Der graue Wallach, der den einfallsreichen Namen Canus trug, war ein mürrisches Tier. Er biss und schlug aus, wann immer ihm etwas nicht passte, und tyrannisierte die anderen Pferde, wenn er mal mit ihnen auf der Koppel ausserhalb der Stadt war. Meistens aber stand er angebunden im Stall, und da war es, fand Severus, doch kein Wunder, dass das Pferd immer schlechte Laune hatte. Er mochte den Grauen, der von sehnigem Körperbau war, zäh und wendig, und war der Meinung, dass dessen Übellaunigkeit auf Charakter hinwies.
An jenem Vormittag hatte er das Tier aus dem Stall geholt, und es an einem Ast des knorrigen alten Ölbaumes im Hof angebunden, um es zu striegeln - nicht weil das so nötig gewesen wäre, sondern weil diese Arbeit immer einen beruhigenden, entspannenden Einfluss auf ihn hatte. Und den konnte er gerade wirklich brauchen. Er hatte Bridhe aus seinem Herz gerissen, brutal mit Stumpf und Stiel, und die Wunde schmerzte entsetzlich. Aber das konnte er natürlich nicht zugeben.
Kräftig bearbeitete er das Fell mit der Bürste. Es war dicker jetzt, im Winter, aber nicht zu vergleichen mit dem zottigen Pelz den die Pferde bei ihm zu Hause dann bekamen. Das Grau war fahl, wie von Nebel, mit einem leichten metallischen Glanz wenn ein Sonnenstrahl darauf fiel. Aber die waren rar gesät, heute.
Mit ruhiger Stimme sprach Severus mit dem Pferd, auf Chattisch, um es von seinen gewöhnlichen Eskapaden abzuhalten, und der Wallach spielte mit den Ohren, hörte zu und war tatsächlich ziemlich brav. Nur von Zeit zu Zeit legte er die Ohren an und keilte ein wenig aus. Severus sprang dann zur Seite, und gab ihm einen Klapps. Canus widersprach nicht, und würde auch nichts weitersagen, und so geriet Severus mit der Zeit ins Erzählen.
"...Was meinst du, Grauer, wollen wir in die Berge reiten, in den Saturnalientagen...? Ich hab so lange nicht mehr gejagt. Und ich glaube du wärst genauso froh wie ich dieser Stadt mal den Rücken zu kehren... Und dann dieses Fest, der reine Hohn.... Ach wie grossmütig, ach wie huldvoll - nein, ich habe keine Lust dieses lächerliche Spiel nochmal mitzumachen... mit ihnen am Tisch zu sitzen weil dieses degenerierte Pack uns als Kulisse braucht, für ihre heuchlerische Gleichheits-Posse...."
Das Pferd quittierte das mit einem gleichmütigen Stampfen, und Severus bürstete weiter, und schüttete dazu sein Herz aus.
"... Wäre ich doch nicht gebunden, durch diese verdammte Schuld... Ich hätte ihnen schon längst das Haus über dem Kopf angezündet, und ihnen für das was sie mir angetan haben allesamt die Kehlen durchgeschnitten - denke ich. Oder vielleicht auch nicht - wegen ihr. Es ist ihre Familie. - Vielleicht will ich deshalb nicht zu dem Fest. Letztes Jahr hab ich sie dort wiedergesehen. Ich hab sie verraten, und dazu noch mit so einem losen Weib. Was ist nur in mich gefahren... Hat mich wahrscheinlich verhext, die Keltin... Ich bin jedenfalls froh, dass ich jetzt ihr wahres Gesicht kenne, ja FROH - ein glatter Schnitt, gut so... diese Metze ist kein Bedauern wert... ach, keinen Gedanken sollte ich mehr an sie verschwenden... keinen einzigen Gedanken..."
Wenn das so einfach gewesen wäre. Geistesabwesend und mit düsterer Miene begann er, Canus' Mähne mit den Fingern zu entwirren.