht? Er sticht mit seinem Zeigefinder nach mir. Dumm geboren und nichts dazugelernt, aber ein Flavier! Natürlich, da macht man sogar einen Bock zum Gärtner, wenn es nur ein flavischer Bock ist! Hast Du wenigstens den Ze-Err-Vau, wenn Du schon nicht lesen kannst?"
"Äh, nein, is' das'n Rechtschreibkurs?" ich lächele scheinbar verlegen. "Nein, ein Benimmkurs, jedenfalls solltest Du den auch belegen, drin-gend-st!" Minolta grummelt vor sich hin und verdreht die Augen.
"Da, Flavius Flegel, Attische Nächte, alle Bücher. Vorwärts, zackzack. - Und schreibe nichts, in Worten: "En I Zeh Ha Te Es" - NICHTS - in die Rollen, sodern notier' die Zeilen und schreib' die Korrekturen auf eine Wachstafel, egal, wer Dir deswegen ein Schwert an die Kehle hält oder nicht. Klar?"
"Wie Eselsmilch", sage ich und will gehen. "Vale!"
"Heda", ruft er mich zurück. "Dieser andere Flavier, Flavius Furiosus oder so, dessen Dissertation fehlt uns hier. Wasserversorgung oder sowas soll sie behandeln, den Titel eines Magister hat er natürlich schon eingesackt, aber bitte wo ist seine Arbeit? Ist die noch beim Trocknen? Oder wurde sein Geisterschreiber nicht fertig? Egal, sie ist nicht da, sie muß kopiert und eingestellt werden. Und zwar gestern!"
"Ja, scriptor, ich will mich erkundigen, wo sie abgeblieben ist", sage ich seufzend.
"Nein, Flavius Flegel, Du willst Dich nicht erkundigen, Du erkundigst Dich und bringst sie her. Du willst hier nicht wollen, sondern tun. Basta. Vale." Spricht's und dreht sich zu einem Schrank um.
Ich schau', daß ich herauskomme. So leicht schließt man Freundschaften.
Sim-Off: Korrigiert nach Beschwerde. Sorry.
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~ Marcus Minolta ~"Schau an, der Flavische Flegel ist wieder da! Hat doch glatt mein eigener scriba vergessen, mich daran zu erinnern, Dich zu vermissen. Marcus Minolta schaut überhaupt nicht von seiner Arbeit auf.
"Ich dafür umso mehr, O Scriptor Maximissimus!" erwidere ich devot. "Kaum eine Nacht, in der ich nicht"
"Du bist nicht der erste, der meinetwegen nächtliche pollutiones hat. Ich habe mehr Angebote in einer Woche als Du Dein ganzes Leben zu erwarten hast, vergiß es, die Liste ist lang und Du bist, wenn Du endlich drankommst, für mich nicht mehr attraktiv genug." schneidet mir der scriptor den Satz ab. Minolta redet manchmal leicht unverständliches Zeug - was für pollutiones überhaupt? Soll ich bei Georgis nachschlagen - oder bei Varro?
"Mach's kurz, scriba Flavissimus, ich will zum Mittagessen."
"Verzeiht, hier sind die korrigierten poll ... äh, ... dissertationes der letzten Woche. Gibt's neue? Vielleicht mal zur Abwechslung mit einem spannenden Thema? Irgendwas Großes? Nicht immer diese Abhandlungen wie die über "das Sigma bei Sueton", die zum Schluß kommt, Sueton habe das Sigma nicht verwandt, weil er nur Lateinisch geschrieben hat oder "Wer hat im Falle eines vom einem vilicus namens seines dominus gezahlten indebitum die indebiti condictio?" in 32 Büchern!"
"Glauben der edle junge Herr, ich könnte mir die dissertationes so herausschütteln, oder wie oder was? Nil novo sub sole - NIL heißt nichts - "En I Zeh" ... "
"Ha Te Es" vollende ich. Kenne ich. Jedesmall buchstabiert er mir das Nichts. Das Nichts kann ich inzwischen vorwärts - "En I Zeh Ha Te Es" und rückwärts "Es Te Ha Zeh I En" durchbuchstaberen. Blöd nur, daß es das nichts überhaupt nicht gibt. Die Natur verabscheut das Vakuum, habe ich mal irgendwo gelesen.
"Und auch ansonsten hab' ich nichts, womit Du Dein Schindluder treiben kannst, Kerlchen. Dissertationes sind alle. Wurden keine neuen eingereicht, die Vorratskammern des Überflüssigen sind leer. Gibt nichts Neues mehr, worüber sich zu schreiben lohnen würde."
"Und die 'Attischen Nächte' ...?" wage ich zu erwähnen.
"Oh, hör' mir nur damit auf! Hat sich die curatix nach erkundigt - den Autor soll's überhaupt nicht geben, ergo das Werk auch nicht! Ist jetzt im Giftschrank "libri quorum auctores ignoti sunt" - neben "de principe" und den "meditationes de prima philosophia", was auch immer das sein soll.- Da kann' vor sich hinschimmeln."
"Also En I Zeh Ha Te Es Zet U Te U En, was?"
"Ja. Und das wird sich auch nicht ändern, solange Du hier scriba Logei bist, jedenfalls wenn's nach mir geht. Unsere Bekanntschaft hat schon zu lange gedauert, sie wird nicht besser, darum hören wir hier auf, wenn's am schönsten ist", grummelt Marcus Minolta und schiebt mit seinem fetten Händchen eine kleine Rolle zu mir hin.
"De ente et essentia" aber sag' keinem, daß Du das von mir hast. Nette Abhandlung irgendeines unbekannten Neuplatonikers, mit interessanten Ideen: "analogia entis", Seinsanalogie und so. Liest sich sehr flüssig und eingängig." Minolta versucht vergeblich ein Lächeln, das nr einen Bruchteil eines Augenzwinkerns sich in seine Mundwinkel stiehlt.
"Und ave!" sagt er dann barsch und dreht sich um.
Mit meinem kleinen Schatz schlüpfe ich wieder aus dem scriptorium.
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Es war spät geworden und Stella begab sich, bevor sie nach Hause ging, auf dem schnellsten Weg ins Scriptorium,
um die Schriften abzugeben, die abgeschrieben werden mussten. Sie grüßte leise den Scriptor, wechselte ein paar
Worte mit ihm und übergab ihm die Rollen. Dann verabschiedete sich mit einem freundlichen Lächeln von dem Mann und verließ den Raum. -
Stella begleitete mich zum Schreibraum und ging dann weg. Ich betrat vorsichtig das Scriptorium, das in einem
großen, sonnendurchfluteten Raum untergebracht wurde. Was mir auffiel, war die große Zahl von schmalen
Holztischen, die diesen Raum beherrschten. An jedem Tisch saß in gebückter Haltung ein Mann und war mit
der Anfertigungen von Abschriften beschäftigt. Es herrschte hier eine vollkommene Ruhe. Ich grüßte leise den
Scriptor und gab ihm die Rollen zum Abschreiben, nahm dann die fertigen entgegen und verließ den Raum.
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