Balneum | Cnaeus Flavius Lucanus

  • [Wenig später kommt Kaïlos wieder und führt mich zum Bad.]


    Die Wasseroberfläche ist dunkel und wird nur von wenigen Fackeln beschienen. Ich streife meine speckige Tunika ab, die Kaïlos in einer Bewegung aufhebt und verschwinden läßt. Dann lasse ich mich nackt in das heiße dampfende Wasser gleiten, schließe die Augen, lasse mich treiben, treiben hinaus auf das große dunkle Meer, den Okeanos ohne Grenzen ... ... ...

  • Fast schlafe ich in dem heißen Wasser ein, an das sich mein Körper ziemlich bald gewöhnt hat. Oder schlafe ich ein? Mit dem Dreck, der sich in alle Fugen und Poren meiner Haut im Laufe der letzten Wochen gesetzt hat, weichen auch meine Gedanken auf. Die Klarheit und Schärfe, die einem das kühle, salzige Meerwasser verleiht und das die Gedanken in kleinen salzigen Kristallen bewahrt, läßt das heiße Wasser formlos und wabernd werden, wie nach einem Krug schweren Weines. Und irgendwann bin ich weg. Kein Gedanke, kein ich, kein Körper, kein -


    Nach völlig unbestimmter Zeit wache ich auf, mein Nacken schmerzt, der Kopf ist mir auf die Brust gesunken, während meine Arme, am Beckenrand eingehakt, meinen Oberkörper über Wasser hielten. Ich fühle mich wie ein Stück aufgedunsenes Schweinefleisch mit Schwarte und beschließe, daß jetzt genug ist. Ich drehe mich um und stemme mich aus dem Wasser. Auf einem Tischchen liegen Handtücher, kleine und große. Ich trockne mich ab, schlinge mir eines um die Hüften, meine nackten Füße fühlen die gewärmten Fliesen. Ich schlüpfe vorsichtig und leise aus dem balneum.


    Draußen scheint es schon zu dämmern, Vögel zwitschern und keckern von irgendwoher herein, vorsichtig, wie Theseus im Labyrinth husche ich nur mit dem Lendenschurz bekleidet, durch die Gänge. Der Boden unter meinen Füßen ist kühl, auch die Luft ist noch nicht wirklich warm, der Unterschied zwischen der Wärme des Bades und der Außenwelt fühlt sich größer an, als er sicher ist.

  • Theseus späht hinter einer Ecke hervor in den nächsten Gang des Labyrinths. In seiner linken hält er das Ende des Fadens, das ihm Ariadne gegeben hat, in seiner Rechten sein Schwert, mit dem vereint er schon viele Kämpfe gegen wütende Barbaren und hinterlistige Feinde bestanden hat. Theseus schaut sich um, sichert seine Rückseite durch einen kurzen Scheinausfall und wirft sich dann um die Ecke.


    Fast gerät er in eine der Fallen im Labyrinth, er stößt gegen einen großen Krater, der mit giftigen Flüssigkeiten gefüllt ist. Mit einer fast übermenschlich schnellen Bewegung kann er das schwankende Gefäß auffangen, sodaß nichts von dem todbringenden Inhalt auf ihn schwappt. Theseus keucht, hebt sein Schwert und das Ende des Fadens auf und schleicht weiter, immer tiefer in das Labyrinth, die Wände werden immer grober, kaum Licht dringt mehr in die Gänge ...


    ... da riecht der junge muskulöse Krieger etwas: eine Mischung aus - Abfällen? - menschlichen, verwesenden Körperteilen? ... er folgt dem Geruch, denn Theseus ist sich sicher, daß dort das Monstrum, der Stier des Minos haust, im Zentrum des Irrgartens, wo er seine Opfer verspeist. Langsam pirscht sich Theseus an den Eingang - eine halbgeöffnete Holztür! - packt entschlossen sein Schwert und stürmt in den Raum!

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