Regnum obscurum - Blutige Saturnalien


  • Feine, transluzente Nebeltropfen hingen über dem Tiber, der Lebensader Roms, umhüllten die Gebäude der Stadt, die schiefen Häuser von Trans Tiberim ebenso wie den gewaltigen Kaiserpalast, faserte alle Konturen auf und raubten die Sicht auf jene Welt, welche weiter als etwa ein Dutzend passus entfernt lag. Jene eingeschränkte Sicht mochte den wenigen, doch mehr als üblichen Passanten der Stadt jedoch kaum auffallen, denn so die Straßen und Gassen überhaupt beleuchtet waren, torkelten die meisten Menschen in angetrunkenem oder betrunkenem Zustand ohnehin ohne weitreichende oder mit äußerst eingeschränkter Sicht.


    Mitten auf der Brücke, welche vom Forum Boarium nach Trans Tiberim führte, standen reglos zwei Gestalten, vom Nebel umhüllt wie auf einer Insel mitten im Nirgendwo, im Vergessen gestrandet, wie möglicherweise in dieser Nacht sie es waren. Die Saturnalia hatten den Sklaven des Reiches freie Tage beschert, und Sciurus war gewillt diese zu nutzen. Die Fackel in seiner Hand strahlte ihren Lichtkegel in die feuchte Luft hinaus und konnte kaum bis zur schimmernden Oberfläche des Tibers hinunter reichen. Mit einem leisen Platschen schlug das Wasser an die Pfeiler der Brücke, von Zeit zu Zeit gluckste es hinter dem weißen Schleier verdächtig, doch bis auf die fernen Gesänge der Betrunkenen war es ruhig, denn neben dem Nebel hatte auch ein dumpfes Tuch der Trunkenheit und des Schlafes sich über das feiernde Rom gelegt. Der Sklave blickte zu dem jungen Mädchen an seiner Seite hinab und prüfte, wie es um Didos Aufmerksamkeit bestellt war.
    "Ist dir die Unterwelt der Römer geläufig? Sieh' hinaus in die Nacht, wo kein Licht noch Schatten sich mehr im Nebel zeigt. Wie wir hier stehen, so ist es auf der Überfahrt über den Styx, nicht das diesseitige Ufer kannst du blicken, noch das jenseitige. Verloren im Hauch des Vergessen, trinke aus dem Fluss der Lethe und negiere, wer du bist. Wenn du mir folgst, wird es nicht besser, doch auch nicht geringer sein, als über den Styx zu treten."

  • Geräuschlosigkeit in all ihren Arten, die hinwieder doch kein Silentium war, sondern nur ein trügerisches Täuschen einer Stille umhüllte die kleine Dido, genauso wie der milchige Nebel, der seine Tränen auf ihren dunkelgrauen Umhang legte, als ob die Nacht selber darüber weinte, dass Dido mit jenem Abend in eine andere, weniger unschuldige Welt hinab steigen würde. Ein wenig ihrer munteren Kindheit würde Dido verlieren, ihrer Naivität, was die Macht und die Welt um sie herum anging. Von der Ferne drang ein helles Kläffen durch den feuchten Dunst, das Klappern von Schuhen folgte, ein Fensterladen wurde geschlossen und ein rauhes Husten verriet, ein weiterer nicht nachtscheuer Geselle war an ihnen vorbei gegangen, gar um all den Lokalitäten auf der Tiber Insel zu frönen, die es dort zahlreich gab und ein Pfuhl von Laszivität darstellte. Matt spiegelte sich das Licht wieder, der Nebel zerrte gierig an der Helle, als ob es neidisch auf den goldenen Glanz des Feuers war. Dido tastete das dritte Mal nach ihrem Beutel, der ihre Zwille enthielt. Zahlreiche scharfe und runde Steine, aber auch ein Daumen langes Küchenmesser, das sie am heutigen Abend aus der Culina gestohlen hatte. Der Wunsch nach einem Dolch war ihr, wie sie erwartet hatte, nicht erfüllt worden.


    Mit den Augen suchte Dido danach die undurchdringliche Wand zu erkunden, dahinter das jenseitige Land zu erkennen. Ein wohliges Schaudern rann über Didos nackte Haut an den Beinen, zog unter ihre Tunika und den wollenen Umhang und kräuselte das feine blonde Haar an ihrem Nacken. Ernst richtete Dido ihre Augen auf Sciurus, denn eine Unterwelt von Rom war dem jungen Mädchen gänzlich unbekannt. Obwohl, hatte sie da nicht einst eine Karte gehabt, die sie in einem wagemutigen Moment aus dem Gemach jenes Mannes neben ihr gestohlen hatte? Ein schlechtes Gewissen keimte in Dido auf, das sie tapfer herunter kämpfte, um sich nichts anmerken zu lassen. Dido fiel keine gute Erwiderung ein, die sie Sciurus sagen konnte. Stumm bewegte sich ihr Kinn auf und ab, was auch immer sie dort erwartete, Dido würde sich nicht fürchten. Das nahm sie sich ganz fest vor. Zumindest würde sie alles daran setzen, Sciurus nicht zu enttäuschen. Dido strich ihren Umhang zur Seite, eine kleine Blendlaterne erschien unter dem grauen Stoff, die Seiten waren mit Leder abgedeckt, nur eine schmale Lücke ließ das Licht heraus glimmen. Für die nächtlichen Straßen war die Laterne gänzlich ungeeignet, aber nun ahnte Dido, warum Sciurus ihr die Laterne gereicht hatte als sie aus der Villa Flavia gegangen waren.


    Eine Hand legte Dido auf den spröden Stein und das Holz, was Teil der Brücke war und sah hinab in die dunklen Strudel, Dido war ganz aufgeregt und an der Seite von Sciurus fühlte sie sich stark, darum folgte sie ihm ohne zu zögern, an ihrem Handgelenk baumelte nun die Laterne, während sich ihre Finger um das rostige Eisen schloss, das die Streben einer Leiter bildeten. Wassertropfen benäßten ihre Stirn als Dido sich vertrat und eine Strebe, die einfach viel zu weit weg für ihre kindlichen Beine war, verfehlte, sie rutschte ein Stück herunter und stieß mit dem Knie gegen scharfen Stein. Ein leises: „Au!“, kam von ihren Lippen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, über den Schmerz, doch sie rappelte sich schnell wieder auf und wollte nicht kindisch wirken, wenn gleich ihr nach Weinen zu mute war. Es brannte an ihrem Knie und sie zog den Umhang zur Seite, feine rote Bluttropfen rannen an ihrer hellen Haut hinunter, ihr Knie war aufgeschürft. Als sie den Blick hob, erschrak sie, denn Sciurus war hin fort, verschwunden, verdutzt sah sich Dido in der Dunkelheit um, die sie mit den Nebelschwaden umarmte.


    "Sciurus?", das Flüstern erstarb auf Didos Lippen ehe sie es ganz in die Nacht erheben konnte. Sie stand auf einem schmalen Steinsims, tastete sich an großen Blöcken einer Mauer vorbei, an dem glitschiges Moos hochwuchs, ein Käfer krabbelte aus einer Spalte und über große aufgerissene Augen. Dido blieb stehen und hob die Hand, um die verzerrte Fratze zu berühren, die aus einem großen Steinblock der Mauer heraus ragte, Orcus Diener persönlich schien ihr entgegen zu starren. Erst da bemerkte sie einen dunklen Eingang. Einen Schlund, der sich vor ihr auftat. Dido schluckte und fühlte dann doch ganz plötzlich die Angst und Furcht in ihr, das Mädchen sah sich nach hinten um, nein, da war auch kein Sciurus. Sors, hilft mir, dass mich Orcus wieder hinaus lässt, die Worte formten sich in Didos Geist, dann trat sie in die völlige Dunkelheit. Ein lautes Aufquietschen musste die junge Sklavin unterdrücken, denn Dido trat auf etwas Großes und Weiches. Schnell griff sie nach der Blendlaterne und sah Ratten, Dutzende von Ratten, die sich auf dem uralten Steinrand der Cloaca tummelten. Dido scheute keine Ratte, sonst würde sie ihres Lebens in der Sklavenunterkunft nicht froh werden, aber die Masse der Nagetiere, die ungleich größer als die Tiere in der Villa waren, erschrak Dido. Sie presste ihre Lippen aufeinander und hob die Laterne, die auf eine Gestalt traf, Sciurus Gesicht beleuchtete und Dido unendliche Erleichterung schenkte. Dido senkte die Laterne, um Sciurus nicht zu blenden.

  • Mit einem leisen Zischen war die Flamme der Fackel im brackigen Wasser an den Uferrändern des Tibers erloschen und hing nun leblos wie eine Keule an Sciurus' Seite hinab, als das helle Licht der Blendlaterne ihn traf. Unwirsch kniff er die Augen zusammen, während Dido sich eilte, das Licht zu senken.
    "Deficiente!" zischte er ihr zu und schob sie in den Gang hinein, wo er die Fackel in einem Spalt zwischen den Mauern versteckte, um hernach die Laterne aus ihrer Hand entgegen zu nehmen. "Bleib' dicht hinter mir und pass' auf, wo du hin trittst, der Boden ist oft nass."


    Zuckend tanzten vor ihnen die dunklen Schatten des Gewölbes im Licht der goldfarbenen Flamme, welche gleichsam die kargen Wände der Gänge in fahlen Schein tauchte, in der Dunkelheit vor ihnen jedoch kaum etwas erkennen ließ. Bald verließen sie den Hauptstrom der Cloaca maxima, bogen in einen schmalen Gang, in welchem der Boden zwar nicht mehr nass war, die Höhe der Durchgänge doch des öfteren variierte, so dass ein ausgewachsener Mann dann und wann sich zu bücken hatte, während ein Kind dies kaum nur zu tangieren vermochte. Wie eine in dieser Düsternis heimische Ratte bewegte sich das Eichhörnchen durch das Netz dunkler Gänge, zögerte an keiner Abzweigung, verlangsamte seinen Schritt an keinem Durchgang, und achtete nicht darauf, ob Dido ihm konnte folgen, bis das schließlich ein Tor sich vor Sciurus auftat, verschlossenen von einer schweren hölzernen Türe mit eisernen Beschlägen, Musik klang in gedämpfter Weise durch sie hindurch. Der Sklave klopfte dreimal lang und hernach noch einmal zweimal kurz und einmal lang in schneller Folge. Obgleich zu befürchten stand, dass niemand auf der anderen Seite sie würde hören, bewegte sich dort bald mit knarrendem Geräusch ein Riegel, sodann wurde die Türe langsam nach Innen aufgezogen. Ein Gesicht erschien im Spalt zwischen Tür und Mauer, blass und mit blutunterlaufenen Augen, als würde der zugehörige Mann kaum je das Licht sehen. Er grinste, als er Sciurus erkannte, entblößte Zähne beinahe so dunkel wie der Schlund dahinter, und wies mit einem Grunzen und einem Nicken ihnen einzutreten.


    Goldfarbenes Licht durchströmte den großen Raum, erleuchtete ihn hell bis in die hintersten Winkel, während bunte Glasscherben, welche von der Gewölbedecke baumelten, regenbogenfarbene Flecken über die Menschen in seinem Inneren streuten. Auch uns insbesondere im dunklen Reich unter der Stadt Rom wurden die Saturnalia ausgiebig gefeiert, während gleichsam die wichtigsten Geschäfte des Jahres abgeschlossen wurden. Es herrschte die pax saturnaliae, ein unausgesprochenes Gesetz zum Frieden während der Feiertage, denn jedes Verbrechen, welches ober- oder unterhalb des römischen Stadtgrundes an diesen Tagen würde begangen werden, würde die Stadteinheiten mit aller Härte vorgehen lassen. Eine Gruppe von etwa einem Dutzend Personen erfüllte den Raum mit ihren wilden Klängen, ein Gemisch aus römischer Musik mit den nasalen Trompeten aus dem Orient, dazu das rhythmische Prasseln einer Trommel, welche ein Mann von tief schwarzfarbener Haut in ekstatischer Weise schlug, dazwischen immer wieder der Klang der hohen Stimme einer nur leicht bekleideten rothaarigen Schönheit, welche sich im Tanz ihrer Sinne beraubte. Inmitten des Raumes war ein Bankett im Gange, welches in keinster Weise den Vergleich mit jenen in römischen Villen zu scheuen brauchte, die Reste der Speisen ließen erahnen, dass das Fleisch nach der Zubereitung wieder zu beinahe vollwertigen Tieren zusammengesetzt gewesen war - gefiederte Schwäne, pelzige Karnickel, selbst ein Hammel in seinem wollenen Fell - mit der Einschränkung, dass kein Leben mehr in ihnen war. Wein floss in rauen Mengen, die Gäste um die Tafel herum lachten und kreischten und stopften das Essen in sich hinein, doch gegenteilig zu den gereichten Speisen waren sie nur ein verzerrtes Spiegelbild der oberen Welt. Einem Mann teilte eine tiefe Narbe sein Gesicht, statt eines seiner Auge prangte nur noch eine schwarzfarbene Höhlung neben seiner Nase, eine Frau mit dünnem braunfarbenen Haar hatte so viel Farbe auf ihren Augenlidern verteilt, dass es beinahe schien, als müsse sie darunter brechen, ein Zwerg mit kahlem Kopf lachte hell auf und schob sich ein Stück Fleisch in den Mund, so groß, dass er daran zu ersticken drohte, einer alten Frau hatten sich so viele Falten in ihrem Gesicht aufgeworfen, dass sie auf einer Karte hätte die Alpen symbolisieren können, einem groben Kerl hing ein Ohr nur noch in Teilen am Kopf - und dies waren nur einige der feiernden Gestalten.


    Hinter Dido und Sciurus fiel die Tür wieder ins Schloss und der Riegel wurde zurück an seinen Platz geschoben, dann drehte der blasse Türwächter sich um und fuhr Dido mit seinen rauen Händen über den blonden Schopf. "Oi, oi, Sciurus, hast du dem König ein Präsent mitgebracht?"
    In einer schnellen Bewegung schlug Sciurus dem Mann mit dem Handrücken über das Gesicht, das klatschende Geräusch jedoch wurde vom Lärm des Festes verschluckt. "Lass' deine dreckigen Finger von ihr, vaffanculo, sie gehört zu mir und steht unter meinem persönlichen Schutz."
    Beschwichtigend hob der Türwächter die Hände. "Ist ja gut, ist ja gut. Nur keinen Stress. Ich hab schon Schönere gesehen."
    "Wo ist er?"
    "Da hinten, durch die Tür. Piccolo ist gerade bei ihm, ihr müsst euch noch einen Augenblick gedulden. Greift zu, wenn ihr Durst oder Hunger habt. Oder beides! Hahaha!" Sein Lachen erschallte beinahe so dreckig, wie seine Hände dies waren.

  • Tripp, trapp. Schritt für Schritt, in den Wirrgarten hinein, verschlungen, undurchsichtig in seinen Irrwegen; Schlangen, die sich durch den Leib Roma, der Ewigen, hindurch wälzten, träge Wassermassen, schmutzige Kadaver trieben vorbei, Ratten, Ratten und noch mehr von den Nagetieren. Eindringlich prägte sich die Umgebung in des Mädchens Geist hinein. Der Stank des widerwärtigen Gemisches konnte nicht von einem Fluss stammen, der die elysischen Gefilde umrahmte, es war der Begleiter in eine düstere Welt, die sich wundersam jedoch vor der jungen Sklavin auftat, mit funkelnden Sternenlichter im Bauche der Erde, mit grotesk komödiantischen Figuren, die Plautus oder Menander nicht besser hätte entwerfen können. Angewidert wollte sich Dido der Hand des Mannes entwinden, Sciurus kam ihr jedoch zuvor und Stolz keimte in Dido auf. Sie, die doch mehr unbedeutende Dido aus der barkasischen Sklavenlinie, stand unter dem Schutze von Sciurus höchst persönlich. Rumps, die Tür schloß sich hinter ihnen, nun waren sie wahrhaftig im Tartaros und Dido hoffte, dass sie auch wieder heraus gelassen wurden. Blaugrüne Augen ergründen fasziniert ihre possierlich verkehrte und schöne Umgebung, wichen jedoch nicht von der schützenden Gestalt des flavischen Sklaven weg.


    Würfel rollten, sie sausten über einen fettig beschmierten Tisch, der gut Freund mit billigem Weinfusel war, durch eine Lache kullerte der Knochen, ruhte auf einer Kante und fiel auf den Rücken. Ein grober Fisch starrte dem besagten Einäugigen entgegen, dessen Name lange Vergangenheit war, von allen nur noch Fundus genannt. Ein pockennarbiger Mann mit karottenfarbenen Gestrüpp auf dem Kopf lachte laut auf, einer Ziege nicht unähnlich, und klatschte sich in die Hände. „Magnifica! Fisch und Auge, genau was Dir fehlt, Fundus! Gnhihi!“ Fundus verzog nicht das Gesicht bei dem keifenden Gelächter, sondern griff mit seinen fleckigen Händen nach den Würfeln, seinen Würfeln, von denen man behauptete, sie waren aus dem Knochen des ersten Mannes geschnitzt, der ihn beim Spiel betrügen wollte. Die Würfel rollten! Fasziniert blieb Dido unter den bunten Glasscherben stehen, wollte sich recken, um nach einer zu greifen, doch eine dicke Frau stieß sie zur Seite. „Aus dem Weg, Kleene. He, Goldlöckchen...“, warf sie Sciurus zu. „Der Traum meiner schlaflosen Nächte bisde. Willsde nich' endlich meene Gebeete erhör'n?“ Grinsend zwinkerte die dicke Ansera dem flavischen Sklaven zu, wog verführerisch ihre prallen Hüften und wackelte weiter bis zum nächsten Platz der erlauchten Runde, wo sie zwei tönerne Humpen mit Cervisia vor einen Mann stellte, der seine Hand auf ihren Hintern klatschte als sie sich umdrehte. „Du solltest Deenen Mund zumachen, Kindchen. Sonst verschluckste noch 'ne Fleddermus!“, raunte die dicke Ansera Dido zu als sie an ihr vorbei watschelte. Mit einer Hand drückte sie das Mädchen auf einen Stuhl herunter, mit der Anderen schob sie ihr eine Essensplatte herüber. Das, was Ansera in dem Augenblick Sciurus zuflüsterte, ernst und gar nicht mehr mit Schalk, verstand Dido nicht, obwohl sie aufmerksam nach oben starrte und die Handbewegungen der Dicken betrachtete, doch die Worte schienen noch nicht mal Latein zu sein, zumindest konnte Dido nichts davon enträtseln.


    „Ein Kind?“ Ein Lachen neben Dido ließ das junge Mädchen herum fahren, ein Mann mit einer Glatze, dafür umso mehr Narben als Haare, beugte sich vor, seine braunen Augen glitzerten amüsiert, aus seinem Mund drang der intensive Gestank nach ordinärem Fusel als er sich bis direkt neben Dido beugte. „Ha, der kühle Eisklotz zeigt also doch noch menschliche Seiten. Ein Kind! Ho! Ha!“ Das Leder seines Brustpanzers, verdreckt, speckig und an vielen Stellen lädiert, knarrte als sich Milvus zurück lehnte und nach einer Frau griff, sie an ihren schmächtigen Hüften an sich und auf seinen Schoß. „Hoi, Sciurus, hätte ich gewusst, dass Dich Kinder mehr anregen, hätte ich für Dich schon längst ein flottes Mädchen mitgebracht. Statt die hier! Frisch aus Aquitania!“ Glasig starrten die Augen der jungen, brünetten Frau auf den fleckigen Boden vor ihr, die groben Berührungen an ihrem malträtierten Körper schien sie nicht mehr zu bemerken. Blaue Flecken zierte ihre Wange und ein Platzwunde an ihrer Lippe, Milvus verzog seine Lippen zu einem breiten Grinsen und lehnte sich gemütlich zurück auf seinen Stuhl. „Sciurus und ein Mädchen...ha, vortrefflich...der schweigsame Sciurus hat doch...“ Eine heisere Stimme unterbrach ihn. „Halt's Maul, Milvus! Keiner will Dein Geschwätz heute ertragen oder soll ich Dir noch einen Finger abschneiden?“ Hastig zog Milvus seine Hand von der Tischplatte und verstummte in seinem großmäuligen Palaver. Beeindruckt sah Dido zu dem Urheber jener Stimme, konnte jedoch nur den Schatten von einem Gesicht unter einer Kapuze aus schwarzem Wollstoff erkennen, eine Nasenspitze, die aus der Dunkelheit hervor ragte. Ein Bluthund lag zu dessen Füßen, das Tier hob den Kopf, zog seine Lefzen zurück und knurrte leise, aber eindringlich, nur die Hand seines Besitzers an dem stachligen Halsband ließ das Tier auf dem Boden verharren. Dido schluckte und versuchte sich etwas kleiner zu machen als sie war, aus den Augenwinkeln beobachtete sie Sciurus und bewunderte ihn noch sehr viel mehr, da er sich mit einer verblüffenden Leichtigkeit zwischen all diesen Menschen bewegte und nicht nur respektiert wurde, von scheinbar manchen sogar gefürchtet. Oder bildete sich die kleine Dido das nur ein?


    „Drei...“ Ein Husten unterbrach den Mann, der Didos Aufmerksamkeit in all dem Treiben errang, wahrscheinlich weil der blasse und ernst drein schauende Römer keine Ausgeburt der Hässlichkeit war, aber dafür mit einem schlimmen Husten geplagt, den er in ein blutbeflecktes Tuch hinein hauchte, und so gar nicht in die Umgebung zu passen schien. Sogar eine Toga, wenn auch alt und verschlissen, trug der Mann. Er schien mehr ein Gelehrter oder erfolgloser Politiker zu sein. Ein grobschlächtiger Kerl mit bloßer Brust, die von zahlreichen Narben bedeckt wurde, mampfte neben ihm vom Festtagsschmaus. „Dreihundert für einen Abend?“, brachte der Togaträger hervor. Der Zweite nickte und entblößte eine Reihe von schiefen, gelblichen Zähnen. „Jo!“, grunzte er. Der Togaträger seufzte resigniert und hustete in sein Tuch. „Da sage mal einer, der Stylus ist schärfer als das Gladius.“ Didos Augen wanderten weiter, betrachteten all die kleinen Wunder an Menschenpracht bei der etwas anderen Saturnalienfeier, sie kam immer noch nicht aus dem Staunen heraus. Erneut war es Ansera, die Sciurus etwas zu flüsterte, gebannt verfolgte Dido das Spiel ihrer Hände und war sich nun sicher, auch das musste etwas bedeuten, oder liebte es Ansera einfach nur, derartig verschlungene Zeichnungen mit ihren kurzen und dicken Fingern in die Luft zu malen, die sich doch erstaunlich flink und elegant bewegten, kein bisschen Behäbigkeit offenbarten? Ein Mysterium, darum wunderte Dido sich nicht, dass es bereits weiter ging, große Schritte der Erwachsenen, die Dido mit Drei ihrer Kinderbeine antworten musste. Ein Torgewölbe unterschritten sie aus großen Quadern geformt, sonst verschlossen mit dicken Türen, auf denen schwarze Fratzen gemalt waren, in Gestalten von Gorgonen, deren Haare sich in Schlangenformen am Holz entlang wandten und dessen Schuppen durch die Maserung des Holz gebildet wurden; schummrig leuchteten zwei Fackeln im angrenzenden Raum.


    „Mh, hm.
    Strahlend waren ihre Wangen, leuchtend rot.
    Weiß ihre Haut, glänzend ihre blauen Augen'lein.
    Schön ihr Antlitz, wallend das Haupte fein.
    Weich ihr Fleisch, doch ihr Leib war tot.
    Mh, hm!“


    Irritiert sah sich Dido um und erkannte eine Kreatur, die mit ihrem Fuß an die Wand gekettet war, ein brauner Leinenfetzen bekleidete sie und sie war nicht größer als Dido, ihr Haupt dafür grotesk groß, größer als das eines Kindes, ihr Körper eindeutig mit den Rundungen einer Erwachsenen. Mit einer Hand drehte sie an ihren fettigen Haaren und starrte Dido mit einem breiten und zahnlückigen Grinsen an. „Sei still, Forma!“ Eine sanfte Stimme durchdrang den Raum, fehl geleitet in die grobe Welt des römischen Tartaros. Die Kreatur verstummte in ihrem disharmonischen Summen, gaffte unverwandt Dido an, die sich schnell hinter Sciurus stellte und den Blick von der Frau nicht abwenden konnte, deren Gesicht grobschlächtig war und nur deren Augen eine Schönheit offenbarte, die der Name andeutete. Aber irr war das Flackern in ihren rehbraunen Augen.


    Schwärze verbarg ihn, vermochte nicht zu deuten, ob es seine Stimme war oder die eines Anderen. Aus dem Schatten löste sich eine Frau mit hüftlangen, schwarzen Haaren, einem vollschlanken Leib, der sich wie ein Halm in der lichten Sommerwiese bewegte. Ihre bloßen Füße traten über dreckigen Boden hinweg, ihre Finger strichen über Sciurus Schulter. „Das ist also Sciurrrhus!“, schnurrte die Dunkelhaarige mit einem ausgeprägt orientalischen Akzent. „Sciurus?“, ertönte die Stimme, die Weiche, die so hart wie Stahl sein konnte. Goldbraune Augen betrachteten Sciurus, wanderten zu Dido und die Frau trat an den Rücken von Sciurus, zwischen ihn und Dido.

  • Das Reich des Mannes mit der Vogelmaske unterlag stetiger Änderung, mal verkroch er sich in den hintersten Winkeln der Gänge unter der Stadt, mal residierte er in einer der großen Hallen samt seines Gefolges, mal stopfte er Luxus und Pomp in eine kleine Kammer direkt neben der Cloaca, von wo der untrügliche Duft nach Leben herüber wehte, mal nahm er nur seinen Beutel und empfing seine Gäste auf bloßem Boden in einer Villa draußen vor der Stadt und manches mal, dies jedoch selten, verfrachtete er seinen Hofstaat gar mitten ins Herzen Roms. Man konnte niemals wissen, wo der Vogelmann in einigen Tagen würde sein, so dass es bereits eine Anstrengung war, ihn zu finden, doch wen er empfangen wollte, den fand er. Den Schlangenhort, wie jener Ort genannt wurde, an welchem er diesen Tages domizilierte, bevorzugte er für Feierlichkeiten dieser wie auch anderer Art, denn jeder Lärm wurde von den dicken Mauern und Türen nach Außen hin abgeschottet. Zwar gab es nur zwei Ein- und Ausgänge, einer davon jedoch, im Hinterzimmer gelegen, war derart von Außen verborgen, dass kaum je Gefahr bestand, dass ein Feind nach einem Angriff durch das Tor von der Unterwelt aus ihn dort würde erwarten.


    Die Hand auf seiner Schulter ignorierend trat Sciurus vor und griff unter seinen Mantel. Fauchend rasselte Forma an ihrer Kette, doch verstummte sie in einem leisen Zischen, als es nur eine Pergamentrolle war, welche Sciurus aus dem Beutel zog, welchen er verborgen unter dem Mantel um die Schulter hängend trug.
    "Sie geben es nicht heraus, aber ich konnte eine präzise Abschrift erstellen. Der Inhalt ist alles, worauf es ankommt, und sie ist auch mit einem offiziellen Siegel versehen." Er sprach dies, als wäre es selbstverständlich, doch womöglich schwang subliminal ein leiser Hauch von Stolz in der Stimme des Sklaven. Doch vielleicht trog der Eindruck auch.
    "Wenn ich nicht wüsste, wer mein Besucher ist, wenn ich nicht ihn sehen könnte, an deinem ersten Satz schon würde ich dich erkennen, Sciurus. Kein Saturnaliengruß, keine Begrüßung, und selbst deine Begleiterin stellst du mir nicht vor. Wahrlich, Sciurus, man möchte nicht meinen, dass du in einem der vornehmsten Häuser Roms einem Haushalt vorstehst."
    Aus dem Schatten heraus schob sich eine schlanke Gestalt, in ein wallendes Gewand aus grünfarbener Seide gehüllt, die Hände von goldfarbenen Handschuhen bedeckt, die Augenpartie und Nase hinter einer Maske verborgen. Grünfarben schillerten die kurzen Federn auf der Maske, mit einem Hauch von Goldstaub bedeckt, durchbrochen nur von den äußeren Augenwinkeln aus durch violette Federn, dazu eine spitze Nase, in Goldorange, welche so weit sich über das Gesicht zog, dass der Mund durch ihre Spitze geteilt wurde, halb in ihrem Schatten verborgen blieb. Der Vogelmann nahm die Pergamentrolle an sich, jedoch ohne sie zu öffnen.


    "Das ist Dido." Ohne sich umzuwenden bewegte Sciurus den Kopf kurz nach hinten, dort, wo das Mädchen noch immer verharren musste. "Sie entstammt dem Haushalt der Flavier, doch ihr Herr weilt derzeit außerhalb Roms."
    "Dido." Wie ein Geier streckte der Mann mit der Maske den Kopf vor, der goldorangefarbene Schnabel zuckte nach vorn und wandte sich der kleinen Sklavin zu, verharrte in diese Pose. "Ist sie deine Tochter?"
    Einige Augenblicke lang wägte Sciurus seine Antwort ab. Es war durchaus möglich, er diente bereits lange genug seinem Herrn in Rom. Dido als sein eigen Fleisch und Blut auszugeben würde gewiss weiteren Fragen vorbeugen, zudem wäre sie zwischen den Verlorenen vor jeglichem Übergriff sicher, denn niemand würde sich an seinem Kind vergreifen. Andererseits jedoch mochte sie von anderer Seite aus gerade ob dessen wegen Ziel eines Angriffes werden, um ihn zu treffen, und obgleich es ihn nicht treffen würde, so würde dies nur unnötige Probleme aufwerfen. "Nein. Sie begleitet mich."
    Die Angelegenheit war damit erledigt, der Vogelmann entrollte das Pergament und der Schnabel senkte sich, als seine im Schatten der Maske verborgenen Augen es sondierten. "Sehr schön." Als der Schnabel sich wiederum hob, zierte ein leichtes Lächeln die Ränder der Lippen dahinter. "Ich habe ebenfalls etwas für dich, nicht nur, weil heute Saturnalia sind, aber womöglich auch deswegen. Der Feuerreiter ist in der Stadt, er hat die Spur dessen aufgenommen, wonach dir der Sinn steht. Demnach scheint es sich tatsächlich in Rom oder zumindest in der Nähe zu befinden. Noch kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen, in wessen Auftrag er unterwegs ist, doch es muss eine äußerst bedeutende Persönlichkeit sein, denn es steckt eine gewaltige Menge Sesterzen dahinter. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob du dabei noch mithalten kannst, obgleich ich deine Fähigkeiten kenne und schätze."
    "Mein Herr ist bereit, jeden Preis zu zahlen."
    "Das wird sich zeigen. Als wir ihn zuletzt gesehen haben, hat er mit Cupa, dem Gerber gesprochen. Das war noch vor den Saturnalien, im Fest hat sich seine Spur verloren, womöglich hat er sich sogar für diese Tage aus Rom zurück gezogen, auch wenn ich es bezweifle. Er ist wie ein Schatten, der nur verbrannte Erde und eine Spur aus Asche hinterlässt. Denke daran, er ist nicht von hier, niemand weiß, ob er sich an die pax saturnaliae hält."
    Wortlos nickte Sciurus. Er war dem Feuerreiter bereits einmal begegnet, in dessen Heimat Sizilia. Auf Sizilia kannte man keinen Frieden und keinen Waffenstillstand, nur Krieg.
    "Wenn du meinen guten Freund Cupa besuchst, dann überbringe ihm meine Saturnaliengrüße, ich bin sicher, er wird sich sehr darüber freuen." Der Schnabel der Vogelmaske senkte sich ein wenig, wies wieder in Didos Richtung. "Pass' gut auf das Eichhörnchen auf, Dido, Königin Karthagos. Und denke daran, wer Humus hat, braucht keinen Humor." Geschmeidig zog der Vogelmann sich in den Schatten im hinteren Teil des Raumes zurück, ein leises Rascheln war das letzte Geräusch, welches von ihm zu vernehmen war.

  • Licht und Schatten, Dissensen beherrschten die verquere Welt der Subura, die sich so lebendig zeigte wie die strahlende Villa Flavia weit über ihren Köpfen. Ein süffisantes Lächeln zeigte sich auf den Lippen der orientalischen Frau, ihre Finger strichen über Sciurus Rücken entlang, sie tätschelte Didos Kopf, die die Fremde missmutig anstarrte, dann trat die Orientalin mit lautlosen Schritten ebenfalls in die tiefe Dunkelheit. Ein einzelner Wassertropfen ertönte, das Rasseln von Ketten und das dissonante Summen der weiblichen Kreatur. Die Höhle des Löwen entließ sie wieder, der König der Unterwelt hatte gesprochen und Dido hatte alles mit einem Schaudern in sich aufgenommen. Schweigsam folgte sie dem Sklaven, der ihr stets zwei Schritte voraus ging. Forma knurrte Dido zu als sie an ihr vorbei ging, dann grinste die Kreatur breit. Dido zuckte von Forma weg und ärgerte sich über ihre Angst, die sich in ihrer Magengegend fest gesetzt hatte. Jedoch fühlte sich Dido noch ganz beschwingt, hatte der Vogelmann sie sogar angesprochen, Königin von Karthago. Was er mit Humus und Humor meinte? Dido verstand es nicht. Die junge Sklavin zupfte an ihrem Haar herum und dachte über die Worte nach, schließlich wollte sie lernen, erfahren, wie man so ein Sklave wie Sciurus wurde und das hier gehörte eindeutig alles dazu. Sie übte sich in würdevollem Ernst, glaubte es in der Situation zu offenbaren müssen und ließ ihre Augen nicht von Sciurus Rücken weg wandern. Seine Schulterblätter zeichneten sich unter der Tunika ab, bewegten sich geschmeidig bei jedem Schritt den Sciurus tat und Dido hatte das Gefühl einem vorsichtigen und bedachten Raubtier zu folgen, womöglich eine Wildkatze, nein, mehr einem Schakal, der sich gewitzt an seine Beute heran schlich. Bunte Lichtflecken zeichneten sich auf Didos heller Haut ab, glitzerten und funkelten über den Glanz in ihren Augen, spiegelten sich in der Farbe ihrer Iris wieder, das dem lieblichen Mittelmeer so ähnlich war, von Blau zu Grün changierte. Ein Schatten durchbrach das Lichtmuster und bedeckte Dido, der Mann mit dem nach Blut lechzenden Hund erhob sich.


    Flackernd zeichnete sich das Licht eines Öllampenständers auf den Gesichtszügen des älteren Mannes wieder, warf tiefe Schatten auf den knorrig, verdorrten Antlitz, formte scharf die lange Nase in seinem Gesicht, die tiefen Tränensäcke, die welke Haut und die zahlreichen Pockennarben auf seinen Wangen. Der Hund schlich um seinen Herrn herum, drückte seinen Leib an dessen Beine, die von einer langen Tunika bedeckt waren. Von seinem Daumen schnellte eine silbern schimmernde Münze, sie wirbelte zwei Mal durch die Luft, drehte sich herum und fiel hinab auf seinen Handrücken. „Eine Pharaonin schlägt niemals den Kaiser. Doch schwebt die neue Sonne am Himmel.“ Das Abbild des Augustus glänzt auf der Rückseite der Silbermünze. Dido drehte an einer blonden langen Haarsträhne und sah groß zu dem alten Mann, den sie nicht verstand. Genauso wenig die Antwort, die Sciurus erwiderte und Dido ins Grübeln brachte: "Die Schwingen des Nachtvogels verdunkeln das Firmament." Der Alte, Pardus war sein Name, nickte bedächtig und griff unter seinen Umhang. „Zwei Boote in der Nacht. An der Statue der Göttlichen!“ Gebannt verfolgte Dido das Gespräch, sah die gelassene Haltung von Sciurus und bewunderte ihn noch sehr viel mehr. Oder verdeckte der flavische Sklave seine Vorsicht hinter der kühlen Miene des Stoizismus? Ein Paket in braunem Linnen gehüllt wurde an Sciurus weiter gereicht, eine blaue Tonscherbe erhielt dafür der alte Pardus, der damit sehr zufrieden schien, gleichwohl Dido keinen Wert in der bunt bemalten Scherbe erkennen konnte. Pardus drehte sich um und ging zu seinem Stuhl zurück, der vorlaute Gecke wich dem alten Mann, der behäbig in seinen Bewegungen war, mit respektvoller Miene aus. Dido spürte einen Herzschlag lang den Blick von Sciurus auf sich, sah zu ihm hoch und meinte sich getäuscht zu haben, denn Sciurus ging bereits auf den Ausgang zu, schien die feiernde Gesellschaft nicht länger mit seiner Anwesenheit beehren zu wollen. Dido blieb an der Tür stehen und warf einen letzten Blick zurück auf die illustre Runde der besonderen Art. Betörend ließ eine feurig dunkelhaarige Frau mit ausladenden Rundungen ihre Hüften kreisen, drehte herum und schlug mit zwei Holzschellen im Takt gegeneinander. Zwei Gesellen sprangen auf und zückten lange Dolche, gar schon Sicae, die sie sich in den Leib stoßen wollten. Dido lächelte dünn und wirbelte herum, um schnell ihrem neuen Mentor zu folgen, der sie in die düster schöne Welt geführt hatte.


    Braune Blasen stiegen an die Oberfläche der stinkenden Brühe, die zäh durch den Kanal hindurch floss. Eine schwarze Ratte schwamm durch die Mischung aus Fäkalien, Dreck, Abfällen und tierischen Überresten, ein halb verfaultes Fleischstück in der Schnauze, ihr glatter Schwanz bewegte sich wie eine Schlange durch das schlackig, ekelhafte Wasser, sie erreichte das Ufer und kletterte über einen halb verfallenen Stein hinauf auf den Steinrand, legte die glatten, fleischfarbenen Öhrchen an und huschte in ein Loch als Schritte sich näherten. "Du wirst deinen Nutzen unter Beweis stellen, ehe ich mich um die andere Angelegenheit kümmern werde." Dido nickte ernsthaft und blieb stehen als Sciurus verharrte. Er deutete auf ein schmales und enges Loch, das sich neben den beiden Sklaven in die Dunkelheit hinein bohrte. "Mit deiner schmalen Gestalt wird es dir leicht fallen, hier hindurch zu kommen. Gib das an Opilia weiter." Dido nahm das Linnenpaket entgegen, es schauderte sie in die Schwärze klettern zu müssen, doch der stechend kalte Blick von Sciurus ruhte auf ihr. Wenn sie jetzt kniff, dann würde sie in seinen Augen nichts wert sein. Sie biss sich auf die Lippe und kletterte in die Dunkelheit, Feuchtigkeit spürte sie unter ihren Fingern, modrig und moosig, widerlich war der Gestank, doch Dido kroch langsam tiefer in die Schwärze hinein. Immer weiter und weiter, es ging etwas hinauf und Dido rutschte zwei Mal ab, weil sie sich nur mit einer Hand fest klammern konnte. Ihr Kinderherz klopfte wild und zuckte in die Höhe als sie ein Piepen in ihrer Nähe vernahm. Dido unterdrückte einen wimmernden ängstlichen Laut, eine Träne, weil sie sich heftig gestoßen hatte, aber auch der Furcht wegen, ran an ihrer Wange herab, schließlich glomm ein einsames Licht. Erleichtert krabbelte Dido schneller, rutschte halb über den feuchten Boden. Das Licht wurde kräftiger und dann sah Dido eine Öllampe, die in den Händen einer Gestalt ruhte. Dido verharrte und zögerte, was, wenn das jemand anders war? „Opilia?“, flüsterte sie leise. „So ist es, Mädchen. Komm her!“ Dido rutsche näher heran, das gelbe Licht fiel auf Didos Gesicht und die weichen Gesichtszüge einer reiferen Frau, die sich vorbeugte und Dido musterte. „Ein Kind...tsts...und geweint hast Du auch. Hast Du Dir weh getan?“ Böse funkelten Didos Augen als Antwort. „Ich habe nicht geweint, das ist das Wasser von der Decke. Ich soll Dir etwas geben!“ Dido reichte das Bündel an die Frau weiter, die das Tuch zur Seite legte und auf den Inhalt sah, der sich Dido weiterhin verschloss. „Sehr gut!“ Sie packte das Bündel zurück und reichte Dido einen handgroßen hölzernen Kasten. „Gebe ihm das. Und meine ergebenen Grüße. Die Katze wird die Arbeit erfüllen.“ Dido starrte der Frau verwundert hinter her, doch das Licht wanderte schon hin fort, ohne dass Dido sehen konnte, wo sie überhaupt war.


    Eilig drehte sich Dido in der Enge um und kletterte zurück. Sie rutschte den Rest zurück und aus dem Loch der Cloaca wieder auf den steinernen Sims. Wortlos reichte sie den kleinen Kasten an Sciurus weiter. Dido hatte sich nicht getraut dort hinein zu schauen. Sie räusperte sich und sprach die Worte, die Opilia ihr ausgerichtet hatte. Es verwunderte Dido nicht, dass Sciurus das mit erneut kühler Gleichmut hin nahm.

  • Flackernd leckte das Licht der Lampe über den rauen Stein, verlor sich im Dunkeln der schier endlosen Gefilde, und ließ die Oberfläche der braunfarbenen Brühe neben ihnen träge schimmern. Als Sciurus das Kästchen öffnete und sich des Inhaltes bemächtigte, um diesen in seinen Beutel zu packen, warf die Flamme darauf nur Schatten, so dass Dido weiterhin verborgen blieb, was der Sklave an sich nahm. Den kleinen Kasten stellte er zurück in die Mündung des schmalen Ganges und nahm sodann die Lampe auf. "Gehen wir. Wenn wir Glück haben, liegt der Gerber betrunken in seinem Bett. Ich möchte ihn ungern bei Tag aufsuchen." Die Chance, den Mann während der Saturnalia zuhause anzutreffen, war vermutlich ohnehin nur Nachts wirklich gut.


    Einige Biegungen brachten die beiden Sklaven zurück zum Hauptstrom, der Cloaca Maxima. Sciurus deutete mit einer Hand empor. "Dort über uns ist die Basilica Aemilia." Grabesstille herrschte zu dieser Zeit vermutlich in jenem großen Gebäude, mehr noch als in den unterirdischen Gängen, in welchen immer das leise Glucksen des Abwassers, das Fiepen der Ratten oder andere, undefinierbare Geräusche zu vernehmen waren. Sie mochten etwa auf Höhe des Forum Augustum angelagt sein, als ein matter Lichtschein sich vor ihnen ankündigte, begleitet von dem lallenden, dünnen Gesang eines Betrunkenen. Sciurus machte sich nicht erst die Mühe, die Lampe zu löschen, mit einem einzelnen Mann, welcher zudem nicht mehr ganz bei Sinnen war, würde er es im Notfall leicht aufnehmen können. Doch er wies Dido stehen zu bleiben und wartete, bis eine magere Gestalt sich um die Biegung vor ihnen schob und näher kam.
    "Aiaiai, ein Lischt ... ein Lischt am Enne des Tunnls!" Es war eine hohe, dünne Fistelstimme, welche den Anschein erweckte, dass die leichteste Berührung sie würde brechen lassen. Die Gestalt dazu war kaum mehr noch als Männlein zu betiteln, klapperdürr, dass die Haut sich fest über die Knochen spannte, in eine abgenutzte, graue Tunika gekleidet, ohne Schuhe, in der einen Hand eine Fackel, in der anderen einen langen, knorrigen Stock, auf welchen sie sich stützte und der sie um mindestens zwei Köpfe überragte.
    "Der Fährmann", flüsterte Sciurus zu Dido, ohne den Mann aus den Augen zu lassen. Der Fährmann hatte ein Alter erreicht, welches den Zahn der Zeit ratlos machte. Jede erdenkliche Furche, die sich in sein Gesicht hätte graben können, hatte sich längst dort verewigt, die Haut, die sich über seine kahlen Schädel spannte konnte nicht mehr fleckiger werden, ohne gleichzeitig aufzuhören es zu sein. Auch seine Augen konnten nicht mehr tiefer in ihre Höhlen sinken. So sah der Alte aus seit Sciurus ihn zum ersten Mal vor vielen Jahren erblickt hatte, und so würde er wohl auch in Hundert Jahren noch aussehen, so der dann noch lebte.
    "Bonna Sahunalia, ihr swei Hübschn! Wolltihr mich nich begleitn? Nm alten Mann ne Sahunalienfreude machn?" Er hatte sie erreicht und blieb nun vor ihnen stehen.
    Sciurus packte Dido am Kragen und schob sie schnellen Schittes an dem Fährmann vorbei, genau darauf achtend, was der Alte tat. Im rechten Augenblick wich er mit einem kurzen Satz dem Stock aus, den der Fährmann wie zufällig ein in einem kleinen Halbkreis ausscheren ließ.
    "Heute nicht, alter Mann. Ein ander Mal vielleicht." Er schob Dido weiter, drängte sie um die Biegung herum und ein Stück weiter in eine Abzweigung des Kanals, welcher weiter nach Nordosten unter die Subura führte. Nach einigen Schritten des Schweigens blieb er stehen und blickte sich um. Nur Dunkelheit verfolgte sie.
    Ernsthaft blickte der Sklave zu Dido hinab, das Licht der Laterne beleuchtete ihn von unten. "Der Fährmann trägt seinen Namen, weil niemand, der mit ihm geht, je wieder zurück kehrt. Üblicherweise wildert er oben in Trans Tiberim und ganz besonders steht ihm der Apetit nach kleinen Mädchen. Geh' ihm aus dem Weg, wenn du ihm begegnest."
    Dido schaute aus großen Augen zu Sciurus hinauf, eine Spur von Furcht mochte sich darin spiegeln, gleichsam jedoch die feste Absicht, nicht als kleines Mädchen im Kanal zu enden. Sie nickte entschlossen und stapfte dann ohne ein Wort weiter. Es dauerte nicht mehr allzu lange, bis die beiden Sklaven die unterirdischen Gänge über eine schmale Leiter verließen und aus einem Abwasserloch in einem Hinterhof der Subura zurück kehrten in den Moloch Roms.


    Cupa, der Gerber, war ein einfacher Mann, einer wie viele inmitten der Subura. Sein Geburtsname war Curgetorix Narbonensis, doch niemand in Rom nannte ihn so seit seine Mutter tot war, bei allen hieß er nur Cupa, da seine Leibesfülle seit jeher versucht hatte, die Dimensionen zu sprengen. Vor Generationen schon waren seine Vorfahren aus dem Süden Galliens nach Rom eingewandert, doch niemals hatte einer aus seiner Familie versucht, das Bürgerrecht zu erlangen. Trotzdem, auch wenn er nicht wahlberechtigt war, fühlte sich Cupa ganz wie ein leibhaftiger Römer, und kaum jemand mochte Zweifel daran hegen, spätestens dann nicht mehr, wenn er den Mund öffnete und mit seinem blumigen Subura-Dialekt zu sprechen begann. Seine Arbeit als Gerber war hart, doch sie war gut, sie war ehrlich und er konnte davon leben. Die Saturnalia hatte Cupa zuerst bei dem öffentlichen Fest auf dem Forum Romanum verbracht, später war er mit einigen Bekannten in einer Taverne hängen geblieben und hatte eine Menge Geld verspielt. Da ihm ob dessen die Münzen ausgegangen waren, um seinen Wein zu bezahlen, hatte er irgendwann zwei seiner Kumpanen nach Hause eingeladen, wo sie bis tief in die Nacht hinein weiter gewürfelt hatten. Die beiden waren längst fort, doch Cupa war noch immer wach und widmete sich nun seinem besten Tropfen - obgleich jener längst verschwendet war, da seine belegte Zunge nicht einmal mehr zwischen dem Cloacenwasser und dem feisten Falerner einen Unterschied bemerkt hätte. Die Werkräume schlossen direkt an seine Schlafstadt und eine kleine Küche an, nur eine einzige Öllampe stand brennend auf dem Tisch. Sklaven konnte sich der Gerber keine leisten oder wollte keine haben, eine Frau besaß er nicht, so dass er völlig allein war.
    Als urplötzlich ein hagerer Mann mit blondfarbenem Haar und eisigblauen Augen in der Tür stand, erschreckte sich Cupa beinahe zu Tode. "Bei allen guten Göttern! Was willst du hier!?" Er konnte sich nicht erinnern, mit diesem Mann am Abend gewürfelt zu haben, so dass er womöglich seine Schulden einfordern wollte. Erst jetzt bemerkte der Gerber das blondfarbene Mädchen, welches schräg hinter dem Mann stand. Das alles ergab keinen Sinn. "Seid ihr auf der Suche nach Leder?" Auch dies ergab kaum einen Sinn zu dieser Stunde, doch Cupa hatte schon vieles in seinem Leben erlebt, zudem waren seine Kunden nicht unbedingt nur ehrbare Leute.
    "Nein, Cupa, wir waren auf der Suche nach dir." Ein zweideutiges Lächeln kräuselte Sciurus' Lippen. "Der Mann mit der Maske empfahl dich und er lässt dich grüßen."
    "Der Vogelmann?" hauchte Cupa tonlos. Augenblicklich war er bei Sinnen, die Furcht verdrängte den Alkohol schneller, als dieser fliehen konnte. "Bitte, ich habe nichts getan! Die Totengräber haben versucht, mich zu erpressen, doch ich habe ihnen nichts gegeben! Bitte, du musst mir glauben!"
    Ungerührt trat Sciurus in den kleinen Raum hinein und nahm an dem Tisch Platz, an welchem der Gerber saß. "Was wollten die Totengräber von dir?"

  • Tropf! Tropf! Stetig fielen die kleinen Wassertropfen in einer Perlenschnur durch eine schmale Ritze im Gebälk. Tropf! Tropf! Ein kleiner Wassertropfen, aus dem Schoße des diffusen Nebels geboren, fand den Weg durch Ziegel, Schindel, das feuchte Stroh, das das Haus abdichten sollte, durch poröse Lehmfüllung der Mauern und schließlich durch altes Holz, das schon beim Bau dieses Hauses nicht hätte verwendet werden dürfen, Grünspanig. Einen Herzschlag lang hielt sich der Wassertropfen am Rande fest, dann stürzte er sich todesmutig in die Tiefe. Tropf! Er zerbarst auf dem hölzernen Tisch und vereinte sich, zerflossen, mit seinen Brüdern und Schwestern zu einer kleinen Lache. Unbeachtet von zwei Männern, die unterschiedlicher nicht sein können. Cupa, der Gerber, saß starr auf dem Schemel, er konnte den Blick nicht von Sciurus blauen, eisblauen, Augen lösen. Obwohl sich Cupa innerlich wandte, nach Ausflüchten suchte und am Liebsten wie ein Maus davon getrippelt wäre, der der Katze gegenüber saß, so war Cupa erstarrt. Das Mädchen, das die Szene gebannt verfolgte, bemerkte Cupa nicht. Die Frage stand im Raum. Was wollten die Totengräber von Dir? Tropfen um Tropfen fiel auf den Tisch, Stille herrschte im Raum und doch fand ein lautloses Ringen statt und zeigte sich im marginalen Erzittern von Cupas Unterlippe und der Schweiß, der sich immer mehr auf seiner Stirn sammelte und zu einem kleinen Rinnsal an seiner Schläfe bildete. Unerträglich frostig wurde die Stille im Raum, dann war das Eis gebrochen, der Kampf entschieden. Cupa schlug die Hände vor das Gesicht. "Oh, ich sag' Dir alles, alles! Oh!" Seine Schulter erzitterte vor Furcht. Stück für Stück sanken die Hände herunter und mit aufgerissenen Augen starrte Cupa zu Sciurus, den Dido voller Bewunderung betrachtete. Welcher Mann konnte schon mit einem Blick jemand anders derart einschüchtern? Doch schnell sah Dido zu Cupa, der erneut, mit weinerlicher Stimme, begann zu sprechen: "Es war vor einigen Tagen, ja, vier Tage ist es nun schon her...mitten aus dem Nichts tauchten sie auf, wie Du!"


    Kehren wir doch einige Tage zurück, in das Leben von Curgetorix Narbonensis, auch einfach nur Cupa genannt...


    ...Es war ein trüber Wintertag, grau und bleiern hingen die Wolken über Rom, schwer und bedrohlich türmte sich in der Ferne eine schwarze Eiswolkenfront auf, die am liebsten mit Hagel und Eisschauer über Rom hergefallen wäre. Der Gestank der Gerberwerkstatt mischte sich mit dem rußigen Geruch eines Schmiedes in der Nähe und wurde untermalt von dem steten Klopfen eines Kesselflickers, der mit seinem kleinen Handkarren schon den ganzen Tag in den Straßen umher fuhr, um die Kessel der Römer und Peregrini zu flicken. Cupa stand in seiner Werkstatt, große Rinderhäute lagen über einer Stange, wellig und fast so als ob sie gerade erst dem Tier vom Leibe gezogen war. Mit einem großen Schaber fuhr Cupa über die schorfige Haut eines Tieres und schor damit große borstige Büschel ab. Den groß gewachsenen, klobigen Mann, der sich in seinem Bottich erleichterte, wie so viele andere Passanten, bemerkte Cupa nicht. Er achtete auf derart nicht mehr, so sah er nicht, wie der Mann seinen Gürtel wieder zurecht rückte, die Tunika fallen ließ und ein Messer hervor zog, das schartig und scharf an der Kante war. Erst als das Messer seine Haut am Hals berührte, bemerkte Cupa seinen Irrtum. "Wir gehen rüber." Cupa nickte und ließ sich in seine Wohnräumlichkeiten bucksieren. Zwei Männer, Schatten nicht unähnlich, folgte den Beiden.


    Und wieder bei Sciurus und Cupa, ebenso der kleinen Dido. Cupa stöhnte leise und ächzend, ganz als ob er den Schock noch einmal erleben müsste. "Sie drohten mir, sie wollten mein Geschäft anzünden, alles was ich hatte und..." Er stockte. "Und dann...ja, sie sagten, sie würden mir großes Leid antun. Besonders er, er, mit den gelben Adleraugen. So einen stechenden Blick habe ich noch nie gespürt...." Cupa zögerte und musterte Sciurus. "Bis heute...was er tat...ich..."


    Unzusammenhängend war die Stotterei von Cupa, darum sehen wir doch noch einmal zurück, werter Leser. Derselbe Raum, in dem nun auch Dido, Sciurus und Cupa waren, doch einige Tage zuvor:


    Eine Gestalt löste sich aus dem Schatten der Wand und trat auf Cupa zu, der mit ängstlicher Miene genau auf demselben Schemel saß, wie in der Nacht der Saturnalia. Die Gestalt stellte sich ihm gegenüber auf und beugte sich etwas vor, bis er ihm sehr eindringlich und starr mit seltsamen gelblichen Augen in die von Cupa sah. Cupa erzitterte unter dem Blick und griff an die Tischkante, als ob er sich daran fest halten müsste. "Cupa!", mehr ein Flüstern war die Stimme. "Ich habe zugesehen, wie man viele Menschen gefoltert hat. Arme ausgerenkt bis sie ihre Mutter verraten haben, bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen bis sie die Kinder verkauften. Ich garantiere Dir, alle reden früher oder später!" Schweißbäche flossen an Cupas Stirn und seinem Hals entlang. Die Gestalt mit den gelben Augen, einer scharfen Adlernase und einem dichten, krauseligen Bart drehte sich um und ging zu einer Öllampe. "Wo ist es?" Cupa schüttelte den Kopf. "Das weiß ich nicht...bei der großen Iuno und bei Iuppiter, ich schwöre es!" Der Mann trat zurück zu Cupa und blieb vor ihm stehen, langsam schob er sich den Ärmel der Tunika hoch. "Sieh her!" Vor der Nase von Cupa hielt der Mann die Flamme an sein nacktes Fleisch, es roch nach versenkter Haut, während der Mann die Lippen zusammenpresste, die Faust ballte, doch seine gelben Adleraugen, die blieben unerschütterlich. Cupa fielen die Augen vor Schreck fast aus den Augenhöhlen. Der Mann nahm die Flamme von seiner Haut, ein furchtbarer Brandfleck in der Größe eines massiven Aureus prangte an seinem Arm. "Cupa!", flüsterte der Fremde. "Wenn ich mir das selber antue, stell Dir vor, was ich Dir antun kann!"


    Wieder zurück zu Dido und Sciurus.


    "Aber ich habe gaaar nichts gesagt. Ich habe still gehalten." Auch hier begegnete Cupa einem kalten und unerschütterlichen Blick, der sich tief in seine Seele zu bohren schien. "Ich...", hauchte er. "Oh, es tut mir leid, ich habe ihm alles erzählt. Und ich habe ihm den Schlüssel gegeben. DEN Schlüssel. Sie wollen heute Nacht noch ihren Plan damit vollführen. Heute, während der Saturnalia. Der Friede ist ihnen nicht heilig genug!" Wie ein wehleidiges Häuflein Elend sackte Cupa zusammen.

  • Wäre Sciurus ein anderer Mann gewesen als jener, der er war, hätte er mit einem lauten Fluch auf den Lippen seine Hand sich vor die Stirn geschlagen oder aber, er hätte sie Cupa zur Faust geformt mitten ins Gesicht gerammt. "Buono a nulla!" entfleuchte ihm jedoch nur leise und einen Augenblick lang wägte er ab, ob der Gerber noch eine einzige Sekunde seines Lebens wert war. Doch obgleich er vorerst wertlos geworden war, so wusste er nicht genug, um eine Bedrohung darzustellen, und man konnte nie wissen, welchem Lauf das Schicksal folgte, so dass er eines Tages womöglich noch nützlich sein konnte.
    "Zu welchem Loch?"
    Wimmernd und zusammengesunken saß Cupa auf seinem Stuhl, wünschte sich weit fort an einen anderen Ort, blickte bei den Worten nur unverständig auf.
    "Der Schlüssel, zu welchem Loch hast du ihnen den Schlüssel gegeben?" Ruhig war Sciurus' Stimme nun wieder, ohne eine Spur Emotion. Er schob den Stuhl unter seinem Leib zurück, so dass die Füße kratzend über den Boden schabten, und erhob sich.
    "Den ... den Schlüssel zur Judengasse." Cupa hatte nicht gewusst, dass es mehrere Verstecke gab, er hatte stets geglaubt, der Auserwählte, der Schlüsselmeister zu sein, welchem die ungeheuer wichtige Aufgabe zukam, den Schlüssel zum Schatz des Vogelmannes aufzubewahren. Obgleich seine Neugier ihn viele Nächte den Schlaf geraubt hatte, hatte er niemals selbst versucht, das Loch zu finden, zu öffnen und nachzusehen, was darin verborgen lag. Einmal im Monat war Silas, der Mann mit dem Losungswort, zu ihm gekommen und hatte dieses genannt, so dass die Männer des Vogelmannes stets nur dieses und ihr Siegel vorweisen mussten und er ihnen den Schlüssel überlassen hatte, bis sie ihn - zumeist früh am Morgen einer Nacht - zurück gebracht hatten. Beinahe schon seinen Fehler vergessend, hob der Gerber den Blick, um von seiner Neugier überkommen zu fragen, ob es denn noch mehr von diesen Verstecken gab, doch er erstarrte, als er in das Gerbermesser blickte, welches Sciurus in Händen hielt. Von allen Toden, die Cupa sich jemals vorgestellt haben mochte, so war doch jener, von seinem eigenen Handwerkszeug erstochen zu werden, ihm trotz all seiner dubiosen Geschäfte niemals in den Sinn gekommen.
    "Oh ... oh nein! Bitte ... bitte nicht! Ich tue alles, wenn du mich verschonst! Bitte, ich habe viel Geld gespart, ich werde dir alles überlassen, wenn du mich nur am Leben lässt!" wimmerte er weinerlich und erste Tränen kullerten über seine Wangen.
    Sciurus packte die Linke des Gerbers und knallte sie auf den Tisch. "Sei still." Während Cupa starr vor Angst weiter auf das Messer starrte, spreizte der Sklave dessen Finger und setzte schließlich die Klinge an den Ringfinger an.
    "Nein!" schrie der Gerber in allmählich dämmernder Erkenntnis auf und versuchte seine Hand fort zu ziehen, doch er war zu träge und es war bereits zu spät, mit einem kräftigen Ruck hatte Sciurus das Messer bis zur Tischkante durch Fleisch und Knochen gedrückt und den Finger von der Hand abgetrennt. Mit weit aufgerissenen Augen, den Schock auf seinem Gesicht tragend, starrte Cupa auf die Wunde, aus welcher unablässig dickflüssig rotfarbenes Blut auf die hölzerne Platte rann. Sciurus rammte das Messer geräuschvoll in den Tisch, wo es weiter nach schwang und Cupa noch einmal zusammen zucken ließ, drehte sich um und griff nach einem Lappen.
    "Halte die Wunde zu, sonst versaust du den ganzen Boden." Er riss ein Stück von dem Lappen ab, um darin den abgetrennten Finger einzuwickeln, den Rest des Stoffes warf er dem Gerber auf den Tisch. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und nickte Dido zu, dass sie durch die Werkstatt zurück das Haus verlassen würden.


    Am ganzen Leib zitternd hatte Dido all dem zugesehen, unschlüssig, ob sie Sciurus wegen seiner Kaltblütigkeit bewundern oder fürchten solle, gefangen zwischen der kindlichen Angst und der morbiden Faszination beim Anblick des abgetrennten Fingers und dem Fluss des Blutes. Zu spät bemerkte sie, dass ihre Augen und ihr Mund weit offen standen und ärgerte sich sogleich, dass der Sklave dies gesehen haben musste. Dennoch versuchte sie abgebrüht zu wirken und nicht auf den eingewickelten Finger zu starren, als sie sich umdrehte und bemüht locker durch die Werkräume der Gerberei schritt, Sciurus aufrechte, doch gleichsam stets angespannte Haltung dabei unwillkürlich nachahmend. Kurz nur zuckte sie zusammen als ein kleines Geschoss an ihrem Kopf vorbei und in einen Bottich mit stinkender Flüssigkeit neben ihr flog, in welchem es glucksend versank, nur den Stofffetzen auf der trüben Oberfläche treibend zurücklassend, in welchen es eingewickelt gewesen war.


    Die ersten pedes draußen im noch immer düsteren Rom legten sie schweigend zurück, in den Schatten der Nacht geschmiegt, in den dumpfen Schleier der Saturnalia gehüllt. Als sie jedoch ein kleines Forum überquerten hielt Sciurus in der Mitte des Platzes, an einer Statue an, hielt Dido zurück und ging in die Knie, so dass er in ungefährer Augenhöhe mit ihr war. Spärlich nur beleuchtete die Lampe in der Hand der kleinen Sklavin sein Gesicht, denn sie wagte nicht, sie anzuheben.
    "Einem Mann ohne den linken Ringfinger ist nicht zu trauen, merk dir das." Sein Blick war undurchdringlich, doch eindringlich, beinahe, als versuchte er, dem Kind diese Tat begreiflich zu machen, beinah, als wolle er Dido eine Erklärung bieten. Wer jedoch Sciurus kannte - und dies war niemand, nicht einmal er selbst - wusste, dass er einzig und allein tat, was er glaubte, tun zu müssen, da er war, was er war. Erneut schweigend stand er auf, ließ Dido mit einem weiteren Brocken seiner Weisheit zurück. Die kleine Sklavin indes würde ab dieser Nacht jedem Mann zwei mal auf die Finger schauen und war fest entschlossen, nie wieder jemandem zu trauen, der an der linken Hand keinen Ringfinger mehr besaß. Obgleich es nach dem Erlebnis bei dem Gerber sicher nicht nötig war - denn dies würde sie nie wieder vergessen - wiederholte sie das Gelernte in Gedanken und eilte sich, dem großen Sklaven zu folgen.


    Der Name Judengasse war nicht der offizielle Name jener engen, schmutzigen Straße, die den Römern als vicus flexus bekannt war, doch es hatten sich dort so viele Menschen dieses Glaubens niedergelassen, dass jeder mit diesem Namen etwas anfangen konnte. Dido und Sciurus durchquerten die Straße, in welcher es seltsam ruhig war, denn hier feierte niemand die Saturnalia, so dass in keinem Hinterhof und keinem Haus noch Licht brannte und keine Betrunkenen ihnen begegneten, welche nach Hause torkelten. Unbemerkt bogen sie in eine Abzweigung, welche dreißig Fuß zwischen zwei Häuser schnitt und als Sackgasse endete. Zielstrebig lenkte Sciurus seine Schritte zu einem Kanaldeckel im Boden, fasste in die Einlassung und hob ihn mühelos an. Er kniete sich - jede seiner Bewegungen von Dido schärfstens beäugt - zu Boden und fasste mit der Hand in das gähnende Loch vor sich. Die eingelassene Kiste war geöffnet - und leer.
    "Porca miseria, sie waren schon hier." Er erhob sich und schob den Deckel zurück in die Einfassung.

  • Wasser rieselte an der brüchigen Mauer hinab, die das Ende jener Gasse bildete und mit zahlreichen Moosflechten überwachsen war. Grünen Adern ähnlich zog sich das Gewächs an der Mauer hinauf. Die zarten Wurzeln krallten sich in den mürben Stein, wie Nassauer, Parasiten, Schmarotzer, die sich an der Kraft des Steins gelabt hatten und ihn überwuchern wollten, um ihn für immer dem Tageslicht zu entziehen und jegliches Leben aus dem Mark zu saugen. Tautropfen gleichend glitten die Wasserperlen über das saftige und grüne Moos hinweg, das nur im Sommer an jener Stelle, in all den Monaten der Trockenheit, seines schnorrenden Treiben gezähmt wurde und braunen Grasmatten ähnlich an der Mauer klebte. Von zahlreichen Dachgiebeln tropfte es hinab, immer noch hing die feuchte Decke über Rom und verbarg jegliche Sicht auf mehr als ein paar Schritte. Ein Fensterladen klapperte leise. Dido wurde von ihrer nachdenklichen Betrachtung des ominösen Loches aufgeschreckt und spähte zu dem Haus an ihrer Seite. Ihre scharfen Augen spähten durch das weiße Gewölk hindurch, das der Wind mal verdichtete, dann wieder in einzelne Nebelschwaden zerfetzte, um die kleinen Ausläufer in die große weiße Suppe zu drängen. Dido machte einige Schritte von Sciurus fort und auf die Mauer. Ihre Finger berührten den Kalk, der sich mit Wasser voll gesogen hatte und ihre Fingerspitzen benetzen. Ein Graffiti hätte Dido nicht sonderlich interessiert, davon gab es an jeder Wand in Rom mindestens eines, aber das Bild ließ sie dennoch erschauern. Sie brauchte gar nicht mehr nach Sciurus zu rufen. Einem düsteren Odium gleichend näherte er sich der kleinen Sklavin und sah schweigend und ungerührt über ihren Kopf hinweg auf die Zeichnung.


    Gebannt von der Zeichnung bemerkte Dido nicht, dass ein Schatten über die Gesichtszüge des älteren Sklaven huschte. Didos Kinderaugen betrachteten die Konturen, die ein Dolch in die Wand geritzt hatte und eine Gestalt darstellte. Ein Mann, der alle Viere von sich streckte und aus dessen Hals Blut hervor trat. In seinen Händen hielt er einen Gegenstand, der wie eine Vogelmaske aussah. Über ihm thronte eine andere Gestalt, eine lange spitze Waffe in der Hand halten und aus seinem Rücken schien etwas heraus zu dringen. Es sah aus wie Flammen. Dido verstand nicht, was die Zeichnung bedeutete. Aber dem älteren Sklaven schien die Botschaft einleuchtend zu sein. Didos Finger glitten an einem Pfeil entlang, ebenfalls mit einer metallenen Spitze in die Wand gekratzt. Der Nebel verschluckte die Geräusche ihrer Sandalen als sie auf die Türe zu trat, auf den der Pfeil deutete. Doch dann spürte sie die Hand von Sciurus auf ihrer Schulter, der sie nach hinten zog. Hinter seine Gestalt, die ihr nun den Blick auf die Tür verwehrte, die hölzerne Tür, die durch die Hand des anderen Sklaven geöffnet wurde. Kein Riegel, kein Schloss hinderte Sciurus daran, sie zu auf zu drücken, den Körper angespannt, die Sinne aufs Äußerste geschärft.


    Die vollkommene Schwärze hinter der Tür wurde nur wenig von der Dunkelheit der Nacht, die nur einige Nuancen heller als das Innere des windschiefen Hauses war, gebrochen. Dido, die hinter Sciurus vorbei spähte, erkannte nichts. Sciurus blieb dennoch stehen, während Dido ungeduldig auf den Füßen auf und ab wippte. Aber sie hatte einige Lektionen in dieser Nacht gelernt und sie ahnte, dass Unrast ihr von Nachteil wäre. Dielenbohlen knarrten leise und eine dünne Stimme drang durch die Finsternis. “Quaeso! Adio...adio...“ Ein Hauchen war die Stimme. Angst schwang in jedem Wort mit. “Nichts...nichts tuen! Ein Funken stob auf, noch einer und dann glühte ein kleines Licht in der Hand von Sciurus. Flackernd erhellte der ärmliche Schein den Boden vor den Sklaven. Als er das Licht hoch hob leuchtete es einen Schritt in die Hütte hinein, den Sciurus auch tat, an seinen Fersen die kleine flavische Sklavin. Die nicht nur der Neugier wegen dem Älteren folgte, sondern auch , weil sie nicht alleine draußen stehen wollte.


    Ein Balken ächzte, der Boden stöhnte unter jedem Schritt, den der Sklave in das Haus tätigte. Dido spähte an seinem Rücken vorbei und hielt dem Atem an. Auch, weil ihr unerträglicher Gestank entgegen schlug. Ihre Kinderaugen weiteten sich erschrocken als sie es an dem Balken hängen sah. Der Leib eines Mannes, erhängt an einem groben Strick. Das Licht beleuchtete sein blau verfärbtes Gesicht. Seine Mund war aufgerissen, seine Augen verdreht, selbst die Zungenspitze, die Dido erkannte, war blau angelaufen. Dido machte einen Schritt zurück, weg von dem Leichnam, weg von dem widerlichen Gestank. Erschauernd beobachtete sie, dass Sciurus ungerührt an den Corpus trat und ein Stück Papyrus von seiner Brust riss. Sie konnte nicht sehen, was dort geschrieben war. Sciurus Lippen formten auch keine Worte und ließen sie nicht teilhaben an den Worten. “Auceps sunt! Auceps sunt! Avis mortuus est!“ Erschrocken wich Dido zurück als Sciurus schnell an ihr vorbei trat und in die Dunkelheit griff. Ein lautes Aufquietschen, der ältere Sklave zog eine Frau heraus, aus der Ecke des Raumes, die vor sich hin wimmernd und quiekend gegen seinen Arm schlug, der sie jedoch nicht los ließ. "Wo ist er?"


    Wirr hingen der Frau die schwarzen Haare im Gesicht, das vor Dreck erstarrt schien. Oder war es das Grauen, das sich in die Konturen ihres Gesichtes auf alle Ewigkeit hinein gebrannt hatte? Sie schüttelte immer wieder den Kopf. Ihre Augen flackerten durch die Dunkelheit, sahen mal zu dem kleinen Licht in der Hand des Sklaven, irrte jedoch unstet weiter. Schürfwunden und blaue Flecken verunstalteten ihr Gesicht. Ihr magerer Leib war von einer alten Tunika bedeckt, die von einem Feldarbeiter zu stammen schien. “Nichts tuen...adio...adio...Quaeso!“ Tränen liefen der jungen Frau über die Wange. "Wo ist er?" Es fröstelte Dido als sie die Stimme von Sciurus vernahm. So kalt wie kein Eis klirren konnte. Die Frau wimmerte leise. “Quaeso...adio...adio...nicht verstehn tuen...adio...adio...sagen...ich sagen...Auceps sunt! Auceps sunt! Avis mortuus est...Avis mortuus est!“ Das Licht glühte in ihre braunen Augen als sie den Kopf anhob und Sciurus ansah. Bellum coepisset!“, raunte die junge Frau. Fiebrig glänzten ihre Augen und sie ließ gleich darauf ihren Kopf hängen. “Adio...adio...Quaeso...solum...solum...!“ Ihre Beine knickten unter ihr ein als Sciurus sie, wie es Dido schien, angewidert wieder los ließ. Oder hatte sie einfach nur ihren Zweck für den anderen Sklaven erfüllt? Schon fast hatte Dido den Gestank vergessen bei der Betrachtung des älteren Sklaven, der ihr wie eine Quelle von Mysterien erschien und mit jedem Moment noch mehr. Die Frau schluchzte und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.


    Hastig folgte Dido Sciurus als dieser die Frau und den Toten, der an dem Balken sachte hin und her schwang, hinter sich zurück ließ. Klar und rein erschien die Luft als die Beiden das Haus verließen und durch die menschenleere Gasse eilten. Hinfort von dem Ort, wo einst ein Schatz lag und wo ein Toter die Luft mit widerlichen Miasmen verpestete. Es schien, als ob Sciurus ganz genau wusste, wo er hin wollte. Dido hastete hinter dem Mann her, der sehr viel schneller als sie zu laufen vermochte. Ob etwas auf dem Papyrus gestanden hatte? Dido wusste es nicht.

  • Wie eine zweite Haut schmiegte sich das Papyrus an Sciurus' Leib, welches er in der Düsternis des Mord-behafteten Hauses in den Ausschnitt seiner Tunika hatte verschwinden lassen. Der Krieg hatte begonnen, und er war unversehens zum Boten geworden. Zahllose Gedanken strichen durch seinen Geist, in Bruchteilen eines Herzschlages klassifiziert, bedacht, verworfen, und er kannte nurmehr ein einziges Ziel, welchem er mit schnellem Schritt entgegen strebte. Nebel hielt die Stadt in seinen Fängen gefangen, in kühlen Tropfen drang er durch die Kehle in den Körper ein und weichte ihn von innen heraus auf, durchdrungen nur von den dumpfen Schlieren der Dunkelheit. Erst das Echo seiner Schritte, die achtlos durch eine Pfütze wateten, leichter als die seinen und in schnellerer Folge, ließ Sciurus sich an das Mädchen erinnern, welches ihm mit klopfendem Herzen folgte, darauf bedacht, den blonden Sklaven nicht aus den Augen zu verlieren, an seinen Fersen klebend wie ein nächtlicher Schatten. Sciurus stoppte unvermittelt und drehte sich um, so dass Dido beinah mit ihm kollidierte, vor Schrecken die Luft anhielt und mit großen, gleichsam von Fragen wie von furchtvoller Neugier erfüllten Augen zu ihm empor blickte. Einige Augenblicke starrte der Sklave das Mädchen vor sich nur an, ohne eine Regung, welche seine Gedanken gezeigt hätte.


    "Deine Arbeit ist für heute beendet", setzte er schließlich leise an. "Ich werde dich zurück zur Villa bringen, denn dort, wo ich nun hin gehe, sind die Saturnalien vorbei, dies ist kein Ort für dich. Noch nicht. Komm." Ohne eine weitere Erklärung nahm er Dido bei der Schulter und schob sie neben sich her. Die kleine Sklavin folgte ebenfalls ohne ein Wort, unschlüssig, da sie einerseits wahrlich schon alt genug für alle Geheimnisse und Schrecken der Welt war, andererseits es jedoch nicht unbedingt darauf anlegte, bereits mit allen Geheimnissen und Schrecken der Welt konfrontiert zu werden, denn obgleich sie dies vor niemandem eingestehen wollte, so war sie natürlich längst nicht so abgebrüht, wie sie vor den anderen Kindern, den anderen Sklaven und ganz besonders ihrem Herrn versuchte sich darzustellen. Ohnehin würde sie doch niemals ein Widerwort gegenüber Sciurus wagen, so dass absolut nichts feige daran war, auf seine Anweisung hin in die Villa zurück zu kehren. Nur die Aussicht, den Rest der Saturnalien mit den übrigen nichtsnutzigen Sklaven der Villa Flavia feiern zu müssen, trübte die Aussicht ein wenig, allem voran der Gedanke, ihr Erzeuger Hannibal könnte darauf bestehen, ein Friede-Freude-Eierkuchen-Familienfest aus den Saturnalien zu machen.


    In ihre eigenen Gedanken versunken schnitten die beiden Sklaven das Forum Romanum, auf welchem selbst zu dieser Zeit während der Saturnalien noch immer Feiernde unterwegs waren, und schlugen den direkten Weg zur Villa Flavia ein. Sciurus blieb an einer Straßenecke stehen, schickte Dido allein zum Hintereingang und wartete, bis sie das Anwesen betreten hatte. Einige Herzschläge danach, nachdem er das leise Schlagen der Türe vernommen hatte, entfernte er sich, seinem eigentlichen Ziel entgegen zu gehen.


    Die Dunkelheit verschluckte den blonden Sklaven, welcher in dieser Nacht Teil eines Krieges wurde, von dessen Existenz kein Römer je würde erfahren, während von den sicheren Mauern der Villa Flavia umschlossen die kleine Dido von der Dunkelheit des Schlafes wurde verschluckt, um dort von großen, heroischen Abenteuern in der endlosen Unterwelt Roms zu träumen, welche sie an der Seite Sciurus' heldenhaft bestand.



    ~~~ finis ~~~

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