“Was ist denn mit dem Bruder?“, flüsterte Corvus, halb weil er nicht verstand worum es ging, halb weil ihm die Zeit lang wurde.
Ludi Apollonii Alexandriae
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- Paragoge
- Narrator Aegypti
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"Mh?", gab ich, aus der Fiktiven Welt gerissen, zurück. Wenige Sekunden später realisierte ich jedoch, was Corvus gefragt hatte und drehte die Augen gen Himmel.
"Warum wartest du denn nicht, bis es erklärt wird? Hrch, du hast für Theater einfach keine Geduld... nächstes Mal sollten sie lieber Gladiatorenspiele aufführen, hm? Der Bruder von Menander, also Hesperis' Onkel, und Menander haben sich vor vielen Jahren entzweit und nun feiern sie ihre Versöhnung, indem... "
Ich lächelte hintergründig.
"Lass dich überraschen."
Muahaha, es war schön, einmal mehr zu wissen als Corvus und wie man sah, nutzte ich dies schamlos. -
“In dem... WAS? Und wieso haben sie sich entzweit? Warum wird einem nicht von Anfang an alles richtig erklärt, damit man auch verstehen kann was passiert?“
Corvus hatte wirklich kein Verständnis für theatralische Dramaturgie. -
Ich unterdrückte den Impuls, meine Schläfen zu massieren und bemühte mich, Geduld mit meinem kulturell uninteressierten Gatten zu haben.
"Dann wäre doch die Spannung dahin. Wenn man alles am Anfang erklärt bekommt, braucht man sich doch das Ende nicht mehr ansehen." -
“Was soll daran denn spannend sein, wenn man nicht weiß worum es geht? Dieser Bruder, wo ist der überhaupt? Warum ist denen zu heiß? Findest du es zu warm heute?“
Er war wirklich ein schwieriger Fall. -
"Decius, du treibst mich eines Tages in den Wahnsinn."
Langsam beschlich mich der Gedanke, er machte das absichtlich, damit ich ihn nicht eventuell noch zu weiteren Theateraufführungen mitschleppte. Doch den Gefallen würde ich ihm nicht tun. Naien.
"Du weißt doch, worum es geht. Alles was du im Moment wissen musst, weißt du. Der Bruder kommt schon noch. Heiß?"
Meine Stirn furchte sich in tiefe Falten.
"Wem ist heiß? Mir ist nicht heiß, nein. Angenehm, würde ich sagen. Angenehm warm."
Was nichts zu sagen hatte, denn wenn anderen zu heiß war, war die Temperatur für mich meist genau richtig und wenn ich fror, fühlten sich andere pudelwohl. Dass er die Schauspieler meinte war mir natürlich völlig unbewusst. -
“Der eine da, Menander, der hat doch gesagt, sie würden sich zur Mittagshitze wieder sehen. Wie lange geht das Stück denn?“
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Erfolgreich verkniff ich mir das Lachen. Das konnte doch nicht sein ernst sein?
"Aber... Iuppiter, das spielt doch nicht in Echtzeit. Die überspringen zwischendurch schon mal einige Stunden. Du wirst doch schon einmal ein Theaterstück gesehen haben?" -
“Ja natürlich!“, entgegnete er in gespielter Entrüstung. “Mehr als eines sogar. Aber die waren irgendwie lustiger.“
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"Decius, Gaukleraufführungen in den Straßen und Possenspiele sind kein Theater.", gab ich trocken zurück.
Hoffentlich war so etwas nicht erblich, am Ende würden unsere Kinder ebenso werden. Nicht auszudenken... -
*krachknirsch* Die gebrannte Ambrosia schmeckte vorzüglich und der eisgekühlte Nektar passte harmonisch dazu. Vom lukullischen her also hatte Apollo keine Beanstandungen zu melden.
Nur einige Sterbliche störten ihn in seinem Vergnügen, in dem sie ständig dazwischenquatschten. So konnte man doch keine Aufführung genießen! Ob ein leichter Sandstoß in ihre Münder sie zum Schweigen bringen würden? *pling*
Ein leichter Windstoß kam auf und verebbte wieder.
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Corvus hatte, um etwas zu erwidern, schon den Mund geöffnet, da fegte plötzlich eine Bö durch das Theatron und wirbelte Staub und Sand auf. Er verschluckte sich und statt einer Antwort kam nur ein lautes und heiseres Husten aus seiner Kehle.
*Harghkrächtshusthusthust!* -
Als die beiden Männer gegangen waren und nur noch Hesperis vor der scené stand, veränderte sich die Musik. Statt Auloi wurden nun einige Kitharae angeschlagen. Der Darsteller der Hesperis bemerkte zwar den Windstoß, der Sand aufwirbelte, der sich dann in seinem Haar und seiner Kleidung verfing und in seine Kothurn rieselte, was sehr unangenehm war, doch er blieb in seiner Rolle und ließ sich nichts anmerken.
Hesperis: "Ich hoffe er hat den Mut und fragt. Was fürchtet er sich vor einer Sache, die noch nicht einmal ausgesprochen ist? Er ist wie ein Grashalm im Wind zuweilen. Doch bin ich das nicht auch?"
Chor, streng, hart: "Sie ist unwissend. Doch lassen wir sie in ihrem Rausch, der von der Freude kommt, solange die Freude währt, denn trügerisch ist die Freude wie das Blau des Himmels. Ein Grashalm ist das Leben im Wind."
Hesperis, sanft: "Vater liebt ihn wie seinen Sohn, wie könnte er ihm es verwehren mich über die Schwelle des Hauses zu tragen, das sein wird, wenn Vater nicht mehr ist*, auch da ich meine Haare opfere auf dem Altar, der da steht im gleichen Haus?"
Chor, streng, hart:"In jenem Haus, über dem wie eine schwarze Gewitterwolke das Unheil schwer liegt, das Dach belastet, bald, bald, wird es zusammenbrechen, denn auch Balken sind nur von Holz, und wären sie von Eisen, sie würden nicht alles tragen, was die tyche auf sie legt. Doch im Dach sind keine Fenster, so sieht diese Last niemand, bis er von ihr erschlagen wird und Blut die Säulenhallen entlangströmt und die Pflanzen im Garten nährt, auf dass sie jene erfreuen, die noch verschont sind, die noch sich nicht hingaben der hybris."
*Das Braut-über-die-Schwelle-des-Hauses-des-Mannes-Tragen ist wirklich ein Brauch, der aus dem klassischen Zeitaler Griechenlands stammt.
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Ich versuchte, den aufkommenden Husten, welcher durch den umherwirbelnden Sand verursacht wurde, zu unterdrücken - was das Ganze natürlich nur noch schlimmer machte. Mit Tränen in den Augen sah ich keuchend zu Corvus, dem jedoch endlich die Fragen ausgegangen zu sein schienen.
Mit dieser Erkenntnis sah ich wieder zur Bühne, wo gerade der Chor seine Stimme(n) erhoben hatte. -
Hesperis verschwand nun an einem Ende der scené, vom anderen tauchten Menander und Aristides auf, wie lustwandelnd, beide in ein leises Gespräch vertieft. Die Kithara-Klänge verstummten und wurden von leisen Aulos-Melodien ersetzt, die den Geräuschen eines leichten Windes ähnelten.
Menander: "Du wolltest mich etwas fragen. Nun hat Helios seinen Thron erklommen und du fragtest noch nicht."
Aristides: "Es ist eine Angelegenheit, die sowohl dich als auch mich als auch Hesperis betrifft. Ich weiß sehr wohl, dass die eitlen und vergänglichen Gefühle von Liebenden nichts wert sind gegen die Liebe des Vaters, der mit Klugheit den richtigen Mann erwählt..."
Menander sah Aristides entgeistert an.
(Fortsetzung folgt)
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Nikolaos beobachtete das Stück. Es gefiel ihm gar nicht. Zwar hatte er es, heimlich, selbst geschrieben, die Aufführung jedoch einem Mann mit dem fremdartigen Namen Kyros überlassen. Dieser jedoch hatte aus der Tragödie einen großen Teil der Schärfe genommen und sie zu einem gefälligen Liebesstück gemacht. Nun gut, den Zuschauern, zumindest einem großen Teil der weiblichen Zuschauer, würde dieses süßliche Geplänkel gefallen. Dem einfachen Volk genügte meist die niederste Ebene des Sinnes einer drama.
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Menander, streng: "Fahre fort, fahre fort, quäle mich nicht mit Ungewissheit."
Aristides: "Verzeihe mir, der der du mir Vater warst und bist und sein wirst-"
Menander, noch strenger, fast ungeduldig, ängstlich: "Was ist es, das mich fragen willst, was dir so schwer auf der Zunge und auf dem Gewissen lastet?"
Aristides: "Es ist ein Zeichen der väterlichen Liebe, dass er den erwählt, in dessen Haus er seine Tochter geben möchte und es nicht Wille der Götter, dass dies der Schwiegersohn erwählt oder gar die Tochter-"
Menander, fast zornig, zitternd: "Sprich es doch endlich aus! Foltere meine alte, geschwächte Seele nicht!"
Aristides: "Doch ausgerechnet ich möchte nun ausgerechnet dich, den Vater mit der größten Liebe aller Väter des Erdkreises, darum bitten, zu erwählen für Hesperis - "
Menander, beinahe kleinlaut: "Ich weiß es doch nun schon, sprich zu Ende!"
Aristides: "Wenn du es doch weißt..."
Menander: "Ich ertrage die letzte Ungewissheit nicht."
Aristides: "-zu erwählen mich, der dir wie ein Sohn war und ist und sein wird, auf dass ich nehme Hesperis in das Haus, das mir wie väterlich ist, in dein Haus. Du wirst sie nicht verlieren, keinen Kummer wirst du haben."
Menander, hart: "Ich werde keinen Kummer haben. Hesperis wird nicht in das Haus einziehen, unter dessen Dach sie schon lange lebt. Beeile dich. Mein Bruder Lysias wird bald im Hause sein und ich kann nicht mehr eilen in meinem Alter. Ich werde nachkommen, empfange ihn wie deinen Onkel und als wärst du selbst der Sohn dieses Hauses, der du mir auch warst, bis zu jenem Augenblick."
Menander wendet sich ab.
Aristides: "Vater!"
Menander: "Der bin ich nicht. Verschone nun meinen schwachen Greisenleib vor deinen Angriffen. Die Hitze ist schon unerträglich genug. Geh, und geh rasch hinaus in die Welt, sie ist ein besserer Ort für dich als mein Haus."
Aristides bleibt stehen.
Menander: "Nun geh!"
(Fortsetzung folgt)
Edit: Signatur entfernt.
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Während das Stück einen ersten dramatischen Höhepunkt erlebte, war Corvus noch immer damit beschäftigt den Sand wieder aus den Zähnen zu bekommen und spukte erst ein-, dann noch einmal auf den Boden zu seinen Füßen.
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Aristides ging ab, verstört, er hatte das Aufrechte im Gang verloren, Menander blieb wie versteinert stehen.
Die Musikanten spielten nun eine eher fröhliche Melodie, die in einem beinahe ironischen Kontrast zu Menanders steinerner Haltung stand. Doch zunehmend wurde diese Melodie bedrohlicher und zugleich wehmütiger. Hesperis trat auf.Hesperis: "Vater! Du bist endlich wieder hier! Dein Bruder ist vor einiger Zeit angekommen. Doch sage mir, wo Aristides ist."
Menander, eisig: "Das sei dir nun gleichgültig."
Hesperis sah Menander überrascht an, was an ihren Augen deutlich zu sehen war, am Gesicht nicht, schließlich trugen alle Darsteller Masken.
Menander, mit gespielter Freude: "Es ist gleichgültig, er wollte noch einen Freund besuchen, sorge dich nicht darum, freue dich lieber, deinen Onkel zum ersten Mal seit du lebst gesehen zu haben. - Erkannte er dich sogleich als meine Tochter?"
Hesperis, mit gespieltem Interesse an diesem Gesprächsthema: "Er sprach mich zuerst mit Gemahlin des Menanders an."
Menander sah Hesperis verwirrt an. Dann jedoch nahm er wieder eine lockere Haltung an.
Menander: "Ich will ihn sogleich begrüßen. - Kam er allein?"
Hesperis: "Er hatte ein Weib mit sich, diese war sicher schon über die dreißig Jahre hinweg, doch immer noch schön wie eine Blume in deinem Garten, Vater."
Menander: "Davon erzählte er nichts. - Ich will ihn empfangen. Du wirst dich um die Frau kümmern, ob sie nun die seine sei oder seine Tochter."
Beide gingen ab.
(Fortsetzung folgt.)
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Chor: "Wer meint Schuld begraben zu können, der irrt, denn die Spaten von ehrlichen Gärtnern gehen tief. Wer annimmt, Schuld begraben zu können, der setzt Saat in ein fruchtbares Feld. Wer meint, Schuld begraben zu können, und auf dem Grab der Schuld tanzen möchte, wird mit den Füßen Erde aufwerfen und erschrocken, denn er hat schon vergessen. Die Erde der Welt ist weniger vergesslich als der menschliche Geist. Und wo Schuld gesäät ist, da wird die Strafe wachsen, eine schwarze Blume mit Dornen und mit gefährlich süßem Duft, für jene, die Strafen, und mit Pestgestank für die, die gestraft werden. Wo diese Blume wächst, da verdorrt alles, was schon wuchs zuvor durch viele Jahre. Da verdorrt der Baum des Lebens, denn diese schwarze Dornenblume zieht wie Wasser das Blut."
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