atrium | Stolz und Vorurteil

  • Leone verblieb dieses Mal an der porta, zu oft hatte man ihn gerügt, weil er das Portal allein gelassen hatte, um Besucher selbst hineinzubegleiten. Stattdessen hatte er einen Sklavenjungen geschickt, welcher dem Senator und seiner Begleitung den Weg weisen würden, den sie ohne Zweifel auch allein gefunden hätten. Im atrium angelangt, bedeutete der Junge dem Senator, bei der Sitzgruppe nahe des impluvium Platz zu nehmen.


    Daraufhin winkte er, damit man dem Senator etwas zu trinken kredenzen möge, sowie ein wenig Obst oder leichte Häppchen, sollte er dies wünschen. Dlie Sklaven kannten jene Prozedur bereits, und der Junge entfernte sich wieder.

  • Ohne einen Blick für die Pracht der Villa folgte Gracchus dem Sklaven, gefolgt von seinem eigenen Sklaven, lehnte mit einem Wink aus der Hand heraus das Angebot ab, Platz zu nehmen, und blieb statt dessen am impluvium stehen, die Kiefer wieder aufeinander gepresst, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, den Blick starr auf das sanft wogende Wasser gerichtet, die opaquen Spiegelungen auf dessen Oberfläche und eine Welt dahinter, welche nur er zu sehen vermochte. Der Sklave Sciurus verharrte unweit von ihm neben einer Säule, regungslos, doch mit seinem Blick die Umgebung auf das Genaueste taxierend, in seiner Hand ein rundes Behältnis, in welchem nicht nur zu vermuten stand, dass eine Schriftrolle es enthielt, sondern dies tatsächlich auch der Fall war.

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  • Da ich meinen Besucher weder erwartet noch einen Ahnungsschimmer hatte, warum er mich gerade jetzt aufsuchte, ließ ich mir ein wenig Zeit auf dem Weg ins atrium, und dachte über den Besuch nach. Es handelte sich um eine private Angelegenheit, hatte mir der Junge mitgeteilt, was mich noch um einiges mehr verwunderte. Ob es etwas mit dem Tod der Vestalin zu tun hatte? Oder er mich gar wegen der geplanten Verbindung zwischen Prisca und Aquilius aufsuchte? Trotz allen Grübelns zu keiner Antwort gekommen, betrat ich schlussendlich das atrium und gewahrte Gracchus, stehend am impluvium. Seine Miene war für mich undeutbar, so trat ich ihm entgegen und verbarg die sichtbare Überraschung auf meinem Gesicht nicht.


    "Senator Flavius", hörte ich mich sagen, wohl wissend, dass die Benutzung seines cognomen während des gräuelichen Ereignisses vor dem Tempel der Vesta seinerzeit mir eigentlich nicht zugestanden hatte, aber dennoch herausgerutscht war. "Was führt dich her? Ich muss gestehen, dass ich einigermaßen überrascht bin. Etwas Wein?" fragte ich und deutete auf eine der gepolsterten Bänke, die Gracchus bereits zuvor ausgeschlagen hatte.

  • Als Corvinus seinen Namen sprach, kehrte augenblicklich Gracchus' Aufmerksamkeit in gegenwärtigen Raum und Zeit zurück, und mit ihr jenes Ressentiment und jene Aversion gegen den Hausherren, welche in Gracchus anfänglich waren erwachsen, aus Furcht sein Vetter Caius könnte in irgendeiner Weise dem Aurelia nachhängen, doch in diesem Augenblicke nicht etwa ob seines Vetters wegen. Er war unterdessen letztlich gar überzeugt gewesen, durch Aquilius' Hochzeit in die Aurelia würde eine gute Verbindung zustande kommen, hatte insbesondere zu Corvinus eine leichte Vertrauensbasis verspürt, da er stets geneigt war, jenen Männern zu vertrauen, welchen sein Vetter seine Freundschaft schenkte, doch all dies war mit einem Schlage zerbrochen.
    "Salve, Aurelius. Danke, kein Wein, ich werde ohnehin nicht lange bleiben."
    Ein Blick zu Sciurus hin ließ jenen an die beiden Männer herantreten, das Behältnis öffnen und die Schriftrolle daraus hervor ziehen. Er entrollte sie und reichte das Schriftstück an Corvinus, es war eine Abschrift eines Artikels aus der letzten Acta Diurna, respektive des Artikels Klatsch und Tratsch, inmitten dessen der kurze Abschnitt zur Nachkommenserwartung eines gewissen Vorzeigepaares, namentlich erwähnt, von welchem ein Teil eben im Atrium der Aurelia stand.
    "Ich verlange eine Erklärung, Aurelius, für jene Invektive, welche du in der dir anvertrauten imperialen Zeitung publiziert hast."
    Mühsam nur beherrschte Gracchus seine Stimme, doch gleichsam wartete er nicht auf eine Erklärung. Seit jenem Zeitpunkt, da er die Abschrift der Zeilen hatte gelesen, gereichte allein der Gedanke daran dazu, Wut in ihm empor steigen zu lassen, unbändige Wut, genährt durch jenes eigene körperliche Versagen, welches beständig im Hintergrund seiner Gedanken herum spukte und schwer auf seinem Gemüt lastete.
    "Erst lässt du meinen Vetter Aquilius in deinem Theaterstück diffamieren, und nun das! Erreichst du nicht aus eigener Kraft deiner Gens jene Würde zu verleihen, welche ihre Herkunft verdient hätte? Musst du unsere Gens hinab in den Schlamm ziehen, um über sie zu triumphieren? Ich warne dich, Aurelius, wenn ich noch einmal den Namen meiner Gemahlin oder irgendeines anderen Mitgliedes meiner Familie im Zusammenhang mit solch impertinenten, desavouierenden Behauptungen in dieser Zeitung werde lesen, dann wirst du den Tag noch bereuen, an welchem du um die Aufgabe als Auctor der Acta Diurna batest, dies garantiere ich dir!"
    Es geschah dies nicht oft, dass Gracchus seinem Zorn solchermaßen freien Lauf ließ, doch wenn dies geschah, dann stets deswegen, da er die Familie in Gefahr sah.

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  • Nicht nur Gracchus' offizielle Aufmachung, auch seine Haltung in Verbindung mit der gezeigten Mimik ließen ein ungutes Gefühl in mir erwachsen, noch ehe er überhaupt meine Begrüßung erwiderte. Als er dies sodann tat, hob ich fragend eine Braue und wandte meine Aufmerksamkeit hernach nur flüchtig der Abschrift eines Artikels der letzten acta zu, welche mir der Sklave des Flaviers reichte. Schließlich kannte ich diesen Artikel, da ich jede neu erscheinende Ausgabe der Zeitung sorgfältig las und schlussendlich auf meine Verantwortung hin freigegab. Mein Blick - und damit meine Aufmerksamkeit - ruhte nun abermals auf dem Gesicht meines Besuchers und suchten die Nuancen seiner Verstimmung zu erfassten. Dennoch kam die Forderung nach einer Erklärung unerwartet. Wie ein Fels in der Gischt des Meeres stand ich hernach vor Aquilius' Vetter und ließ mich umschäumen, darauf bedacht, Ruhe zu bewahren. Gracchus, so dachte ich mir insgeheim, war ein Mann, dem schlicht und ergreifend etwas Humor fehlte. Ob er je mehr als das Mindestmaß besessen hatte oder ihm der Witz einfach abhanden gekommen war, vermochte ich nicht zu wissen. Und so befand ich mich bereits nach meiner zweiten Ausgabe der acta auf dem Prüfstein, und das in meinem eigenen atrium und vor einem Menschen, bei dem ich niemals vermutet hätte, dass er zu einem solchen Ausbruch überhaupt fähig war.


    Was war hier wohl nun klüger? An Gracchus' eventuell nicht vorhandenen Humor zu appellieren oder kleinbei zu geben? Ich entschloss mich nach einem kurz währenden Moment des Schweigens weder für das eine noch für das andere, sondern wählte eine Art Weg auf der Schneide des Damoklesschwertes. Wie jenes hernach fallen würde, konnte die Geschicke unserer beider Familien bestimmen. Mich hatte in nicht ungefährlichem Maße seine Annahme verärgert, ich wolle meine über seine Familie stellen. Zudem war die Bemerkung über meine Mühen bezüglich meiner gens nicht ganz ohne Spur an mir vorübergegangen. Nun waren es meine Lippen, welche sich schmälerten. Doch gezwungen ruhig rollte ich zufürderst die Abschrift zusammen, derer es nicht bedurft hatte, ehe ich zu der Antwort ansetzte, welche Gracchus verlangt hatte.


    "Als auctor der acta diurna bin ich für jedes Wort verantwortlich, welches publiziert wird, das ist korrekt. Ich sah in diesem humoristischen Artikel weder Diffamierung noch Abwertung irgendeines der Erwähnten. Viel eher bereitete mir ein anderer Artikel Kopfzerbrechen, doch nicht dieser. Was dort geschrieben steht, wurde Mitarbeitern der acta zugetragen und spiegelt nicht die Meinung eines bestimmten subauctors oder gar die meine wider. Zudem wurde der Artikel in einer Klatschspalte veröffentlicht - einer Rubrik, in welcher sich die Aurelier nur allzu oft selbst befinden, wie du zwei Absätze oberhalb der Erwähnung deines Namen wirst feststellen können." Ich schwieg einige Herzschläge lang und reichte dem Sklaven des Flavius sodann den Papyrus. "Als Marcus Corvinus bleibt mir indes nur übrig, dir zu versichern, dass Verleumdungen nicht das waren, was erzeugt werden sollte. Es mag vielleicht mein Fehler gewesen sein, die Inszenierung in die Hände anderer zu legen und mich nicht selbst hierum zu bemühen, doch war es mir anders nicht möglich - und das Ergebnis schien auch dich belustigt zu haben an jenem Abend. Der ein oder andere wird gewiss fiktive Namen mit realen assoziiert haben, das ist nicht von der Hand zu weisen... Dennoch bleibt das Ergebnis rein fiktiv und wurde auch so aufgenommen. Es lag jedenfalls nie in meiner Absicht, Caius zu infamieren, noch jemanden aus deiner gens, dessen kannst du dir gewiss sein." Ich hielt kurz inne. "Zumal wir alle parodiert wurden, mich selbst auch eingeschlossen."


    Dass ich nicht um die Position des auctor gebeten hatte, sondern dieses Angebot überraschend an mich herangetragen worden war, verschwieg ich, denn das tat hierbei nichts zur Sache. Und fortwährend fragte ich mich nach dem wahren Grund für diesen Auftritt. Gracchus konnte doch kaum wirklich der Meinung sein, ich würde danach streben, seine Familie entweder zu übertreffen oder zu infamieren. Unangenehm schlug mir hierbei auf, was Aquilius mir über Gracchus erzählt hatte an jenem Vormittag im Garten des flavischen Anwesens. Und wenn Gracchus nun tatsächlich ähnliche Ansichten besaß wie Aquilius? Eine steile Falte bildete sich auf meiner Stirn. Eindrücke von der Begegnung vor dem Tempel drängten sich in mein Bewusstsein. Mir wurde klar, dass ich eine Menge riskierte, und dass ich mir eine solche Situation ganz gewiss nicht gewünscht hatte. Dennoch riskierte ich es. "Du kommst nicht nur deswegen", stellte ich mehr fest als ich fragte, und setzte mich.

  • Tatsächlicherweise besaß Gracchus einen äußerst feinsinnigen Humor, von welchem jedoch womöglich über den Lauf seines Lebens hinweg ihm durchaus ein wenig war abhanden gekommen, den verbliebenen Anteil davon verbarg er für gewöhnlich in seinem Inneren, ließ nur dann ihm einen Freiraum, wenn er sich wohl, respektive sicher fühlte - zudem fehlte jener gänzlich, so die Chose seine Familie betraf. Was ebenfalls gänzlich ihm fehlte, war Übung im Umgang mit handfesten Kontroversen, denn obgleich er sich theoretisch äußerst vielfältig in der Art und Führung der Disputation hatte geschult, so war er praktisch ein Mensch, welchem die Harmonie ein sehr drängendes Bedürfnis war, und der darum stets mehr den Konsens denn die Konfrontation suchte. Indes, die Geschehnisse der vergangenen Wochen und Monate - das Auftauchen seines similären Bruders, die unmögliche Situation seiner jüngeren Schwester, der Mord an seiner älteren Schwester, die Verwirrungen um Caius und die Nähe, welche sie sich letztlich endlich einander hatten zugestanden, und schlussendlich die Erkenntnis, dass kein Nachkomme er je in die Welt würde setzen, samt der Annäherung an seine Gemahlin Antonia und die erneute Beteiligung Caius in dieser Causa - dies alles hatte dazu gereicht, Gracchus' Gefühlswelt mehr als nur in reagible Schwingungen zu versetzen, fürwahr hatte dies alles ihn innerlich völlig aus der stets so vorgefahrenen Bahn geworfen, so dass es für den flavischen Wahn, welchen ein jeder von ihnen im Blute trug, nun ein leichtes war, sich ab und an seinen Anteil am Geschehen zu nehmen. Doch war der Funke erst entzündet und das lodernde Feuer entfacht, ließ es Gracchus ein wenig unschlüssig und ratlos vor dem brennenden Scheit zurück, so dass er bereits zum zweiten Male in nicht allzu langer Zeitdauer vor dem Aurelier stand und gleichsam sich selbst hatte vergessen wie auch, was weiter musste oder sollte geschehen. Was hatte er erwartet? Er sog tief Luft durch seine Nase, so dass deren Flügel marginal erbebten, ein leiser Schmerz zog allmählich durch seine rechte Wange, da er noch immer seine Zahnreihen aufeinander drückte als könne er alles Übel zwischen ihnen fassen, auf dass nichts davon in die Welt hinaus entfleuchte. Aurelius' als Frage getarnte Feststellung und der Umstand, dass er sich setzte, brachten Gracchus letztlich vollkommen aus seinem ohnehin kaum noch vorhandenen Konzept. Wo eben noch die kriegerische Trireme Gracchus in wilder Fahrt auf die Trireme Corvinus frontal hin zusteuerte, in entschlossener Absicht, jene auf den tiefsten Grunde des Okeanos zu versenken, da wurde ihr augenblicklich jeder Wind aus den Segeln genommen, so dass diese schlaff und lasch in lauen Brise baumelten, und das Schiff sanft auf den leichten Wogen des Meeres schaukelte. Flucht. Es war der erste Reflex, welchen Gracchus hatte perfektioniert, doch selbst hierfür fehlte der Wind augenblicklich. Da er nichts anderes zu tun wusste, setzte Gracchus sich ebenfalls, dem Aurelius gegenüber. Mit einem Male hatte er das Gefühl, dass nun er selbst derjenige war, welcher in die Bedrängnis geriet, sich zu erklären.
    "Die Familie ist letztlich das einzige, das uns bleibt, Aurelius. Zumeist wollen wir diese Weisheit unseren Väter nicht glauben, da sie uns aufoktroyiert und durch ständiges Repetieren abgenutzt erscheinen mag, doch letztlich bleibt nur diese Erkenntnis. Caius ist nicht nur mein Vetter, er ist ... mehr noch mein Freund, denn ich habe mehr Zeit mit ihm verbracht, mehr mit ihm geteilt als je mit einem anderen Menschen. Ich weiß dass er dies nicht würde gut heißen, er ist in mancherlei Hinsicht äußerst stur und möchte alles ohne Unterstützung erreichen, doch wo ich dies vermag, werde ich stets dafür Sorge tragen, dass kein Schatten das Licht seiner Person verdunkelt. Auch wenn du dies weißt, er dies weiß, und ich dies weiß, dass jenes Ende deiner Inszenierung ein fiktives war, so warf es kein gutes Licht auf seine Person, gleich ob es humoristisch gewesen sein mochte oder nicht. Ein Mann, welchem man nachsagt, durch die Betten dutzender Ehefrauen Roms zu ziehen, mag vordergründig Empörung hervorrufen, doch insgeheim wird er von allen Männern beneidet ob seiner Virilität und von allen Frauen begehrt, da sie sich selbst von ihm begehrt sehen möchten. Ein Mann jedoch, welchem man nachsagt, mit einem einzigen Mann die Bühne zu verlassen, mag vordergründig belächelt werden, doch insgeheim wird er abfällig als Grieche tituliert und auf der nächsten Cena wird kein Mann mehr neben ihm seinen Platz finden wollen, aus Furcht vor seinen widernatürlichen Neigungen."
    Obgleich die Wut in Gracchus' bereits verflogen war, so war seine Stimme von einer tiefgründigen Ernsthaftigkeit durchzogen, denn er wusste sehr gut, wovon er sprach, nicht umsonst hatte er all die Jahre in Rom stets darauf geachtet, seine eigene Neigung nicht publik werden zu lassen. Denn während die Gefährten seiner späten Jugend in Achaia stets versucht hatten, mit den durch sie verführten jungen Damen und Sklavinnen sich gegenseitig zu übertrumpfen, hatte er nur geschwiegen, so dass jene, welche nicht um seine Neigungen wussten, ihn - wenn auch vordergründig freundschaftlich - als Versager hatten deklariert, und jene, welche darum wussten, immer ein wenig Abstand zu ihm hatten gehalten, aus der Furcht heraus, er könne ihnen zu Leibe rücken, während gleichsam sie stets darauf gewartet hatten, dass er über den nächstbesten Gefährten würde herfallen, so dass sie ein extravagantes Schauspiel würden geboten bekommen. Einzig Caius hatte ihm je weder Vorwürfe, noch Misstrauen entgegen gebracht, gegenteilig ihn mehr als einmal in Schutz genommen, und einzig Marcus hatte Gracchus Scherze ob dessen gestattet, da jene nie beleidigend oder treffend gewesen waren, sondern ihnen stets Aristides' unverblümte Leichtigkeit hatte angehaftet.
    "Was den Artikel betrifft, so habe ich vor den Göttern geschworen, meine Gemahlin zu schützen, jedes Übel von ihr abzuwenden. Jene Gerüchte, welche allgemeinhin in der Acta Diurna publiziert werden, sind ohnehin längst in Rom bekannt, doch die festgeschriebene Erwähnung berechtigt dazu, sie auszusprechen, gerade dann, wenn sie positiver Natur sind oder dieser scheinen. Niemand wird dich nach einer gelösten Verlobung fragen, Aurelius, denn dies ziemt sich nicht in unseren Kreisen, doch eine Hochzeit oder ein Nachkomme, dies sind Thematiken, welche bestens dazu gereichen, sie bei einem Aufeinandertreffen zum Anlass seichter Konversation zu nutzen."
    Er war fest entschlossen, auch nur jeden noch so marginalen Anschein von Makel von Antonia abzuwenden.
    "Caius bezeichnet dich als seinen Freund und ich war stets geneigt, jenen Männern, welchen er dieses Vertrauen entgegen bringt, ebenfalls mehr als üblich zu vertrauen."
    Vermutlich deswegen, da Gracchus selbst nie hinter das Geheimnis des Konzeptes der Freundschaft gekommen war, abgesehen von jener, welche auf familiären Banden beruhte.
    "Zudem werden unsere Familien ohnehin durch seine Hochzeit bald enger miteinander verbunden sein, gleichsam wie auch die Zeit die Wahrheit nicht verhehlen kann. Es wird keinen Nachkommen in meiner Ehe geben. Was also sollte meine Gemahlin in seichte Konversation verwickelt auf solcherlei publizierte Desinformation entgegnen, ohne dabei aus Scham im Boden zu versinken?"
    Wohl war Gracchus sich dessen bewusst, dass für Corvinus mit dieser Offenheit die Wahrheit auch ohne Aussprache würde deutlich werden, denn kein Mann ihres Standes würde an einer Ehe festhalten, in welcher die Frau nicht fähig war, ihm einen Nachkommen zu gebären, doch galt es längst nur noch, jeden falschen Verdacht von Antonia fern zu halten, gleich wie erniedrigend dies für ihn selbst mochte sein. Letztlich blieb nur die Flucht nach vorn.
    "Verzeih, ich war eben ein wenig voreilig. Ich denke, ein Schluck Wein wäre womöglich nun nicht eben die schlechteste Wahl, so nach meinem forschen und sicherlich ein wenig ungebührlichen Verhalten du noch bereit bist, mich als dein Gast zu konnivieren."

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  • Von all jenen Dingen, die Gracchus beschäftigten und welche schlussendlich zu seinem Besuch hier geführt hatten, war mir nichts weiter bekannt. Einzig der gewaltsame Tod seiner Schwester und der Schwierigkeit seiner engeren Beziehung zu Aquilius – falls denn wahrhaftig vorhanden - waren mir bekannt. Bei all den Feindseligkeiten und Problemen, die ich in den letzten Wochen innerhalb meiner eigenen Familie zu bewältigen hatte, fiel der Zorn des Flaviers auch nicht weiter ins Gewicht. Zwar war ein solches Verhalten einem Beinahefremden gegenüber weder üblich noch angemessen, doch sah ich darüber hinweg. Die kürzlich verstrichene Vergangenheit war schließlich auch für Gracchus nicht gerade ideal verlaufen, zudem würden wir baldig miteinander verschwägert sein, zumindest in weitestem Sinne.


    Als er Platz genommen hatte, sah ich ihn aufmerksam an. Er wirkte bei weitem nicht mehr so zielstrebig wie noch vor wenigen Augenblicken, was mich zugegebenermaßen irritierte. Irritierte insofern, dass ich Gracchus als einen Mann sah, der niemals leichtfertig zu Gefühlsausbrüchen jeglicher Art neigte, geschweige denn sich einfach den Wind aus den Segeln nehmen ließ. Seit geraumer Zeit war er derjenige, an dem ich mich – wie ich mir inzwischen selbst eingestand – orientiert hatte und dies tat ich manches Mal immer noch. Sei es nun die Arbeit eines decemvir gewesen oder die Art seines Auftretens, welche mich zumeist wünschen ließ, selbst derart gefasst und souverän zu wirken wie er. Nichtsdestotrotz war ich eigen, und ich wusste, dass ich niemals die virtutes so würde leben und verinnerlichen können wie Gracchus, dessen pure Existenz mich dennoch ehrgeizig zu Verbesserungen meinerselbst anstachelte. Seine Worte empfand ich als ungewöhnlich kraftlos, gar deprimiert, was mich dazu veranlasste, verwundert wie skeptisch zugleich die Augen zu schmälern, während ich ihn ansah. Im Verlauf seiner Worte jedoch verstand ich, und die Gewissheit schlich sich in die Vermutung, Gracchus sei zumindest partiell wie Aquilius. Seine Stimme war bereits einige Momente verstummt, als ich träge nickte. „Caius ist mein Freund. Der engste, den ich habe. Er weiß in vielen Belangen weitaus mehr von mir als meine Verwandten. Mir liegt seine Unbescholtenheit ebenso am Herzen wie dir selbst. Ich würde diese Freundschaft niemals leichtfertig aufs Spiel setzen, noch zulassen, dass ihm jemand Schaden zufügt, so ich dies verhindern kann.“ Diese Versicherung mochte vielleicht Gracchus zu weiteren Spekulationen anregen, doch meinte ich vollkommen ernst, was ich sagte, und dieser Ernst spiegelte sich auf meinem Gesicht durchaus wieder. Die Angelegenheit diese Tragikomödie betreffend war indes etwas heikler. Wie sollte ich hierzu etwas sagen, ohne Gracchus zu kränken oder ihm zu offenbaren, was ich wusste, gar selbst erlebt hatte? Ich fuhr mir mit der Zungenspitze über die Lippen, dekuvrierte somit die Nervosität, die mir plötzlich innewohnte. Nichts schien ich mir nun sehnlicher zu wünschen als einen Becher Wasser - um die Lippen zu benetzen und gleichsam Zeit zu schinden. Ich wollte mich nur ungern vor meinem Gegenüber verstellen, würde es doch einer Abwertung Gracchus’ gleichkommen, wenn ich behauptete, niemand würde je etwas so Entsetzlichem Glauben schenken. Meine Achtung ihm gegenüber gebot mir nachdrücklich, ihn nicht zu belügen, und mein Selbstwertgefühl verhalf mir zu den richtigen Worten. „Wir überschätzen oft, wer wir sind, doch wir sollten zumindest für uns selbst akzeptieren, was wir sind“, sagte ich in leiserem Tonfall und sah hernach Gracchus an. Vielleicht würde er es verstehen. „Ich für meinen Teil werde niemanden aufgrund eines schlecht inszenierten Theaterstücks dehumanisieren. Die Menschen setzen ebenso schnell Dinge in die Welt, wie sie sie vergessen, wenn man diesen Geschichten die Nahrung entzieht.“ Ich zögerte nur einen flüchtigen Moment, dann hängte ich an: „Mit der Wahrheit zu leben bedeutet, in die Zukunft leben zu können, ohne sich vor seinem eigenen Spiegelbild zu beschuldigen, nur um damit sich und anderen zu gefallen, Gracchus.“ Es wäre sinnfrei gewesen, ihn angesichts dieser Worte mit Senator oder Flavius zu betiteln, daher gab ich es auf und griff abermals auf die vertrautere Anrede zurück, wie schon bei unserer Begegnung am Tempel der Vesta. Eine steile Falte hatte sich indes auf meiner Stirn manifestiert, vom Ernst der Worte kündend, als hätte der Ton allein nicht schon hierfür gereicht. Das Thema dieses regelrecht auf uns lastenden Gesprächs versetzte mich um Jahre zurück und beschwor Bilder und Szenen herauf, die ich tief in mir vergraben hatte, damit niemand sie je mehr fand. Der Aufenthalt in Griechenland war in vielerlei Hinsicht interessant und anders gewesen. Auch die Szenerie im flavischen Garten vor nicht allzu langer Zeit stieg aus den Untiefen meines Geistes empor, verwirrend und drängend gleichermaßen, als ich mich der Gefühle erinnerte, die mich neben Aquilius sitzend beschlichen hatten.


    Darum bemüht, die Ganzheit meiner Aufmerksamkeit erneut auf Gracchus zu richten, sah ich auf und wieder ihn an. Die Wahrheit absprechen konnte ich ihm nicht ganz, doch sie ihm zuzusagen, war ich auch nicht im Stande. „Die Nachfrage mag sich nicht gehören, doch ein Gesprächsthema wird sowohl das eine noch das andere ohne Zweifel dennoch sein, gerade beim Pöbel. Spekulationen wird es immer geben, Gracchus, ganz besonders über Angehörige unseres Standes. Es liegt jedoch an uns selbst, wie wir damit umgehen. Deine Gemahlin wird nicht im Zugzwang sein, wenn sie sich nicht selbst darin sehen will. In jedem Falle kann sie sich glücklich schätzen, einen Ehemann zu haben, welcher jedweden Makel von ihr abwenden will. Du weißt ebenso gut wie ich, wie wichtig es ist, die Götter zu Ehren und sie nicht zu vernachlässigen. Gewiss liegt es an der schlechten Lage des cultus deorum dieser Tage, dass euer Elternglück auf sich warten lässt.“ Obwohl ich meiner Stimme die mir größtmögliche Überzeugung verlieh, schien Gracchus dennoch fest vom genauen Gegenteil überzeugt. Er stellte mit einer unumstößlich anmutenden Gewissheit fest, dass es keinen Erben geben würde, was mich selbst wiederum dazu veranlasste, die Stirn zu runzeln und nachzudenken. Zum passenden Anstoß gereichten schließlich jene Worte über das Vertrauen innerhalb einer Freundschaft. Ich bemühte mich, bei der darauffolgenden Erkenntnis möglichst ausdruckslos zu wirken, und ein mir unangenehmes Schweigen breitete sich aus, während ich mit dieser Kognition gedanklich jonglierte. So es an Gracchus’ Gemahlin lag, würde sich eine Trennung in unmittelbarer zeitlicher Nähe ereignen, wenn nicht…


    Unwillkürlich duplizierte ich Gracchus’ vermeintliche Schwachstelle auf mich selbst und gelangte zu der Feststellung, dass ich trotz diverser Kontakte ebenfalls nicht sicher sein konnte, meiner späteren Pflicht als Ehemann nachkommen zu können. Mit einem etwas flauen Gefühl im Magen drängte ich diese Gedanken hinfort, und an die nun freie Stelle rückten augenblicklich Mitgefühl und jähes Verständnis besagten Artikel betreffend. „Ich werde bei den zukünftigen Ausgaben auf Diskretion in dieser Sache achten“, versprach ich schlicht. Beileidsbekundungen hielt ich für unangebracht, war dies doch eine recht delikate Angelegenheit. Dass Gracchus dies gerade mir offenbarte, touchierte mich, und in der auf die Worte folgenden Stille fragte ich mich, ob er diese Information nur Aqiulius’ wegen anvertraute, oder ob es einen anderen Grund gab außer jenem, die Gewissheit zu haben, dass die acta nicht nochmalig etwas dieser Art publizieren würde.


    Schlussendlich zierte ein flüchtiges Lächeln mein Gesicht, und ich winkte einen der Diskretion wahrenden Sklaven heran, damit er uns etwas zu trinken brachte. „Es gibt nichts zu verzeihen. Jeden anderen hätten die Ereignisse noch sehr viel weiter aus der Bahn geworfen. Ich schätze dich und deinen Intellekt, was, so denke ich, kein Geheimnis ist. Es würde mich freuen, so du noch etwas Zeit erübrigen kannst.“ Ein Sklave reichte uns nun zwei Kelche aus ägyptischem Glas an. „Auf den Wert der Familie“, sagte ich und vergoss einen Schluck für die Götter, ehe ich den Pokal selbst an die Lippen setzte.

  • Der engste, den ich habe. Irrational war die Furcht, welche in Gracchus ob Corvinus' Worte erwuchs, erneut schlich ein Hauch von Eifersucht durch die Räume seines Gedankengebäudes, gerade so filigran, als dass er mit einem direkten Blicke nicht zu fassen war, nur allenthalben in den Augenwinkeln als diffuser Schatten sich abzeichnete und sich sogleich verflüchtigte, so Gracchus versuchte ihn zu fixieren. Doch mochte bisweilen der Aurelier womöglich auch mehr in Aquilius sehen denn nur einen Freund, Gracchus vertraute seinem geliebten Vetter, mehr als sonst irgendwem auf dieser Welt, und jener hatte die Furcht längst von ihn genommen, in eindringlichen Worten und eindringender Tat, so dass im Grunde sie nicht mehr war vorhanden - wenigstens so lange niemand die massive Türe zum Kellergewölbe des mentalen Gebäudes hin aufschloss, die Tausend krummen Stufen aus tief schwarzfarbenem Granit dort hinab stieg, den Deckel der schweren, eisernen Truhe anhob und letztlich noch die dünne, lederne Schicht entfernte, welche jenen kleinen Kern stetigen, furchtsamen Zweifels umhüllte, welchen Gracchus bezüglich seines Geliebten dort hatte verborgen.
    "Für uns selbst mögen wir akzeptieren können, was wir sind, Aurelius. Doch dies bedeutet längst nicht, dass die Welt um uns herum dies tut. Gleichsam mag die Welt vergessen, so man das Fundament der Erinnerung ihr entzieht, doch wie können wir diese Grundlage ihr entziehen, wenn wir doch sind, was wir sind und gleichsam dies nicht verleugnen können, ohne uns selbst dabei zu verlieren?"
    Es sagte dies kaum mehr als eine substanzielle Philosophie aus für jenen, welchem nicht gegeben war, auf jene grazile Schwingung zu reagieren, welche unweigerlich in Gracchus' Tonfall anklang, doch gleichsam schufen seine Worte eine Brücke zum anderen Ufer, so der Schall dieser auf einen Klangkörper stieß, welcher ihn zu fassen vermochte. Ein leises Gefühl beschlich Gracchus selbst beim Anblick seines Gegenübers, das reagible Schwingen feinster Sinne, Gräsern gleich, die im Winde erzitterten, ident dem Erbeben marginalster Härchen im Inneren der Nase im Hauche eines fremden Odeurs oder jener Membran im Inneren des Ohres beim Herannahen eines Flüsterns. Er war schön, jener Aurelius Corvinus - harmonische Züge umschmeichelten starke, ausdrucksvolle Augen, die Lippen schwangen sich in perfekter, ebenmäßiger Linie und allenthalben durchfurchte die Verwunderung seine Stirne, was einen Ausdruck von starkem Charakter ihm verlieh. Zu früheren Zeiten, vor Jahren einmal, mochte dieser Anblick dazu gereicht haben, Gracchus' Sinne schwindeln zu lassen, ihn zu übergießen mit einem wohligen Schauer dürstenden Verlangens, einem warmen Sommerregen gleich, ihn eintauchen zu lassen in einen Ozean aus dahintreibender, vergeblicher Sehnsucht - doch dieser Tage war alles Verlangen gestillt, jede Sehnsucht erfüllt, und seine Sinne von tiefster Zufriedenheit hinsichtlich seiner Bedürfnisse saturiert. Caius war alles, nach was sein Herzen es je hatte gedürstet, und er war kein Mann, welcher sich nach Erreichen seiner Ziele in blinde Willkür musste ergeben, um die Suspense des Reizes aufrecht zu erhalten, gegenteilig wusste er genau, dass sein Leben lang er sich würde in nie endender Hingabe, in ewiglich währender Euphorie an seinem Geliebten würde delektieren können, ohne dass auch nur eine Spur von Ennui würde in ihm erwachsen, denn beständige Sicherheit war ihm weitaus agreabler denn abwechslungsreiches Abenteuer, von welchem ohnehin nur ihm wurde allzu schnell blümerant vor Augen. Die Wahrheit zu leben indes bezog sich in diesem Augenblicke nicht nur auf jene brisante Nähe zu seinem Vetter, welche er zwar nicht würde verleugnen können, doch gleichermaßen nie würde freiwillig offenbaren, sondern gleichsam auch auf den ihm innewohnenden Makel, für welchen es keine Alternative gab denn nicht ihn zu verhehlen, um von seiner Gattin ihn dadurch abzuwenden.
    "So die Götter uns dies verwehren, muss ich lange vor dem Staat sie bereits erzürnt haben. In manchen Angelegenheiten jedoch sind selbst die Götter machtlos und müssen dem Schicksal sich beugen. Doch es ist müßig darüber zu sinnieren, glaube mir, ich habe dies lange genug getan und längst nicht beendet."
    Letztlich begann und endete alles mit jenem Fluch, welcher beständig auf der Flavia zu lasten schien, doch selbst dessen war Gracchus sich längst nicht mehr gänzlich sicher. Manch eine Begebenheit im Leben indes erfüllte einen klandestinen Zweck, welcher erst weit danach wurde deutlich, manches mal allfällig niemals in diesem Leben dies mochte werden.
    "Dennoch danke ich dir für das Angebot deiner Diskretion, wie auch ich trotz allem weiter eingestehen muss, dass mein Auftreten in der Tat mehr als unangemessen war."
    Ein sublimes Lächeln kräuselte langsam Gracchus' Lippen, versuchte in seiner marginalen Spannung diejenige aus seinem Inneren zu lösen.
    "Beinahe bin ich versucht anzunehmen, es sei deine Person, welche bald regelmäßig dazu gereicht, mich aus der geradlinigen Bahn meiner Selbst hinaus zu katapultieren. Ich hoffe darob, wir werden im Senat stets auf gleicher Seite stehen oder zumindest nicht vis á vis."
    Immerhin gab es im Senat zwischen gleichen Seiten und vis á vis eine Menge diffizilster Grade, in welchen man zueinander stehen konnte. Für einen kurzen Augenblick sog Gracchus seine Unterlippe zwischen die Zähne, bevor er weiter sprach.
    "Dies ist sonstig tatsächlich nicht meine Art, derart impulsiv zu reagieren, es ist nur ... nun, sobald es die Familie tangiert, wirft das Leben augenscheinlich mich ein wenig rapider und resoluter aus der Bahn als gewöhnlich."
    Es war dies durchaus ein wenig blamabel, denn obgleich die Familie einer jener wichtigsten Werte der römischen Gesellschaft war, bedeutete dies Eingeständnis dennoch eine Schwäche. Ungleich unangenehmer jedoch war jene Eröffnung, welche Corvinus folgen ließ, denn dass jener ihn und seinen Intellekt schätzte, dies mochte ihm und womöglich auch anderen kein Geheimnis sein, Gracchus indes war es bis dahin nicht unbedingt bewusst. Selten sah er sich in einer Position, in welcher von anderen er geschätzt wurde, zudem war im Angesichte solcherlei ihm stets unbehaglich, da fortwährend hinter der Ästimation er ein Missverständnis vermutete, aus jenem Grunde da er einen Eindruck erweckt haben mochte, welcher nicht im mindesten seine Person tatsächlich wiederspiegelte, und sogleich selbst sich der Subreption schuldig sah, da solcherlei Wertschätzung gänzlich jener Vorstellung entgegen stand, welche er selbst von sich hegte. Es drängte ihn danach, sich zu rechtfertigen, sich zu exkulpieren für jenen falschen Eindruck, welchen er erweckt haben mochte, doch Aquilius hatte geduldig ihm ausgetrieben, solchermaßen zu reagieren, da dies die Situation im Allgemeinen nurmehr verkomplizierte, so dass er solcherlei höchstens seinem Vetter gegenüber noch wagte. Gracchus schwieg darob diesbezüglich - denn was auch er würde sagen, es würde letztlich nur in einer notdürftigen Rechtfertigung enden - fasste den Kelch aus schimmerndem Glas, vergoss ebenfalls einen Schluck den Göttern zu Ehren, und hob hernach ihn an.
    "Auf den Wert der Familie."
    Während der kühle, verdünnte Wein - obgleich er keinen sonderlich ausgeprägten Gaumen für den Saft der Reben besaß, so musste selbst Gracchus bemerken, dass dies ein äußerst passabler Tropfen war - über ihre Lippen hinweg perlte, ihre Rachen umspülte, um letztlich die Kehlen hinab zu rinnen und wohlig in ihren Mägen sich auszubreiten, hing die Stille des Schweigens schwer in der Luft zwischen ihnen. Da die Situation indes bereits solchermaßen gegeben war, dass er im Hause des Aurelius eben jenem gegenüber saß, und zudem es sich anbot, um vom eigentlichen Thema ein wenig ab zu kommen, sprach Gracchus denn die Zukunft an.
    "Wirst du dich zur kommenden Amtszeit erneut zur Wahl für den Cursus Honorum aufstellen lassen? Dein Vigintivirat war immerhin äußerst erfolgreich, so dass einer Quästur kaum wohl etwas entgegen steht."
    Kaum einen Zweifel hegte Gracchus daran, dass Corvinus sich würde bei Zeiten für ein weiteres Amt aufstellen lassen, doch ein Mann, welchem die rechten Mittel und damit die Möglichkeit gegeben war, nicht auf ein senatorisches Amt mit aller Gewalt hin zustreben zu müssen, um die maroden Kassen wieder aufzufüllen, konnte sich immerhin Zeit dabei lassen, die Stufen des Cursus Honorum zu erklimmen, und seine Aufmerksamkeit dabei durchaus auf andere Pflichten konzentrieren.

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  • Die Lippen schürzten sich im Verständnis, als ich den Kopf neigte ob der Worte Gracchus’. Letztendlich blieb es unser Umfeld, was uns beurteilte, kritisierte und vom Taugenichts zum angesehenen Mann erhob. Die Welt, wie sie einen jeden von uns sah, war ein Teil unseres Seins. Es schien keine passende Antwort auf Gracchus’ Formulierung zu geben, zumindest wollte mir keine in den Sinn kommen, und so schwieg ich, versonnen in meinen Gedanken und den Blick nachdenklich auf ihm ruhend. Das Gespräch hatte eine ebenso unerwartete wie jähe Wendung genommen, wie ich ein wenig verwundert feststellte. Hinfortgeweht war der Sturm, in welchem Gracchus in die villa gesegelt war, und was zurückgeblieben war, ähnelte am ehesten einer sanften Brise in der Abenddämmerung. Ich hob einen Mundwinkel und sagte schlussendlich doch noch etwas dazu, unterbrach so die mir unbewusste Musterung seitens meines Besuchers. „Man sagt zwar, dass die Kunst des Lebens darin bestehe, zu lieben was man tut, statt zu tun was man liebt, doch habe ich selbst bisher die Erfahrung gemacht, dass das Sein leichter ist, wenn man beides beherzigt und nicht nur eines.“ Und auch, wenn ich in einem Punkt damit gehörig auf die Nase gefallen war, so bemühte ich mich doch, nicht nur die Pflichten zu erfüllen, die meine Position innerhalb der Familie und auch innerhalb der Gesellschaft mit sich führte, sondern versuchte gleichsam, das zu tun, was ich gern tat – auch, wenn dies selten nur möglich war. Gracchus würde schon verstehen, wie ich es meinte.


    Auf seine erneute Beteuerung hin erwiderte ich nichts. Ich war nicht sonderlich nachtragend, und angesichts der Umstände, die Gracchus hierher geführt hatten, war ich nicht gewillt, ihm einen Vorwurf zu machen. Zudem baldig eine Verbindung unserer beider Familien anstand, und ein Zwist keine gute Basis hierfür war. Danach stand mir nicht der Sinn. Ein erheitertes Schmunzeln zeigten meine Züge, kaum dass Gracchus auf seine Entgleisungen in meiner Gegenwart anspielte. “Dies ist auch meine Hoffnung, doch ich glaube nicht, dass es allzu viele Punkte gibt, die wir absolut gegensätzlich betrachten.“ Vermutlich gab es sogar gar keine. Zumindest keine, welche den Senat tangierten. Immerhin schienen wir auch der gleichen Auffassung zu sein, was die Familie anbelangte, und Gracchus’ nachfolgende Bemerkung erinnerte mich nur zu deutlich an mich selbst. “Ein Umstand, denn ich vollumfänglich nachvollziehen kann“, bemerkte ich daher und neigte den Kopf ein wenig zur Seite, die Lippen zu einem ebenso feinsinnigen wie beschämten Lächeln verzogen. Nur noch schwach sah man die Schnitte auf meinen Unterarmen und Händen, die von meiner eigenen Entgleisung Helena betreffend zeugten, aber dennoch waren sie vorhanden und erinnerten mich an meine eigene Fehlbarkeit. Doch wohl nichts konnte die Seele eines Mannes so sehr belasten wie die Erkenntnis, keinen Erben zeugen zu können. Obwohl inopportun, brachte ich Gracchus mein tiefstes Mitgefühl hierfür entgegen, doch hütete ich mich davor, ihm das zu sagen. Ich selbst wäre mir erniedrigt vorgekommen, wie musste er sich dann erst fühlen, wo er über die Phase der Spekulation bereits hinaus zu sein schien? Nein, ich schwieg besser. Es langte bei weitem, wenn Gracchus sich seine Gedanken machte, da musste nicht auch noch jemand ihn vor den Kopf stoßen.


    Ich stellte den Glaspokal auf die ebenmäßige Oberfläche des Tischchens, die aus kleinen Mosaiksteinchen in verschiedensten Blauschattierungen bestand, und musterte Gracchus ein weiteres Mal. Es war gewiss keine unglückliche Verkettung von Zufällen, dass Aquilius Gefallen an ihm gefunden hatte, ihn gar liebte. Sie waren sich ähnlich und doch wieder divergent, gleich einer piacevolen Melodie, der man gern lauschte. Dem Umbruch des Gesprächsthemas schloss ich mich, nachdem den Blick losgerissen hatte, gern an, auch wenn ich zweifelnd drein sah. Immerhin konnte mein Vigintivirat nicht ganz so erfolgreich gewesen sein, wie Gracchus behauptete. Gewiss hätte man mich dann für eine Auszeichnung in Erwägung gezogen, was jedoch noch nicht der Fall gewesen war bis dato. „Das ist eine Frage, die ich mir schon eine geraume Weile selbst stelle, wenn ich ehrlich bin. Es ist nicht so, dass ich in Eile wäre. Vielmehr strebe ich danach, meine Aufgaben gewissenhaft zu erledigen, und was meine Position als septemvir angeht, muss ich gestehen, dass ich noch nicht allzu zufrieden mit den von mir erbrachten Leistungen bin. Ich habe mich letztendlich allerdings doch für die Kandidatur zum quaestor entschlossen, da ein Amt im cursus honorum meine Tätigkeit im religiösen Sektor nicht gänzlich ausschließt. Meine Hoffnung hierbei ist, vom Senat in Rom eingesetzt zu werden. So kann ich dem Septemvirat auch weiterhin achgehen. Zudem gedenkt mein Neffe, das freiwillige Tribunat abzuleisten, und wird aufgrund dessen mit Sicherheit die Stadt verlassen. Ich würde ungern meine Basen und Nichten auf sich allein gestellt hier zurücklassen, sollte man mich in einer Provinz sehen wollen.“ Helena, Minervina und Prisca allein unter Sklaven – das konnte nicht gut gehen... Ich verdrängte den Gedanken daran. “Und wie steht es mit dir? Wenn ich nicht irre, käme für dich das Amt des aedilis curulis in Frage. Wirst du dich zur Wahl stellen?“

  • Die Stille, welche sich für einige Herzschläge zwischen ihnen ausbreitete, war keine jener Art, welche unangenehm auf das Gemüt schlug und welche man darob eiligst versuchte, zu vertreiben, es war ein klandestines Flüstern im eisigen Winterwind, Atemhauch im flirrenden Licht eines heißen Sommertages, gleich dem Rascheln nackter Füße auf weichem, anschmiegsamem Frühlingsgras, gleich dem säuselnden Vorhang fallender Herbstregentropfen, ein merkwürdiges Verständnis, welches zwischen ihnen hing. Corvinus' Worte durchsegelten diese Stille in einer sanften Strömung, das sublime Lächeln auf seinen Lippen malte zarte, von den Strahlen einer aufgehenden Sonne in lachsfarbene Couleur getauchte Cirrocumuli vor den seichten, hellblaufarbenen Himmel, auf welchem die Bewegung seiner Hand, den Pokal abstellend, feine, konzentrische Kreise hinterließ, gleich einem Stein, welcher die ruhige Oberfläche eines Sees durchstieß, um zum Grunde dessen hinab zu sinken.
    "Das politische Amt mit der kultischen Pflicht zu vereinen, erscheint auch mir nicht einfach. Es bleibt stets so viel zu tun, allem voran dann, wenn nicht mit nichtigen Halbherzigkeiten man sich zufrieden geben möchte, und noch viel mehr, wenn im Grunde die Zeit ohnehin knapp ist."
    Wie geschickt ein Mann auch seine Zeit organisieren und einteilen mochte, stets gereichte das Schicksal dazu, sie ihm dann zu rauben, wenn es ihm bereits an ihr mangelte, während an ohnehin ob ihrer Ödnis fatiganten Tagen kaum je Unerwartetes geschah, was Zeit für sich einforderte.
    "Dennoch bin ich der Meinung, dass dies ebenso Chancen bietet, welche einem Magistraten oder Angehörigen eines Collegium nicht gegeben sind. Gerade jene Quaestoren, welche sekretarische Aufgaben wahrnehmen, haben einen nicht unerheblichen Einfluss auf jene, welche sie mit diesen Aufgaben unterstützen. Nicht nur ob dessen kannst du mit meiner Stimme rechnen, sowohl in Hinsicht auf die Wahl, als auch deinen Wunsch in Rom zu bleiben betreffend. Es ist wichtig, dass die Collegien besetzt sind, gleichsam kann ich deine Bedenken hinsichtlich der Familie durchaus nachvollziehen. Wir tragen stets Verantwortung für jene, welche uns nahe sind, doch es ist schwer, dieser nachzukommen, so sie fern sind."
    Einen Moment lang dachte er an seine Schwester, welche sich auf eines der Güter außerhalb der Stadt hatte zurück gezogen - ein Grund hierfür war unbezweifelt auch ihr Wunsch seiner Verantwortung und Reichweite zu entkommen, denn in patrizischen Familien galten andere Gesetze denn die des Staates, welche einem Mitglied sui iuris die Verfügungsgewalt über sich selbst allzu bald zugestanden. Lange hatte Gracchus mit sich in Hader gerungen, was diesbezüglich zu unternehmen sei, doch letztlich tolerierte er dies ebenso wie die Untätigkeit seines Bruders, nicht nur ob dessen, da solange sie fern Roms weilten, sie nicht nur nicht der Pflicht ob des Staates und der Familie konnten nachkommen, sondern gleichsam sie auch nicht in rebellischer Weise gegen sie konnten aufbegehren - wie er bei Minervina stets die Befürchtung hegte, dass sie solcherlei in ihrer Impulsivität würde tun. Es brachte darob weder Ruhm, doch auch keine Schande über die Familie, so dass Gracchus dies nicht weiter wollte in Frage stellen und sich an der daraus resultierenden diesbezüglichen Ruhe erfreute, da das Leben in Rom ohnehin stets für genügend anderweitige Aufregung Sorge trug.
    "Ich selbst haderte ebenfalls ob meiner Pflichten als Pontifex mit der Entscheidung, das Aedilat anzustreben, unbezweifelt ist es eines der arbeitsintensivsten Ämter, zudem nicht eben ein kostengünstiges Unterfangen. Doch letztlich ist es längstens Zeit dazu, zudem bin ich der Ansicht, dass gerade in der augenblicklichen Situation es von eminenter Bedeutsamkeit ist, die Stabilität des Staates zu wahren, worauf eben die Aedile großen Einfluss nehmen können, sind sie es doch, welche für Kontrolle und Einhaltung zahlreicher Verordnungen Sorge tragen, welche das alltägliche Leben Roms tangieren."

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  • Ahnungslos ob der poetischen Ader meines Gesprächspartners - und daraus resultierend auch ahnungslos seine lautmalerischen Gedanken betreffend - legte ich unwillkürlich die Fingerspitzen aneinander, die Unterarme auf die Oberschenkel gebettet. Ich hob einen Mundwinkel zu einer Art flüchtigem Lächeln, während Gracchus von der Schwierigkeit sprach, die man als politisch und religiös engagierter Mann haben konnte. "Du vergisst, dass ich im letzten Dreivierteljahr durchaus Zeit hatte, mich ausschließlich den Pflichten eines septemvir zu widmen", erwiderte ich. "Das wird sich im kommenden Jahr ändern, sollte ich gewählt werden. Du als Senator dürftest es da um einiges schwieriger haben, all jene Pflichten zu vereinen." Gracchus war schließlich nicht nur pontifex, sondern auch Senator, was bedeutete, dass seine Zeit ohnehin schon knapp bemessen war. Noch dazu, wenn er für ein weiteres Amt kandidierte.


    "Gerade jetzt, da der alte imperator im elysium weilt und sein Nachfolger noch nicht in Rom ist", pflichtete ich Gracchus bei und nickte beflissentlich. Auf seine ermordete Schwester spielte ich nicht an, denn ich wollte alte Wunden nicht neuerlich aufreißen. Ohnehin fiel es den alten Herren in den Collegien teilweise schon schwer, die Treffen nicht nur mit Gaumenfreuden und Weingenuss zu verbringen. Das merkte ich stets bei den Treffen der Siebenmänner. "Ich danke dir, Gracchus", erwiderte ich schlicht auf sein Versprechen, mich zu unterstützen. "Gleiches kann ich dir ebenfalls versichern, auch wenn es gegenwärtig noch ohne Belang ist, da ich dem gremium nicht angehöre. Den Cornelier dürftest du indes mit Leichtigkeit ausstechen. Vielleicht bietet sich gar die Möglichkeit, einer Sache gemeinsam nachzugehen, sollten wir beide gewählt werden und in Rom bleiben dürfen. Dies würde mich freuen." Und dem war tatsächlich so. Einem Magistraten Roms oblag es, den Bürgern der Stadt mit gutem Beispiel voranzuschreiten. Es würde mir ein Vergnügen sein, dies an Gracchus' Seite zu tun.


    In der hernach aufkommenden, kurzen Pause dachte ich an die Möglichkeit, aus Rom fortgeschickt zu werden. Ich sollte meinen Wunsch daher auch gegenüber meinem Patron kundtun, denn seine Meinung war angesehen und er wurde als Person und Politiker geschätzt unter den Senatoren. Gleich morgen würde ich ihn aufsuchen, zur Zeit der salutatio, die für mich dankenswerterweise stets nur bei besonderen Obliegenheiten Anwesenheitspflicht bedeutete. Vielleicht würde ich Siv mitnehmen, damit sie lernte, wie sie sich außerhalb der villa zu benehmen hatte. Ja, die Idee schien eine gute. Gracchus' Worte erforderten nunmehr wieder meine ganze Aufmerksamkeit, und so wandte ich meinen Blick neuerlich ihm zu, dem geschwungenen Mund und den sprühenden, braunen Augen. Marginal schürzte ich die Lippen, hing gleichsam an den seinen und lehnte mich schlussendlich ein wenig zurück, um meinerseits etwas zu entgegnen und unterdessen nachdenklich den Kopf zu wiegen. "Und wieder kann ich dir nur beipflichten, Gracchus. Ich stelle in letzter Zeit häufiger fest, dass wir einander gar nicht so unähnlich sind." Ein angedeutetes Schmunzeln umspielte meine Mundwinkel, und ich griff erneut nach meinem Becher und nippte an der schweren Flüssigkeit darin. "Du wirst doch gewiss auch Spiele ausrichten? Dein Verwandter, der junge Lucanus, suchte mich vor zwei Tagen auf und eröffnete mir im Zuge der Unterredung, dass er an den Spielen des gegenwärtigen Aedils mitwirken würde. So kann man also auf gleich zwei Ereignisse der Superlative hoffen", sagte ich und verkniff mir ein allzu breites Grinsen.

  • Für einen Moment lang hob Gracchus den Blick und tangierte Aurelius damit äußerst nachdenklich, im Schwanken inbegriffen, ob es einen Sinn hatte, ihm näheres ob des Senates zu erzählen. Doch allfällig würde Corvinus beizeiten ohnehin erkennen, wie es um das Gremium bestellt war, dass zu viele der im Spott geworfenen Worte nur allzu treffend waren, gleichsam wollte er nicht ihn desillusionieren, zudem auch Gracchus noch immer nicht gänzlich die Hoffnung hatte verloren, dass eines Tages der Senat würde sich erheben und wahrhaftig tiefgründige, essentielle Entscheidungen treffen, anstatt alltäglich sich über nichtige Paragraphen zu streiten, welche ihren Sinn verloren hatten oder auch nicht. Statt der Trübsal über die Mühlen der Politik, in welchen er niemals hatte landen wollen, welche doch längst sukzessive ihn durch ihre Räder zog, nachzugeben, ließ auch Gracchus einen Mundwinkel ein Stück weit empor wandern.
    "So sollte ich besser meine Zusage revidieren? Denn wie könnte als Pontifex ich zulassen, dass die Setpemviri ihre Pflichten vernachlässigen, um jenen des Staates nachzugehen, sind sie es doch, welche die Last jener Pflichten zu tragen haben, welche die Pontifices selbst beiseite schieben, um sich der Staatspflicht zu widmen."
    Das sublime Lächeln hielt nicht lange vor, denn die Thematik um den verblichenen Kaiser gereichte nicht nur zu Traurigkeit, als viel mehr noch zu Sorge. Bis der Caesar in Rom würde eintreffen und absehbar würde sein, in welcher Art und Weise seine Position bezüglich der Vergangenheit war begründet, galt es Vorkehrungen zu treffen. Würde der Caesar die Welt an seine Vergangenheit in der Aelia erinnern, würde er den Verrat einer Flavia an der Ulpia dazu gebrauchen, all das in unbedeutende Nichtigkeit hinab zu stürzen, was die Mitglieder der Flavia in den letzten Jahren hatten erreicht? Niemand wusste, wie Ulpius Aelianus würde reagieren, doch Gracchus hatte entschieden, nicht abzuwarten, bis die Flavia auf einer Proskriptionsliste würde landen. Es war in dieser Hinsicht äußerst günstig, dass Furianus das Proconsulat über eine senatorisch verwaltete Provinz inne hatte, im schlimmsten Falle würden sie dort ihr Exil suchen. Im besten Falle würde der neue Imperator die Besonnenheit seines Vorgängers teilen, die Vergangenheit ruhen lassen und nichts von all dem würde das Leben in Rom tangieren.
    "Nun, man darf nicht das weit verzweigte Familiennetz der Cornelier außer Acht lassen. Manches mal scheint es mir gar, jeder dritte Mann im Senat trägt den Namen Cornelius oder ist zumindest von einem von diesen gekauft. Unbezweifelt sind sie eine äußerst altehrwürdige und um das Reich verdiente Gens, doch manches mal nehmen sie sich ein wenig zu viel heraus. Es bleibt abzuwarten, wie der Senat sich entscheidet."
    Nicht nur in Bezug auf das Aedilat, sondern gleichsam hinsichtlich der Quaestur Aurelius' und dessen Einsatzgebiet. Die Eröffnung der Tatsache, dass Corvinus sich ihn Ähnlichkeit zu Gracchus sah, gereichte mit Leichtigkeit dazu, dessen rechte Augenbraue ein deutliches Stück weit in die Höhe empor zu tragen und einen derangierten Ausdruck in seinen Blick zu legen, welchen er damit zu überdecken suchte, dass ebenfalls seinem Getränk er sich widmete, die im Licht funkelnde Oberfläche der Flüssigkeit und die vom Becherrand perlenden Tropfen intensiv begutachtete, ehedem er einen Schluck nahm und seine mit einem Male so trockene Kehle befeuchtete.
    "Ludi sind natürlich bereits in Planung"
    , rettete er sich durch eine Flucht in Belanglosigkeiten aus der merkwürdig unangenehmen Situation.
    "Solche Dinge müssen weit im Voraus in Angriff genommen werden, vor der eigentlichen Wahl noch, denn hernach wird es schwer, in absehbar kurzer Zeit ein adaequates Programm aufzustellen. Vermutlich werden es die Ludi Ceriales sein, doch allfällig auch andere Ludi, je nachdem, ob eine Zusammenarbeit der Aedilen hierbei möglich ist. Auf jeden Fall werden Ludi Scaenici Teil dessen sein, ich stehe bereits in Verhandlung mit einem jungen Autor aus Achaia, ein aufstrebendes Talent wie ich meine, mit zwar unbekanntem Namen, doch exzeptionellem Stil."
    Dass Lucanus sich für Ludi konnte begeistern, war Gracchus indes eine bisher unbekannte Neuigkeit, doch bei genauer Betrachtung war dies kaum verwunderlich, zeigte Lucanus doch allenthalben jeden Tag neue Interessen, ohne dabei die alten aus den Augen zu verlieren.
    "Lucanus ist ein äußerst emsiger, junger Mann. Er sucht derzeit noch nach seinem Weg und es ist äußerst erfreulich, dass er diesen nicht in Untätigkeit und Arbeitsscheu zu sich lassen kommen möchte, sondern selbst sich auf die Suche begibt. Indes ist es nie früh genug, sich um Spiele zu bemühen, denn allfällig werden seine eigenen früher vor ihm stehen, als ihm eigentlich lieb ist."
    Dies war etwas, was Gracchus sehr wohl konnte nachvollziehen, denn obgleich er bereits in Planung dessen stand, so wusste er mit größtmöglicher Sicherheit, dass im Falle des Falles hernach alles viel zu schnell würde gehen.
    "In welchen Belangen suchte Lucanus dich auf? Ist nicht Senator Decimus Vorsitzender der Factio Aurata?"

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  • Beinahe hätte ich meiner Meinung Ausdruck verliehen, dass ich kaum einem andereren römischen Mann mehr zutraute, seine Pflichten zu vereinen, doch hatte Gracchus zuvor bereits so reagiert, wie ich es bei schmeichelnden Worten ebenfalls tat, also beließ ich es bei meinen Gedankengängen und sagte stattdessen: "Ich bin sicher, dass die anderen pontifices dich ebenso entlasten werden wie mich die weiteren septemviri. Soweit ich weiß, kandidiert sonst nur Rutilius Scorfa", und besagter septemvir war gelinde gesagt ein Taugenichts, der sich einen schönen Lenz machte und auf den Lorbeeren ausruhte, die seine Vorväter Jahrzehnte zuvor im Krieg gegen die Germanen geernet hatten. Da er so gut wie jeder Arbeit auswich, würde es für meine Amtskollegen ein Leichtes sein, unser beider eingeschränkte Abwesenheit entsprechend zu kompensieren. "Ja, die Cornelier sind nicht zu unterschätzen. Doch bleibt dennoch zu hoffen, dass die Korruption nicht soweit um sich greift, dass weitaus fähigere Männer hinter stümperhaften Kleingeistern zurückbleiben. Möge Minerva zaudernde Männer mit ihrer Weisheit und Weitsicht segnen, um das zu verhindern", erwiderte ich ernst und runzelte die Stirn etwas. Als auctor der Acta Diurna bekam man Senatsinterna zwangsläufig mit, selbst wenn man kein Senator war. Die zahlreichen staatlichen Schreiber und auch die Liktoren ließen zudem gern das ein oder andere Wort fallen, um sich selbst in den Vordergrund zu rücken. Sie waren unsere wichtigsten Informationsquellen was Dinge betraf, über die kein Senator aus freien Stücken heraus öffentlich sprechen würde.


    Kurzweilig schien der Wein Gracchus' Geist zur Gänze zu beanspruchen, so intensiv, wie er die blutroten Perlen auf blauem Glas musterte. Ich ließ mir selbst noch etwas nachschenken und betrachtete den Flavier aufmerksam. Es schien, als würde ihn etwas beschäftigen. Die ludi konnten es nicht sein, oder doch? Szenische Spiele, Theaterinszenierungen und Aufführungen also. Unverhohlen interessiert nickte ich ob der Eröffnung dessen. Ich war mir sicher, dass der bescheidene Gracchus ein Spektakel sondergleichen aufstellen würde, und wenn ich selbst dereinst aedilis war, dürfte ich es damit schwer haben, gleichzuziehen. Gleichwohl jedoch war ich gespannt, wie genau das ausfallen würde, was Gracchus auf die Beine stellen würde. War ich auch sonst eher weniger jemand, der sich für große Ansammlungen von geruchsvollen Menschenmassen, Blut und Gewalt begeistern konnte, so blickte ich doch mit Interesse und Vorfreude auf dieses in Aussicht stehende Ereignis. "Nun, da ich in ungefähr weiß, was Rom erwarten darf, hoffe ich noch stärker auf die Vernunft der Wankelmütigeren unter den Senatoren. Ich gestehe gern, ein Anhänger von guten Inszenierungen zu sein, und wenn besagter Autor wahrhaftig so gut ist, wie du sagst, wird es mir eine Freude sein, der Aufführung beizuwohnen", entgegnete ich und schmunzelte anschließend.


    "Mir scheint, den Verwandter hat seinen Weg nicht nur gewählt, sondern ist bereits im Begriff, ihn zu beschreiten", gab ich als Antwort auf seine Frage Lucanus betreffend zurück. "Er suchte mich mit der Bitte auf, ihm einen Termin für seine beaufsichtigte Opferung zu nennen - er ist fest davon überzeugt, dem cultus Iunonis beizutreten. Gerade gestern habe ich ihm den Termin mitgeteilt. Vielleicht kennst du Domitia Domitilla, sie ist die Vorsteherin des Tempels der Iuno moneta. Sie wird gemeinsam mit mir selbst das Opfer beurteilen. Nun ja, wir sprachen in diesem Zusammenhang auch über die ludi des Germanicus", schloss ich schließlich und ließ einen weiteren Schluck die Kehle hinunter rinnen. "Wo du gerade hier bist, kann ich mir vielleicht auch einen Weg sparen. Am selben Tag suchte mich der Spross des Claudius Menecrates auf und bat gleichsam darum, seine Opferfertigkeiten einer eingehenden Prüfung unterziehen zu dürfen. Sein Termin steht noch aus, da er sich nicht einer Gottheit noch eines Tempels sicher ist. Er beabsichtigt zudem, eine Provinz zu leiten. Eine Aussage, die ich mit Missfallen aufgenommen habe, wenn ich ehrlich bin. Er muss zeigen, dass er im Stande ist, Verantwortung zu übernehmen. Ein Unding, würde man ihm sogleich einen wichtigen Posten innerhalb einer Provinz gewähren. Angesichts dieser Umstände würde ich ihn gern unter die Fittiche eines pontifex stecken und wollte dich fragen, ob du vielleicht diese Aufgabe übernehmen möchtest, deiner Ehefrau wegen." Schließlich war er mit einer Claudierin verheiratet, sein Vetter würde baldig eine weitere Verbindung mit der Claudia eingehen - und ich selbst würde gewiss nicht wertfrei urteilen können, wessen ich mir bewusst war. Daher erschien mir diese Möglichkeit naheliegend, sollte Gracchus jedoch ablehnen, würde ich vielleicht Durus fragen, ob er sich des Jungen annehmen würde.

  • Es gab einiges im Senat, über das Gracchus nicht nach außen würde berichten, und Korruption und Vetternwirtschaft gehörte eben dorthin zu, gehörte gleichsam wohl zum Senat, wie auch Gracchus befürchtete, eines Tages selbst in jenem sumpfigen Morast stecken zu bleiben, ohne Ausweg nach vorn oder zurück, ohne die Möglichkeit, dem zu entgehen, da dies stets präsent und unausweichlich schien. Doch er vermied, in Gegenwart des Aureliers dererlei auszusprechen, würde es jenem doch ohnehin kaum während seiner eigenen politischen Laufbahn entgehen, zudem waren Worte nur allzu schnell in den Raum geworfen, Handlungen dagegen wollten getan sein, so dass er der Wendung des Themas bereitwillig folgte.
    "Es scheint mir leider ohnehin, dass aufwändige szenische Inszenierungen viel zu selten in Rom geboten werden, was durchaus verständlich ist, da den meisten Aedilen die Gunst der breite Masse am Herzen liegt, welche selbst doch eher brutale, blutige Kämpfe und fortwährende Umrundung der Spina zu präferieren scheint."
    Obgleich er dies nicht beabsichtigte, so lag doch eine leise Spur des Missfallens in Gracchus' Ton, konnte er doch weder dem einen, noch dem anderen viel abgewinnen, was nicht zuletzt daran lag, dass er ein wenig nah am Wasser war gebaut und über allzu blutige Szenerien nur allzu leicht die Sinne verlor.
    "Dennoch ist dies ein überaus deplorabler Zustand.
    Ein langsames Nicken ergriff Gracchus' Kopf bei den Worten seinen Neffen Lucanus betreffend. Der Cultus Deorum war eine gute Wahl für einen jungen Flavius, stets und zu allen Zeiten wieder, denn solange ein Mann noch für einen Tempel Sorge trug, blieb er von jener Art der Korruption verschont, welche Politik und Verwaltung in Händen hielt - und natürlich auch die oberen Ränge des Cultus.
    "Die Dame Domitia ist mir durchaus im Sinn, eine äußerst lebhafte Persönlichkeit."
    Viel zu hektisch und ruhelos, sofern es Gracchus betraf, doch Lucanus würde unbezweifelt gut bei ihr aufgehoben sein. Ehedem er jedoch weiter darüber konnte nachdenken, fiel ein anderer Name.
    "Der Sohn Claudius Menecrates'?
    fragte Gracchus noch einmal nach, ohne dass dies eine ernsthafte Nachfrage war. Er sog die Unterlippe zwischen die Zähne und langsam wieder nach vorn zurück, währenddessen die obere Zahnreihe fest sich in das Fleisch drückte.
    "Gibt es keinen anderen, welcher für die Abnahme der Prüfung geeignet wäre?"
    Seine Worte drangen nur zögerlich aus seiner Kehle, denn es war nicht seine Art, eine Pflicht weiter zu schieben.
    "Gerade ob meiner Gemahlin wegen. Claudius Menecrates ist ihr Vetter, so dass von mir würde erwartet werden, dass die Prüfung in jedem Falle würde positiv ausfallen. So der junge Mann jedoch sich in Fehlern würde ergehen, könnte ich unmöglich dies tun, da solcherlei gänzlich gegen meine Überzeugung spricht, was wiederum mich in ernsthafte eheliche und familiäre Schwierigkeiten könnte bringen, was ich gerne würde vermeiden, so es sich vermeiden ließe. Nicht, dass ich dem jungen Claudius die Kompetenz wollte absprechen, er wurde sicherlich äußerst traditionell erzogen und kennt die notwendigen Riten seit langem, doch bisweilen bin ich ihm noch nicht begegnet, so dass ein Restrisiko bestehen bleibt."
    Gerade bei Gracchus' Eheglück würde dies Restrisiko vermutlich mit einer überproportional großen Wahrscheinlichkeit zuschlagen und das ohnehin stets angespannte Verhältnis zu seiner Gemahlin nurmehr weiter anspannen.
    "Der Wunsch, in eine Provinz entsandt zu werden, ist überdies in der Tat ein wenig befremdlich für einen jungen Patrizier, selbst in der Absicht, einem dortigen Collegium anzugehören. Ein Pontifex einer Provinz zählt in Rom kaum mehr als ein städtischer Sacerdos, allfällig weniger, was einem Patrizier nicht eben gut zu Gesichte steht, gerade einem aus claudischem Hause. Erwähnte er, ob dies auch dem Willen seines Vaters entspricht?"

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  • Nur mäßig überrascht - denn ich hatte erwartet, dass der Flavier eher von der vorgezeichneten Bahn abweichen würde - hob ich eine Braue, kaum dass Gracchus beteuerte, die meisten Ädile würden sich der breiten Masse zuwenden. Amüsierend fand ich, dass er scheinbar weder ein Anhänger eines Rennstalls war noch Spiele im circus zu mögen schien. "Bittet die Flavia nicht seit jeher Fortuna um Glück für die Purpurnen?" hakte ich daher nach. "Du klingst, als machst du dir nichts aus Rennen." Ein Griff zum Weinbecher und anschließendes Nippen verbargen mein Schmunzeln. Gewiss war ihm nicht unbekannt, dass ich selbst der Aurata angehörte, wie die gesamte Aurelia ohnehin - auch wenn ich allmählich zweifelte, dass das Begründen dieser Tradition meiner Ahnen eine weise Entscheidung gewesen waren. Doch verbot allein der Stolz, einen anderen Rennstall zu wählen. Schließlich wollte man nicht das Fähnchen nach dem Wind drehen, und die Goldene brauchte definitiv einen Aufwind. Doch dies war eine andere Sache.


    Bezüglich des jungen Claudiers und ob Gracchus' Worten runzelte ich ein wenig die Stirn, nickte jedoch bald, als er den Blick aus seinem Winkel beschrieb. "Gewiss bist du nicht der einzige infrage kommende Prüfer. Es erschien mir ob deiner familiären Beziehung zu den Claudiern allerdings angemessen, dich zuerst zu fragen. Ich verstehe deine Beweggründe, und es macht keine Umstände, jemand anderen um den Vorsitz zu bitten", versicherte ich Gracchus und lächelte flüchtig. "Der junge Claudius selbst erscheint mir noch ein wenig illusioniert zu sein. Ich gehe davon aus, dass er Rom der Unabhängigkeit wegen verlassen will. Wir werden noch erfahren, ob dem so ist, nehme ich an. Claudius Menecrates indes scheint den Wunsch seines Sohnes gutzuheißen. Über die Gründe könnte ich nur mutmaßen, da wirst du Antonias wegen allerdings besser informiert sein als ich." Eine Sklavin trat an uns heran und schenkte Wein nach, dann zog sie sich wieder zurück und rief dabei wieder einen Gedanken in mir wach. "Ah, ich wollte dich noch etwas fragen, oder eher, dich um etwas bitten. Mein vilicus berichtete mir, dass du den Zuschlag für einen gelehrten Sklaven aus Achaia erhalten hast. Bei den derzeitigen Zuständen ist das eher selten, der Markt wird von Parthern ja nahezu überschwemmt gegenwärtig. Ich selbst bin schon eine ganze Weile auf der Suche nach jemandem, der etwas gegen die desolaten Lateinkenntnisse meiner Sklaven tun kann. Ich weiß nicht, wie du das siehst, aber ich lege durchaus Wert auf eine Aussprache, bei der sich meine Nackenhaare nicht sträuben", sagte ich und grinste schief. "Wäre es möglich, diesen Gelehrten für ein paar Stunden in der Woche auszuborgen? Gegen entsprechende Entlohnung, versteht sich."

  • Verneinend schüttelte Gracchus den Kopf bezüglich der Favorisierung eines Rennstalles.
    "Die Flavia präferiert in ihrer Gesamtheit traditionell keinerlei Factio. Mein Vetter Felix ist sehr der Praesina zugeneigt, während sein Sohn Furianus sich bei den Purpurnen einbringt, und dessen Vetter Serenus sein Herz an die rotfarbenen Gespanne hängt. Bezüglich meiner eigenen Person trügt dich dein Eindruck indes nicht, so ich den Circus aufsuche, nur als Begleitung. Dem fortwährenden Rundherum kann ich weder in sportlicher Hinsicht, noch die Suspense betreffend sonderlich viel abgewinnen, denn es ist nichts, was meinen Geist zu fesseln vermag, noch ihn hinfort zu tragen."
    Abgesehen von jenem Umstand des Hinforttreibens, wenn der Geist versuchte, sich tief im Körper zu verbergen, da er des abominablen Anblickes von Wägen geschundener oder halb zerrissener Leiber auf der Bahn nicht mehr konnte standhalten. Dies jedoch waren Gracchus' gänzlich persönliche Belange, welche er nicht gedachte, vor irgendwem auszubreiten.
    "Doch jene Mitglieder meiner Familie, welche einem Rennstall sich verschrieben haben, tun dies für Gewöhnlich mit Leib und Seele, und vermutlich ist es dies, was daran sie in ihren Bann schlägt, die unbedingte Loyalität, das über Jahre hinweg betrachtete Auf und Ab."
    Marginal nur zuckte er mit der Schulter. Gracchus konnte so einige Neigungen in seiner Familie nicht nachvollziehen, war nie sonderlich empathisch gewesen und hing fortwährend in sich selbst fest, doch gleichsam vertrat er den Standpunkt, nicht alles verstehen zu müssen, um es akzeptieren zu können, sofern jene Neigungen zumindest halbwegs im Einklang mit dem römischen Imperium und seinen Traditionen standen - und die Wagenrennen, ebenso wie die Ludi in den Arenen, taten dies zweifelsohne. Zu dem jungen Claudius hingegen schwieg er, da er nicht wollte offenbaren, kaum mit Antonia zu sprechen. Sofern Aurelius einen anderen Prüfer würde finden, war der Pflicht, familiär wie auch amtlich, ohnehin genüge getan. Erst Corvinus' Ankündigung einer Bitte ließ Gracchus seine Aufmerksamkeit gänzlich wieder auf eben jenen fokussieren.
    "Du sprichst von Kleochares, dem Paedagogus?"
    Kleochares wie der Feldherr oder der Eunuch, einen anderen Sklaven hatte er zuletzt nicht erworben.
    "In der Tat war dies ein äußerst favorabler Kauf, er kann einen reichhaltigen Wissensschatz aufweisen."
    Die Probleme des Aureliers konnte Gracchus nur begrenzt nachvollziehen, legte er doch Wert auf hochwertige Sklaven und erwarb für Gewöhnlich deswegen nur solche der zweiten oder späteren Generation. Aquilius indes holte ständig gleichsam minderwertiges Material in den Haushalt, Aristides zudem brachte es von seinen Kämpfen mit, so dass allfällig es tatsächlich eine gute Idee wäre, auch dem ein oder anderen Sklaven aus dem flavischen Hause ein wenig Bildung angedeihen zu lassen, vor allem jenen, welche seine Vettern in die öffentlichen Räume - Atrium, Triclinium, Peristyl, et cetera - entließen.
    "Vorwiegend habe ich ihn zur Aus- und Weiterbildung meiner Neffen Lucanus und Serenus erstanden, doch jene sind längst nicht jeden Tag mit ihm beschäftigt, so dass zeitlich durchaus nichts würde dagegen sprechen. Dagegen könnte durchaus auch der ein oder andere Sklave unseres Haushaltes ein wenig Feinschliff vertragen. Was hältst du also davon, ich werde veranlassen, dass hierfür ein oder zwei wöchentliche Termine werden gefunden, und du schickst deine Sklaven in der Villa Flavia vorbei? Eine Entlohnung ist selbstredend nicht notwendig, du weißt doch, Aurelius, ein Sklave darf ohnehin nichts annehmen."
    Seinem Herrn gegenüber dagegen würde jeder weitere Versuch dessen als Beleidigung gelten. Der Blick eben jenes Herrn wurde allmählich zum compluvium des Raumes empor gezogen, wo der Flecken Himmel kaum etwas über die Zeit verriet, welche er bereits in dieser Villa weilte, ihn jedoch an das Verstreichen eben jener erinnerte. Es wartete noch einiges an Arbeit auf Gracchus, jene Pflichten, welche er für einige Zeit hatte tatsächlich beinahe vergessen können.
    "Es wird langsam Zeit, mich zu verabschieden. Es lag nicht in meiner Absicht, so lange zu bleiben, obgleich ich im Nachhinein es keineswegs bedauere und froh bin, dass wir jene Angelegenheit klären konnten. Ich danke dir für deine Gastfreundschaft, Aurelius, und wegen des Paedagogus werde ich dir eine Nachricht zukommen lassen."

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    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • "Ah, so ist das. Ich muss gestehen, dass ich derzeit auch eher wenig hilfreich für die Aurata bin, und deswegen schon überlegt habe, ob ich nicht austrete und andere nachrücken lasse, die mehr von Nutzen sind." Mit dem Herzen konnte man ja immer noch dabei sein. Gracchus' Worte ließen mich derweil leicht schmunzeln. Wie er es beschrieb, klang ein Rennen tatsächlich öde und langweilig, doch wenn man dann im circus stand, trug einen allein die Stimmung schon mit sich. "Mich reizt daran das Drumherum", gestand ich. "Ich selbst bin nicht unbedingt ein Freund von Pferden, aber die Streitgesänge zwischen den Anhängern der einzelnen Ställe und der Trubel sind wie ein Rausch." Ich vermutete, dass Gracchus sich nicht weit genug gehen ließ, um diesen Rausch ebenfalls zu empfinden. In dieser Hinsicht war er doch etwas seltsam.


    "Ja, diesen meine ich. Sein Name war mir entfallen", bestätigte ich, was an sich ja auch kein Wunder war, denn wer merkte sich schon die Namen fremder Sklaven? Sein Vorschlag sagte mir sehr zu, auch wenn ich argwöhnte, dass einige der aurelischen Sklaven ein Mehr an Feinschliff benötigen würden als die flavischen. Vielleicht sollten wir bei den nächsten Einkäufen vermehrt darauf achten, dass es nicht Fremdsprachler waren, die wir erwarben. Ich nickte, als Gracchus die Entlohnung zurückwies, natürlich hätte ich sie nicht diesem paedagogus zugestanden, sondern Gracchus, und ich empfand es als höflich, zumindest zu erwähnen, dass seine Mühe und Bereitschaft nicht unbedacht bleiben sollte. "Dann habe ich dir zu danken. Hoffen wir, dass es jedem etwas nutzen wird."


    Kaum dass Gracchus die Verabschiedung einleitete, erhob ich mich. "Du bist in diesem Hause stets ein gern gesehener Gast. Ich würde mich freuen, wenn wir unsere Gespräche ein andermal fortsetzen können", erwiderte ich auf seine Verabschiedung hin. Ich hielt es für richtig, den Flavier zur Tür zu geleiten, wo ich ihn nochmals verabschiedete. Als er gegangen war, blickte ich eine Weile nachdenklich auf das bewegte Wasser des impluvium, dann setzte ich mich in Bewegung und verschwand in den Eingeweiden der villa.


    ~ finis ~

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