officium TAU | Eine neue Serva

  • Ursus arbeitete derweil die Listen durch, um herauszufinden, wer von den Verstorbenen Betriebe besessen hatte und welche das waren. Fein säuberlich übertrug er die Informationen in seine eigene Liste. Eine langwierige, langweilige Aufgabe, aber eben auch notwendig.


    Er legte gerade die Liste mit den Betrieben beiseite und griff nach den anderen Vermögensaufstellungen, als Caelyn ihn ansprach, daß sie nicht mehr könne.


    Erstaunlicherweise sprach sie das Wort "dominus" zum ersten mal ganz selbstverständlich aus. Es hatte nicht mehr diese widerwillige Betonung wie sonst. Das quittierte Ursus mit einem erfreuten Lächeln und verbuchte es als weiteren Fortschritt mit ihr.


    "Gut, dann soll es damit genug sein für heute. Aber morgen macht ihr dann weiter, bis Du die Buchstaben wieder sicher beherrschst, Caelyn. Jetzt für den Moment besorge uns allen doch ein wenig verdünnten Wein und Weintrauben oder anderes Obst. Was eben gerade da ist." Er selbst konnte eine Pause auch ganz gut vertragen, wie er zugeben mußte.


    Pyrrus sah griesgrämig drein wie immer. Was sich in dem Moment, als er für morgen wieder zum Unterricht verdonnert wurde, sogar noch verstärkte. Etwas, was man kaum für möglich gehalten hätte.


    "Und für Dich habe ich auch noch was, Pyrrus. Hier sind alle angekreuzt, wo alles Vermögen gleich an den Staat geht, weil es weder Testamente, noch Blutsverwandte gibt. Schreib die auf eine Extraliste, das können wir gleich weitergeben." Die Staatskasse würde sich freuen.

  • Warum grinste denn der jetzt nur so? Nur, weil ich mich einmal versprochen hatte? Na, wenigstens hatte er ein Einsehen mit mir und er verschob weitere Übungen auf morgen. Was, morgen noch einmal mit Pyrrus? Hey Kumpel, darauf laß uns einen anstoßen! Verschmitzt sah ich den Schreibering an, der der Verzweiflung nahe war. Aber das mit dem Anstoßen sah Ursus genauso!
    Also machte ich mich auf den Weg zur Küche und besorgte 3, in Worten drei Becher und einen Teller mit Weintrauben, Äpfeln und Birnen.
    Beschwingt kehrte ich zurück und stellte das Tablett mit dem Geschirr ab, schenkte die drei Becher mit dem verdünnten Wein ein und reichte das Obst herum. Dann setzt ich mich einfach wieder und genoß einen großen Schluck des Weines. Ich hatte richtig Durst bekommen! Ah, das tat gut!
    Tja, der arme Pyrrus hatte es wohl nicht so gut getroffen. Auf ihn wartete noch jede Menge Arbeit! Der konnte schließlich noch etwas arbeiten für sein Geld!
    "Ich glaube, bald werde ich es wieder können, so wie früher!" Ja, früher! Damals hatte Mama mir das Lesen und Schreiben beigebracht. Sie hatte immer gesagt, es wäre sehr wichtig für das spätere Leben. Warum hatte man mir nach ihrem Tod nicht die Chance gegeben, mein damaliges Wissen und Können zu nutzen und zu erweitern? Warum mußte nur alles so kommen, wie es gekommen war? Das alles machte nich so traurig.

  • Allein der Anblick der entgleisten Gesichtszüge von Pyrrus waren es schon wert, Caelyn ihr etwas dreistes Verhalten, daß sie sich einfach dazusetzte, durchgehen zu lassen. Er würde ihr später erklären, daß sie das nur auf seine Aufforderung hin tun durfte. Ursus nahm seinen Becher und grinste mit einem eher herausforderndem Blick auf Pyrrus, der irgendwie hektisch nach seinem Becher griff und trank. Ja, sollte er ruhig gleich zu Corvinus rennen und ihm zutragen, wie unglaublich unangemessen er mit seiner Sklavin umging. Dieser elende Spion!


    "Das sollte auch so sein, Caelyn. Man kann nämlich nie zuviel wissen. Nur zuwenig. Manches mag Dir erst überflüssig und unwichtig erscheinen. Doch eines Tages ist man vielleicht froh, es gelernt zu haben." Diese Erfahrung hatte er schon häufiger gemacht. Das war auch der Grund, warum er ständig und andauernd lernte und Kurse in allen möglichen Wissensgebieten belegte. So lange er Zeit und Gelegenheit hatte, wollte er lernen so viel es nur ging. Eines Tages brauchte er es vielleicht und hatte vielleicht nicht die Zeit, es erst gründlich zu lernen. Etwas, was Corvinus nicht zu begreifen schien.


    Die Pause tat wirklich gut. Er genoß den verdünnten Wein und die erfrischenden Früchte in aller Ruhe. Anschließend wusch er sich die Hände an der Waschschüssel, die hier im Raum immer bereit stand und ging erst wieder an seine Papiere zurück, nachdem er seine Hände gründlich gereinigt und abgetrocknet hatte.


    "Im Moment brauche ich Dich dann nicht mehr, Caelyn. Wenn das Abendessen bereit ist, sage mir Bescheid. Und denk daran, daß ich Dich morgen mit in die Stadt nehme, sag das den anderen, damit sie Dich nicht für andere Arbeit einteilen." Er nickte ihr lächelnd zu, womit sie dann erst einmal entlassen war.

  • Warum guckte denn Pyrrus nur so dumm aus der Wäsche? Ach ja, vielleicht weil ich mich einfach dazu gesetzt hatte? Solange Ursus nichts dagegen hatte, würde ich mich immer wieder dazusetzten!
    Als ich meinen Becher geleert hatte, stand ich dann doch auf. Ursus machte sich wieder an die Arbeit und ich verließ das Arbeitszimmer, nachdem er mich entlassen hatte.
    Ich freute mich schon so sehr auf morgen! Ich konnte es kaum abwarten, was der morgige Tag mir bringen würde.
    Gutgelaunt schlenderte ich durch die Gänge der Villa, immer auf der Hut, wem ich dort begegnen würde.

  • Leone führte den neuen Sklaven durch das prachtvoll gestaltete Atrium der vornehmen Villa. "Und, wie ist Dein Name? Ich bin übrigens Leone und der Ianitor, wie unschwer zu erraten ist." Er grinste den Neuen breit an und zeigte dabei seine strahlend weißen Zähne, die in seinem dunklen Gesicht umso mehr leuchteten. "Dein Herr ist ja eigentlich Aurelius Corvinus, doch der ist erkrankt, deshalb bist Du erst einmal Aurelius Ursus unterstellt. Hier ist es gar nicht so übel, glaub mir. - Hier geht's lang." Er deutete in einen Gang, beeilte sich aber nicht sonderlich, da er hoffte, noch ein bißchen was von dem Neuen zu erfahren. Man wußte doch schließlich gerne, mit wem man es so zu tun hatte.

  • Zitat

    Original von Leone


    'So wie das im Inneren des Hauses aussah, hätt' Sonnenscheinchen auch drei Mille löhnen können'; dann wären gleich die Verhältnisse richtig klargemacht. Ich teurer Kerl, Du spendabler Bursche, der weiß, was was wert is' und bereit is' dafür den Preis zu zahln.' Aber so war Sertorio nur eine 300-Sesterzen-Putze, ein Fischer ohne Netz - viel schlimmer: ein Fischer ohne Wasser.- Was hier an Tieren aus dem Meer gefuttert wurde, kam vom Markt; wahrscheinlich konnten die hier nichmal zwischen Süß- un' Salzwasserfischen unterscheiden.


    Während er im Schlepptau von diesem Leone herhatschte, der nich' ein einziges Haar am Kopf hatte, geschweige denn eine Mähne - was soll'n das? - und durch diesen Palacete geführt wurde, schwatze dieser Leone Sertorio ein Ohr ab. 'Hätt' gedacht, der Typ is' Alleinunterhalter oder wenigsten Vorleser, abe' nich' Türsteher.' Obwohl dunkel wie einer der Türflügl war er ja schon. Sonnenscheinchen war also der Corvinus, ein Rabe, und jetzt erstmal zum Bären. Was'n Zoo. Aber wenigstens wußte er, wo er war: bei den Aureliern. Gar nich' so übel, da mußte er dem Klatschmaul rechtgeben.


    "Sertorio" sagt Sertorio, denn irgendwo unter dem Redefluß war eine Frage verborgen gewesen wie ein kleiner Taschenkrebs in einem Flußbett.

  • Leone runzelte die Stirn. Normalerweise war er ja auch keine Schwatztasche, doch er hatte es dem Neuen etwas leichter machen wollen. Nun denn. Dann eben nicht. "Sertorio also", nickte er nur als Antwort. Zumindest klang der Name nicht keltisch oder germanisch und das war ja schon mal ein Fortschritt. Alle neuen Sklaven in der letzten Zeit waren keltisch oder germanisch gewesen und die meisten hatten Latein kaum verstanden. Und verstanden hatte der Bursche ihn ohne Zweifel, was ein weiterer Pluspunkt für ihn war.


    Sie hatten das officium erreicht und Leone klopfte ohne weiteres Zögern an. Er mußte nicht lange auf eine Antwort von innen warten, so daß er die Tür öffnete und mit Sertorio eintrat. "Der neue Sklave, dominus. Sertorio", meldete er und verließ daraufhin den Raum wieder, um auf seinen Posten an der porta zurückzukehren.

  • Ursus hatte eigentlich wenig Lust, sich mit Corvinus' neuester Errungenschaft abzugeben. Doch was blieb ihm schon übrig? Außerdem konnte man es ja nicht anders sagen: Er hatte zur Zeit, was er immer hatte haben wollen: Verantwortung. Corvinus konnte sich wirklich glücklich schätzen, daß Ursus so lernbegierig gewesen war und sich eingearbeitet hatte. Wenn er nun länger ausfiel, mußte er sich auf ihn verlassen können, da sein heißgeliebter Cotta noch nicht wieder da war und es einfach niemand anderen gab, dem er alles hätte anvertrauen können. Was mußte das den Onkel doch wurmen!


    Als Leone mit dem Neuen eintrat, blickte Ursus von seinen Unterlagen auf und musterte den Mann. "Nun, Sertorio, erzähl mir mal etwas von Dir: Wo kommst Du her? Was kannst Du und was für Aufgaben haben Deine bisherigen Herren Dir übertragen? Wem hast Du überhaupt bisher gedient?" Seine Kleidung war absolut inakzeptabel, doch das ließ sich ja schnell ändern. Blieb zu hoffen, daß er über brauchbare Kenntnisse und Fähigkeiten verfügte.

  • Also hatt'n se die Katze im Sack gekauft. Vielleicht wollten'se ja'ne Katze un' keinen Kater, was eine Überraschung - jetzt ham'se 'n Kater anner Backe. 'Solangse nich' auf die Idee kommen, mich zu kastrieren, is' mir ziemlich alles recht', denkt sich Sertorio. Aurelius Ursus schaut nicht aus wie ein Bär und verhält sich nich' so. Eher wie ein Hund, der mal prinzipiell erst knurrt, aber nur hinter'm Zaun, wo er in Sicherheit is'. Egal, einer wieder annere, die ersten Sekunden entscheiden und Aurelius Ursus sieht nicht wie'ne Plaudertasche aus. Umso besser. Also, zum Geschäftlichen.


    "Ich komme von der vaskonischen Küste; Nordspanien. Meine einzigen Herren waren mein Vater un' das Meer." Eigentlich umgekehrt, jedenfalls in den letzten Monaten, aber egal. Die Römer warn Landratten und werden's immer bleibn.


    "Ich bin Fischer; auch bei Vater im Gasthof gearbeitet; sollt' ich übernehmen, wenn die Zeit reif ist." Und der Alte endlich 'n Kochlöffel abgeben und untätig am Strand hocken will. Sertorio zuckt mit den Schultern. Das konnte ja nun dauern, mit der Nachfolge.


    "Disculpe. Ich stinke. 'N richtiges Bad war'n Piraten und'm Händler eine zu große Investition." Bei dem alten Sklaventreiber war's Sertorio egal, 'will ich ihn anstinken', hat er gedacht und extra Winde fahren lassen. Jetz' aber isser unter Menschen, seine Mutter würd' sich für ihn schämen und ihm dann das Fell gerben, so wie er daherkommt.

  • Ursus runzelte die Stirn. Natürlich konnte er nicht wissen, ob der Mann ihn frech anlog oder die Wahrheit sagte. Doch wenn seine Worte nicht gelogen waren, dann war er Piraten zum Opfer gefallen und von ihnen in die Sklaverei verkauft worden?


    "Ein Bad wirst Du bekommen. Ebenfalls saubere, ordentliche Kleidung. - Doch ich habe Dich nach Deinen Fähigkeiten gefragt. Was kannst Du außer fischen und ich nehme an - Handhabung eines Bootes? Was kannst Du also noch?" In einem Gasthof konnte man schließlich alles mögliche an Fähigkeiten erwerben. Eventuell kochen, die Versorgung von Tieren, mit etwas Glück vielleicht sogar lesen und schreiben und zumindest bruchsstückhaft andere Sprachen.


    Nein, letzteres wohl kaum, so schauderhaft wie sein Latein schon war. Wie kam Corvinus nur darauf, so einen Sklaven zu kaufen? Der sprach ja schlimmer als Caelyn - und das sollte schon was heißen! Nun, wenigstens schien seine momentane Unsauberkeit auch ihn zu stören, was darauf hoffen ließ, daß er normalerweise ein eher sauberer Mensch war. Vielleicht ließ sich ja noch etwas anständiges aus ihm machen. Und wenn er sich gut führte... Vielleicht hatte er ja das Glück, eines Tages die Freiheit wiederzuerlangen.

  • 'Bei allen Meergeistern, was diese Stadtmenschen doch Simpel sin'.' Sertorio sah das Ende seiner Geduld schon am Horizont heraufziehen wie Schlechtwetter. 'Pissen kannich, Ficken kannich, Bücken auch. Wie im Detei hätt' ma's 'nn gern?' Er verlagert seine Haltung vom linken auf's rechte Bein.


    "Danke im voraus. Für's Bad." sagte Sertorio mit sanfter Stimme. "Fischen heißt: kann ein Boot bauen, es instandhalten, segeln, navigier'n bei Tag und Nacht. Kann mit Netz, Angel, Speer und Reuse fischen, weiß, was aus'm Meer der Mensch ess'n will und was'm Meer'n Menschen fress'n will, Fische, Krebse, Octopussi, Delphin oda mal gestrandeter Großer Fisch. Heißt: kann die Tiere verarbeit'n, auch lebend halten, sie verkauf'n, tausch'n."


    Er wippt wieder zurück. Wahrscheinlich redet Sertorio mit dem Aurelier jetzt mehr, als mit allen Leuten die letzt'n Monate. Irgendwann hat er keine Worte mehr, alle verbraucht und 'raus aus'm Mund. Trotzdem spricht er weiter, erklärt dem Städter die Welt draußen.


    "Im Gasthof muß ma' den Haushalt könn'n, Aufwisch'n, Bedien', Abrechnung mach'n, Küche 'n' Keller, Stall in Ordnung halt'n. Fleisch 'n' Gemüse organisier'n, nich' nur aus'm Meer - vom Feld, aus'm Wald. Jag'n. Handl'n. Das so." Also weit vor Sonn'aufgang 'raus und weit nach Sonn'untergang auf'n Sack.


    Und so überflüssiges Zeux wie:
    "Ich kann les'n, schreib'n. Vaskonisch, Latein, auch griechische Buchstaben." Die Mutter seines besten Kumpels hat sich mit Sertorio ohne die üblichen väterlichen Prügel hingesetzt und gebüffelt. Sinnloses Zeux ohne Nutz'n, aber ihr hat's Freude gemacht.

  • Ursus hörte Sertorio nicht nur aufmerksam zu, sondern beobachtete auch aufmerksam seine Mimik, seine Gestik und Körperhaltung. Seine leichte Ungeduld - oder vielleicht auch Genervtheit - entging ihm nicht. Doch der Mann hatte sich gut unter Kontrolle, sprach sanft und beantwortete nun detailliert die Frage. Es gefiel Ursus, wie er sich zusammenriß. Und die Fertigkeiten waren doch gar nicht so übel. Es war zwar vieles dabei, was er im Haushalt der Aurelier wohl kaum würde anwenden können, doch manches konnte sich noch als brauchbar erweisen. Außerdem schien er das Arbeiten gewöhnt zu sein, war also kein Faulpelz. Allein die Sprache war wirklich schauderhaft. Aber das würde mit der Zeit hoffentlich auch besser werden.


    Lesen und schreiben konnte er also auch. Nach den Erfahrungen mit Caelyn beschloß Ursus, diese Fähigkeit gleich einmal zu testen. Er zog eine kleine Schriftrolle aus dem Regal, die er für Caelyns Leseübung besorgt hatte. "Dies ist eine kurze, schlichte Geschichte. Eigentlich für Kinder geschrieben, aber gerade deshalb für eine Leseübung sehr gut geeignet. Lies sie und sag mir dann mit Deinen Worten, wovon sie handelt."


    Die Geschichte war wirklich sehr kurz. Sie handelte von einem dummen Esel, der elend verhungerte, weil er sich nicht entscheiden konnte, von welchem der beiden herrlich duftenden Heuballen, die vor ihm lagen, er fressen sollte.

  • Sertorio hatte nie verstanden, was für'n Aufhebens die Menschen ums Lesen und Schreiben machten, jedenfalls von allem, was über lange Listen hinausging. Meist nur schwärmerischer Mist, der den Kopf verstopfte, und ihn von wichtigem leerte, weil man sich nix merken mußte, sondern einfach aufschreiben kann. Seit Jahren träumte er davon, so einen Schreiberling auf einem Boot mitt'n im Meer auszusetzen und ihm nur Papyrus, Tinte und Federkiel zurückzulassen.


    Un' jetzt ging das hier weiter. Eine Kindergeschichte! Verfi... Drecksmist, da war eine fasiffte Bruchbude inner insula besser, als dieses affige Getue. Dieser Kerl mit seinem Oberlehrergehabe. Bin ich'n Kind? Seh' ich aus wie'n Kind? Warum hatte er überhaupt was von Lesen und Schreiben gesagt? Dumme' Fische'junge hätt' längst gereicht, sonst wurden die noch warm mit ihm, verhätschlten und verzärtltn ihn wie sone Ratte von'nem Hund, wie er sie schon in der Stadt auf'n Armen von reichen Weiber gesehen hatte, mit Schleifn im Fell am Kopf. Sertorio wurde übel, wenner nur daran dachte. Er streckt seine Hand aus.



    "Ja, dominus", sagt er entrollt den Papyrus. Ein feiner, herber Duft schlägt ihm entgegen, leise, leise, wie der Hauch eines Windes. Er schnüffelt an der Tinte, bevor er anfängt, sich diese Scheißleseübung reinzuzieh'n; aber wenigstens is Aurelius Ursus nich' treudoof, dem man allen Bockmist verzählen könnte.


    Saubere, etwas weibische Buchstaben mit zuvieln Schnörkln. Er ist grobe Schnitte gewöhnt, drei Hiebe, dann steht'n männliches "A" auf'm Papier. Drei weitere, ein "D", das aussieht, wie'n griechisches "Delta". Die Buchstaben auf dem Papyrus, ordentlich in Reihen, links nach rechts, oben bis unten, in scheinbarer sinnloser Ordnung, schieben sich zu Wörtern zusammen, die Wörter zu Sätzen. Das Schauspiel vor seinen Augen hat Sertorio immer wieder fasziniert, wie aus etwas Fremden, etwas Vertrautes wird, eine amüsante Hexerei.


    "Gier", sagt Sertorio, als er die kurze Geschichte gelesen hat, "da Esl vom Bauern Buridanus ist gierig, deshalb fängter nich' an zu fressn. Sondern grüblt herum, wo er anfangn soll, was für'n Haufn als erstes, weiler beide habn will, was nich' geht. Solange grübelter, bisser verhungert is'." Das isses, was Sertorio an diesn Geschichten haßt, sie verplempern Zeit und Worte mit unnatürlichen Dinge, die in Wirklichkeit völlich klar sin'.


    "Is'ne Fabl, der Esl, dassin die Menschn.- Aber'n echter Esl is'n Tier, das denkt nich', das frißt." Fabln verdrehn die Wirklichkeit, Tiere sin' keine Menschen, Tiere sin' Tiere.


    "'N echter Esl is' normal." Sertorio hat seine Zweifel, ob Aurelius Ursus Esel kennt, echte Esel, und die Bedeutung von "normal.

  • Ursus lächelte und nickte. Irgendwie gefiel ihm der Bursche mittlerweile. Seine schlechte Sprache konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß es sich um einen intelligenten Mann handelte, der noch dazu eine herzerfrischend ehrliche Art hatte. "Ja, Du hast es verstanden, nicht nur den Text, sondern auch, daß es eigentlich nicht um Tiere geht. Das ist gut. - Es ist wichtig, daß Du lesen und schreiben kannst, nicht nur für Botengänge, sondern auch, weil Du vermutlich oft mit einer Sklavin hier im Haus zu tun haben wirst, die stumm ist und sich deshalb zur Verständigung mittels einer Wachstafel mitteilt. - Zumindest das, was sie durch Gesten nicht schafft, begreiflich zu machen. Tilla ist ein liebes junges Mädchen, sie wird Dich gleich herumführen und alles erklären - und Dir auch zeigen, wo Du baden und Dich umkleiden kannst." Zuerst wollte er noch hinzufügen, daß Sertorio gefälligst nett zu Tilla sein sollte, doch dann sparte er sich das. Der Mann machte keinen gemeingefährlichen Eindruck, er würde Tilla sicher nicht grob behandeln. Zumindest war ihm das nicht anzuraten.


    Ein Sklave wurde damit beauftragt, Tilla zu suchen und herzuschicken, dann erklärte Ursus weiter. "Ich möchte, daß Du Dich um ein besseres Latein bemühst. Im Empfangsbereich möchte ich Dich zu Beginn nicht sehen. Nicht solange Du so schlecht sprichst. Doch es gibt genug in anderen Bereichen des Hauses zu tun. Du bekommst hier gutes Essen, anständige Kleidung und einen bequemen Schlafplatz. Dafür erwarten wir Fleiß. Führe Dich gut, Sertorio, dann hast Du auch Grund zur Hoffnung."

  • Sertorio hat nich' vor, mit Krüppln 'was zu tun zu haben. Er ist nich' wie sein Kumpl Barlo, der auf die richtig abfuhr und sich daran aufgeilte. Sertorio findet die nur eklig und er ging ihnen aus dem Weg. Mitleid brauchten Krüppel nich' und ansonsten mußte jeder schau'n wo er blieb. Wenn das Mädel stumm und taub is', is' ihm das recht, dann mußer nix sagen und sie schwallt ihn nich' zu. Solange sie nich' rumgurgelte oder ein häßliches Gesicht hatte, is' sie ihm lieber als jeder and're.


    'Aurelius Ursus hat wirklich 'ne Oberlehrer-Macke.Was soll'n der Scheiß? Was'n mit mei'm Latein nich' in Ordnung? Dein Piefke-Latein redet bei uns nich' mal'n Duumwir, un' der ist aus Tarraco zugereist. Aber soll mir recht sein, mit dem Herumscharwenzln hab' ich's eh nich', denkt er. Ansonsten scheinen die Aussichten prächtich zu sein, alles in allem eine Verbesserung. Hier geht's den Sklaven besser als bei Sertorio daheim den Herrn. Daß man für sein Essen und seinen Schlafsack hart arbeitet, is' ja überall so. Wer nix tut, is' nutzlos, verreckt. Geschieht ihm recht.


    "Ja, dominus", sagt Sertorio und nickt und wartet.

  • Sie wurde aufgestöbert und benachrichtigt, so schnell wie möglich bei Ursus aufzutauchen. Tilla verzog das Gesicht. Allmählich wurde es doch zu dumm. Warum immer sie? Schon wieder ein Neuer? Nunja, die meisten Begegnungen waren bisher immer recht interessant abgelaufen. Warum nicht auch diese? Kurz überprüfte sie ihr Aussehen und den Sitz ihrer wie immer tannengrünen Kleidung bevor sie anklopfte und nach der Erlaubnis eintrat. Schon nach wenigen Schritten blieb sie schräg neben der Tür stehen, blickte Ursus an. Salve. Was kann ich tun? begrüßte sie ihn schlicht.


    Warum waren nicht einmal Cadhla oder Siv bei ihm? Tilla krauste nachdenklich die Nase, fragte sich wohin die beiden jungen hellhaarigen Frauen entschwunden waren. Sie hatte heute morgen bei dem Verteilen der täglichen Aufgaben nicht so genau zugehört, weil die Kaninchen endlich ihre Jungen bekommen hatten. Vier Babys! Das musste sie ihm unbedingt erzählen!! Wisst ihr was, dominus? Ein Lächeln huschte über ihr sonst so ernstes Gesicht und ihre dunklen Augen funkelten auf. Die Babys sind da! platzte es aus ihr heraus. Drei schwarze und ein weisses Kaninchen! Der Stall im Garten muss vergrößert werden. Die Eltern brauchen viel Heu und Stroh! Freudig strahlte sie den ihr noch unbekannten Sertorio an. Vier Babys! wiederholte Tilla. Und sooo klein. Sie deutete die Länge ihrer Hand an, wollte deutlich machen wie groß die neugeborenen Ninchen waren.

  • Ah, das Haus'is 'n Affncircus. Hier schwalln sogar los mudos, die Stummen.


    Unbewegt aber mißvergnügt beobachtet Sertorio die Gesten des Mädls. Die benimmt sich, als seise hier im Kindergarten; hm warse wohl auch. Willkommen, auch Du, Sertorio! Was auch immerse da herumfuchtlt, se scheint mit Aurelius Ursus auf vertrautm Fuß zu stehn. Wahrscheinlich macht der Oberlehrer einen auf Mitleid und Verständnis und vöglt sie zum Ausgleich. Sertorio zuckt in Gedanken mit den Schultern, ihm is das egal.- Was wird'n das jetzt, wenn's fertich is'? Wie: Kanickl?


    Sertorio mochte Kanickl. Immerschon. In einem Salzteigmantel im Ofenrohr gegaht, mit über Lavendel-Wasserdampf gedüstetem Puls und dazu Karottn-Fenchl-Gemüse. Hater zum Geburtstag seiner Mutter gemacht, zwanzich Kanickl, für das Fest inner Schenke. Groß angekommen, echt super.
    In vier bis fünf Monaten gab es also Kanickl. Sertorio freut sich schon wie über einen warmen Sonnenstrahl an einem Winternachmittag.

  • Als Tilla erschien und mit aufgeregten Gesten gleich von den Kaninchen zu erzählen begann, mußte Ursus schmunzeln. "Ah, das freut mich für Dich, Tilla. Aber die Stallvergrößerung... ich denke, der Stall wird schon reichen." Die Köchin würde schon nach und nach dafür sorgen, daß der Stall nicht zu klein wurde. Es war nur besser, Tilla nichts davon zu sagen.


    Und es war auch besser, das Thema erst einmal zu wechseln, bevor sie nachfragte, wie er darauf kam, daß der Stall nicht sehr schnell zu klein wurde. "Das hier ist Sertorio. Führ ihn doch bitte herum, zeige und erkläre ihm alles und arbeitet in den ersten Tagen einfach zusammen. Er ist auch mit Küchenarbeit vertraut. Lesen und schreiben kann er auch, Du kannst Dich also mit Hilfe Deiner Wachstafel mit ihm verständigen. - Wenn ihr keine Fragen mehr habt, wäre das von mir aus erst einmal alles."

  • Sie nickte eifrig. Ich freue mich auch. Ja, du hast.. ähm, ihr habt recht. Die Babys sind noch zu klein. Erst später.. da brauchen sie viel Platz. dann sind sie so groß wie die Maman. erwiderte sie gebärdend und nickte nochmal. Dass Sertorio mit den Schultern gezuckt hatte, hatte sie wahrgenommen. Mhm.. wieder einer der sich nicht für die Kaninchen interessierte. Dafür hatte sie dominus Ursus. Schweigend musterte sie Sertorio aus den Augenwinkeln. Ursus hatte ihn also schon informiert und bat sie auch noch mit dem Neuen zusammenzuarbeiten. Na.. wenn das mal gut ging.


    In Ordnung. erwiderte sie schlicht, da sie auch ihren Teil losgeworden war, also das was sie derzeit beschäftigte. Tilla trat zurück zur Tür und öffnete sie. Das der Neue, wie Brix es sagen würde, 'müffelte', hatte sie auch schon festgestellt. Also erstmal zu den Baderäumen... Da lang. Zum Baderaum. Ihre Hand zeigte zu einem der Gänge und sank wieder hinab. Tilla ist etwas eingefallen.. sie kann ihm doch keine Frauenkleider geben.


    Sie drehte sich zu Ursus um, stampfte mit dem Fuß auf den Boden auf, um seiner Aufmerksamkeit sicher zu sein. dominus? Die Kleidung für ihn? Wie besorgen? Ich kann.. doch nicht DA rein. In deren Räume zum Schlafen. Zu den Truhen. Die anderen, die ich ebenfalls herumführte, waren Frauen. Ich weiss nicht.. wie? Hilfesuchend sah sie Ursus an, trat von einem Fuß auf den anderen. Im Bad von uns. In den Truhen sind Frauenkleider, weil so viele Frauen hier sind. versucht sie noch den Umstand zu erklären, der ihr auch erst jetzt auffällt.

  • Ursus lächelte. "Tagsüber könntest Du ruhig da rein. Aber wenn Dir das unangenehm ist, dann schick doch einfach Brix. Er wird Dir bestimmt helfen." Das wollte Ursus ihm zumindest geraten haben. "Ja, ein Bad und frische Kleidung braucht er auf jeden Fall. Und sorg auch dafür, daß er eine anständige Mahlzeit erhält. - Na, Du machst das schon." Tilla war zwar noch sehr kindlich und verspielt, aber auch sehr zuverlässig. Sie würde schon alles richtig machen.

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