Der letzte Tag eines Schmetterlings. Oder die unsichtbaren Fäden der Schicksalsgötter.

  • Rot schillert der Stoff im güldenen Sonnenlicht. Prüfend hält ihn Callista vor sich. Im Spiegel betrachtet Callista ihre Erscheinung. Welches Kleid soll sie für den schönen Herbsttag wählen? Für den lieblich reizenden Besuch im Garten. Callista ist sich indes unschlüssig. Eine bekannte Silhouette zeichnet sich hinter der Patrizierin ab und spiegelt sich im dem polierten Silber wieder.
    "Rot oder das unschuldige Weiß?"


    Benohés Miene ist undurchdringlich. Wenn sie auch einen tiefen Triumph verspürt. Aber davon lässt Benohé sich nichts anmerken. Die Quintessenz ihres Tuns muss erst noch zu Tage treten.
    "Weiß, Herrin. Darin siehst Du besonders schön aus."
    Zufrieden greift Callista nach dem weißen Kleid, dessen Saum mit gold blauen Blüten bestickt ist. Mit der Hilfe ihrer Sklavin kleidet sich Callista an. Ohne Hast, denn der Tag ist schön. Im Garten zu warten keine Unannehmlichkeit. Zudem hofft Callista auf ein Kennenlernen von Nero und Sisenna. Womöglich freunden sie sich an. Das zarte Mädchen wird ihrem Sohn gewiss gut tun.
    Karamell gleitet durch Schwarz. Benohé richtet die schwarzen Flechten der Callista. Steckt silberne Granatspangen in die dunkle Flut hinein. Callista betrachtet verträumt ihre Gestalt in dem weißen Gespinnst. Die schweren Schritte, die sich nähern, hört sie erst vor ihrer Tür.
    "Hier ist es, Herr." -
    "So klopfe doch."
    Es wird getan. Wie geheißen. Verwundert dreht sich Callista vor dem Spiegel um. Benohé tritt zur Seite und senkt devot ihr Haupt.
    "Wer ist dort?"
    Die Frage ist an Benohé gerichtet.
    "Ich weiß es nicht, Herrin."
    Ein prüfender Blick. Das Zimmer ist präsentabel.
    "Herein."


    Helle Sklavenhände stoßen die Türe auf. Ein Mann in dunkel blauer Toga betritt den Raum. Gedungen ist seine Gestalt. Nur wenig größer als Callista ist jener Römer. Der eine Halbglatze trägt und einen schmalen Bart um sein Kinn. Goldene Ringe blitzen an seinen weichen Fingern. Grüne Augen betrachten Callista. Verwundert erwidert Callista sein Mustern.
    Was für ein häßlicher Wicht.
    Ein Sklave indes nicht, Callista. Ein vermögender Eques womöglich.
    Traun.
    Den Equesring hat Callista an seiner Hand ausgemacht. Aber es erklärt ihr nicht, warum jener Mann in ihre Gemächer gedrungen ist. Was ihn in die Villa Claudia geführt hat. Callista rafft ihre zierliche Gestalt. Ungnädig. Stolz und eigenwillig ist der Ausdruck in ihrem Gesicht.
    "Wer bist Du? Und was wünschst Du hier?"
    Die Toga raschelt leise als der Mann auf Callista zu tritt. Langsam umrundet er Callista. Betrachtet sie von oben bis unten. Ein ergötztes Lächeln zieren seine schmalen Lippen.
    "Schön bist Du."
    Ein Kompliment wäre Callista sehr gefällig, wenn der passende Moment kommt. Aber hier ist es völlig deplaziert. Ihre Augen umwölken ein zorniger Schatten.
    "Wer bist Du, dass Du es wagst, mir nicht zu antworten? In meinen eigenen Räumlichkeiten?"
    Ein glucksendes Lachen ist die Antwort.
    "Zu stolz womöglich."
    Ihre schmalen Hände ballen sich zu Fäuste. Sprachlosigkeit hält Callista umfangen. Sie zieht den Atem heftig durch ihre Nase ein und will ihm einige zornige Worte entgegen schleudern. Nach Sklaven rufen lassen, die den hässlichen Wicht aus ihren Räumen schleifen soll.
    "Und Temperamentvoll. Hervorragend. Doch, die Wahl ist vorzüglich. Du wirst ihm sicherlich gefallen."
    Der Mann dreht sich um, ehe Callista ihre Pläne vollführen kann. Erstaunlich flink eilt der Mann aus ihrem Zimmer und hinterlässt eine vor Zorn bebende Callista. Ihr Kinn dreht sich zur Seite. Ist da nicht ein seltsames Funkeln in den Augen ihrer Sklavin? Scheint sie etwas zu ahnen? Wissen in sich zu tragen, das Callista verborgen ist. Benohé schlägt die Augen nieder. Callista schüttelt ärgerlich den Kopf. Die Ohrringe klimpern leise.

  • Schrill hallt der Schrei in der Villa Claudia wieder. Prallt gegen die Wände. Umschlingt die Säulen im Innenhof. Dringt durch die Fenster. Lässt Sklaven erzittern. Wut schwingt in dem Schrei. Raserei. Furor. Tobsucht. Ein weiteres Mal. Der Schrei stammt aus der Kehle einer Frau. Vasen fallen um. Zerbrechen. Etwas poltert in den Gängen. Schwer auftretende Füße nähern sich dem Cubiculum der Callista. Das disharmonische Gekreische nähert sich mit jedem Schritt. Die Türen werden aufgestoßen. Ein missmutig drein schauender Sklavenriese trägt die kleine Callista über seinen Schultern. Ihre Haare sind aufgelöst und wehen wild um ihr hübsches Haupt. Ihre Wangen sind zornig rot verfärbt. Mit ihren zierlichen Fäusten schlägt sie gegen den Rücken des Sklaven. Wutschreie lösen sich von ihren Lippen. Der Sklave tritt auf das dekadent breite Bett und wirft die Patrizierin recht ungehobelt Weise auf die weiche Unterfläche. Hurtig dreht sich der Sklave um und eilt an der Leibsklavin der Callista vorbei. Die Türen werden verschlossen und mit einem Riegel versperrt. Im Nu ist Callista auf ihren Beinen und greift nach einer Vase mit himmelblauen Blumen. Das makedonische Blumengefäß fliegt durch die Luft und birstet an der Tür. Wasser plätschert an dem Holz hinab. Zerbrochen liegen die schönen Blumen am Boden. Ein schriller Aufschrei dringt aus Callistas Kehle. Sie atmet heftig ein und aus. Die schwarzen Flechten hängen ihr im Gesicht. Missmutig streicht sie sich nach einem Moment des Durchschnaufens die Haare zurück.
    "Ich hasse ihn. Ich hasse. Hasse. Hasse. Hasse ihn."
    Laut hallt der Ruf durch ihr Zimmer. Noch einige Gegenstände werden durch den Raum geworfen. Zerbrechen oder fallen auf den Boden. In ihrer Tobsucht reißt Callista die Vorhänge herunter. Wirbelt die Kissen über den Boden. Zerreist ein Kleid. Zerstört eine Perlenkette. Hunderte samtig schimmernde Kugeln rollen über den Stein. Erst Minuten später kommt Callista zur Ruhe. Erschöpft ist sie auf den Boden gesunken. Ihr Gesicht hat sie in den Händen vergraben. Ihre Schultern zucken. Sie schluchzt hemmungslos.
    Erst justament wagt es die Sklavin sich ihrer Herrin zu nähern. Sie kniet sich neben Callista auf den harten Boden. Sanft streichen ihre Finger die schwarzen Haare zur Seite. Die das Gesicht der Callista verbergen. Ihre Fingerspitzen tasten über die Schläfen und die Hände der Callista.
    Die Nämlichen sinken herab. Tränen benetzt sieht Callista zu ihrer Sklavin.
    "Woher wusste er es?"
    Benohés Miene verzieht sich nicht.
    "Ich weiß es nicht, Herrin."


    Die lautere Wahrheit ist das nicht. Benohé Augen glühen hintergründig. Doch Callista ist zu sehr in ihrem Schmerz gefangen. Sie bemerkt es nicht. Ahnt nicht von dem Verrat ihrer Sklavin. Die am vorigen Tage bereits zu dem Vater der Callista geeilt ist. Sich sein Gehör verschafft hat und ihm alle pikanten Details aus Alexandria berichtete. Von ihm, den sie nie wieder sehen durfte. Ihr Vater hatte es verboten. Vor vielen Jahren. Callista hat sich darüber hin weg gesetzt.
    Sehr zufrieden ist Benohé mit dem Ausgang dieses Verrates. Der von der puren Eifersucht geleitet wird.
    "Ich hasse ihn."
    Erstickt ist die Stimme von Callista.
    "Er meint es nur gut mit Dir, Herrin."
    Zorn brandet in Callistas Augen. Ihre Unterlippe erbebt wütend.
    "Willst Du ihn nachher noch verteidigen? Wem gehörst Du? Mir oder ihm? Wer wird Dich zu den Schlangen stecken, wenn mir danach ist?"
    Benohés Wimpern senken sich.
    "Verzeih, Herrin."
    Abermals vergräbt Callista ihr Gesicht in den zierlichen Händen. Sie weint. Um sich. Immer nur um sich. Selten vergießt sie eine Träne für einen anderen Menschen. Zumeist nur für ihren Bruder. Und auch da bemitleidet Callista im Grunde abermals nur sich selber.

  • Die Verzweiflung bleibt nicht ungestört. Selbst in ihrem zentrovertierten Leiden darf Callista nicht ergehen. Die Türen öffnen sich. Sklaven treten hinein. Eisig und reserviert ist das Antlitz der Unfreien. Wenn sie auch eine innere Genugtuung verspüren. Callistas Grausamkeit. Ihre Sucht nach dem Leid anderer hat sich in der Villa wie ein Lauffeuer herum gesprochen. Dennoch offerieren die Sklaven wenig von ihrer Verachtung. Eifrig fangen sie an, die Habseligkeiten der Callista zu packen. Callista hebt ihren Kopf an. Die Sklaven verschwimmen in ihren Augen. Werden von dem salzigen Nass verzerrt. Sie schnieft leise. Ihre Sklavin tupft mit einem Tuch die Tränen von ihrer Wange. Lässt Callista in das Tuch schneuzen. Wie bei einem kleinen Kind.
    Erst dann wird Callista gewahr. Was hier vor sich geht. Die Sklaven packen ihre Sachen. Ihre Kleider landen in einer hölzernen Kiste. Seide raschelt über helles Linnen. In dem Augenblick erdreistet sich ein nubischer Sklave mit seinen groben Fingern ihren wunderschönen Schmuck zu packen. Um ihn in eine Kiste zu werfen. Ihre Kostbarkeiten. Ihr ganzer Stolz. Ein gellender Schrei entfleucht Callistas Lippen.
    "Du. Du. Du."
    Zu mehr kommt sie nicht. Aber wie eine wütende Furie. Die die Rache der Götter vollführt. Dergestalt springt Callista auf und den Sklaven von hinten an. Die Schritte, die sich dem Eingang zu ihrem Cubiculum nähern, die vernimmt Callista nicht. Ihre Fingernägel bohren sich in das Gesicht des Mannes. Tief in die Haut hinein. Blut perlen ihre Finger entlang. Ein wütendes Brüllen ist die Antwort von dem Sklaven. Mit einem Arm wirft er Callista von sich. Als ob sie ein tollwütiger Hund wäre. Die andere Hand presst er sich gegen sein schmerzendes Gesicht.
    Hart fällt Callista auf den steinigen Boden. Sie wimmert leise auf. Wie ein getretenes Tier. Kein Mann hat es bisher gewagt, sie zu schlagen.
    Grenzenloser Hass steigt in Callista auf. Sie sieht sich mordlustig nach einer Waffe um. Da. Ihr Korb. Schnell hebt sie den Deckel und greift todesmutig in den Korb hinein. Eine rot schwarz gemusterte Schlange erscheint in ihrer Hand. Mit einem triumphalen Lachen schleudert sie das Tier auf den Sklaven.
    Überheblich ist der Ausdruck auf Callistas Gesicht. Sie erhebt sich. Begleitet von dem markerschütternden Schrei des Sklaven. Die Schlange gleitet über den Boden hinweg und versteckt sich unter dem Frisiertisch. Der Sklave verdreht die Augen. Seine Hand presst sich gegen die winzige Wunde an seinem Hals. Das Gift frisst sich durch seinen Körper hindurch. Er fällt zu Boden und zuckt heftig. Der Agonie und dem Todeskampf sieht Callista mit solenner Würde zu. Genießt es. Fühlt den Triumph in sich, wenigstens etwas ihrem Vater damit zu schaden. Schließlich ist das bestimmt sein Sklave. Soll er doch sehen, wie wütend seine Tochter ist. Eine göttliche Furie gleicht sie in dem Augenblick. Von Gestalt und der Verwegenheit, die sich in ihrem Gesicht wieder spiegelt. Ihre Haare wallen unbändig bis zu ihren Hüften. Ihre Wangen sind gerötet. Ihre Augen blitzen.
    Die anderen Sklaven verharren. Angst spiegelt sich in den Augen von den Unfreien.
    "Haltet sie fest."
    Ein Murren von einem der älteren Männer. Zwei Männer gehen zögernd auf Callista zu. Diese funkelt sie genauso erbarmungslos an. Ein Sklave packt ihren Schmuck und will ihn aus dem Zimmer tragen. Wie bereits andere ihrer Habseligkeiten den Weg hinaus finden.
    "Nein. Wage es nicht."
    In einer flinken Bewegung duckt sie sich unter den zwei Sklaven hinweg, die ihrer nicht habhaft werden können und springt auf den Schmuck stehlenden Servus zu. Sie umschlingt seine Schultern. Er schüttelt sie ab und sie fällt zu Boden. Doch sie krallt ihre Hände um seine Beine. Will nicht ablassen von ihrem wundervollen Geschmeide.
    "Nein."
    Der Sklave zieht sie mit über den Boden. Er wagt es nicht, die Patrizierin zu treten. Um den lästigen Balast los zu werden. Doch zwei Füße machen es ihm leicht. Callista fällt vor diesen herunter. Ermattet in ihrem Zorn. Sie zittert am ganzen Leib.

  • Vieles hatte ich erwartet, an diesem Abend zu Gesicht zu bekommen. Eine Lasterhöhle, in der ich sie mit einem Gespielen oder einer Gespielin vorfinden würde, schon in tiefster Glut vereint. Ein Studierzimmer, in welchem sie ihre Kenntnis der Literatur vertiefte, nebenher einen ausgezeichneten Falerner feinsinnig verkostend. Einen Wohnraum, gut gefüllt mit edelsten Erzeugnissen wahrhaft kundiger Hände, wohlgestalte Statuen, güldene Verzierungen an den Wänden, jenen Geschmack atmend, den sie zweifelsohne besaß - aber von alledem war nichts zu erkennen, ich betrat ein Schlachtfeld, und es war das Letzte, was zu sehen ich jemals erwartet hätte. Alles schien derangiert, auf dem Boden lagen Scherben, der Raum schien in wüster Unordnung, wie nach einem erbitterten Kampf und ... es lag tatsächlich ein Nubier auf dem Marmor, das Gesicht so gräßlich verzerrt, der Körper so unnatürlich verdreht, dass ich nach einem Blick wusste, dass er tot war. Genauer gesagt, ich hatte es schon vorher gewusst. Manche Arten von Schreien vergaß man niemals, und dass dies ein Todesschrei gewesen war, wusste ich genauso, ebenso sicher, wie meine Erinnerung an jenen Tag bestand, an dem ich zum ersten Mal einen solchen Schrei vernommen hatte, die Nebel des Vergessens hatten mir dies niemals genommen.


    Dass dieses Bündel Mensch, welches vor meinen Füßen auf dem Boden zu liegen kam, meine stolze und schöne Callista sein sollte, kam mir erst nach einigen Momenten der Stille in den Sinn. Die Karten waren neu gemischt, das Rad der Fortuna hatte sich gedreht - das schien auch jenen Kerlen zu dämmern, die im Raume standen und ihren Blick zu mir gewandt hatten - wie lange auch immer jemand in Rom weilen mochte, den Anblick einer toga praetexta war auch Sklaven und peregrini wohlvertraut. Wer Hand an einen Magistraten legte, hatte meist nicht mehr viel zu lachen. Ein leises Wimmern erklang schräg hinter mir, der Sklavenjunge, der mich geführt hatte, deutete verängstigt auf den Frisiertisch an der Wand, unter dem sich bei näherem Hinsehen etwas zu bewegen schien. Hatte sie hier etwa Schlangen im Zimmer? Vor allem, warum war hier eine Schlange? Hatte man versucht, sie zu ermorden? Inmitten des Heims ihrer gens? Aber wie Mörder sahen diese Kerle nicht aus, wahrscheinlich Sklaven - sie wirkten schlichtweg nicht schuldbewusst genug. Selbstbewusstsein entwickelte ihresgleichen nur auf Weisung und mit der Rückendeckung eines derjenigen, die etwas zu sagen hatten. Ich neigte mich langsam herab, den Blick noch immer auf den fernen Frisiertisch gerichtet, um Callistas Arm zu berühren.


    Nahm sie mich überhaupt wahr? "Hol einen langen Stock mit einer gegabelten Spitze," wies ich den vor Angst zitternden Sklavenjungen hinter mir an, und er verschwand eilends - die Schlange musste eingefangen werden, bevor sie noch mehr Schaden anrichten konnte. Es war vielleicht ein Zeichen einer gewissen paranoiden Grundhaltung dem Leben gegenüber, aber als Patrizier lernte man so einiges über Gifte, auch über Gegengifte, und wie man sich gegen Giftverursacher wehrte - ich wusste, wie man Schlangen fing und ich würde nicht dumm genug sein, sie selbst anzufassen. "Callista ... Callista mea," sagte ich leise, drängend. Hörte sie mich? War sie fähig zu erkennen, wer ich war? Meine Finger umfassten ihren Arm, nicht fest, aber eine merkliche Geste, um sie aus diesen Delirium des Zitterns zu reißen - dass es helle Wut war, wusste ich schließlich nicht. Durch meine Ankunft waren jedenfalls die Sklaven aufgehalten worden, die ihre Sachen heraustragen sollten - Kunststück, ich stand in der Tür und Callista kauerte noch immer vor mir. Wo war ich denn da hineingeraten?

  • Eine Schlacht wird gefochten. Nicht mit den Waffen aus Stahl. Kein Gladius. Kein Pugio. Genauso verheerend ist das Bild in ihrem Zimmer. Verluste darf die Gegenseite vermelden. Ein Toter. Der Sturm brandet. Verfängt sich in ihrem Gemach. Und flaut wieder ab. Als ein Besucher in die Szenerie tritt. Das Drama. Die Tragödie unterbricht. Ohne Chor. Ohne die singenden Stimmen, die vom Lebensleid der Callista berichten. Aber auch ihren schwarzen Charakterzügen erzählt. Callista hebt ihren Blick. Die Stimme. So vertraut. Jetzt? Hier?
    "Oh."
    Ein Hauchen. Es tobt immer noch in Callista. Aber den Gast hätte sie nicht erwartet. Die Berührung holt sie gänzlich zurück. Der rote Schleier vor ihren Augen schwindet. Ihr ist kalt. So schrecklich eisig. Sie lässt sich aufhelfen. Ihre Gewänder rascheln um ihren Körper. Unschuldig weiß ist die Seide. Blaue Blumenmuster an den Rande des Kleides gestickt. Sie mischen sich mit grünen floralen Mustern. Aufgebracht ist Callista immer noch. Die Spuren all der tosenden Gefühle spiegeln sich deutlich und unverfälscht in ihrem Gesicht wieder. Spuren von Tränen. Verzweiflung. Wut. Haß und leidenschaftlicher Zorn. Inbrünstige Ausbrüche. Sie erzittert sanft. Ihre dunklen Wimpern sind von zwei funkelnden Tränen noch benetzt.
    "Caius?"
    Erstaunt ist Callista.
    Welch grausames Spiel.
    Ob die Götter sich daran ergötzen, Callista?
    Es muss so sein.
    Im Angesicht des Trauerspiels, was ihr Leben zeichnet, erscheint es ihr als Hohn. Sie blickt desperat in das Antlitz des schönen Marspriesters. Ihres Mars. Mehr nimmt sie nicht wahr. Blendet alle unwichtigen Details aus. Wie Streifen. Purpurfärbungen. Ein defätistischer Schluchzer löst sich aus ihrer Kehle. Sie wirft sich mit diesem Laut an Aquilius. Schlingt die Arme um seine Schultern.
    "O Caius. Grauslich ist es. Furchtbar. Ich werde verbannt. In die Einöde geschickt. In ein Gefängnis gesperrt. Für immer. In eine grauenvolle Welt. Voller Leiden und Schrecken. Du musst mir helfen, Caius."


    Grimmig ist das Glühen in den Augen der Leibsklavin. Sie steht hinten im Raum. Beobachtet. Verfolgt mit ihren Augen. Ist ihrer Herrin nicht zur Hilfe geeilt. Nun denkt sie darüber nach, den Vater der Callista zu rufen. Denn genau jener Mann ist der Grund von Benohés Verrat. Das zermürbende Gift der Eifersucht hat sich in das Herz der Sklavin geschlichen. So wie nie zuvor. Seit langem plagt es sie.
    Callista merkt es nicht. Aber dafür den Sklavenjungen. Der mit dem gewünschten Stock heran naht. Sie sieht auf das Holzstück und ahnt.
    "Nein. Nicht."
    Sie löst sich wieder aus den Armen von Aquilius.
    "Darum kümmere ich mich selber."
    Mit wütenden Blicken, die sie den Sklaven schenkt, tritt sie zu dem Tisch. Der ihre Schönheit am Tage gewähren soll. Sie beugt sich hinab. Vernimmt das feine Rascheln der trockenen Schuppen auf dem Boden. Callista fürchtet die Schlangen nicht. Sie liebt all die Tiere abgöttisch. Skorpione. Giftspinnen. Schlangen. Ihre Lieblinge sind es. Niemals würde sie zulassen, dass unwürdige Hände sie berühren. Nur wenn sie eine Strafe darstellen sollen. Callista verharrt still. Hebt die Hand als sich jemand ihr nähern will.
    "Nicht. Sie schmeckt. Die Luft um sich herum."
    Callista beißt sich auf die Unterlippe. Dann schnellt ihre Hand nach vorne. Sie zieht die Schlange hervor. Die sich windet und zischt. Klein ist das giftige Wesen. Schwarz in der Gestalt. Rote Muster ziehen über ihren Leib. Um ihr Handgelenk könnte sich das Wesen schlingen. Wie ein filigraner Reif. Callista ergreift das kriechende Tier direkt hinter dem Kopf. Damit sie nicht doch noch gebissen wird. Sie dreht sich um.
    Ihre schwarzen Haare sind eine wilde Mähne. Ihr Kleid noch ein wenig derangiert. Sie wirkt wie eine Zauberin, die aus den Untiefen gekommen ist. Um einen Mann zu verwünschen. Eine Hekate aus der Unterwelt. Sie hebt den Schlangenkopf bis vor ihre Augen.
    "Psst. Meine Kleine. Alles wird gut. Es tut mir so leid. Verzeih mir."
    Ein Hauchen zu dem giftigen Tier. Der tote Sklave kümmert Callista hingegen wenig.

  • In ihren Augen stand der Abgrund so offensichtlich, dass ich bis ins tiefste Innere erschrak - denn sie spiegelte mich, spiegelte einen Menschen, der nicht von Verboten gehemmt war, der sich nicht selbst einschränkte, um das Düstere in sich selbst zu verstecken, der ungehemmt alles aus sich herausließ, was ihn bewegte, ärgerte ... sie liebte hemmungslos und leidenschaftlich, ich hatte es am eigenen Leib erfahren, wie fordernd und zugleich hoffend sie sein konnte. Ein kleiner Teil von mir sah in ihr auch die Art Mensch, die ich hätte werden können, hätte ich nur einige wenige Schritte anders vorgenommen, als ich sie getan hatte. Ein kleiner Teil von mir entdeckte in ihr etwas zutiefst vertrautes und zugleich zutiefst erschreckendes. Dunkel spiegelte sich ihr Hass in ihren Augen, ihre Verzweiflung, ihre Wut, aber auch die Hilflosigkeit, vor ein Problem gestellt zu sein, das sie nicht lösen konnte, deswegen dieser Ausbruch, das zerstörte Zimmer. Ich sah nicht allein ihr cubiculum in diesem Augenblick. Ich sah auch das meinige, welches ich vollkommen verwüstet hatte, vor einigen langen Jahren. Vor der Zeit des Vergessens, vor alledem, was sich ereignet und mich geformt hatte wie nichts sonst. Ich sah einen Menschen, der sich nicht anders zu helfen wusste, als zu zerstören, aus einer bitteren Einsamkeit heraus, die nicht zu lindern war.
    Sie liebt jemanden. Abgrundtief. Und es ist eine verbotene Liebe. Es musste so sein, denn nichts bewegte die Menschen so sehr wie die Liebe, nichts brachte sie so sehr an ihre eigenen Abgründe, ließ sie eigene Grenzen überschreiten.


    Ich hielt sie, und es dauerte lange, bis ich ein Wort fand, das ich hätte sprechen können. Wir sind uns so ähnlich, Callista. Du bist nur einen Schritt weiter gegangen als ich. Mich hat jemand gerettet. Er hat mich gerettet. Will dich denn niemand zurückhalten?
    "Warum will man Dich wegschicken? Ist es Dein Vater? Was geschieht, Callista mea? Ist etwas ... wegen ...?" War sie etwa schwanger und ihr Vater hatte davon erfahren? Dass er noch lebte, wusste ich, er war einer meiner Salier. Sie stand ganz sicher unter seiner patria potestas. Vielleicht hatte er auch eine neue Ehe arrangiert, die sie nicht haben wollte ... dann glitt sie aus meinen Armen, der Schlange zu, und wieder war ich nur ohnmächtiger Zuschauer. Wie sicher sie mit diesem Tier umging, sie wusste zweifellos, was sie tat, das verriet der sichere Griff unter den Kopf der Schlange. Sie hatte keinen Moment gezögert, das giftige Tier zu berühren, sie hatte keine Angst. Es musste ihre Schlange sein, und dass ein Sklave tot auf dem Boden lag, war dann auch ihr Werk. Schlangen krochen nicht einfach so durch zerstörte Räume. Sie hassten Erschütterungen und verkrochen sich dann, wenn die Erde bebte, auch das hatte ich vor langer Zeit gelernt. Oft genug hatte ich meine Mutter wegen ihrer übertriebenen Sorge verlacht, aber jetzt ... jetzt war dieses Wissen aus den Tiefen meines Gedächtnisses unerwartet hilfreich.


    Ich blickte mich nach dem Schlangenkorb um und entdeckte ihn auch, hob ihn vom Boden auf, samt dem geflochtenen Deckel und trat an ihre Seite, hielt ihr jenen auffordernd und geöffnet hin. "Ich denke, es ist besser, Du legst sie jetzt weg, bevor ein weiterer Sklave unnütz stirbt. Und dann erklärst Du mir, warum es hier so aussieht und was eigentlich passiert ist." Den Blick wandte ich zu jenen, die noch immer mit Schmuck und anderen Besitztümern der Callista im Raum herumstanden, jetzt vage entspannter, da die Schlange keine Gefahr mehr schien - aber noch immer argwöhnisch, denn die eigentliche Schlange würde für sie immer gefährlich bleiben.
    "Steht nicht herum wie die Ölgötzen! Bringt den da weg, es sieht hier aus wie auf dem Schlachtfeld!" herrschte ich die Sklaven an und deutete auf den Toten. Es war zwecklos, daran einen weiteren Gedanken zu verlieren, sie würde den Verlust seinem Besitzer erklären müssen, nicht ich ... mir war es wichtiger, zu wissen, ob ich mich getäuscht hatte. Ob sie war, was ich in ihr zu sehen glaubte. Ich hatte nicht einmal Angst. Vor einem Spiegelbild meiner Selbst hatte ich schon lange keine Furcht mehr, auch nicht vor einem dunklen Spiegelbild. Diese Zeit war lange vorbei.

  • Ein eigentümlich fauchender Laut ertönt von der Schlange. Nicht einer Katze similär. Rauher. Schroffer. Sie sperrt ihren Mund weit auf. In das weiche Rosa kann Callista sehen. Sieht die unscheinbaren zwei Hügel. Die Nämlichen können das Gift in einen Körper hinein stoßen, das eine köstliche Agonie auf dem Gesicht eines Menschen hervor zaubert. Callista fühlt sich verbunden mit diesen Tieren. Die so unscheinbar wirken. Schön in der Gestalt. Scheinbar harmlos. Mit den kleinen Zähne können sie indes Tod und Verderben bringen. Zu gerne würde Callista sich selber so sehen. Aquilius tritt zu ihr und hält den Korb entgegen. Wäre Callista nicht schon von dem Sturm der Gefühle überwältigt. Dann würde sie womöglich der dirigierende Tonfall von Aquilius sehr erzürnen. Callista hasst solchermaßen.
    Wofern streicht sie hingegen liebevoll über den Kopf der Schlange. Trocken sind die Schuppen, die so trügerisch glänzen. Die Schlange windet sich um ihr Handgelenk. Unruhig. Von dem ausgestandenen Abenteuer erschüttert. Welches den Sklaven das Leben gekostet hat.
    "Süße Senet. Fürchte Dich nicht."
    Vorsichtig legt Callista den Schlangenleib in den Korb. Der sich windet und zischelt. Callista sieht auf und in die berückend schönen Augen des Aquilius.
    "Schließe den Korb schnell. Sonst stößt sie wie eine Lanze nach oben. Tödlich. Es gibt kein Gegengift für ihren Biss."


    Das Spiel der Atrozität überkommt Callista stets in solchen Augenblicken. Callista lässt den Kopf der Schlange los und zieht ihre Hand hin fort. Ihre Finger heben sich. Sie winkt Benohé zu sich. Ein prüfender Blick. Es entgeht Callista in dem Moment nicht. Dass ihre Sklavin sich befremdlich benimmt. Ihr Gebärde. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht. Das sonst einer Maske gleicht. Callistas Augen verengen sich.
    "Meine Benohé. Kümmere Dich um Senet. Gänseleber wird sie sicherlich beruhigen. Für die nächsten Tage."
    Devot neigt Benohé ihr Haupt. Wenn es ihr auch ein Graus ist, den Korb mit der Schlange ergreifen zu müssen. Die Angst vor den Kriechtieren ist unaussprechlich in der Sklavin. Sie will schon den Raum verlassen. Als sich Callista ihr noch ein weiteres Mal zuwendet.
    "Meine Benohé?"
    Die Sklavin verharrt.
    "Herrin?"
    Callistas Augen fahren über das Antlitz der Sklavin.
    "Ich möchte nicht gestört werden. Du sorgst dafür."
    Es ist die Ruhe in Callistas Stimme. Die die Warnung mit sich trägt. Callista kennt Benohé. Die Sklavin umso besser jede Wandlung ihrer Herrin. Sie versteht. Jeder Plan, den Vater zu benachrichtigen, muss verworfen werden. Denn die Strafe würde Benohé mit aller grausamen Härte treffen.
    Die Sklaven indes zaudern bei den Worten von Aquilius. Ihre Anweisungen sind univok. Callistas Haupt wendet sich den Männern zu. Was die Unfreien schnell zu dem Entschluss kommen lässt, doch lieber den neuen Weisungen zu folgen. Sie ergreifen den toten Leib des Servus. Tragen ihn hinaus.
    "Schließt die Türen hinter euch."


    Wuchtig wird der Zugang zu ihrem Cubiculum verschlossen. Callista atmet erleichtert aus. Die widerliche Meute ist entschwunden. Die sich an ihrem Habe vergreifen möchte. Sie sieht sich in ihrem Schlafgemach um. Es schaudert sie. Sie weiß nicht mehr. Was die Sklaven angerichtet haben. Oder Callista in ihrem ungestümen Zorn. Ihrem zügellosen Wutausbruch.
    Mit einem ermatteten Seufzer auf den Lippen tritt Callista neben das Bett. Dessen Laken ebenso zerrissen sind. Wie die Kissen. Deren Federn an vielen Stellen des Zimmers verstreut liegen. Sie sinkt auf den weichen Untergrund.
    "Mein Vater wird mich einem Manne zur Frau geben. Er hat bereits alles in die Wege geleitet. Erneut."
    Matt ist der Glanz in ihren Augen. Doch der Nämliche schwindet. Denn schon bei jenen wenigen Sätzen erblüht in einem weiteren Frühling der Keim des Unwillen.
    "Ich werde bereits morgen abreisen. Nach Britannia."
    Sie hebt ihr Kinn an. Die dunklen Wimpern.
    "Britannia."
    Ein Wort. Als ob damit alles gesagt werden würde.
    "Dieses Land voller Barbaren. Eine kalte und unwirtliche Welt. Nur, weil mein Vater wütend auf mich ist."

  • Wie seltsam fasziniert sie von dieser Schlange schien - dies würde ich wohl nie zu teilen wissen. Schlangen waren Tiere, und gefährliche noch dazu, die man am besten gar nicht im Haus hielt. Letztendlich hätte schon das wenig ruhmreiche Ende des Marc Anton und seiner Kleopatra zeigen sollen, dass eine allzu greifbare Schlange selten der beste Ausweg war - aber es war ihre Sache, nicht die meine. Ihre Sklavin schien jedenfalls nicht unbedingt begeistert, die Schlange übernehmen zu müssen, als ich den Korbdeckel eilig geschlossen hatte. Ein Schlangenbiss musste heute nun wirklich nicht sein, der Sklave war ein recht gutes Beispiel dessen gewesen, wie ich nicht aus dem Leben scheiden wollte. Dann doch lieber zu Tode trinken, wie es mir Aristides irgendwann einmal prophezeit hatte. Ich beschränkte mich vorerst auf die Rolle des Beobachters. Letztlich herrschten in diesem Raum so viele Empfindungen vor, dass es schwer war, sie sauber voneinander zu trennen - erst, dass sie Benohé fortschickte und die anderen Sklaven den Leichnahm mit sich nahmen, war es erträglicher geworden. Täuschte ich mich, oder hatte Callistas Sklavin heute einen noch biestigeren Blick als sonst? Doch die Schärfe im Klang der Stimme ihrer Herrin setzte sich einstweilen durch und ich blickte Benohé nach, wie sie hinausging.


    Doch Callista fesselte meine Aufmerksamkeit wieder, allein durch die Art, wie sie anmutig durch den Raum schritt und sich auf das zerstörte Bett fallen ließ. Es schien fast, als hätte die Zerstörungswut, die sich über dieses Zimmer hergemacht hatte, den Kontrast zwischen ihrer Schönheit und dem Rest der Welt vertieft, der Gegensatz wurde umso augenfälliger, ihr Gesicht umso reizvoller in seiner Makellosigkeit, selbst wenn sich die Zornestränen von zuvor abzeichneten. Still betrachtete ich ihre schlanke, fast hagere Gestalt, wie sie sich auf den zerrissenen Kissen halb ausstreckte, das Sinnbild des Weibes in reinster Form. So vieles vereinte sich in ihrer Erscheinung, so vieles konnte man an ihr entdecken ...
    "Britannia?" echote ich, nicht einmal erschrocken oder überrascht. Dass ihr Vater nach einer gewinnbringenden Verbindung suchen würde, war nicht erstaunlich, aber ... es ging so schnell. Es musste wirklich etwas Entscheidendes vorgefallen sein, dass es plötzlich so drängte, mehr als die Tatsache, dass sie sich gern amüsierte - solcherlei nahm man heute bei jungen Frauen hin. Was ich vorhin gesehen hatte, ihre ohnmächtige Wut, diese hilflose Verzweiflung, was davon war ihr eigentliches Gesicht? Oder gehörte alles davon dazu?


    "Aber ..." Ich hob an und verstummte. Warum denn ausgerechnet jetzt? "... das kommt ... überraschend. Hattet ihr einen Streit? Es ist doch etwas sehr schnell. Unser Kennenlernen liegt so schnell nicht zurück und ich habe nichts von einer Patrizierhochzeit vernommen ..." Eine jede Patrizierin war Kapital für eine stolze gens. Mehr noch, sie war der Garant für gute Beziehungen unter den Familien, gerade jetzt, da so viele Aurelier ohne Frau waren - und bei den Tiberiern gab es auch einige ledige Männer im geeigneten Alter. Selbst Lucanus ... nein, er wäre ihr kaum gewachsen gewesen.
    "Ich muss gestehen, das hätte ich nicht erwartet ..." Es musste lahm klingen, und tatsächlich hatte mich dies dann doch etwas unvorbereitet erwischt. "Du sagtest, ich sollte Dir helfen ... wenn Dein Vater entschieden hat, Dich zu verheiraten, dann kann ich ihn nicht hindern, das weisst Du. Solange seine patria potestas Bestand hat." Langsam schritt ich zu ihr herüber und setzte mich auf die Kante ihres Betts, nicht weit weg, aber auch nicht zu nahe, um sie nicht zu bedrängen. Irgendwie musste ich erst einmal in dieser Wirklichkeit ankommen, voller toter Sklaven, Schlangen und einer Callista, die mir näher schien als jemals zuvor.

  • Weiß schwebt die Feder in der Luft. Durch das Setzen von Callista ist sie aufgewirbelt worden. Rein und unschuldig sinkt sie hinab. Fällt auf den schlanken Hals von Callista. Kitzelt sie an ihrer zarten Haut. Callista hebt die Hand und die Feder empor. Mit einem Hauchen von ihren Lippen schickt sie das fragile Gebilde, das grausam einer weißen Gans ausgerissen wurde, in die Luft hinauf. Die Reise setzt die Feder fort. Vorbei an dem schönen Vingintivir von Rom. Callista bemerkt zum ersten Mal den im Grunde auffälligen Streifen an seiner Toga. Callista stützt sich mit ihren Ellbogen auf dem weichen Bett ab.
    Das Wort Britannia vermag Callista schon in Grauen zu versetzen. Ödes Land. Felsiger Grund. Eine stürmische See, die nach dem Boden giert. Grobe Menschen in Fellen und ohne Schuhwerk. Ohne Manieren. Mit einem rauhen Bellen als Sprache. Das stellt sich Callista unter Britannia vor. Einzig, dass ihr göttlicher Vorfahre, Gaius Julius Caesar, Britannia bezwungen hat, scheint dem Land den Hauch von Kultur zu verleihen. Aber sie hat schon wild düstere Geschichten von den nackten Eingeborenen dort erzählt bekommen. Die sich bunt bemalen und wie die Tiere kreischen. Eine Gänsehaut spielt über Callistas Haut. Keine Wonnige.
    "Britannia."
    Düster ist das Wort gesprochen. Als ob das schlimmste Unheil von dem Namen ausgeht. Was er für Callista auch tut. Callista entlässt Aquilius nicht aus ihrem Blickfeld. Studiert die Bewegungen des Mannes. Die Regungen des Mars.
    Ob es ihn betrübt?
    Gewiss, Callista. Du bist doch die Schönste aller Frauen.
    Wirklich?
    Ohne Zweifel. Eine Claudia zudem.
    Traun.
    Sind es nicht ihre Worte gewesen? Stand und Ehre bedeuten ihr nichts? Das war gelogen. Aber natürlich ist es Callista viel wichtiger, dass die Männer sie verehren. Sie. Callista. Nicht Claudia Callista. Ihre Eitelkeit. Ihre Selbstverliebtheit sollen sie bestätigen. Deswegen sucht Callista nach Zeichen der Bestürzung. Der Schreck über die tragische Nachricht. Rastlos ist Callista. Sie bemerkt, dass Aquilius sich nicht zu nahe setzt. Ob er bereits abgeschreckt ist? Callista erhebt sich geschmeidig. Ihre Schritte ähneln einem Tiger. Der unruhig im Raum auf und ab geht.
    "Mein Vater kennt viele einflussreiche Männer. Er war einst selber in hoher Position. Aus jenen Tagen hat er noch den einen oder anderen Freund, an den er mich verkaufen kann. Wenn es ihm beliebt. Dann braucht es keinen Tag, bis er es arrangiert hat."
    Callista bleibt mitten im Raum stehen. Sieht auf zwei kleine Blutstropfen, die auf hellem Grund zu leuchten scheinen. Ist das ihr Blut? Sie hebt die Hände. Doch sie sind rein. Makellos. Eventual stammen sie von dem Servus.
    "Patria Potestas. Potestas. Potestas."
    Einen Fluch scheint Callista damit auszusprechen. Ihre schwarzen Augen heben sich und streifen über den Spiegel hinweg. Sie tritt an ihn heran und berührt die große silberne Fläche. Ein Riss hat sich über die ganze Länge ausgebreitet. Verzerrt ihr Spiegelbild, zerschneidet sie in der Mitte. In der Hälfte ihres Scheins. Was auch ihr Sein ist. An ihrem Herzen prangt eine Spiegelblume. Von einer Vase erschaffen, die Callista in ihrem Tobsuchtsanfall gegen die glatte Oberfläche geworfen hat. Callista versinkt in dem Anblick. Der so viel ihrer Seele offenbart. Es ist wohl das erste Mal, dass ein Spiegel das vermag. Ein feines Lächeln ziert nun ihre Lippen. Wird von dem Spiegel verzerrt und zwei geteilt.
    Töte ihn, Callista.
    Die Stimme ist laut. Kalt. Drängend. Grausam. Eine nie gehörte bis anhin. Callista erstarrt. Sieht in ihre eigenen schwarzen Augen. Die die Kälte ihres Inneren widerspiegeln. Nie, niemals hat Callista diesen Wunsch verspürt. Der Hass in ihr währt schon lange. Ihr Zorn ist stets groß. Aber doch liebt sie ihn noch. Ihren Vater. Sofern Callista der Liebe fähig ist und sie nicht von ihm gänzlich absorbiert ist. Callistas Lippen erbeben. Sie sieht einen grausamen Zug um ihren Mund, der ihr selber nicht gefällt. Die Grenze ist beinahe erreicht. Das erkennt Callista selber. Sie dreht sich um. Sucht danach zu lächeln. Den Gedanken zu verdrängen.
    "Ich weiß es auch nicht, Caius. Caius. Caius."
    Der Klang des Namens gefällt Callista in ihrem Munde. Sie findet ihn melodiös. Aber nicht zu schwammig. Mit einer harten Komponente. Wie es zu einem solchen Mann auch passt. Callista tritt zu ihm heran. Bis direkt vor ihn. Keinen Digitus Abstand lässt sie zwischen ihrem Gewand und seinen Beinen.
    "Es ist ein alter Streit. Den mein Vater dazu antreibt. Etwas, was ich getan habe. Was ihm mißfällt. Und er unterbinden möchte. Er glaubt, so es zu schaffen. Aber das wird ihm niemals gelingen. Eher sterbe ich."
    Beschwörend. Schwörend spricht Callista dies. Sie glaubt auch daran. Wenngleich es abwegig ist. Callista fürchtet sich zu sehr vor dem Tod. Nur die romantische Vorstellung davon gefällt ihr. Einen nachdenklichen Blick schenkt sie dem Fenster, hinter dem die Sonne verschwindet.
    Der Tod?
    Vielleicht ist das die Lösung, Callista. Dein Vater hat das noch nicht erlebt.
    Traun.
    Aber Callistas Gedanken können sich nicht auf Schlafmohn, Schierling oder schimmerndes, todbringendes Wasser lenken. Denn der schöne Flavier fordert ihre Aufmerksamkeit. Mit seiner anziehenden Präsenz. Sie beißt sich zart auf die Unterlippe. Ihre Stimmung schwankt herum. So wankelmütig wie Callistas Wesen.
    "Wir könnten durchbrennen. Nach Ägypten. Ich habe dort eine Villa im See. Sie ist ganz wundervoll."

  • Sie sprach es aus wie ein endgültiges Urteil - Britannia, der Ort der Verbannung. Eine Heirat mit einem Fremden. Schätzungsweise niemand, der einer weiteren Erwähnung wert gewesen wäre, wäre es ein Patrizier gewesen, dann hätte dies sicherlich längst in Rom die Runde gemacht, solche Dinge ließen sich nicht verheimlichen. Mein Blick folgte ihr, als sie sich erhob. So graziös, so vollkommen sanft und geschmeidig ihre Bewegungen waren, ich spürte in ihnen dennoch die Ungewissheit, den stummen Ärger über die Entscheidung ihres Vaters - oder ich glaubte zumindest, dies darin zu sehen. Vielleicht führten mich meine Gedanken und Empfindungen in die Irre, denn letztendlich konnte ich nicht wirklich wissen, wie sehr wir uns ähnelten.
    Vielleicht wünschte ich es mir einfach zu sehr, auf dieser Welt wenigstens einen Menschen zu kennen, der verstand, was in mir vorging, der wusste, was es bedeutete, auf diesem stetigen schmalen Grat zwischen den einzelnen Gefühlsregungen taumeln zu müssen. Sie war mir nur einen Schritt weiter, sie gab ihren Gefühlen nach ... und wie intensiv sie diese lebte. Noch jetzt brannte ihr Blick intensiv wie loderndes, reines Feuer. Eine alles verzehrende Flamme.


    "Warum ausgerechnet jetzt?" fragte ich, und auch wenn ich diese Worte wohl als Frage formuliert hatte, es war auch eine Feststellung, in der mehr einer Entscheidung schwang, als ich dies vielleicht gewollt hatte.
    Ich hob den Blick, als sie an den Spiegel trat, der einen Teil ihres Gesichts wiedergab, genauer gesagt, mehrere Teile. War es tatsächlich, was ich sah? Dieser gebrochene Blick, zu einem schönen, einem missmutigen, gar seltsam anrührend eisig zornigen Teil ihres Antlitzes? Ich war mir dessen beileibe nicht sicher, und der Eindruck verflog schnell, rasend schnell. Es musste ein Produkt meiner ohnehin überreizten Sinne gewesen sein, denn für meinen Geschmack roch es in diesem Raum nach Tod, auch wenn ich wusste, dass ein Körper nicht so früh zu stinken begann, wenn das Leben erst gewichen war.
    "Du liebst jemanden, den er nicht billigt, ist es nicht so?"
    Ich warf den Versuch in den Raum, denn dass ich es nicht war, dessen war ich mir fast sicher. Verliebte Frauen benahmen sich anders, und sie gehörte nicht zu jenen, die mit ihren Gefühlen hinterm Berg gehalten hätte - eine Heirat hätte zwei mächtige Familien vereint, und sicherlich hätte ich früher von ihr gehört, wäre dem so. Auch dass sie sagte, sie würde eher sterben als sich unterzuordnen, glaubte ich nicht. Hätte sie diesen Wunsch wirklich gehabt, dann wäre sie längst tot.


    Auch in diesem Punkt waren wir gleich ... ich hatte zwar den tarpeischen Felsen erklommen, aber ich war nicht gesprungen. Ein Teil von mir hatte wohl auf die Rettung gehofft, die dann auch gekommen war - in Gestalt eines absolut mir fremden Mannes. Ihr Vorschlag allerdings erstaunte mich, denn mit vielem hätte ich gerechnet, nicht damit, glaubte ich doch, unsere gemeinsamen, leidenschaftlichen Stunden seien es gewesen, die eine Art Nähe geboren hatten, aber sicherlich nicht mehr. Man genoss die Zeit miteinander, und trennte sich dann wieder, in das jeweils eigene Leben zurückkehrend.
    "Meinst Du nicht, dort würde Dich Dein Vater zuerst suchen, würdest Du entfliehen? Wohin auch immer Du flüchten wolltest, dies wäre der letzte Ort, den Du wählen solltest. Wenn Du es möchtest, nimm als erste Station Deiner Reise meine villa in Tarraco, in Hispania. Er wird nicht glauben, ich würde Dir dies gewähren, wenn ich selbst hierbleibe, und das mus ich. Der Imperator selbst hat mich erst vor kurzer Zeit in den ordo senatorius erhoben, und eine große Mehrheit der Senatoren sprach mir durch meinen Wahlsieg das Vertrauen aus. Ginge ich jetzt mit Dir fort, wäre alles zerstört, was meine Familie jemals erreichen kann. So schön ein Abenteuer mit Dir wäre, Callista, so verlockend dieser Traum auch wäre, ich habe lange genug einen Traum gelebt, bin vor dieser Welt geflüchtet. Mein Platz ist in der Realität."

  • Traumgespinste weben sich vor Callistas Augen. Phantasiegestalten flechten die Traumfarben zu einem numinosen Traumbild. Golden erstrahlt der Himmel. Polychrom irisiert das Kolorit der Erdformen. Zwischen all dem reiten sie auf einem ätherisch weißem Ross, dessen Flügel weit ausgestreckt sind. Das Pferd, was sie Beide in die Freiheit führt. In ein Land, das dem Elysium gleicht. Ohne den Schrecken des Todes und der Ewigkeit zu gebähren. Heil in perpetuum. Freude ohne Leid. Leidenschaft im Leben. Das Leben voller Lust. Callista ist ergötzt von der Vorstellung. Träumt mit offenen Augen. Wähnt sich einem Abenteuer entgegen zu schreiten.
    Träume fliegen hoch. Der Phantasiereisende fällt indes tief. Er zerplatzt mit furchtbar nüchternen Worten, die sich tief in Callistas Seele hinein bohren. Ablehnung. Das hasst Callista. Kann sie furchtbar erzürnen. So blitzt es in ihren Augen auf. Callista ist fern jeder Vernunft. Die grausam kalte Realität, die sie stets umschlungen hält und nur mit den Tränen des Mondes entrückt werden kann.
    "Mir dünkt, Du hast Dich der falschen Illusion hingegeben, Caius. Zudem säumst Du einer Okkasion. Die Du eventual niemals wieder erhalten wirst."
    Hybrid ist Callista natürlich. Von sich und ihrer Wirkung auf Männer. Sie tritt einen Schritt zurück.
    "Womöglich hast Du auch die richtige Wahl getroffen, Caius. Denn wenn Du das Träumen verlernt hast, mein schöner Mann der Politik und der kalten und grausamen Existenz. Dann wird Du bald vergehen in Langeweile. Wirst Dich in die Reihen all jener Menschen gesellen, die leere Hüllen sind. Marionetten der Erwartungen, die andere Hüllen an sie stellen. Dann interessierst Du mich nicht mehr, Caius."
    Nüchtern ist der letzte Satz gesprochen. Mit einer scheinbar gleichgültigen Haltung wendet sich Callista ab. Geht unruhig in dem Raum auf und ab. Vor einem weiteren Korb bleibt sie stehen. Hebt den Deckel an und greift hinein. Es ist ein anderer Liebling, der ihr noch viel näher ist. Acht Augen starren Aquilius an. Acht Spinnenbeine bewegen sich träge auf Callistas Handrücken. Samtig schimmert das Licht der Öllampen auf dem rotbraunen Fell der Vogelspinne.
    "Meine Sinuhe. Die Königin bist Du."
    Ist das ein liebevoller Klang, der in der Stimme von Callista schwingt? Sanft streicht Callista mit ihrer Fingerspitze über das weiche Fell der sanftmütigen und trägen Spinne. Die die Wärme von Callistas Korpus liebt.
    "Ich wurde verraten, Caius. Wahrscheinlich eine Sklavin. In den letzten Tagen."
    Die Amme vermutet Callista. An den Verrat von Benohé glaubt Calllista nicht. Sie weiß, dass ihre Leibsklavin sie liebt. Abgöttisch und verzehrend. Callista hat es oft erprobt. Benohé hat ihren Spielen stand gehalten. Callista sucht in den schwarzen Auge des Spinnentiers nach einer guten Antwort. Auf Aquilius Frage.
    "Liebe? Liebe. Womöglich kann ich nicht lieben, Caius."
    Callista wendet sich zu ihm. Ein perikulöses Glitzern überzieht das Dunkel ihrer Augen.
    "Möchtest Du wirklich wissen, ob es noch einen anderen Mann in meinem Leben gibt?"
    Callista hat nicht das Bedürfnis, ihre Geheimnisse offen zu legen. Sie zeigt sie hin und wieder. Hat es mit dem Toben im Zimmer bewiesen. Mit dem Tod des Sklaven. Der augenscheinlich nicht dem schönen Vingintivir entgangen sein kann. Aber von ihm? Nein. Über Nämlichen spricht sie nicht. Außer zu ihrer Sklavin. Die all ihre düsteren und lichten Seiten kennt. Und sie trotzdem liebt. Was Callista oft wundert. Callista hebt die Spinne empor. Küsst mit ihren Lippen das Getier. Legt sie gleich darauf in ihr Heim zurück.
    "Oder eine Frau?"
    Ein schelmisches Glitzern in Callistas Augen. Sie wandelt gemächlich zu Aquilius zurück. Der Ärger über die Ablehnung ist gebändigt. Sie möchte nicht mehr ihre Fingernägel in sein berückendes Gesicht bohren. Ihm das Fleisch aufreissen und sich an seiner Pein laben. Sie gleitet auf das Bett. Katzenhaft. Geschmeidig.
    "Womöglich tust Du gut daran, Caius. Nicht ein Leben mit mir zu wählen. Es wäre leidenschaftlich. Es würde Dich berauschen. Kurz hingegen währen."
    Ein gurrendes Lachen wird ihren Lippen entlockt. Callista kriecht einer gefährlichen Schlange similär über Aquilius.
    "Darum, schöner Flavius, zehre von meinem Feuer. Diese Nacht. Ein letztes Mal, ehe die Grausamkeit der Verbannung mich ereilt."
    Bis vor seine Lippen nähert sich Callista mit ihrem Gesicht. Schwebt vor dem Quell ihres Begehrens. Haucht sanft über sein Gesicht. Versinkt in dem Anblick seiner Augen.

  • Sie wusste, wie recht sie mit ihren Worten hatte, und dieser Gedanke gefiel mir nicht. Ein zweites Mal würde sie mich wahrscheinlich niemals wieder fragen - ich hätte eine Zurückweisung auch in einer ähnlichen Form quittiert. Dass ihre Augen blitzten, entging mir nicht, und im tiefsten Innersten meiner Seele gefiel es mir. Sie sprach wenige Komplimente nur aus, und den wenigsten Frauen lag es in der Natur, Schmeicheleien zurückzugeben, die man ihnen offenbarte, ob nun ehrlich gemeint oder nicht, die meisten empfinden sie lieber, ohne sie zurückzugeben. Doch dieses Blitzen sprach ebenso wie ein empor kochender möglicher Zorn noch eine andere Sprache - es wäre ihr wohl daran gelegen gewesen, hätte ich sie begleitet. Ach, Callista. Wie gerne wäre ich Dir ohne Zurückhaltung gefolgt. Mein Kopf drehte sich, mein Blick folgte ihr, während sie mir die Worte entegegen schleuderte, die eine gewisse Verachtung offenbaren sollten, nüchtern klingen sollten und es doch nicht taten. Sie hatte ihren Willen nicht bekommen, und wem gefiel dies schon?
    "Also ist es dir lieber, ein Mann versucht nichts zu sein außer einem Müßiggänger, der gemächlich das Geld verprasst, das ihm seine Ahnen hinterließen? Und irgendwann, wenn alles fort ist, was man jemals besaß, scheidet man heroisch aus dem Leben, an welches sich niemand erinnern wird, und gleitet im warmen Wasser mit geöffneten Adern hinüber in die Dunkelheit?" Es war spöttisch formuliert, denn für derlei hatte ich inzwischen nichts mehr übrig als eine gewisse Verachtung. "Irgendwoher muss der Genuss kommen, dem man sich hingibt, und ich habe nicht vor als der bedeutungslose Sohn eines bedeutungslosen Mannes zu sterben, als einer unter vielen. An meinen Namen wird man sich erinnern und der alte Makel wird abgewaschen sein, wenn ich sterbe."


    Marionetten. Oh nein, so leicht konnte sie es sich nicht machen. Als sie die Spinne aus ihrem Topf hob, beobachtete ich ihre ruhigen, beherrschten Bewegungen. War sie wirklich so gleichgültig, wie sie erschien? Oder war der Zorn nur einfach gut verborgen? Ach, Callista. Wäre sie meine Braut gewesen, wieviel hätten wir wohl angestellt in dieser Stadt. Wie heiß gebrannt, eine hell leuchtende Lohe, und so schnell wieder verzehrt. Es wäre ein strahlender Stern gewesen, und Sterne neigten dazu, irgendwann wieder auf den Boden zu fallen. Wie konnte man nur an derartigem Getier Freude haben, ich würde es nie verstehen. Der ewige Tanz mit dem Tod, ein lässiger Flirt mit der Gefahr, gab es sonst keine Aufregungen in ihrem Leben als dies? War sie vielleicht einfach nur ... gelangweilt?
    "Eine Sklavin? Warum hätte sie dich verraten sollen? Vor allem, was? Unsere Zusammenkunft in jenem fernen Garten, unter den tausend Sternen? Gäbe es daran etwas ehrenrührigeres als ein empfundenes Vergnügen zwischen einer Witwe und einem ledigen Mann, könnte ich das vielleicht verstehen, aber ... wozu? Was sollte ein Verräter durch einen solchen Verrat gewinnen?" Vor allem, welche Sklavin ausser ihrer Leibsklavin Benohé und den Leibwächtern hatte dies erfahren können? Ich zog die Brauen auf der Stirn zusammen. Benohé? Nein, es gab für sie doch keinen Grund. Was hätte sie davon gehabt?


    "Du liebst," sagte ich brüsk. Diese Spielchen wurden mir langsam über, und ich ließ es sie spüren. So gut glaubte ich sie zu kennen, es ging nicht einmal darum zu erfahren, wer es war - aber sie sollte wissen, dass ich nicht so leicht zu täuschen war wie andere. Dafür waren wir uns zu ähnlich. Diese ewige Flucht vor dem Realen, so viele Vergnügungen, die doch nicht auf Dauer erfüllten, ich kannte es nur zu gut. "Wir sind uns ähnlich, Callista, sehr ähnlich. Vielleicht ähnlicher, als es gut wäre, eine Ähnlichkeit, die neben der Leidenschaft irgendwann Hass gebären würde. Manche Flammen sind, wenn sie vereint werden, heiß genug, um alles zu verbrennen."
    Dann bot sie sich dar, eine einzige Verlockung, jede Einladung dieser verdammten schmutzigen Welt in ihren geschmeidigen Bewegungen. Ach, Callista! Sie wusste zu gut, was mir gefallen würde, wie auch ich wusste, zu ahnen glaubte, was sie wollte. Ein letzter Taumel, ein letzter Rausch, um es einfacher zu ertragen. Den Moment der Realtiät herauszuzögern, soweit es eben nur möglich sein würde. War sie mein Schatten? War ich der ihre? Als ich sie anblickte, glaubte ich mehr zu sehen als ihr Gesicht allein, unsere Blicke tauchten ineinander, und ich antwortete nicht, ich küsste sie gleich, hart, fordernd, sie vereinnahmend, weil ich wusste, dass ich es konnte und zu wissen glaubte, dass es genau das war, was die Schatten noch einen Tag weiter fernhalten würde. Sie schmeckte wie in jener Nacht, und die Erinnerung an den Garten kehrte mit einer Heftigkeit zurück, die mich sie an mich reißen ließ, sie so fest halten, als könnte es sie bei mir behalten.

  • Weiße Lauterkeit ergießt sich auf steinernen Boden. Ein rotes Band aus Blut fließt sich über das Weiß, mischt sich mit dem Schaum von gewebten Wasser in dem blaue Blüten treiben. Stoff vereint sich mit Stoff. Ein seidenes weißes Frauengewand mit floralen Stickereien liegt unter einer Amtstracht mit einem purpurnen Streifen.
    Matt glänzt das Licht der Öllampen auf dunklen Fensterläden. Es rüttelt. Es schüttelt. Der Wind treibt seine neckischen Spiele mit dem schützenden Holz. Im Raume indes ist es behaglich. Der Boden wärmt es. Heißer Dampf erhitzt den Stein. Aber auch das Reigen auf weichen Kissen. Zwischen zarten Decken. Fliegenden Federn. Es erfüllt den Raum mit Leibeswärme. Der Odeur der Passion verströmt sich. Vermengt sich mit dem zarten Geruch der kleinen Rauchsäulen, die von den Öllampen ausgehen und vereinigen sich mit dem Wohlduft von verbrannten Kräutern.
    Reigen. Tanzen. Walzen. Wälzen. Lippen, die über Haut gleiten. Weiches Licht, dass sich auf Körpern abzeichnet. Schnell ist die Kleidung entledigt. Kein Wort will Callista mehr verschwenden. Schlechte Stimmungen beherrschen sie genug in jenen Stunden. Darum will sie dem Schönen frönen. Der Lust. Der Wollust. Stoff reißt. Ist es ihr Kleid? Das Gewand von Aquilius? Callista merkt es nicht. Versunken ist sie in dem Moment. Fähig alles unwichtige auszublenden, denn in dem Augenblick zählt nichts mehr auf der Welt als die Freude am Leben. Das mit jeder leidenschaftlichen Berührung, jeder Vereinigung der Lippen und der Zungen intensiver auflodert. Einem Succubus similär zieht Callista Aquilius in den lodernden Tanz. Lässt nicht von ihm ab. Kostet von dem Labsal als ob es die letzte Freude ihres Lebens ist. Ihre letzte Nacht vor einer schrecklichen Einöde. Ihre glatte Haut schmiegt sich an die Warme von Aquilius. Ihre Beine umschlingen ihn. Keuchend erklingt sein Name auf ihren Lippen. Das Flehen aus ihrer Kehle nach der Stillung ihres Sehnens. Oblässt Aquilius die Führung. Überlässt sich ihm willig, um gleich darauf das Blatt zu wenden. Wild über ihn. Unter ihm. Vor ihm.
    In all der Zeit klopft kein Sklave. Keine Störung unterbricht sie. Erst die Erschöpfung. Die süße Frucht des heißblütigen Spiels entlässt Callista aus dem Bann. Schwer atmend und mit einem verschwitzen Körper verharrt sie. Über Aquilius. Ihre Finger ruhend auf seiner Brust. Bißspuren zeigen sich an seinem Hals. Abermals hat Callista ihn gezeichnet.
    Ungebändigt umwallen Callistas schwarze langen Haare ihren Leib. Ihre roten Lippen malen ein ergötztes Lächeln auf ihrem Gesicht. Verzückt. Verträumt. Genießerisch. Langsam taucht Callista auf. Ihre Augen klären sich. Ein wildes Flackern haben die dunklen Seelenspiegel zuvor gezeichnet. Der Wahn unbedingt alles zu erleben. Keine Spur der Vita zu verpassen. Niemals von Genuss abzulassen und alles zu vereinnahmen. Callista besitzt gerne. Auch einen Mann. Selbst wenn es nur für einen Augenblick ist. Eine Nacht. Eine Woche. Flüchtig ist es mit einem Mann, der frei ist. Darum umso interessanter für Callista. Was ist schon ein Sklave dagegen?
    "Caius. Caius. Caius. Schön ist Dein Name. Schön ist Deine Gestalt. Wundervoll Dein Korpus. Göttlich Deine Kunst zu Lieben. Deine zukünftige Frau wird sich glücklich schätzen können."
    Callista lacht. Dunkel.
    Sie gleitet von Aquilius Leib herunter. Streckt sich auf ihren Rücken und sieht sinnend zur Decke hinauf. Bunte Bilder zieren die Decke. Dezent in goldenen Farben bemalt. Güldene Ranken erstrecken sich über ihr. Callista rollt sich zur Seite. Ihre Finger streichen über Aquilius Haut. Ihre Lippen kosten seinen Salzgeschmack. Sie spielt zärtlich mit ihrer Zunge über seine Brust hinweg. Reizt ihn noch ein wenig, um dann ihre Wange darauf zu legen.
    Langsam tropfen die Worte in Callistas Geist. Die Aquilius vor ihrer Leidenschaft gesprochen hatte. Es scheint bereits Jahre her zu sein. Callista würde Aquilius nicht in so einem Moment widersprechen. Ob er sie wirklich kennt? Callista weiß es nicht. Möchte es lieber nicht erfragen. Am Ende tut er das tatsächlich. Dann kann er all das Hässliche in ihr hervor holen. Alles, was Callista vornehmlich zu verbergen sucht. Leider oftmals mit wenig Erfolg. Manche ihrer abstoßenden Züge kennt sie nicht.
    "Ein Jammer ist es."
    Callista bedauert sich. Gerade, wo es derart vergnüglich ist. Natürlich ist Callista bewusst, dass sie irgendwann sich auch bei Aquilius langweilen würde. Das war jedes Mal der Fall. Aber es hätte eine Weile vorgehalten. Callista seufzt theatralisch.
    "Aber sei unbesorgt, Caius. Du trägst keine Schuld an der Strafe, die mich ereilen wird. Es ist ein Anderer, der das auf sich nehmen muss."
    Gnade ihm die Götter sollte jener Mann zu Callista zurück kommen. Erstmal würde sie versuchen ihm die Augen aus zu kratzen. Dafür, dass er sie im Stich gelassen hat.
    Er wird nicht kommen.
    Trübe ist der Gedanke. Den Callista schnell in den hintersten Teil ihrer Gedankenwelt zurück schiebt, die unendlich und bunt schillernd erscheint.
    "Deinen Namen werden die Römer gewiss nicht vergessen. Er wird nicht wie ein flüchtiger Hauch in den Äonen verschwinden, Caius. Dafür bist Du zu außergewöhnlich. Aber lasse nicht zu, dass die Welt Dich aushöhlt, schöner Mars. Berückender Caius."

  • Es war ihre heiße Haut, deren brennendes Echo die meine berührte, die weichen, seidenen Haarsträhnen, die bei bestimmten Bewegungen peitschende Intensität aufnehmen konnten, ihre Fingernägel, deren kratzendes, schmerzhaftes Echo die Lus umso süßer zu gestalten wusste, was mich so vollkommen in einem Bann hielt, dass es mir unmöglich war, an etwas anderes zu denken, etwas anderes in diesem Moment zu wollen als Callista. Jeder Gedanke war gestorben, jede Sorge erloschen, es zählten nur unsere Bewegungen, dieses gegenseitige Antreiben, immer weiter auf einen Gipfel hinzu, den wir uns beide gleichsam ersehnten wie fürchteten - die ihren lernte ich zu fürchten ob ihrer Heftigkeit, die mich allzu schnell mitzureißen drohte, und den meinen schob ich so weit hinaus wie nur möglich, um sie mit jeder Faser meines Leibes zu genießen.
    Die süße, stetige Reibung unserer Leiber an- und ineinander, ihr schnelles Atmen, das leicht zu einem genüsslichen Seufzen oder einem leidenschaftlichen Stöhnen wurde, die Hitze ihrer Haut, dann eine vage feuchte, matt schimmernde Geschmeidigkeit, die uns umso leichter aneinander gleiten ließ, als auch mir der Schweiß ausbrach, all das war ein Tanz, der nicht besser und nicht vereinnahmender hätte geschehen können, von zwei Menschen genossen, die es zu genießen wussten. Ich hätte nicht sagen können, wer von uns beiden die Führung bei diesem Tanz übernahm, mal stürmte sie voran, nahm sich ihr Vergnügen, um mich dann folgen zu lassen, sich willig meinen Wünschen ergebend, um mich zu erfreuen, und eine lange Zeit hörte ich in diesem zerstörten Raum nichts als die gemischte Melodie unserer beiden Stimmen.


    Ich war außer Atem, als wir schließlich voneinander abließen, gesättigt, erfüllt, wenngleich die Lohe dieser Leidenschaft, die ich auf beide Weisen zu genießen wusste, bei ihr nicht würde vollkommen gestillt werden können. Als ich sie neben mir liegen sah, wusste ich mit quälender Gewissheit, dass ich sie immer begehren würde, egal, wie sie war, was sie war, mir diesen lusterfüllten Taumel wünschen würde, egal, ob ich einen anderen Menschen liebte, vermählt war, egal, ob sie einen Mann hatte oder hundert. Wir waren uns zu ähnlich, ihre Art, bei der körperlichen Liebe alles zu nehmen und doch zu geben hatte mir dies verraten, und vielleicht war es gerade dieses Wissen, das sie mir anziehender machte als so viele andere Frauen. Langsam wischte ich mir den Schweiß von der Stirn und betrachtete sie, hörte ihre Worte, und lächelte unvermittelt.
    "Dein Gemahl ist ebenso zu beneiden. Wenige Frauen erwecken den Wunsch, nach einem geteilten Vergnügen ein weiteres zu wollen, und noch weniger Frauen gibt es, deren Kunst so vollkommen ist, dass man davon wie in einem Bann gefangen scheint. Im Grunde ist Dein Mann schon heute jemand, den man auch bedauern muss - lässt Du ihn nur einmal von der süßen Frucht Deiner Leidenschaft kosten, wird er Dir auf ewig verfallen sein und Dir alles geben, was Du Dir nur wünscht. Aber ich glaube, es würde Dir sehr bald zu langweilig werden ... birgt dies doch keine Herausforderung."


    Als ihre Zunge über meine Brust neckte, streckte ich mich genüsslich, um sie dann mit einer Hand an mich zu ziehen, eine träge, gemütliche Bewegung, die von der Sattheit meines Leibes kündete - vorerst jedenfalls. "Ich glaube, Du bist Dir nicht einmal dessen bewusst, wo Deine Stärken liegen, Callista - Du bist nicht allein anziehend, eine Frau, die man nicht vergisst. Die dunklen Augenblicke sind es, die mich weitaus mehr faszinieren, denn jeder Mensch hat sie, und die meisten unterdrücken sie, weil sie die Dunkelheit fürchten. Du scheinst das nicht zu tun ... warum, weiss ich nicht, und doch ... es lässt mir für einen Moment lang den Glauben, nicht der einzige Mensch auf dieser Welt zu sein, der um die Dunkelheit weiß und mit ihr zu leben gelernt hat." Langsam strich meine Hand ihren schlanken Rücken entlang hinab, folgte der Form ihres Rückgrats, um dann auf ihrer Seite zu liegen zu kommen. Sie faszinierte mich, ja, so war es wohl, und das war allzu lange nicht mehr in dieser Form geschehen. Ich würde sie vermissen, auch das war mir jetzt deutlich bewusst. Rom würde viel Licht verlieren, wäre sie irgendwo in irgendeiner tristen Provinzstadt, deren Hässlichkeit ich mir nicht einmal ausmalen wollte. "Callista mea ..." begann ich den Satz, und ließ ihn wie auch meine Gedanken einige Momente lang schweifen.


    Hätte ich sie um ihre Hand bitten sollen? Aber eine Ehe mit ihr, mit einer Frau, die so leidenschaftlich lebte, hätte uns beiden wohl nicht zum Glück gereicht. Nicht, sobald es den Alltag gab, den man nicht genießen konnte, sobald Pflichten mich fern von ihr halten würden, sobald meine Zeit noch weniger Freiheit gestatten würde als sie es ohnehin tat. Das Vigintivirat war schon zeitintensiv, und alle folgenden Ämter würden es umso mehr sein.
    "Callista mea, ich möchte, dass Du Dir nach Britannia oder wohin auch immer Dein Gemahl Dich mitnimmt, eines im Herzen trägst. Wenn Du jemals in einer Notlage steckst, und nicht weisst, wen Du um Hilfe bitten sollst, dann lass es mich wissen. Ich werde Dir helfen, wenn ich es kann, und wenn ich es nicht selbst vermag, werde ich Dir Hilfe schicken. Glaube nicht, dass das ein sentimentales Angebot ist, dass hier ein verliebter Idiot Dir Liebesschwüre stammelt, oder etwas in dieser Art. Ich schätze Dich, und ich möchte, dass Dein Leben nicht in einem goldenen Käfig endet, in dem Du nur unglücklich werden kannst."
    Ich richtete mich ein wenig auf und blickte zu ihr, mit meinem Blick den ihren suchend, um dann leicht zu lächeln. Nein, Verliebtheit war das nicht. Eher eine seltsame Form von ... Respekt.

  • Männliche Fingerbeeren fahren über weiche Haut, die nur Seide kennt. Weiche Milch, warmes Wasser oder leidenschaftliche Küsse erfahren hat. Niemals die Grobheit der Arbeit oder die rauhen Widrigkeiten eines verzehrenden Lebens. Die Hülle ihres Korpus reckt sich wohlig unter den Berührungen des Aquilius. Ein Seufzen des Wohlgefallens offerieren ihre feucht schimmernden Lippen. Letzte Kunde von verzehrenden Küssen. Dunkle Wimpern umkränzen die Spiegel ihrer Seele, die okkasionell ihren Gemütszustand verraten, oft auch zu täuschen vermögen. Ihre Haare umspielen ihre Wangen, die einen bronzenen Hauch bedecken.
    Mein Gemahl ist zu beneiden?
    Eher zu bemitleiden, Callista.
    Traun.
    Ein boshaftes Lächeln entzündet sich an ihren Mundwinkeln. Erhält jedoch keine Erlaubnis sich auszubreiten und ihre Gedanken diesbezüglich zu verraten. Einem Gemahl würde Callista indes niemals Leidenschaft offerieren. Abgesehen von der Passion des Furors. Der Inbrunst ihres Hasses. Geschmeichelt ist Callista durchaus. Gleichwohl sie sich das selber einredet. Ein Verhängnis der Männer zu sein. Jedes Wort glaubt sie Aquilius. Weil sie es will. Zumal es ihrer Eitelkeit entspricht. Die ursprünglich Boshaftigkeit des Freudenzeichens wandelt sich in ein ergötztes Lächeln, das nun die Gelegenheit erhält ihre Lippen zu schmücken und zu bekränzen.
    Fidel erhebt Callista ihre Wange von Aquilius Brust. Betrachtet seine schönen Lippen. Die derart burleske Sätze formen. Aussagen von sich geben, die Callista amüsieren. Als ob Aquilius sie schon Jahre kennen würde. Solcher Art spricht er mit ihr. Irrtümer über ihre Person aufzuklären ist indes nicht Callistas Bestreben. Das, was die Männer auf der Oberfläche ihres Selbst erkennen wollen, wünschen und vermögen. All das Nämliche oblässt Callista ihnen. Bis zu dem Zeitpunkt einer Kränkung ihrer Person. Dann wird Callista gnadenlos. Aber es sind Schmeicheleien. Die Callista umweben, sie einspannen und umgarnen. Callista lächelt entzückt.
    "Die Jagd nach Herausforderungen? Die Früchte einer erlangten Beute, die mit einem Mal schal wird? In dem Moment der Sättigung? Eventual."
    Callista folgt mit ihrem Finger seinem Brustbein. Verharrt am Angulus. Lässt ihre Haare auf seiner Brust kitzeln. Schnurrt wohlig. Bei jeder sanften Berührung an ihrem Leibe. Ihre Gedanken entschweben. Flatterhaft wie bei einem Schmetterling. Herausforderung. Männer errringen. Sie fallen lassen. Sie erbeuten. Jagen. Jagd? Des Menschen liebstes Vergnügen. Es entsinnt sie an ihn. Abenteuer. Die Hatz, insbesondere auf Sklaven, aber auch das exotische Getier von Ägypten. All das Nämliche hat sie mit ihm erlebt. Ihre ungezügelten Seiten konnte sie ausleben. Wilden Zeiten hat sie mit ihm gefrönt. Leidenschaft. Glut. Das wahre Feuer in ihrem Leben. Callistas Mund verzieht sich melancholisch. Sie verbirgt es mit einem Kuss auf die Brust von Aquilius.
    "Ob man in Britannia jagen kann?"
    Ein sanftes Murmeln. Ein Hauchen über die männliche Haut. Wilde Ungeheuer. Ungezähmte Tiere. Das gibt es mit Sicherheit in Britannia. Aber was ist all die Vergnüglichkeit ohne ihn? Callistas Unterlippe erbebt. Schrecklich wehleidig bemitleidet sie ihre tragische Figur in dem Stück ihres Lebens. Geliebt sollte sie werden. Umsorgt. Umhegt. Ist sie nicht eine Claudia, die das von ihrem Geburtsrecht aus verdient? Schon will ihre Stimmung herab sinken. Aber Aquilius hindert sie daran.
    Callista hebt ihren Kopf an. Richtet die Augen auf Aquilius berückende Gesichtszüge. Herb männlich. Schön geschwungen. Harmonisch im Aufbau. Aber nicht ausdruckslos. Callista versinkt in dem Anblick von Schönheit. Die Formvollendung. Die Erhabenheit der Form. Die Perfektion des Werkes der Götter blendet Callista. Lenkt sie ab von all den Worten, die von des schönen Mannes Lippen gesprochen werden.
    Dunkelheit? Wovon spricht er?
    Wie schön seine Augen doch sind.

    Von Dir, Callista.
    Oh.
    Callista schenkt ihm ein entzücktes Lächeln. Weil sie Aquilius seiner Gestalt wegen bewundert. Den Worten schenkt sie keine große Beachtung. Denn Callista sieht an sich keine Schwächen, darum glaubt sie natürlich von all ihren Stärken zu wissen. Nur der Makel ihrer Größe, aber auch ihr Hang zur Fettleibigkeit sind unbedeutende Flecken auf ihrem Wesen und Sein, das sie selber gerne verherrlicht und darum alle Schmeicheleien liebt. Die ihr diesbezüglich geschenkt werden.
    Callista mea?
    "Caius?"
    Ein Hauchen. In dem zarten Atmen, der den Namen formt. Darin schwingt ein Hauch von Amüsement mit sich. Callista lässt alle Gedanken hin fort gleiten. Schickt sie mit den Flügeln der Phantasieschmetterlinge in den unendlichen Äther. Begnügt sich mit dem Sinnen über die Form seiner Nase. Fährt mit ihrer Fingerspitze über seine Unterlippe. Die sich wundervoll wölbt. Wenn er nachdenklich wirkt.
    "O Caius."
    Sie liebt es seinen Namen zu nennen. Doch schon scheint sein Gedankengespinst vollendet zu sein. Die Webearbeit findet den Weg zu seinem wundervollen Mund. Callista betrachtet ihn fasziniert. Als er sich bewegt, rundet, spitzt, in die Länge zieht um danach zu seiner vollendeten Form zurück zu kehren.
    Oh. Was hat er gesagt?
    Lausche ihm aufmerksamer, Callista.
    Ich will es doch. Ich versuche es.
    Callista reißt sich zusammen. Löst sich von dem wundervollen Anblick. Konzentriert sich auf die letzten Worte, die Aquilius spricht. Er bietet ihr Hilfe an? Nun sind es Callistas Lippen. Die sich spitzen. Ein einziges Wort formulieren.
    "Oh."
    Oh, nur ein Oh, Callista? Was für eine schnöde Antwort.
    Callista leckt sich über die Lippen. Zaubert ein Strahlen auf ihr Gesicht. Ihre Augen erfüllt ein munterer Glanz. Mit einem langen Kuss belohnt Callista die Worte von Aquilius. Wenngleich sie keines davon für bare Münze nimmt. Männer versprechen viel. Halten wenig davon. Zudem braucht sie in den nämlichen Tagen Hilfe. Die Aquilius ihr nicht zu geben vermag.
    "Caius, o Caius. Gewiss werde ich das stets in mir tragen. Das Angebot gereicht Dir zu höchster Ehre und erfüllt mich mit Dankbarkeit. Bin ich in Not, werde ich Dich davon wissen lassen."
    Gelogen ist jedes Wort. Dafür jedoch mit einem lauteren Antlitz geformt. Einer talentierten Mimin offeriert. Schließlich lebt Callista stetsfort in einem goldenen Käfig. Nur wenige Jahre ihres Lebens waren ihr in scheinbarer Freiheit vergönnt gewesen. Sie sind vorbei. Solange sie den Namen Claudia trägt. Eine Frau ist. All die Zeit wird sie stets ein Paradiesvogel in einem grausamen Gefängnis der römischen Welt sein. Zu deprimierend ist der Gedanke. Den Callista nicht an sich heran lassen will. Genauso wenig die Erkenntnis, wie hohl ihr Leben ist. Insbesondere ohne ihn.
    Ihre Sklavin möchte Callista heran winken. Aber es ist keine Serva im Cubiculum. Enttäuscht seufzt Callista. Geschmeidig erhebt sie ihren schlanken Oberkörper. Stützt sich neben Aquilius ab und streicht sich mit einer Hand die ebenholzfarbene Haarmähne zurück.
    "Die Zeit der schnöden Unwiderlegbarkeit eilt herbei. In grausam flinken Schritten."
    Eine schwarze Haarsträhne kringelt sich keck um Callistas Kinnlinie. Ihre Augen funkeln vergnügt. In Erwartung des Kommenden.
    "Lass uns die kostbaren Moment nicht mit dem schrecklichen Sein verbringen."
    Ein Suchen mit ihren dunklen Augen. Eine Kiste aus Zedernholz wird ausgemacht. Elfenbeinverzierung schmücken die Ecken und den Verschluss. Wohlgemut zeichnet sich der Erdbeermund der Callista. Erforschend sieht Callista zu dem schönen Flavier.
    "Frönst Du bei weilen den Perlen des Mondes, o Caius?"
    Callista kann es sich nicht anders vorstellen. Jemand wie Aquilius tut das Nämliche gewiss von Zeit zu Zeit. Leicht einer Feder similär erhebt sich Callista. Ohne Scham und nur von ihrem Haupthaar bedeckt setzt sie einen Fuß nach dem Anderen über den warmen Boden. Der von heißem Dampf angenehm ist. Über die Trümmer schreitet sie hinweg. Schwebt an einer umgefallenen Vase vorbei. Liebkost mit ihren Fingerspitzen den Korb mit der Spinne. Vor der Kiste bleibt sie stehen und sieht über ihre Schulter hinweg zu Caius.
    "Findest Du Gefallen an Spielen, o Caius? Oder hat das auch in Deinem Leben keinen Platz mehr?"
    Ihre Hände umfassen das Holz, das Glänzende. Erstaunt über die Schwere ist Callista. Hebt sie hoch und wendet sich zu Aquilius um. Den Weg zurück zum Lager findend.

  • Die Welt wich abermals zurück, machte einer langsam zu mir gleitenden, sanften Mattigkeit Platz, in der ich zu fühlen begann, wie mir die Zeit entglitt. Der Tag war lang gewesen, und in so mancher, endlos lang scheinenden Akte hatte ich als einzigen Trost das Wiedersehen mit Callista gehabt, an dem ich mich festgehalten hatte, man musste sich bisweilen mit solchen Bildern in der Pflicht selbst vorantreiben. Nur noch ein Absatz, eine Aktennotiz, eine weitere Akte, eine weitere Stunde, und dann endlich war man frei zu tun, wonach einem der Sinn stand. Wie lange hatte ich auf diesen Moment gewartet, geharrt, gehofft, mir selbst verboten, allzu früh zu ihr zu eilen, um sie nicht glauben zu lassen, sie hätte mich mit ihrem Zauber allzu leicht untwerworfen.
    Frauen waren grausam, wenn man ihnen Macht über einen gab, und noch grausamer waren sie, wenn sie wussten, dass sie einen eingefangen hatten - wenngleich ich zumindest noch einen halbwegs klaren Kopf behalten hatte, was sie anbelangte, zusammen hätten wir
    sicherlich einige Wochen gelebt wie die Kaiser, und uns dann zu hassen begonnen. Mein Blick blieb unwillkürlich an ihren schimmernden Lippen hängen. Meine schöne Callista. Was für eine Verschwendung, sie in den Norden zu verbannen, zu irgendwelchen ungeschlachten Britanniern, die sie nicht zu würdigen wissen würden - oder aber sie würde sich den ein oder anderen Stammeskrieger für ihre einsamen Stunden verführen und die ganze Rauhheit unserer nördlichsten provincia kosten.


    "Ich bin mir fast sicher, dass jenes Wild, das Du in Britannia zu erlegen trachtest, zu Deinen Füßen endet, Callista mea, und sein Blut für Dich vergießen wird, wie es Dir gefällt," meinte ich in einem sanften, aber doch amüsierten Ton. Der Gedanke, sie in den behaarten Armen eines blau und grün bemalten Piktenkriegers zu sehen, dieser maximale Kontrast zwischen Kultur und Wildheit, ließ mein Herz wieder schneller schlagen. Es wäre zumindest ein interessantes Bild, sie diese Wildheit zähmen sehen zu lassen, auf ihm reitend wie man ein Wildpferd einreitet, auf dass es treuer als ein domestiziertes werden würde. Zweifellos würde sie Britannia zähmen, wenn sie es nur wollte, und ihren Gemahl mit dazu. Was für ein
    bemitleidenswerter Kerl dieser Mann doch war, sie war ihm schon von Geburt an aus haushoch überlegen gewesen und als Frau herangewachsen, mit all jenen Waffen ausgestattet, bei denen ein Mann früher oder später kapitulieren musste. Die meisten endeten dann doch unter dem Pantoffel ihrer Frau. Wobei sicherlich sehr viele Männer gerne unte Callistas Pantoffel gelandet wären, wenn sie es sich hätten auswählen können, bis zu jenem unweigerlich nahenden Augenblick, in dem man begann, sie zu langweilen. Wer die Ansprüche einer solchen Frau nicht erfüllen konnte, wurde sicherlich recht bald aussortiert, ausgetauscht, gegen das lohnendere Objekt der Begierde, um wieder einen neuen Reigen zu beginnen, bis auch die Neuerwerbung langweilte.


    Ja, Illusionen machte ich mir über Callista nicht. Vielleicht lag ich mit meinen Überlegungen falsch, vielleicht irrte ich mich auch deutlich, ich hätte es ihr und mir gewünscht, aber ich hatte schon zu viele Frauen kennengelernt, zu viele Seufzer gehört, zu viel hinter einem Lächeln verstecktes Machtausüben, um mich allzu lange einer süßen Illusion hinzugeben. Hörte sie mir überhaupt zu? Sie wirkte so abwesend, mit diesen großen, dunklen Augen, in denen sich die Nacht gefangen zu haben schien, seelenvolle, tiefe Augen, aber doch undurchdringlich, ihr Blick behielt ihre Geheimnisse für sich, und je tiefer man zu forschen versuchte, desto mehr konnte man sich in einem Nichts verlieren, wenn sie es wollte.
    Caius. Oh Caius. Mein Name klang so weich, so verführerisch, wenn sie ihn sprach, als könnte sie in mir deutlich mehr entdecken, als ich tatsächlich war. Träumte sie sich meine Person zurecht? Oder sah sie klar vor sich, wer ich war? Ihre Lippen verrieten nichts davon, noch weniger ihre eleganten, grazilen Bewegungen, die eine träge Lässigkeit verströmten, als wälze sich gerade eine Raubkatze, gesättigt nach einem guten Mahl, auf ihrem Lager. Sicher, sie nah mein Angebot der Hilfe an, ihre Lippen fühlten sich weich auf den meinen an, verlockend weich, ein warmer, zarter Kuss war es, der nach so viel mehr schmeckte - aber meinte sie das auch ernst? Sicher war ich mir nicht, sie schien mir eher eine Frau zu sein, die sich, wenn es nötig war, selbst half.


    Als sie sich einem neuen Vergnügen zuwandte, erstreckte sich die Farbvielfalt ihres Daseins in einem Moment ungleich um sehr viel mehr - die Perlen des Mondes. Natürlich. Warum hatte ich diesen abwesenden Blick nicht schon längst erkannt, dieses Überbleibsel derer, die dem Tag in die süße Umnachtung entflohen, welche allein die Perlen zu schenken vermochten? Ich hatte das Offensichtliche nicht erkannt, und wunderte mich nun meiner Blindheit, ohne sie es sehen zu lassen. Nur kurz war mein Lächeln, dann räkelte ich mich gemächlich auf ihrem halb zerstörten Bett.
    "Es ist eine Weile her, dass ich dies tat - in Achaia, bisweilen, in jenen langen Abenden voller Genüssen, voller Diskussionen und philosphischer Wettstreite, mit einer reizvollen Frau im Arm und einem guten Wein im Becher - aber hier in Rom hatte ich nicht die Gelegenheit dazu. Willst Du gar das Spiel, das wir beide so sehr beherrschen, erneut spielen, Dich auf der Woge weißen Mondlichtes mit einer Perle auf der Zunge davontragen lassen, bis Du Dich ganz in diesem Augenblick verlierst?" Ich hatte durchaus gewollt den ductus eines Verseschmieders angewandt, als wollte ich ein Gedicht zum Besten geben, aber es ohne Reim, ohne direkten Zusammenhang gelassen, nur einen ersten Schritt in die Welt der Phantasie getan. Warum nicht diesen letzten Tag, an dem ich sie bei mir haben würde, damit abrunden? Es würde die Erinnerung ungleich farbenprächtiger machen.


    Langsam streckte ich die Hand aus, als sie zu mir zurückkehrte, und zog sie zu mir herab, nicht drängend, aber doch verdeutlichend, dass ich sie mir lieber nah als fern hatte, mein Körper war so angenehm belebt durch das jüngst vergangene Erlebnis, dass es geradewegs in meinem Blut zu pulsieren schien. Die Lippen vorwölbend, stahl ich ihr einen langsamen, langen Kuss, der mich die Süße ihres Mundes erneut schmecken ließ, und mit diesem Geschmack kehrte auch das Verlangen zurück, welches wir aneinander wohl eine lange Zeit nicht mehr würden stillen können.
    Hätte ich sie vielleicht doch ... nein, es war besser so. In einigem zu ähnlich, in anderem ... sehr weit voneinander entfernt. Stattdessen ließ ich meinen Blick lieber über ihren schlanken Leib gleiten, die weichen Formen, die aber nicht plump oder zu schlaff waren wie die vieler Frauen unserer Schicht, die nicht auf sich selbst zu achten gewöhnt waren. Zwiefellos hatte Callista Selbstdisziplin schon sehr früh gelernt, und wenn sie diesen Perlen fröhnte, dann musste sie dies auch, um sich nicht darin zu verlieren.
    "Dürstet es Dich nach einer Reise in die Ferne der Vorstellungskraft?"

  • Geltungsdrang. Ambition. Ehrgeiz. All jene Tugenden besitzt Callista. Hingegen sind die Ziele ihres Erfolgsdrangs nicht sehr tugendhaft. Ein Zweifel an dem Erfolg um eine Jagd hegt Callista nicht. Sie bekommt, was sie wünscht. Ob Männer, Geschmeide oder das Wild in den Weiten Ägyptens. Nur zwei Dinge sind ihr nicht vergönnt. Die Freiheit über ihr Leben zu erringen. Oder die Unsterblichkeit und ewige Jugend. Beide Wünsche wird sie indes niemals aufgeben.
    Callista mea?
    Sein. Sie. Sein?
    Nein.
    Niemals.
    Callistas Lippen wölben sich pikiert. Geübt darin, ihre Regungen zu verheimlichen, lässt sie daraus ein Lächeln entstehen.
    "Fordere nicht die Götter heraus. Diana ist launisch. Diana ist eifersüchtig."
    Callista öffnet mit den Fingerspitzen den hölzernen Kasten. Sie lässt die Kuppen auf dem Holz ruhen und betrachtet den Korpus von Aquilius Den sehnigen und muskulösen Leib. Der sich aufreizend vor ihren Augen räkelt. Als ob er sich seiner Schönheit bewusst ist. Callista ist sich hiezu selbstgewiss. Er weiß es. Darum zeigt er es ihr. Ihre Mundwinkel heben sich. Arme umschlingen Callista. Begehren ihren Leib. Geschmiegt an warme, männliche Haut. Callista gibt sich dem willig hin und folgt dem Ziehen. Der Kasten legt sie auf den Tisch neben das Bett und sinkt in die weichen Kissen. Von der eine Feder aufsteigt und auf ihre bronzene Haut herab fällt. Leuchtendes Weiß auf goldener Haut. Es kitzelt Callista wohlig.
    "In Achaia!"
    Ihr Bruder hat in Achaia gelebt. Hat es ihm dort gefallen?
    Callista hat es vergessen. Schließlich hat er dort ohne sie gelebt. Frauen in den Armen? Die Tränen des Mondes im Blute? Orgien? Orgien in Achaia? Das vermag selbst im Nachhinein die Eifersucht in Callista zu schüren. Eine eifersüchtige Callista kann unerträglich werden. Eine Furie. Eine Rachsüchtige. Ihr Lächeln schmälert sich. Aber sie will den Abend nicht trüben. Der von dunklen Wolken bedeckt ist.


    Ihre Lippen suchen nach dem Lustkelch von Aquilius. Ihre Zunge versinkt zwischen seinen Lippen. Sie atmet schwer und löst sich ungerne. Ihre Augen ziert ein dithyrambisches Funkeln.
    "Die Nacht mit fremden Feuern zu versehen,
    die unterwerfen, was in Sternen schlug,
    darf meine Sehnsucht als ein Brand bestehen,
    der neunmal weht aus deinem runden Krug.


    Du musst der Pracht der heißen Mohns vertrauen,
    der stolz verschwendet, was der Sommer bot,
    und lebt, dass er am Bogen deiner Brauen
    errät, ob deine Seele träumt in Rot.


    Er fürchtet nur, wenn seine Flammen fallen,
    weil ihn der Hauch der Gärten seltsam schreckt,
    dass er dem Aug der süßesten von allen
    sein Herz, das schwarz von Schwermut ist, entdeckt."

    Die Worte wispert Callista. Lässt sie leicht wie der Hauch der Sommerbrise aus ihren Lippen entweichen. Die über rote Felder hinweg streichen. Sanft mit den roten Blüten des Mohnes spielen. Die schwarzen Herzen erzittern lassen. Das rote Gold aus dem die roten Träume entstehen. Sofern eine Seele noch zu träumen vermag. Callista liebt jene Stunden. Es entrückt sie von der Welt. Von der Monotonie und mag ihrer Phantasie Flügel zu verleihen. Und wenn Callistas eine gute Eigenschaft hatte, dann ist es ihre Fähigkeit zu Träumen. Ansonsten ist ihre Seele vertrocknet. Ihr Gemüt gehässig und ihre Launen grauslich.


    "Ja. Das möchte ich."
    Ein seliges Seufzen. Ein Verlangen zu vergehen an diesem Abend. In Lust, Träumen und der völligen Leichtigkeit.
    "Lass uns dem leichten Flug folgen, den die roten Flügel uns bereiten. Lass uns zergehen, bis wir nicht mehr wissen, was Traum und Wirklichkeit ist. Ein Abend, den man nicht vergisst. Aber eine Nacht ohne Trivialität. Wo wir nie wissen werden, was wahr war und was nicht."
    Callista greift nach einer langen, schlanken Pfeife. Aus Elfenbein und Kupfer ist sie gemacht. Ägyptische Symbole zieren die Pfeife. Sie stammt auch aus Ägypten. In der wunderbar verruchten Stadt Kanobos hat sie die Pfeife erworben. Welch eine aufregende Nacht hatte sie damals erlebt. Callista erinnert sich jedes Mal daran. Wenn ihre Finger sich um die Pfeife schließen. Wenn sie die Lippen darum legt.
    Kein Handgriff geht fehl. Es ist geübt. Die schwarzen Perlen. Die in die Pfeife kommen. Die Glut, die Callista mit einem Zedernholz erzeugt und an den Kopf hält, der einer Schlange nachgeahmt ist. Schon bald steigt eine Rauchfahne in die Luft. Ohne Hast legt Callista ihre Lippen um die Pfeife und zieht den würzigen Arom in ihre Lungen ein. Der Mohn knistert. Er duftet. Er mundet. Er erhebt Callista. Mit einem sinnlichen Lächeln auf den Lippen reicht sie die Pfeife an Aquilius.


    Schon bald taucht Callista in die Welt der Träume. Vermengt sich mit der Sinnlichkeit, die die Wirklichkeit ihr bietet. Zug um Zug nähert sie sich dem Reich, in dem ihre Gedanken verschmelzen mit den Worten. In dem sie redet, ohne einen Sinn zu erkennen. In dem sie blind ist und doch die Wahrheit erkennt. In dem sie sich der Lust hingibt und völlig sich vereinnahmen lässt. Berauscht und jenseits davon noch klaren und vernünftigen Verstandes zu sein. Die Stunden rieselten dahin. Was weiter in jener Nacht geschah? Callista träumt manchmal davon. Doch sicher, ob es geschehen ist, das wird sie wohl niemals mehr sein. Auch nicht, ob Aquilius bei ihr war.

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