Cubiculum | Cnaeus Flavius Lucanus

  • ~ Die privaten Gemächer des Cnaeus Flavius Lucanus ~

  • Kaïlos heißt Du, nicht?, frage ich, als wir in meinem Zimmer ankommen. Der Knabe nickt stumm.
    Danke Kaïlos, sage ich, baden würde ich wirklich sehr gerne, und wenn ich etwas Obst, rohes Gemüse und Käse und Milch bekommen könnte, machst Du mich zum zufriedensten Menschen, der seit langem in diesem Raum lebte. Ja? Der Knabe nickt - wieder stumm.- Und geht und läßt mich allein.


    Arbeiten hier nur Taubstumme? Oder können die Kinder kein Latein? Ein Gedanke, den ich gleich wieder verwerfe, denn sonst hätte er ja meine Bitte und die von meinem Großonkel nicht verstanden. Mal sehen, was er mir bringt. Einen ordentlichen Schöpfer Puls tät's auch, aber der wird mir gehörig im Magen herumrumoren, das mag ich nicht.


    Während ich auf die Rückkehr des Knaben Kaïlos warte, packe ich meinen Sack aus, den ich auf das Bett hiefe und öffne. Die zwei ungetragene und geschonte Garnituren Festtagstuniken drapiere ich sorgfältig auf den Tisch, der im Raum steht, lege eine ausgeklappte Wachstafel aus Pinienholz darauf und beschwere das Arrangement mit einem metallenen Kerzenleuchter, um die Falten irgendwie herauszubekommen. Morgen will ich eine saubere Tunika tragen, wenn ich nicht mehr wie ausgewürgt rieche, will ich auch nicht mehr ganz so aussehen. Ich mache mir keine Illusionen: die selbstverständliche Eleganz des Manius Flavius Gracchus werde ich nie erreichen, ich bin ein Landbursch'. "Armer Landedler" hat mich Pedro manchmal verspottet, dann haben wir uns geprügelt bis einem von uns das Blut aus der Nase schoß.


    Ein paar verknautschte Sandalen stelle ich unters Bett, die Rollen mit meiner Schulausgabe der Aeneis, die ich eigentlich auswendig kann, und den Aufzeichnungen alten Wirrkopfs, der sich "Gesandter des Sohnes Gottes" nennt und am Strand von Flaviobriga Menschen Wasser über den Kopf gegossen hat. Dafür haben ihn Pedro und ich mal kräftig getaucht, aber meine Mutter hat mich damals sehr gescholten, man solle niemanden lächerlich machen und nicht den Schwächeren angreifen. Sie war so traurig, wenn ich jetzt daran denke, schießen mir wieder Tränen in die Augen.


    Kaïlos der Auch-Stumme kommt leise in das Zimmer, ich wische mir mit dem Ärmel übers Gesicht, er soll mich so nicht sehen. 'Danke Dir, prima', sage ich und drehe mich um. Auf einem anderen Tisch steht eine riesige Platte mit so viel Obst und Gemüse, als hätte Kaïlos einen ganzen Garten geplündert, und dabei auch noch ein Berg von Käse und ein Krug mit Milch. 'Willst Du mit mir essen, allein schaffe ich das bestimmt nicht', lade ich ihn ein, aber sein Gesicht macht keine Miene, er rührt sich nicht. 'Naja, hast wohl schon gegessen, was?' lächele ich immernoch. 'Wenn das Wasser heiß ist, dann ruf' mich doch", sage ich und setze mich und mache mich über die Berge her, ich bin ausgehungert und schaufele alles in mich hinein, trinke die kühle Milch, wische mir in den Eile mit dem Ärmel den Mund ab und denke daran, daßmeine Mutter mich immer ermahnt hat, ich solle >Manieren zeigen< und >mich benehmen<. Ich halte inne, setze mich aufrecht hin und zeige Mutter und der stummen Einrichtung des Zimmers meine Manieren.


    Wenig später kommt Kaïlos wieder und führt mich zum Bad.

  • Ich komme in mein Zimmer - und alles ist noch so, wie ich es verlassen habe: der Sack halb ausgepackt, die Bügel-Konstruktion auf dem Tisch mit dem Leuchter zuoberst, die Sandalen unterm Bett. Schnell wasche ich noch einmal meine Füße und schlüpfe dann umständlich in meine leichten Sandalen. Währenddessten werfe ich mir die dunkelrote Tunika über den Kopf, linker Arm, rechter Arm. Fast knitterfrei ist sie, das wird schon gehen. Außerdem ist ja noch das leichte Kettenhemd drüber, da sieht man die Knitter nur an den Ärmeln. Eheu - und fertigt. Ich schnappe mir einen kleinen Lederbeutet fpr stilus und Wachstafel, vielleicht muß ich mir in der Schola etwas aufschreiben. 'Geld? 2, 3, 4 Sesterzen, 3 Asse und 2 Semis, also 20 Asse. Na, wunderbar, ich werde nicht wissen, wohin mit meinem vielen Geld ... ob ich Gracchus frage, ob er mir etwas leiht? Oder wie soll ich "heute teilen sich diesen Besitz seine Enkel, seine Ur-Enkel, seine Ur-Ur-Enkel etcetera" verstehen? Einfach jemanden fragen, der mir etwas auszahlt? Wieviel? 10 Denare, damit komme ich sicher weit. Ich muß sehen, was die Studiengebühren kosten, Kost und Logis sind mal abgehakt.'


    Leicht bepackt - 'im Frühtau zu Berge ... nein, es ist schon soäter Mittag, das lassen wir das nächste mal weg' - verlasse ich mein Zimmer, nicht ohne den Sack unter mein Bett zu schieben. Muß ja nicht schon am ersten Tage aussehen, als wäre ich eine ganze Barbaren-Horde.

  • Wie es sein Herr ihm befohlen hatte, wartete der Grieche in der Nähe jenes Korridors, der zum cubiculum des Flavius Lucanus führte - hier musste er auf jeden Fall vorbeikommen, um zu seinem privaten Raum zu gelangen. Immerhin musste er ihm nur ausrichten, dass sein Großonkel ihn in seinem Arbeitszimmer erwartete ...

  • Ich will gerade in mein Zimmer huschen, da tritt Straton von hinten an mich heran.


    Eyeyey - habt Ihr mich aber erschreckt! Was schleicht Ihr Euch so an? Seid Ihr in geheimer Mission unterwegs? flüstere ich verschwörerisch.


    Mein Großonkel erwartet mich? Großartig. Warte, ich tue nur die Rollen - Lateinische Grammatikübungen, wißt Ihr - in mein cubiculum. Dann können wir ...


    So.


    Paratus sum.

  • Kurz zuckten die Mundwinkel des stoischen Griechen in die Höhe, dann meinte er nur: "Keine geheime Mission, nur eine Mission .. und ... ich weiss nicht, wie Du es in Hispania gewöhnt bist, dominus, aber hier in Rom ist es wohl üblich, dass man sich duzt. Die respektvolle Anrede einem Sklaven gegenüber wird hier ein bisschen von oben herab betrachtet, und ich fände es schade, würde Deine Höflichkeit von den anderen falsch interpretiert werden." Nach diesem in Güte vorgetragenen Hinweis führte Straton ihn in die Richtung des Arbeitszimmers, in dem sein Herr schon warten würde.

  • Danke vielmals, danke Dir vielmals, Straton, die stadtrömischen Usancen sind mir in der Tat unbekannt und fremd.


    Hat man ja heute Mittag gemerkt ... -.^


    Für Hilfe und Hinweise bin ich Dir stets dankbar, sei ruhig offen.


    Aber nicht nervig, gellt?


    Denn man los.

  • Ich lege die Tafel vorsichtig vor mir auf den Schreibtisch:



    Wer den Weg nicht hehr beschreitet,
    Der riskiert, dass im Halse ihm stecken bleibet
    Der goldene Löffel aus seiner Hand,
    In dessen Laffe er stets Weisheit fand.
    Vertraue der Krümmung in deinem Gesicht,
    Denn jene kennt das Rückwärts nicht.
    Wer stets gedenkt der Unsterblichkeit,
    Dem fällt zuteil die Heiterkeit
    Sich in des Lebens Rund zu laben,
    Nicht an des Weges Pfad zu zagen.
    Gegeben dir von deinem Stamme
    Glüht unersättlich eine Flamme,
    Steig du empor, hinauf nach oben,
    Wird unersättlich er dich loben,
    Fällst du hinab bis auf den Grund,
    Treibt er dich tiefer in den Schlund.
    Magst du wählen zwischen Rüben oder Kraut,
    Am Ende wird es nur in dir verdaut,
    Drum iss, um deinen Magen stets zu füllen,
    Deinen Geist in Höheres zu hüllen,
    Denn solange dich hehres Tun geleitet,
    Der Weg zum Gehen dir wird bereitet.


    Einmal lese ich sie mir durch, dann ein zweites mal. Ich nehme eine unbeschriebene Wachstafel und kopiere den Spruch



    Wer den Weg nicht hehr beschreitet,
    Der riskirt riskiert, dasz im Halse ihm stecken bleibet
    Der goldene Löffel aus seiner Hand,
    In dessen Laffe er stets Weißsheit fand.
    ~~~~~~~







    Klar, goldener Löffel - ich bin ein Flavier. Der Löffel in meiner Hand, nicht im Mund bin ich damit geboren, sondern habe ihn hier erst in die Hand bekommen. Aber habe ich Weisheit bislang gelöffelt? Am ersten morgen war es Puls, dann vieles andere, aber Weisheit?


    Die Warnung aber ist deutlich: "hehr soll ich schreiten" - was heißt "hehr" ... "hier" schreiten??? Nein, das muß etwas anderes bedeuten, das Wort kommt später nochmal vor. Also: "hehr" - wie auch immer - schreiten und so verhindern, daß ich eine 'reingewürgt kriege. Oder?


  • Wer den Weg nicht hehr beschreitet,
    Der riskirt riskiert, dasz im Halse ihm stecken bleibet
    Der goldene Löffel aus seiner Hand,
    In dessen Laffe er stets Weißsheit fand.
    ~~~~~~~


    Vertraue der Krümmung in deinem Gesicht,
    Denn jene kennt das Rückwärts nicht.




    Eine Anspielung auf meine Nase muß sein: ein wenig keck nach oben gebogen, auf deren Rücken ein kleiner Kobold wie auf einer Rutsche 'gen Himmel fahren konnte, hübsch geformt und gut geeignet, sie überall hineinzustecken. Also nicht nach Rückwärts schauen, sondern nach Vorne. Mir fällt auf, daß ich schon länger nicht mehr an Pedro gedacht habe, Pedro und ich, zwei unzertrennliche Schatten und jetzt?


  • Wer den Weg nicht hehr beschreitet,
    Der riskirt riskiert, dasz im Halse ihm stecken bleibet
    Der goldene Löffel aus seiner Hand,
    In dessen Laffe er stets Weißsheit fand.
    ~~~~~~~


    Vertraue der Krümmung in deinem Gesicht,
    Denn jene kennt das Rückwärts nicht.
    ~~~~~~~
    Wer stets gedenkt der Unsterblichkeit,
    Dem fällt zuteil die Heiterkeit
    Sich in des Lebens Rund zu lahben,
    Nicht an des Weges Pfad zu zagen.




    Unsterblichkeit? Bin ich unsterblich? Komischer Gedanke, erinnert mich an den wirren Alten, der die Leute getaucht hat und etwas von einer "unsterblichen Seele" gefaselt hat. Haben mich die Götter vielleicht zum Heros ausersehen? Werden sie mich in Gestalt eines sidus Flavium zu sich entrücken? Eigenartige Vorstellung, also ich meine, auch der Kaiser ist ein Gott, aber wie fühlt sich das an? Wird man als Gott geboren oder ist man es einfach - plumps - oder wie? Hat den Kaiser schonmal jemand gefragt, ob er spürte, wie er zum Gott wurde? Körperlich oder geistig?


    Oder meint der Satz, ich solle mir über meine Sterblichkeit keine Gedanken machen? Keine Sorge, ich bin erst neunzehn, über den Tod nachzudenken ist was für Leute wie meine Onkels, nicht, daß die schon so alt wären, daß sie gleich einen Abgang machen, aber in dem Alter wird's doch wohl langsam virulent, oder? Also, keine trüben Gedanken, nicht an den Tod denken, dann lebe ich in Heiterkeit, kann mich am Leben laben und mache einfach meinen Weg - nicht zurückschauen und nicht zu weit nach Vorne schauen. Prima.


  • Wer den Weg nicht hehr beschreitet,
    Der riskirt riskiert, dasz im Halse ihm stecken bleibet
    Der goldene Löffel aus seiner Hand,
    In dessen Laffe er stets Weißsheit fand.
    ~~~~~~~


    Vertraue der Krümmung in deinem Gesicht,
    Denn jene kennt das Rückwärts nicht.
    ~~~~~~~
    Wer stets gedenkt der Unsterblichkeit,
    Dem fällt zuteil die Heiterkeit
    Sich in des Lebens Rund zu laben,
    Nicht an des Weges Pfad zu zagen.
    ~~~~~~~
    Gegeben dir von deinem Stamme
    Glüht unersättlich eine Flamme,
    Steig du empor, hinauf nach oben,
    Wird unersättlich er dich loben,
    Fällst du hinab bis auf den Grund,
    Treibt er dich tiefer in den Schlund.




    Klar, ein Flavier bin ich - und ein Lucanus dazu noch, einer, der - zum Licht gehörig - die Welt erhellt. Ich bin das Licht aus dem Westen, ex Hispania lux quasi, ex occidente lux klingt vielleicht etwas blöd, denn die Sonne geht ja nicht im Okkident auf. Und feurig, mein lieber Mann, feurig sind wir Flavier allemal. Und wer das nicht glaubt, dem mach' ich schon Feuer unter'm Hintern.


    Wer er? Der Stamm? Radix Flavii? Natürlich, wer hat, der kriegt's noch 'reingedrückt, wer nicht hat, der wird noch ausgeplündert, wer den Schaden hatt, spottet jeder Beschreibung. Meine Familie ist also kein Halt, wenn ich mal Mist baue, also richtigen Mist, nicht nur Vogeldreck. Also aufpassen.


  • Wer den Weg nicht hehr beschreitet,
    Der riskirt riskiert, dasz im Halse ihm stecken bleibet
    Der goldene Löffel aus seiner Hand,
    In dessen Laffe er stets Weißsheit fand.
    ~~~~~~~


    Vertraue der Krümmung in deinem Gesicht,
    Denn jene kennt das Rückwärts nicht.
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    Wer stets gedenkt der Unsterblichkeit,
    Dem fällt zuteil die Heiterkeit
    Sich in des Lebens Rund zu laben,
    Nicht an des Weges Pfad zu zagen.
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    Gegeben dir von deinem Stamme
    Glüht unersättlich eine Flamme,
    Steig du empor, hinauf nach oben,
    Wird unersättlich er dich loben,
    Fällst du hinab bis auf den Grund,
    Treibt er dich tiefer in den Schlund.
    ~~~~~~~
    Magst du wählen zwischen Rüben oder Kraut,
    Am Ende wird es nur in dir verdaut,
    Drum isz, um deinen Magen stets zu füllen,
    Deinen Geist in Höheres zu hüllen,





    Essen ist wichtig. Gut erkannt. Rüben und Kraut sind zwar nicht gerade mein Ding, aber gut, ist ja nur 'ne Metapher, denk' ich mal. Egal, was oben 'reinkommt, ich mach' mein eigenes Ding draus. Nur Mist darf am Ende nicht herauskommen, also eben nicht biologisch, sondern metaphorisch.


    Geist in Höheres hüllen; Luca, der seinen Kopf in den Wolken hat, naja, wer seinem Kopf vollnebelt, kriegt nichts mehr mit und stolpert, das ist es also nicht. Aber mich bilden, das wird gemeint sein? Viel lernen, darum bin ich ja auch in Rom, darum und nur darum.


  • Wer den Weg nicht hehr beschreitet,
    Der riskirt riskiert, dasz im Halse ihm stecken bleibet
    Der goldene Löffel aus seiner Hand,
    In dessen Laffe er stets Weißsheit fand.
    ~~~~~~~


    Vertraue der Krümmung in deinem Gesicht,
    Denn jene kennt das Rückwärts nicht.
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    Wer stets gedenkt der Unsterblichkeit,
    Dem fällt zuteil die Heiterkeit
    Sich in des Lebens Rund zu laben,
    Nicht an des Weges Pfad zu zagen.
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    Gegeben dir von deinem Stamme
    Glüht unersättlich eine Flamme,
    Steig du empor, hinauf nach oben,
    Wird unersättlich er dich loben,
    Fällst du hinab bis auf den Grund,
    Treibt er dich tiefer in den Schlund.
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    Magst du wählen zwischen Rüben oder Kraut,
    Am Ende wird es nur in dir verdaut,
    Drum isz, um deinen Magen stets zu füllen,
    Deinen Geist in Höheres zu hüllen,
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    Denn solange dich hehres Tun geleitet,
    Der Weg zum Gehen dir wird bereitet.




    Und hier wieder: hehres Tun, was genau das sein soll, aber es ist wichtig. Morgen gehe ich gleich in die Bibliothek der Schola und schaue nach, irgendwo werde ich sicherlich was finden. In einem Heldenepos sicher, Ovids Metamorphosen vielleicht. Also "hehres Tun" und dann tut sich ein Weg auf.


    Auf Märkten habe ich schon tolle Weissagungen bekommen, viele Frauen, viele Kinder, viele Schatullen mit Geld, viele Ländereien und was man noch so vieles tolles kriegen kann. War aber nie so verklausuliert ausgedrückt, sondern klar und geradlinig. Ich und emporsteigen? Luca, spinn' dich ab.


    Jetzt werde ich erstmal hehr schlafen und dann morgen sehen, welcher Weg mir bereitet ist.

  • Nach einem langen und erholsamen Schlaf, dem Schlaf der Gerechten und der Kleinkinder, die auf der Brennsuppe dahergeschwommen kommen, wache ich tatendurstig auf. Facta! Non Ficta! Echte Abenteuer will ich erleben, nicht nur welche im Kopf.


    Mein Besuch bei Sibylle war ein echtes, aber nur ein kleines Abenteuer, der Orakelspruch dagegen ... die Götter haben's mir im Schlaf nicht eingeflüstert, was es denn zu bedeuten hat, das Wörtchen "hehr". Vielleicht irgendwas mit "gerade" oder "aufrichtig". Mutter hat immer gemeint - nein, nicht: das Leben ist wie eine Konfektschale, man weiß nie, was man bekommt - sondern: verbieg' Dich nicht und laß' Dich nicht verbiegen. Achte Dich und Deine Wurzeln sowie alle Menschen, die Dir begenen. So in etwa.


    Jetzt werd' ich erstmal mich selbst achten, beziehungsweise meinen Magen. Früh-Stück! Morgens um ... wie spät haben wir's ... in Rom. Ich schütte mir Wasser ins Gesicht und schlupfe in meine Sandalen und eine neue Tages-Tunika. Die Toga ziehe ich nachher an.

  • Es ist Abend geworden, draußen ist es dunkel. Das romantisch mit Worten zu umschreiben ist völlig sinnlos, denn es ist nur dunkel. Nicht einmal der Mond scheint hell.


    Also: Draußen dunkle Dunkelheit. Ich habe eben aus dem Fenster geschaut, nicht einmal eine Fackel eines Begleitsklaven fackelt, keine Sterne am Firmament sternen, Lastkarren karren nicht, die später Betrunkenen betrinken sich gerade irgendwoanders, um mich nachher am Schlafen zu hindern.


    Meine Augen schmerzen ein wenig, meine Konzentration ist nun endgültig flöten. Drecksdissertationes, depperte. Ich lasse mich laut aufstöhnend in in die Stuhllehne fallen, wie von einer Kugel zurückgeschleudert in meinen Sitz.


    Kugel? Schleuder? Dido! Ah! Die hätte heute eigentlich aufkreuzen sollen. Konjunktiv. "LAAS!" krähe ich, damit der Bengel mich hört, während er im Gang auf dem Klappstuhl Faxen macht.


    "Du suchst Straton. Straton sucht Hannibal, Hannibal sucht Dido. Und dann kommen Straton, Hannibal und Dido zu Dritt zu mir. Jetzt. Prompte. Wennich' wird heut' Karthago ein zweites Mal untergepflügt. Und Du schaust, daß Du in der Hausbibliothek etwas zur Blutsgerichtsbarkeit der Samniten findest. Laß' Dir Zeit. Geh' 'was nachher essen. Ab!"


    Das hämisch-schadenfrohe Grinsen von Lars will ich jetzt nicht sehen. Völlig abgedreht ist er. Trägt schon den ganzen Tag eine weiße Leinenbinde um den Kopf und hat sich mit roter Tinte Blutflecke aufgemalt. Leider auf der falschen Seite, was den Realismus empfindlich mindert. Aber vielleicht ist ja eine Ausbildung als Requisiteur an ihn nicht verschwendet.

  • Als Lars den Griechen dort vorfand, wo er sich des Abends meist aufhielt - in seiner privaten Kammer nahe der Räumlichkeiten seines Herrn, war Straon gerade damit beschäftigt gewesen, eine Rechnung fertigzustellen, die sich mit den Ausgaben des Aquilius beschäftigte, man konnte die Perlen des Abakus leise klicken hören, bevor die Stille durch Lars' Stimme gestört wurde. Ob des Aufzugs des Jungen verlor er kein Wort, immerhin war dies einer der Sklaven des Lucanus, und erst wenn er seinem Herrn unter die Augen kommen würde, hörte sich an, was er zu sagen hatte, und schloss seine Arbeit mit dem Hinweis ab, dass er gleich kommen würde.
    Erst als das Tintenfass verschlossen, der Abakus ordentlich verstaut und die Schriftrolle mit einem Lederband zusammengefasst worden waren, verließ der Grieche seine Räumlichkeit und schritt durch die ville hin zu Hannibals Quartier, an dem er klopfte, und dann eintrat, in der Hoffnung, den Sklaven dort auch vorzufinden. Wie so oft sah man ihm seine Gedanken nicht an, die dunkelblaue tunica, die er in der villa oft trug, wirkte im Zwielicht des spärlich erhellten Korridors fast wie schwarz gefärbt, und das stoisch anmutende Antlitz des Griechen hätte aus Stein gemeißelt sein können, so sehr ähnelte er an diesem Tag einer Statue.
    "Hannibal? Bist Du da?"

  • Long long time ago, once upon a time...Lang war es her und doch war keine Sekunde vergangen seit dem Augenblick, in dem eine Tür geöffnet wurde und eine Stimme sich erhob. Doch was lange währt, wird endlich gut, so wollen wir es doch mal hoffen, werter Leser...


    Bist Du da...da...? Die Frage verhallte in der Sklavenunterkunft, die Hannibal, höchst offiziell, mit der anderen Sklavenschaft teilte. Offiziell verstand sich natürlich, denn seit Wochen war er keine Nacht hier aufzufinden, mal nächtigte er an Orten, die außerhalb der Villa lagen, sogar die meisten Stunden von Nox verbrachte er nicht in der Villa, oder er nutzte den Luxus eines herrschaftlichen, aber gähnend leeren Raum. Natürlich höchst inoffiziell. Aus diesem Grund war er deswegen auch nicht hier zu finden und ein andere offizielle Unterbringung besaß Hannibal nicht. Wie war es so schön? Wenn die Katze außer Haus war, dann tanzten die Mäuse auf dem Tisch. Auch das konnte man in Hannibals Fall behaupten. Eine Gestalt drehte sich zu dem Sklaven des Aquilius um, ein älterer Knecht, der schon unter Felix und unter Sica in der Villa gedient hatte, Gutus war sein Name. Alte Narben zeigten sich auf seiner grau ungesunden Haut, sein Körper wurde von einem Hustenanfall geschüttelt zwischen dem er hervor presste: „Ist...“ *Keuch* „...nicht....“ *Hust* „...hier!“ *kräftighust* Gutus widmete sich wieder seinem Husten und hielt sich eine alte Tunika vor den Mund, ignorierte dabei weiter den Sklaven. Wie nun die Befehlsstrukturen in der Villa war, wusste Gutus schon seit einigen Wochen nicht mehr. Früher war es klar. Sica, der sagte, alle Sklaven machten. Dann kam halt Sciurus und trat in die Fußstapfen von Sica. Aber jetzt schien es mehrere Verwalter im Haus zu geben. Gutus machte es sich einfach, er hörte auf den Nachfolger von Sica, vor dem er noch einen Heidenrespekt hatte, egal ob man von dessen Tod munkelte oder nicht. Gutus traute es Sica durchaus zu, dass er sie selbst aus dem Reich der Toten noch bestrafte. Womöglich sah der eiserne und stoische Sklave Sica darin sogar noch eine Beförderung...der Tod! Gutus hustete und ließ sich auf das Lager fallen, wahrscheinlich würde er es bald erfahren, ob Sica das so sah oder nicht. Im Tartaros, wo sie Beide gewiss landeten.


    Aber genug an Gutus und Sica-Erinnerungen...schweifen wir doch ab und zwar zu einer anderen Stelle der Villa, der nahe des Zimmers von Lucanus lag. Der Ort? Ein Gang in der Villa.


    Dido machte ihrem Namen alle Ehren, denn sie schritt wie eine kleine Majestät durch den Gang der Villa Flavia. Dass sie dabei nur eine einfache Sklaventunika trug und keine Krone, noch ein Zepter besaß, störte sie nicht im Geringsten. Im Moment fühlte sie sich wie eine Königin, die in eine Feldschlacht, in einen Krieg ziehen wollte. Ihr General? Die kluge und umsichtige Asny, die ihr den Plan für das weitere Vorgehen geliefert hatte. Und wenn man einer Konfrontation nicht ausweichen konnte, dann musste man sich ihr mit den besten Waffen stellen, die man hatte. Und was waren diese Waffen, die Dido so zuversichtlich machte? Asny...Asny und noch mehr Asny und gnadenlose Lügerei, etwas, was Dido selbst im Halbschlaf gekonnt hin bekam, wenn ihre Lügen auch nicht immer Hand und Fuß hatten und leicht zu durchschauen war. Nicht wegen der Art, wie Dido sie vor trug. Nein, das war sehr glaubhaft. Sondern weil die Lügen einfach ab und an recht unsinnig wurden. Trommelwirbel, Fanfarenstoß...alles gewiss nur in der Phantasie der kleinen Dido und schon war sie bei der Tür von Lucanus angelangt.


    Massiv war die Tür, vor der Dido nun stand. Eben noch mit einem optimistischen Ausdruck auf ihrem runden Mondgesicht, so schlich sich nun doch Skepsis und Beklommenheit in die kindlichen Züge. Die Peitsche drohte schließlich immer noch, selbst wenn sie in der Villa gehört hatte, dass Lucanus fast so irenisch wie ein gewisser Flavier war, der mit den Initialen C.F.A. unter den Flaviern und Sklavenschaft bekannt war. Dennoch...die Peitsche. Dido seufzte und hob die Hand, ließ sie wieder sinken, hob sie erneut und kämpfte mit sich selber. Doch wenn sie jemals ihre Schleuder, an der sie wirklich hing, wieder sehen wollte, dann musste sie da jetzt schon durch. Dido sah noch mal über ihre Schulter, als ob sie sich dort etwas Mut holen wollte und klopfte schließlich doch an der Tür. Und da Dido nun mal Dido war, hatte sie, wenn sie schon mal einen Entschluss gefasst hatte, keine Geduld lange zu warten. Ehe auch nur ein Herein ertönen konnte, riss Dido die Tür auf und spazierte in den Raum hinein. „Saaalve, Dominus Lucanus! Hier bin ich!“ Das war wohl schwer zu übersehen. ;)

  • Was ist Zeit für einen Unsterblichen? Was ist Zeit für einen, der ewig ist? Sind tausend Jahre für ihn wie der Tag, der gestern vergangen ist, wie eine Wache in der Nacht? Oder währen Minuten wie Tage, Stunden wie Wochen? Ich weiß es nicht, vielleicht bin ich auch gerade nur ein Viertelstündchen eingeschlafen nach dem langen und anstrengenden Tag (meinen tausend Jahren als Sterblicher).


    "Nicht zu überhören, salve", entgegne ich mit einem tendenziell schnippischen Tonfall. Also Dido. Und wo hat sie Straton und Hannibal gelassen? "Du bist allein? Ich hatte Straton nach Dir und Hannibal geschickt." Daß vom einem Ganzen nur ein Drittel erfüllt wird, erscheint mir erklärungsbedürftig.

  • Oh, oh, oh, der hat aber eine schlechte Laune! Lag das etwa an Dido? Einen solchen Zusammenhang konnte Dido nicht erkennen. Nein, sie vermutete ihn noch nicht einmal. Mit einem unschuldig kindlichen Ausdruck blinzelte sie und tat das, was sie eigentlich am Besten konnte. Lügen, dass sich die Balken bogen. Die Hände an die Seite gepresst, die grünblauen Augen auf den Boden gerichtet, scheinbar devot. „Dominus, ich weiß nicht, wo Straton ist, Dominus. Ich bin ihm nicht begegnet. Hannibal hat wohl einen Auftrag zu erledigen. Für seinen Herrn in Pattia! Er hat mich alleine geschickt. Tut mir Leid, Dominus!“ Von wegen, ein Grinsen unterdrückend, es sollte ja ihre Lüge nicht enttarnen, schließlich hatte sie nie Hannibal davon in Kenntnis gesetzt, blieb sie stehen und harrte der Dinge, die nun kommen mochten.


    Doch da fiel es ihr siedend heiß ein. Straton war geschickt worden. Oh verflixt und zugenäht, womöglich fand er noch Hannibal, dann würde es aber zwei Mal großen Ärger heute geben. Einmal bei Dominus Lucanus und ein zweites Mal bei Hannibal. Der Anflug eines Lächeln, was ihre Lippen erreichen wollte, schwand mit einem Schlag als diese Erkenntnis durch ihre Gedanken rauschte und sie erschrocken blinzeln ließ. Immerhin wirkte sie dadurch passenderweise blass, als ob sie der Bestrafung und dem Donnerwetter von Lucanus fürchtend entgegen sah. Was sie auch gewiss tat. Nur um es noch mal zu erwähnen: Die Peitsche, die Peitsche. Kaum etwas, was Dido mehr fürchtete, war die Drohung, ausgepeitscht zu werden. Eine Strafe, die sehr wirkungsvoll bei ihr war. Aber welcher normale Mensch mochte schon Schmerzen? Dido blinzelte kurz nach oben, um zu erkennen, ob ein solches ledernes Ungetüm bereits in den Händen von Lucanus lag.

  • Man hat's schon schwer. Als ich die Dido da zu mir bestellt hatte, fand ich das alles noch ganz einfach, ein Löffelchen dignitas, eine Messerspitze virtus, ein Gran honor vermengt mit ein paar Spritzern Freundlichkeit und heraus kommt ein friedvoll-freudiger Eierkuchen.


    Stattdessen merke ich deutlich, wie mir das irgendwie naja, doch auf die Nerven fällt, nichts klappt. Die Göre wirkt wie ein stilles Wasser - tief und dreckig, ballert mit Glaskugeln herum und ist dann doch total nah am Wasser gebaut. Flennende Kinder - igitt.


    Frauen sollen Kinder erziehen - aber wo gibt es hier in diesem Haus eine Frau? Tante Claudia Antonia? Ha! Sie wird ent-zückt sein, wenn ich ihr eine zu kurz geratene Sklavin schicke, die erzogen werden sollte. Pfft. Alles muß man selbst machen, nichtmal Straton ist hier.


    "Aha." Hannibal hat sie alleine geschickt. Wahrscheinlich hat der auch keine Lust, sich mit der Kleinen herumzuplagen. Und jetzt hab' ich den schwarzen Luca. Boah, naja, vielleicht ist sie ja nicht so, wie sie wirkt. Und irgendwann wird auch Straton wieder auftauchen, aus dem Nichts, wie immer, aber wenigstens. Straton drückt sich nicht - warum also nicht das Problem an ihn delegieren? Bis dahin improvisiere ich mal ein wenig.


    "Und? Was ist Deine Ehre Dir wert? Hast Du Dir eine adäquate Strafe überlegt?" Soviel Torte essen, wie reingeht, einen ganzen Tag nichtstun, fünf Minuten schweigen - irgendwas derartiges?

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