Versuch eines Sühneopfers

  • Von den Märkten kommend, trieb Macer zwei Sklaven vor sich her, von denen einer wiederum mit geübter Hand einen Widder vor sich her trieb. Der Tempel des Mars Ultor war das Ziel der kleinen Gruppe und Macer schien es, als wenn heute auf diesem Weg auch ein wenig mehr los war als sonst. Kein Wunder, mussten die vielen blutigen Tode in Rom doch den Zorn der Götter erwecken und gerade bei Mars Ultor, dem Rächer, konnte man dort mit einem Opfer nicht eifrig genug sein.


    Suchend blickte er sich nach Flavius Aquilius um, denn wenn man schon einen Priester unter seinen Klienten hatte, dann musste man das bei so einer wichtigen Angelegenheit wohl schon ausnutzen.

  • Einen Vorteil hatte das Dasein als sacerdos durchaus - es gab für alle möglichen kleinen Dinge die camilli, Jugendliche, die im Tempel ihren Dienst taten, um eines Tages vielleicht selbst zuerst discipulus und dann sacerdos zu werden. Und die camilli waren wirklich überall, sodass ich denen des Mars-Ultor-Tempels gesagt hatte, sie sollten Ausschau nach verschiedenen Personen halten und mir sofort Bescheid geben, sollten sie diese erblicken. Unter anderem gehörte zu jenen Menschen auch mein neuer patronus, senator Purgitius Macer. Auch wenn ich gerade im Tempelinneren zu tun gehabt hatte, so erfuhr ich doch zeitnah, dass er im Tempel anwesend war und beendete meine vorherige Tätigkeit, um mich auf den Weg zu machen, ihn angemessen zu empfangen. Meine collegi würden es mir nicht übel nehmen, hätten sie nun die Opferkekse und -kuchen selbst wegzuräumen, schätzungsweise würde abends kein Krümel mehr übrig sein. Aber, wenn ich ehrlich war, ich machte mir nicht viel aus Opferkeksen.


    "Salve, senator!" begrüßte ich meinen patronus, als ich ihn schließlich vor den Tempelstufen erblickte, samt Begleitung in Form von Sklaven und einem Opfertier. "Das sieht mir ganz nach Arbeit aus, ich würde fast vermuten, Du willst den Göttern Sühne anbieten?" Da war er beileibe nicht der erste, und würde sicher nicht der letzte sein. Auch wenn ich mich wunderte, dass der Senat noch immer keine Entscheidung getroffen hatte, ein Staatsopfer würde wohl noch auf sich warten lassen - da konnte man nur als Privatmann mit gutem Beispiel vorangehen.

  • "Genau so ist es", bestätigte Macer, der von dem flotten Marsch durch die Stadt zwar nicht außer Atem war, aber dennoch richtig warm geworden. Auch bei diesen Temperaturen war die Toga noch ein recht warmes Kleidungsstück. "Rom ist mit Blut befleckt, wenn das so weiter geht wird es bald keine öffentliche Treppe mehr geben, auf der nicht eine Leiche gelegen hat." Dass es ausgerechnet immer Treppen waren, schien Macer aus unerklärlichen Gründen besonders zu schaffen zu machen. Dabei spielten Treppen in seinem Leben nicht einmal eine besondere Rolle.


    "Was bleibt einem da als besorgtem Bürger anderes übrig, als zum Tempel des Mars Ultor zu eilen und den Rächer mit einem Opfer gütig stimmen zu wollen? Ich nehme an, ihr könnt euch vor lauter Andrang derzeit nicht über Langeweile beklagen? Hast du trotzdem Zeit, mir ein wenig zur Hand zu gehen?" Bisher hatte Macer meistens nur regelmäßig wiederkehrende Reinigungsopfer für die Truppen mitbekommen, aber im Gegensatz zu diesen betrachtete er den aktuellen Fall als wirklichen Ernstfall und wollte sich dabei keinen Fehler erlauben.

  • "Das wollen wir doch nicht hoffen. Allerdings, die Zeiten scheinen mir düster geworden, meine Cousine Flavia Agrippina ist wohl das bedeutendste Opfer des Zorns der Götter, und wenn wir nicht handeln, dann wird dieser Zorn sicherlich nicht geringer werden," sagte ich ernst und nickte zu seinen Worten. Was mir wirklich im Kopf dabei herumging - der Gedanke dessen, dass für den Erfolg der Truppen in Parthia ein solches Blutopfer vielleicht dringend nötig war, behielt ich indes für mich. Es war barbarisch, das überhaupt zu überlegen, und doch hatte es bisher einzelne Menschen getroffen, deren Blut öffentliche Orte besudelt hatte. Vielleicht waren es göttliche Eingebungen, die zu solchen Ereignissen geführt hatten, die einen Mann aus gutem Haus dazu brachten, sich selbst spektakulär auf den Stufen der curia zu richten, anstatt am heimischen Herd, wie es die Ehre eines Römers verlangte. Vielleicht war es göttlicher Wille, uns Agrippina zu nehmen, um uns zu zeigen, dass wir niemals sicher davor waren, Wichtiges und Bedeutendes zu verlieren, und dass wir letztendlich uns zu sicher gefühlt hatten. Vielleicht war dieses Blut nicht nur ein Zeichen des Zorns, sondern ein Mahnmal dessen, dass wir umdenken mussten. Dass Rom träge geworden war, und den Göttern dies nicht gefiel.


    "Momentan ist schon wegen des Kriegs viel los hier, aber die jüngsten Anschläge und Entwicklungen haben den Verkehr natürlich nicht geringer gemacht - aber es sind momentan fast alle Priester anwesend, sodass mich keine dringende Pflicht daran hindern würde, Dir zur Seite zu stehen. Wenn Du willst, werde ich das Tier opfern und dann die Eingeweideschau halten - außer Du möchtest extra einen haruspex herbeirufen." Im Grunde war es üblich, ausser bei großen Staatsopfern keine haruspices beizuziehen, die ohnehin für meinen Geschmack zuviel Trara um ihre eigentliche Arbeit machten. Mein letzter Widder war zwar eine Weile her, aber ich hatte inzwischen eindeutig mehr Übung als bei meinen ersten nassen Versuchen mit den Ferkeln im atrium der villa Flavia.


    Und da ich ihn gerade am Tempeleingang stehen sah - er war mir nach draußen gefolgt, wie er mich auch diesem Tag in den Tempel begleitet hatte - winkte ich meinen Neffen Flavius Lucanus herbei, um ihn auch gleich vorzustellen. "Senator, dies ist mein Großneffe Flavius Lucanus, und im Augenblick hat er den Posten als mein scriba personalis inne - er wird uns heute also beim Opfer zur Hand gehen." Zu Lucanus gewandt fügte ich an: "An Deinem ersten Tag hier lernst Du auch gleich einen wichtigen Mann kennen - Senator Purgitius Macer, meinen patronus. Wir werden ein Sühneopfer abhalten und ich denke, das ist die ideale Gelegenheit für Dich, ein bisschen Erfahrung zu sammeln."

  • Mein Onkel ist Priester des Mars. Daß ich mit den kriegerischen Seiten dieses göttlichen Ahnherren unseres Volkes wenig zu tun haben wollte, ihn mehr als den Gott der Felder und des Ackerbaus schätzte - auch wenn mir lieber wäre, er wäre der Schutzpatron des Fischfangs, denn in Flaviobriga hatte Mars nur selten nach den Feldfrüchten gesehen (was ich aus der Unwirtlichkeit und der kümmerlichen Ernte schließe) - wird mir Mars hoffentlich nicht verübeln. Zwar hätte ich gerne die Schilde und Speere des Gottes gesehen, die bei drohendem Unheil scheppernd aneinanderschlugen, aber die stehen im Haus des pontifex maximus bzw. in der Regia.


    Trotzdem gibt es genug im Tempel des Mars und in den angrezenden Räumlichkeiten zu sehen, zu bestaunen und anzufassen. Mit leichten Fingern streiche ich über die Marmorwände, verneige mich vor den im Tempel aufbewahrten Bildnissen und schlendere umher, bis Onkel II sich gerichtet hat. Wir treten beide vor den Tempel, ich lasse mein Gesicht von der warmen Morgensonne liebkosen und genieße die Aussicht vom Podium, auf dem der Tempel steht.


    Auf die zum Tempeleingang führenden Stufen kommt ein Mann zu, ein Senator, etwa im fast schon üblichen und unbestimmten Onkel-Alter, der zwei Sklaven, von denen einer wiederum einen Widder vor sich hertreibt. Die Sklaven sehen etwas eingeschüchtert und abgehetzt aus, als wären sie das vorherbestimmte Opfertier, während der Widder einen gelangweilten Ausdruck zur Schau trägt, als ob er diese Prozedur schon viele Male über sich ergehen hat lassen müssen. Es schien dem Tier ziemlich lästig zu sein, an einem so schönen Tag irgendetwas anderes tun zu müssen als in der Sonne zu liegen, ein bißchen Gras zu kauen und vielleicht ein oder zwei seiner Zibben zu bespringen. Schönes Tier, schöne Hörner.


    Onkel Aquilius erwies mir die Ehre, mich dem Senator vorzustellen, ich hatte den Mann schon auf dem Forum gesehen, an dem Tag, an dem der Octavier sich in sein Schwert gestürzt hatte. Jetzt kann ich dem Gesicht auch einen Namen zuschreiben; leicht zu merken, ein sehr anschauliches cognomen. Ich verbeuge mich:


    Salve, Senator Purgitius Macer! Es ist mir eine Ehre, Dich kennenzulernen ... und bei diesem Deinem Opfer mit zu dienen.


    Ob es die ideale Gelegenheit, war, ein bißchen Erfahrung zu sammeln? Für wen? Hoffentlich sammelte nicht mein Onkel "ein bißchen Erfahrungen", denn ich hatte früher beim Anblick von Blut schon des öfteren wenig vorteilhaft reagiert. Beim Anblick eines kopflosen, durch den Hof wankenden Huhnes war ich kurzerhand in Ohnmacht gefallen, gut, da war ich noch ein Kleinkind. Und Pedro habe ich mal ratz-zack auf die Tunika ..., nachdem ich mit meiner Faust so seine Nase traf, daß mir sein Blut ins Gesicht spritzte. Naja vielleicht lag's auch daran, daß er mir seine Faust in fast demselben Augenblick in meinen Bauch rammte und ich zum Frühstück zu viel gesessen hatte.


    Ich lächelte freundlich und teilnahmsvoll, während der Bock dasteht, als ginge ihn die ganze Chose nichts an und die Sklaven irgendwie um Atemluft und Fassung ringen.


    [SIZE=7]edit:/ Gerade entdeckt, daß die Gruppe aus "1 Mensch + 1 Widder + 2 Sklaven" besteht. 1 Sklave in 2 Sklaven 2mal geändert. Sorry [/SIZE]

  • "Die Deutung, ob deine Cousine Opfer des göttlichen Zorns geworden ist oder ihr Tod erst den göttlichen Zorn herauf beschwören wird, überlasse ich gerne denjenigen, die sich damit auskennen. Ich ging bisher von letzterem aus, aber vielleicht auch nur deshalb, weil dies bei allem Leid die optimistischere Variante ist. Wenn die Götter uns schon verlassen haben, dann hoffe ich, dass dies noch nicht zu lange her ist. Sonst wären wir wohl wahrlich blind gewesen, dies nicht früher zu erkennen." Was Macer nicht einmal ausschließen wollte, denn in der Geschäftigkeit des Alltags konnte man durchaus vergessen, auf die Zeichen genauer zu achten. Andererseits gab es ja extra Leute, die genau dafür und ähnliche Zeichendeutungen zuständig waren und sicher gewissenhaft ihrer Aufgabe nachgegangen waren.


    "Es freut mich, deine Bekanntschaft zu machen", wandte er sich dann an den jungen Mann, der ihm vorgestellt wurde. "Auch wenn es sicher glücklichere Umstände dafür gegeben hätte. Aber in Zeiten wie diesen einem Priester zur Hand zu gehen ist sicher keine falsche Entscheidung."


    Dann galt seine Aufmerksamkeit wieder seinem Klienten. "Nein, einen Haruspex möchte ich nicht hinzu ziehen. Das überlasse ich gerne den offiziellen Opfern des Senates und der Magistrate. Es gibt sicher gewichtigere Zeichen zu deuten als die in meinem Opfer. Ich vertraue darauf, dass du dich hinreichend auf die Eingeweideschau verstehst, um auch in diesem nicht ganz alltäglichen Fall ein verlässliches Urteil zu fällen." Und wenn dieses negativ ausfiel, musste eben ein zweiter Widder her. Daran sollte es nicht scheitern.

  • Nett, daß er denkt, es sei meine Entscheidung gewesen, Onkel Aquilius beim Opfer zur Hand zu gehen, was auch immer das bedeuten wird. Daß ich mir meine Hände mit mehr als Tinte aus Galläpfeln und Vitriol (oder was sonst da noch hineingehört) schmutzig mache, war eigentlich nicht Bestandteil des Kleingedruckten. Oder wurde die Tinte eines Priester-scribas mit Blut gemischt? Übel. Buchstäblich.


    Der Austausch von Höflichkeiten war beiderseits in höchstem Grade professionell verlaufen, vermute ich. Wie zwei Blätter im Herbstwind, die sanft aneinander vorbeigleiten, zum gegenseitigen Gruße schwanken und dann ohne weiteres in unterschiedliche Richtungen davonwehen. Ich hätte auch der Knabe sein können, der ihm auf einem Stehempfang ein Tablett mit Speziereien reicht, so ungeteilt und konzentriert war seine Aufmerksamkeit für mich. Kein 'na, junger Mann, woher kommen wir denn (Erwachsene sagen immer "wir" obwohl sie sich dabei selbst nicht meinen), ach, Hispania! - und wie gefällt Dir Rom? Was wünschst Du Dir zum Saturnalienfest?' oder irgendetwas in der Preislage.


    Dabei zeigen sich ältere Herren den Interessen junger Männer gegenüber durchaus anteilsam und wollen deren Bildung, z. B. in barbarischer Kunst fördern; der ein oder andere hat in den letzten Tagem bei meinen Streifzügen durch die Stadt schon versucht, mein Interesse für seine Beutesammlung aus dem jüdischen Krieg, einem germanischen Feldzug oder einer afrikanischen Strafexpedition zu wecken und lud mich ein, sie mir in seiner domus anzusehen. Wen interessiert sowas endslangweiliges denn schon?


    Offenbar hatte der Bock wirklich schon Erfahrung oder einen siebten Sinn - denn ich beginne in der Tat mich zu fadisieren, vielleicht, weil die Spannung zu groß war und nicht weiter aufgebaut werden kann? Hoffentlich mache ich nicht auch so ein Gesicht wie das Viech und kontrolliere meine Gesichtsmuskulatur. Das freundlich-achaische Lächeln ist noch da und das muß ich kräftig betonieren, denn der Senator spricht von Eingeweideschau.


    Will Onkel Aquilius etwa im Inneren des Tiers herumwühlen? Ich habe schon das ein oder andere procedere miterlebt und es kam mir oft so vor, als würde der Priester ein Organ suchen, von dem er nicht weiß, ob es im Tier existiert und wo es denn stecken könnte, vorausgesetzt, es ist überhaupt vorhanden. Eine ziemlich Schweinerei - und wenn der Seher sich nicht die Hände gewaschen hat, kann man die Innereien nicht mal mehr zu Würsten verarbeiten.

  • Lucanus sah bei der Aussicht auf ein blutiges Opfer nicht so begeistert aus, wie ich mir das erhofft hatte, aber da würde mein Neffe nun durch müssen, auch das gehörte schließlich zu meinem Alltag, auch wenn es nicht so oft der Fall war, dass ich ein Tier opfern musste, es war zumindest eine Möglichkeit, die stets bestand.
    "Ich weiss, es ist müßig, über etwas nachzusinnen, das wir nicht mit Sicherheit wissen, doch ich muss zugeben, dass mich der Tod der virgo vestalis maxima sehr erschüttert hat, gerade in einer Zeit, in welcher der Imperator im fernen Parthia weilt und diese Angelegenheit nicht selbst in die Hand nehmen kann. So wird es beim Senat bleiben, über all dies zu entscheiden, und uns sind bis dahin die Hände gebunden. Im Grunde ist sie keine Flavia mehr, aber ... ihr Blut wandelt sich nicht durch den Weg als Vestalin, und unsere Gedanken gelten ihr zu dieser Zeit besonders."
    Zu Lucanus' Verhalten meinem patronus gegenüber nickte ich beifällig, auch wenn er aus der bittersten Provinz in Hispania stammte, höflich war er, wenn es sein musste, und mehr hatte ich auch nicht erwartet. Er würde seinen Weg schon machen, egal wohin er ihn führen mochte, dessen war ich mir sicher.


    Nachdem Purgitius Macer glücklicherweise auf einen Haruspex verzichtete - es machte letztlich doch alles nur komplizierter, wenn man einen beiziehen musste, vor allem ließen sich die meisten doch sehr bitten - klatschte ich in beide Hände, was einen der camilli herbeirief, dem ich in knappen Worten mitteilte, was zu geschehen hatte - der Hauptaltar vor dem Tempel, welcher für die blutigen Opfer bestimmt war, musste gesäubert werden, sicher war sicher, und Blumenschmuck für das Opfertier musste ebenso besorgt werden. Während der Knabe davonstob, schritt ich auf den Widder zu und beäugte ihn von allen Seiten aus kritisch, ob Wuchs und Gestalt irgendeinen Makel aufwiesen - bei solchen Opfern konnte man nicht vorsichtig genug sein. Aber ich konnte nichts nachteiliges entdecken, der Senator hatte sein Opfertier gut ausgewählt, und so gab ich schließlich mein Einverständnis.


    "Möchtest Du den Opferformeln ein eigenes Gebet selbst hinzufügen oder soll ich Mars allgemein um Milde bitten?" fragte ich gen Macer, während die Sklaven den Widder in Richtung des Altars führten, an dem sich nun doch einige neugierige Bürger versammelten. Ein blutiges Opfer außer der Reihe passierte nicht so häufig, und angesichts der letzten Ereignisse in Rom wurde da natürlich ein Zusammenhang vermutet."Was die Eingeweideschau angeht, kann ich Dich beruhigen - ich habe inzwischen einiges an Übung darin, und ich denke, dass sich in diesen Zeiten die Zeichen der Götter sehr eindeutig gestalten werden." Alles andere hätte meinen Glauben an die großen Zusammenhänge der Welt auch ziemlich erschüttert.

  • Was Onkel Aquilius nun zu Purgitius Macer sagt, ist zwar akustisch verständlich, inhaltlich hingegen weniger. Welche Vestalische Jungfrau? Was für eine Flavia? Ist die einzige lebende Frau unserer gens eine Vestalische Jungfrau? Hatte ich deshalb bislang noch keine Frau im Haus gesehen? Weil es keine gibt? Nur Männer in der Villa Flavia! Und ein paar weibliche Sklaven - mich schauert's ein wenig, nicht unangenehm.


    Offensichtlich ging es jetzt los, ich stehe in den Startlöchern und versuche, möglichst genau Acht zu geben, wo ich stehen sollte, wohin ich gehen sollte - und wo und wohin absolut nicht. Schwierige Sache. Ich folge Onkel Aquilius zum Widder und kraule sanft seinen Rücken, während er inspiziert wird - der Widder, nicht mein Onkel. Der ist dem Tier genauso egal wie ich es bin. Wäre der Bock nicht von warmem Blut durchpulst, ich könnte auch ein Fellstück berühren.


    Die Tempeldiener eilen durch die Gegend, bringen Kränze und Girlanden, schrubben die Altaroberseite. Ich warte darauf, daß mein Onkel entscheidet, was ich wahrscheinlich am wenigsten falsch machen werde.


    Menschen werden stetig und unauffällig angespült, glotzen einfältig, beobachten ängstlich oder einfach nur neugierig, was nun werden wird, wer da opfert und wie es ausfällt. Der Platzwechsel vom Publikum aufs Podium ist mir nicht wenig unangenehm, weil erstaunlicherweise so unvorbereitet. Ich habe das Gefühl ich kann meinen Text nicht, habe nicht ins Skript geschaut, bin splitterfasernackt und habe einen rotleuchtenden Pickel auf meinem blanken Hintern. Ich versuche, alles auszublenden und nur den Senator, meinen Onkel, den Widder und mich zu materialisieren. Alles andere existiert nicht. Alles nur Einbildung. Nur wir vier sind real. Wenn überhaupt.

  • Macer registrierte zufrieden, dass er nur mit relativ knappen Worten seine Wünsche bezüglich des Opfers kund tun musste und sogleich eine prfessionelle Geschäftigkeit um ihn herum einsetzte. Keine der durchgeführten Maßnahmen, von der Vorbreitung des Altars bis zur Schmückung des Tieres, überraschten ihn oder kamen ihm unbekannt vor, aber wenn er selber alles hätte anweisen müssen, hätte es vermutlich länger gedauert und wäre in einer weniger vorteilhaften Reihenfolge gewesen.


    So konnte er sich jedoch ganz auf die Fragen seines Klienten konzentrieren, die ebenfalls einen professionellen Eindruck machten. "Ich weiß natürlich nicht, was deine üblichen Gebetsworte alles einschließen, wenn du Mars um Milde bittest, aber durch meine lange Zeit beim Militär pflege ich zu Mars schon eine besondere Beziehung. Als rächender Gott des Krieges nimmt er für mich die Züge eines strafenden Offiziers an und gegenüber einem solchen ist eine allgemeine, unterwürfige Bitte um Milde in meinen Augen eher unangebracht." Macer hatte in seiner Zeit als Legionskommandeur nicht allzu häufig, aber durchaus regelmäßig von seiner Disziplinargewalt in der Truppe Gebrauch machen müssen und bei entsprechenden Befragungen von Soldaten mit zu pauschalen Reuebekenntnissen nicht viel anfangen können.


    "So wie wir für einen Fehler um Entschuldigung bitten würden, für eine Straftat eine gerechte Strafe akzeptieren und gleichzeitig trotzdem für alle richtigen Taten aufrecht einstehen können, so möchte ich mich auch an Mars wenden. Er wird sein Recht einfordern, dass dieser schlimme Frevel eine Sühne verlangt und dieses Recht kann ich nicht bestreiten, sondern vielmehr eingestehen, dass daran ganz Rom und somit auch ich schuld bin. Trotzdem können wir aufrecht für andere Dinge einstehen und bitten, dass die Strafe nicht jene Treffen möge, die im Dienste des Mars zum Beispiel in Parthia im Feld stehen." Soweit zumindest die Gedanken, die sich Macer bisher zu dem Opfer gemacht hatte. Vermutlich würde sein Klient nun die Hälfte davon über den Haufen werfen, weil er es besser wusste, aber dafür hatte man ja seine Klienten, damit man mehr mitbekam als mit den eigenen zwei Augen und Ohren.

  • Während einer der camilli sich noch damit abmühte, die Blumengirlande über den Kopf des Tiers zu ziehen und Lucanus hilfesuchend ansah - zu fragen wagte der schmal gebaute Junge von höchstens zwölf Jahren nicht, wohl, weil ihn die Anwesenheit meines patronus zu sehr einschüchterte, der in Rom ja einer der bekanntesten Männer war - war ich mit meinen Gedanken ganz woanders. Die Gebetswünsche des Senators ließen sich natürlich auch umsetzen, und ich war nicht unfroh darüber, dass er einen größeren Teil dieser Sache selbst übernehmen wollte - letztendlich war dies mein erstes Sühneopfer und ich würde mich dann eben auf die Einleitung beschränken, sozusagen den Boden bereiten für den späteren eigentlichen Wunsch meines patronus.


    Viele Tempelbesucher taten sich schwer damit, bei wichtigen Dingen eigene Worte zu formulieren, aber bei Purgitius Macer war ich mir sehr sicher, dass er nicht um die rechten Worte würde verlegen sein.
    So nickte ich zu seinen Worten und warf einen Blick auf den Hauptaltar, an dem einige andere der Tempeldiener gerade eilig noch das letzte Stäubchen wegschrubbten, damit alles perfekt vorbereitet sein würde.


    "Das ist, denke ich, ein guter Ansatz, solange wir noch nicht sicher sind, was hinter alledem steht, und ich werde dies gerne unterstützen und mich auf die einleitende Anrufung beschränken, die gemeinsam mit dem Opfer die Aufmerksamkeit wecken wird - und bevor ich das Tier dann opfere, wäre Dein Gebet an der Reihe, das sich um die Details bemüht, um die Du bittest - dann das Opfer und die Eingeweideschau, mit der wir ergründen, ob das Opfer angenommen wurde," umriss ich knapp den Ablauf des Ganzen, letztendlich gab es nur beim Opfer selbst und bei den darzubringenden Opfergaben wirkliche Regelungen, alles andere konnte man flexibel halten - und es war schließlich auch kein Staatsopfer, das sich an althergebrachte Traditionen zu halten hatte.


    "Ich werde mich eben umkleiden gehen," sagte ich dann noch und nickte Lucanus zu, der den Senator unterhalten mochte, bis ich zurück war - auch im Gespräch mit Höhergestellten würde er sich üben müssen, und dies hielt ich für eine weit bessere Lehreinheit, als wenn ich ihm nun an die hundert langweilige Briefe diktierte.

  • Macer war mit dem Ablaufplan einverstanden, war er doch auch trotz seiner speziellen Wünsche für das Gebet weitgehend derselbe, der bei jedem Opfer angewandt wurde. Es war ein durchaus beruhigendes Gefühl, dass man sich auch in solchen schweren Fällen auf eine übliche Abfolge zurückziehen konnte und damit die Situation etwas beherrschbarer machen konnte, fand Macer. Aber wo im alltäglichen Leben gab es das schon nicht, dass etwas nach vorgegeben Regeln ablief?


    Als sein Klient sich zum Umkleiden zurückziehen wollte, nickte Macer nur und warf einen Blick auf den Widder, der mit einer leicht schief sitzenden Blumengirlande inzwischen auch liebevoll bekleidet war. Dann wandte er sich an Flavius Lucanus. "Heute ist dein erster Tag, an dem du deinem Onkel hier am Tempel hilfst, sagte er eben? Bist du schon länger sein Scriba Personalis?" Immerhin hatte sein Klient ihm bisher noch nichts von ihm erzählt, wozu freilich bisher auch kein Anlass bestand.

  • Entweder ist der Widder völlig zugekifft von tylusischem Weihrauch oder er ist ein absoluter Profi. Selbst jetzt, als so ein Steppke ziemlich erfolglos versucht, ihm eine Girlande über den Schädel zu ziehen, muckt oder bockt er nicht 'rum. Mit der stoischen, die man auch als leicht säuerliche Miene eines eingefleischten Moralisten, der jede Festlaune zu Asche verglimmen läßt und so entspannt ist wie eine alternde Jungfrau in den Thermen interpretieren könnte, läßt er es über sich ergehen. Nicht mit anzusehen, die Girande will nicht über seine Ohren.


    Ohne ein Wort lasse ich meine beiden Hände von seinem Rücken zum Kopf gleiten und klappe mit einer schiebenden Bewegung, der Richtung seines Fellwuchses seine Ohren nach vorne, sodaß der Kleine die Girlande, von der schon einige Blüten zu Boden gerieselt sind, mit einem Schwups das Gemüse dorthin schieben kann, wohin es gehört. Ich verziehe meinen Mund leicht zu einem kurzen und etwas verknautschten Lächeln. Jetzt saß die Girlande richtig. Aloha, ey. Perfectissimum, ein wenig schief und zerzaust (Bock und Girlande) vielleicht, aber nicht schlecht.


    Szenenwechsel. Onkel Zwo geht zieht sich zurück und will sich umziehen (Und ich? He! Ich sehe schon, wie ich mir nach der zu erwartenden Sauerei eine neue Ausstattung besorge.), ich bin nun mit dem Bock und dem Senator alleine, der dürre Steppke ist hinter Onkel Aquilius davongeklappert.


    Oh, Senator, heute ist auch mein erster Tag als scriba meines Onkels Flavius Aquilius. Er hat mir erst gestern diese einmalige Chance angeboten. Eine doppelte Premiere, wenn man so will. ... Ich gebe zu, entsprechend aufgeregt zu sein - ich zupfe ein wenig an der schiefen Girlande herum und einige Blättchen aus dem Fell des Widders und streichele über das warme Fell - jedenfalls mehr als er hier.


    Ein schönes und reines Tier, eine ausgezeichnete Wahl. Stammt es von einem Deiner Landgüter?

  • Wenn er ehrlich war, dann hatte sich Macer selten Gedanken darüber gemacht, ob die Opfertiere vor einem Opfer eigentlich nervös waren oder nicht. Wenn er selber opferte, dann waren es meistens undblutige Opfer und Wein oder Kekse konnten nun einmal nicht nervös sein. Die Frage nach der Herkunft des Tieres konnte er dagegen klar verneinen. "Nein, auf meinem Landgut betreibe ich keine Viehzucht. Und selbst wenn, dann hätte ich das Tier kaum so kurzfristig nach Rom bekommen können. Mein Gut liegt in Oberitalien, wo das Klima für den Obstanbau besonders gut geeignet ist." Er warf noch einmal einen Blick auf den Widder. "Ich habe ihn hier auf den Märkten gekauft, bei einem der vielen Händler, die jeden Tag Opfertiere anbieten. Man muss aufpassen, dass man dort nicht über den Tisch gezogen wird, die Preise sind sehr unterschiedlich. Aber ich denke auch, dass ich eine gute Wahl getroffen habe." Es wäre ja auch leicht lächerlich, wenn sich ein ehemaliger Aedil auf dem Markt betrügen lassen würde.


    "Dann steht dir heute also tatsächlich der berühmte Sprung ins eiskalte Wasser bevor", kam Macer dann wieder auf seinen Gesprächspartner selber zurück. "Dein Onkel scheint ein sehr aktiver und engagierter Mann zu sein, vielleicht musst du dich häufiger auf solche plötzlichen Herausforderungen einstellen."

  • Richtiges Wasser wäre mir sicher lieber, hätte ich die Wahl. Ich komme von der nordhispanischen Küste und dort lernen die Kinder erst schwimmen, dann laufen!


    Ich lächele ein wenig versonnen und schaue dem Senator in seine klaren Augen. Jetzt wirkt er nicht so "zackzack", so militärisch wie eben, als er zum Tempel marschierte. Vielleicht liegt's an der Erwähnung seiner oberitalischen Güter oder vielleicht kann er seinen Gedanken jetzt ein bißchen die Zügel geben, wo alles in den Startlöchern steht.


    Er ist ein prächtiger Kerl, setze ich hinzu und streiche dem Widder weiterhin über den Rücken. Unser Nachbar hat die Tiere gezüchtet, die Zeichnung und die Hörner sind wunderbar gewachsen. Als Zuchttier sicher ein Gewinn - und als Opfertier wird er von Mars sicherlich mit offenen Armen begrüßt werden. Hoffentlich sagt man das so. Wär' ich Mars, wär' ich jedenfalls ziemlich froh, einen solchen Widder zu bekommen.


    Meine zwei, meine drei Onkel sind wirklich sehr umtriebig. Onkel Aquilius gehört ja nun wohl auch zu den vigintiviri, da gibt es sicher viel zu tun. Ich freue mich wirklich, denn Leben und Arbeiten lernt man ja durch leben und arbeiten und nicht durchs Lesen. Das ist eine einmalige Ergänzung zur Ausbildung an der Schola.


    Der Widder neigt seinen Kopf und versucht, Blätter und Blüten aus der Girlande mit seiner Zunge zu zupfen. Na, komm, erst nachher, sage ich, und dann fällt mir ein, daß es für den Widder ja kein "nachher" gibt. Ich schlupfe mit einer unter meine Toga und versuche, aus dem Ledertäschchen am Gürtel ein paar salzige Nüsse zu klauben. Gelingt nicht unelegangt, ich blicke freundlich und andeutungsweise verzeihend zu Senator Purgitius Macer. Hier, alter Junge sage ich zum Widder und drücke ihm einiges mit der Handfläche ans Maul. Die Zunge kitzelt, er ist beschäftigt.


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  • Blutige Opfer hatten den großen Nachteil, eben blutig zu sein - und deswegen zog man sich als Priester, wenn ein solches anstand, klugerweise um. Es musste nicht unbedingt die teuerste toga praetexta sein, die man durch das Blut ruinierte, und daneben gehen konnte immer etwas. Ich hatte meine Opfermesser und Wechselkleidung für den Fall der Fälle im Tempel deponiert - wie alle anderen Priester es auch taten - und hatte mir im Tempelinneren auch noch einige ministri aufgegabelt, für das öffentliche Opfer eines Senators durfte es schon ein bisschen mehr sein. So schritt ich gemessenen Tempos, mitsamt einem auf mehrere Männer angewachsenen Gefolge aus eifrigen und neugierigen Kultdienern, wieder aus dem Tempel heraus, das Gewicht des Hammers und meine sonstigen Utensilien trugen glücklicherweise die ministri - als sacerdos hatte man es schon gut bisweilen.


    Inzwischen schien der Widder auch angemessen geschmückt, ein Seitenblick auf den Altar bewies mir, dass er gesäubert worden war, zwei Weihrauchschalen mit Weihrauch darin waren ebenso aufgebaut worden und warteten nur noch auf den Glutspan. "Es wäre dann alles bereit," sagte ich, als ich meinen patronus mitsamt meinem (Groß-) Neffen wieder erreicht hatte. "Wenn du mir bitte kurz in den Tempel folgen würdest, Senator, um Dich rituell vor diesem Opfer zu reinigen." Manche Teile des Rituals durften einfach nicht ausgelassen werden, wenn man wollte, dass das Opfer glückte - und ich hatte nicht vor, im Beisein meines patronus irgendeinen peinlichen Fehler zu machen.

  • Macer kannte sich an der nordhispanische Küste nicht aus und hatte somit wieder etwas über die örtliche Gepflogenheiten hinzu gelernt. Wenn er das nur oft genug machen würde, könnte er sich eine Reise nach Hispania tatsächlich sparen können. Andererseits hatte er tatsächlich gar nicht vor gehabt, dorthin zu reisen. Amüsiert beobachtete er den jungen Mann, wie er dem Widder ein letztes Leckerlie gönnte und erfreute sich gleichzeitig an dessen fachmännischen Urteil. "Dann wirst du deinen Onkel wohl häufiger dabei unterstützen können, geeignete Opfertiere auszuwählen, wenn du dich damit auskennst", stellte er fest. Es war doch immer gut, für alles einen Experten zu kennen.


    "Und das Leben ist tatsächlich die beste Schule und selbst in der Schule soll man ja vor allem für's Leben lernen" Der Spruch war zwar nicht von ihm, aber er gefiel ihm gut. Weitere Weisheiten verhinderte die Rückkehr seines Klienten, der noch eine weitere Gruppe Opferhelfer mitgebracht hatte. Dass sein Sühneopfer so viel Wirbel verursachen würde, hätte Macer auch nicht erwartet.


    "Ja, gerne" antwortete er auf die vermutlich ohnehin nur rhetorische Frage nach der Waschung und folgte dem Priester ins Innere des Tempels.

  • Ich werde ein wenig rot ob des Lobes. Allerdings merkt man, daß der Senator ein Stadtmensch ist - jeder bei uns im Dorf hätte mit verbundenen Augen sagen können, daß der Widder ein prima Kerl ist, einer, den es nur selten gibt. Guter Charakter, gutes Fell, gute Hörner. Muß man nur hinschauen. Ich versuche mein bestes zu tun, murmele ich, während Purgitius Macer sich schon mit meinem Onkel wieder zum Tempel wendet.


    Gellt, Du und ich, wir wissen, daß der zweitgrößte Annaeer, der junge Seneca, das genau andersrum gesagt und gemeint hat. Von Lehrern lernt man nix, nur wie man es nicht machen soll oder lauter dröges Zeug zum Auswendiglernen. Hier rein, da 'raus. sage ich leise zum Widder.


    Ein paar der camilli scharen sich um den Bock und mich. 'Gib nichts, was Du schlachten oder essen willst, einen Namen' hat mir Pedros Vater eingeschärft. Er wußte, warum. Ein wenig klamm wird's mir, wenn ich daran denke, daß der Widder gleich sterben wird. Aber Mars empfängt ihn sicher und führt ihn auf die große Weide, wo er mehr Gras und Zibben hat, als ihm guttun wird.


    Hier! sage ich zu zwei Jungs mit hübschen scharfgeschnittenen Gesichtszügen und mühsam gebändigtem Haar, und gebe ihnen von meinen Nüssen, damit sie dem Bock etwas füttern können. Was geht? Alles klar? Die beiden füttern und streicheln das Tier und er läßt es zufrieden über sich ergehen wie ein Großvater, auf dem die Enkel herumtollen.

  • Ich führte meinen patronus ruhigen Schritts die Stufen zum Tempel hinauf, und nahe beim Eingang waren jene Becken aufgebaut, bei denen jeder für die nötige rituelle Reinheit vor einem wichtigen Opfer sorgen konnte - es verstand sich von selbst, dass ich nicht extra erwähnte, dass er beim Kontakt mit Geburt, Tod oder einer jüngst gelebten sexuellen Erfahrung nicht teilnehmen würde dürfen, doch ging ich davon aus, dass ein Mann mit Erfahrung in der Opferpraxis dies wusste und nicht gekommen war, ohne sich seiner Eignung zu vergewissern.


    So blieb ich etwas abseits stehen, ließ ihm Zeit, das schlichte Reinigungsritual zu vollziehen, das ihn für das Opfer vorbereiten würde, und sammelte sowohl einige Worte als auch einige Gedanken. Da es kein großes Opfer sein würde, kein Staatsopfer, verzichteten wir auf das Voropfer im Inneren des Tempels, was ganz gut war, sonst hätten wir ewig gebraucht, denn auch heute war der Tempel des Mars sehr gut besucht. Und mir widerstrebte es eigentlich, einfache Bürger wegzuscheuchen, nur damit ein Senator opfern konnte - man hätte ihm sicherlich Platz gemacht, aber die feine Art war es nicht.


    Sobald mein patronus mir bekundete, die Reinigung vollzogen zu haben, ging ich mit ihm zurück auf den Vorplatz des Tempels, und das hohe Aufkommen an Tempeldienern samit einem geschmückten Widder und meinem Neffen, der nicht wie der ärmste Schlucker Roms aussah, hatte dazu geführt, dass die schwatzenden Menschen, die zuvor stehen geblieben waren, um ein bisschen zu gaffen, noch mehr geworden waren. Einer der schlacksigen camilli reichte mir das Wasserbecken, und ich nahm mit der rechten Hand einige Male etwas davon auf und besprengte uns Teilnehmende mit ruhiger Geste, die rituelle Reinigung vollendend. Alles war bereit, und die camilli führten den Widder nun zu den in den Boden eingelassenen Halteringen, an denen er festgebunden wurde - ein scheuendes Opfertier war ein sehr schlechtes Omen, und ich hatte auch darauf nicht unbedingt Lust. So blickte ich streng in die gaffende, neugierige Menge und hob mit der traditionellen Formel an, die jedes Opfer einleitete und den Zuschauern bedeutete, jetzt ihr Geschwätz über den dicken Hintern der Nachbarin zu beenden:
    "FAVETE LINGUIS!"

  • Vom oberen Ende der Tempeltreppe schaute Macer hinunter auf den Platz, auf dem sich eine recht große Menge an Menschen versammelt hatte. Vermutlich war das immer so, wenn ein Senator am Tempel opferte, er hatte da noch nie besonders drauf geachtet. Der Scriba seines Klienten und einige Tempeljungen vergnügten sich noch mit dem Widder und Macer hätte es nicht gewundert, wenn sie ihm sogar noch einen Namen gegeben hätten. Er kannt das aus der Armee, wenn man jungen Rekruten mehr Kaltblütigkeit antrainieren wollte. Sie wurden ins Gelände hinaus geschickt, hatten ein paar Gänse dabei, denen sie Namen geben sollten und später mussten sie ihnen den Hals umdrehen, wenn sie nicht verhungern wollten. Keine liebevolle Methode, aber wirkungsvoll.


    Macer beendete seine Waschung und auch wenn es ein spontanes Opfer gewesen war angesichts der tragischen Ereignisse, brauchte er sich auch um sonstige Hinderungegründe keine Sorgen machen. Zumindest ging er davon aus, dass ihn die Tatsache, dass es ein Toter im Senatsgebäude war, der ihn hierher getrieben hatte, nicht so sehr berührte, dass es ihn am Opfern hindern sollte. Genaugenommen wäre das ja auch ziemlich paradox, wenn die Götter einerseits zürnen würden, wenn man nicht schnell opfert und andererseits zürnen würden, wenn man so kurz nach der Berührung mit dem Tod opfert.


    Dann folgte er seinem Klienten zum Altar, wo der Widder angebunden wurde. So ruhig, wie sich das Tier bisher verhalten hatte, wäre das vermutlich nicht einmal nötig gewesen, aber sicher war sicher. Ein wenig angespannt und konzentriert blickte Macer schon, denn immerhin war ihm das Opfer sehr wichtig und allzu häufig stand er nun auch wieder nicht auf so einem Tempelvorplatz auf dieser Seite des Altars, während der Sacerdos zum Schweigen aufforderte.

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