• Aquilius hatte mir, nachdem er mich zu seiner Leibsklavin gemacht hatte, eine eigene Kammer zugebilligt. Dieser kleine Raum, der direkt an sein Arbeitszimmer angrenzte, sollte von nun an ganz mir alleine gehören.
    Er war mit einigen einfachen Möbelstücken aus Holz ausstaffiert worden. Neben einem kleinen Tisch, einem Stuhl und einem kleinen Schrank befand sich darin auch ein einfaches Bett, sowie eine Truhe, in der ich meine Kleider aufbewahren konnte.
    In dem kleinen hölzernen Schrank hatten meine wenigen Habseligkeiten einen Platz gefunden. Dort hatte ich auch einige Papyri gelagert, auf denen ich einige Lieder aus meiner Heimat niedergeschrieben hatte.
    Den Tisch nutzte ich meist zum schreiben. Darauf befand sich ein kleines Holzkästchen, in dem mein Wachstäfelchen und mein Schreibzeug verstaut war. Außerdem hatte ich dort ein kleines Öllämpchen plaziert, das mir in den Abendstunden ein wenig Licht spendete. Desweiteren stand dort noch eine kleine Figur aus Ton in Form einer Katze, die ich am Saturnalientag geschenkt bekommen hatte.
    Die Katzen hatte ich hier zum ersten Mal gesehen. Nachdem ich diese seltsamen und eigenwilligen Tiere kennengelernt hatte, konnte ich sogar mit einer kleine Kätzin Freundschaft schließen. Ab und an kam sie mich hier besuchen. Ich hatte sie Felis genannt und wenn es ihr beliebte, leistete sie mir Gesellschaft.
    Ein kleines Fenster lies tagsüber ein wenig Licht in den Raum hinein. Über der Tür hatte ich Brigids Sonnenrad aus Stroh angebracht. Wenigstens diesen Brauch wollte ich mir aus meiner Heimat erhalten. Brigid sollte stets ihre schützenden Händeüber mich halten.
    Noch waren die Wände kahl, doch vielleicht könnte ich sie eines Tages gestalten.


    In diesem Raum hatte ich meine Kranheit ausgestanden, bis ich wieder vollkommen genesen war. Ich war dankbar für diese Kammer gewesen, auch wenn sie noch so klein war. Denn dies war mein Reich und ich müßte es nicht mit den anderen Sklaven teilen. Insgeheim hoffte ich, ich müßte nie wieder in diesem Loch, das man Sklavenunterkunft nannte, nächtigen.

  • Völlig außer Atem blieb ich stehen. Die geschlossene Tür hatte ich in meinem Rücken. Erst wollte ich einmal neuen Atem schöpfen. Nach diesem Erlebnis brauchte ich erst wieder etwas Ruhe um wieder zu mir selbst zu kommen.
    Dieser verdammte Mistkerl hatte mich mit dem Messer bedroht und hatte mir auf recht unsanfte Weise in den Bauch geboxt! Noch immer konnte ich die Schmerzen spüren. Das sollte er bereuen!
    Als ich wieder normal atmen konnte, machte ich einige Schritte auf mein Bett zu und ließ mich kopfüber darauffallen. Mein Gesicht vergrub ich in der Decke. Wieder gingen mir Furianus´ drohende worte durch den Kopf. Er hatte mir im balneum damit gedroht, mir monatlich jemanden vorbei zu schicken, dem ich Auskunft geben sollte. Heute hatte er seine Drohung wahrgemacht!
    Ich war noch einmal glimpflich davon gekommen. Was würde mich bei dem nächsten Treffen er warten? Das wollte ich mir erst gar nicht ausmalen! Obwohl, vielleicht würde es ja gar nicht zu einem nächsten Treffen kommen! Schließlich hatte ich dem Kerl eine dreiste Lügengeschichte erzählt und ich konnte davon ausgehen, dass er sie mir abgekauft hatte. Zu dumm, dass er das nicht wußte!

  • Nein! so konnte es nicht weitergehen! Ich mußte mich schützen und vorbereitet sein, auf alle Gefahren, die hier im Haus und in meiner Umgebung auf mich lauerten. Immer deutlicher wurde das Bild vor meinem inneren Auge, wie ich mich in Zukunft selbst vor derlei Situationen bewahren musste. Denn auf Severus konnte ich nicht mehr hoffen, zumal er die meiste Zeit des Tages sich sowieso außerhalb der Villa aufhielt. Also war es an mir, mich selbst zu schützen. Ich benötigte ein Waffe! Nichts auffälliges, etwas was leicht zu bekommen war, wie zum Beispiel ein... Messer.
    Wo gab es hier Messer, an die man problemlos herankam? Natürlich in der Küche!
    Einen Moment überlegte ich, wie ich es am geschicktesten anstellen konnte. Jetzt um diese Tageszeit war wenig los in der Küche. Das würde sich erst in ein, zwei Stunden wieder ändern. Jetzt war die beste Gelegenheit dazu!
    Entschlossen erhob ich mich und schritt zur Tür. Nachdem ich sie langsam geöffnet hatte und mich erst draußen umgesehen hatte, begab ich mich schnellen Schrittes zur culina.
    Wie ich es mir schon gedacht hatte, herrschte dort gerade einsame Stille. Ohne zu zögern, suchte ich in einem Schrank nach dem passenden Messer. Nicht so groß aber auch nicht zu klein. Ich griff außerdem zu einem Tuch und wickelte das ausgewählte Messer darin ein. Dann ließ ich das Päckchen unter meiner Tunika verschwinden.
    So schnell wie ich zur culina gelaufen war, so schnell lief ich auch wieder zurück in meine Kammer, verschloß wieder hinter mir die Tür und legte das Messer offen auf meinen kleinen Tisch, der sich ebenfalls in meiner Kammer befunden hatte.
    Ich setzte mich und schaute gebannt auf das Messer.

  • Ein spitzes Messer mit einer glatten, scharfen Klinge. Gemacht, um Gemüse oder Fleisch damit zu schneiden. Entwendet, um damit gegebenenfalls zu töten.
    Seltsames ging in mir vor. Einerseits gab es mir ein Maß an Sicherheit. Es würde mich beschützen, wenn ich es benutzen würde. Es würde mir so etwas wie Macht verleihen, über den, den ich damit bedrohen würde. Ich könnte damit zustechen, könnte die Spitze und die Klinge in den Körper des Anderen treiben. Ich könnte ein Leben damit nehmen, wenn ich den Mut dazu hätte.
    Doch andererseits war es auch gefährlich, ein solches Instument zu besitzen. Nicht nur, weil ich es gestohlen hatte und nicht die Erlaubnis besaß, ein solches Messer zu besitzen. Nein, es barg auch die Gefahr, im Kampf unterlegen zu sein. Nicht genug Kraft zu haben. Nicht genug Mut zu haben.
    Doch ich war entschlossen! Genug entschlossen, um es zu behalten.
    Ich nahm es und wog es in meiner rechten Hand. Es lag gut darin. Dann nahm ich es in meine Linke. Ich versuchte das Messer zu führen, so als wolle ich zustechen. Wieder sah ich das Gesicht dieses widerlichen Kerls vor mir und immer und immer wieder versuchte ich zuzustechen.
    Ob ich den Mut haben würde, zuzustechen, wenn er wieder vor mir stünde und mich mit seinen dreckigen Fingern berührte und seine Lippen auf meine Lippen presste? Im Augenblick war ich mir gewiss, ich hätte ihn! Er sollte bereuen, für das, was er getan hatte! Haßerfüllt war mein Blick, der wieder auf das Messer fiel. Doch vorerst sollte niemand wissen, dass ich im Besitz eines Messer war. Ich musste es verstecken!
    So wickelte ich es wieder in das Tuch ein und verbarg es zwischen meinen Kleidern, in der Truhe. Dort sollte es bleiben, bis ich es wirklich bräuchte.

  • Auf direktem Weg erreichten wir meine Kammer. Micipsa war mir gefolgt und ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie sehr es ihm entgegen kommen musste, dass niemand uns gesehen hatte.
    Ich öffnte die Tür und bat ihn in meine bescheidene Unterkunft, die jedoch um einiges kompfortabler war, als die Schlafräume der Sklavenunterkunft. Zumindest schlief ich hier alleine, hatte sogar einen kleinen Tisch, nebst Stuhl und der Raum bekam, dank des Hypokaustum im angrenzenden Cubiculum meines Herrn, auch etwas von der Wärme ab.


    Komm doch bitte herein! Möchtest du dich setzen?


    Ich deutete auf den Stuhl, während ich mich ans Fußende meines Bettes setzte.
    Sobald er Platz genommen hätte, wollte ich ihm erklären, was ich noch vor hatte.

  • Ihre Kammer bot immerhin Platz für einige Möbelstücke und wirkte damit um einiges weniger beengend als der Schlafraum, den er sich mit zwei anderen Sklaven teilte. Außerdem war es hier deutlich wärmer, was er etwas überrascht zur Kenntnis nahm.
    Nachdem er ihrer Aufforderung, sich zu setzen, dankend nachgekommen war, blickte er sie fragend an:
    "Und? Worum geht es?"

  • Ich lächelte erst geheimnisvoll, als er mich fragte, worum es ginge. Doch dann kam ich langsam mit der Sprache heraus.


    "Kannst du flechten Micipsa?

    Es war mir ja schom etwas peinlich, ihn zu fragen. Zu Hause war das flechten der strohenen Sonnenräder die Aufgabe der Frauen im Haus. Da allerdings die zeit schon recht weit fortgeschritten war und ich mehr als nur ein sonnenrad flechten wollte, war mir etwas Unterstützung sehr willkommen.


    Es ist eigentlich ganz einfach. Ich kann es dir ja mal zeigen!


    Ich erhob mich und und ging aud den kleinen Schrank zu. Dort kramte ich eine kleine Tasche hervor, in der sich nur Strohhalme befanden. Damit ging ich zu Micipsa und leerte die Tasche auf dem Tisch aus.

  • Sein Blick folgte ihr, während sie zum Schrank eilte, eine Tasche hervorzog und einen Moment später deren Inhalt über dem Tisch ausbreitete. Strohhalme? Was versteckte die Keltin wohl noch alles hier?
    "Nicht wirklich. Ich habe einige Male Korbflechtern bei ihrer Arbeit zugesehen, aber..."
    Was sie mit diesen Halmen anstellen wollte, blieb vorerst ein Rätsel für ihn.

  • Bevor ich begann, Micipsa zu erklären, woru es eigentlich ging, holte ich noch eine weitere Öllampe, die uns noch etwas mehr Licht spenden sollte. Dann beugte ich mich vor ihm hinunter, damit ich mit ihm auf Augenhöhe war.


    Es ist viel einfacher als Korbflechten! begann ich zu erklären.


    Man benötigt sechzehn lange Strohhalme, vier für jede Seite. Diese knickt man einmal in der Mitte, siehst du, so! Dann fügt man erst zwei Halme in der Mitte zusammen und fügt anschließend die die anderen zwei noch hinzu. Das macht man anschließend auch mit den anderen Halmen so.


    Ich war sehr konzentriert und bemühte mich, es Micipsa so plausibel, wie möglich zu erläutern.


    Wenn man alle Halme miteinander verbunden hat, bindest man jeden der vier Strahle am unteren Ende zusammen. Und wenn das Sonnenrad fertig ist, sieht es so aus.


    Ich hielt ihm ein fertiges Sonnenrad, welches ich bereits vor einigen Monaten gefertigt hatte, vor die Nase.


  • Aufmerksam folgte er ihren Erklärungen. Na, das sollte doch zu schaffen sein! dachte er, während er das kleine Sonnenrad vor seinen Augen einer eingehenden Betrachtung unterzog.
    Er griff nach einigen Halmen und ging daran, ihre Anweisungen zu befolgen, musste aber bald feststellen, dass es für ihn und seine großen Finger deutlich komplizierter war als erwartet. Erst nach einigem Herumhantieren gelang es ihm, die Strohhalme so in der Mitte zu verbinden, dass das entstandene Gebilde Bridhes Sonnenrad zumindest ähnlich sah.
    "Und wie bindet man jetzt die Enden zusammen? Mit einem neuen Stück Stroh?" fragte er, ihre Reaktion abwartend.
    Wenn man sich sein noch unvollendetes Sonnenrad so ansah, hatte sie wohl allen Grund, ihn auszulachen.

  • Es war doch erstaunlich, wie gut er das Sonnenrad gleich beim ersten Verusch zustande gebracht hatte! Micipsa hatte sich wirklich große Mühe gegeben, obwohl ihm manchmal seine eigenen Finger im Weg waren! Aber das war für mich kein Grund, um über ihn zu lachen! Nur derjenige, der wusste, wie kompliziert eine solche Arbeit für einen Ungeübten war,wusste das Resultat daraus zu schätzen. Deshalb bestärkte ich ihn noch, statt mich über ihn lustig zu machen. Nun musste er nur noch die Enden zusammenbinden.


    Das hast du wirklich gut hinbekommen! lobte ich ihn.


    Ich glaube, mein erstes Sonnenrad, sah auch nicht besser aus! Die Enden musst du jetzt nur noch mit einem Strohhalm zusammenbinden, schau so!


    Ich nahm ihm das Strohgebilde aus der Hand und band ein Ende mit einem Halm ab und gab es ihm wieder, damit er die drei noch fehlenden Enden selbst noch zusammenbinden konnte.


    Welche Feste feiert denn dein Volk? Gibt es auch so eine Art Frühlingsfest, dort wo du herkommst?


    Ich musste zu meiner Schande gestehen, dass ich nichts aber auch rein gar nichts über Micipsa wusste! Nach meiner peinlichen Fragerei am Tage seiner Ankunft, ob denn alle so schwarz in seiner Heimat wären, wie er, hatte ich es besser gelassen, weiter dumme Fragen zu stellen. Er hatte damals nur erzählt das er in einer Stadt, die Leptis oder so ähnlich hieß, gelebt hatte. Es kursierten natürlich auch die wildesten Gerüchte um den schwarzen Mann in der Villa, respekive im Sklaventrakt der Villa. Aber auf solche Gerüchte gab ich nicht viel! Mich interessierten vielmehr die Tatsachen!

  • Er verknotete die übrigen Enden, wie Bridhe es vorgemacht hatte und begutachtete anschließend das Ergebnis. Zufrieden stellte er fest, dass ihm die Flechterei mit ihrer Hilfe doch halbwegs gelungen war.
    "In Leptis werden etwa zu dieser Zeit die Feierlichkeiten zu Tanits Ehren begangen, der alten Fruchtbarkeitsgöttin. Die ausgelassene Stimmung auf den bunt geschmückten Straßen habe ich dabei immer sehr genossen.
    Von den Göttern meines Volkes ist mir hingegen nicht viel geblieben. Nur vage Erinnerungen. Und das hier:"

    Er zog den Anhänger hervor, der bis dahin unter seiner Tunika verborgen gewesen war und der eine menschenähnliche Gestalt mit Krone und Sonnenscheibe zeigte.
    "Mandulis. Der nubische Sonnengott. Aber - ebenso schnell wie er horvorgeholt worden war, verschwand der Anhänger auch wieder - letztendlich vertraue ich sowieso mehr auf mich selbst als auf die Hilfe der Götter.
    Was nicht bedeutet, dass ich deinen Glauben nicht respektieren würde!"
    hob er beschwichtigend die Arme.

  • Ich nickte Micipsa aufmunternd zu, als er das fertige Sonnenrad etwas hochhielt! Das hatte wirklich gut genacht! Als er dann meine Fragen nach den Festen seines Volkes beantwortete, hörte ich aufmerksam zu. Der Namen der fremden Göttin Tanit,war ungewohnt für meine Ohren und ich versuchte mir bildlich dieses ausgelassene Treiben in den Strassen, so wie es Micipsa beschrieben hatte, vorzustellen. Dieses Fest musste sozusagen der krasse Gegensatz zu Imbolc sein, das vergleichsweise eher ruhig und bedächtig gefeiert wurde.
    Doch mir fiel auch plötzlich eine gewisse Melancholie in seiner Stimme auf, als er über seine eigenen Götter sprach. Davon war ihm nicht viel geblieben, bis auf einen Anhänger, der die Göttin Mandulis darstellen sollte. Ich konnte gerade noch einen Blick darauf erhaschen, bevor er den Anhänger wieder unter seiner Tunika verschwinden ließ. Es machte mich etwas traurig, dass er keine großen Erwartungen mehr in die Kraft seiner Götter legte. Diese Erwartungen halfen mir zum Beispiel, das Leben einigermaßen zu akzeptieren, wie es war. Das Wissen, dass es etwas Höheres gab, das mich beschützte, gab mir immer wieder neue Kraft.


    Es muß sehr schwierig sein, sein ganzes Leben in der Fremde leben zu müssen. Ich meine, hast du dir nie vorgestellt, wie dein Leben verlaufen wäre, wenn du bei deinem Volk aufgewachsen wärst und eine eigene Familie hättest?


    Für meinen Teil, war meine Familie immer das Wichtigste im Leben gewesen. Ohne sie wäre ich nichts gewesen! Über deren Verlust half mir nun der Glaube an meine Göttin und das Wissen, dass sie mich beschützte und sie auch meine Familie in der fernen Heimat beschützen würde. Imbolc zu feiern, bedeutete deshalb, mit meiner Familie eins sein zu können, wenigstens für einige Stunden.

  • Über ihre Worte musste er erst einmal nachdenken. Natürlich hatte er sich schon oft Gedanken gemacht über seine Herkunft, Familie und alles, was sonst noch dazu gehört. Doch dabei war der Nubier jedesmal zu der Einsicht gelangt, dass es ihn ihm Leben weitaus schlimmer hätte treffen können. Warum sich also beklagen? Ubi bene, ibi patria, wie Cicero erklärt hatte.
    "Wir können uns unser Leben nunmal nicht aussuchen.
    Und nicht vorhandene oder verloren gegangene Erinnerungen dadurch zu ersetzen, dass man sich ausmalt, wie sein Leben unter anderen Voraussetzungen verlaufen wäre, macht aus meiner Sicht wenig Sinn."

    Bei Bridhe war das natürlich etwas anderes. Immerhin hatte sie ihrer Erzählung nach bis vor kurzem in ihrer Heimat gelebt.
    "Glaubst du denn daran, dass du jemals zurück auf deine Insel kommst?" lenkte er das Thema wieder in eine etwas andere Richtung.

  • Ja das stimmte allerdings! Das Leben konnte man sich wirklich nicht aussuchen. Auch wenn man es bis zu einem bestimmten Punkt voraus ahnen konnte, war es doch jederzeit möglich, dass es ganz anders kam, wie es kommen sollte. Hätte man mir vor zwei Jahren erzählt, ich würde einmal in einem völlig fremden Land, bei fremden Menschen leben müssen, hätte ich sicher laut lachen müssen. Doch unverhofft kommt oft, wie es so schön hieß. Innerhalb weniger Minuten hatte sich mein Schicksal verändert. Je öfter ich darüber nachdachte, was wäre wenn, suchte mich eine Traurigkeit heim. Manchmal machte es mich auch richtig wütend! Was wäre denn gewesen, wäre ich nicht gestolpert und hingefallen? Sie hätten mich wahrscheinlich nicht erwischt. Ich wäre entkommen. Ich würde jetzt zu Hause sein, auf meine Geschwister aufpassen, meinen Vater versorgen und irgendwann einmal käme vielleicht jemand vorbei, der mich zur Frau haben wollte.
    All diese Gedanken und Erinnerungen begannen, mich zu quälen. Ich wollte sie nicht abstellen, denn sie waren meine letzte Verbindung nach Hause. Doch wenn ich meine Erinnerungen wieder bildlich vor mir sah, konnte ich es nicht ertragen, ohne dabei fast zu zergehen. Ich war wie benommen und fühlte mich wie in einem Taumel, der niemals mehr aufhören wollte.
    Micipsas Frage holte mich wieder zurück ins hier und jetzt. Wenn ich ehrlich war, glaubte ich nicht mehr daran, doch um mich selbst zu beruhigen, wollte ich daran glauben.


    Die Hoffnung stirbt zuletzt, Micipsa! In meinen Träumen kehre ich jede Nacht wieder zurück.


    Die fröhliche Beschwingtheit, die ich noch bis vor kurzem inne hatte, war wie verflogen.

  • Nicht zum ersten Mal wurde er Zeuge von Bridhes Stimmungsschwankungen. Ein falsches Wort, eine missverständliche Frage genügte, um eine gutgelaunte in eine grübelnde, trübsinnige Frau zu verwandeln. Und umgekehrt. Wenn man die Hintergründe ihres Verhaltens nicht kannte oder zu kennen glaubte, musste man fast annehmen, sie befände sich in besonderen Umständen. Da dafür aber ansonsten scheinbar nichts sprach, wie Micipsa mit einem unauffälligen Blick feststellte, versuchte er sie aufzumuntern. Auch das nicht gerade seine Stärke.
    "Man weiß nie, was das Schicksal mit uns vorhat. Qui fuit rana, nunc est rex!* Diese Unsicherheit macht immerhin auch einen Reiz des Lebens aus."
    Dass es seiner Meinung nach immer noch wahrscheinlicher war, ihre Geschwister hier in Rom wiederzusehen als in Hibernia, vom gleichen Schicksal ereilt wie sie selbst, sprach er besser nicht aus.
    "Benötigst du eigentlich weitere Sonnenräder?" fragte er mit Blick auf die immer noch vor ihnen ausgebreiteten Strohhalme. "Oder soll ich nun gehen?"



    Sim-Off:

    * Gestern ein Frosch, heute ein König!

  • Nachdenklich nickte ich auf Micipsas Worte hin. Allerdings hatte es das Schicksal mit mir in der letzten Zeit nicht besonders gut gemeint! Sicher, es gab auch hin und wieder einige kleine Lichtblicke, doch im Großen und Ganzen wogen diese nicht das auf, was mir aufgebürdet worden war. Trotz dass ich in einem großen Haus mit unzähligen Bewohnern lebte, fühlte ich mich doch einsam und verlassen.
    Seine Frage ließ mich aufblicken.


    Bitte geh noch nicht! flehte ich ihn an
    .
    Wenn du nicht gehen musst, dann bleib doch noch.


    Die Sonnenräder waren nebensächlich geworden. Ich könnte sie auch noch am Abend oder morgen in
    der Frühe herstellen. Außerdem, wozu sollte ich auch soviele benötigen? Im Grunde genommen war ich doch die Einzige hier, der sie etwas bedeuteten.

  • Da Bridhe offensichtlich für den Moment das Interesse daran verloren hatte, ließ auch Micipsa die Bastelei auf sich beruhen und richtete seine Aufmerksamkeit stattdessen wieder verstärkt auf das, was sie sagte. Der flehende Tonfall, in dem sie die letzten Worte gesprochen hatte, machte ihn stutzig. War sie tatsächlich so verzweifelt? Was in ihrem Kopf wirklich vor sich ging, war für den großen, dunkelhäutigen Mann nur schwer nachzuvollziehen. Immer wenn man glaubte, die junge Keltin hätte diese Phase überwunden, drohte sie scheinbar von einer neuen Welle von Verzweiflung und Trübsinn übermannt zu werden.


    Jedenfalls kam er ihrer Bitte nach und blieb sitzen. "Das mag jetzt etwas hart klingen, aber so wie ich das sehe, bleibt dir wie jedem Sklaven hier nur die Möglichkeit, sich mit der Situation, wie sie eben ist, zu arrangieren. So gut es eben geht. Einen angemessenen Familienersatz wirst du hier natürlich kaum finden, aber zumindest ein gewisses Maß an Unterstützung kann sich das Hauspersonal gegenseitig schon bieten." Im Allgemeinen spielte Neid und Missgunst unter den Sklaven eines Haushalts in der Regel eine mindestens ebenso große Rolle wie bei den Römern selbst, wie der Nubier nur zu gut wusste. "Wenigstens wir beide stehen wohl kaum in einem Konkurrenzverhältnis, was die Aufgabenverteilung und die Gunst des Herrn angeht", fügte er mit einem kleinen Lächeln im Gesicht an.

  • Ich war Micipsa wirklich dankbar. Jetzt hier wieder alleine sein zu müssen, hätte ich nicht ertragen.
    Es war mir klar, hier keinen Familienersatz zu finden. Aber es konnte doch so etwas wie Freundschaft geben. Man konnte einander doch helfen, wenn man in Schwierigkeiten war oder sich nicht gut fühlte. Je länger ich hier war, umso mehr tat es weh, an die Heimat erinnert zu werden. Es tat weh, sich damit abzufinden, dass allmählich die Erinnerungen verblassten und man zu einer verwaisten Heimatlosen wurde.


    Ich danke dir, dass du noch etwas bleibst. Diese Einsamkeit halte ich nicht aus. Irgendetwas geschieht mit mir und ich kann nicht sagen, was es ist.


    Im Zuge meiner Planung zum Imbolcfest, war es immer wieder einmal vorgekommen, dass ich mich plötzlich schlecht fühlte. Des Öfteren litt ich unter Kopfschmerzen und war immer sehr müde. Ich dachte erst, ich würde wieder krank werden. Doch nichts dergleichen. Es war mysteriös!

  • Es kostete ihn keinerlei Überwindung, hier zu bleiben. Dazu schätzte er die Keltin mittlerweile doch zu sehr. Aber was es mit ihrem Befinden auf sich hatte? Irgendetwas geschieht mit mir und ich kann nicht sagen, was es ist. Den Gedanken, dass es sich bei ihren Auffälligkeiten ganz einfach um ihren Normalzustand handeln konnte, hatte er schnell wieder verworfen. Den merkwürdig abwesenden Ausdruck gepaart mit dem glasigen Blick, den ein vom Fieberwahn Befallener für gewöhnlich trug, konnte er an ihr auch nicht erkennen.
    Zurück also zu seiner früheren Vermutung. Sie wäre ja nicht die erste junge Sklavin, die aus ihren Begegnungen in einem römischen Haushalt körperliche Folgen davontrug, ganz unabhängig davon, welche Geschichten über sie der Wahrheit entsprachen und welche nicht.
    "Sag mal. Hast du schon einmal daran gedacht...also du wirst dich damit natürlich besser auskennen als ich, aber..."
    Er unterbrach sich selbst. Es war nicht seine Art, in Geprächen mit anderen Menschen herumzustottern oder auszuweichen, war es noch nie gewesen.
    "Du könntest schwanger sein!?" sagte er stattdessen gerade heraus.

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