Endlich waren alle Eingeschlossenen befreit, oder es schien zumindest so. Anchisothep, der faber navalis und einige der Geretteten, die mitgeholfen hatten, waren erschöpft. In Anchisotheps Bein begann es wieder schmerzend zu pochen. Erst jetzt (erst jetzt?) fiel ihm auf, dass er es nicht bewegen konnte, sondern nur hinter sich herziehen. Dieser Schmerz wurde stärker, zudem schwoll jener in seinem Kopf weiter an und wurde unerträglich. Wieder wurde Anchisothep schwarz vor Augen. Er verlor den Halt und rutschte am geneigten Deck hinunter in Richtung Wasser.
Auf dem Schiff war inzwischen niemand mehr außer dem faber navalis, Anchisothep (wobei dieser im Begriff war, es unfreiwillig (einen Willen hatte er mangels Bewusstsein gerade nicht) zu verlassen) sowie ein Nauta. Alle anderen Männer waren bereits in Richtung Quai geschwommen, bei manchen sah dies, trotz Schwimmausbildung, eher aus wie das Paddeln von Hunden.
Inzwischen hatte der faber navalis das Abrutsche des Gubernators bemerkt. Er hielt ihn an einem Bein, nachteilhafter an jenem, das verletzt war, fest. In der Reling hatte sich Anchisotheps Kopf verklemmt. Nun half auch der Nauta, ihn wieder hinauszuziehen. Währenddessen neigte sich das Schiff weiter.
Stapellauf mit Überraschung
- Lucius Annaeus Florus
- Geschlossen
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Narrator:
Als der Mast des Schiffes dann das Wasser erreichte und das Schiff komplett auf der Seite lag und seine Kontaktfläche zum Wasser so massiv grösser war als vorher, hörte die hässliche Drehbewegung auf und das groteske Bild eine auf der Seite liegenden Schiffes fror sich in die Köpfe der am Quai stehenden Offiziere.
Die Bergungsarbeiten begannen sofort. Taue wurden am Schiff befestigt und man versuchte, es an den Quai zu ziehen und dort soweit zu befestigen, dass es nicht absaufen würde.
Niemand konnte wissen, dass auf Grund eines minimal kleinen Fehlers ein Ungleichgewicht entstanden war, welches das Schiff zum kentern brachte, aber sonst kein Mangel vorhanden war, so dass das Schiff nicht sinken würde.
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Der Nauta hatte Anchisothep befreien können, doch der Gubernator spürte wieder einen Schwindel. Vor Anchisotheps Augen war es wieder schwarz geworden. Der Nauta konnte den schwergewichtigen Ägypter nicht mehr halten. Anchisothep fiel ins Wasser. Dort verteilte sich das Blut, das aus einer Wunde an seinem eigenartig verdrehten Bein floss, um ihn. Mit dem Bauch auf dem Wasser trieb Anchisothep im Hafenbecken. Im Sog des Schiffes wurde auch Anchisothep in Richtung des Quai gerissen. Eine Welle schlug ihn gegen die Befestigung des Ufers. Dabei riss die Haut auf seinem Schädel auf. Frisches Blut floss ins schmutzige Wasser. Anchisothep prallte jedoch sogleich an der Quaimauer ab und trieb in Richtung des Ausgangs des Hafenbeckens, aufs Meer zu.
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Labeo hatte an dem Schauspiel des Stapellaufes teilnehmen wollen. Und ein Schauspiel war es geworden.
Er und seine Kameraden der Marineinfanterie standen auf einem anderen Ausleger, so dass sie alles gut hatten sehen können. Den guten Anfang und die Katastrophe. Nun lag das Schiff auf der Seite und alle am Stapellauf beteiligten Kräfte versuchten sich an der Bergung. Die gaffenden Marineinfanteristen verzogen sich langsam, nur Labeo blieb stehen.
"Sic transit gloria..", murmelte er vor sich hin, als der den im Wasser schwimmenden Seemann entdeckte, um den herum sich Blut ergoß und der ins Meer hinausgetrieben wurde. Niemand anders schien ihn bemerkt zu haben - oder war es tatsächlich so, dass die Rojer und die Nautiker nicht schwimmen konnten? Labeo überlegte nicht lange, sondern sprang ins Wasser.
Er war ein guter und schneller Schwimmer und die letzten Wochen härtesten Trainings hatten ihn auch seiner Konditionsschwäche beraubt, so dass er - entsprechend der relativ großen Entfernung zwar Zeit brauchte, aber nicht zu viel. Außer Atem kam er bei dem Seemann an. Kurz schwamm er auf der Stelle, und besah sich die Verletzungen - "O Neptun" - entfuhr es ihm. So vorsichtig wie es ging - der Seemann hatte Verletzungen am Bein und - Minerva hilf- am Kopf - drehte er den bewusstlosen - vielleicht sogar leblosen Körper - um und erkannte den Gubernator Anchi..irgendwas Niger, unter dem er einige Male im Bautrupp gearbeitet hatte. Er griff unter den Schultern Nigers durch und hielt so seinen verletzten Schädel über Wasser - auf das Bein konnte er nicht viel Rücksicht nehmen, da es auch um die Zeit ging - und schwamm rückenschwimmend zum nächsten Ausleger. Dabei versuchte er ein gutes Mittel aus Eile und Vorsicht an den Tag zu legen. Wobei Eile den Vorrang hatte.
Nach einigen Momenten, die Labeo wie Stunden vorkamen, erreichte er einen Anlegesteg, wo glücklicherweise andere Nautae hingeeilt waren, die ihm halfen den Gubernator vorsichtigst an Land zu heben. "Er lebt noch. Nicht mehr lange und ein Medicus kommt", sagte einer der Nautae, die Labeo geholfen hatten - das beruhigte Labeo, der gerade noch genug Kraft hatte um sich auf dem Ausleger hinzulegen und zu schnaufen.
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Tage, Wochen und Monate vergingen nach diesem Unfall und der Gubernator erholte sich nicht schnell von seinen Verletzungen. Diverse Gespräche mit dem Praefectus und dem Nauarchus waren die Folge.
Zwar würde der Niger seinen Alltag fast unbehindert meistern können, doch für den Militärdienst wäre enorm hartes Training notwendig. Da der Gubernator schon eine halbe Ewigkeit im Dienst war und sich nicht sicher war, ob er weiter Dienst tun wollte oder könnte, einigte man sich auf eine ehrenhafte Entlassung aus dem Dienst.
Der Praefectus setzte das entsprechende Schreiben auch sogleich auf und händigte es dem Gubernator aus:
Hiermit entlasse ich den
Gubernator Anchisothep Niger
auf eigenen Wunsch
ehrenhaft
aus dem Dienst der
Classis MisenensisEr erhält gemäss dem allgemeinen Teil des Codex Militaris das römische Bürgerrecht für sich und seine Kinder sowie das Recht, eine freie Frau ohne Bürgerrecht zu heiraten.
Zusätzlich wird dem Gubernator vom Praefectus Classis ein
Torques in silbener Ausführung
verliehen
für seine Tapferkeit, seinen Mut
und seine unermüdliche Arbeit
zu Gunsten der
Classis MisenensisGezeichnet ANTE DIEM X KAL APR DCCCLVIII A.U.C. (23.3.2008/105 n.Chr.)
Lucius Annaeus Florus
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Anchisothep fühlte sich sehr schwach als er das Schreiben entgegen nahm. Seine Hände zitterten, obgleich er es zu vermeiden suchte. Wohin nun? Die Classis war lange Zeit seine einzige Heimat gewesen. Zwar war das Bein verheilt und der gebrochene Knochen zusammengewachsen, wenn auch nicht gerade, sodass das Bein etwas kürzer war als das andere, doch Anchisothep fühlte sich nicht mehr in der Lage, auf See Dienst zu tun. So weh es ihm tat, es hätte keinen Sinn, allenfalls für einen Posten in der Verwaltung wäre er noch tauglich, aber das wollte Anchisothep nicht, außerdem war er dafür zu ungebildet und ungeschickt im Umgang mit der lateinischen Sprache.
"Vielen Dank, Praefecte.", sagte er. Die Worte kamen nur schwerfällig über seine Zunge. Er spürte, zum ersten Mal seit Jahrzehnten, einen Kloß im Hals. Nicht weinen, nicht schwach werden, redete er sich ein. "Vale, Praefecte." Anchisothep nahm ein letztes Mal eine militärische Haltung vor dem Praefekten an. Dann rollte er das Schrifstück vorsichtig auf, verstaute es sorgsam und wandte sich zum Gehen.
Er würde mit seinem letzten Sold und einigen Ersparnissen eine Schiffsreise nach Alexandria bezahlen. Dann wäre er wenigstens in Bewegung, auf Reisen, müsste sich erst einmal keine Gedanken mehr darum machen, wohin er nun gehen sollte. Vielleicht war bei seinen verbliebenen Verwandten noch ein Platz frei, vielleicht auf dem schäbigen, armseligen Bauernhof seines Onkels, immerhin einer der wenigen freien Bauern in Ägypten. Doch wozu war er noch zu gebrauchen, ein Krüppel, noch geschwächt von der Verwundung? Er verdrängte diese Frage. Es würde sich schon finden. Mochten die Götter ihm beistehen. -
Als der Gubernator die Flotte und damit auch den Stützpunkt verliess, standen einige seiner ehemaligen Männer Spalier und begleiteten ihn bis zum Tor.
Eine schöne Geste für einen guten Mann!
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