Ein Vigintivir und ein Scriba | Auf den Straßen Roms unterwegs

  • Ich betrachtete die wogenden Menschenmassen unter uns sinnierend, aber ohne wirklich bestimmte Personen zu fixieren, dafür war ich zu wenig an ihrer tatsächlichen Persönlichkeit interessiert. Allein das Durcheinander der Farben, des Aussehens und der Art, sich zu bewegen, hatte etwas reizvolles, aber allzu lange würde es wohl mein Interesse weder finden noch fesseln können. Niemals würde ich verstehen, wieso sich ein Mann wie mein vilicus Straton stundenlang damit beschäftigen konnte, nur zu beobachten - als Kind war er nicht so gewesen - und auch wenn er es mir noch so oft zu erklären versuchen würde, ich konnte es doch nicht recht nachempfinden.
    Das Aroma der Meeresfrüchte war wirklich exquisit, und sie waren unterschiedlich gewürzt worden, sodass ich mit jedem Bissen ein neues Geschmackserlebnis erhielt. Was für ein einfaches, aber wohlschmeckendes Mahl, eine kleine Überraschung, ein kleines Geschenk des Tages, und vor allem eines, das ich gerne teilte.


    "Nunja, er lebt vielleicht derzeit dort, weil sein Amt ihn dort hält, aber es ist nicht seine Heimat - die villa Flavia in Tarraco ist in meinem Besitz, nicht in dem seinen, und sollte er das Domizil des Proconsuls gegen die villa Flavia in Tarraco eintauschen, so wäre er mein Gast. Wenn Du das Meer vermisst, musst Du einmal einige Tage nach Ostia reisen und Dich dort umsehen, es erinnert mich dort einiges an Zuhause, und ich glaube, es könnte Dir auch gefallen." Wieder biss ich ab und kaute, bevor ich meine Gedanken fortführte.
    "Der Dichterwettstreit wäre besser hier in Rom angesiedelt, und ich fände es im Augenblick klüger, würdest Du hierbleiben und Dich Deinen Pflichten in Rom widmen. Wenn Du eine politische Laufbahn einschlagen willst, musst Du hier gesehen werden und hier Aufmerksamkeit erregen, so schwer es Dir auch fallen mag, die Heimat zu entbehren. Mir fehlt Hispania auch, aber noch ist nicht der rechte Moment, zurückzukehren."

  • An Ostia habe ich keine besonders guten Erinnerungen. Auch wenn die Menschen dort hilfsbereit und freundlich zu sein scheinen, es ist nunmal ein großer Hafen mit viel Dreck und ein Vorposten Roms, was man immer wieder spürt. Die Häfen der vergöttlichten Kaiser [Traian und Claudius] sind eher technische Monumente, als sie zum Verweilen und Flanieren einladen. Von Ruhe überhaupt keine Spur. Und nach Ruhe sehne ich mich inzwischen sehr. Lauter Menschen, keine Natur! Manchmal wurde mir auch in Flaviobriga fade, zweifellos, dann wünscht man sich ein lustiges Treiben, dem man auf einem Poller sitzend zuschauen kann, aber zu viel ist einfach zu viel. Irgendwas dazwischen - das wär's.


    "Ostia, ochja, ich bin ja dort angekommen", wie so viele, die in Rom leben, "irgendein Häuschen am Meer, fernab von den Städten, wo man studieren, lesen, faulenzen, fischen und vielleicht Gemüse und Kräuter pflanzen kann, danach wär' mir inzwischen. Nur ein paar Tage, aber, Du kannst es sicher nachfühlen: oft geht mir der Lärm doch auf die Nerven, oft schlafe ich schlecht, weil irgendwo wieder jemand herumgröhlt, ein kleines Fuhrwerk rattert, als ob sie absichtlich unter meinem Fenster ein Theater aufführen. Und die Geräusche der Natur, die fehlen mir auch." Auf das Keckern dieses einen Vogels, der sich seit meiner Ankunft in der villa irgendwo da eingenistet hatte, kann ich aber tunlichst verzichten. Niemand hat ihn bislang abschießen können, bald denken die, ich hätte die Meise im Kopf.


    "Und das mit dem Dichterwettstreit in Tarraco, ah!, es hat sich nicht so angehört, als ob das so schnell stattfinden wird. Und Onkel Furianus wird kaum zulassen, daß es irgendein Provinzfest wird, wahrscheinlich sind in den Wochen dann mehr Römer in Tarraco als in Rom. Aber mal schauen, Wenn ich hier für Dich zu tun habe, kann ich natürlich nicht weg." Schließlich muß irgendjemand mit meinem Onkel Aquilius ja die Mittagspausen verbringen oder auf Schwiegersöhne Jagd machen. Und einen neuen Jagdhund einzuarbeiten, das dauert.

  • "Rom ist vor allem stets eines - lebendig und laut," sagte ich nachdenklich, bevor ich noch einen Bissen meines Mittagsmahles nahm, und kurz ein wenig mit den Gedanken nach Hause abschweifte. Noch immer war mir Rom nicht der Mittelpunkt aller Gedanken geworden, noch immer mochte ich die villa Flavia weder als Heim sehen noch so nennen, denn das war sie nicht und würde sie wohl auch nie werden. Dafür waren die Erinnerungen an Tarraco, seine Jugendheimat, zu stark und zu lebendig, um diese an die schnellebige Hure Rom zu verraten, und seine Geistesheimat Athen war ebenfalls noch stark genug in seinem Gedächtnis verhaftet, um sich an einen anderen Ort zu sehnen - trotz seines fieberbedingten Gedächtnisverlusts, der ihm nicht nur einmal hatte Lücken entstehen lassen, waren doch diese Bilder mit der Zeit wieder aus den Untiefen seines Bewusstseins wieder aufgetaucht und rangen beständig um Beachtung und Aufmerksamkeit.


    "Ich fürchte jedoch, einen solchen Ort wirst Du hier in Rom nicht finden, da es Rom nicht liegt, einem Menschen auch nur wenige Stunden der Entspannung zu gönnen, und in Tarraco noch weniger, da Furianus versuchen wird, Dich auf seine Seite zu ziehen und Dich als einen Flavier zu präsentieren. Gewöhne Dich an die harte, unangenehme Tatsache, mit der man als Patrizier leben lernen muss: Die Zeit der Stille ist gering für uns, und wenn Du sie nicht in Deinem Inneren mit Dir trägst, wird sie Dir auf ewig verloren sein."


    Stille war für mich nicht allein ein Produkt der Umgebung. Inzwischen hatte ich gelernt, in der größten Hektik und der größten Unordnung wenigstens ein kleines Maß an Stille zurückzugewinnen, so gut es eben ging. Besetzt mit einem positiven Bild - beispielsweise der Erinnerung an meine Jugendzeit in Tarraco, die heimlichen Ausflüge zum Hafen, wo Straton und ich uns Fladenbrot-mit-Meeresfrüchten gekauft hatten, ein stetiger Zankapfel mit meiner Mutter, da sie dies für zu proletarisch hielt - und dem Geschmack im Mund konnte ich wenigstens für den Augenblick trotz der vielen Menschen etwas Ruhe finden, und ich betrachtete die umherhastenden Bürger sinnierend.
    "Irgendwann wirst Du den Lärm nicht mehr hören, den andere Menschen machen, oder besser, nur dann, wenn Du es wirklich willst, verraten Dir diese Klänge doch auch, ob alles in Deiner Umgebung stimmt und ob es Dinge gibt, über die man sich Gedanken machen sollte. Und wenn alles nichts hilft, bleibt Dir immernoch der Ausweg einer tageweisen Flucht auf dem Rücken eines Pferdes, um aus der Stadt herauszukommen und in die Natur zu reisen, wenige Stunden und Tage nur, aber danach wird es leichter sein, da Du weisst, dass Du wieder entfliehen kannst. Hast Du das reiten gelernt?"

  • Ein Königreich für ein Boot! Ein Königreich für ein Boot auf einem großen See oder besser: ein Boot auf dem Meer. Eine Angel ausgeworfen, ein Netz, die Schnur an den großen Zeh gebunden oder vielleicht besser an die Ruderpinne, auf den Rücken gelegt und dann in den Himmel gestarrt, bis der Kopf leer und das Herz voll ist. Vielleicht auch vom sanften Wellengang in einen ruhigen wachsamen Schlummer gewiegt. Seite an Seite mit Pedro, Schulter an Schulter, die gewisse Sicherheit der Freundschaft in mir und der weite Himmel über mir.


    Oh, Poseidon! Ich vermisse Deine Welt so sehr! Laß' mich reiten auf Delphinen, schwimmen mit den Schwärmen, tauchen nach Krebsen, mich treiben lassen wie Seepflanzen, die zur Oberfläche kommen.


    "Wenn man sein ganzes Leben in der Stadt verbringt, ununterbrochen, muß man doch wahnsinnig werden. Das ist doch unnatürlich. Alles geht so schnell, niemand hat Zeit, dieser Dreck und dieser Lärm, das ist so ungesund, meine ich." Wenn die Menschen vernünftig sind, siedeln sie nur in kleinen Dörfern, wozu solche Riesenstädte? Hundert, zweihundert Familien, das ist überschaubar, da passiert nicht viel, alle halten zusammen und Leben in Sicherheit.


    Aber auch affengeil, um es mal klar zu sagen. So viel Theater, so viele Möglichkeiten. Vielleicht auch zu viele Möglichkeiten. Kaum macht eine taberna auf, macht eine zu, jeden Tag neue Spiele, neue Lustbarkeiten, man kann zu jeder Stunde aus vielen Möglichkeiten wählen. "Manchmal gehen mir diese vielen Möglichkeiten auf die Nerven. Andauernd denkt man, man verpaßt 'was. Hier ein neues Theaterstück, da eine neue Inszenierung, eine Dichterlesung, Gerichtsverhandlungen, Feste, Feiern. Ich könnte Cnaeus hierhin, Flavius dorthin und Lucanus zur Arbeit schicken und ich hätte immer noch zu wenig gemacht." Werde ich alt? Ab wann? Jetzt schon?


    "Aber vielleicht werde ich auch alt, ich bin bald zwanzig, in Flaviobriga hat man mit zwanzig schon zwei, drei Kinder, einen Hof, oft sind die Eltern schon tot und man arbeitet so viel, daß man das vierzigste Lebensjahr kaum erreicht" Wie alt werde ich? Dreißig? Vierzig? Oder gar fünfzig? Uralt, mit weißen Bart, einer Glatze, sabbernden Lefzen und wirren Gedanken. Im Grunde ist mein Leben schon vorbei, jetzt bin ich scriba, morgen im cursus honorum und übermorgen ...? Schon tot, ich rieche schon.


    "Naja, ich glaube nicht richtig", sage ich unvermittelt und schüttele meine Gedanken ab. "Ich kann mich auf'm Pferd halten, aber richtig reiten, das kann man bei uns wegen der Berge nur auf Maultieren oder Eseln, Pferde sind teuer, einfach ausreiten, dazu sind sie und die Zeit zu schade. Bei uns müssen sie arbeiten können. Außerdem sind Maultiere die klügeren Tiere.

  • Ich musste schmunzeln, als ich meinen Neffen so reden hörte, und gönnte mir einige Bissen des köstlichen Mittagsmahles mehr, dessen Vorhandensein mehr und mehr unter meinem veritablen Hunger dahinschwand. Warum nur waren die wirklich vollkommenen Genüsse doch stets so flüchtig, überlegte ich und warf einen Blick auf die um uns wogende Menge, die von so vielen eigenen und unbekannten Zielen bewegt war, dass es mich überforderte, mir vorzustellen, was ein jeder einzelner wohl vorhaben könnte. Hätte man all diese Menschen fragen können, wohin es sie zog, dann würde darin wohl ein faszinierendes Buch stecken, das nur darauf wartete, geschrieben zu werden. Aber dafür würde ich lange keine Zeit haben, soviel war sicher.
    "Man wird auch wahnsinnig hier," gab ich nach einiger Zeit zu bedenken. "Schau dir jene an, die hier aufgewachsen sind, die Zeit ihres Lebens hier gewesen sind und nichts anderes kennen als Rom, dazu vielleicht noch etwas von Roms Umgebung und vielleicht noch Athen, das sie zur Ausbildung besucht haben. Wie armselig sind diese Menschen doch, die Rom zubilligen, der Mittelpunkt ihres kläglichen eigenen Universums zu werden. Denn ein solches Universum muss zwangsläufig enge Grenzen haben, die man, wenn man hinter die Masken der Menschen blickt, schnell erreicht und erahnt."


    Als er sich dann allen Ernstes als alt bezeichnete, musste ich doch lachen. "Wenn Du alt bist, was bin ich dann? Verstaubt und kurz vor dem Zusammenfall? Nein, Lucanus, Du hast noch vieles vor Dir und noch mehr Zeit. Dass Dir Roms Angebote als sehr vielfältig erscheinen mögen, ist nur natürlich, denn Du hast lange an einem Ort gelebt, an dem die Zerstreuungen sicherlich nicht sehr zahlreich gewesen sind - aber Du wirst Dich auch an all dies hier gewöhnen, sobald Du die ersten süßen Früchte genossen hast, werden Dir die darauf folgenden ein bisschen weniger süß schmecken, und die darauf folgenden kennst Du bereits und empfindest sie als normal. Ich bin froh darum, dass Du hier bist und nicht leben musst wie ein Bauer, der die Freiheit, über seine Stunden selbst entscheiden zu dürfen, nie kosten wird." Einen weiteren kräftigen Bissen nahm ich, um dann eine diesen lebendigen Platz einschließende Geste zu machen. "Lebendig ist alles hier, genau wie Du, also koste davon, wenn Dir danach ist. Wenn Aristides aus Parthia zurück ist, kommst Du auf einen Zug durch die Gemeinde mit, er versteht sich hervorragend darauf, den größten Blödsinn zu machen und nebenher die besten Tavernen aufzutun." Eine kurze Pause machte ich, bevor ich dann anfügte: "Also, wenn Du reiten kannst, dann kaufe ich Dir ein passendes Pferd, und schon kannst Du frische Luft kosten."

  • "Du meinst, man gewöhnt sich daran, man stumpft ab, wie einem der Geschmack der erlesensten Gewürze, der seltensten Zutaten die Zunge absterben läßt für eine gute ehrliche Portion altrömischen Puls? Oder wie man die Schönheit der Sonne nicht mehr sieht, wenn sie jeden Abend glutrot im Meer versinkt und morgens wieder über den Bergen erscheint? Am Anfang bin ich durch Rom und dann durch die villa Flavia gelaufen, als sei ich in einer riesigen Ansammlung von Kunst und Schönheit - und jetzt? Sitzen wir unter diesem Reiterstandbild und schlagen uns den Magen voll, einige Monate früher und ich hätte deswegen den Mund nicht zubekommen ..."


    Im Grunde - und das war es, was wohl den Erfolg des Tieres Mensch ausmachte: er gewöhnt sich an alles. Irgendwann, vielleicht unter Murren und Knirschen, unter Opfern, aber er gewöhnt sich daran und aus dem Feiertag wird Alltag. Jeden Tag nichts zu tun ist genauso wie keinen Tag Freiheit. Man gewöhnt sich daran.


    "Ich weiß nicht, was ich machen würde, wenn meine Mutter noch leben würde. Wahrscheinlich wäre ich nie aus Flaviobriga herausgekommen, hätte mir eine Frau aus dem Ort genommen, wäre Fischer oder Viehzüchter geworden, hätte meine Mutter im Alter gepflegt und wäre mit meinen Freunden und meiner Familie glücklich geworden. Tarraco sehen und sterben ... kaum jemand hat die Hügel und die Strände um den Ort je weiter als ein, zwei Tagesreisen verlassen. Und so gern ich bei Dir und Onkel Gracchus bin, so gern wäre ich auch wieder daheim. Manchmal fühle ich mich doch, als hätte man mich ohne meine Wurzeln nach Rom verpflanzt, ich schwimme nur im Wasser, keine Erde, keine Wurzeln. Dann aber bin ich wieder glücklich, weil ich hier viel lernen kann und vielleicht auch meiner Familie hier am besten nützlich sein kann."


    Eigenartig, Ovid - oder war es Catull? - hat in einem seiner Liebesgedichte geschrieben: "ich hasse und ich liebe zugleich. Warum? willst Du wissen - ich weiß es nicht, aber es quält mich so", etwa in der Art. Seltsam, das. Einerseits gewöhnen wir uns an alles, andererseits wollen wir oft gegensätzlichens gleichzeitig. Hier und nicht hier sein, zum Beispiel.


    Ein frischer Wind weht um den Sockel des Standbilds, nimmt meine trüben Gedanken mit sich fort.


    "Ja, von Flavius Aristides habe ich schon einiges gehört :D, ein rechter Umtreiber, nicht? Jeder Zoll ein würdevoller Patrizier ... :) Hoffentlich ist der Partherkrieg bald vorbei, nicht nur Aristides, auch der Kaiser ist schon lange fort." Wobei ich mir von Aristides' Rückkehr persönlich etwas mehr erhoffe, wenigstens noch ein Onkel-Neffe-Verhältnis, welche Nummer hat er? Quattuor? Oder Quinque? Ich komme inzwischen etwas durcheinander.


    Mit dem Pferd, da bin ich mir nicht so sicher, irgendwie groß und ehreinflößend, ein Tritt und ein Unglück ist passiert. Und schnappen tun sie auch. Aber vielleicht sind ja auch Pferde in Rom anders, genau wie die Menschen. "Das wäre wirklich schön, einmal einfach 'raus aus den Stadtmauern, wie es um Rom aussieht, kenne ich nur von den Hügeln, soweit man vor lauter Häusern etwas sieht."

  • "Seltsam, nicht wahr? Die Perspektiven verschieben sich unmerklich, bis einem das Besondere plötzlich alltäglich erscheint. Ich denke, die Kunst des Lebens ist es, sich in all der Gewöhnung und Gewohnheit dennoch den Blick für das Besondere zu erhalten, das mal eine besonders schöne Frau, mal ein kostbares Schmuckstück, mal kunstvolle Verse, mal einfach nur ein Sonnenaufgang sein kann - letztendlich findet sich etwas Besonderes überall, in jedem Moment kann man darauf stoßen, wenn man nur willens ist, es auch zu entdecken und offen dafür zu bleiben. Zu viele sind von all ihren Genüssen so sinnessatt, dass sie nicht mehr fähig sind, mehr als das Gewöhnliche zu erkennen, und dann brauchen sie immer schnellere, immer kräftigere Reize, bis irgendwann alles farblos und öde ist. Eine Krankheit, der gerade unser Stand sehr schnell anheim fällt, da wir uns so viele Dinge so leicht beschaffen können, von denen andere ihr Leben lang träumen müssen, ohne es jemals zu erreichen. Spätestens wenn ich einen dicken senator zetern höre, warum es denn keine Nachtigallenzungen mehr gäbe auf irgendeinem Bankett, stelle ich mir regelmäßig die Frage, warum es der Mensch ist, der über die Natur gebietet, und womit er sich dieses Recht erwirbt." Nach so vielen tiefsinnigen Gedanken kehrte eine Pause ein, die von den munter vor uns dahinstrebenden Menschen mit Worten und Lachen, lauten Rufen und Anpreisungen teurerer Waren gefüllt wurde.


    "Letztlich ist es doch gut, dass Du Dich an Deine Herkunft so deutlich erinnerst, Lucanus - denn sie wird Dir immer helfen, die Menschen anderer Orte und Länder klarer zu beurteilen, sie wird Dir immer ein Maß zur Seite stellen, das in dieser maßlosen Stadt nur schwer erworben werden kann. Und du hast den meisten Patriziern eines voraus, Du vermagst auch zu erahnen, wie einfache Menschen leben, was sie sich wünschen, und worum sie sich sorgen. Wer dieses Leben nicht kennt, kann auch schlecht für jene sorgen, mit denen einen so wenig verbindet." Hispania hatte ich als junger Mann nicht schnell genug verlassen können, und jetzt, mit einigen Jahren mehr, schien es mir, als gäbe es dort weit mehr erstrebenswertes als es in Rom jemals geben würde - es war doch seltsam, wie sich manche Dinge ändern konnten, vor allem, wenn man danach nicht suchte. Manches geschah einfach. Dann musste ich spontan auflachen - Aristides, ein würdevoller Patrizier?


    Es gab keinen Menschen, auf den diese Beschreibung weniger zutreffend gewesen wäre, aber Aristides, der Freund der Feiern, der Freund der Frauen, der Mann, auf dem man sich bei den dämlichsten Streichen verlassen konnte - oh ja, das traf ihn schon eher. Wie sehr ich meinen unbändigen Vetter doch vermisste!
    "Ah, Du wirst ihn sicher kennenlernen, der Parther, der Aristides zu Boden bringt, muss erst geboren werden." Schmunzelnd ließ ich meinen Blick in die Ferne schweifen, dann fasste ich einen Entschluss. "Lass uns nach den Saturnalien ein Pferd für Dich suchen, dann sollte es auch in der Stadt ruhiger sein und wir finden ein passendes Tier leichter. Was für Tiere hast Du denn bisher geritten?"

  • "Manchmal würde ich mich viel lieber nicht daran erinnern oder einfach nur ein Leben haben; Außenrum" ich blicke ein bißchen skeptisch auf meinen momentanen desolaten Zustand, das Häufchen Toga, auf der der Dreck breitgetreten wurde, "werde ich als Patrizier wahrgenommen, jedenfalls von den Nicht-Patriziern und gehöre nicht mehr zu denen, mit denen ich immer zusammen war, aber Innendrin bin ich halt ein Flaviobriger Gewäachs, ein Dorfjunge, und mit dem kommen die, zu denen ich jetzt gehöre, nicht zurecht, da passe ich nicht hin."


    Billiger Wein in eine Goldenen Karaffe, die, die den Wein mögen würden, mögen die Karaffe nicht und die, die die Karaffe mögen, mögen den Wein nicht.


    "Ich bin nicht ganz, verstehst Du? Ich habe mehr Freunde unter den Sklaven als unter den Patrizieren, aber wenn wir uns streiten, dann sagen sie nur artig 'tut mir leid, dominus', dabei schauen sie eigentlich drein, als wollten sie mir am liebsten die Fresse verschönern, Verzeihung, aber so ist's doch. Und als ich zwei Freunde von den Iuliern zu den Saturnalien einladen wollte, hat Onkel Gracchus geschaut, als hätte ich eine Tunika bei C&A, bei Camillus & Arminius, gekauft, anstelle bei D&G, Joopus oder am besten maßgeschneidert und nicht von der Stange."


    Als ob es auf diesen Krempel ankäme. Hübsche Verpackung, aber kein Inhalt, die ganzen hergerichteten Hühner und die parfümierten Gockl, die übers Forum flanieren, als wäre das ihr persönlicher Hinterhof, auf dem sie die anderen nur dulden, weil es nunmal momentan nicht anders geht. Da war es in Flaviobriga einfacher, da war man was wert, weil man was getan hat - und weil alle überleben wollen, hat jeder etwas getan und war jeder etwas wert.


    "Hunde, Schafe", antworte ich grinsend auf Onkel Aquilius' Frage. Klar, nur solange wir Kinder waren und auch kein Ziel hatten, wo wir hinwollten, denn die Viecher machten eh' was sie wollten und irgendwann rutschten wir immer herunter.


    "Ansonsten natürlich Maultiere, die sind bei uns am häufigsten, praktisch und nicht zu groß, kluge Tiere, die vor nichts Angst haben, vor dem es sich nichts wirklich lohnt, Angst zu haben."

  • Sim-Off:

    Uah tausendmal Sorry, den hab ich total übersehen :(


    "So läuft es in Rom, und entweder Du nimmst es irgendwann in Kauf und gewöhnst Dich daran, oder Du verlässt Rom. Wahrscheinlich gibt es keine Stadt, die gleichermaßen so faszinierend und doch auch so verlogen ist wie Rom. Als Patrizier findet man im Grunde nirgends Frieden, in Rom wird man argwöhnisch beobachtet, hat man zuviel Macht, ist das ein Grund zu Misstrauen, hat man zuwenig, wird man ausgelacht und als Schande für die Familie gehandelt, was der Familie nicht gefallen wird, gewinnt man die falschen Freunde, steht man schnell im Abseits, egal, wie die menschlichen Qualitäten dieser Freunde beschaffen sind. Ich denke, dass die meisten Menschen sich am sichersten dort fühlen, wo sie glauben, auf Gleichartige zu stoßen - denn diese agieren innerhalb vorherhsehbarer Grenzen und im Grunde will keiner zu viel Veränderung auf einmal. Deswegen werden die Bauernjungen aus Flaviobriga Dich nie als einen der ihren ansehen, denn sie wissen, dass unsere Familie einst Rom beherrschte - und die römischen Patrizierkinder und Patrizier haben naturgemäß mit allem Unbekannten noch viel mehr Berührungsängste. Wir Hispanier sind für sie schwer zu verstehen und das macht sie vorsichtig," gab ich zu bedenken und verfolgte einen Mann mit spiegelnder Glatze auf seinem Weg durch die Menge mit meinem Blick.


    "Dass die Sklaven vorsichtig bei Dir sind, wird sich nie ändern, denn ein Wort von Dir könnte ihnen den Tod bringen, das wird kein Sklave jemals vergessen. Und das darfst auch Du nicht vergessen. In dieser Stadt, in der ein Wort unendliches Gewicht haben kann, musst Du auf diese umso mehr achten. Ich habe lange gebraucht, um das zu erkennen, aber es lässt sich nicht ändern." Gracchus' Reaktion auf die Iulier erstaunte mich nicht, als waschechter italischer Flavier würde er wohl immer Familien wie diese abzulehnen wissen - und sich davon fern halten. Letztendlich hatten die Iulier auch kein politisches Gewicht in der Stadt. "Wichtig allein ist, was Du von Dir denkst. Du bist klug, hast gute Manieren und vor allem den Vorteil, an jeden Ort des Imperiums gelangen zu können, wenn Du nur willst - der Rest ist allein Deine Sache. Irgendwann wirst Du Deine Nische und Deine Lebensart gefunden haben, und dann wird die Meinung anderer über Dich für Dich nicht mehr eine solche Bedeutung haben. Lass Dich nicht entmutigen, versprichst Du mir das? Wenn Du Iulier als Freunde haben willst, dann habe sie. Wenn sie etwas taugen, lade sie ruhig ein, nur speise mit ihnen nicht unbedingt unter Gracchus' Augen." Ich schmunzelte unwillkürlich bei der Vorstellung des Gesichts meines Vetters, sollte er im triclinium tatsächlich einmal auf Iulier stoßen.


    "Mit Hunden und Schafen kommen wir nicht weit, aber ein Kaltblüter, der nicht zu groß ist und von gutmütiger Natur, wird Dir sicher beim Erlernen der Reitkunst gut helfen ... ich werde einen Boten zu dem Händler schicken, von dem ich mein Pferd habe, er hat normalerweise gut erzogene Tiere, dann sehen wir weiter. Ein Patrizier kann nicht auf einem Maultier reiten .. zumindest nicht, wenn er nicht will, dass ganz Rom lauthals lacht," meinte ich zum Thema Reiten und zwinkerte ihm kurz zu. Es wäre sicherlich ein interessantes Bild und sein Name wäre in aller Munde - nur wohl nicht so, wie man das gern gehabt hätte.

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