officium TAU | Eine neue Serva

  • Bei ihrem kleinen Versprecher mußte Ursus dann doch schmunzeln. Wer auch immer ihr Opfer für die Übungen gewesen war, tat ihm tatsächlich leid. Bestimmt war das nicht leicht zu ertragen gewesen. Gut, daß sie sich so beeilte, ihm etwas zu essen zu holen. So hatte sie sein Schmunzeln hoffentlich nicht gesehen.


    Das Essen, das sie mitbrachte, war jedenfalls hervorragend ausgewählt. So großartig hatte er sich das gar nicht vorgestellt. Brot, Käse und Oliven hätten ihm völlig gereicht. Doch natürlich beschwerte er sich nicht, dafür war er viel zu hungrig. Nur die Portion war etwas sehr reichlich bemessen.


    Als erstes goß er sich etwas verdünnten Wein in den Becher und trank einen Schluck, dann brach er sich etwas Brot vom noch warmen Fladen und biß herzhaft ab. "Hm, das ist wirklich gut." Daß Caelyn auch hungrig war, konnte er ja nicht ahnen.


    "Du sagtest, Du kannst lesen und schreiben. Wie gut schätzt Du Dich ein?"

  • Na, wie schön, daß es dir schmeckt!, dachte ich, während mein Magen zu knurren begann. Wie gerne hätte ich jetzt auch zugegriffen! Ach es war wirklich ein Jammer! Das sah alles so lecker aus. Er legte aber auch wirklich einen Appetit an den Tag! Wenn das so weiter gehen würde, wäre am Ende nichts mehr für mich übrig!


    "Ja, lesen und schreiben hab ich gelernt! Ist allerdings schon´ne Weile her!" beantwortete ich seine Frage und lenkte mich dadurch auch von meinen Gedanken ans Essen ab.
    Diesmal wollte ich nicht mit irgendwelchen Fähigkeiten prahlen, die ich eigentlich nicht in Perfektion berherrschte. Die Sache mit der blöden Toga hatten mir gereicht!

  • Das Magenknurren war ja nicht zu überhören. Ursus blickte überrascht auf. "Hast Du Hunger, Caelyn? Hast Du heute Mittag nichts zu essen bekommen? Warum nicht?" Normalerweise speisten die Sklaven regelmäßig zu sogar einigermaßen festen Zeiten. Wer gerade beschäftigt war, holte das eben nach, wenn die anderen fertig waren. Hungrig blieb in diesem Haus normalerweise niemand.


    "Also komm, setz' Dich her und iß mit, es ist ja ohnehin viel zu viel für eine Person." Das war zwar absolut unüblich und eigentlich auch unangemessen, aber in diesem Moment war ihm das egal. Es gab ihm ja auch Gelegenheit, die junge Frau besser kennenzulernen. Und das konnte auf keinen Fall ein Fehler sein.


    "Und danach werden wir mal sehen, wie weit es mit Deinen Künsten her ist. Es wäre mir recht, wenn Du in der Lage wärst, normale Botschaften zu verfassen oder zu lesen." Sie mußte ja kein Scriba sein. Aber normale, private Nachrichten verfassen können, wäre schon praktisch.

  • Mein Magenknurren war wirklich nicht zu überhören. Das trieb mir dann auch gleich wieder die Röte ins Gedicht, als er es dann auch bemerkte.
    "Nee, ich hab noch nichts gegessen! Hatte noch keine Zeit dazu. Eigentlich wollte ich gerade gehen, als du kamst." antwortete ich etwas verschüchtert.
    Dann nahm ich neben ihm Platz und nahm mir ein Stückchen Brot. Kauend sah ich ihn an und war eigentlich doch dankbar dafür, daß er mir dieses Angebot gemacht hatte. "Mhm, ist echt gut!"
    Vielleicht war er ja doch nicht so hochnäsig, wie ich ihn nach dem ersten Abend eingeschätzt hatte. Es war schon ein bißchen komisch, wie ich da so neben ihm saß.
    Unsicher griff ich noch nach einem Stückchen Thunfisch. Immer noch rechnete ich damit, daß er mich jeden Moment fortjagen könnte. Römern konnte man eben nie trauen!

  • Ursus war viel zu hungrig, um sich Gedanken über ihre Unsicherheit zu machen. Er griff tüchtig zu. "Na, es ist doch schon Nachmittag. Caelyn, ich bin zwar früher zuhause, weil ich auf die Thermen heute mal verzichtet habe, aber Du solltest wirklich sehen, daß Du mittags ißt. Es ist niemandem damit geholfen, wenn Du hungerst. Und nötig ist es auch nicht. Sklavenleben mag etwas schlimmes sein. Auch in diesem Haus. Doch wenigstens hungern mußt Du hier nicht."


    Er nahm sich eine Olive und zerkaute sie dann genüßlich. Ach, das war wirklich gut. Er hätte ebenfalls mittags etwas essen sollen. Aber irgendwie war ihm die Zeit davon gelaufen.


    "Ich möchte, daß Du mich morgen in die Stadt begleitest. Ich benötige neue Togen. Normalerweise lassen wir den Schneider herkommen, doch ich möchte, daß Du Dir alle seine Stoffe ansiehst, daher werden wir hingehen. Anscheinend hast Du ein gutes Gespür für solche Dinge, daher sollst Du mich bei der Auswahl beraten." Und außerdem konnte er dann gleich mal prüfen, wie sie sich anstellte und ob man sie mit dergleichen Aufträgen betrauen konnte.

  • Ja, das stimmte! zu essen bekam man hier reichlich, nur mußte man auch dran denken, essen zu gehen! Schelmisch stibitze ich mir auch noch eine Olive und aß sie ebenso genüßlich. Offensichtlich hatten wir den gleichen Geschmack. "Na, ich werd sicher nicht von den Knochen fallen. Früher konnte es passieren, daß ich einige Tage nichts zu essen hatte."


    Ich wurde dann auch richtig hellhörig, als er davon anfing, mit mir in die Stadt gehen zu wollen. "Wirklich! Ich darf mit in die Stadt! Oh, da freu ich mich aber richtig! Danke!" Freudestrahlend sah ich ihn an, Ich hätte ihn glatt küssen können, aber das ließ ich doch besser sein, bevor er vielleicht noch auf dumme Gedanken kam!
    "Ich kann dir da bestimmt gut helfen!" pflichtete ich ihm auch gleich bei, nicht daß er vielleicht dann doch noch einen Rückzieher machen würde.
    So eine Stadt wie Rom hatte ich noch nie gesehen. Gegen Rom war Augustodunum ein Kuhkaff!

  • "Das kann Dir nun nicht mehr passieren, Caelyn." Ursus blickte sie prüfend an. Naja, allzu viel hatte sie wirklich nicht auf den Rippen. Aber das würde sich hier schon geben. Hübsch war sie. Wahrhaftig hübsch.


    Er hatte keine Ahnung wie es war, mehrere Tage nichts zu essen zu bekommen. Doch er hatte eine grobe Vorstellung davon, daß es entsetzlich sein mußte. Schmerzlich, erschöpfend, die Sinne verwirrend.


    Nein, das war wirklich eine Erfahrung, auf die er gut verzichten konnte. Ihm reichte es zu wissen, daß es Menschen gab, die so etwas erdulden mußten. Um zu wissen, daß es schrecklich sein mußte, brauchte er es nicht selbst zu erleben.


    Der Fisch war wirklich gut. Und ihn zu essen war besser, als über Hunger nachzudenken. "Ja, Du darfst mit in die Stadt. Wenn ich schon ein Vermögen für Togen ausgeben soll, dann will ich auch, daß sie perfekt zu mir passen. Ich hatte den Eindruck, daß Du einen ausgezeichneten Geschmack hast, was Kleidung betrifft. Was Du nicht weißt, kann Dir der Schneider erklären." Immerhin war sie ja nun für seine Kleidung zuständig. Im Grunde war es ein Teil ihrer Einarbeitung.

  • "Mhm!" machte ich auf seine Worte. "Ein Vermögen willst du ausgeben! Aha! Da kann ich dir sicher behilflich sein, öhm, ich meine bei der auswahl der Togen und so." grinste ich.
    Vielleicht wäre ja das die Chance, um erstens hier weg zu kommen und zweitens, bevor ich hier wegkommen würde, könnte ich ihn vorher noch etwas von seinem Vermögen entlasten. "Ja, das wird sicher lustig werden!" Ich stellt mir gerade unseren netten Spaziergang durch die Stadt vor. Aber warscheinlich würde er sich per Sänfte durch die Stadt tragen lassen und ich müßte dann nebenher traben.
    "Sag mal, hast du vielleicht irgend ´ne Lieblingsfarbe oder ´ne besonere Vorliebe für gewisse Stoffarten?" fragte ich, um einfach mal die Qualität unserer Konversation etwas anzuheben. Außerdem war ich jemand, der sehr gerne mal einen netten Plausch über Gott und die Welt hielt.

  • "Nein, Caelyn, ich will kein Vermögen ausgeben, die Familie wünscht, daß ich weitere Togen anschaffe, damit ich sie bei der Ausübung meines Amtes nicht blamiere. Das ist ein Unterschied. Ich für meinen Teil finde meine Ausstattung ausreichend. Ich bin schließlich nur Vigintivir und nicht Censor." Vielleicht würde er ja doch mit seinem privaten Geld auskommen, obwohl das nicht viel war zur Zeit. Ihm wäre es wahrhaftig lieber so.


    Es war gut, daß er nichts von ihren Fluchtgedanken wußte. Und noch besser, daß er nichts von ihren Diebstahlsabsichten ahnte. Das hätte ihn sehr enttäuscht und sie wäre sicherlich für die Zukunft in der Küche gelandet. Im Moment glaubte er, daß sie eigentlich ganz zufrieden mit ihrem Schicksal war. Wozu sie ja auch allen Grund hatte.


    "Lieblingsfarbe? Nicht direkt. Ich finde, Dunkelblau steht mir ganz gut. Aber laß Dich davon nicht einschränken. Ich wünsche eine Rundumberatung von Dir. Auch was Stoffarten angeht. Bei Togen ist es wichtig, daß der Stoff nicht zu schwer ist und schön fällt. Der Schneider wird Dir schon zeigen, welche Sorten dafür in Frage kommen." Er kannte sich damit nicht sonderlich gut aus.

  • Na gut, also kein Vermögen! Es war doch überall das gleiche! Zu Hause hatte ich es oft gehört, wenn Männer mit ihren Frauen einkaufen gingen und sich auf der Straße zu streiten begannen. Selbest wenn sie in löchrigen Tuniken daherkamen, behaupteten die Männer steif und fest Ich? Ich brauche nichts! Ich hab alles! Warum sollte es hier also anders sein! Ich schätzte ihn mal als äußerst schwierig ein, wenn es darum ging, geeignete Kleidung für ihn auszusuchen. Konnte es vielleicht sein, daß er ein bißchen knausrig war? Das würde die Sache um einiges schwieriger machen.
    Aber warum machte ich mir darüber eigentlich Gedanken. Ich wollte doch diesen netten kleinen Ausflug ins Stadtgetümmel zu meiner Flucht nutzen. Dann müßte er sich wohl oder übel, seine Klamotten selber aussuchen! Innerlich grinste ich, wenn ich mir da so sein Gesicht vorstellte. Tja, so ist das Leben! Hart aber gerecht!
    "Ja, da werden wir sicher was für dich finden!" sagte ich dann beipflichtend und griff nach einer weiteren Dattel, die ich anschließend in meinem Mund verschwinden ließ. Er machte irgendwie einen etwas steifen Eindruck. Nur ganz wenige Informationen ließ er über sich selbst heraus. Ob er vielleicht etwas schüchtern war? Ich müßte es herausfinden.
    "Also ´ne Lieblingsfarbe hast du nicht! Gibt´s sonst was, was du magst?" Diese Frage, war eigentlich nicht nur auf die Kleidung bezogen. Mal sehen, was er darauf antworten würde.

  • Ursus runzelte die Stirn und betrachtete sie, wie sie die Dattel genüßlich verspeiste. Es war wohl ein Fehler gewesen, sich gleich auf eine so vertrauliche Ebene mit ihr zu begeben. Er hatte gehofft, so ihre Ängste vertreiben zu können. Doch anscheinend war dies ein wenig nach hinten losgegangen.


    "Ich bevorzuge schlichte Eleganz bei Kleidung. Keine aufdringlichen Verzierungen, keine allzu schrillen Farben." Natürlich bezog er das nur auf die Kleidung, denn darüber sprachen sie ja schließlich gerade. Daß sie diese Frage ganz allgemein meinte, merkte er nicht. Und selbst wenn er es gemerkt hätte, geantwortet hätte er vermutlich nicht.


    "Caelyn, es ist nicht schwer, etwas zu finden. Der Schneider ist hervorragend und er weiß, auf was es ankommt. Was ich mir von Dir wünsche, ist die geschmackvolle Zusammenstellung. Und ich möchte, daß Du lernst, welche Möglichkeiten es gibt. Denn in Zukunft wirst Du für mich entsprechende Botengänge erledigen." Anscheinend glaubte sie, er wäre allein nicht fähig, sich Kleidung zu kaufen. Was für ein Unsinn!


    Gut, er mußte ihr zugestehen, daß sie ihre Stellung noch nicht recht einzuschätzen wußte. Umso mehr mußte er darauf achten, sie ihr richtig zuzuweisen. "Du kannst jetzt abräumen, ich bin fertig", sagte er schließlich nach einem letzten Stückchen Käse.

  • Der Blick, den er mir zuwarf, als er mich anwies, abzuräumen, sprach wirklich Bände und ich reagierte sofort darauf, indem ich begann, schneller zu kauen, weniger den Geschmack, der süßen Datte zul genießen und das ganze schleunigst hinunter schluckte. Es war bestimmt besser, wenn ich mir jetzt nicht nochmal etwas nehmen würde. Man sollte es ja auch nicht gleich übertreiben. Sofort stand ich auf und grinste etwas verschämt.


    Gerne hätte ich ja mal seine Gedanken lesen wollen. Sicher war ich nicht das, was er sich von mir erhofft hatte. Da drängte sich unweigerlich auch die Frage bei mir auf, was er sich denn erhofft hatte?!
    Zugegeben, der dämliche Sklavenhändler hatte ihn ganz ordentlich hinters Licht geführt und ich hatte da auch noch lustig mitgemacht. Sollte ich da jetzt ein schlechtes Gewissen an den Tag legen?
    Er war ja wirklich ein netter Kerl, ohne Frage, auch wenn er einen recht verklemmten Eindruck auf mich gemacht hatte. Aber konnte man ihm das verübeln? So beschloß ich, wenigstes für die Zeit, in der ich noch hier war, ein kleines Stückchen kooperativer zu werden. Vielleicht bot sich ja morgen schon eine Gelegenheit zur Flucht.


    Ich konzentrierte mich wieder auf das, was er noch gesagt hatte. Botengänge sollte ich demnächst erledigen, aha! Er war also wirklich dazu bereit, mir ein gewisses Maß an Vertrauen zu schenken. Das war ja wirklich nobel!
    "Ja, klar, das krieg ich hin!" sagte ich nur, während ich das schmutzige Geschirr aufnahm und es hinaus brachte.
    Einige Zeit später kehrte ich zurück. Auf dem Weg zur Küche hatte ich mir einiges durch den kopf gehen lassen.
    "Hör mal, ich weiß nicht so recht, ob ich das jetzt sagen soll, aber ich, öhm, ja also,.. es tut mir leid, wenn du vielleicht etwas von mir enttäuscht bist, weil ich nicht so bin, wie du´s dir villeicht vorgestellt hast." Die lange Zeit, in der ich auf der Straße gelebt hatte und in der es so etwas, wie Erziehung nicht vorhanden gewesen war, hatten sicher ihre Spuren bei mir hinterlassen. Doch wußte ich wohl, gut von böse zu unterscheiden. Wenn mich eins dieses Leben gelehrt hatte, dann war es das!

  • Ursus blinzelte überrascht, als sie sich praktisch dafür entschuldigte, daß sie vielleicht nicht seinen Vorstellungen entsprach. Fast hätte er losgelacht, konnte diesen Impuls aber gerade noch unterdrücken.


    "Nein, Caelyn, da mach' Dir mal keine Sorgen. Für den Preis hätte ich hier in Rom keine Sklavin bekommen, die mehr kann als Du. Und Sklavenhändler lügen immer. Die einen dreister als die anderen. Aber damit schneiden sie sich nur ins eigene Fleisch, weil man dann nie wieder dort kauft. Mir war schon klar, daß Du erst einmal wirst lernen müssen."


    Er musterte sie noch einmal und befand immer noch, daß sie außerordentlich hübsch war. Und dumm war sie auch nicht. Jetzt mußte sie nur noch lernbereit sein und das schien sie ja auch zu sein. "In ein paar Wochen wirst Du alles genau so beherrschen, wie ich es mir wünsche. Und vielleicht sogar einiges, was ich nicht unbedingt brauche, aber was Du Dir wünschst. - Also, ich bin nicht enttäuscht von Dir. Enttäuscht wäre ich nur, wenn Du nicht versuchen würdest, alles nötige zu lernen."


    Er griff eine Schriftrolle, nicht sehr groß, und reichte sie ihr. "Das hier ist eine kurze Geschichte. Ich möchte, daß Du sie liest. Jetzt und hier. Du kannst Dich dort an den Tisch setzen. Nimm Dir dafür so viel Zeit, wie Du brauchst."

  • Konnte es sein, daß er sich insgeheim über mich halb totlachte? Er lachte zwar nicht, aber ich hatte den Eindrück, er hätte gerne.


    Etwas skeptisch sah ich ihn an, als er mir erzählte, was er denn so von mir halten würde. Na toll, dann hatte er ja genau das erwartet, was ich war. Und ich Hirni machte mir solche Gedanken!


    Oh ha, jetzt kam das Lesen dran! Ich hatte ungefähr seit tausend Jahren nichts mehr gelesen und jetzt sollte ich mal auf die schnelle Zeigen, was ich noch so drauf hatte.
    Etwas verunsichert nahm ich die Schriftrolle un rollte sie langsam auf. Na, richtig herum hatte ich sie ja schon mal genommen.
    Ich strengte mich und meine Augen an, um zu entziffern, was dort geschrieben stand. "Soll ich das jetzt vorlesen?" fragte ich sicherheitshalber noch einmal.

  • Ursus schüttelte den Kopf. "Nein, nicht vorlesen. Lies es für Dich, so oft Du magst, bis Du es verstanden hat. Und wenn Du es verstanden hast, sagst Du mir Bescheid. Wenn es gar nicht klappt, werde ich Dir erst nochmal die Buchstaben zeiten." Sie sollte es erst einmal versuchen. Wenn sie schlicht ungeübt war, würde sie mit der Zeit zurechtkommen. Wenn ihr Wissen fehlte, dann mußte das eben erst aufgebaut werden. Ganz einfach.


    Er würde jetzt erst einmal prüfen, ob sie gut genug lesen konnte, um den Text zu verstehen. Dafür hatte er extra eine sehr klar und ordentlich geschriebene Rolle herausgesucht, mit einem möglichst nicht so langen Text. Sie sollte es ja nicht unnötig schwer haben, immerhin bemühte sie sich wirklich und das bewertete er durchaus positiv.

  • "Na gut!", gab ich zurück und widmete mich wieder diesem Text, der mir doch sichtlich Schwierigkeiten bereiten wollte. Leise versuchte ich die Worte auszusprechen, doch nicht alle Buchstaben waren mir noch geläufig. Immer wieder versuchte ich es auf´s Neue, doch das Ergebnis war sehr ernüchternd.
    Vieles hatte ich vergessen, in all den Jahren. Wozu muß man lesen und schreiben können, wenn man in einem Loch lebt und jeden Tag darum kämpfen muß, zu überleben?


    Enttäuscht von mir selbst und beschämt vor ihm legte ich die Schriftrolle beiseite. Ich kam mir vor wie ein Kind, das seine Hausaufgaben nicht gemacht hatte. Ich war zu nichts zu gebrauchen! Was konnte ich denn schon groß? Nichts!
    "Ich...ich kann das nicht!" gestand ich leise und ließ den Kopf hängen.

  • Nun, dies war der Moment, wo er wirklich ein wenig enttäuscht war. Denn daß sie zumindest Wörter langsam zusammenstottern konnte, damit hatte er dann doch gerechnet. Er ließ sich davon nichts anmerken. "Hier, nimm die Wachstafel und schreib dort alle Buchstaben auf, bei denen Du Dir sicher bist, sie zu kennen." Er reichte ihr die Wachstafel und rief dann nach dem Scriba.


    "Pyrrus, ich brauche noch die Liste mit den Betrieben, Du hattst sie doch schon besorgt? Und zwar gleich. Beeil Dich damit, denn ich habe dann noch eine Aufgabe für Dich." Besser er verriet dem Mann nicht gleich, was es sein würde, sonst würde er vermutlich erst in einigen Stunden mit der Liste zurück sein.


    "Die Betriebeliste. Jawohl." Pyrrus verzog das Gesicht, ging aber dann, um die Liste zu besorgen. Von wo er sie außerhalb des officiums holen mußte, war Ursus wirklich schleierhaft.


    "Also, schreib auf, was Du noch weißt, Caelyn." Er nickte ihr aufmunternd zu, während er begann, die Namen der Verstorbenen aufzulisten, deren Vermögen gleich an den Staat ging, da es weder ein Testament, noch Blutsverwandte gab.

  • Ich nahm die Wachstafel entgegen. Es war lange her, seit ich zum letzten Mal ein solches Teil inder Hand hatte.
    Gerade wollte ich in mich gehen, um mich an die Buchstaben zu erinnern, als dieser eigenartige Kerl herein kam. Pyrrus hieß er- ein wirklich unangenehmer Zeitgenosse, dieser Schreiberling! Doch zum Glück machte er sich auch gleich wieder aus dem Staub.
    Ja, also die Buchstaben! Er nickte mir zwar aufmunternd zu, doch war ich ehrlich gesagt nicht sehr von mir selbst überzeugt.
    Ich nahm den Stift in meine Hand und ritzte mit unsicherer Hand einige windschiefe Schriftzeichen in den Wachs. Eine Meisterin der Caligraphie war ich nun wirklich nicht gerade! Auch ließ die Vollständigkeit meines Alphabets sehr zu wüschen übrig. Gerade einmal auf elf Buchstaben hatte ich es gebracht! Na gut, Ovids Metamorphosen müßten eben noch warten!
    "So, ich bin fertig!" agte ich dann, allerdings ohne groß in Euphorie auszubrechen.

  • Na, immerhin elf Buchstaben. Nicht mal die Hälfte, doch besser als nichts. Und es war ja auch zu erwarten, daß die Erinnerung wiederkam, wenn man sie mit den Buchstaben aufs Neue vertraut machte.


    "Na, das ist ja schon gar nicht so schlecht." Abgesehen davon, daß die Buchstaben wirklich grauslich aussahen. Doch auch das konnte nur viel Übung ändern. Und die würde er ihr schon verschaffen, ganz ohne Zweifel.


    Sie hatte eine ganze Weile gebraucht für die Liste, so daß Pyrrus wieder hereinkam, als Ursus sich gerade die Wachstafel ansah. "Hier ist die Liste", sagte der scriba und gab Ursus die Liste.


    "Und hier habe ich eine Liste für Dich", sagte Ursus und gab Pyrrus im Gegenzug eine Tafel mit den Buchstaben. "Dies sind die Buchstaben, die Caelyn bereits beherrscht. Ich möchte, daß ihr euch an den Tisch dort setzt und daß Du ihr die anderen Buchstaben zeigst und erklärst."


    Der scriba schnappte hörbar nach Luft und lief puterrot an. Er setzte dazu an, etwas zu sagen. Doch dann - überraschenderweise - nickte er und setzte sich an den Tisch.

  • Was hätte ich in diesem Moment dafür gegeben, die Gedanken des Schreiberlings zu lesen! Das Vergnügen, mir die Lesedefizite auszutreiben, war wohl ganz auf seiner Seite. Ohne zu murren setzte er sich zu mir. Komisch, hatte der´nen Sonnenbrand bekommen? So heiß war´s doch gar nicht mehr!
    Ich hatte wieder dieses gemeine Grinsen auf meinem Gesicht, wie heute Morgen schon einmal, als Cadhla, die unerschrockene Kriegerin und ich, Caelyn, Königin der flinken Finger, den armen Sklaven in den Wahnsinn getrieben hatten, der uns fürs Togawickeln Modell stehen mußte.
    Mit einem verstohlenen Seitenblick sah ich zu Ursus hinüber. Wiso hatte ich dieses seltsame Gefühl, daß er den Schreiberling auch nicht leiden konnte? Das machte ihn irgendwie sympathisch!


    Zusammen mit Pyrrus ging ich also Schritt für Schritt das Alphabet durch. Erst sagte ich es auf und dann begann er, all die Buchstaben fein säuberlich aufzuschreiben und ich sollte sie dann mehrmals nachschreiben.
    So verging fast der halbe Nachmittag, bis mir irgendwann der Schädel brummte.
    "Ich kann nicht mehr, dominus!" sagte ich völlig erschöpft. Hey! Was hatte ich denn da gesagt? Dominus? Nicht mal mehr klar denken konnte ich!

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