hortus | quaestio pro effugio

  • = Suche nach Ausflüchten


    Bekleidet mit einem wärmenden Umhang in dunklem Blau stand ich neben einer Neuerwerbung, einer mangifera indica. Noch war das Bäumchen nicht einmal so groß wie ich selbst, doch der africanische Händler hatte mir versichert, dass es schnell wachsen und auch in römischem Klima gedeihen würde. Sorgfältig zupfte ich zwei bräunliche Blätter ab und ließ sie achtlos fallen, als entfernt der Kies knirschte. Ich machte mir keine große Mühe, überhaupt aufzuschauen. Sicher war es Tilla oder Cadhla, der ich etwas zu dem Bäumchen erläutern wollte, was ie Pflege betraf. Dass es jemand anderer sein könnte, auf den Gedanken kam ich nicht.


    Ich wartete, bis die Schritte verhielten. Sanft strich ich über eines der lanzettähnlichen, dunkelgrünen Blätter, unter denen der Baum dereinst seine Früchte tragen würde. "Er darf diese Woche noch nicht gegossen werden und in den Wochen darauf nur spärlich, sonst vergeht er", wies ich ruhig die Person an, die nun nahe hinter mir stand. "Wenn er den Winter übersteht, wird er Früchte tragen, auch wenn unser Klima nicht jenem der südlich gelegenen Regionen Ägyptens entspricht", fuhr ich fort, im Glauben, mit einer serva zu sprechen.



    Sim-Off:

    reserviert ;)

  • Die Auskunft der Sklavin fiel für mich überraschend aus, denn ich hatte Corvinus im Haus erwartet. Stattdessen hielt er sich im Garten auf, in den es mich vor Augenblicken selbst noch gezogen hatte. Das Anwesen der Aurelier war jedoch groß genug, um nicht jeden Winkel einsehen zu können, selbst wenn ihn keine Gebäudeteile verdeckten, und die verschlungenen Wege, deren Ränder mit üppigem Bewuchs gesäumt waren, taten ihr übriges, um diejenigen vor Blicken weitestgehend zu schützen, die Entspannung, Ablenkung oder Erholung inmitten von Grünpflanzen suchten.


    Ich winkte ab, als die Sklavin sich anbot, mich zu ihm zu führen. Sie erhielt vielmehr den Auftrag, sich während meines Aufenthalts um Fiona und Minna zu kümmern. Nicht nur die Tatsache, dass ich selbstständig genug war, ließ mich vor einer Begleitung zurückschrecken, sondern auch das Wissen um meine nur rein äußerliche Gefasstheit. Ich wollte selbst das Schritttempo bestimmen, die Möglichkeit haben, zum Sammeln zu verweilen, und auch den Moment entscheiden, in dem ich auf ihn zutrat. Es würde nicht einfach werden, dessen war ich mir bewusst. Die kalten Hände, das unmerkliche Zittern, die Anspannung und das Herzklopfen taten ihr übriges, damit ich die Aufregung nicht vergaß. Ein Blick auf die ruhige Oberfläche des Wasserbeckens ließ mich jedoch beruhigt aufatmen. Ganz so schlimm, wie ich mich fühlte, sah ich wenigstens nicht aus. Das Gesichtspulver verbarg die Blässe, die hummerfarbene Palla die sacht bebende Gestalt. Ich atmete einmal tief durch und verließ die Villa auf dem mir bestens bekannten Weg, um in den Garten zu gelangen.


    Mein Blick tastete sich über Sträucher und Staudenansammlungen, während ich zusätzlich Acht gab, mit dem feinen Schuhwerk, in keine Wasseransammlungen inmitten des Kieses zu geraten. Immer wieder betrachtete ich die Wege, machte manches Mal einen Bogen, mitunter reichte auch ein großer Schritt. Ein blauer Leuchtpunkt, der durch spärliches Laubwerk schimmerte, zog schließlich meine Aufmerksamkeit an. Ich entschied mich zum Leidwesen meiner Schuhe für eine Abkürzung quer über die Rasenfläche, um Gelegenheit zur Besinnung zu haben, und verhielt den Schritt.
    Wir hatten uns einige Zeit nicht gesehen und noch länger nicht mehr gesprochen. Er trug die Haare anders und wirkte ernster als ich ihn in Erinnerung hatte. Ein Umhang verdeckte viel von seiner Gestalt, die sich vermutlich kaum geändert und die ich daher noch gut in Erinnerung hatte. Ich spürte, er war mir längst noch nicht egal, doch bevor sich dieses Gefühl inflationsartig in mir ausbreitete, setzte ich mich wieder in Bewegung und trat von hinten an ihn heran, aber da war ein Klos im Hals – ich schwieg. Bevor ein angestrengtes Schlucken den Weg zum Artikulieren freimachen konnte, erhielt ich eine Unterweisung in Pflanzenpflege, die – weil sie so überraschend kam – die Verspannung in mir lockerte und sogar ein Lächeln bewirkte. Der Pflegling, um den es ging, war mir unbekannt, demnach musste es sich um eine Neuerwerbung handeln. Ich folgte seinen Ausführungen, die gewiss nicht an mich gerichtet sein sollten, ließ ihn ausreden und sprach ihn anschließend an, ohne jedoch aus seinem Rücken zu treten.


    „Er darf nicht gegossen werden?“ Durch das neutrale Thema versagten zum Glück die Stimmbänder nicht, was ich erleichtert registrierte. Meine Nachfrage resultierte aus echter Verwunderung, hatte ich doch bisher immer alle neu gesetzten Pflanzen eher reichlich als spärlich mit Wasser versorgen lassen. „Diese Blattform habe ich auch noch nie gesehen“, fügte ich kurz darauf an. 'Kein Wunder', dachte ich. 'Ägyptische Pflanzen kenne ich nicht. Ägyptische Tiere schon eher, denn meine Zuchthengste stammen aus dieser Provinz. Vielleicht ist die andere Pflege darauf zurückzuführen'. Mir war klar, dass dieses Bäumchen schlagartig an Bedeutung verlieren würde, sobald sich Corvinus umdrehen würde, trotzdem klammerte ich an mich an den Pflegeansprüchen dieses Gewächses fest.

  • Als die Sklavin sprach, stellte ich überrascht fest, dass es keine Sklavin war, die da sprach. Diese Stimme erkannte ich sogleich wieder - Deandra. Was zum Henker wollte sie denn hier? Jetzt, nach all den Wochen, die sie hatte verstreichen lassen nach ihrer Flucht und meinem Besuch in Ostia? Mein Blick war starr auf den Baum gerichtet, die Kiefer mahlten marginal. Ich gab mir Mühe, sowohl unberührt als auch gleichgültig zu wirken. "Dann, scheint mir, hast du dir noch nie die Zeit genommen, eine salix genauer zu betrachten, Deandra. Diese Blätter hier ähneln nämlich Weidenblättern", entgegnete ich gefasst und tonlos.


    Einen Moment blieb ich noch stehen, die Arme nun vor der Brust verschränkt, dann wandte ich mich um und betrachtete mein Gegenüber so kühl wie es mir möglich war. Die Temperatur im Garten schien mir um einige Grad gefallen zu sein. Mir saßder gleiche Kloß im Halse, der sich schon bei meinem Besuch im Register dort eingenistet hatte. Dennoch ignorierte ich dies alles - mit Erfolg - und wandte mich stattdessen der auf der Hand liegenden Frage zu. "Was führt dich her?" Mir fiel ein, dass ich Deandra noch nicht in Kenntnis gesetzt hatte über meinen Entschluss, die geplante Verbindung austragen zu lassen. Das schlechte Gewissen meldete sich, und es bohrte noch mehr, als ich an das ausstehende Gespräch mit Menecrates dachte. Nur kurz verzog ich die Miene. Ein Zaunkönig stieß sich wippend von einem Ast und segelte in den hinteren Teil des Gartens.

  • Natürlich kannte ich ähnliche Gewächse, aber mir war nicht danach, mich über mögliche und unmögliche Ähnlichkeiten mit anderen Bäumen auszulassen. Vielmehr beschäftigte mich seine kühle Ausstrahlung, wenngleich ich nur kurzfristig einen Stich in der Herzgegend spürte, denn eine gewisse Verärgerung über die nachfolgend unfreundliche Abfertigung, begleitet von Unverständnis, machte sich in mir breit. Weder hatten wir eine Erziehung in Hinblick auf Unhöflichkeit genossen noch empfand ich sein Auftreten angemessen, denn außer dieser überstürzten Abreise nach Ostia hab es rein gar nichts, was er mir vorwerfen konnte. Ich blickte ihn mehrere Atemzüge an und stellte wieder einmal fest, welch drastische Veränderung er genommen hatte. Als er gerade erst zum Manne gereift war, zeichneten ihn Freundlichkeit und Fürsorge in besonderem Maße aus. Mit seinem Amtsantritt in Germania zeigten sich erste Veränderungen, die jedoch allesamt im Rahmen blieben und eine Folge der gestiegenen Verantwortung sein mochten, was sich allerdings schlagartig mit der Todesnachricht unserer Eltern änderte. Fortan prägten Gereiztheit, Ungerechtigkeit, teils sogar Grobheit sein Wesen, für das ich mich ursächlich nicht verantwortlich fühlte, auf das ich allerdings entsprechend reagierte, indem ich mich verstärkt in meine Trauer zurückzog. Ich fragte mich, was ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch an ihm mochte, und stellte fest, dass es vornehmlich die Erinnerung an den einst liebevollen Menschen war. Ich wusste nicht zu sagen, ob noch Anteile davon in ihm schlummerten oder ob dieser Charakterzug gänzlich abgestorben war.


    Als mir die Frage durch den Kopf ging, wie wohl Vater und Mutter seine Entwicklung beurteilen würden, riss ich meinen Blick von ihm los, betrachtete zunächst den Horizont, kurz darauf die heranrückende dunkle Wolkenfront und atmete einmal hörbar durch.


    „Nun, ich weiß nicht, wie es dir ergeht, aber ich finde es eher unüblich, wie selten wir uns sehen und sprechen“, antwortete ich in neutralem Tonfall, während ich den Blick von den Wolken löste und mich wieder ihm zuwandte. Allerdings veranlasste mich die eisige Ausstrahlung, vom Gesicht abzulassen und über die Brust seitlich nach rechts abzugleiten, um ein im Winde schaukelndes Blatt ins Auge zu fassen, das offensichtlich nur noch an wenigen Fasern hing. Ich hätte weiter sprechen können, unterließ es aber.


    edit: bissel rumkorrigiert.

  • Während sich eisiges Schweigen ausbreitete, arbeitete mein Verstand auf Hochtouren. Nicht nur, dass ich bereits jetzt fieberhaft nach geschickten Worten der Erklärung meinerselbst fahndete - was mich zudem ärgerte, da ich eigentlich nicht fand, Rechenschaft ablegen zu müssen - ich merkte auch, wie unwohl ich mich zugleich fühlte, weil mein Denken meinem Empfinden entgegen stand. Sie hatte nicht verdient, dass ich sie abweisend und kalt abfertigte. Hatte ich nicht erst gestern gegenüber Aquilius behauptet, sie sei in gewisser Weise immer noch meine Schwester?


    Ihr selbst schien es dabei auch nicht gerade gut zu gehen. Immerhin sah sie mich kaum an, sondern begnügte sich damit, Löcher in die Luft zu schauen oder den Wolken bei ihren trägen Bewegungen über den Himmel zu folgen. Ihr einziger Kommentar führte mir erneut vor Augen, wie wichtig es war, dass sie endlich erfuhr, was ich hinter ihrem Rücken beschlossen und bereits durchgeführt hatte. Ich löste eine Hand aus der Verschränkung vor der Burst und deutete den sich schlängelnden Gartenweg entlang, der sich nicht weit entfernt hinter einer Zitterpappel verlor. Im Frühjahr wurden die Kätzchen zu hunderten von den grünbelaubten Zweigen hängen, doch jetzt verlor der Baum allmählich seine rundlichen Blätter. "Gehen wir ein Stück", befahl ich mehr als ich vorschlug, und setzte mich auch sogleich in Bewegung. Als wir den Baum passierten, hatte ich immer noch nichts weiter gesagt. Mein Blick fiel auf die verletzte Rinde des Stammes, der breite Kerben aufwies. Da der Saft der Pappel fiebersenkend und schmerzstillend war, wurde der Baum oft malträtiert. Einzig aus diesem nützlichen Grund hatte ich noch nicht entschieden, dass der Baum einem weiteren Exoten weichen sollte. Ich räusperte mich und fasste mit einer Hand auf dem Rücken um das Handgelenk der anderen Hand.


    "Du kommst spät, Deandra. Ich habe dir Zeit gegeben, dir angemessene Worte zurechtzulegen, sogar mehr Zeit als ich ursprünglich wollte. Aber du kamst nicht", begann ich und schritt beständig weiter. Ich sprach mehr zu dem Kies zu meinen Füßen als zu der neben mir schreitenden Dame. Dennoch gab ich mir alle Mühe, nicht erzürnt oder kaltherzig zu wirken, was angesichts der Situation jedoch nicht sonderlich gut zu bewerkstelligen war. "Und nun gibt es keinen Grund mehr für dich, hier zu sein. Ich bin nur mehr dein vormaliger Bruder, nichts weiter. Ich weiß nicht einmal, ob ich das noch bin und nicht noch weniger. Selbst Geschwister stützen einander, wenn sie Kummer haben." Ob sie verstand, was ich damit sagen wollte? Unter dem Dach einer hier heimischen Erle blieb ich stehen. Unsere Füße umgab ein Teppich aus Blattwerk und tausenden Erlenzäpfchen. Ich wandte mich Deandra zu. "Ich habe die Verlobung gelöst", sagte ich, als ein kurzer Windstoß ihre palla bauschte.

  • Der Aufforderung ein Stück zu gehen, kam ich gerne nach, weil ich mich der frostigen Stimmung wegen nicht sonderlich wohl fühlte, wenn wir uns untätig und teils schweigend gegenüberstanden. Seinen grantigen Tonfall bewertete ich dabei nicht über, wusste ich doch seit langem, dass er stets dann auftrat, wenn Corvinus - in welcher Weise auch immer - verärgert war. Allerdings bedeutete mein Umgang mit seinem abweisenden Auftreten nicht gleichzeitig, dass ich mich wohler fühlen konnte. Das bedeutete es nie bei Menschen, die mir wichtig waren, es half bestenfalls.
    Während die Füße weitgehend automatisch voranschritten, schlang ich die Arme um den Leib, der nicht nur wegen der ungemütlichen Witterung zu einem leichten Zittern neigte. Ich blickte nach vorn, ohne wahrzunehmen, worauf wir zusteuerten, beließ die ins Gesicht gewehten Haarsträhnen, wo sie waren, und versuchte mich, für seine Worte zu wappnen, die unweigerlich der Aufforderung zur Wanderung durch den Garten folgen mussten. War er noch derselbe wie einst, würde mich eine erneute Zurückweisung erwarten. Ich atmete einmal tief durch, denn nur im günstigen Falle würde es Vorwürfe hageln. Einlenkend hatte ich ihn noch nie erlebt.


    „Vielleicht komme ich spät, du aber bist gar nicht auf mich zugekommen“, erwiderte ich, nachdem er das Gespräch eröffnet hatte. Sein Besuch in Ostia konnte wohl kaum darunter zählen, er war nur gekommen, um mich runterzuputzen, nicht aber, um eine Bereinigung der angespannten Lage zu erreichen. Oh, es war nie klug, einem Vorwurf mit einem weiteren zu begegnen. Viel gescheiter wäre es stets, einfach die Anklage über sich ergehen zu lassen, vielleicht sogar zuzustimmen und sie damit abzuhaken. Irgendetwas veranlasste mich aber stets, mich entweder verteidigen zu wollen oder ihm aufzuzeigen, dass er ebenfalls keineswegs fehlerfrei war. Vielleicht ein Versuch, sich selbst als zwar nicht fehlerfrei, aber dennoch liebenswert darzustellen, der auf diese Weise natürlich zwangsläufig scheitern musste. Niemand wurde als liebenswert eingeschätzt, wenn er dem anderen Vorwürfe präsentierte – gleich auf welche Art.
    Ich unterließ den Versuch, einen seitlichen Blick auf ihn zu werfen, denn der Inhalt der Unterhaltung würde offensichtlich schwer genug sein, um ihn zu verarbeiten, da musste nicht auch noch der abweisende Gesichtsausdruck auf mich einwirken.


    Bei seinen nächsten Worten musste ich schlucken, derart unvorbereitet trafen sie mich. Das Blut konnte sich nicht entscheiden, ob es wegen der gedanklichen Forderung schneller pulsieren oder wegen dem erschlagenden Inhalt gefrieren sollte. ‚Weil ich nicht eher gekommen bin, gibt es nun keinen Grund mehr für mich, hier zu sein.’ Ich verstand die Logik nicht, kam aber auch nicht weiter zum Nachdenken, weil neue Eröffnungen folgten, die allesamt kein bisschen erträglicher waren.


    „Ja, Geschwister stützen einander, wenn sie Kummer haben. Nur eben ICH hatte es damals tun wollen, während du mich zurückgestoßen hattest“, pflichtete ich ihm bitter bei. Nunmehr zog es meinen Blick regelrecht zu ihm, denn genau darin lag sein Fehler, den ich ihm aus Rücksicht nie vorgeworfen hatte – es war sogar ein doppelter Fehler: Er ließ mich ihm nicht helfen und versagte gleichzeitig mir die Hilfe, als ich ihn nötig gebraucht hatte. Plötzlich wurde mir klar, dass er jetzt allen Ernstes genau das MIR zum Vorwurf machte? Ich fühlte mich verhöhnt, blieb abrupt stehen, wandte mich zu ihm und richtete mich auf, wie ich wohl noch nie in meinem Leben aufgerichtet dagestanden hatte.


    „Aurelius Corvinus, du bist weder gerecht noch trägst du Ehre im Leib.“


    Ich spürte nicht mehr den Wind, der an meiner Palla zupfte, die sich langsam löste und von der Schulter rutschte, weil ich von den Gefühlen der Ohnmacht und Enttäuschung übermannt, die Hände vom Leib gelöst hatte. Er stand nicht zu seinem Wort, zu seinem Versprechen, und zwar aus Gründen, die er mir glaubhaft in die Schuhe schieben wollte, die aber zunächst und in viel größerem Ausmaß auf sein Konto gingen. Das Unfassbare der Situation gab mir die Kraft, stark zu sein. Verachtung macht stark, ich erlebte es zum ersten Mal.
    Nieselregen sprühte hernieder, aber weder nahm ich ihn wahr noch konnte er fortspülen, was soeben gesagt worden war.

  • Der Vorwurf verärgerte ich bereits über die Maßen, doch wollte ich es ihr nicht so leicht machen, mich zu erzürnen, und so schluckte ich die scharfen Worte herunter, die mir auf der Zunge lagen, und presste stattdessen die Lippen aufeinander, damit kein Laut entfleuchen konnte. Nicht auf sie zugekommen! Wie nannte sie denn dann mein Besuch in Ostia? Ich hätte schließlich auch faul auf meinem Sitzfleisch sitzen bleiben können, sauer, enttäuscht und noch dazu vollkommen unnötig in Sorge um sie! Unterdrückt schnaubend atmete ich aus und zwang mich, die Wut verrauchen zu lassen. Das war leichter gesagt als getan, aber dennoch annähernd zu bewerkstelligen. Mit nur mehr einem hitzigen Gefühl ließ ich den Kies unter meinem Gewicht knirschen und mir den Lufthauch dankend ins hitzige Antlitz wehen.


    Die Ruhe vor dem inneren Sturm indes nicht lange währte. Schon bei ihren nächsten Worten war ich wieder auf hundertachtzig und konnte das diesmal nicht so leicht überspielen. Die Ader an meiner Schläfe pochte unter den wütenden Schlägen meines Herzens, die Lippen waren nur mehr ein blutleerer Strich und die Brauen bedrohlich gewölbt. Ich hätte mir in jenem Moment vermutlich selbst geglaubt, dass der Jähzorn Einzug gehalten hatte in meine Seele. Der Drang, etwas zu zerschlagen oder gar jemandem wehzutun, wurde übermächtig. Darüber ebenso wütend wie über Deandra, ballte ich die Hände zu Fäusten, bis die Knöchel weiß hervortraten. Ich kam mir vor wie ein Außenstehender, der dies alles unberührt beobachtete. Wie am Tag zuvor, als Aquilius seinem Zorn freien Lauf gelassen hatte. Es war mir nur noch möglich, gepresst zu atmen.


    "Dnr", stieß ich hervor und hatte wohl große Ähnlichkeit mit einem Stier, der im Begriff war, die Hörner zu senken. Glücklicherweise fiel mir selbst dieser Umstand auf, noch ehe ich schnaubend und mit dem Fuß scharrend auf Deandra losgegangen war. 'Du' hatte das Wort lauten sollen, doch nur ein unwirscher Laut war über meine Lippen gekommen. Oh dignitas, clementia! Fortgewischt waren die Tugenden, und innerlich rang ich verzweifelt nach dem letzten Fitzel dieser Tugenden, die ein Römer doch in sich vereinan sollte. Fast froh darüber, dem Stofffetzen mit den Augen folgen zu können, welcher den weiblichen Schultern entglitt, emporgehoben wurde und dann gen belaubten Boden sank, atmete ich tief durch. Ich hätte es ja wissen müssen, schließlich hatte ich genau diese Situation provoziert, indem ich ihr keine Nachricht hatte zukommen lassen. Vorher, hinterher, was machte das schon für einen Unterschied, wenn man beides versäumt - nein, vermieden! - hatte?


    Ihre Worte trafen mich ebenso hart wie jene, die mir Ursus um die Ohren geschlagen hatte. Und wieder war ich es, der befand, der andere habe Unrecht und keine Ahnung. Sicherlich, es war weder nett noch edel gewesen, was ich getan hatte. Aber begriff sie denn nicht, dass ich sie damit vor weitaus schlimmerem Übel bewahrte? Das einzige, was mich an ihr gegenwärtig noch anzog, war ihr Körper. Alles andere war mir zuwider. Zumindest behauptete ich das, auch mir selbst gegenüber, und das mit Erfolg.


    Das Schlimmste aber war der nüchterne Tonfall, den sie mir präsentierte, und mit dem sie mir ohne weiteres das Heft aus der Hand prellte - noch dazu auf meinem eigenen Anwesen! Ich stand nur da wie ein Opfertier und stierte sie an, teilweise hasserfüllt, doch aber um eine teilnahmslose Miene bemüht. Wie konnte sie es nur wagen? Zugleich fragte eine Stimme tief in mir wispernd, wie ich es hatte wagen können. Brach ich damit nicht mit der Familie, zu der die meine nicht schon seit Generationen die Freundschaft pflegte? Schoss ich damit nicht eine Frau mit Klasse in den Wind? Eine, mit der mich obendrein noch etwas verband? Bereits vorher hatte ich diese Gedanken gehabt, mich damit auseinandergesetzt und dennoch gegen diese Bindung entschieden. Ich hatte Deandra schließlich doch noch gern, irgendwie, und ich wollte ihr kein Leben an der Seite eines Mannes zumuten, der von Zweifeln zerfressen war und mit ihrem Verhalten nicht oder nicht mehr auskam.


    "Ist das alles, was du mir zu sagen hast?" fragte ich schlussendlich, innerlich mühselig beherrscht, äußerlich wieder ruhig. Mir war klar, dass es kaltherzig war, wie ich fragte. Doch wenn es ihr leichter fiel, mit Wut im Bauch und Missachtung loszulassen, nahm ich das in Kauf, ohne zu mucken. Den Regen spürte ich in der Hitze nicht einmal.

  • Raum und Zeit hatten an Bedeutung verloren, während ich im stärker werdenden Nieselregen stand, ihn anblickte und seine Wut nicht nur sah, sondern sie wie Spannungswellen meine nackten Schultern und Arme berührte und in den Brustkorb drang, der jedoch vor Augenblicken bereits durch eine undurchdringliche Schutzwand abgepolstert war. Nicht wirkungslos, aber ohne verheerende Folgen prallte sein unterdrückter Zorn ab, rutschte als Masse gen Boden und schlug dort auf. ‚Du kannst mir nicht wehtun, denn der Corvinus, den ich einst liebte, ist bereits über den Fluss gefahren’, dachte ich in gewisser Weise ruhig, vermutlich aber nur deswegen, weil ich unter Schock stand. Ich vermied unter allen Umständen, gedanklich zu ergründen, was mit ihm geschehen war, denn das hätte mich nur meine augenblickliche Standhaftigkeit gekostet. Vielmehr machte ich mich auf eine zorngeladene Erwiderung gefasst, aber sie blieb aus, was mich nicht nur irritierte, sondern mich zum Teil auch meiner künstlich aufrechterhaltenen Sicherheit beraubte. Ich staunte ihn regelrecht an, als er mich fragte, ob dies alles sei, was ich zu sagen hätte.


    „Alles, was ich im Augenblick zu sagen hätte, wäre durch die Situation verfälscht und würde daher nicht das darlegen, was ich womöglich in einer ruhigen Minute äußern würde“, antwortete ich mit sicherer Stimme. Flüchtig fragte ich mich, woher ich die Kraft für die Fassung nahm, die mich gerade stärkte. Eine Antwort wusste ich nicht darauf. „Es ist daher besser, wenn ich nun gehe.“


    Ich atmete noch einmal durch, hob anschließend in einer mechanischen Bewegung die Hand und zog den Verlobungsring vom Finger. Zwischen Zeigefinger und Daumen gefasst reichte ich ihn Corvinus und hoffte, er würde ihn abnehmen, bevor Kälte und Anspannung unweigerlich ein Zittern heraufbeschwören würden. Der hummerfarbene Klecks seitlich von uns führte mir meine ungeschützte Verfassung vor Augen. Aufheben würde ich die Palla gewiss nicht, aber ich wünschte mich in einen geschützten Raum – eine Zuflucht ohne Schmerz, ohne Sorgen und ohne auskühlenden Herbstregen.

  • Wie versteinert stand ich im Regen und rührte mich nicht. Nich einmal ein Blinzeln kam von meiner Seite. Stumm vernahm ich ihre Worte, ebenso stumm lief ein einzelner Regentropfen seitlich an meiner Wange herunter und tropfte in den blauen Mantel, und gleichsam stumm wie erstaunt nahm ich zur Kenntnis, dass Deandras Blut ruhig war wie sonst nie in einer solchen Situation. Sofern man diese Situation mit anderen überhaupt vergleichen konnte, bemerkte ich bitter in Gedanken.


    Während ihrer ringabstreifenden Bewegung verschränkte ich die Arme vor der Brust. Ich war mir ausnahmsweise einmal bewusst darüber, dass dies eine Abwehrhaltung war, und ich setzte sie ganz gezielt ein. Der Nieselregen wandelte sich zu einem Wolkenbruch. Noch waren wir unter dem Blätterdach weitestgehend geschützt, doch bereits jetzt gluckste und gluckerte es um uns herum, und die niederprasselnden Regentropfen trommelten auf den Blättern ein schauriges Lied. In einer Ecke des Gartens quakte ein Frosch. Deandra hielt mir den Ring mit den verschlungenen Pferden hin, mit spitzen Fingern, als sei er ein giftiges Kleinod. Ich richtete den Blick auf den Ring, machte jedoch keine Anstalten, ihn zu nehmen. Manche mochten sagen, dass dies das Verhalten eines Schuljungen war, der etwas nicht tat, von dem er wusste, dass es unweigerlich passieren würde. Ich selbst dachte in diesem Moment allerdings nur daran, dass ich diese Kindereien ein ums andere Mal satt hatte und ganz gewiss nicht mehr mitmachen würde bei diesem Tust-du-mir-weh-tu-ich-dir-weh-Spielchen. Stattdessen stand ich einfach nur da und taxierte Deandra mit vor der Brust verschränkten Armen - und tat nichts.

  • Ein Zweig bog sich unter dem Gewicht der angesammelten Regentropfen, gab die Fracht frei und schnippte erleichtert nach oben, während die Wasseransammlung zu Boden stürzte. Als sie auf meiner rechten Schulter landete, bewirkten die Überraschung und der Kälteschock ein Erzittern. Noch immer hielt ich Corvinus den Ring entgegen, wenngleich er bereits durch seine Gestik deutlich gemacht hatte, dass er nicht gewillt war, ihn zurückzunehmen.
    Ich forschte in seinem Gesicht, als er aufblickte; suchte den Zorn, den ich darin nicht mehr fand; warf die Frage auf, warum er nicht wie sonst überzogen reagierte, sondern in diesem Falle schlicht gar nicht. Die Kälte, die mir erheblich zu schaffen machte, mochte Schuld daran sein, dass mein Geist verlangsamt arbeitete, keine brauchbaren Antworten auswarf und auch verzögert für die Rücknahme des Ringes sorgte. Nach einem letzten Blick in seine Augen betrachtete ich das Unterpfand unserer einstigen Liebe, die mir stark vorgekommen und doch zerbrochen war.
    Ich hob die Linke und legte den Ring hinein. Während sich die klammen Finger um ihn schlossen, blickte ich wieder auf, weil mich Fragen bewegten.


    „Was überdauert? Was hat Bestand? Nur jenes, das gepflegt und behütet wird? Oder doch eher das, dem keine Schwierigkeiten entgegenstehen? Das, was keine Bewährungen erfordert? Und ist es ein Armutszeugnis, wenn zwei nicht imstande sind, Hürden aus dem Weg zu räumen? Oder kann man sich einreden, dass die Schuld bei diesen Hindernissen lag?
    Wenn du die Antworten weißt, lass sie mich bei Gelegenheit wissen.“


    Ich presste die Hand, die den Ring hielt, an den Leib und versuchte den Arm durch Reibung zu erwärmen, während ich mich in ungewohnt steifer Bewegung dem Haus zudrehte.
    „Die Götter mit dir, Corvinus“, flüsterte ich, indem ich über die Schulter blickte, ohne jedoch seine Augen zu suchen. Der Verbleib des Ringes hatte meine Sicherheit unterhöhlt, weil er mich an die schönen Zeiten erinnerte, weil er Wehmut hervorrief. Ich wollte dem Haus zueilen, vermochte es aber nicht in dem Maße, weil der Körper wie die Seele erfroren schien und nur widerstrebend dem Willen Folge leistete.

  • Vermutlich sah sie selbst ein, wie sinnentbehrend das Ganze doch war. Zitternd ließ sie die Hand wieder sinken, behielt den verdammten Ring. Der Umstand, dass sie zitterte, ließ auch den letzten Rest der Wut verfliegen. Sie wirkte verletztlich, eine Eigenschaft, die den Beschützer in mir wachrüttelte. Ich zog eine Grimasse, mein Blick fiel auf die am Boden liegende palla mit dem seltsamen orangerotfarbenen Ton. Regen durchnässte den hauchzarten Stoff. Deandra zitterte, weil sie fror. Frauen froren immer. Eine nüchterne, logische Schlussfolgerung. Ihre Worte lenkten meine Aufmerksamkeit wieder auf sie zurück.


    "Manchmal stellt sich die lodernde Flamme der Leidenschaft als Strohfeuer heraus, Deandra. Das bedeutet nicht, dass einem der andere nicht mehr wichtig ist. Du hast mehr verdient als ein Leben an der Seite eines Mannes, der zweifelt und dich nicht glücklich machen kann. Es hätte bei Bruder und Schwester bleiben sollen, das ist mir nun klar, und das hat beileibe nichts damit zu tun, dass ich nicht bereit wäre, im Weg liegende Steine beiseite zu schaffen. Es ist jetzt schmerzlich, aber irgendwann magst du mich vielleicht verstehen", entgegnete ich wie auswendig gelernt, was es allerdings nicht war. Mich verwunderte indes selbst der ruhige Tonfall, mit dem ich das sagte. Deandra drückte den Ring an sich und wandte sich ab. Die palla wollte sie scheinbar zurücklassen. Sie würde mir ein Grund sein, die villa Claudia aufzusuchen, um mit Menecrates zu sprechen, dachte ich gefühllos. Deswegen hob ich sie auch nicht auf, sondern ließ den Stoff liegen, wo er war. Beinahe übertönte der prasselnde Regen die leisen Worte, die mir über die zarte Frauenschulter entgegenwehten. "Und mit dir", sagte ich in tiefem Ton und blieb an Ort und Stelle, geschützt vom niedergehenden Regen, stehen.

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