[Civitas Vangionum] Im Lager der Räuber

  • Crispus hatte gerade noch aufgepasst, dass die Palisaden auch ordentlich entfernt wurden, da hörte er erneut Pferdegetrappel. Kurz darauf tauchten erneut die Leute von der Ala im Eingang. Sie hatten offensichtlich etwas auf ihr Pferd geladen - hoffentlich war das nicht Reatinus' Leiche!


    Er rannte ihnen entgegen und kam zum Stehen, als Cupidus absaß. Als er die Meldung hörte, blickte er zum Himmel, obwohl die Sonne, das Zeichen Apolls schon längst verschwunden war. Aber vielleicht sah er ja gerade hinter dem Mond auf die Erde herunter. Ein Weihestein war ihm sicher!


    Der Centurio gewann jedoch rasch seine Fassung zurück.


    "Die toten Römer werden bei Wigands Dorf ehrenvoll bestattet. Hier verscharren wir nur die Banditen. Dürfte nicht mehr lange dauern."


    Tatsächlich hatte die Grube langsam eine beachtliche Tiefe erreicht. Während er zu Reatinus ging, brüllte er zu Drusus hinüber


    "Kümmer' dich darum, dass die Banditen alle in die Grube kommen!"


    Dabei deutete er auf den Haufen der Toten. Sie waren wirklich lange genug hier - auf einmal fühlte Crispus sich schmutzig! Er wollte in sein Zelt und sich das Blut vom Körper waschen!

  • Reatinus ließ sich nach wie vor auf dem Pferd transportieren. Sein Kopf fühlte sich schon wieder schwammig an, aber das Bewusstsein behielt er wenigstens. Er blickte aus der Ferne auf den Haufen von Toten in der Nähe. Hier schien ein weiteres Massaker stattgefunden zu haben. Er konnte nicht an die Toten denken, alles was hier geschah. Der Optio hatte andere Sorgen. Dort war der Centurio. Mit weit aufgesperrten Augen und fragend, wie er bei Reatinus´ Anblick reagieren würde, beobachtete er den Petronier aus der Ferne, bis er endlich ankam. Dann kam der Centurio auf ihn zu. Reatinus´ Anblick würde Crispus wohl nur insofern erfreuen, dass die Lebensgeister ihn nicht verlassen hätten.


    "Centurio... ich lebe... noch.", sprach Reatinus völlig ohne Energie, "Ich... Marcomer hat uns verraten... ich habe...", er hustete kräftig, "Ihn getötet... gerechte Strafe...". Viel zu sagen hatte Reatinus nicht. Er hoffte nur, keine Schande über den Centurio gebracht zu haben.

  • Crispus half, den Optio vom Pferd zu hiefen. Dann zwang er sich, Reatinus aufmunternd anzulächeln.


    "Du hast gute Arbeit geleistet, Reatinus!"


    Sein Optio sah furchtbar aus. Er konnte zwar sprechen und war offensichtlich notdürftig verbunden worden, dennoch konnte es leicht sein, dass seine Verbände durchgeblutet waren. Außerdem redete er in Rätseln. Marcomer? Wer zum Pluto war Marcomer? Ach ja, ein Dorfoberhaupt, richtig! Nunja, offensichtlich war ihm seine Rebellion nicht gut bekommen...


    "Spar deine Kräfte! Bleib' ruhig liegen, wir kümmern uns um alles!"


    Er winkte zwei Legionäre herbei.


    "Bringt den Optio zum Feuer, damit er sich nicht verkühlt!"


    Die beiden gehorchten sofort und nahmen Reatinus sanft auf.

  • "Danke...", meinte Reatinus knapp. Scheinbar hatte sich der Centurio wirklich um ihn gesorgt und das freute Reatinus trotz seiner Lage. Die Kämpfe hatten Spuren hinterlassen. Während Reatinus von den zwei Legionären zum wärmenden Feuer getragen wurde - selbst laufen konnte er in diesem geschwächten Zustand sehr schlecht - sah er den Haufen von Toten. Die Überlebenden wurden herzlos zusammengepfercht, wo normalerweise die Tiere hinkommen. Junge Knaben und Frauen waren es, die den verletzten Optio erblickten und ihre Blicke wurden erwidert. Reatinus hatte Mitleid mit diesen Menschen. Denn sie hatten vielleicht keine andere Wahl, als diesen Männern zu folgen... wer wusste das schon. Sie sahen wehleidig und in Verzweiflung aus, wie sie da standen, was Reatinus das Herz erschütterte. Obwohl er rein äußerlich gesehen keine Miene verzog, weinte er im Geiste über das, was geschah. Doch diese Räuben haben Unschuldigen das Leben gekostet und selbst Unschuldige mit hinein gezogen. Für sie konnte Reatinus keine Träne vergießen.


    Momente später lag Reatinus ruhig am Feuer und wärmte sich. Stumm hörte er dem Knistern des Feuers zu und machte sich Gedanken über die Geschehenisse heute. Das war zu viel. Viel zu viel...

  • Cupidus, Merowech und Brigio sahen den Männern zu, die eine Grube für die Toten ausheben mussten. Es schien garnicht einfach zu sein, den harten, kalten Boden aufzubrechen, aber alle arbeiteten schweigend in der Dunkelheit.


    Nach und nach trafen die restlichen Gruppen der Turma II ein, manche brachten noch Tote oder Verwundete mit. Ein junger Eques lebte noch, als man ihn vom Pferd trug, seine Tunika war vom Bauch abwärts rot getränkt, er atmete flach und würde nicht mehr lange zu leben haben.


    "Einar, bei den Göttern...", stammelte Cupidus, als er den jüngsten Reiter seiner Turma erkannte.
    "Cu...Cu....Cupidus....," stammelte der junge Mann, "alles so kalt..."


    Seine Lippen formten Worte, die aber keiner mehr verstand. Die geöffneten Augen blickten starr in den sternenverhangenen Himmel und sahen doch nichts mehr. Zwei Equites brachten den Toten weg und bereiteten ihn auf den Transport zu Wigands Dorf vor.


    Cupidus setzte sich mit dem Rücken an die Holzpalisade und zog sich den Helm vom Kopf. Jeder Knochen tat ihm weh, er war müde und fror erbärmlich. Was für ein besch.... Tag, dachte er, zu viele gute Männer waren gefallen. Von den 31 Mann seiner Turma waren 3 tot und fünf verletzt, zwei davon schwerer als zuerst gedacht. Bei den anderen beiden Turmae sah es nicht besser aus. Hoffentlich wartete Tuto schon bei Wigands Dorf auf die Männer.


    Mit gedankenverlorenem Blick starrte Cupidus vor sich hin.

  • Merowech beobachtete das Schauspiel. Ein Stich in den linken Oberarm erinnerte ihn an die Schnittwunde, die er beim Kampf im Wald empfangen hatte und die Brigio dann notdürftig verbunden hatte. Er löste denn Verband. Offensichtlich hatte die Blutung aufgehört. Nur schmerzt sie manchmal. Er wandte sich an Cupidus und Brigio.


    "Ich sollte sie wohl besser gleich vom Casparius reinigen lassen, oder was meint ihr? "

  • Während die Equites sich daran machten, Ruhe in ihre aufgewühlten Geister zu bringen, hatten einige Soldaten den Befehl des Centurio aufgenommen und trieben die Frauen und Knaben zu dem Leichenhaufen, der sich neben dem ehemaligen Eingang (die Palisaden ringsherum waren bereits eingerissen worden) auftürmten.


    Ziemlich rasch brach großes Gehäul aus. Manch eine Frau erkannte ihren Gatten und eilte zu ihm, dann bei Gewissheit in Tränen auszubrechen. Doch die Soldaten kannten keine Gnade. Immer wieder brüllten sie die Frauen an, ihre Männer zu dem Loch zu schleifen. Manch eine gehorchte, doch die meisten schienen nun erst das ganze Ausmaß ihres Verlustes zu erkennen.


    Unter Tränen zerrten sie schließlich jeweils zu zweit ihre Ehemänner, Väter, Onkel oder Brüder durch den Staub und ließen sie in die Grube gleiten. Es stellte sich bald heraus, dass die Grube nicht tief genug für alle war, sodass sie bald aufgefüllt war.

  • Cupidus nickte und erhob sich.
    "Ich komme mit dir, meine Seite brennt, ein Speerstoß ist an meiner Lorica abgeprallt. Jetzt fühlt es sich an, als wäre ich zwischen Hammer und Amboß geraten," meinte er.


    Gemeinsam machten sie sich auf die Suche nach dem Capsarius.
    "Wir brauchen ebenfalls einen fähigen Capsarius in unserer Einheit. Unserer ist heute gefallen... Sag mal, hättest du Interesse, dich als Capsarius ausbilden zu lassen? Wenn wir im Lager sind, werden einige personelle Änderungen anstehen und ich habe gesehen, dass du und Brigio hervorragende Soldaten seid."

  • Drusus schien von meinem Vorschlag nicht begeistert zu sein. Er schwieg sich aus. „Na gut. Dann gehe ich in die Koppel und du passt auf diesen Germanen hier auf.“, sagte ich zu ihm und zuckte mit den Schultern. Dann drehte ich mich um und ging mir ein paar Knaben und Frauen aussuchen. Einige andere Legionarii hatten die selbe Idee und so kam es zu einem munteren Wettsuchen. Die meisten der Gefangenen sahen zu Boden. Wenn sie aufblickten, konnte man verweinte und verquollene Augen erkennen. Mein Mitgefühl hielt sich diesmal in Grenzen. Aber ich vermied es, ihnen in die Augen zu sehen. Ich suchte mir nacheinander erst einige Gefangene aus und trieb sie zu Drusus. Sie verhielten sich, als würden sie noch unter Schock stehen. Wort- und widerstandslos ließen sie alles mit sich geschehen. Man hörte nur die Rufe der Soldaten und ab und zu noch ein Jammern. Wahrscheinlich hatten sie Angst. Denn sie wussten nicht, was wir mit ihnen vor hatten.


    „Na dann auf zum fröhlichen Graben!“, sagte ich sarkastisch zu Drusus. Wir trieben die Gefangenen zur Lagermitte, drückten den Knaben und dem Mann Schaufeln und Hacken in die Hände und die Frauen bekamen Körbe von uns. Langsam fingen sie dann an, die Grube auszuheben, während wir sie bewachten. Nach kurzer Zeit kam der Centurio vorbei und befahl uns, den Gefangenen beim Graben zu helfen. Aus war es mit der Faulenzerei. Ich schaute Drusus an und verdrehte die Augen. Nachdem ich Scutum, Pilum und Gladius abgelegt hatte, teilten wir die Wachen unter uns auf. Denn die Waffen mussten schon noch bewacht werden. Den Gladius hatte ich ganz bewusst abgelegt. Nicht das mir nachher ein Gefangener ihn von hinten aus der Scheide ziehen würde und micht abstechen würde. Das hätte mir gerade noch gefehlt. Während wir langsam den harten Boden aufrissen und die Grube Gestalt annahm, schaute ich immer wieder mal auf. Da sah ich den Berg an Leichen am Eingang des Lagers liegen und es schienen immer mehr zu werden. Die Grube müsste ziemlich tief werden, um all die toten Leiber aufnehmen zu können.


    In der Zwischenzeit war es dunkel geworden. Nur ein großes Feuer, welches der Centurio anzuzünden befohlen hatte, erleuchtete mit seinem gespenstisch flackernden Schein das Lager. Schweißüberströmt arbeitete ich verbissen weiter. Ich wollte die Sache so schnell wie möglich hinter mich bringen, um dort wegzukommen. Plötzlich brüllte der Centurio Drusus zu, die Leichen der Banditen in die Grube zu befördern. Ich sah erst verwundert zu Drusus rüber und dann zum Centurio. Schöne Scheiße, dachte ich. Erst buddeln wir wie die Maulwürfe und als Belohnung für die Knochenarbeit durften wir noch die toten Rebellen in die Grube befördern. Ich stieg aus der Grube, legte meine Hacke beiseite und wollte Drusus helfen. Er und ich mussten wie zwei Erdgeister wirken, so dreckig und verschmiert wir von der dunklen Erde waren. Nur die Rüstung ließ noch erkennen, dass wir römische Soldaten waren.


    Zum Glück kam jemand auf die Idee, dass die Gefangenen die Leichen in die Grube werfen sollten. Auf dem Weg zur Koppel, sah ich einige Equites auf den Centurio zureiten. Einer von ihnen schien schwer verwundet zu sein, so wie er sich auf dem Pferd hielt. Erst als sie näher kamen, glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen. Der Optio! Er lebte also, den Göttern sei dank! Aber er schien ordentlich was abbekommen zu haben. Aber er lebte!


    Dann begannen wir die Gefangenen zu dem Stapel Leichen zu treiben. Kaum waren sie dort angekommen erhob sich ein lautes Wehklagen. Viele hatten unter den Leichen ihre Verwandten entdeckt und fingen nun an, lauthals ihrer Trauer freien Lauf zu lassen. Ich spürte einen Kloß im Hals und konnte kaum hinsehen. Zu erbärmlich und herzzerreißend waren die Szenen. Aber wir hatten auch unseren Befehl. So zerrten wir sie wieder auf ihre Füße und machten ihnen deutlich, dass sie die Toten in die Grube bringen sollten. Widerwillig und teilweises mit hasserfüllten Blicken machten sich die Gefangenen an die Arbeit. Nach einer scheinbar endlosen Zeit stellte sich heraus, dass die Grube nicht groß genug für alle toten Leiber waren. Was nun? Die Toten wieder rauszerren, um die Grube zu erweitern, ging nicht. Eine weitere Grube zu graben, würde höchstwahrscheinlich zuviel Zeit benötigen. Ich beschloss dem Centurio Meldung zu machen. Sollte der sich doch darum den Kopf zermartern. Schließlich wurde er dafür bezahlt. Schnell hatte ich ihn gefunden.

    „Salve, Centurio Petronius! Ich melde, dass die Grube zu klein ist, um alle Leichen der toten Banditen aufnehmen zu können.”
    , meldete ich ihm, nachdem ich salutiert hatte.

  • Nun lag der Optio an diesem wärmenden Feuer und kämpfte gegen seine Wunden an. Sowohl die Psychischen als auch die Körperlichen. Der einst so stolze Artorier, ein harter aber fairer Optio, war nun ein kümmerlicher Haufen Elend. Nicht wegen der Verletzungen. Nicht, weil er Marcomer getötet hatte, dieses Schwein. Sondern die Überlebenden seiner Gefolgschaft machten dem Artorier zu schaffen, jene, die ihm bedingungslos gefolgt sind. Die meisten von ihnen bis in den Tod, für ein einziges, großes Unrecht. Reatinus hätte kotzen können. Grausamkeit wurde doch nicht mit Grausamkeit vergolten... das erzeugte nur noch mehr Grauen. Reatinus sah in wehleidige, in trauernde Augen. Er hörte Schluchzen, Wimmern und Weinen und ließ sich im Nu von der Stimmung anstecken. Einige Männer, gute Männer aus der Truppe fehlten. Sie waren wie verschwunden. Sie mussten gestorben oder verschollen sein. Bilder von dem Gemetzel schossen Reatinus durch den Kopf. Schreie, Tote, Blut. Reatinus hatte sich für eine Militärkarriere entschieden, doch das war zu viel. Mehr, als er vertragen konnte. Denn mit Kampf hatte das nichts mehr zu tun. Eine Plage wurde beseitigt, doch sie wurde mit gleicher Boßhaftigkeit zurückgezahlt, an teilweise unschuldigen die nur die eine Wahl hatten, mitzukommen. An Knaben und Frauen, die jemanden hätten eh nichts tun können. Sie waren es, welche nun den Anblick ihrer Väter und Männer ertragen mussten, welche nun leblose Körper waren, die regungslos im Dreck lagen. Reatinus wurde es speiübel.


    "Nein... verdammte Scheisse... warum das alles...", murmelte Reatinus vor dem knisternden Feuer. Er schloss zutiefst bestürzt die Augen. Eine Träne rollte gemächlich die Augenlieder von Reatinus hinunter. Doch Reatinus wischte sich die Träne jeher weg, als er Schritte hörte, die immer lauter wurden. Es war kein männliches Stapfen, sondern kurze, zahlreiche und geschmeidige Schritte. Jemand kam auf ihn zu. Doch es war nicht der Centurio. Weder ein Legionär, noch ein Eques, einfach kein Soldat. Nein, es war eine Frau. In ihrem Blick sah man die selbe Verzweiflung wie bei den anderen Überlebenden. In der Meinung, er würde halluzinieren, rieb sich Reatinus die Augen. Die Frau war echt, denn sie stand noch da.


    "Was ist passiert mit meinen Mann?", fragte die Frau stammelnd auf Germanisch, dann jedoch erneut in schlechterem Latein.


    "Dein... Mann...?", Reatinus blickte die Frau fragend an. Männer gab es viele, die heute gefallen sind. Für seinen Geschmack zu viele.


    "Marcomer.", rief die Frau knapp.


    Als Reatinus das hörte, lief sein Gesicht blutrot an. Was sollte er dieser Frau sagen? "Ich habe deinen Mann getötet.". Na toll, das wäre ja eine wirklich elegante Antwort gewesen! Er hatte jetzt die Frau eines Mannes vor sich stehen, den er vor wenigen Stunden umgebracht hatte. Dieser Mann lag derzeit tot im Schnee, irgendwo in den Wäldern.


    "Es...", stammelte Reatinus geschwächt, "... tut mir... leid. Ich hatte keine... Wahl... er ist tot... gestorben durch meine Hand.". Hieß es nicht, dass es erleichternd wäre, wenn man über seine Probleme redete? Nun, für Reatinus war das nicht der Fall. Gerade jetzt schien halb Germanien auf seinem Herzen zu lasten. Genauso fiel auch die Reaktion der Frau aus, welche sich entgeistert das Gesicht und die Hände steckte.


    "Nein... nein...", wimmerte sie, "BASTARD! DU BASTARD! SOLLEN DIE THURSEN DICH HOLEN!!", kreischte sie wild auf Germanisch und zog einige Blick auf sich. Reatinus verstand nichts, doch es war nichts Nettes, wie ihm sein Bauchgefühl verriet. Und das wusste er erst recht nach dem gezielten Tritt auf die Verbände, Reatinus´ Wunde. Das Grauen schien wohl kein Ende zu nehmen. Naja, dass Reatinus überlebt hat, war schön und gut. Aber die Götter waren scheinbar nicht zimperlich, sich andersweitig Genugtuung zu verschaffen. Der Verband durchblutete ein wenig, doch die Wunde schien nicht sehr stark verschlimmert worden zu sein. Der Schmerz war jedoch groß genug, dem Artorier ein schmerzerfülltes Stöhnen entrinnen zu lassen. Doch die Frau hielt sich nicht lange bei Reatinus auf und rannte davon. Wohin, vermochte Reatinus nicht zu sagen, aber weg kam sie nicht. So war das eben leider. Als Soldat war man nebenberuflich auch Witwenmacher...

  • Merowech hörte Cupidus Worte und ließ sich alles durch den Kopf gehen, während die beiden einen Casparius suchten. Die Möglichkeit, sich selbst als Casparius bei den Berittenen schien interessant. Und je mehr Merowech darüber nachdachte, desto mehr Gefallen fand er an Cupidus Vorschlag.


    Nach einer Weile des Überlegens antwortete er schließlich entschlossen: "Es würde mir schon gefallen, mich zum Casparius ausbilden zu lassen. Vor dem Grauen kann man in der Schlacht sowieso nicht die Augen verschließen. Das habe ich in den letzten Tagen deutlich erfahren. Und so hätte ich die Möglichkeit, zumindest einen Teil dieses Grauens wieder zu heilen. Jedenfalls müssten wir beide jetzt nicht lange herum suchen, bis wir jemanden finden, der unsere Wunden versorgt."
    Den letzten Satz sprach Merowech mit einem bitteren Lächeln. Und endlich tauchte auch ein Casparius vor ihnen auf. Während Cupidus sich seine Verletzung ansehen ließ, wurde Merowechs Schnitt versorgt. Die Wunde wurde gereinigt und dann mit ein paar Stichen genäht.


    "Das wars", sagte der Casparius zu Merowech, "Allerdings dürfte eine Narbe zurück bleiben. Aber das wird dich wohl nicht stören, oder?"


    Merowech antwortet bloß mit einem Kopfschütteln. Dann wandte er sich erneut an Cupidus: "Und wie gehts jetzt weiter?"

  • Nun musste sich Cupidus auch noch vor dem Mann ausziehen...
    Murrend zog er sein Kettenhemd über den Kopf und raffte die Tunika hoch, damit der Capsarius etwas sehen konnte.
    Dieser tastete vorsichtig die Rippen ab, drückte und quetschte hier und dort ein wenig und entlockte Cupidus´Lippen ein gequältes Stöhnen.


    "Ist ja schon gut, nun stell dich mal nicht so an Duplicarius. Gebrochen scheint nichts zu sein, nur eine ordentliche Quetschung und ein Bluterguss. Wenn du wieder im Lager bist, lass dir einen Verband mit Salbe draufmachen, dann ist Muttis Liebling bald wieder ganz der Alte."
    Der Mann lachte genüsslich und wandte sich dann an Merowech.

    Kopfschüttelnd zog sich Cupidus wieder an. Wie konnte man nach so einem Tag nur Witze reißen...
    Der Capsarius musste schon sehr abgebrüht sein.

    Schließlich fragte Merowech ihn, was nun noch zu tun sei.
    Achselzuckend schaute Cupidus den Kameraden an.
    "Wir schauen mal, ob wir noch was helfen können, damit wir schneller hier wegkommen und dann hoffe ich, dass wir morgen das Lager abbrechen können und verschwinden. Ich hab genug arme Schlucker getötet."

  • Als die beiden fortgingen, um zu sehen, ob man noch irgendwo helfen könnte, meinte Merowech: "Einen Galgenhumor haben die vielleicht. Kommt wahrscheinlich davon, dass sie immer nur mit Verletzten und Sterbenden zu tun haben."


    Trotzdem hatte sich Cupidus Vorschlag von vorhin inzwischen unauslöschlich in Merowech eingebrannt. Wenn die Möglichkeit bestand, so wollte er sich nun zum Casparius ausbilden lassen.

  • Der Centurio hatte sich inzwischen zu dem Gatter aufgemacht und einen kleinen Jungen gefunden, den niemand zur Arbeit zwingen konnte. Er saß ganz allein ein wenig abseits. Als der Offizier auf ihn zukam, blickte er auf und sah Crispus mit großen Augen an. Einen Augenblick betrachteten sich die beiden stumm, dann versuchte es Crispus mit einem Lächeln. Irgendwie empfand er etwas für den kleinen Vangionen, der da ganz allein vor ihm saß und sich offensichtlich fürchtete. Schließlich beugte er sich hinab und fragte in gebrochenem Germanisch


    "Wo ist Mama deine?"


    Der Junge schien ihn erst nicht zu verstehen (was vermutlich auch daran lag, dass er vangionischen Dialekt sprach, während Crispus den der Gegend von Mogontiacum benutzte). Dann jedoch antwortete er


    "Tot."


    Crispus errötete. Waren es seine Männer gewesen, die die Mutter des Jungen getötet hatten? Sein Vater war mit Sicherheit ebenfalls tot oder würde es zumindest morgen sein. Das bedeutete, dass dieser Knabe hier ganz allein war - oder würde seine Sippe ihn aufnehmen? Aber wenn sie hier war - sie hatte dann ebenfalls keinen Ernährer!


    Etwas beschämt erhob er sich und wandte sich um. Er wollte diesen Knaben nicht ansehen müssen, an dessen verfrühten Lebensende er wohl schuld sein würde. Plötzlich blieb er stehen - er hatte eine Idee!


    Langsam wandte er sich um und ging wieder auf ihn zu, im Gesicht ein sanftes Lächeln.


    "Du willst mit mir kommen?"


    Der Junge war noch immer gänzlich verängstigt und wich ein Stück zurück. Crispus erinnerte sich plötzlich an das Spielzeugpferd und hielt es ihm hin.


    "Bei mir Mama!"


    Er wollte gerade weitermachen, das Kind davon zu überzeugen, mit ihm zu kommen, als Probus herbeieilte und die Wirklichkeit ihn wieder einholte. Zu viele Leichen!


    Rasch sprang er auf, um nicht in solch einer schwachen Lage gesehen zu werden und schaltete sofort auf ernsthaft-rational um. Er blickte auf die verbliebenen Leichen und entschied.


    "Dann macht einen Hügel. Das setzt sich schon. Wenn ihr den Aushub drübersetzt, werden die Wölfe auch nicht so fett."


    Damit war dieses Problem gelöst, doch er konnte jetzt unmöglich weiter mit dem Knaben sprechen, über dessen Vater er womöglich gerade wie über etwas Müll gesprochen hatte. Er drehte sich dennoch kurz um und sah den Jungen mit dem Holzpferd spielen - ein grotesker Gegensatz zu dem Tod und der Zerstörung um ihn herum!

  • Natürlich war mir die Szene zwischen dem Centurio und dem kleinen Jungen nicht entgangen. Und unter normalen Umständen hätte ich mir kaum ein Grinsen darüber verkneifen können. Doch was war an dem heutigen Tag schon normal gewesen! So hatte es auf mich einen grotesken Eindruck gemacht, wie der Centurio mit dem Jungen sprach. Das alles wirkte auf mich so fehl am Platz, wie ich es mich selbst fühlte. Alles schien heute aus den Angeln gehoben worden zu sein. So starrte ich nur auf die beiden und dann nur noch auf den Centurio, als dieser sich erhob und sich mir zuwandte, nachdem ich ihm die Meldung über die zu kleine Grube überbracht hatte. Ich nickte. Eine einfache Lösung. Hoffentlich hatte der kleine Junge sie nicht verstanden.


    „Jawohl Centurio!“, antwortete ich und ging wieder zu der Grube zurück. Dort waren mittlerweile die Arbeiten zum Erliegen gekommen, denn man wusste nicht, wie es nun weitergehen sollte.


    „Der Centurio hat befohlen, dass wir die Toten weiter aufeinander stapeln sollen. Wenn wir fertig sind, sollen wir den Aushub über sie schütten.“, erklärte ich meinen Kameraden. Das mit den Wölfen ließ ich lieber weg, denn ich wusste nicht, wer von den Gefangenen uns verstehen konnte. Nachdem das geklärt war, trieben wir die Frauen und Knaben wieder an, die Toten vom Eingang zu der Grube zu befördern. Das Wehklagen war inzwischen weniger geworden, wofür ihr Schweigen noch gespenstischer auf mich wirkte. Langsam aber sicher wurden alle Leichen in die Grube befördert. Dann fingen sie an, den Stapel mit der ausgehobenen Erde zu bedecken. Ich war froh darüber, dass ich bald nicht mehr in die toten Gesichter blicken musste. In manchen Augen der Toten schien ich die Frage nach dem Warum erkennen zu können. Ungeduldig trieb ich die Gefangenen in meiner Nähe zur Eile an. Ich wollte hier nur noch weg.

  • Schweigend und statuengleich stand Crispus ein wenig abseits des Loches und beobachtete, wie die Gefangenen nach und nach alle Leichen auftürmten. Es war weniger hoch geworden als befürchtet, sodass es nach dem Darüberschütten des Aushubs mehr oder weniger wie ein größerer Grabhügel aussah. Inzwischen wimmelte es in dem Lager auch von Soldaten, denn die letzten Legionäre waren nun ebenfalls zurückgekehrt.


    Der Centurio wandte sich an den Cornicen.


    "Blas' zum Sammeln!"


    Der Hornist gehorchte sofort aufs Wort, sodass das etwas unheimlich wirkende Tuten des Instruments die Stille des Waldes zerriss. Es kam Leben in die Soldaten. Überall wurden die Gefangenen zusammengetrieben und in den Pferch zurückgebracht, dann Ausrüstung zusammengesucht und schließlich angetreten.


    "Movemini!"


    befahl Crispus, ehe seine Leute dazu kamen, sich zu einer Formation zu sortieren. Sie hatten heute genug Disziplin bewiesen.


    "Milites!


    Wie ihr seht, ist unsere Mission erfüllt! Wir haben Blutzoll gezahlt, aber jetzt ist die Ordnung wieder hergestellt und wir können, wie ich denke, zufrieden sein. Was uns nun noch fehlt, ist die Bestrafung der Überlebenden, sowie das Bestatten der Toten. Beides werden wir morgen unweit von Wigands Dorf tun, wo wir heute Nacht kampieren werden."


    Er stellte ein paar Männer ab, die die Gefangenen zusammenbanden und dann beaufsichtigten. Außerdem winkte er Cupidus herbei und meinte


    "Wenn wir weg sind, zündet die Überreste des Lagers an, dann folgt uns zu Wigands Dorf."


    Schließlich setzte er seinen Helm wieder auf. Dann befahl er


    "Pergite!"


    Und so zog die Centuria zielstrebig davon, immer tiefer in den Wald hinein und schließlich wieder hinaus...

  • Merowech und Cupidus waren inzwischen zu Brigio zurückgekehrt, doch da wurde Cupidus schon von Crispus gerufen. Merowech wandte sich Brigio zu und meinte: "Sieht so aus, als würden wir endlich von hier abziehen. Ich schwöre dir, die ersten Dinge, die ich in Confluentes tun werde, ist ein Opfer an Mars, weil er mich heil durch diese Schlacht gebracht hat, und dann werd ich mich in die Thermae verziehen."


    Es war schon sonderbar: Ein Leben lang hatte er es zuvor ohne diese Einrichtung ausgehalten und nun, da er kaum ein paar Wochen im Feld war, vermisste er diese Einrichtung, als hätte er nie etwas anderes gekannt.

  • Plötzlich musste Cupidus lachen. Die Anspannung der Schlacht und nun die Freude, überlebt zu haben, brachen aus ihm heraus, als er sich Merowech in den Thermen vorstellte.


    "Da bin ich dabei, ein großes Opfer für Mars und dann ein heißes Bad. Bei den Göttern, wie freue ich mich, dass wir überlebt haben."
    Dann bließ der Cornicen zum Sammeln und Cupidus machte sich auf den Weg zu Crispus.


    "Gut Centurio, wir werden alles bis auf die Grundmauern niederbrennen," antwortete er, als die Legionäre sich in Marsch setzten.
    Einige Reiter waren noch ins Lager gekommen, der Rest war wohl schon unter dem Befehl von Tuto zu Wigands Dorf zurückgekehrt.


    Cupidus winkte die Männer zusammen.
    "Los, brennen wir das Lager nieder. Seht zu, ob ihr etwas Öl als Brandbeschleuniger findet. Bringt die Tiere und die Ausrüstung vors Lager und legt dann die Brände."

  • Auf Cupidus Geheiß brachten die Männer ihre Ausrüstung und die Tiere vor das Lager. Dann gingen sie zurück, entzündeten mehrere Fackeln und warfen sie in die Hütten und auf deren Dächer, welche großteils mit Stroh bedeckt waren. In Kürze brannte das Lager lichterloh. Das wars also. Merowech ging zurüch zu seinem Pferd Horsa und saß auf. Ruhig strich er über den Hals des Tieres. Er wartete nur noch auf den Befehl zum Abrücken.

  • Cupidus sah das Spiel der Flammen noch einen Moment lang mit an, um sicher zu sein, dass sich der Brand auch auf alle Gebäude ausgebreitet hatte.


    Dann gab er den Befehl zum Abmarsch und die verbliebenen Equites machten sich auf den Weg zu Wigands Dorf.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!