atrium | About a Boy, oder: Der Tag der toten Zeitungsente

  • Die Sklavin führte den Senator und seinen Sklaven ins Atrium.
    "Bitte warte hier einen Moment, Herr. Ich werde die Herrin holen!"
    Dann verschwand das Mädchen, um ihre Herrin vom Besuch des Senators zu unterrichten.

  • Ein Schaudern durchlief Gracchus' Körper als er der Sklavin durch die Flure der Villa Claudia folgte, war doch die erste und einzige Gelegenheit, die hiesigen Räumlichkeiten zu bewundern seine Verlobung mit Claudia Antonia gewesen, ein Anlass, an welchen er nicht eben gern zurück dachte. Obgleich er eine in seinen Kreisen durchaus normale Ehe führte, bei welcher sich die Partner selten sahen - zugegebenermaßen sahen sich Antonia und Gracchus womöglich ein wenig zu selten - und er seine Wahl bislang nicht hatte bereut - noch war immerhin nicht endgültig geklärt, weshalb aus dieser Ehe kein Nachkomme wollte gedeihen und noch glaubte Gracchus daran, dass Antonia an der beinahe legendären claudischen Fruchtbarkeit Teil hatte - so waren die Tage der Verlobung und der Hochzeit doch von einer zu penetranten, fingierten Innigkeit geprägt gewesen, als dass sie erfreuliche Reminiszenzen in ihm konnten erwecken. Dennoch konnten solch beinah dysphorische Gedanken dieser Tage nicht Gracchus' Gemüt derangieren, zudem war er an diesem Tage aus tatsächlich äußerst erfreulichem Anlass anwesend, während seine Gemahlin in der nun ihr heimischen, flavischen Villa weilte.

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  • Als die Sklavin Epicharis aufgesucht hatte, war diese bester Laune gewesen. Schon immer überschwänglich mit ihren Gefühlen, hatte sie kurzerhand die junge Sklavin hoch erfreut an sich gedrückt, sich einmal übermütig im Kreis gedreht und hatte erst dann das Zimmer verlassen, um den Flavier im Atrium zu begrüßen. Schnell setzte sie ihre Füße voreinander, grazil huschte sie die Treppe hinunter und in den weiten Raum hinein, in dem bereits schon ein paar Kohlebecken glommen, um die morgendliche und die abendliche Kühle zu vertreiben, die zu dieser Jahreszeit in die Häuser einzog. Wohl hatte sie davon gehört, dass Gracchus nicht nur Senator geworden war, sondern auch die Ehre eines Pontifex erhalten hatte. Aber das war, um ehrlich zu sein, für Epicharis in jenem Moment mehr als nebensächlich.


    Wie ein kleiner Wirbelwind huschte sie auf Gracchus zu, das Gesicht freudestrahlend, die Wangen gerötet. Sie ahnte, warum er hier war. Aristides hatte auch ihm geschrieben, ganz gewiss! Als Epicharis den Brief am gestrigen Abend erhalten hatte, war die Villa erfüllt von Lachen gewesen, die junge Claudierin war wie von Sinnen durch die Räume gehüpft, hatte sich Callista ohne Widerrede geschnappt und war mit ihr herumgetanzt, obwohl sie hätte schwören können, dass ihre Verwandte ihr Verhalten alles andere als angemessen empfunden hatte. Doch Epicharis war das gleich gewesen. Sie hatte all ihren Sklaven frei gegeben, zusammen mit Kassandra musiziert und mit Leckereien regelrecht um sich geworfen, so glücklich war ihr Herz. Und so war es auch kein Wunder, dass sie auch heute noch die Freude im Herzen und auf dem Antlitz trug und daher vermutlich nicht so reagierte, wie der Besucher es erwartet hatte...


    ...denn sie begnügte sich nicht damit, einfach auf Gracchus zuzueilen, sondern umarmte ihn auch gleich aufs Herzlichste, ohne überhaupt zuerst ein Wort zu sagen. Ganz fest drückte sie ihn, schnappte dann selbst nach Luft und ließ ihn los, um vor Freude zweimal in kindlicher Manier auf und ab zu hüpfen. Die Hände fasste sie dabei voller Freude zusammen. "Ich wusste es!" stieß sie schließlich atemlos hervor. Sie wollte es Gracchus nicht vorhalten, und doch wollte sie ihm verdeutlichen, dass die Hoffnung manches Mal etwas Gutes barg. "Ich hab es gewusst!" Nun, da sie wieder stillstand, fiel ihr auf, wie unhöflich sie sich verhielt. Sie errötete, was man allerdings den ohnehin schon rötlich angehauchten Wangen nicht ansah, und trat einen Schritt zurück. "Oh, salve..." Sie rettete sich in ein peinlich berührtes Lächeln. "Er hat dir auch geschrieben, nicht wahr?" Zwei funkelnde, rehbraune Augen suchten in Gracchus' Gesicht nach der Bestätigung.

  • Versunken in das Studium einer pittoresken Plastik - die Hände hinter dem Rücken verschränkt um nicht erst in die Versuchung zu geraten, sie vor der Brust zu verschränken und mit einer Hand gedankenverloren an der Unterlippe zu kneten - überbrückte Gracchus die kurze Zeit des Wartens, bis dass Epicharis als fleischgewordene, lustwandelnde Euphoria auf ihn hin zu eilte und in einer überschwänglichen Umarmung einschloss, ihn überkam wie ein unvermittelter Platzregen den nichts ahnenden, trockenen Sommertag. Wie vom Blitz getroffen stand er ob dessen im Atrium der Villa Claudia, unfähig sich zu rühren, völlig perplex und den Anlass seines Besuches nicht mehr erinnernd. Claudia Epicharis hüpfte. Gleich dem eines Hasen auf der Flucht wurde ihr gesamter Leib in die Höhe katapultiert, schwebte einen marginalen Augenblick in der Luft, um sich dann den Gesetzen der Erde zu beugen und ihre Füße zurück auf den Boden der Welt zu bringen, nur um ein weiteres mal sich zu erheben. Es war gelinde gesagt faszinierend. Nie zuvor in seinem Leben hatte Gracchus etwas vergleichbares gesehen, denn diese Handlung hatte nichts zu tun mit dem Tanzen und Springen eines Sklaven oder einer Sklavin, dies war nicht vergleichbar mit dem Versuch eines Kindes, durch eine solche Aktion über eine Mauer zu blicken, ebenso wie sie nichts gemein hatte mit der sportlichen Ertüchtigung im sandigen Rund. Die fließende, gleichsam erhabene Bewegung schien Gracchus manifestierter Ausdruck eines unbändigen, inneren Dranges, und erst im Nachhinein wurde er sich der Erkentnis gewahr, dass Epicharis' nur diese eine Möglichkeit hatte gehabt, diesem Drang Einhalt zu gebieten, wenn nicht ihr Körper in Tausend und Abertausend kleine Partikel hätte zerspringen sollen. Ihre vertuschte Vorhaltung glitt an ihm vorüber, ohne dass sie auch nur ansatzweise bis in seine Sinne drang, selbst ihr Erröten blieb Gracchus' Aufmerksamkeit verborgen, obgleich sein Blick sie fixierte, noch immer fasziniert und im Versuch inbegriffen, sich keine Nuance ihres Wesens entgehen zu lassen.
    "Salve"
    , drang mechanisch, beinah tonlos die Begrüßung aus seiner Kehle, bloße Reaktion auf die ihrige. Ein Lidschlag durchbrach die Bewegungslosigkeit seines Antlitzes für einen Herzschlag, dann wieder blickte er sie unverwandt an, regungslos. Weshalb tat sie dies? Wer hatte was geschrieben? Gracchus stand vor einer geschlossenen Türe in den Fluren seines Gedankengebäudes und wusste, dass er nur brauchte hindurch zu gehen, um die Antwort zu finden, doch er hatte augenscheinlich vergessen, wie seine Hände dazu zu bewegen waren, sich nach vorn zu strecken, den Türgriff zu ergreifen und die Türe aufzustoßen, zudem auch wie er seine Füße konnte dazu drängen, überhaupt einen Schritt vorwärts zu tun.
    "Epicharis"
    , fügte er schlussendlich an, langsam aus seiner Starre entfliehend und sich Stück um Stück sukzessive in seinen Gedanken vorantastend. Claudia Epicharis, Verlobte seines Vetters Aristides, welcher im Krieg in Parthia war, verstorben geglaubt, doch lebendig bewiesen, durch einen Brief, welchen er hatte geschrieben. Deshalb war er hier.
    "In der Tat."
    Noch immer zogen sich seine Worte ein wenig, wollten nur langsam die erwartungsvolle Stille durchbrechen.
    "Er hat mir geschrieben. Marcus. Aristides. Er ist nicht tot. Zumindest hat er dies geschrieben. Was somit bewiesen wäre. Dass er nicht tot ist. Tote schreiben keine Briefe."
    Wieder blinzelte Gracchus, mehrmals dieses Mal, schüttelte den Kopf leicht, legte ihn ein wenig schief.
    "Verzeih ... ich ... bin ein wenig derangiert."
    Der Erkenntnis der Tatsache folgte unverzüglich die unangenehme Selbsterkenntnis, dass dies nicht sollte sein, gleichsam, dass eben dieser Umstand überaus blamabel war, selbst oder gerade in diesem Hause.

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  • Freilich trug die Freude in ihrem Herzen ihren Teil dazu bei, dass sie Gracchus' seltsame verblüffung schlichtweg nicht weiter zur Kenntnis nahm, obwohl sie ihm durchaus ansah, dass irgend etwas ihn gänzlich einnahm, ihn gar faszinierte. Etwas in ihr beharrte zwar auf der Meinung, eine Patrizierin in ihrem Alter habe sich anders zu verhalten als das bei Epicharis eben der Fall gewesen war, aber Epicharis wischte das einfach fort und ergriff mit glänzenden Augen die Arme des perplexen Flaviers, um die Hände von seinem Rücken zu fischen und nun gleichsam seine Hände zu ergreifen. Sie konnte nicht nachvollziehen, was den sonst als rege bekannten Gedankenfluss des Gracchus gerade so zu hemmen schien. Sie strahlte ihn einfach nur an und fand sein Gebaren in höchsten Maße amüsant, auch wenn sie zugleich wünschte, er würde endlich etwas sagen. Das tat er dann schließlich, auch wenn es vorerst bei einer langgezogenen und irgendwie eigenartig klingenden Begrüßung blieb, die Epicharis dazu veranlasste, ein unangebrachtes Kichern zu ünterdrücken.


    Die Claudierin konnte förmlich sehen, wie allmählich der Sinn in seine Worte tropfte und er die Fassung wieder gewann, die er scheinends verloren hatte. War sie daran schuld? Noch während sie sich dies fragte, rückte Gracchus mit der Information raus, wegen der er wohl hergekommen war. Epicharis hing an seinen Lippen, welche die Worte so unerträglich langsam formten und beständig stockten, wenn auch nur für einen flüchtigen Moment. Der Freudenvulkan in ihrem Inneren gewann neuerlich an Kraft, bis sich schließlich eine erneute Eruption anbahnte. Gracchus' Pech war, dass Epicharis seine Hände inzwischen herbeigeangelt hatte - denn so würden zumindest die Arme mitschlackern, wenn er sich schon nicht ganz gehen lassen würde: Epicharis jauchzte und tanzte mit Gracchus' Händen in festem Griff einfach um den Flavier herum, das Gesicht in kindlicher Freude strahlend. Wie schön es war, wenn man sich über etwas so freuen konnte!


    Dass Gracchus verwirrt war, war selbst Epicharis nicht eintgangen, obwohl sie sich doch ganz dem Überschwang an Energie hingab, die Gracchus ihr mit seinem Erscheinen und der vermeintlichen neuen, guten Nachricht beschert hatte. Sie empfand Gefühle als ganz und gar nicht blamabel, wenn man sie zuließ. Freilich gehörte es sich nicht in der Öffentlichkeit, aber sie waren hier zu Hause und bis auf eine Handvoll Sklaven sogar allein im Atrium, wen also kümmerte es schon, wenn sie hier mit ihrem zukünftigen Verwandten dritten Grades tanzte und sich an der Fröhlichkeit labte?


    Etwas fehl am Platze entgegnete sie, als sie zu einem Halt gekommen waren: "Aber das macht doch nichts! Ach, ich freue mich so...." Und das war nicht zu übersehen. "Unser Opfer an Mars hat ihn gewiss dazu bewogen, seine Aufmerksamkeit wieder auf Marcus zu richten. Hat er dir näheres geschrieben? Leider musste er sich in seinem Brief an mich kurz fassen, es wird wohl sehr viel zensiert und diese parthischen Barbaren machen auch vor Privatpost nicht Halt, wenn es um Informationsbeschaffung geht", sagte sie. "Möchtest du etwas trinken? Setzen wir uns doch", fügte sie beinahe nahtlos an und lächelte Gracchus zu.

  • Es war dem Frappieren kein Ende beschert. Claudia Epicharis tanzte. Nichts blieb Gracchus denn sich in ihrem Reigen zu drehen, wollte er nicht riskieren, dass seine Arme ihm vom Körper sprangen oder in ungelenker Manier um seinen Hals sich wandten - obgleich dies natürlich kaum möglich würde sein, so schien es ihm doch in diesem Augenblick mehr als possibel. Die Starre seiner Faszination löste sich indes langsam auf in bloße Faszination, angesteckt von ihrem Jauchzen fand ein Glänzen Einzug in seine Augen, ein entrücktes Lächeln auf seine Lippen. Förmlich konnte er die Entzückung im Raume schweben sehen, in wild gezwirbelten, farbgewaltigen Mustern, Symphonie aus unsichtbaren Farben, kaskadierende Wirbel der Euphorie. War es denn gar so divergent zu seiner eigenen Reaktion auf die Nachricht selbst, obgleich die Art der Äußerung ein wenig noch überschwänglicher war, doch waren Frauen nicht allgemeinhin ein wenig überschwänglicher - abgesehen von seiner Gemahlin, welche so emotional wie ein schillernder Eiszapfen war? Dennoch begrüßte Gracchus die Aufforderung, Platz zu nehmen, würde dies doch verhindern, dass Epicharis erneut zu Hüpfen begann, dass letztlich er selbst angesteckt durch ihren Enthusiasmus sich noch würde vergessen, denn war ihm selbst nicht in den zurückliegenden Tagen der Drang danach nicht unbekannt, glaubte nicht selbst er zerspringen zu müssen ob der Güte des Lebens, sprach nicht selbst er fortwährend in Gedanken in Distichen, träumte vom Tanz mit der verloren geglaubten Muse und sehnte sich danach, die Welt in sich durch ein Epinikion zu besingen? Und doch war dies eine Dimension, welche ganz eigen ihm war, welche nicht dazu gereichte, sie nach Außen zu kehren, welche musste verborgen bleiben, um vor dem Antlitz der allgegenwärtigen Welt zu bestehen, denn zu eng war sie verwoben mit dem Schmerz der Erkenntnis, zu tief währten Furcht und Scham.
    "Danke, ein reichlich verdünnter Wein wäre mir überaus agreabel."
    Beinah ein wenig vorsichtig ließ sich Gracchus auf der Kline nieder, als würde er nicht seinem Körper noch trauen.
    "Er schrieb, dass er ein wenig angeschlagen sei, wie dies nun einmal der Krieg bedingt, doch es ihm gut gehe. Nicht mehr erwähnte er über den Krieg, da er auch in meinem Falle die Zensur wohl vor Augen hatte. Weiters erkundigte er sich nur über das Wohl der Familie."
    Ein Lächeln, welches gleichsam Stolz in sich barg, umschmeichelte Gracchus' Lippen.
    "Mag er auch für Rom kämpfen, mag er für das Imperium sterben, doch das Herz eines Flavius gilt seiner Familie."
    Womöglich war es ein Wagnis, dies so offen zu bekennen, doch Epicharis würde dies in einer Ehe mit Aristides ohnehin kaum verborgen bleiben, zudem schien sie Gracchus' nicht eine Person, welches solcherlei nicht konnte nachvollziehen. Rom war ein Gedanke, das Imperium eine Idee, und das Gelingen des Staates einer der Grundfeste aller seiner Bewohner, doch die kleinste Einheit, welche Rom zusammen hielt, dies war die Familie, und eben darum war sie wertvoller als alles sonst.

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  • Epicharis befahl mit einem Nicken eine umherstehende Sklavin herbei. Was Gracchus trinken wollte, hatte er ja soeben gesagt, daher wiederholte sie seinen Wunsch nicht, sondern fügte nur der Sklavin zugewandt an: „Für mich nur Wasser.“ Sie ließ sich regelrecht in den Sessel fallen, der zu der kleinen, aber gemütlichen Sitzgruppe gehörte, die sich unweit befand. Lächelnd sah sie Gracchus an. Davon, dass er fürchtete, sich zu überschwänglich zu freuen, ahnte sie nichts. Sie glaubte nicht, dass es so etwas überhaupt gab, doch da kannte sie Gracchus wohl schlecht, was allerdings auch kein Wunder war, denn abgesehen von den wenigen Opfern, denen sie beigewohnt hatte, abgesehen von seiner Anwesenheit auf ihrer Verlobungsfeier und dem Umstand, dass er Antonias Ehemann war, abgesehen von ihrem letzten Besuch in der Villa Flavia und auch abgesehen von den Erzählungen Antonias, die Epicharis nicht mehr nachvollziehen konnte, kannte sie ihn schließlich nicht. Doch die jüngsten Ereignisse und sein Auftreten hatten in ihr den Wunsch gefestigt, diesen sonderbaren Mann näher kennenlernen zu wollen. Nicht zuletzt, um anschließend Antonia auszufragen, wie um alles in der Welt sie nur darauf kam, ihr Gatte sei ein Eisklotz, denn das wiederum fand Epicharis ganz und gar nicht. Hatte er nicht eben gelacht und schimmerten seine Augen nicht ebenso euphorisch wie die ihren? Und mit ihr gedreht hatte er sich auch. Nein, befand Epicharis. Ein Eisklotz war er nicht, dieser Flavier.


    Begierig hing sie an seinen Lippen, den Oberkörper ein wenig vorgeneigt. Viel zu früh verstummte er wieder. Und nur ein kleiner Teil ihrer Freude wich, als Gracchus erzählte, Aristides habe bekannt, dass er angeschlagen sei. Ihr selbst hatte er versichert, dass sie sich keine Sorgen machen brauchte, und dass es ihm gut ging... Epicharis hatte Recht gehabt, als sie hinter seinen Worten den Beruhigungseffekt gewähnt hatte. Sie lehnte sich zurück und legte die Hände auf ihrem Schoß locker übereinander. "Ich mache mir Sorgen. Aber das lässt sich auch gar nicht verhindern, wenn ich daran denke, dass Marcus jeden Tag Puls essen muss." Epicharis kicherte leicht albern. Mit dem Hüpfen und Tanzen war es eben nicht getan, und noch viel zu viel Elan war übrig. Als sich Epicharis wieder etwas gefangen hatte, fuhr sie in deutlich ernsterem Ton fort. "Ich glaube fest daran, dass Mars Marcus beschützen wird, wie viele Parther ihm auch immer nach dem Leben trachten mögen. Und dass Mercurius ihm nach dem Sieg gegen die Parther eine sichere Heimreise gestatten wird." Epicharis lächelte voller Zuversicht und nickte. Dass Aristides ein Familienmensch zu sein schien, erfreute sie, würde doch nach der Heirat ihre eigene kleine Familie wohl das wichtigste für sie selbst sein. Und eines stand fest: Sie würde sich dann mit Händen und Füßen dagegen wehren, dass er noch einmal des Krieges wegen fort ging. "So sollte es sein", pflichtete sie daher bei. "Wie geht es Serenus? Ich hörte, er sei in Ägypten gewesen. Nach Africa werde ich vermutlich auch bald reisen. Warst du schon einmal dort, Gracchus?"

  • Überschwang hatte in Gracchus' Leben bisherig vorrangig zu desaströsen Katastrophen geführt, weshalb er um so mehr war darauf bedacht, jenen zu vermeiden. Ausgiebig hatte er die Jugend mit seinem Vetter Aquilius genossen, manches mal - gerade in den Zeiten, in welchen ihr Vetter Aristides in Achaia weilte - auch ausschweifend, doch davon abgesehen zumeist beherrscht, wohlüberlegt und auf geistiger Ebene. Als Gracchus sich von all dem hatte abgewandt, geglaubt, gegen den Sinn seines Vaters revoltieren zu müssen, über sich hinauswachsen zu können, in klandestiner Weise dem emotionalen Überschwang hatte gefrönt, hatte dies letztlich nur dazu geführt, dass er jenen einzigen Menschen durch seine eigene Schuld hatte verloren, welchen er in bedingungsloser Hingabe hatte geliebt und hatte lieben dürfen. Jene mehr als nur deplorable Episode seines Lebens hatte nur um so mehr dazu geführt, sich hinter die Mauern der Beherrschung, der Abschottung zurück zu ziehen, einzig Caius an einem Part seines Innersten teilhaben zu lassen, doch letztlich hatte auch dies erneut wiederum zu einer katastrophalen Wendung geführt, hatte die Leichtigkeit zwischen ihnen zerstört, hatte Gracchus noch mehr in sein Innerstes zurück getrieben. Er sehnte sich danach, seinen eigenen Sehnsüchten nachgeben zu dürfen, er verzehrte sich nach ein wenig Freiraum, doch Rom duldete solcherlei nicht, nicht sein Rom, und viel schlimmer noch, nicht seine Familie.
    "Es ist gut, wenn sich jemand um einen sorgt, denn dies beweist, dass man nicht vergessen ist. Marcus kann sich darum glücklich schätzen. Viel schlimmer als den Puls findet er im Übrigen das Essigwasser. Du kennst sicherlich die Gerüchte, dass mein Vetter Felix den exquisitesten Weinkeller des Imperium noch vor dem des Imperator besitzt. Nun, ich mag darüber nicht urteilen, kenne ich doch den des Kaisers nicht, doch der meines Vetters ist durchaus äußerst erlesen und Marcus teilt mit seinem Bruder den guten Geschmack. Er hat eine unglaubliche Freude am Verzehr von Köstlichkeiten, doch mehr noch am Goutieren eines feinen Weines, so dass das saure Wasser ihn mehr betrübt als der Feind selbst."
    Wiederum schlich sich ein Lächeln um Gracchus' Lippen, war er doch ein durchaus humoriger Mensch, doch ließ er auch dies selten mehr als nur durch subtile Andeutungen aus sich heraus dringen. Doch hatte Epicharis etwas an sich, was ihn eben in dieser Zeit der Freude geradezu herausforderte. Ganz anders als seine Gemahlin schien sie Gracchus doch, selbst dann, wenn sie in einer Ehe nicht glücklich war, würde sie dies vermutlich zeigen, würde Tränen vergießen oder ihren Gatten mit Flüchen bedenken, doch sie würde sicher nicht unnahbar, abweisend und kalt wie die Winterstürme des mare internum ihn mit Missachtung strafen. Epicharis lachte, sie tanzte, sie hüpfte und kicherte, und dies faszinierte ihn. Die einzig emotionale Regung, welche Gracchus je an Antonia hatte finden können, war jene, kurz bevor sie dem kleinen, gemeinsamen Tode zum Opfer fielen, und selbst da er keine Leidenschaft erwartete, welche er selbst nicht würde erwidern können, selbst da er keine innigen Emotionalitäten erwartete, so wünschte er doch, dass irgendetwas würde zwischen ihnen sein, etwas, das Fern der Kälte war, etwas, das ihm nicht fortwährend in ihrer Anwesenheit das Gefühl gab, das größte Ungeheuer zu sein, welches auf Erden je wandelte.
    "Die Götter werden ihn schützen."
    Er wollte nicht erwähnen, dass Mercurius ebenfalls zur Aufgabe hatte, die Seelen der Verstorbenen sicher hinab bis zum Fluss Styx, bis zum Rande ihrer neuen Heimat zu geleiten, doch war es dies, was ihm kurz durch die Sinne zog. Jedoch Epicharis wechselte bereits das Thema.
    "Serenus? Er befindet sich wohl. In der Tat war er in Alexandria, um dort seine Studien voran zu treiben."
    Dass der Junge zur Bestattung seiner Tante zurück gekehrt war und dass eben er bei dieser Rückkehr durchaus widerspenstig war und Gracchus nicht im Geringsten wusste, wie mit dem Kind weiter zu verfahren sei, dass er nur unfähig war, Serenus all jenes angedeihen zu lassen, was der Junge brauchte, dies alles erwähnte Gracchus nicht. Wenn Epicharis Glück hatte würde Aristides erst in einigen Jahren nach Hause zurück kehren und Serenus bis dahin ein Mann sein.
    "Ich selbst war noch nie in Africa. Meine Mutter und meine Schwester lebten in Alexandria."
    Er sprach es aus, als wäre dies der Grund, weshalb er nie dort war gewesen und vielleicht war es dies.
    "Obgleich mich die große Bibliothek und das Museion würden sehr reizen, so kann ich doch dem Meer und seiner Überquerung wenig nur abgewinnen."
    Wie auch dem Reisen an sich. Die kurze Passage zwischen Achaia und Italia war ihm für Gewöhnlich bereits ein Graus gewesen, so dass er fast nie den bequemen Weg gänzlich über das Meer hatte gewählt, sondern stets hatte versucht über Land zu reisen, benötigte das Vorankommen mit einem guten Pferd doch kaum viel mehr Zeit. Ohnehin boten Schriften und Berichte ihm eine viel agreablere Art des Vorankommens, denn mochte er sich auch der Unbequemlichkeit des Reisens mit stoischer Gelassenheit und spartanischen Ansprüchen konnte stellen, so empfand er dennoch das Explorieren der Welt als viel zu aufrüttelnd. Gerade seine letzte, ein wenig unfreiwillige Reise bis in den Hafen Alexandrias und zurück, ohne einen einzigen Schritt weit auf das Land zu tun, hatte ihm dies mehr als deutlich vor Augen geführt.
    "Doch nun bleibt mir dies ohne Erlaubnis des Imperators ohnehin verwehrt. Weshalb wirst du dich nach Africa begeben?"

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  • Wenn auch die flavische Familie und Rom selbst keinen Freiraum dulden mochte, so provozierte Epicharis seit dem Brief ihres Verlobten regelrecht die Leichtigkeit des Seins der sie umgebenden Personen. Kassandra hatte sie allein bei der Nachricht geherzt, dass ein Brief von Aristides eingetroffen war, und anschließend hatte sie sich mit ihrer Leibsklavin an den Händen und dem Kopf im Nacken im Kreise gedreht, bis sie schwindelnd gegen eine Statue im Garten getaumelt war und diese mit ihrem Umgestüm zum Wanken gebracht hatte. Doch selbst dafür war nur erheitertes Gelächter übrig gewesen.


    Die Erwähnung des Essigwassers löste erneut ein solches Gelächter aus, und freudige Röte überzog die patrizischen Wangen in serener Manier. Sie beugte sich leicht vor während des Lachens, und gewahrte auch das zaghaft anmutende Lächeln des flavischen Pontifex, welches wiederum die Frage in ihr auslöste, warum Gracchus nur so wenig von seiner Freude zeigte. Täuschte sie sich, oder kreisten seine Gedanken um etwas, das verhinderte, seiner Freude ausdruck zu verleihen? Gleichermaßen forschend wie nachdenklich betrachtete sie sein Gesicht eingehender. Leicht verklärt lächelte sie, als er bestätigte, dass die Götter ihren verlobten schützen würden. Wer konnte das mit größerer Bestimmtheit sagen als ein Pontifex? Zufrieden ob dieser Bestätigung nickte Epicharis einmal abschließend.


    Vermutlich mochte die Frage nach Aristides' Jungen den Flavier etwas verwirren, denn sicherlich hatte er die tote Ratte bei der Verlobungsfeier ebensowenig vergessen wie sie selbst. Doch zeugte es nicht vom guten Willen, wenn man vergeben konnte? Und gerade ein Junge in Serenus' Alter vermochte die Dinge noch nicht so klar zu sehen wie es ein Erwachsener tat, sagte sich Epicharis. "Das freut mich zu hören. Aber du sagtest 'war' - ist er denn gegenwärtig wieder in Rom?" Schon überlegte sie, ob sie ihn dann nicht einmal besuchen sollte. So....also zukünftige Stiefmutter. Schlecht wäre das gewiss nicht, und wenn sie ihm damit dann zeigte, dass die Tätlichkeit auf der Verlobungsfeier vergessen war - und wenn sie ihm noch ein kleines Geschenk mitbrachte - ganz vielleicht würde er sie dann nicht mehr hassen. Einen Versuch war es zumindest wert. "Du weißt nicht zufällig, ob er etwas sammelt? Oder was sein Herz erfreuen würde?" erkundigte sie sich bei Gracchus, der ihre Absicht wohl erraten mochte.


    "Oh", entfuhr es ihr dann interessiert. "Und dann warst du selbst nie dort?" Da drängte sich regelrecht die Frage auf, wo Gracchus dann aufgewachsen war, wenn nicht in Alexandria. Doch Epicharis verkniff sich diese intime Frage, zumindest vorerst. Vielleicht würde sie sie nach der Heirat stellen, wenn sie in gewisser Weise auch zur flavischen Familie gehören würde. "Ja... Vor der Überfahrt scheue ich selbst auch noch etwas zurück. Es heißt, jetzt im Herbst sollen die Stürme Neptuns Reich heimsuchen. Es wäre wohl unklug, baldig aufzubrechen. Doch seitdem mir Marcus von Africa erzählt hat, beseelt mich der Wunsch, seine Geschichten mit eigenen Augen zu sehen." Epicharis legte den Kopf schief. Ihr kam eine Idee. "Aber vielleicht haben du und Antonia ja Lust, mich auf diese kleine Expedition zu begleiten? Es wäre gewiss eine Abweschslung vom tristen Alltagstreiben Roms. Und du könntest dich als Pontifex sogleich davon überzeugen, dass die Priester in Aegyptus ihre Arbeit gewissenhaft verrichten und gleichwie den Genius des Kaisers und die Götter ehren. Der Kaiser würde das ganz gewiss genehmigen, immerhin würdest du mit einer solchen Expedition sicherstellen, dass man ihm allerorts den gebührenden Respekt entgegen bringt!" Gespannt und aufgeregt sah sie Gracchus an. "Meinem Vater wäre viel wohler, wenn ich mich in Gesellschaft befände. Und ich bin mir sicher, dass Antonia sich ebenfalls über eine kleine Reise freuen würde", fügte sie an. Jetzt konnte Gracchus einfach nicht mehr nein sagen! Es wäre die ideale Gelegenheit für die beiden, näher zueinander zu finden. Und sie würde Gracchus näher kennenlernen können.

  • Das Gespräch auf Serenus zu Lenken, behagte Gracchus nicht besonders, hing ihm doch die der Suada zur Ehre gereichende, vorwurfsvolle Leidenstirade des Jungen zu sehr noch in seinem Gewissen nach, in welcher neben ihm selbst und Aristides als Serenus' Vater auch Epicharis insbesonders nicht in favorabler Hinsicht Erwähnung hatte gefunden. Obgleich Gracchus die Sorgen des Jungen diesbezüglich nicht konnte nachvollziehen - hätte sein Vater während seiner Kindheit eine andere Frau geheiratet, es hätte Gracchus ebenso wenig tangiert, wie die Existenz seiner leiblichen Mutter dies hatte getan - so waren sie dennoch existent und würden daher früher oder später für Konflikte Sorge tragen - indisputabel war es, dass später als früher würde Gracchus hierbei mehr als agreabel sein, dann, wenn womöglich Aristides zurück war in Rom und nicht Gracchus in jene Belange müsste mit tragender Rolle involviert sein.
    "Serenus ist seit einiger Zeit schon wieder zurück in Rom."
    Kurz ließ Gracchus seine Gedanken zu dem Jungen schweifen. Er hegte kaum die Vermutung, dass jener sich würde korrumpieren lassen, viel eher würde das Kind vermutlich durch solcherlei seine Befürchtungen validiert sehen, doch gänzlich sicher war er sich dessen nicht. 'Sklave Gaius ist der Beste' - periodisch erscheinende Schundliteratur - zählte zu Serenus' größter Sammelleidenschaft, genau genommen war seit einiger Zeit auch Gracchus dem trivialen, infamen Vergnügen des Delektierens dieser wenig niveauvollen Texte verfallen, doch gerade ob dessen wollte er nicht dies erwähnen.
    "Nun, in der Tat verzehrt sein Herz sich bereits seit längerem nach einem ganz speziellen Präsent, doch bei allem Ernst der Sachlage möchte ich doch dich bitten, ihm keinen Löwen zum Geschenk zu machen und sei es ein noch so kleiner. Sein massiger Hund verteilt bereits genügend Fellwerk in der Villa."
    Wieder umschlich lauernd ein panurgisches Schmunzeln seine Lippen, begleitet von einem schalkhaften Aufblitzen am inneren Rande seiner Augen, obgleich beides nicht konnte dort persistieren.
    "Den Wagenrennen gilt ebenfalls seine Entzückung, ein kleiner, eigener Wagen für Ziegenrennen ist sein gänzlicher Stolz. Womöglich findest du etwas passendes hierfür, ich bin deplorablerweise nicht sonderlich sachkundig, was in diesen Bereichen derzeitig angesagt ist."
    Weder die Wagenrennen hatten je ihn in ihren Bann können ziehen, noch all jene Dinge, welche überhaupt jemals in Mode, doch damit zumeist nur äußerst kurzlebig waren, legte Gracchus doch Wert auf Kontinuität und Persistenz, auf Konventionelles, an welchem die Sinne ihr Leben lang sich konnten erfreuen. Ebenfalls wenig delektieren indes konnte er den Gedanken, im Herbst oder Winter gar die See zu überqueren - mit Schrecken erinnerte er sich einer Reise von Rom nach Achaia nach der Bestattung einer Aetius' Gemahlinnen, kurz nach Jahreswechsel war dies und einziger Trost war der junge Caius an seiner Seite gewesen. Gleich eines herbstlichen Blattes auf dem Tiber war das Schiff auf den endlosen Weiten des Meeres hin und her geworfen worden, alsbald war die Küste nah, alsbald fern und niemand hatte ihnen sagen können, was davon besser war gewesen. Zwei Wochen hernach noch hatte er keinen festen Bissen Nahrung zu sich nehmen wollen. War der Gedanke an eine solche Überfahrt an sich bereits mehr als furchterregend, so setzte die Aussicht, Antonia während all dessen an seiner Seite zu wissen, dem wogenden Meer zudem die Schaumkrone auf.
    "Ich fürchte, meine Pflichten werden mich in Rom halten"
    , eilte er sich darum auf Epicharis' Vorschlag zu entgegnen.
    "Viele Festtage stehen bevor, bei welchen das Collegium Pontificium involviert sein wird, der Jahreswechsel dazu, hernach erneut viele Festtage."
    Im Grunde war das gesamte Jahr voller Festtage und Pflichten, so dass es einem Pontifex, welcher dies nicht tun wollte, niemals würde möglich sein, mit ruhigem Gewissen Rom zu verlassen, und Gracchus war ein Pontifex, welcher dies nur allzu gern wollte auf sich nehmen, denn ein jeder Vorwand war ihm nur recht, nicht auf eine Reise sich begeben und insbesondere das Meer nicht überqueren zu müssen.
    "Doch ich bin sicher, Antonia wäre äußerst erfreut, dich auf solch eine Reise begleiten zu können."
    Nicht nur ob der Reise wegen, sondern mehr noch, weil sie ein Meer zwischen sich und ihn damit würde bringen, ein Umstand, welcher natürlich auch seinerseits nicht zu verachten war.
    "Für angemessenes und sicheres Geleit würde ich natürlich Sorge tragen."
    Nicht noch einmal würde eine Flavia geraubt werden vom Angesichte des Oceanos, selbst wenn sie eine Claudia war, vor Gracchus' innerem Auge sammelte sich bereits eine Rotte bestens ausgebildeter und ausgerüsteter Söldner, welche das halbe Schiff allein würde füllen - eine Privatgaleere natürlich, seine Gemahlin würde kaum auf einem Handelsschiffe sich einquartieren - dies war nur agreabel in Zeiten höchster Diskretion, wie zuletzt es für ihn war notwendig gewesen. Jeder denkbare Komfort sollte den beiden Claudia geboten, eine unvergessliche Pläsier indes sollte die Reise sein, so wünschte Gracchus sich dies, denn wenig wünschte er sich tatsächlich mehr in Bezug auf seine Ehe, als dass Antonia würde glücklich sein können, und desperierte dabei sukzessive am Wissen, dass dies in seiner Anwesenheit augenscheinlich nicht war possibel, dass allein er diesem Glück stand im Wege, ohne daran etwas ändern zu können.

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  • Mit gemischten Gefühlen, doch die positiven schürend, nahm Epicharis die Mitteilung über den Aufenthalt des Jungen auf. Sie hatte beim besten Willen keine Ahnung, wie der Kleine ihren Besuch auffassen würde oder ob er sie überhaupt sehen wollte. Nun, da konnte im Falle eines Falles auch ein Vormund behilflich sein, doch Epicharis wollte nicht erzwingen, dass Serenus sie empfing. Die Informationen bezüglich den Begehrlichkeiten des Jungen machten Epicharis lachen. Vergnügt blitzten die Augen, als sich kleine Lachfältchen um jene herum bildeten und sie daran dachte, wie sie Serenus einen kleinen Löwen schenkte, und wohl was danach in der Villa Flavia los wäre. „Ach, nein, mach dir keine Sorgen, lieber Gracchus. Die Vorstellung, fortan mit dem Brüllen eines Löwen bei euch begrüßt zu werden, ist allerdings recht amüsant...“ Frech grinste sie Gracchus an. „Wobei...Vielleicht überlege ich es mir doch noch...“


    Einige Sätze später war Epicharis dann eine Idee reicher. Der Junge liebte also Rennwägen ganz besonders. Aber auch die Claudia sah etwas ratlos drein. „Hmm. Ich bin gerade in solcherlei Dingen auch nicht recht bewandert, aber eventual kann ich jemanden um Hilfe bitten, der sich näher damit befasst und mir vielleicht eine Auskunft geben kann“, erwiderte sie und dachte dabei an einen ganz bestimmten Handwerker, der zwar nicht in Rom, doch aber in der Nähe wohnte. Epicharis erinnerte sich an ihn, weil Myrtilus vor kurzem einen Rennwagen bei diesem Wagenbauer in Auftrag gegeben hatte, um damit seinen kürzlich aus Ägypten eingetroffenen Enkel zu beglücken. Sie würde Myrtilus später fragen, beschloss sie.


    Als das Gespräch nun in Richtung Süden abdriftete, war Epicharis erneut ganz Ohr. Aristides selbst hatte ihr diesen Floh ins Ohr gesetzt, und nun, da er wohlauf war, konnte sie guten Gewissens an diese Reise denken. Zuvor wäre es ihr verräterisch und gewissenlos vorgekommen, überhaupt nur an eine solche Unternehmung zu denken, die ja spaßig sein sollte, es unter den Umständen allerdings nicht gewesen wäre. Begierig wartete sie also auf eine Antwort, die da auch recht bald kam. Bereits bevor Gracchus’ Lippen sich teilten um die Worte auszuformen, sah Epicharis an seinen Augen, dass er wenig angetan war von der Vorstellung, mit ihr zu verreisen. Eines enttäuschten Ausdrucks konnte sie sich nicht erwehren, suchte ihn jedoch zu übertünchen, indem sie nach dem Becher griff und ihn in kleinen Schlucken zur Hälfte leerte. Dabei legte sie sich eine passende, argumentative Antwort zurecht, die sie nach dem Abstellen des Bechers sogleich mit einem verwegenen Schmunzeln zum Besten gab. „Wenn es danach ginge, so würdest du nimmermehr die Zeit für eine Exkursion ohne ausdrücklichen Wunsch des Collegiums finden“, entgegnete sie. „Das ist natürlich ganz praktisch für das Collegium, denn so haben sie einen tüchtigen Pontifex in ihren Reihen, der jedwede Bürde gern auf sich nimmt....“ Ein Zwinkern folgte auf diese foppenden Worte, die sich Epicharis spontan erlaubte. „Mich graust es etwas vor dem Seegang, muss ich gestehen, aber die Neugier nach den Dingen, von denen Marcus berichtet hat, ist doch größer als das Unbehagen beim Gedanken an ein beständig schwankendes Schiff“, gestand sie ganz offen und blinzelte. „Vielleicht möchtest du es dir noch einmal überlegen? Ich würde mich sehr freuen, wenn du dich doch noch anders entscheiden würdest.“ Epicharis überlegte – sollte sie Gracchus sagen, dass sie ihn und seine Art mochte? Vermutlich würde er ohnehin selbst darauf kommen oder war es gar schon, sagte sie sich aber, und unterließ dieses Bekunden. Sehr bedauerlich würde nur sein, wenn Gracchus seine Gemahlin mit ihr sandte und selbst zurückblieb. Da hätte die Intention, welche Epicharis die beiden betreffend gehabt hatte, gar keinen Haltepunkt mehr. Die Claudierin überlegte, währenddessen schlug Gracchus vor, dass Antonia allein mit ihr kommen würde. Epicharis lächelte milde. Für Geleitschutz würde sicherlich ihr Vater ebenfalls sorgen. Deandras Melancholie und Priscas Abwesenheit lösten gewiss das Gefühl in ihm aus, seine mittlere Tochter mehr noch beschützen zu müssen.


    „Verbleiben wir also insofern, dass du dir nochmals überlegst, was du dir ansonsten freiwillig entgehen ließest?“ bohrte sie weiter und schenkte Gracchus eines ihrer bezauberndsten Lächeln. Natürlich meinte sie nicht sich selbst, auch wenn man das tatsächlich missverstehen konnte, sondern das Land an sich.

  • Einige Augenblicke lang glaubte Gracchus wahrhaftig, die Claudia wäre womöglich letztenendes doch darauf hin aus, ihn zu sekieren, doch da ihr Wesen von Beginn an auf ein eher unbeschwertes Gemüt wies, so hob nur marginal er seine rechte Braue und legte den Kopf ein wenig schief.
    "Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, der Wolf ist dem Menschen ein Ungeheuer, und das Ungeheuer ist dem Menschen der Löwe. Doch die Maus ist es, welche der Löwe fürchtet."
    Einige Herzschläge lang hingen die Worte grave im Raum, legten sich wie eine düstere Prophezeiung über die Zukunft, auch dann noch, als Gracchus konspirativ den Kopf zu Epicharis neigte, seine ohnehin sonore Stimme noch ein wenig senkte und ihr einen Hauch von Apokalypse bei gab.
    "Ein Wolf, ein Ungeheuer, ein Löwe - meinetwegen, wenn denn es beiträgt, Serenus' Verstimmung ob der Verlobung wegen zu lösen, so mag es denn sein, solange ..."
    Eine bedeutungsschwere Pause folgte, in welcher sich Gracchus' Blick förmlich in jenen Epicharis' bohrte.
    " ... solange du keine Maus ihm als Haustier überreichst. Denn, und dies haben der Löwe und ich gemein, obgleich wenig sonstig mich mit jenem güldenen Herrscher der Wüste verbindet, ich teile seine Frucht vor der Maus und mag die Anwesenheit eines haarigen Ungetüms mich durchaus sekieren, so gereicht die Anwesenheit jener kleinen, flinken Fellknäueln mir zu weit mehr als nur Grausen. Du möchtest doch nicht wahrhaft dafür verantwortlich sein, mich in eine solch prekäre Lage zu bringen und den eben erst gewonnenen Anschein von Ehre eines Senators und Pontifex mir damit zu entreißen?"
    Endlich löste sich die Ernsthaftigkeit aus seinen Zügen, er lehnte wieder sich zurück und ein nun tatsächlich schalkhaftes Lächeln überzog seine Lippen, so dass nicht gänzlich zu erkennen sein mochte, ob seine Worte waren humorig oder gar ernst intentioniert. Er nahm einen Schluck von dem überaus vorzüglichen Weingemisch und nickte sodann grave, dieses mal unzweifelhaft in ernster Absicht.
    "Das Amt eines Pontifex bringt wahrhaftig nicht nur Ehre mit sich, sondern gleichsam Pflichten. Einem Mann, welcher nicht bereit ist, diese Pflichten des Collegiums auf sich zu nehmen, gebührt auch nicht die Ehre, Teil dessen zu sein. Ein Pontifex muss über jeden Zweifel erhaben sein und mag dies womöglich der ein oder andere in den Reihen des Collegiums auch nicht wahrhaben wollen, so ist dies dennoch kein Grund, sich dem zu ergeben, und die Werte Roms mit Füßen zu treten. Niemand ist perfekt, selbst die Götter nicht, dennoch sollte dies niemanden davon abhalten, nach Perfektion zu streben."
    Obgleich Gracchus nicht unzufrieden war mit der Entwicklung, an Rom gebunden zu sein, so würde er auf Weisung des Collegiums ebenso pflichtgemäß bis ans hinterste Ende des Imperium Romanum reisen, obgleich kaum grauenvolleres er sich konnte vorstellen - doch bargen seine Worte nicht nur anerzogene Dogmata, sondern gleichsam eine tiefe, persönliche Überzeugung, welche bisweilen äußerst exorbitante Dimensionen konnte annehmen, vor allem in Hinblick darauf, dass er selbst der angestrebten Perfektion nicht im Geringsten war gewachsen, was regelmäßig dazu gereichte, ihn in tiefe Desperation ob dessen zu treiben, was nach Annahme des kultischen Amtes sicherlich nicht würde sich verringern.
    "Dennoch, ich werde darüber nachdenken, ob ich vertreten kann, dies mir freiwillig entgehen zu lassen."
    Auch dies waren nicht leere Worte, denn obgleich bereits in dem Wissen um die letztlich notwendige Antwort, sprach nichts niemals dagegen, eine Thematik mehr als einmal zu überdenken.

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  • Gebannt hing Epicharis an Gracchus' Lippen, als jener die Vergleiche aufzählte und schließlich eine kunstvolle Pause machte. Erwartungsvoll sah sie ihn an und wartete darauf, dass er den Satz vollendete - was er auch tat, allerdings gänzlich anders, als Epicharis es erwartet hätte. Bereits bei den ersten Worten zuckten die claudischen Mundwinkel überaus erheitert, und als Gracchus' Worte sich dem Ende neigten und er selbst lächelte, gingen die letzten Worte gar unter in Epicharis' losgelöstem Lachen, denn sie konnte sich nicht länger zurückhalten. Mit einer Hand vor dem Mund japste sie nach Luft, wohlwissend, dass es nicht gerade damenhaft war, mit hochrotem Kopf nach Luft zu schnappen und dabei zu kichern, als sei sie nicht neunzehn, sondern neun Jahre alt. Verhindern konnte sie es dennoch nicht. Es war einfach ein Freudentag, und ausgelassene Stimmung sollte an einem solchen Tag nicht gesellschaftlichen Zwängen unterliegen.


    Während Gracchus dann die Kehle mit Wein benetzte, versuchte Epicharis, sich wieder etwas zu beruhigen. "Ach Gracchus... Nie käme ich auf den hinterlistigen Gedanken, dich mit einer Maus zu bedrohen. Wobei die Vorstellung doch zugegebenermaßen höchst amüsant ist..." versicherte sie ihm dann. Epicharis schmunzelte zwielichtig und strahlte von Ohr zu Ohr.


    Das folgenge Gesprächsthema half ihr etwas, die Röte loszuwerden und den Atem zu mäßigen, und Epicharis trank selbst etwas, derweil Gracchus sprach. "Wenn du gestattest, bleibe ich dennoch bei meiner Feststellung, dass das Collegium einen tüchtigen Mann in seine Reihe berufen hat", entgegnete sie hernach und lächelte. Sie konnte sich nur wenige vorstellen, deren Gebaren und Art Gracchus' Perfektionsgrad erreicht hatte, doch das behielt sie für sich. Er würde ohnehin auch so verstehen, dass sie ihn sehr mochte und sich glücklich schätzte, zukünftig häufiger seine Gesellschaft genießen zu können. "Das würde mehr sehr freuen", entgegnete sie auf sein Versprechen, die Reisepläne noch einmal zu überdenken, und nickte. Eine kurze Pause trat ein, in welcher ein Sklave aus Gracchus' Gefolge sich leise räusperte. Oder war es doch ein claudischer Sklave gewesen?

  • Das hell klingende Lachen, welches mit Flügeln durch den Raum schwebte, so filigran und zart schimmernd wie diejenigen von Libellen, ließ das subliminale Lächeln auf Gracchus' Lippen ein Stück weiter noch seine Mundwinkel anheben. Unbezweifelt, Epicharis würde perfekt an die Seite Aristides' passen und allfällig auch die bisweilen ein wenig triste Stille der Villa Flavia zum Erzittern bringen. Obgleich Gracchus die sanfte Couleur ausgewogener Stille sehr zu schätzen wusste, viel mehr als das kakophonische Durcheinander reghaften Lebens, vermisste er bisweilen den heimlichen Klang erhabener Leichtigkeit und graziler Lebendigkeit, wie nur ein weibliches Wesen ihn vermochte erklingen zu lassen - abgesehen von seiner Gemahlin, wofür jedoch er sich selbst die Schuld zuschob.
    "So, so"
    , stellte Gracchus lakonisch fest.
    "Es würde dir also zur Freude gereichen, mir mit einem Nagetier zu dräuen. Nun denn, eines Tages mag dies geschehen, doch beklage dich dann nicht über meine Fußspuren auf dem Tisch, denn ich habe dich bereits im Voraus gewarnt."
    Ihre folgenden Worte kommentierte Gracchus nicht weiter, versuchte nicht erst, ihre Ansicht seiner Person zurecht zu rücken, sondern genoss den Nachhall der humorigen Atmosphäre, bis dass schlussendlich Sciurus' ein leises Räuspern hinter ihm vernehmen ließ. Ein Nicken quittierte die wortlose Verständigung zwischen Sklave und Herrn, ein Lächeln kräuselte hernach noch einmal Gracchus' Lippen.
    "Es ist stets die Pflicht, welche uns daran erinnert wie kostbar unsere Zeit ist, doch eben darum müssen wir ihr folgen. Indes, es war mir eine äußerst große Freude, ein wenig meiner Zeit auf solch angenehme Weise hier verstreichen zu lassen und ich danke dir dafür."
    Er erhob sich von der Kline.
    "Sofern wir Neuigkeiten von Marcus erhalten, werde ich dir darob eine Mitteilung senden lassen."
    In keinster Weise ahnte er zu diesem Zeitpunkt - wie auch später nicht - dass Epicharis weitaus mehr Nachrichten von Aristides würde erhalten, als die Bewohner der Villa Flavia. Mit dem ihr entgegen gebrachten Wunsch eines weiterhin angenehmen Tages verabschiedete Gracchus sich von Epicharis und verließ daraufhin die Villa, seinen Pflichten nachzugehen.

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