• Romana hatte im Laufe der Zeit sich daran gewöhnt, anders zu sein. Einmal anders, was ihr Größe anging. Und so merkwürdig jene anderen manchmal erscheinen mochte, so wenig störte sich Romana an der Kleinheit der anderen, auch wenn sie hie und da aufpassen musste auf den einen oder anderen Zwerg, der da weit unter ihr herumwuselte. Auch wenn sie dann und wann diese Leute bedauerte, dass sie nicht ständig die frische Luft und die gute Aussicht hatten, die ihr vergönnt waren.


    Die Claudia trat zurück, als Prisca eintrat, nickte freundlich, als die Aurelia ihre Kondolenz annahm, und wies auf eine Kline im Vestibulum.

  • Mit zu seinen Aufgaben als Decemvir litibus iucandis gehörte es, regelmäßig zum Atrium Vestae zu marschieren – oder marschieren zu lassen – und zu überprüfen, ob Testamente der jüngst als verstorben Gemeldeten vorhanden waren. Heute marschierte Sextus selber. Nicht, weil ihm die pflanzenmosaiklose Wand seines Officiumm angeödet hatte, schlicht war kein geeigneter Bote gerade zur Hand, da diese von seinen Kollegen bereits in diversen Angelegenheiten in der Gegend herumgescheucht worden waren. Und man konnte Sextus sicher vieles nachsagen: Gefühlskälte, Arroganz und einen Hang zur Selbstüberschätzung, doch sicher keinen Müßiggang. Anstatt also zu warten, bis sich ein geeigneter Kandidat zum Herumscheuchen fand, marschierte er lieber selbst das kurze Stück und nutzte die Gelegenheit, sich mit dem Ort vertraut zu machen, an dem seine Cousine in nicht allzu ferner Zeit hoffentlich leben würde. Nicht, dass er sich um sie mehr sorgte als um andere menschliche Wesen, die nicht Sextus Aurelius Lupus hießen. Aber wenn er die Verbindung zu den Vestalinnen jemals nutzen wollen würde, konnte es nur praktisch sein, einmal ihre näheren Lebensumstände betrachtet zu haben. Auch wenn das hieß, von der Basilica Ulpia zum Atrium Vestae zu Fuß zu gehen. So weit war es ja nun auch nicht.


    Und so stand er dann auch mit ein paar tabulae bewaffnet am Eingangsbereich und klopfte an die Tür. Hoffentlich war die Vestalin wenigstens ansehnlich und keine vierzig Jahre alte, ewige Jungfer. Nur weil etwas Arbeit war, hier das ja nicht, dass es so unangenehm wie irgend möglich sein musste.

  • Türdienst. Romana mochte Türdienst zunehmend. Manche könnten nun sagen, dass es eine sehr weltliche Arbeit war für die unantastbaren Jungfrauen des Atrium Vestae. Und doch hatte es seinen Reiz, da es der Türwärterin erlaubt war, wenn sie nicht Leuten die Türe aufmachte – es passierte selten genug, dass jemand anklopfte – zu tun, was sie wollte, solange sie sich nicht von der Tür wegentfernte. Und Romana liebte es, zu lesen.


    Ihr griechisch, obwohl zunächst stockend und unflüssig, hatte sich durch die ausführliche Lektüre klassischer Schriften im Attischen sehr verbessert. Und nicht nur, dass der Türdienst auf diese Weise dazu betrug, dass Romana sich bildete, sie genoss es, zu lesen. Das Problem war nur, die Bibliothek der Vestalinnen war groß, aber nicht unerschöpflich. Romana war schon in jenem Stadium, wo sie begann, das, was sie schon gelesen hatte, nochmals zu lesen. Xenophons Abenteuer in Asien hatte sie gar schon viermal mitverfolgt, und langsam war sie schon imstande, die Zeilen auswendig zu rezitieren.


    Für diesen Türdienst hatte sie nun zu Claudius gegriffen, jenem Kaiser, der wohl ein wenig zu weit verwandt war mit den jetzigen Claudiern, um ihn als Vorfahren aufzuführen, was die Claudier häufig aber nicht davon abhielt, es trotzdem zu tun. Es war seine Schrift über die Karthager, und obwohl Romana die Schriftrolle des großen Kaisers und Autors schon lange kannte, erstaunte sie immer wieder, was Claudius über die Karthager sagte. Solche Barbaren! Nun, sie hatte ja schon einen Punier kennen gelernt, der diese Auffassung bestätigt hatte... Jahre war es schon her, aber Romana hatte es nicht vergessen, wie sie behandelt worden war. Sie hasste respektlose Behandlung wie sonst nichts.


    Gerade, als sie zur Beschreibung der Opfer an diesen Götzen Baal kam - igitt, kann man da nur sagen -, klopfte es. Die Claudia blickte zur Türe hin, schaffte es, nicht zu Seufzen, als sie die Rolle beiseite legte und aufstand, um sich zu ihrer vollen Größe zu erheben. Würdevoll schritt sie zur Porta hin und öffnete.


    Draußen stand ein Mann. Recht groß war er, durchaus ein stattliches Mannsbild. Er war noch relativ jung, und Patrizier, was Romana sofort an den Sandalen erkannte. Er erschien durchaus sympathisch, auch wenn Romana, wenn man sie fragen würde, nicht sagen könnte, warum. Vielleicht wegen seiner markanten Gesichtsformen; Romana gefiel es, wenn ein Mann nicht daher kam wie ein effeminiertes orientalisches Milchbubi – auch wenn es ihr niemals einfallen würde, eine Liaison mit einem Mann einzugehen (und auch nicht mit einer Frau, nur um das festzuhalten). Sie schenkte dem Patrizier ihr schönstes Willkommenslächeln.


    “Salve. Kann ich dir helfen?“

  • Zumindest war sie nicht vierzig. Und häßlich eigentlich auch nicht, nur etwas sehr groß und etwas zu flach für seinen Geschmack, aber ansonsten durchaus ansprechend. Die restlichen Proportionen waren durchaus überall da, wie sie auch hingehörten und Freude zum Ansehen machten. Sextus also ließ dieses feine, wölfische Lächeln sehen, ehe ihm auffiel, dass er just diese weißgewandete Herausforderung schon kannte. Die war doch mit der Untersuchungen zu Nemi betraut? Zum Glück hatte er ein sehr gutes Gedächtnis für allerlei Informationen, so dass ihm auch ihr Name nach der ersten Sekunde des Überlegens wieder einfiel.
    “Salve, Claudia. Welch Zufall, dass gerade du mir hier öffnest, oder sollte ich in dem Falle schon Fortuna selbst dafür verantwortlich machen? Nachdem unser letztes Treffen mir leider keine Gelegenheit gegeben hat, mich dem Vergnügen der Konversation mit dir zu widmen, scheint mir die Göttin einen Gefallen schuldig geworden zu sein, den sie auf so entzückende Weise eingelöst hat.“
    Vielleicht ein bisschen sehr blumig, aber gegenüber Frauen musste das so sein. Die musste man endlos mit Komplimenten beharken und ihnen ihre unsterbliche Schönheit versichern, bis man ans Ziel gelangte. Wollte umgekehrt eine Frau nur ein schnelles Vergnügen mit einem Mann, konnte sie ihn auch direkt danach fragen und erhielt auch prompte Antwort. Wenngleich die meisten Frauen da auch unendlich viel subtiler vorzugehen pflegten.


    “Fast schäme ich mich, zu sagen, dass mich die Arbeit hierher führt, wo das Vergnügen deiner Gegenwart doch so viel höher einzuordnen ist. Da bin ich mir nicht sicher, ob es Segen oder Qual ist, hier nun das Notwendige mit dem Schönen zu verbinden. Doch bräuchte ich Auskunft über ein paar Verstorbene. Besser gesagt darüber, ob sie hier Testamente hinterlegt haben.“


    Sextus machte sich zwar nicht die größten Hoffnungen, dass die Claudia nun in wilder Liebe zu ihm entbrennen würde und sich mit einem gehauchten 'Nimm mich' gegen die nächstbeste Wand lehnen würde. Aber das war kein Grund, ihr nicht dieselbe schmeichelnde Höflichkeit entgegen zu bringen, wie den anderen Damen. Solange etwas für ihn dabei heraussprang, konnte Sextus sehr charmant sein. Ein gutes Verhältnis zu den Damen, die mit ihm das nächste Jahr immer wieder zusammenarbeiten würden müssen, war da nicht zu unterschätzen. Außer natürlich, diese Vestalin hier war eine eben solche, weil sie Männern ganz und gar abgeneigt und frigide wie ein Stock war. Dann wäre seine Vorgehensweise kontraproduktiv gewesen. Aber ab und an musste man die eigenen Berechnungen durch eine Schätzung erweitern, um zum gewünschten Ergebnis zu gelangen. Und wer wusste, vielleicht ließ sich die Claudia ja doch hinreißen. Es wäre in jedem Fall eine Eroberung, die durchaus ihren Reiz hätte.

  • Genau in dem Moment, da er "Salve Claudia" sagte, fiel bei der Addressatin der Groschen. Sie, die wirklich noch nicht vierzig war, kannte den Mann. Aurelius... sie war sich des Namens nicht ganz sicher, bevor sie sein Lächeln sah. Es hatte eine schwer in Worte zu fassende wölfische Qualität. Aurelius Lupus, ganz genau. Der junge, um hundert Ecken mit dem sich ins Elysium transferiert habenden Pontifex verwandte, Aurelier, der in der Villa Aurelia seine Fähigkeit, möglichst wenig in möglichst vielen Worten zu sagen, beeindruckend unter Beweis gestellt hatte. Ein geborener Politiker. Und, nun ja, Politiker war er schlussendlich nun auch, sie hatte es in der Acta gelesen.


    Romana wusste nicht, ob Lupus ihr damals in der Villa Aurelia die Wahrheit gesagt hatte oder nicht. Etwas in ihr sagte, dass durchaus die Wahrscheinlichkeit bestand, dass er sie angelogen hatte. Es musste nicht sein, aber trotzdem. Romana scheute nicht davor zurück, auf komplett unfundierten Vermutungen eine Verschwörungstheorie aufzubauen – daher hatte Vescularius Salinator von ihr bereits schon mehr als genug Fett abbekommen.


    Der Unterschied war hier allerdings – Lupus war Patrizier. Und wie hübsch er sprechen konnte! Romana entschloss sich, ihre Spekulierungen auf die Seite zu schieben. Wenn sein Lächeln, gemäß der Maxime Nomen est Omen, wölfisch war, dann wäre ihres wohl römisch – was auch immer das bedeuten möge. Vielleicht, ja, ein Lächeln, welches, kombiniert mit ihrem Blick, unbiegsamen Stolz ausdrückte, Adel auf jeden Fall, aber gleichzeitig mediterrane Herzlichkeit, wie auch Sittsamkeit und ein wenig Sprödigkeit, aber ganz vage, im Hintergrund, ein Hauch von Feuer und Emotion – einladend und warm; oder Hitze, an der sich ein Mann übelst verbrennen konnte? Das war die große Frage. Wenn so etwas ein römisches Lächeln war, dann lächelte Romana römisch.


    Der Aurelier wollte mit ihr konversieren? Das sollte ihr recht sein. Denn tatsächlich hoffte sie im Hinterkopf, ihm ein paar Informationen bezüglich Nemoralia herauspressen zu können. Aber die trotz ihrer fanatischen Frömmigkeit mit beiden Beinen am Boden stehende Romana machte sich keine Illusionen. Wiewohl die Ausdrucksweise des Aureliers sie ein bisschen verblüffte. Sprach so ein normaler Mensch? Romana sah sich dazu gezwungen, eine schnelle Antwort zu geben, hoffend, dass ihre Schlagfertigkeit sie nicht im Stich ließ.


    “Die Wege der Götter sind wahrhaft unergründlich, werter Aurelius, und weise ist, was sie veranlassen. Wenn dieses Treffen von Fortuna veranlasst wurde – denn auch ich empfinde es als großes Glück – dann sollten wir ihren Entschluss durch eine Konversation auch honorieren, könnte ich mir doch kaum einen netteren Konversationspartner wünschen als dich.“ Romana ertappte sich dabei, dass sie sich wirklich dachte, ob ihre Antwort beim anderen gut ankam. Stark götterlastig war sie. Nun ja, wenn Lupus den Cursus Honorum beschritt, führte kein Weg am Cultus Deorum herum. Er hatte ohnehin schon etwas gesagt über Haruspizin... er schien sich darin auszukennen.


    Der Aurelier beichtete ihr den Anlass, aus welchem er hier war, und erntete dafür ein wiederholtes Lächeln. “Aurelius, gräme dich nicht, denn schließlich bist du für Rom unterwegs. Das ist eine Ehre, keine Bürde. Das erinnert mich daran, dass ich dir zu deinem Wahlergebnis gratulieren will. Ich habe in der Acta Diurna darüber gehört. Du musst wahrlich stolz auf dich sein.“ Natürlich hatte Romana das Blatt der Acta Diurna verschlungen, schließlich war im selben Artikel auch alles über den Wahlerfolg ihres Vaters gestanden.


    “Hast du denn Listen dabei?“, fügte Romana hinzu, denn wenn Lupus keine Liste mitgebracht hatte, dann konnte sie nicht groß helfen – es war stets eine empfindliche Sache, Männer ins Atrium Vestae zu lassen, und sie in die Bibliothek zu lassen, sodass sie dort selber die Testamente, die sie zu brauchen meinten, herauskramen konnte, das war absolut ausgeschlossen, fast so streng ausgeschlossen wie geschlechtlicher Verkehr!

  • Es war erstaunlich, geradezu ein kosmisches Phänomen, wie Menschen einander zu spiegeln versuchten. Die Claudia vor ihm war das beste Beispiel dafür, denn entgegen ihrer doch sehr direkten Art beim Verhör in der Villa Aurelia befleißigte sie sich hier einer philosophischen, ja geradezu blumigen Sprechweise. Während in ersterem Gespräch die Antworten von Sextus ebenso gerade und unumwunden – zumindest sprachlich gesehen – waren, hatte er hier seine Worte schmeichelnder und mit galanter Übertreibung gewählt. Und siehe da, die Claudia zog nach und redete daher, wie die Dichter sich sonst nur in schriftlicher Form verlautbaren ließen.
    Ihre ersten Worte veranlassten Sextus zu einem huldvollen, kurzen Senken des Kopfes. Wenn sie keine netteren Konversationspartner als ihn hatte, dann war das Atrium Vestae tatsächlich langweiliger als jemals angenommen. Wobei die ganze Institution für Sextus ohnehin ein absurdum darstellte, fand er doch, dass es weitaus bessere Verwendung für Frauen gab, als auf ein Feuer aufzupassen. Aber gut, er war Römer, es war Tradition, und irgendwie musste man die Kosten für Mitgiften ja regeln. Auch wenn der Weg, eine Frau über Jahrzehnte von Heiratspolitik auszuschließen da etwas drastisch war.
    “Wie könnte ich mich grämen, wo ich doch mit deiner Gegenwart dafür belohnt werde?“ Ein kurzer, wohldosierter Blick in ihr Gesicht, ehe er fortfuhr. “Wobei die Ehre, dem Staat zu dienen, sicher auch nicht zu verachten ist. Doch scheint mir die Waage im direkten Vergleich der beiden Dinge doch eindeutig zu deinen Gunsten auszuschlagen, geschätzte Vestalin. So freuen mich deine Glückwünsche gleich umso mehr.“
    Er zückte die drei tabulae, die er dabei hatte, und auf denen mehrere Namen standen.




    Marcus Mutius Tacitus
    Quintus Mutius Commodus
    Lucius Mutius Taurus
    Marcus Icilius Vatia
    Iullus Orbius Corbulo
    Sisenna Stallius Tutor




    Titus Villius Mamercinus
    Fadia Amaesia
    Obsidia Calvena
    Galeo Septitius Arruntianus
    Marcus Pedarius Septitianus
    Marcus Vibius Gargonianus Lentulus




    Quintus Octavius Augustinus Minor *
    Marcus Octavius Augustinus Maior *
    Gaius Annaeus Acratus *
    Umbonia Mamiliana Bursa
    Tiberius Carpinatius Dasius
    Manius Aquillius Geta


    Teilweise schien es ganze Familien hingerafft zu haben. Über die Mutii stand sogar ein kurzer Kommentar in der Acta. Aber dennoch war die Anzahl der Todesfälle nicht besonders außergewöhnlich zu nennen.
    “Wenn du nachsehen könntest, ob jemand von dieser Liste ein Testament in eure schönen Hände gelegt hat? Oder besser, du fragst eine deiner Schwestern, dann bleibt mir das Vergnügen deiner Gegenwart noch etwas länger erhalten.“


    Sim-Off:

    Die mit * sind ID's, der Rest NPC's

  • Wohl fühlte sich Valerian nicht. Ganz und gar nicht. Ausgerechnet Claudia Romana sollte er aufsuchen. Was tat man nicht alles für seine geliebte Frau? Dabei wußte er, daß es nicht gut gehen konnte. Sie beide verstanden sich eben einfach nicht, sowas gab's. Trotzdem wollte er sich bemühen. Um Calvenas Willen.


    Warum mußte die Claudia auch ausgerechnet Vestalin sein? Schon dieser Ort sorgte für Unwohlsein. Wie gut, daß er eh nicht eingelassen werden würde. Seufzend trat er an die Tür heran. Und klopfte gut vernehmlich.

  • Schlug die Waage auch bei ihr dergestalt aus, dass sie sich eher freute, Lupus zu sehen, als ihren Dienst zu verrichten? Freude an ihrer Arbeit war bei der Claudia kein Lippenbekenntnis. Sie war wirklich mit großem Enthusiasmus bei ihrer Arbeit, was auch immer dies beinhalten mochte. Wobei, die netten jungen Decemviri kennen zu lernen, war doch eine der erfreulichsten Aspekte ihres Berufes, ihrer Berufung, denn als nichts anderes sah Romana das, was sie tat. Sie kam nicht umhin, auf seinen kurzen, aber intensiven Blick ein Lächeln zu entgegnen.


    “Deine Worte schmeicheln mir.“ Und dein Geschmack dir, wollte sie schon hinzusetzen, obwohl solche Koketterie ganz und gar nicht ihre Art war, und wohl aus diesem Grund ließ sie es bleiben. “Wenn wir beide auf solch wunderbare Art und Weise die Arbeit mit dem Vergnügen heute verbinden können, müssen die Götter wahrlich auf uns herablächeln“, spiegelte sie mit einem Lächeln. Ja, sie spiegelte natürlich. Sie fand es racht lustig, sich auf ihren Gesprächspartner und seinen Ausdrucksstil einzulassen. Natürlich sprach sie normal nicht so. Ebenso natürlich war es aber auch, dass Romana nicht nur eine und die selbe Masche auf Lager hatte. Sie war nicht nur durch die ausgezeichnete Ausbildung im Atrium Vestae, sondern auch schon durch die Bildung, die sie als Kind genießen durfte, eine gebildete Frau, die sich auch gewählt und ansprechend ausdrücken konnte. Auch wenn Romana, pragmatisch wie sie war, eine direkte und unzweideutige Ausdrucksweise zumeist vorzog. Aber sie spielte beim Spiel mit. Es hatte Witz, fand sie.


    Romana nahm die drei Tabulae entgegen und runzelte die Stirn kurz, als sie sie überflog. “Ah, die Mutii. Ein tragischer Fall.“ Romana las die Acta, und hatte gelesen darüber. Ja, das Leben konnte kurz und hart sein. Besonders, wenn man eine kränkliche Konstitution hatte. Und sich hier in Rom Feinde machte. Gleich zwei Octavier, ein Maior und Minor? Ganz vage erinnerte sie sich an einen Octavier, den sie einmal kennen gelernt hatte, ein Freund von Calvena. Macerinus oder so. Er hatte keinen bleibenden Eindruck bei ihr hinterlassen.


    Sie wollte schon loszischen, da machte der Aurelier einen durchaus vernünftigen Vorschlag. Romana blickte kurz auf ihn, dann nickte sie. “Das ist eine gute Idee. Ich bin gleich wieder hier.“ Entgegen ihren Gewohnheiten schloss sie die Türe nicht, sondern ließ sie offen, das Vestibulum würde sie ohnehin nicht verlassen. Sie musste nur kurz aus dem Vestibulum heraustreten, bevor sie eine Mitvestalin fand, die schläfrige und anhängliche Lartia Restituta. Romana übergab Restituta die Dokumente und tuschelte ihr kurz eine Erklärung zu, der Aurelier würde sie nie hören, den Göttern sei Dank, denn sie machte der Lartier klar, sie wollte Informationen bezüglich der Causa Corvinus aus Lupus herauspressen.


    Restituta nickte und ging richtung Bibliothek ab, während Romana wieder auf die Porta zuschritt und dem Aurelier ein strahlendes Lächeln angedeihen ließ. “Fortuna war uns abermals hold, werter Aurelius. Nun, da eine Mitschwester sich bder Testamente annimmt... ich stehe dir zur Verfügung. Wie gefällt dir dein Vigintivirat denn?“ Romana war ehrlich daran interessiert. Wäre sie als Mann geboren, hätte sie diesen Pfad, den Cursus Honorum, ohne Zweifel beschritten... und sie war sich sicher, sie wäre ziemlich gut darin gewesen.


  • Minucia Milicha


    Wohl fühlte auch Milicha sich nicht. Ihr Zipperlein machte der alten Frau schwer zu schaffen. Was sie auch tat, half nicht. Die Schmerzen waren unerträglich. So lag die Alte meistens nur noch auf ihren Liegen herum und meckerte. Die meisten Vestalinnen mieden sie. Nur die junge Claudia kam hie und da. Denn die Lange hatte schon lange erkannt, dass sich in der Kapsel einer harten, bitteren alten Frau ein guter Mensch verbarg, Und zudem ein Füllhorn des Wissens, Wissen, welches von Generation zu Generation immer mehr verloren ging.


    Die Alte ächzte, als es klopfte, und stand äußerst umständlich auf. Sie bahnte sich einen Weg zur Türe und machte auf. Draußen stand ein Mann, der Gürtel war soldatisch gebunden. Sie kniff die Augen zusammen, um ihn besser sehen zu können.


    “Ja? Was liegt an?“


    Ihre knarrige, schartige Stimme klang fast wie eine quietschende Tür.

  • Es war auch nicht zu erwarten gewesen, daß die Claudia zufällig selbst die Tür öffnete. Was eigentlich auch kein Nachteil war, so bekam er noch eine Gnadenfrist, so kurz sie auch sein mochte. Die Alte allerdings sah auch so aus, als wäre irgendjemand hier willkommen. "Salve. Mein Name ist Lucius Quintilius Valerian. Ich habe eine persönliche Nachricht für die ehrenwerte Claudia Romana von meiner Ehefrau, Germanica Calvena. Ist Claudia Romana zu sprechen?"

  • Die Alte schaute den Soldaten misstrauisch an. Eine persönliche Nachricht für Claudia? In Milicha schwirrten kurz die abenteuerlichsten Gedanken herum, aber schlussendlich beschloss sie, dass Romana sicher keine Affäre angefangen hatte mit diesem Typen. Sie ließ sich ein wenig Zeit, bevor sie nickte.


    “Mache ich.“


    Und dann fiel mit einem Rums die Türe zu. Nun war Valerian dazu verurteilt, zu warten. Draußen vor der Türe. Es dauerte ein wenig. Dann tat sich die Türe wieder auf, und vorm Quintilier im Türrahmen offenbarte die hohe, adelige Gestalt der Claudierin.


    In Romana drinnen schwirrten die Gefühle herum. Und die Überlegungen, warum Valerian hier war. Das Wunschdenken war natürlich, dass der Kaiser ihren Brief erhört hatte und Valerian wieder hier war, und dass Calvena auch bald wieder hier sein würde. So starrte die Claudia erst einmal auf den Quintilier, wohl ein wenig unhöflich, während sie in ihrem Hirn einen Satz zusammenbastelte.


    “Quintilius? Was machst du denn hier?“ Sie vergaß sogar den Gruß, denn noch immer war ihre Überraschung groß. “Hat man dich nach Rom zurückstationiert?“ Oh, wenn es das nur wäre.

  • Valerian hatte damit gerechnet, draußen warten zu müssen, also störte ihn das Zurumsen der Tür nicht sehr. Obwohl er sich fragte, ob es nicht doch irgendeinen Empfangsraum gab, den auch Männer betreten durften. Wie auch immer, er wollte hier eh keine Wurzeln schlagen. Je eher er es hinter sich hatte, umso besser. Während er wartete, nestelte er schon mal die Schriftrolle aus seiner Tasche und vergewisserte sich kurz, daß es auch wirklich die richtige war.


    Irgendwann öffnete sich die Tür wieder. Die Claudia. Schade, irgendwie hatte er ja gehofft, sie wäre nicht da oder irgendwie unabkömmlich und er käme um die unangenehme Sache irgendwie herum. Aber nun, ein Soldat kannte keine Furcht! "Salve, Claudia Romana." Es war ihm nicht entgangen, daß sie ihn nicht einmal gegrüßt hatte. Wie sehr mußte sie ihn hassen! "Nein, leider wurde ich nicht zurück nach Rom versetzt. Ich bin nur hier, um mein Examen Tertium an der Academia abzuschließen. Aber ich soll Dir von meiner Frau die allerliebsten und allerherzlichsten Grüße ausrichten. Sie vermißt Dich wirklich sehr. Einen Brief für Dich hat sie mir auch mitgegeben." Er überreichte ihr das Schriftstück.



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    Claudia Romana


    Liebe Romana,


    es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich es geschafft habe dir endlich einmal zu antworten. Vergessen hab ich dich natürlich nicht, nur hat mich dein Brief zum nachdenken gebracht.


    Erst einmal muss ich dir schreiben, dass ich erleichtert bin. Bitte sei zu dir selbst nicht so streng! Du bist nur ein Mensch! Nur die Götter sind unfehlbar. Ich bin froh, dass du dich mir anvertraut hast, auch wenn mir das schlaflose Nächte beschert hat. Du brauchtest jemanden mit dem du deine Sorgen teilen konntest. Gräm dich nicht, dir ist zwar ein Fehler unterlaufen, aber du hast nie aus böser Absicht gehandelt, sondern weil du einer Freundin helfen wolltest. Außerdem tust du alles was in deiner Macht steht um die Götter zusammen mit Serrana zu besänftigen. Du bist eine wundervolle Freundin, für sie und für mich. Ich bin dir nicht Böse, sondern erleichtert. Serrana hat mir geschrieben, sie ist froh, eine solche Freundin wie dich zu haben.


    Romana, du müsstest mich doch Besser kennen, wie jeder Andere. Ich kann deine Enttäuschung durchaus verstehen, aber wir Beide hatten nie wirklich eine Gelegenheit darüber zu reden. Ich würde dich niemals anlügen und es tut mir furchtbar Leid, dass du diesen Eindruck gewonnen hast.
    Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Valerian dich in dieser Hinsicht angelogen haben soll. Leider war ich bei diesem Gespräch nicht dabei, aber ich bin mir sicher, dass er offen und ehrlich zu dir gewesen ist.
    Ich wünschte ich wäre in Rom, von Angesicht zu Angesicht, wäre es einfacher mit einander zu reden. Da mir aber eine solch weite Reise im Augenblick verwährt bleibt, gebe ich Valerian diesen Brief mit. Ich hoffe ihr könnt die Missverständnisse klären. Um die Prüfung im Examen Tertium abzulegen, wird er für einige Zeit in Roma sein. Ich wäre nur zu gern mit gekommen, aber in meinem Zustand wäre eine solch weite Reise nicht klug.


    Liebe Grüße, Calvena



    "Außerdem möchte sie... Nunja, daß wir beide uns mal aussprechen." Er seufzte. Was tat man nicht alles für seine geliebte Frau!

  • “Äh, ja, salve“, fügte Romana hastig hinzu. Auch Verachtung – Hass war nicht das richtige Wort – sollte keine Patrizierin jemals daran hindern, höflich zu sein. Denn Adel, das war nicht nur ein Wort, welches mit der Geburt zu tun hatte. Ihre Mundwinkel zuckten enttäuscht herab, als Quintilius sagte, er sei nicht zurückstationiert worden. Nein, nur wegen eines Examens war er hier. “Oh.“ Als er plötzlich von einem Brief zu reden anfing, wurden ihre Augen begierig. Sie nahm ihn schnell an, mit einem hastigen “Danke“, während sie den Brief entrollte und ihn überflog – Romana hatte gelernt, schnell zu lesen, bestand doch ihr Leben aus viel Literatur.


    Ihr Blick traf wieder den des Quintiliers. Was sie vom Brief selber dachte, verriet sie Valerian nicht, weder durch ein Wort, noch einen Blick, noch durch Gestik. Nur etwas kommentierte sie. “Ihr Zustand, sagt sie? Was? Ist sie krank?“ Romana zählte schnell eins und eins zusammen in ihrem Kopf. “Oder soll das heißen, dass sie schwanger ist?“ Verwirrt blickte sie Valerian an. Niemand hatte ihr das bisher gesagt!


    Als Valerian dann damit anfing, dass er sich mit ihr aussprechen wollte, musste Romana an Calvena denken. Dass er ihren Mann zu ihr schickte, damit sie sich ein freundliches Verhältnis verschaffen konnten, das sah Calvena so unglaublich ähnlich. Ein fast schon verkrampftes Streben nach Harmonie. Ein gewaltiger Widerwille, in Konflikte verstrickt zu sein. Sie seufzte. “Aussprechen?“ Mit diesen ständigen Wiederholungen gewann sie sicher einmal einen Blumentopf. Tief holte sie Atem. “Wegen deines... Sohnes?“ Sie dehnte das Wort und verzog dabei ihre Lippen ein wenig. “Und deiner dir verlustig gegangenen Vaterfreuden? Die du mir gegenüber ableugnet hast auf der Hochzeit? Du weisst schon, nachdem ich dich explizit danach gefragt habe?“ Calvena stritt in ihrem Brief ab, dass Valerian ihr gegenüber gelogen hatte... aber Romana war sich sehr sicher ob dessen, was sie gehört hatte. Als einzige auf diesem Fest übrigens.

  • Ganz leicht schüttelte Sextus den Kopf. “Oh, nein, ich schmeichle dir wahrlich nicht. Nicht einmal annähernd. Wollte ich schmeicheln, müsste ich betonen, wie funkelnd deine Augen, wie graziengleich deine Gestalt und wie makellos dein Antlitz sind. Und selbst das wäre noch keine Schmeichelei, entspricht doch jedes Wort der Wahrheit. So aber bin ich nur ein armer Tropf, der seine Zunge einfach nicht im Zaum halten kann und dazu verdammt ist, das Offensichtliche in Worte zu kleiden.“ Gut, DAS war nun geschmeichelt. Aber bestimmt konnte eine Vestalin auch einmal vertragen, wenn man ihr Komplimente machte. Die meisten Männer sahen sie nur entweder als sportliche Herausforderung (gut, zu diesen zählte Sextus auch), und die anderen als unantastbare Heiligtümer wegen ihres Gelübdes. Ob irgendeiner die Damen auch als Frau wahrnahm, war fraglich. Daher schätzte Sextus seine Chancen gar nicht so schlecht ein, damit ihr Wohlwollen zu ernten.


    Es folgte ein wenig Geplänkel. Die Mutii, ja, tragisch, tragisch. Die hatten sich wohl ein wenig verspekuliert und hatten sich die falschen Feinde ausgesucht, denn von einer Seuche in deren Wohnhaus war Sextus nichts bekannt. Und gleich 3 Söhne in einer Woche zu verlieren war durchaus auffällig genug, um bemerkt zu werden. Allerdings nicht genug, um sich darüber mit einer Frau – denn auch Vestalinnen waren solche – ausgiebig zu unterhalten. “Ja, wirklich tragisch, wurde der alte Mutius scheinbar innerhalb eines Monats all seiner Kinder beraubt. Man mag beinahe an die Tantaliden denken.“ Auch wenn Sextus weitaus weltlichere Gründe vermutete und nicht eine wütende Diana und ein ebenso wütender Apoll. Wobei diese Anspielung ein netter Test war, herauszufinden, wie die Vestalin dazu stünde.


    Doch zunächst einmal folgte diese seinem Rat und erkundigte sich danach nach seinem Vigintivirat. Wie es ihm gefiel? Interessante frage, mit so mannigfaltigen Antwortmöglichkeiten. 'Es ist ein langweiliger Posten ohne wirkliche Macht, allerdings der erste Schritt zu eben jener und damit nicht zu verachten. Außerdem knüpft man so erste Kontakte und kann von sich reden machen' wäre eine ehrliche Variante. 'Es ist eine große Ehre, dem Imperium und dem Senat zu dienen, und als solches schon Belohnung genug' wäre die pathetische Variante. 'Gut', die schlicht positive, 'schlecht' die schlicht negative Variation. Alles in allem war aber keine die, die Sextus der Vestalin als wünschenswert attribuierte. “Es gibt mir die Möglichkeit zu dieser Konversation jetzt und hier.“ Die geheimnisvoll schmeichelnde Variante hatte durchaus etwas für sich. “Und es gibt mir die Möglichkeit, dich dasselbe über dienen Dienst an Vesta zu fragen. Wie kommt es, dass dein Vater dich hierher geschickt hat? Halb Rom muss ihm mit Klagen in den Ohren gehangen haben, eine so schöne Frau wie dich aus so noblem Hause für so lange Zeit unheiratbar zu machen.“ Dass er mit 'halb Rom' nicht die Hälfte der Bürger, sondern die Hälfte der Männer, die überhaupt in diesen Kreisen verkehrten und damit überhaupt nur erwähnenswert war, meinte, war zumindest für Sextus klar. Aber warum solch spitzfindige Kleinigkeiten im lockeren Gespräch klarstellen? 'Halb Rom' klang weitaus beeindruckender.

  • Ah, sie grüßte ihn doch noch. Anscheinend war ihre Erziehung doch ausnehmend gut gewesen. Valerian wartete erst einmal ab. Sie warf mit Fragen um sich, schien aber die Antworten nicht wirklich hören zu wollen. Sie las den Brief, nein, eher überflog sie ihn. Valerian wartete erst einmal ab, bis sie ihm wirklich zuhörte. Hoffte, daß er bis dahin nicht die Hälfte vergessen würde.


    "Ja, sie ist schwanger. Es geht ihr aber gut, sie hat keine Beschwerden. Allerdings wirst Du Dir vielleicht denken können, wie schwer es mir fiel, sie allein zu lassen und herzukommen." Valerian hoffte nur, daß er es rechtzeitig zurück schaffte. Und daß es Calvena bis dahin gut erging. Sicher machte sie sich jede Menge Sorgen um ihn.


    "Werte Claudia Romana. Ich gebe zu, daß ich es Dir nicht sagen wollte, aber direkt belogen habe ich Dich nicht. Das hätte ich nicht gekonnt. Du bist eine Vestalin. Dich zu belügen käme einer Beleidigung der Göttin gleich. Das würde ich niemals tun. Wenn Du Dich recht erinnerst: In dem Moment, in dem ich nicht mehr drumherum gekommen wäre, es Dir zu sagen, wurden wir unterbrochen. Ich weiß das noch so genau, weil ich wirklich erleichtert war in dem Moment. Eigentlich dumm, denn eine Lüge, auch eine unausgesprochene, wird immer irgendwann herauskommen. Hör zu, ich weiß, Du hast ein Problem mit Marhabal. Ich aber nicht, im Gegenteil, ich halte ihn für einen prachtvollen Menschen. Man kann doch unterschiedlicher Meinung über einen Menschen sein - und trotzdem selbst miteinander auskommen? Was immer er Dir angetan hat, ich habe es Dir nicht angetan."

  • Heut war der Tag, an dem es sie zum Atrium Vestae verschlug. Heut war der Tag, über den sie seit Wochen nachgedacht hatte. Kaum dass sich der Entschluss in ihr manifestiert hatte und der Wunsch durchgehend in ihrem Herzen tobte, hatten sich ihre Gedanken um nichts anderes mehr gedreht, als einen Besuch im Atrium Vestae, um ihre Zukunft zu regeln. Sie wusste, dass symbolisch der Kaiser ihr Vater werden würde und sie wusste auch, dass dieser sich aktuell nicht in Rom befand. Was sie aber nicht wusste, war, ob überhaupt in der nächsten Zeit eine Chance gegeben war, dass sie genommen werden könnte. Aber sie war davon überzeugt, denn dieser Wunsch stand auf einmal in ihrem Herzen geschrieben, es hatte keine langen Überlegungen gebraucht. Der Gedanke war plötzlich da, greifbar. Einfach so. Als hätten die Götter selbst ihr diesen Willen eingehaucht. Als würden diese ihre Schritte nun leiten, bis sie ihren Weg beschritt.
    Aber wen musste sie ansprechen, um auch das weltliche zu regeln? Wie würde es weitergehen? Um diese Fragen zu klären, hatte sie sich zum Atrium Vestae begeben. Sie würde einfach eine Vestalin fragen, das erschien ihr zumindest als die einfachste Lösung. Sie ging suchenden Schrittes auf das Atrium zu. Sie hatte schon relativ lang gebraucht, um überhaupt hierher zu finden. Sie war allein gekommen, hübsch zurecht gemacht, frisiert und ohne Schminke – Aviana wie immer. In ihrem Gesicht stand allerdings ein Fragezeichen, denn auch wenn sie den Mund nicht halten konnte, wenn sie in ihr vertrauter Umgebung war, war sie umso verschwiegener, wenn sie sich eben nicht auskannte. Normalerweise brauchte man nicht zu hoffen, dass man angesprochen würde, denn es war ihre Aufgabe jemanden anzusprechen. Aber sie hoffte, dass die Frage in ihrem Gesicht einen netten Menschen anlockte.
    Aber irgendetwas in ihr sagte ihr, dass Warten nichts nutzte. Jedenfalls als sie schon ein wenig länger wartete und nichts passierte, da erklang diese innere Stimme und sie fasste sich ein Herz um zu Klopfen.




    Edith sagt, sie wurde genutzt, um eine kleine, gewünschte Ergänzung zu vollziehen.

  • Vestalin? Ja, Vestalin. Da. Auf der anderen Seite der Türe. Da saß eine. Gebeugt über die Schrift ihres Ahnen, oder besser gesagt, entfernten Verwandten Claudius, über Karthagao. Sie hatte diese Schrift schon gelesen, aber nun machte sie sich ein zweites Mal daran. Ein abscheuliches Volk waren die Punier doch! Nur gut, dass Cornelius Scipio Africanus sie für ihre schändliche Hybris bestrafte. Niemand widerstand Rom. Schon gar nicht ein minderwertiges Volk von kameltreibern irgendwo in der Wüste.


    Nein, bekannt für ihre Toleranz und Offenheit gegenüber fremden Kulturen war Romana auf keinen Fall. Sie verwendete ihre Liebesmüh lieber auf ihre eigene Religion, die Religio Romana, die, wie Romana manchma witzelte, nach ihr benannt sein musste – wobei natürlich nichts nach Romana benannt war und Romana selber nach ihrer geliebten Geburtsstadt, obwohl sie Clusium, wo sie ihre Kindheit verbrachte, bevor sie Vestalin wurde, durchaus als eine Heimat sah.


    Ein Klopfen erschallte. Romana legte den Karthagotext schnell weg – obwohl sie den Teil über Elefanten durchaus interessant fand. Die Tiere opferten zumindest nicht nach punischem Ritus, das konnte man ihnen durchaus zugute halten. Romana war mit ihrer religiösen Engstirnigkeit durchaus ein seltenes Tier in der toleranten und offenen römischen Religion, die gerne einmal Einflüsse von außen subsumierte. Aber die erzkonservative, religiös von hinten bis vorne ultraorthodoxe und wohl ein wenig superstitiöse Romana spielte da nicht mit. Was für die Ahnen nicht gut genug gewesen war, sollte auch den Römern von heute nicht anstehen.


    Romana erhob sich zu ihrer ganzen patrizisch-majestätischen Größe – ihre Riesigkeit, die viele Frauen entsetzlich an sich finden würden, mochte Romana an sich; sie würde als kleine Frau zwischen einer Menge an Leuten die absolute Klaustrophobie bekommen – und schritt zur Türe hin, sie mit einer einzigen energischen Bewegung aufmachend.


    Da draußen stand eine junge Frau. Brünett, wie Romana auch. Putzige Stubsnase. Normal groß. Vielleicht etwas jünger als 20. Romana hatte sie noch nie gesehen. Was wollte die denn hier? “Salve“, begrüßte die Vestalin die geklopft Habende mit einem freundlichen Lächeln. “Kann ich dir helfen?“

  • “...“


    Romana war keine Frau, die für Komplimente unempfänglich war. Vor allem, da sie für eine Vestalin Seltenheitswert hatten. Schließlich wussten die Männer, mussten einfach wissen, dass Vestalinnen absolut unerreichbar waren. Romana war für einen oberflächlichen Flirt schon zu haben, aber Aufdringlichkeit hasste sie. Das hier war aber keine Aufdringlichkeit. Das war Poesie in ihren Ohren. Eigentlich hatte Romana das noch niemand gesagt. Duccius Vala hatte ihr schönes Gesicht kommentiert, und ja, die Claudia ahnte wohl, dass zumindest ihr Gesicht halbwegs ansehbar war. Aber so etwas entgegengehaucht zu bekommen... denn ja, Romana empfand sich durchaus als Frau. Jede 4 Wochen wurde sie schmerzhaft daran erinnert, dass sie eine Frau war. Und eine Frau, die sauer war, wenn man ihre Schönheit (glaubhaft) preiste, musste man durchaus ernsthaft suchen. Und tja, ihr verschlug es nun zwei oder drei Sekunden lang die Sprache.


    “Oh...“, brachte sie hervor. Schnell, was Schlagfertiges musste her. “Das hast du schön gesagt, Aurelius Lupus“, machte sie, sich an einem kecken Grinsen versuchend. Nun, Romana war keine Frau, die auf Knopfdruck immer die passenden Lächler aus dem Ärmel schütteln konnte, und schon gar keine, die so manche Frau für Männer im Repertoire zu haben schien. “Ich danke dir für deine netten Worte! Wie poetisch! Hast du dich jemals schon in der Dichtkunst versucht?“ Romana hatte mal ein Gedicht schreiben wollen, war aber nicht über „Die Katze sitzt auf der Matratze“ herausgekommen. Sie war keine Künstlernatur, und wohl auch nicht über alle Maßen kreativ – sonst wäre sie mit dieser Situation auch sicherlich geschickter umgegangen.


    Sie nickte gedankenverloren, als die Sprache auf die Mutii kam. “Oder an die Gracchi“, entgegnete sie knapp. Die Gracchen, die umgebracht worden waren, weil sie diversen Leuten auf den Fuß gestiegen waren. Auch wenn ein bisschen mehr Zeit zwischen dem Tod der Gracchen lag als die durchaus verdächtige Schnelligkeit, mit der die Mutier gestorben waren. Vielleicht würde Romana ja einmal, wenn sie die Muße hatte, etwas machen, was sie wirklich gerne machte – auf unfundierten Mutmaßungen eine Verschwörungstheorie basteln.


    Nachdem sie zurückgekommen war, wurde der Gesprächsfaden wieder aufgenommen. Er schien ganz kurz zu überlegen, bevor er ihre Frage nicht beantwortete und mit einer Gegenfrage beantwortete. Romana unterdrückte ein Stirnrunzeln. Sie mochte es nicht, wenn man ihre Fragen umging. Es implizierte irgendwie, dass man sie nicht recht ernst nahm. Und wenn Romana eines von Herzen hasste, außer die Christen natürlich, dann war es, nicht ernst genommen zu werden. Vescularius Salinator hatte sich in ihr eine unversöhnliche Feindin geschaffen, als er sie behandelt hatte wie ein kleines Kind statt wie eine Vestalin.


    Sie lächelte über sein erneuertes Kompliment. “Nun, ich denke, als ich hierher kam, war ich noch zu jung, um das klassische Lustobjekt der werten Männlichkeit zu sein.“ Wozu sie jetzt offenbar mutiert war, obwohl Romana keine Ahnung hatte, wie das passieren hatte können. Was den Männern normalerweise an ihr auffiel, war nicht ihre von Lupus so exultant bejubelte Schönheit, sondern ihre Größe. Sie musste kurz an den griechischen Tänzer denken, dem sie anscheinend gefallen hatte – nun ja, ansonsten sah es an schmachtenden Verehrern bei Romana extrem dürftig aus.


    “Wie dem auch sei. Ich selber habe mich entschlossen, hierher zu kommen, ins Atrium Vestae.“ Mit der Geschichte mit der Erscheiung der Vesta hielt sie sich bedeckt, es wusste kaum jemand davon – schließlich war sie fest davon überzeugt, wenn sie herumerzählt, dass sie als 14-Jährige eine Erscheiung der Vesta gehabt hatte, dann würde man sie zur Irren erklären. Und damit hatte sie vielleicht gar nicht einmal so unrecht. Es hing ihr eh schon der Ruf einer Superstitiosa nach, wie man hie und da hörte.

  • Aviana ahnte nicht, dass sie eine Vestalin beim Lesen störte. Ziemlich nervös wartete sie auf das Öffnen der Tür, das auch gar nicht so lange auf sich warten ließ. Sie fürchtete sich davor, etwas zu versauen, etwas falsch zu machen, denn es war nicht nur ein sehnlicher Wunsch, unter den Vestalinnen zu leben, es war einfach auch ein Gefühl. Und da öffnete sich die Tür und Romana stand da. Und sie war groß. Sehr groß. Aviana hob ihren Blick entsprechend an und empfand, dass Romana ziemlich viel Würde ausstrahlte. Woran das genau lag, konnte sie gar nicht recht in diesem Moment bestimmen. Dass sie Patrizierin war, das ahnte Aviana gar nicht. Vermutlich lag es einfach daran, dass sie Vestalin war und Aviana so großen Respekt hegte. Sehr wahrscheinlich konnte auch die Größe ein Faktor sein.
    Aviana schenkte Romana ebenfalls ein Lächeln, allerdings ein wenig eingeschüchtert. Oh, wie falsch musste der Eindruck der großen Quasselstrippe doch sein. Sie musste so brav wirken. Nungut, brav war sie ja schließlich auch.


    >Salve Sacerdos!< sagte Aviana mit ihren hübschen Lippen und mit strahlendem Blick, ließ diesenn rasch über Romana fliegen, ehe sie wieder zu ihr aufsah. Dieser Blick galt allerdings weniger Romanas Größe als ihrer Kleidung, die sich Aviana auch so sehnlich wünschte. >Ich möchte gerne Vestalin werden.< brachte Aviana es ziemlich direkt auf den Punkt und nickte zur Bestätigung ihrer Worte. Das wie und warum, fand sie, müsste sie nicht erklären. Wenn Romana dies interessierte, würde sie sofort Rede und Antwort stehen, aber erst einmal sollte die Vestalin diese ziemlich prompte Information verarbeiten. Hoffentlich, dachte Aviana, würde sie sie nicht für verrückt oder unhöflich halten.

  • Romana hob ihre beiden Augenbrauen. “Schwanger, und ich bin die Letzte, die das erfährt?“, war das erste, woran sie denken konnte, um es zu sagen. Ein wenig undiplomatisch. Aber sie fand es ziemlich komisch, dass Calvena diese Nachricht ihr zunächst verschwieg, um ihr dann zu sagen, wie ihr Zustand war. Sie hatte es wohl vergessen, Romana das zu sagen. Wobei das jetzt nicht wirklich etwas sein sollte, was man einer besten Freundin verabsäumen sollte mitzuteilen. Oder hatte Romana das Konzept einer reundin in den falschen Hals gekriegt?


    “Aber, nun, das freut mich wirklich für sie!“, machte sie, und zwar ehrlich. “Ich werde der Iuno Opfer bringen und für eine erfolgreiche Niederkunft beten.“ Iuno war zwar nicht „ihre“ Göttin, aber nichts und niemand konnte Romana, eine Vestalin und freie Bürgerin Roms, davon abhalten, jeder Gottheit zu opfern, der sie opfern wollte.


    “Und ja, ich kann es mir vorstellen“, zeigte die große Vestalin doch noch ein bisschen Empathie. “Sag... ist es dir eigentlich in Rom möglich, irgendetwas zu tun für deine Rückstationierung nach Rom?“ Wenn Romana Valerian in irgendeiner Weise Erfolg wünschte, dann nur wegen Calvena. Nur wegen ihr.


    Er begann von der Hochzeit zu sprechen, und Romana zermarterteaus einem Gefühl des Gerechtigkeitssinnes ihr Gehirn nach jener Begebenheit, und aufrichtigerweise musste sie gestehen, dass es so gewesen war, wie Valerian es geschildert hatte. “Nun, du hast recht. Glaube mir, ich hätte nachgehackt. Aber meine Frage habe ich als beantwortet gesehen. Du hast zwar nicht explizit gesagt, dass du ihn nicht adoptiert hast. Aber, Quintilius, du hast es impliziert. Das musst du selber dir eingestehen.“


    Sie verbiss es sich, ihre Lippen zu verziehen, als er von Marhabal dem Prächtigen sprach. Streng, wie eine Lehrmeisterin, schaute sie auf Valerian. “Dein prachtvoller Mensch hat meine Gens als Bettler diffamiert und sich komplett unmöglich aufgeführt, als ich ihn einmal als Gärtner anheuern wollte. Ich habe nichts dagegen im Prinzip, dass er dein Fast-Adoptivsohn ist. Du als Mann alleine kannst den übelsten Pöbel adoptieren. Ich habe aber etwas dagegen, dass er der Adoptivsohn des Mannes war, der mit Calvena verheiratet ist. Der Gedanke, dass Calvena darunter leiden muss, dass sie die Stiefmutter eines solchen Kerls sein muss... er dreht mir den Magen um.“ Das klang stark patronisierend gegenüber ihrer Freundin, aber Romana gefiel sich in der Rolle der Ersatzmami, obwohl der Altersunterschied quasi nonexistent war. “Und ich habe etwas dagegen, dass mir verschwiegen wurde, dass du ihn adoptiert hast. Wobei, das wäre vermutlich auch eher Calvenas Aufgabe gewesen. Trotzdem. Und, nebenbei, du weisst sicher, dass ein Patron für seine Klienten verantwortlich ist.“ Sie blickte ihn wartend an. Wartend auf etwas ganz Bestimmtes, was sogar die stolze Patrizierin schon aus sich gegenüber Valerian herausgewürgt hatte, was sie aber noch von ihm vermisste. Eine Entschuldigung.

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