Es war ein kühler Abend im Süden Parthiens. Kein Wind zerzauste das Haar, kein Regen durchnässte die Kleidung, als würde die Natur den Atem anhalten und auf etwas warten.
Mit angezogenen Beinen saß Bashnín auf einer dieser Mauern und ließ seinen Blick über die Stadt schweifen. Die Nacht würde in den nächsten zwei Stunden hereinbrechen, schon jetzt war Dura in die warmen Farben der Abendsonne getaucht. Die Geschäftigkeit des Tages verlangsamte sich, bis sie demnächst völlig zum Erliegen kommen würde, so wie jeden Tag. Orangerot schimmerte das Holz seines Bogens, an welchem Bashníns Blick nun hängen blieb. Als wäre es ein einfacher Stock lag die Waffe neben ihrem Besitzer auf dem Boden. Nur zu bald würde er mit ihr Söhne, Väter und Brüder in den Tod schicken, würde das Blut von Parthias Feinden den Boden vor der Stadt tränken. Solange sie nur nicht die Wälle bezwangen…
Es war Zeit für ein kleines Abendessen, bestehend aus etwas Brot und Käse sowie gegrilltem Ziegenfleisch, dazu Wein. Ein einfaches Essen, nichtsdestotrotz äußerst schmackhaft. Bashnín genoss sein Mahl, er wusste, die Vorräte würden schon bald gekürzt werden, wenn die Römer vor den Mauern der Stadt standen. Sicher, die Scheunen waren prall gefüllt, in weiser Voraussicht hatte man die Vorräte in den Kornkammern aufgestockt und blutige Opfern verboten, um das wertvolle Fleisch nicht zu verschwenden, doch beherbergte Dura nicht nur die Stadtbewohner, auch eine ganze Armee mitsamt Befehlshabern und deren Stab und Tross hatte sich hier eingefunden. Es wunderte Bashnín, dass die Stadt noch nicht aus allen Nähten platzte. Noch mehr wunderte ihn, dass es vergleichsweise wenig Probleme gab, kaum Streitereien oder Raufereien, auch die sonst üblichen Betrunkenen waren nur schwer zu finden. Ihm konnte es recht sein, war er mit seinen über 30 Sommern ohnehin einer der Älteren und Abgeklärteren. Selbstverständlich war er auch nicht so naiv, daran zu glauben, dass die Soldaten und Stadtbewohner in einem plötzlichen Anfall von Vernunft so agierten. Sie waren beunruhigt wegen den herannahenden Römern und nicht wenige von ihnen waren diesbezüglich zwiegespalten. Der Handel mit den Römern hatte hier so manche Familie ernährt, der Krieg hingegen hatte diese Geldquelle fast zum versiegen gebracht. Mit den Legionen vor den Toren der Stadt würde sie gänzlich austrocknen.
Diese Probleme hatte das parthische Heer nicht, es war in den letzten Tagen und Wochen mit umfassenden Vorbereitungen beschäftigt gewesen, unter anderem mit der vorsorglichen Verstärkung der Westmauer. An den anderen Seiten der Stadt waren solche Bemühungen nicht notwendig, Dura lag auf einem flachen Plateau an einem Steilufer des Euphrattales, so dass die Stadt etwas oberhalb des Flusses lag. Im Norden und Süden gab es tiefe Schluchten, die dem Plateau natürliche Grenzen und auch Schutz boten. Nur zum Westen hin öffnete sich die Stadt zur Wüste. Auf eben dieser Westmauer stand Bashnín.
Seine dunklen Augen blickten die Mauer entlang. Noch standen nur wenige Bogenschützen, wie er selbst einer war, hier und hielten Wache. Die Nervosität, welche von der Stadt Besitz ergriffen hatte, war inzwischen auch bis hierher vorgedrungen. Schon mehrfach hatte es Fehlalarme gegeben, wurden junge Burschen ermahnt, die einen Wüstenstrauch als herannahende Armee identifiziert hatten. Nur zu früh würden sie hier, Mann neben Mann, dicht aneinander gepfercht, stehen und dem Feind entgegen blicken, wer konnte es ihnen da verdenken, dass sie übereifrig waren? Sie gehörten zur Elite, sie würden die Stadt womöglich vor Schlimmerem bewahren. Parthische Bogenschützen – die besten der Welt und sie wussten es. Wie viele hundert Römer würden sie töten können, ehe sie überhaupt an die Mauern gelangten?
Der Blick des Soldaten glitt weiter, streifte die Wüste, welche direkt vor ihm lag und kam am nahen Fluss an. Auf jenem Fluss waren seit er denken konnte Handelsschiffe gefahren, oftmals so viele, dass sie bedrohlich wie eine Armada wirkten. Doch nun, kein Einziges. Würde Dura fallen, die gesamte Region fiele mit der Stadt. Nun nützte all der Reichtum und Wohlstand nichts, der sich hier angesammelt hatte, nun hieß es lediglich, diesen zu verteidigen.
Bashníns Mahl war beendet, Brot, Käse und Fleisch aufgegessen, der Weinschlauch geleert. Ein wohliger Seufzer entkam seiner Kehle, doch er erhob sich, die Krümel von seiner Kleidung klopfend. Noch einmal bückte der Parther sich, um seinen Bogen aufzuheben. Lächelnd, fast liebevoll betrachtete er die kunstvollen Schnitzereien, welche das Holz zierten. Den Kopf hebend sah er in die Ebene hinab.
Bald würden sie hier sein.