Hortus | Asny und Sciurus - Nur die Sonne war Zeuge

  • Warm und zärtlich ließ die goldfarbene Sonne ihre Strahlen über die ewige Stadt hinweg streichen, tauchte die eisige Luft des langsam weichenden Winters ein in ein helles Flirren, trieb die wohlhabenden Menschen hinaus, um in den Gärten zu wandeln und sich an ihrer Wärme zu laben, die Kinder auf den Straßen und Plätzen zu spielen, und jene, welche hart arbeiteten, dazu, ihr Gesicht wenigstens einige Herzschläge lang dem angenehmen Hauch entgegen zu strecken. Obgleich der Gärtner der Villa Flavia und seine Helfer auch bei Regen, Sturm und Schnee dafür Sorge zu tragen hatten, dass die Rosenstöcke des Flavius Felix keinen Schaden nahmen, dass die Statuen im Garten stets glänzten, dass der Fischteich frei von Schmutz war, dass die Säumung der Wege akkurat und geradlinig verlief, dass die Beete frei von Unkraut und das Gras nicht höher als eine Hand breit gewachsen war, so gereichte doch ein sonniger Tag bestens dazu, Ordnung in das Anwesen zu bringen, solange nicht eben einer der Herren den Plan fasste, darin zu wandeln, wobei eine Störung natürlich tunlichst vermieden werden musste. An diesem Tage jedoch hatte noch kein Flavier sich in den Hortus verirrt, so dass alle sklavischen Hände zur Gartenarbeit gebraucht wurden, und so war es für den Gärtner umso deplorabler, dass der Sklave Darios diesen Tag im Kerker verbrachte, da der Koch Attalus ihn dabei erwischt hatte, wie er von feinstem Vorderschinken sich einige Stücke genommen hatte. Umso gelegener war ihm daher der Neuzugang Asny unter die Augen geraten, eine jener Sklavinnen, welche in Abwesenheit ihres Herrn seiner Ansicht nach stets unterbeschäftigt waren, und ohne lange zu zögern hatte er sie zum Dienst im Garten eingeteilt.


    Für Sciurus indes war der Tag nicht besser oder schlechter als jeder andere auch, er machte sich nicht viel aus der Sonne - ebenso wenig wie aus dem Mond -, es sei denn, sie schickte sich eben an aufzugehen. Als er den Garten betrat, befand er sich auf einer seiner Inspektionsrunden, denn sein Herr hatte ihn für einige Stunden entlassen, so dass er seinen häuslichen Pflichten nachgehen konnte. Der helle Schopf Asnys fiel ihm auf, da er ihr bisher noch nicht begegnet war - doch er war bereits über sie informiert, ihre Ankunft, ihre Zugehörigkeit, ihre vorläufigen Aufgaben. Ohne ein Wort blieb er hinter ihr stehen, die Sonne in seinem Rücken, so dass sich sein langer Schatten um ihre Füße wand, und betrachtete sie bei ihrer Arbeit. Sciurus mochte keine blonden Sklavinnen - dies mochte natürlich nicht verwunderlich sein, da Sciurus ohnehin niemanden mochte, doch gäbe es eine Skala des Nicht-Mögens, so würden blonde Sklavinnen darauf noch ein Stück weiter oben rangieren als das übrige Gesinde. Der Grund hierfür war nicht nur die erste Frau, die Sciurus in seinem Leben überhaupt hatte enttäuscht - seine Mutter -, sondern ebenso der Schatz der Erfahrung. Asny jedoch war nicht nur blond, ihr Haar war noch eine Spur heller. Ihr Körper war schmächtig, schien schwächlich, doch zeigte sie soweit keinen Anschein von Faulheit.

  • Eingebettet in die noch eher scheue Berührung winterlich verschreckter Sonnenstrahlen, deren wärmende Rufe an die reinkarnierenden Kräfte Gaias nur die erwartungsvollsten und mutigsten Saaten und Samen bereits anzulocken vermochten, schien in der abgeschiedenen Stille des atemlosen Wartens, des bald anbrechenden und alles verschlingenden Frühlings die Zeit nicht nur nebensächlich, vielmehr wirkte jener stetige Fluss verwandelt und gezähmt zu einem alten Greis, nach dessen Lebenslicht niemand mehr sah und der alle einstige Wichtigkeit restlos eingebüßt hatte. Verwelkt und abseits allen Lebens blickte er voll Neid auf die törichten Narren, die glaubten, ihre Empfindungen würden genügen, das Sonnenrad zum Stillstand zu zwingen, den Sand in der hohlen Hand aufzufangen und alles in jenem sphärischen Atemzug verharren zu lassen, als würde die Dämmerung zwischen den Jahreszeiten für alle Ewigkeit bestehen. Dieser Greis war nicht zu töten, totzuschweigen, eine Illusion lag vor den Augen derjenigen, die annahmen, sich einen Tag, auch nur eine Stunde von ihm stehlen zu können, weil Stille oder Abgeschiedenheit oder Gefühle dies vermittelten. Oder weil Helios' Stern nach dem Raub seiner Kräfte durch den eisigen Atem des Winters lediglich ebenso schwache Schatten herbeizaubern konnte, mit trüben Rändern versehen und aus grau-bleicher Haut. Nur an Kälte besaßen sie reichlich, wie jeder Winkel, den die flach atmenden Strahlen nicht erreichten. Unter einer dünnen Humusschicht war Gaias Fleisch unangenehm kühl, wie auch die schillernden Spiegelungen der Fischteiche darüber hinfort täuschten, dass auf deren Grund empfindliche Frostigkeit regierte.


    Geistig mit ganz anderen Pfaden verschlungen fand Asny sich zu jenem zeitlos wirkenden Augenblick mit der Reinigung und Umsorgung eines kleinen, rundgeformten Beetes jener hochverehrten Winterrosen konfrontiert, was sie mit einem gänzlich innerlich getragenen, sanft flackernden Licht temporärer Zufriedenheit erfüllte. Das gleichmäßige Unkrautzupfen, das sie abwechselnd mit der linken und der rechten Hand durchführte, war anspruchsvoll genug, um die motorischen Fähigkeiten beider Hände zu trainieren, gleichzeitig jedoch auch ausreichend monoton, um ihre Gedanken heimatlosen Schmetterlingen ähnlich durch Luft, Ort und Kosmos schwirren zu lassen, lediglich hier und dort an einer einladenden Blüte innehaltend und ein wenig länger verweilend. Auf ihre Arbeit waren bereits sämtliche notwendigen Überlegungen verschwendet worden; alle ihr bekannten Pflanzen, die sie aus dem dunklen Boden herauszupfte, waren bei ihrem offiziellen Namen genannt worden, der optimale Pflückrhythmus ward gefunden und auch die Erde hatte sie einem kritischen Test unterzogen, indem sie sie fachmännisch zwischen den Fingern zerrieben hatte. Mit vollster Aufmerksamkeit eines halben Ohres lauschte sie zusätzlich dem Geplauder ihrer Schwester, die mit hinter dem Kopf verschränkten Armen über den Rosenspitzen in der Luft hing und so tat, als genieße sie die durch sie hindurchfallenden Sonnenstrahlen.
    Relativ einsam lag dieser Bereich des Gartens, in welchen man sie schlussendlich geschickt hatte, vermutlich weil sie zu viele Fragen gestellt und die anderen Sklaven damit vom Arbeiten abgehalten hatte. Doch obwohl sie ihre verordnete Tätigkeit genoss, war die junge Sklavin eben noch lange keine Expertin auf diesem Gebiet, was wiederum bedeutete, dass es sie nach vertiefenden Informationen verlangte, die ihr bedauerlicherweise wieder einmal niemand freiwillig zu geben gedachte. Die meisten Mitgärtner hatten sich in ein genervtes oder grummliges 'Keine Ahnung' gerettet oder sie zu ignorieren versucht, unwissend, dass dieser Trick bei Asny nicht zog, wenn sie unbedingt eine Frage beantwortet haben wollte. Also hatte sie sich schlussendlich in diesem abgelegenen Teil des Gartens wiedergefunden, was sie jedoch ebenfalls nicht als Tragödie einordnete, denn so konnte sie sich leise und ungestört mit ihrer Geisterschwester auseinandersetzen, ohne befürchten zu müssen, von irgendeinem dummen Kommentar in einem wichtigen Disput mit sich selbst gestört zu werden.


    ... und dann geschah es! Du wirst es nicht glauben, aber.... er hat gehustet!! Im Schlaf!! Hannibal hat gehustet! Und ich musste mich nur eine Nacht lang darauf konzentrieren, ihm die Luftröhre abzudrücken! Ist das nicht phantastisch?!
    Äußerst zufrieden mit ihren nächtlichen Vergnügungen blinzelte Asa in den von zarten Schleierwolken bedeckten Himmel und wiegte sich einmal zufrieden mit ihrer vollbrachten Leistung hin und her, erfüllt von einem Triumph, als hätte sie Didos Erzeuger mit einer lapidaren Handbewegung dazu getrieben, sich einen Dolch in die Eingeweide zu rammen. Ihre Schwester, die am Rand des Rosenbeetes kniete und einen unerwünschten Setzling nach dem anderen entwurzelte, dabei überaus bemüht, den harten, teils dornenbesetzten Rosenstielen nicht zu nahe zu kommen, nickte erwartungsgemäß, während eine leise gesummte Melodie von ihren geschlossenen, sacht lächelnden Lippen strömte. Die Flut ihrer Haare war mit einem einfachen Stoffband ein wenig eingedämmt würden, damit ihr die mit der blassen Sonne um die Wette leuchtenden Strähnen nicht vorwitzig bei der Arbeit ins Gesicht fielen, und ihr weltentrückter Blick strich über Rosenknospen und aufgelockerte Erde.
    Der Geist über ihr sonnte sich noch einen Moment im Glanze seines Erfolges, ehe er den Kopf zur Seite neigte und hinunterblickte.
    Eigentlich ist es ja ganz nett hier. Ich meine, es könnte schlimmer sein. Oder was meinst du?
    Asnys Augen schlossen sich für einen kurzen Moment, währenddessen ihre Finger beiläufig ihre nächsten Opfer ertasteten und um ihr Leben brachten.
    "Zaudern gleich schmilzt trüb zu hell
    verlaufen altbekannte Farben
    umgleiten zart, windflügelschnell
    vertraute Schatten, sehnend' Darben.
    Boreas' Spur, in Haut gehaucht
    klammernd, zitternd, schaudernd, klar
    umschmiegt noch wie von Schlaf getauft
    stilltraumgeküsste Erbenschar."


    Stille.


    Ich hab das böse Wort gesagt, oder?
    "Du hast das böse Wort gesagt."
    Verdammt.
    Nach einem kurzen aber energischen Kopfschütteln, das die fahlen Haarsträhnen nur so zum Fliegen brachte, hob Asa immer noch in der Wiege der Luft liegend die Arme über den Kopf und drückte den Rücken durch, um sich so ausgiebig zu strecken wie eine träge Katze in der Mittagssonne. Ein ähnlich herzhaftes Gähnen folgte, das anscheinend ein weiteres Vermächtnis aus ihrer Zeit als Lebende darstellte.
    Wie lange hast'n du dafür gebraucht?
    Etwas behutsamer, um die tief ins Erdreich verwachsene Wurzel nicht abzureißen, rückte Asny einem weiteren zickigen grünen Parasiten zuleibe und warf schließlich die Beute in den geflochtenen Korb. Interessiert beugte sie sich über den zurückgebliebenen, narbenartigen, kleinen Krater im Beet, aus dem erbost ob der Störung ein rosaglänzender Regenwurm hervorlugte.
    "Um meinen liebenswürdigen alten Mentoren zu zitieren als der Anteil billigen Weines in seinem Blut wieder einmal jeden Taverneninhaber vor Neid erblassen ließ: 'Über wirklich auchergewöhnliche Lyrik darf man nicht länger nachdenken, alch der die Gedanken berauchende Musenkuss benötigt, um glühend und kraftvoll deine Zchunge zu berühren und durch deine Lippen geboren chu werden'. Außerdem hinkt es etwas, 'gehaucht' und 'getauft' reimt sich nicht richtig."
    Asa kratzte sich nachdenklich am Kinn und blinzelte mit verengten Augen in den wiederauferstandenen Sonnenschein hinein. Sie hatte für dieses ganze Wortgefummele nicht sonderlich viel übrig und auch jener leicht hinkende Reim konnte über den Gesamteindruck nicht hinfort täuschen, welcher größtenteils durchsetzt war mit Verständnisschwierigkeiten. Sie pflegte die Dinge deutlich und oftmals gar etwas rüde auszudrücken, was aber laut ihrer Schwester ebenfalls eine Art spezielle Kunst für sich war. Zumindest solange sie nicht bestimmte Reizbegriffe verwendete, wie eben 'nett'. Außerdem hatte man sich in dieser Geist-Mensch-Konstellation zwangsläufig arrangieren müssen und Asa musste gestehen, sich jene ganz ganz ordinären Ausdrücke inzwischen weitesgehend abgewöhnt zu haben, außer in besonderen Fällen. Oder bei Hannibal.
    Der lebende Zwilling grub gerade vorsichtig die Handvoll kühler Erde aus, welche den aktuellen Lebensraum des aufgeschreckten Wurmes darstellte, hob das knochenlose Tierchen vor ihre blassblauen Augen und drehte es leicht, um es von allen Seiten zu betrachten.
    "Regenwürmer deuten auf einen guten Boden hin, hast du den Gärtner vorhin gehört? Wir sollten sie zählen, wenn wir ihnen begegnen, um die Qualität der Erde daran zu berechnen."
    Ein hämisches, heiseres Kichern antwortete von weiter oben, das entfernte Ähnlichkeit mit einer asthmakranken Krähe aufwies.
    Wenn ich früher Würmer fand, habe ich die reichen Patrizierinnen auf die Hochsteckfrisuren geworfen, in die sie sich dann eingegraben haben. Zu dumm, dass ich nie dabei sein konnte, wenn sie am Abend ihre Perücken aufdröselten. Die Alternative 'Händlerware' funktionierte aber auch einwandfrei.
    Wieder folgte ein in Erinnerungen schwelgendes Lachen, ehe sich Asa leicht über die nackten Oberarme strich.
    Hm, komisch. Wüsste ich nicht, dass die Vorstellung total idiotisch ist, würde ich behaupten, dass es irgendwie kälter hier wird...


    Mit Daumen und Zeigefinger zog Asny indessen vorsichtig den Wurm aus den letzten Erdresten und legte ihn sich wie ein sich windendes Juwel auf die Handfläche, wodurch sie sich spontan aller Aufmerksamkeit in der Nähe befindlicher Vögel und eines fleischfressenden Eichhörnchens versichern konnte. Hätten die Götter ihm eine Stimme geschenkt, würde der fleißige Erdenbewohner sich zweifelsfrei erkundigen, wie seine Entdeckerin sich wohl fühle wenn sie sich nackt und ohne ihre schönen langen Haare auf einer riesigen Hand befände. Wie stets mit verträumtem Blick und abwesend zarter Stimme ausgerüstet begann sich die junge Sklavin indes über ihre Entdeckung auszulassen.
    "Zweifellos ist dies ein prachtvolles Exemplar. Ich glaube mich zu erinnern, dass, wenn man Regenwürmer in zwei Teile trennt, beide Teile sich unglaublich schnell regenerieren und transformieren können und unabhängig voneinander weiterleben."
    Ähm... Asny...?
    "ich finde das bei einer vergleichsweise niederen Kreatur außerordentlich faszinierend. Sind sie Menschen nun also wirklich unter- oder vielmehr überlegen? Denk dir nur die Vorteile, bestünde die römische Armee aus Regenwurm-Mensch-Hybriden."
    A... Asny...!
    "Zugegeben, vermutlich hauchen die wenigsten Soldaten dadurch ihren Odem aus, dass ihr Gegner sie durch den Brustpanzer in der Mitte durchtrennt. Aber rein hypothetisch betrachtet..."
    ASNY!!
    "Hm?"
    Da steht ein wenig vertrauenerweckender Kerl hinter dir! Und bedenke, dass ICH ihn wenig vertrauenerweckend finde!
    "Oh, ich weiß. Ich sehe schon ein Weilchen seinen Schatten. Aber wenn er lediglich vorhat, mich stumm von hinten zu beobachten, darf ich doch nicht seine Absichten zerstören und seinen Eindruck von mir verfälschen, indem ich mich meinem Wissen entsprechend verhalte."
    Asas Handfläche traf mit überraschend lautem Klatschen auf ihre Stirn und ihr Mund öffnete sich zu einem Schrei, den wohl nur die tiefsten Abgründe der Unterwelt gellend und hallend vernehmen konnten. Manches Mal schien es tatsächlich verlockender, einfach endgültig zu sterben. Ihre Schwester jedoch stützte sich mit der wurmfreien Hand und den Zehenspitzen auf dem Boden ab um sich die Knie nur leicht anhebend etwa neunzig Grad zu drehen, so dass sie zu dem Unbekannten hochblinzeln konnte, obwohl sie gegen die flimmernd-lichten Sonnenstrahlen kaum mehr als einen dunkleren, hoch aufragenden männlichen Umriss mit hellem blondem Haar ausmachen konnte, zu dem sie dennoch ihr übliches, von ruhigem Interesse durchsetztes Lächeln hinaufschickte
    Ganz toll. Bei Fortunas immer so unglaublich breitem Grinsen, das sie uns zuwirft, bevor sie uns lachend ins Gesicht spuckt, ist das auch noch dieser Sciurus. Du erinnerst dich sicher; der, vor dem du dich in acht nehmen sollst, der ALLERWICHTIGSTE Sklave im Haus, der, mit dem du's dir auf gar keinen verdammten Fall verscherzen darfst, wenn du nicht unglücklich.... Dreck!! Vergiss, was ich gesagt habe, das ist sicher Straton oder Severus oder sonst ein zufälliger Zufallssklave, der nur zufällig...!
    Die geisterhafte Schwester musste nicht erst das irrlichterne Flackern im Winterhimmelsblau der Augen ihrer Schwester erspähen, den veränderten Zug um ihre lächelnden Lippen sehen, es genügte irgendwie völlig zu beobachten, dass sich ihr Kopf ein apartes Stückchen zur Seite neigte, um zu wissen, dass Asny das Schlüsselwort selbstverständlich nicht überhört hatte. Schließlich war 'glücklich' auf einer Ebene mit 'nett' zu suchen.
    "Salve... Sciurus, nicht wahr? Ich heiße Asny, wie dir sicherlich bewusst ist. Überaus erfreulich, dich zu sehen. Kann ich etwas für dich tun?"

  • Verzweifelt suchte der nackte Wurm auf der Hand des Mädchens Halt zu finden, darauf sich zu winden, um fruchtbare Erde zu erreichen, sein dunkles Reich, in welchem er heimisch war, doch die menschliche Hand bot ihm kein Entkommen, so dass in kreisenden Bewegungen sein Bemühen dem Scheitern ausgeliefert war. Viele Sklaven machten sich im Laufe ihres Lebens zur Gewohnheit, kleinere Wesen denn sie selbst zu drangsalieren. Während sie von oben die Fußtritte ihrer Herren ertrugen, gaben sie diese nach unten weiter, an jene, die unter ihnen in der Hierarchie standen, an Sklavennachwuchs, doch viel eher und viel unbedachter noch an Käfer, Fliegen, Spinnen, Würmer oder anderes Getier. Sciurus war kein Freund sinnloser Gewalt, wie er allgemein kein Freund sinnloser Taten war. Der Sklave beugte sich wortlos zu Asny hinab und nahm den Wurm von ihrer Hand, um ihn hernach auf die andere Seite des Weges in die Erde zu werfen. Es war ihr Glück, dass Sciurus nicht wusste, was die junge Sklavin mit dem Wurm hatte vorgehabt, gleich was es gewesen sein würde, denn es ersparte ihr eine Zurechtweisung - zumindest in dieser Hinsicht.


    "Du stellst zu viele Fragen", stellte er tonlos fest und fixierte die Sklavin erneut mit seinem Blick. "Und hältst damit andere von ihren Aufgaben ab. Es ist meine Aufgabe in diesem Haushalt, dafür Sorge zu tragen, dass jeder das tut, wozu er da ist, dass alle Ressourcen optimal genutzt werden und die zahllosen Vorgänge reibungslos ablaufen, so dass die Herren nicht einmal im Ansatz etwas davon bemerken. Solange dein Herr nicht zurückgekehrt ist und anderweitig Verwendung für dich findet, solange du Teil dieses Gefüges bist, um dir deinen Platz am Esstisch zu sichern, solange wirst du dies unterlassen. Andernfalls werde ich dafür Sorge tragen, dass du es unterlässt."
    Es war keine Drohung, auch wenn es den Anschein haben mochte, es war einzig eine Feststellung. Die Dinge im Haushalt der Villa Flavia funktionierten so, wie Sciurus es wollte, oder sie funktionierten gar nicht, denn alles, was nur halbwegs oder fehlerhaft funktionierte, konnte das Gefüge ins Wanken oder gar zum Zerbrechen bringen. Es war dies eine Tatsache, welche viele Sklaven, gerade neue Sklaven, nicht sehen wollten, doch für Sciurus war belanglos, was der einzelne wollte.

  • Hätte sich irgendeine der beiden eigentlich sehr ungleichen und doch im Grunde überaus ähnlich gesinnten Zwillingsschwestern etwas aus der Atmosphäre eines vorfrühlingshaften, harmonischen Sonnentages gemacht, aus dem fröhlichen und doch nur zweckdienlichen Zwitschern der Vögel, dem zaghaft ausschlagenden Grün, welches sie umgab oder dem warmduftenden Wandel in der Luft, so hätte sie es vermutlich bedauert, dass dieser kleine Ausflug in die elysischen Gefilde ein derart abruptes wie kaltes Ende fand. Allerdings gab keine von beiden sonderlich viel um Dinge wie den Genuß der Natur oder ein entspannendes Ambiente. Asas Charakter war zu materialistisch; etwas, das ihr keinen direkten Nutzen brachte, interessierte sie selten. Sich faul in der Sonne zu räkeln war ab und an ganz schön, aber viel tiefsinniger dachte sie gewiss nicht über die glühende Himmelsscheibe, Frühlingserwachen hin oder her. Asny bemerkte da schon mehr, was sie jedoch hauptsächlich insofern von ihrem Zwilling unterschied, als dass sie diese wahrgenommene Stimmung einfangen und gegebenenfalls ausnutzen konnte, indem sie sie in hübsche Worte fasste oder durch Beschreibungen und Lieder eben jene Situation ihren Zuhörern vor deren inneres Auge zu spiegeln verstand. Abgesehen von diesem (Aus)Nutzen war ihr persönlich Wetter wie Umgebung zumeist herzlich einerlei.
    Insofern trauerte also keine der beiden dem Verlorenen hinterher, das durch Sciurus‘ Intervention vermutlich erst einmal völlig wie nachhaltig vernichtet worden war. Asa als die größere Schwester zeigte lediglich einen Hauch Besorgnis sowohl über die Identität des Störenfriedes, als auch über dessen ‚Ruf‘ – oder Didos Meinung über diesen ‚Ruf‘ -, in der unglücklichen Verbindung zu ihrer in gewissen Belangen noch gänzlich unausgereizten Schwester. Wenn dieser Sklave wirklich so beinhart in gottesähnlichem Status schwebte, wie Dido meinte, konnte es durchaus passieren, dass man Angst um den einzigen Zwilling haben musste, obgleich einem bekannt war, dass jener eigentlich recht gut auf sich acht geben konnte. Vielleicht wurde es ja auch gar nicht so tragisch, wie sie befürchtete, denn dieser Sciurus schien doch recht...


    Hu, der hat seine Emotionen für diese Woche aber auch schon alle aufgebraucht, was? murmelte die Geisterschwester vor sich hin, während sie langsam einmal um diesen flachsblonden Sklaven herumglitt und sich auch nicht daran störte, dass ein Regenwurm einmal quer durch ihren Bauch flog, um kurz dahinter eine Landung auf kühler Erde zu machen, die ihm vermutlich wenig besser gefiel, als auf einer Handfläche herumzuwuseln. Nachdenklich strich Asa sich mit dem nebligen Zeigefinger über das ebenso durchlässige Kinn. Einen Minotaurus hatte sie ganz zweifelsfrei nicht vor sich, allerdings auch aus nächster Nähe eigentlich niemanden, der ihrer Wiedergeburt Dido solch hochlobende Worte in den Mund zu platzieren verstand. Möglicherweise lag es auch daran, dass man als Asnys ständige Begleitung reine Ausdruckslosigkeit als normalen Zustand anerkannte und sich aufgrund dessen nicht mehr zwangsläufig nervös und unsicher fühlte. Gut, dieser Kerl wirkte weder sympathisch noch freundlich und als er so plötzlich hinter ihrer Schwester aufragte, hatte Asa sich... nun, erschrocken wäre übertrieben gewesen, ganz besonders bei einem so draufgängerischen Geist, der das Spuken und Heimsuchen gerade für sich selbst entdeckte, aber es hatte eben doch eine Überraschung dargestellt.
    Und da dieser Sklave der vorschnellen Anrede nicht widersprach, schien es sich bei ihm sogar tatsächlich um Sciurus zu handeln, eine dieser tollen kleinen Widerwärtigkeiten des Lebens. Sie hätten Dido noch etwas weiter bezüglich ihres Vorbildes befragen sollen, immerhin musste man laut ‚Ich habe die römischen Straßen (beinahe) überlebt - Asa‘ seinen Gegner besser kennen als seine Verbündeten. Und dass Sciurus, wenn er nicht auch innerlich kalt und tot war wie sein äußerer Anschein, früher oder später irgendwie über den ein oder anderen Umweg in die Sparte ‚Gegner‘ rutschen würde, war eigentlich vorauszusehen. Hier und dort einige brauchbare Verbündete anzusammeln war zwar gut und schön und nützlich, aber ähnlich wie Harmonie, Glück und Nettigkeit auf Dauer und in Reinform für Asny kein erstrebenswerter Zustand. Feinde und einfach Leute, die sie nicht leiden konnten – die Leute Asny, umgekehrt lag meistens weitesgehend interessenlose Neutralität vor – waren einfach quasi die Würze in den Speisen, ein Anreiz, sich stetig weiter zu verbessern und weder faul noch träge oder gar überheblich zu werden. Falls Asny also zu wählen hätte zwischen einem Freund und einem Feind, so würde sie sehr wahrscheinlich den Feind bevorzugen. Außer natürlich, der Freund brachte einen so unverschämten Vorteil mit sich, dass selbst die weißblonde Sklavin nicht widerstehen konnte. Asa beschloß, erst einmal still abzuwarten und zu beobachten, wie ihr Zwilling reagieren würde, während sie innerlich mit sich selbst über den Ausgang wettete.


    Selbstverständlich hatte Asny Sciurus‘ Worten ruhig gelauscht, wie zumeist ihre Aufmerksamkeit gänzlich hinter einem verträumten Schleier verbergend. Das sanfte Lächeln verharrte ebenso konstant auf seinem Platz wie die ernste Miene ihres Gegenüber und auch ihr Blick blieb völlig ruhig, obgleich die Sonne von ihrem Standpunkt aus immer noch ein wenig nachteilig schien und den größten Teil der auf sie hinab blickenden Gesichtszüge in Schatten tauchte. Doch im Grunde war es der jungen Sklavin fürchterlich einerlei, wie dieser Mann nun aussah. Seine an sie gerichteten Worte bargen weitaus größere Wichtigkeit für sie, neben dem Vorfall ihres abhanden gekommenen Regenwurmes, dessen Flugbahn ihre Augen kurz gefolgt waren. Ihre nun leere Hand war ruhig wieder gesunken und hatte sich neben die zweite auf ihren Oberschenkel gelegt. Ansonsten strahlte sie gewohnte gelassene Freundlichkeit auf den ersten Blick aus, neben der wie so oft kein Platz war für Stimmungen wie Demut, Schuldgefühle oder Unruhe. Selbst wenn der Platz gegeben wäre, hätte Asny ihn jedoch wahrscheinlich ungenutzt gelassen.
    Aber da Sciurus so überaus direkt in seinen Anordnungen gewesen war, wollte sie die Situation nicht dadurch in ihrem Wert verringern, dass sie sich allzu lange mit verbalen Ausschmückungen abgab, die hübsch wirkten, ohne die sie aber ebenso gut auskommen konnte. So gerne sie ansonsten auch an ihrer Ausdrucksweise herumschliff und –übte, so war ihr in gewissen Momenten eine direkte Erwiderung selbst um einiges lieber. Während ihre linke Hand bereits wieder die Tätigkeit des Unkrautjätens aufnahm, indem ihre Fingerspitzen sachte die Form des zu entfernenden Grüns ertasteten, ehe sie es mit einem kurzen, kontrollierten Ruck entfernten, war ihre übliche mild-sanfte Stimme leise und sicher zu hören.


    „Dein Standpunkt ist korrekt. Doch für ein adäquates Urteil fehlen dir so glaube ich noch einige Informationen mehr. Alpha: Meine Fragen drehten sich allesamt um die mir zugewiesene Aufgabe und waren vonnöten, um sie gut und richtig ausführen zu können. Beta: Ihre Zahl wäre durchaus geringer und der daraus resultierende Zeitaufwand schmäler gewesen, hätte man sie mir beim ersten Mal direkt beantwortet. Gamma: Arbeiten von den Herrschaften unbemerkt ablaufen zu lassen ist gewiss ein ausgezeichnetes Ziel, ich ziehe als mein persönliches Optimum im Umgang mit meinem Herrn jedoch positives Wahrnehmen dem Unbemerkten vor. Delta: Meine Taten zielen nicht auf einen Platz am Esstisch, inwiefern sich Unterernährung auf meine Arbeitsqualität auswirken wird, darf man wenn man möchte gerne an mir erforschen, doch mir persönlich ist dies relativ gleichgültig, schließlich gehört mein Körper meinem Herrn, ergo schadet eine mangelhafte Versorgung auch nicht mir sondern meinem Herrn. Und schließlich Epsilon: deine Sorge ehrt dich und den dir auferlegten Posten, doch sei versichert, dass ich nie etwas tue, ohne dass es einen Zweck für meinen Herrn erfüllt. Angefangen von diesem Regenwurm, den du mir leider fortgenommen hast, bis natürlich hin zu meinen täglichen Übungen, die auch jetzt parallel zu meiner Arbeit verlaufen. Du kannst mich jedoch gerne weiterhin im Rahmen deiner Aufgabe im flavischen Haushalt zurechtweisen, es hilft mir dabei, meine Aufgaben noch einmal zu überdenken und zu hinterfragen. Also hab vielen Dank.“

  • Sciurus hasste sie, diese unnützen Dinger, die sich mit langatmigen Worten der unvermeidlichen Aufgaben zu entwinden versuchten, in endlosen Satzgefügen eine Ausflucht an die nächste reihten. Sciurus interessierten weder ihre Beweggründe, noch ihre Ausflüchte, es war einzig seine Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass sie ihre Arbeit erledigten.
    "Was du glaubst, ist völlig irrelevant. Wie und ob dein Herr deiner Person wahrhaft werden möchte, dies hat allein dein Herr zu entscheiden. Doch dein Herr ist nicht hier und solange du Teil dieses Haushaltes bist und dein Herr nicht hier ist, wirst du tun, was man dir sagt, und es unterlassen, das Gefüge dieses Haushaltes zu stören. Verfalle nicht dem Irrglauben, deinem Herrn von unschätzbarem Wert zu sein. Sieh dich um und erkenne, wo du bist. Dies ist ein flavisches Anwesen, die Herrschaften versinken in Überfluss und niemandem fällt auf, wenn im Keller ein Sklave zu Staub verfällt, da längst drei neue seine Aufgaben übernehmen. Du bist hier nur ein Tropfen im Ozean."




    [size=7]In der Kürze liegt die Würze und weitere Ausflüchte per PN.[/size]

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