• Der Praefectus Annonae hatte sich an diesem Tag für einen morgendlichen Besuch in einer der vielen römischen Thermen entschieden und sich in seiner Sänfte zur Thermae Agrippae bringen lassen. Während seine Sklaven samt Sänfte vor dem riesigen Gebäudekomplex warten mussten, betrat Marcellus gemächlich die Therme. Sein erster Weg führte ihm selbstverständlich in das Apodyterium, um seine Kleindung abzulegen und gegen ein Badetuch zu tauschen. Herbeieilende Sklaven halfen ihm dabei, seine meterlange Amtstoga abzulegen und einige Zeit später war er auch bereits auf den Weg in die Haupthalle.


    Bereits um diese Uhrzeit konnte man deutlich sehen, dass die Thermen zu den wichtigsten Treffpunkten der Hauptstadt gehörten. Hier war ein Ort, an dem man sich traf, miteinander plauderte, Lesungen lauschte oder gemeinsam Sport trieb. Ein Badbesuch dauerte daher auch mehrere Stunden, ja manchmal den ganzen Tag. Marcellus selbst hatte jedoch noch nicht entschieden, wie lange sein eigener Aufenthalt heute dauern sollte und so machte er es sich einmal am Rande des großen Warmwasserbecken bequem. Vielleicht traf er ja heute selbst auf das eine oder andere bekannte Gesicht.

  • Mein Besuch in den Thermae Agrippae erklärte sich ganz gewiss nicht aus einer plötzlichen Abneigung gegen das balneum in der heimischen villa Aurelia in Roma; dieses war so großzügig angelegt, dass auch der plötzliche Zuzug aller möglichen Aurelii in das Hauptstadt-Domizil nicht zu Engpässen bei der häuslichen Badekultur führte. Nein, wenn ich am heutigen Tag außerhäusig badete und dazu noch, ganz gegen meine Gewohnheit, am Vormittag, hatte dies den Grund, nicht nur die vielbesungenen Thermen des Agrippa kennenzulernen, sondern womöglich auch noch den ein oder anderen Mann. Denn die villa Aurelia füllte sich zwar zusehends mit Verwandten; in der Stadt Roma jedoch, die eben nicht meine Heimatstadt war, fühlte ich mich nach wie vor ein wenig fremd.


    Schon als meine Sänfte gemächlich in Richtung Thermen schaukelte, merkte ich jedoch, dass ich mich in den vergangenen Tagen wohl ein wenig verkühlt hatte. Ein verdächtiges Kratzen zog meine Kehle unmerklich zusammen, und es fröstelte mich im Ganzen. Ich beschloss daher, mich bei diesem Badebesuch sofort zum Warmwasserbecken zu begeben; ein Vorhaben, das ich nach dem Auskleiden in die Tat umsetzte. Dort angekommen, stieg ich vorsichtig ins Wasser, denn so ganz traute ich dem nassen Element bei der heraufziehenden Erkältung nicht; schließlich aber war dies wohl der beste Ort, um warm zu werden. Dies geschah auch, allerdings dauerte es auch nicht lange, bis ich Niesen musste, natürlich verhalten und unauffällig, wie man es mich von Kindheit an gelehrt hatte. Dennoch hielt ich es für wünschenswert, mich bei dem Mann, der sich neben mir am Rand des Warmwasserbeckens aufhielt, zu entschuldigen. Da man Nackten zwar ansehen kann, ob sie schwere Arbeit, Landarbeit gar, verrichten, ihr Körper über ihren Namen aber nur selten Auskunft gibt, stellte ich mich ihm vor:


    "Salve! Mein Name ist Appius Aurelius Cotta. Ich muss mich wohl verkühlt haben, die Wärme hier wird mich aber sicherlich schnell kurieren, so dass dir wohl nicht die Gefahr einer Ansteckung von mir droht. Ich bewundere es sehr, wie es gelingen kann, solch riesige Räumlichkeiten derart zu beheizen. Und dabei ist dieses Gebäude ja gar nicht einmal so neu. Ob es wohl schon einmal renoviert worden ist?"


    Nebenbei bewunderte ich nun auch die auffallenden aristokratischen Gesichtszüge des von mir angesprochenen Mannes. Ob ich in ihm wohl gar auf einen Standesgenossen traf?

  • Marcellus hatte das Niesen und die darauf folgende Entschuldigung zwar gehört, hätte jedoch nicht nachgesehen von wem es kam, wäre er nicht gleich darauf von dem selbigen Mann angesprochen worden. Er öffnete wieder seine Augen, die er gerade im Begriff war entspannt zu schließen und sah den Fremden etwas verwundert an. Ein Aurelier also - und er berichtete sofort, ohne lange auf eine Nachfrage zu warten, von seiner gesundheitlichen Verfassung. Im ersten Moment wollte es Marcellus mit einem Kopfnicken abtun und sich wieder entspannt zurücklehnen, doch der Aurelier war anscheinend auf ein Gespräch aus und so beschloss Marcellus ihm auf seine ungewöhnliche Frage zu antworten.


    "Diese Anlagen wurden bereits vor über 120 Jahren in Betrieb genommen. Ich denke also durchaus, dass sie in dieser langen Zeit einer Renovierung oder auch der einen oder anderen Reparatur bedurften. Lucius Aelius Claudianus Marcellus – Salve Bürger."

  • Bei der Nennung des Namens zuckte ich unwillkürlich ein wenig, und dies war sicherlich nicht meiner heraufziehenden Erkältung geschuldet, denn in diesem Raum der Thermen war es wirklich herrlich warm, und ich fühlte mich gleich besser. Mein Zucken war eindeutig eine Reaktion auf den Namen meines Sitznachbarn. Einerseits freute ich mich, dass mein Eindruck, einen Aristokraten neben mir zu haben, mich nicht getrogen hatte. Auf der anderen Seite fühlte ich mich aber auch auf dem falschen Fuß erwischt: Dass Claudius Marcellus mit seiner Tochter Dolabella in die gens Aelia aufgenommen worden war, war mir zwar zu Ohren gekommen, weiter aber nichts. Jedoch wusste ich natürlich, dass Aelius Claudianus Marcellus der praefectus annonae war.


    "Genau wie Gebäude ab und an einer Reparatur bedürfen, sollten sich Männer in verantwortungsvollen Positionen wie du bisweilen eine Entspannung wie hier in den Thermen gönnen. Ich irre mich doch nicht: Du bist der praefectus annonae?"


    Die starke Wärme tat mir wirklich gut, und nur mein Kopf schmerzte noch ein wenig; mit meinen Fingern massierte ich meine Schläfen. Dabei kam mir der Gedanke, dass sich Aelius Claudianus Marcellus vielleicht über meine Worte wundern könnte, denn woher sollte er wissen, dass ich noch nicht lange in Roma lebte?


    "Ich muss gleich sagen, dass ich mit den Gegebenheiten hier in der urbs noch nicht vollständig vertraut bin. Erst vor Kurzem bin ich von meinen Studien in Athen zurückgekehrt, und aufgewachsen bin ich auch nicht hier, sondern in Mantua. Ich wäre ganz verloren zwischen all den römischen Namen und Ämtern, wenn nicht mein Vetter Aurelius Corvinus mich in vieles einführen würde. Er ist ja im Augenblick vigintivir, aber das weißt du sicherlich."

  • "Ja du hast Recht, der bin ich. Dein Name deines Vetters ist mir ebenfalls vertraut, sowie die meisten der hier in Rom lebenden Patrizier. Und du warst bisher in Athen sagst du? Eine wunderbare Stadt. Auch ich habe eine sehr lange Zeit dort verbracht, bevor es mich wieder nach Rom zog. Was gibt es neues aus Achaia?"


    Der junge Mann hatte nun groß bei Marcellus gepunktet. Er freute sich immer über Nachrichten aus seine früheren Wahlheimat und noch mehr, wenn er jemanden traf, der direkt von dort kam. Er widmete dem Aurelier nun seine ganze Aufmerksamkeit und man konnte nun sogar ein kleines Lächeln sehen, dass sich voller Vorfreude in seinem Gesicht abzeichnete.

  • Die positive Wirkung der Wärme auf mein Wahrnehmungsvermögen war nicht zu leugnen, denn auf einmal bemerkte ich auf dem Gesicht des praefectus annonae so etwas wie ein leichtes Lächeln, während er mir bis dato doch eher zurückhaltend vorgekommen war. Oder lag es etwa an dem Stichwort "Athen", dass sich seine Züge jetzt so aufhellten? Ich war geneigt zu vermuten, dass er dort vielleicht aufgewachsen sei; wissen tat ich es ja leider nicht. Daher erwiderte ich lachend:


    "Ich befürchte, du hast mir nicht nur die in Roma lebenden Patrizier betreffend, etwas voraus, sondern auch, was Athen angeht. Ich war dort zum Studium und muss gestehen, dass ich mich auf dessen Inhalte doch sehr konzentriert habe. Auch über den Kreis unserer Schule respective der Schüler bin ich nicht oft hinausgekommen; Reisen in die Umgebung habe ich nur selten unternommen."


    Bei diesen rein negativen Auskünften wollte ich es nun aber doch nicht belassen, und so fügte ich an:


    "Mir schien, dass der Unterricht in Athen immer noch auf einem hohen Niveau angesiedelt ist, besonders was die Rhetorik angeht. Viele behaupten dagegen ja, die philosophische Ausbildung sei mittlerweile in Alexandria besser. Mir persönlich fehlt da leider jeder Vergleich. Dich aber scheint viel mit Achaia zu verbinden?"

  • Marcellus war etwas enttäuscht, dass er auf Neuigkeiten aus Achaia verzichten musste. Für einen kurzen Moment schwelgte er in einigen Erinnerungen – schöne, aber auch weniger schöne. Er spürte, dass ihm um die Schultern etwas kalt wurde und tauchte bis zum Hals ins warme Wasser. Dann widmete er sich wieder seinem Gesprächspartner und antwortete ihm auf die gestellte Frage.


    "Auch ich habe leide keinen Vergleich und meine Ausbildung in Athen liegt bestimmt wesentlich länger zurück, als dies bei dir der Fall sein wird. Daher habe ich nur noch wenig Einblick in die heutige Ausbildung an den Universitäten und Schulen. Was hat dich nun nach Rom gezogen, wenn ich fragen darf?"

  • Vorsichtig streckte ich meinen Hals nach vorne und drehte meinen Kopf behutsam nach rechts und nach links, um die entspannende Wirkung der Wärme auf meinen Nacken zu unterstützen. Dabei entging mir nicht eine gewisse Enttäuschung in den Gesichtszügen des Marcellus. Ich brachte sie damit in Verbindung, dass ich kaum in der Lage dazu gewesen war, sein Interesse an Neuigkeiten aus Athen zu befriedigen. Daher war ich durchaus dankbar für seine Neugierde in Bezug auf meine Person, denn hier musste ich naturgemäß die Antwort nicht aus Unkenntnis schuldig bleiben.


    "Du bist als Claudier aufgewachsen und hast nun als praefectus annonae eines der bedeutendsten Ämter inne, die Roma zu besetzen hat. Daher kann ich es mir natürlich ersparen, dir darzulegen, welche Folgen die jüngsten Modifikationen im cursus honorum für den Stand der Patrizier mit sich bringen. Wen es, wie mich, in die Politik zieht, für den bietet in meinem Stand eigentlich nur Roma eine Heimat."


    Gerne hätte ich an dieser Stelle danach gefragt, was denn nun eigentlich dazu geführt hatte, dass Marcellus gemeinsam mit seiner Tochter die Claudia verlassen hatte, doch dies verbot mir natürlich der Anstand. Stattdessen fügte ich noch hinzu:


    "Auch der weitaus überwiegende Teil unserer gens ist jetzt hier in Roma ansässig; von Aurelius Corvinus sprachen wir ja bereits. Es ist für mich eine Freude, im Rahmen einer großen Familie zu leben."

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