Von geheiligten Mitteln~ Oder: Opfereinkauf~

  • Das ewige Sonnenrad hatte unlängst das letzte Drittel seiner täglichen Pflicht erfüllt und die blassgoldene Scheibe begann bereits orangerötliche Feuerspuren auf die wenigen Schleierwolken zu malen, die sie wie dunklere Schemen umschwärmten, sich bewusst, dass sie letztendlich siegreich sein und das Licht des Lebens mit sich in den Abgrund des Horizonts reißen würden, nur damit der immerwährende Reigen von Neuem beginnen konnte. Die unzähligen Ecken, Winkel und kleinen Schluchten Roms wandelten sich zu tiefen, schwarzen Abgründen, die in vollstem Gegensatz standen zu den wie strahlende Fackeln erleuchteten Spitzen, Dächern und Höhen, die der letzte Kuss der niedersinkenden Strahlen stets besonders feurig traf. Mit dem sich stetig dichter verwebenden Netz schwarzer Gespenster, die aus der Enge und Lichtlosigkeit hervorkrochen und sich ausbreiteten, schien sich der ohnehin zu jeder Zeit wirre, ineinander vermengte Strom von Menschen, Tieren und Gefährten noch einmal einem anderen, schnelleren Rhythmus zu unterwerfen, als pflanzte sich eine ansteckende Krankheit durch die Luft von einem Lebewesen zum nächsten fort, verbreitete Unruhe und legte sich über schlagende Herzen, um sie noch stärker vorwärtszutreiben, dem Ziel entgegen und fort von der Welt jenseits des Lichtes. Bewusst wurde dieses mysteriöse Leiden von kaum einem Geschöpf wahrgenommen, war es doch schon zu allumfassend im inneren Reich eines jeden verknüpft und verkettet. Motten gleich suchten sie das Helle, züchteten es, umwarben und pflegten, wohl wissend, was außerhalb des kleinen, imaginären Schutzkreises lauerte. Dabei hatten sie die dort lauernden Gestalten oft genug selbst geboren, trugen Schuld an durchbohrenden Augen, gefletschten Zähnen und blutgierigen Gedanken, die dort schweigsam und geduldig warteten, abgehalten nur von überzogenem Gelächter, zu lauter Musik und erzwungener Geselligkeit. Und doch waren sie bereits in deren Mitte, in den verschlossenen Abgründen ihrer Gedanken, den verschwommenen Gestalten in weiter Ferne, deren Entfernung so trügerisch war. Nur ein kurzes Aufflackern, ein Wort, eine Erinnerung war nötig, um sie anzulocken und ihren Griff zu spüren, dort, wo es am meisten schmerzte. Das Gewissen war vielleicht der ärgste, der grausamste Feind; nicht zu töten, nicht zu bekämpfen, nicht zu verlassen.
    Jener deutende Zeigefinger, lähmender Stich im Herzen, erstarrende Atemlosigkeit - und die Einsamkeit, die trennende, unerklimmbare Mauer des Geheimnisses, die umschließt. Ausschließt, vereinsamen lässt, isoliert, selbst in die Umarmung ganz gleich wie vieler Körper. Die Abendstunden bilden eine triste, mahnende Melodie, welche die ersten Schauder herabregnen lässt auf jene, die in Unwissen schlecht gekleidetes Wissen in sich tragen. Und welche die sich ankündigende Nacht bereits kennen durch die Bekanntschaft ihrer verstorbener dunkler Schwestern, deren unerträglicher Stille, einzig durchdrungen von eigenem, anschwellendem Herzpochen, dem man ebenso wenig entfliehen kann wie den sich niedersenkenden Gedanken, den verräterischen, quälenden, die stechende Bilder unter die zugepressten Lider schieben und bekannte Stimmen in zermürbender Kakophonie in den Ohren hallen lässt, gleich wie sehr man sie zu überhören versucht. Die Geister der Schuld lauern im Nächtlichen und nehmen den Platz der Welt ein, wenn jene in nebliger Schwärze versunken ist.


    ~~~


    Bei Mars, sie hatte nicht vor, zu fliehen. Mochten sie manche Blicke erfüllt mit Misstrauen getroffen haben, so hatte man ihr endlich doch Glauben geschenkt, weil ihr Betragen bislang tadellos gewesen war. Und womöglich auch, weil sie die Option tatsächlich keinen Augenblick lang in Erwägung gezogen hatte. Eine Flucht wäre langweilig und sinnlos angesichts dessen, was sie erlebte und lernen konnte, wenn sie dort bliebe, wo das Schicksal sie angeschwemmt hatte. Sie besaß große Pläne in und mit ihrer neuen Unterkunft, die weit jenseits dessen lagen, was ihr das Leben in Freiheit anzubieten hatte.
    Weitaus zielgerichteter als es den äußeren Anschein hatte durchlief Asny abwechselnd gegen und mit dem Strom wandernd kleinere Gässchen und breitere Straßen Roms, mit ruhigen Schritten und geschmeidigen Reflexen, wenn ein Zusammenstoß mit einem anderen Menschen drohte. Ihre gelassene Aufmerksamkeit glitt über die geschäftigen Konturen derjenigen, die sie passierte und die an ihr vorbeieilten, ohne allzu lange auf einem Punkt zu verharren. Die leise Melodie, die ihren Lippen entfloh, erklang lediglich in ihrem Kopf, die aufgescheuchte Geräuschkulisse der Umgebung vermochte eine so zarte Tonfolge nicht zu bemerken. Schon den ganzen Tag wiederholte sie diese Klangfolge, prägte sie sich mit jedem Male tiefer ein und hatte längst jenen Punkt passiert, der das Vergessen verhinderte. Diese war es, diese und keine andere war geeignet, um sie Mars an jenem wichtigen Tage vorzutragen und verflochten mit anderen Ritualen für die gefahrlose Rückkehr ihres Herrn zu beten. Langsam, behutsam mochte sie beginnen, doch sie entwickelte sich, wuchs und spross, begann zu leben und erfüllte umgekehrt mit Leben, pulsierend, leidenschaftlich und dem Rhythmus von Kampfeslärm, Kriegstrommeln und Herzschlägen folgend, vermischt zu einer reinen, überwältigenden Erregung. Mochte es auch noch ein kleines Kind in den Gedanken einer einzelnen Sklavin sein, so schmeckte ihre Zunge doch bereits die Kraft und Energie, die darin strömte und ruhte, bis man sie erweckte und befreite.


    Der nächste Schritt würde die Beschaffung des Opfertieres sein und eben dorthin trieb es das weißblonde Mädchen just in diesem Moment, in welchem sich der Abend auf die Ewige Stadt herniedersinken ließ. Allzu viel Zeit würde sie mit ihrem Vorhaben nicht verlieren dürfen, sonst drohte ihr vermutlich eine Bestrafung, doch an derartige Entwicklungen verschenkte Asny augenblicklich nicht einen flüchtigen Gedanken. Ebenso wenig wie ihre tote Schwester, die ein kleines Stück über ihr schwebte, um nicht ständig durch irgendwelche Körper gleiten zu müssen, was sie als nicht sonderlich angenehm empfand. Allerdings stand Asa der Absicht des lebenden Zwillings doch ein wenig kritischer gegenüber, als dieser selbst.
    Was immer du auch anschleppst, wer sagt dir, dass die Flavier es dir nicht wegnehmen, weil sie glauben, du hättest es geklaut? Obwohl das noch ein sehr edler Gedanke ist verglichen mit dem, was wir vorhaben... Die letzte Bemerkung war zu einem leisen, beifälligen Murmeln hinabgesackt und anhand des Tonfalles war schwierig zu entscheiden, ob Asa nun besorgt oder stolz war. Ihr silbriger Nebelblick fand von den wuselnden Menschen zu ihrer weiter unten schlendernden Schwester, genauer gesagt zu deren Fingern, deren oberste Glieder einzeln mit einem dünnen Faden abgebunden waren, und welche wieder einmal ein mittelgroßes Bündel durch die Gegend schleppten, dessen Inhalt man nicht einmal ansatzweise erraten konnte. Allerdings ließ sich bereits anhand der durchgeführten Vorbereitungen erkennen, dass Asny keineswegs plante, mit einem Hamster oder einer Wachtel zurückzukehren - einmal abgesehen davon, dass der freundliche, bislang völlig ahnungslose 'Spender' weder das eine noch das andere in seinem Bestand führte. Wie Asa ihre willensstarke Schwester kannte, wusste diese bereits sehr genau, mit welchem tierischen Opfer sie letztendlich in die Villa zurückkehren würde und womöglich war es das, was sie so beunruhigte. Oder, besser ausgedrückt, der Weg, den Asny für ihr Ziel zu gehen beabsichtigte, glänzte nicht gerade durch Sicherheit und leichte Begehbarkeit. Dieser alte Händler neigte nicht dazu, freizügig sein Tagesangebot an frischen Tieren zu verschenken und soweit Asa wusste plante ihre Schwester auch keinen Diebstahl - jene Taktik wäre indes deutlich mehr nach dem Geschmack der Verstorbenen gewesen. Und vermutlich wäre es ebenfalls menschenfreundlicher gewesen.


    "Du kennst mich doch. Ich sorge vor. Einmal abgesehen davon, dass sie sich hoffentlich hüten werden, eine Opfergabe für Marcus Flavius Aristides zu beschlagnahmen und selbst zu verspeisen."
    Asa beließ es jedoch nicht bei diesem einen Einwand, ganz einfach, weil sie prinzipiell etwas gegen Gaben und Rituale für irgendwelche Gottheiten hatte, die sich letzten Endes doch nicht an ihren Teil des Handels hielten, sondern sich garantiert irgendwo schmausend und lachend über die einfältigen Sterblichen und besonderes deren Verstorbene lustig machten.
    Zwar wartete sie noch einen gerade vorbeiklappernden Eselskarren ab, zischte ihrer Schwester allerdings bereits Augenblicke später ins Ohr:
    Aber es ist doch den ganzen Aufwand nicht wert! Es gibt keine Garantie, dass deine Mühen irgendwie was bringen! Noch dazu kennst du diesen Aristides gar nicht! Was, wenn er ein ganz fieser, ordinärer, beschränkter, fetter, alter Eberschwanz ist? Hm? Lass mich dieses Mosaik nur kurz zu Ende legen. Er verschüttet beim Essen die Hälfte des verdünnten Weines auf seine fette Wampe, deren Ausmaße schon fast gereichen, um eigene Bürgerrechte zu beantragen. Er ist einer dieser vielumschrienen Patrizier, die mit dem Gold um sich schmeißen und sich alles kaufen, was Spaß macht, deren Bildung aber katastrophal ist, weil sie sich alle möglichen toll klingenden Titel und Diploma nur mit ihrem vielen Geld gekauft haben! Er schlägt und betatscht Frauen und Sklaven und ist einfach nur eine zufällig im Körper eines Menschen geborene Drecksau. Was dann, Schwesterlein?!
    "Es ist unnötig, über so etwas nachzudenken, weil es nicht den Tatsachen entspricht." Asnys leise Stimme erklang mit einer Gelassenheit, wie nur tiefstverwurzelte Sicherheit sie hervorbringen konnte und die sogar Asa einen Herzschlag lang überlegen ließ, ob ihr lebender Zwilling diesen Mann nicht doch schon einmal kennengelernt hatte. Aber dies war schlichtweg unmöglich! Zweifellos würde sie davon wissen! Schon öffneten sich die blassgrauen Lippen wieder, um die nächste Legion Überredungskunst angreifen zu lassen, als ihre Schwester ihr zurvorkam.
    "Und selbst gesetzt den Fall, dass dein Mosaik den Tatsachen entsprechen sollte: wenn er nicht zurückkehrt, gehe ich laut Dido womöglich in den Besitz von Serenus' Großmutter über und muss nach Baiae. Dann lieber ein etwas korpulenter, eingekaufter Kriegsheld mit mangelhaften Manieren als eine alte Medusa außerhalb Roms. Doch wie ich schon sagte: Flavius Aristides wird keinen deiner vulgären Ausdrücke verdient haben."
    Dido mag ihn aber nicht und findet ihn blöd.
    Asas Augen glühten in triumphierend schwarzem Feuer bei diesem letzten, alles entscheidenden Argument. Wenngleich die kleine Sklavin keine wirklichen Gründe für ihre Meinung genannt hatte, so war diese angesichts dessen, dass sie Aristides' Sohn so gerne mochte, doch recht hart und deutlich ausgefallen. Wenigstens in den Augen des Geistermädchens. Natürlich hätte sie sich eigentlich denken können, dass ihre Schwester wiederum ein Gegenargument lieferte, das dem ihren einen unangekündigten, regelwidrigen und äußerst schmerzhaften Schlag in den Unterleib verpasste, doch manchmal fühlte sie sich einfach irgendwie doch für ihren jüngeren Zwilling verantwortlich. Was deren Schlag jedoch in keiner Weise dämpfte.
    "Ja, aber mich fand Dido ebenfalls blöd. Und wenn Aristides nur halb so 'blöd' ist wie ich, übertrifft er deine reizende Beschreibung bereits um die Größe Roms, nicht wahr?"
    Der tote Zwilling fügte sich klaglos in sein Schicksal der Verliererin und stieß lediglich einen tiefen Seufzer aus, der sein Echo in einer nachtdunklen Schlucht der Unterwelt fand. Derart vor Leben strotzendem Selbstbewußtsein hatte eine Verstorbene nicht viel entgegenzusetzen.
    Also schön. Tun wir einfach mal so, als wäre er jede deiner folgenden Schandtaten wert. Und wenn er nur halb so blöd ist wie du wird er den vielgerühmten Schutz der Götter spätestens dann brauchen, wenn er siegreich wieder in seine Villa einzieht und denkt, alles wäre dort noch so, wie bei seiner Abreise.




    tbc~

  • [Blockierte Grafik: http://i177.photobucket.com/albums/w220/Michikotennis/solidus2.jpg]
    Solidus


    "Oh ihr Götter, wie stets bin ich euch zu unendlichem Dank verpflichtet für diesen Tag, den ich noch erleben durfte, um euch zu preisen, nehmt's mir aber nicht übel, dass ich trotzdem froh bin, ihn endlich enden zu sehen!"
    Solidus' eilige Schritte flogen wie zumeist sandalenklappernd die steinernen Stufen hinauf, fort von zahlreichen Tier- und Menschenstimmen unterschiedlichster Klangformen und hinauf in den ersten Stock, dessen Räumlichkeiten etwas weniger einem mitten in Rom angelegten Bauernhof glichen. Die ihn begleitende Öllampe in Form eines tönernen Ziegenkopfes, aus dessen Schnauze das erhellende Flämmchen eine leuchtende Spur in der dämmerig dunklen Luft zog, warf einen flackernden Schein auf zusammengezogene, schwarze Augenbrauen, welche über einem ähnlich verbissenen Gesicht lagen, das jeder Maskenschnitzer mit Freuden für die Darstellung eines besonders schlechtgelaunten Charon kopiert hätte. Zu viele Wachstafeln und Pergamentrollen, als dass es noch elegant hätte wirken können, mit der anderen Hand an die knochige Brust drückend, nahm der Viehhändler die letzten Stufen in Angriff, dabei knapp den Kopf schüttelnd. Einen solch widerlichen Tag wie den heutigen konnte man seiner Meinung nach getrost aus dem Kalender streichen. Dabei hätte er es schon gleich in den frühen Morgenstunden wissen müssen, als er sich von seinem einfachen Lager geschwungen und den großen Zeh an einem Stuhlbein gestoßen hatte, wohl weil einer seiner Bediensteten es lustig fand, des nachts an seinem Mobiliar herumzurücken. Wie sich im Folgenden herausstellte, fielen zudem noch zwei Sklaven aus, weil sich einer von ihnen von einem Fohlen hatte treten lassen und ein weiterer von einer ganz üblen Art der Grippe geplagt wurde, was eine doppelte Medicus-Rechnung einforderte. Als dann auch noch die zugesicherte, bereits verkaufte und sogar schon angezahlte Lieferung Ferkel ausblieb, spürte Solidus wieder dieses unangenehme Brennen in der Magengegend, das sich auch nicht besserte, als plötzlich und natürlich unangekündigt die Aedilen vor seiner Tür standen, um Waren sowie Maße und Gewichte zu kontrollieren. Es stellte fast schon eine Pflicht dar, diesen hochangesehenen Beamten eine kleine Aufwandsentschädigung zuzustecken und sie mit einer ebenso kleinen aber feinen Mahlzeit zu bewirten, was zusätzlich zu der gezwungenen, fortwährenden Freundlichkeit die verräterische Ader auf Solidus' Stirn zum unruhigen Pochen brachte. Er hatte eigentlich weder die Zeit und ganz besonders nicht das Geld, sich um diese dämlichen Prüflinge zu kümmern. Bei einem so miesen Tag hätte er zum Tempel laufen und dort das opfern sollen, was er nun an jene gierigen Herrschaften verschwenden musste. Wobei sein bevorzugter Augur bereits angedroht hatte, dass der Flug der Schwalben und Amseln auf Komplikationen hindeutete, was den Händler bereits seit mehreren Nächten kaum schlafen ließ, obgleich er ohnehin selten viele Stunden in Morpheus' Reich verweilte.


    Begleitet von einem leisen Schnauben und noch leiseren Flüchen in mehreren Sprachen, die hoffentlich zu gedämpft erklangen, als dass ein göttliches Ohr sie noch hätte vernehmen können, hastete Solidus im ersten Stock seines Händlerhauses angekommen zu seinem von organisiertem Chaos geprägten Arbeitsbereich, zu welchem kaum einmal ein Sklave Zugang hatte. Ganz einfach, weil der energische Mann kein Vertrauen in unfreie Menschen besaß und er am Allerliebsten seine ganzen Geschäfte vollkommen alleine und ohne fremde Hilfe abgewickelt hätte. Was selbstverständlich nicht möglich war, auch dank seiner so reizenden, wohlgeratenen Familie. Seine Frau wähnte sich wie so oft außerhalb Roms und genoss das faule Landleben in einer Pracht, die das sparsame, trockene Herz ihres werten Gemahls alleine bei dem Gedanken an diese unglaubliche Dekadenz leise knisternd erschaudern ließ. Der ältere Sohn hatte sich für den glorreichen Dienst am Vaterland in der römischen Armee entschieden, also dort, wo sich laut Papas Meinung sämtliche für alle anderen Tätigkeit zu beschränkten Dummköpfe früher oder später wiederfanden, und der jüngere war auf die sogar noch hirnverletzendere Idee gekommen, sein zukünftiges Glück in der Schauspielerei zu suchen, wofür er sich jedoch eine väterliche Predigt hatte anhören müssen, die ihresgleichen in keiner noch so aufwendig inszenierten Ödipus-Aufführung fand. Nicht einmal mit nützlichen Enkeln konnte gerechnet werden, da der eine Herr Sohn seine Freiheit hochlobend auf Barbarenschlachtfeldern auszutoben pflegte und allenfalls aus Versehen eine Hure schwängerte, und dem anderen bereits fürchterlich übel wurde, wenn er eine nackte Frau nur ansehen musste.
    Insofern barg es kein Wunder, dass Solidus nach dem strengen Kanon lebte, alles in die eigenen Hände nehmen zu müssen, wenn er ein brauchbares Ergebnis erzielen wollte.


    Die einzige Hilfe, nach der es ihn verlangte und welche vielleicht einen kleinen Makel in seinem sonst so geschäftstüchtigen, geschäftsmännisch-rationalen Denken darstellte, war der Segen aller Gottheiten und Schutzgeister; oder anders formuliert, der gute Mann befand sich permanent in einem Zustand höchsten Aberglaubens. Von jeder Religion, welcher man sich in Rom mit mehr als fünf Personen unterwarf, besaß er mindestens ein heiliges Symbol als Amulett, kannte er wenigstens ein Schutz- oder Segensgebet auswendig und wusste grob, für welche gegenwärtige Situation sich deren Anbetung am wahrscheinlichsten lohnte. Jenes Geld, das er sich von Mund und Einrichtung seines Heims absparte, wurde fast ausschließlich für den Kauf von Opfergaben und Kultgegenstände verwendet, die er auf Altären und Schreinen darbrachte, und wofür er sich einen gesamten Raum hergerichtet hatte. Womöglich war es des Guten manches Mal doch ein wenig zu viel, doch der alte Händler hatte stets nach dem Vorsatz der vermehrten Sicherheit gelebt und er wollte Schutz, ganz gleich aus welcher Richtung Gefahr drohte.
    Selbstredend war ihm bewusst, dass es für einen Mann seiner Profession nicht unbedingt ein Vorteil war, wenn man sich öffentlich als derart gläubig auch Kleinigkeiten gegenüber gab. So mancher nicht ganz ehrenhafte Geschäftspartner würde in diesem Umstand garantiert eine Schwäche wittern und diese gnadenlos ausnutzen. Deswegen wusste kaum jemand außerhalb der enttäuschenden Familie, wie tief die Furcht vor allem Überirdischen und Mystischen des Hausherrn wirklich ging. Die Sklaven hatten jenen heiligen Raum ebenso wenig wie das Arbeitszimmer zu betreten, wenn sie nicht selbst den Opferdolch im Rücken spüren wollten, und den Priestern und Orakeldeutern, denen Solidus regelmäßige Besuche abstattete, war ebenfalls unbekannt, zu welchen konkurrierenden Stellen es den Gläubigen sonst noch zog. Es war schon schwer genug zu verhindern, dass die Gottheiten und Geisterwesen untereinander nicht neidisch wurden und ihn gar nur noch mit schlimmem Pech straften.


    Obgleich dieser Tag mit dem heutigen bereits gekommen zu sein schien, denn eine andere Erklärung für all das Pech konnte es beinahe schon nicht mehr geben. An seinem mit unzähligem Pergament übersäten Schreibtisch Platz nehmend genehmigte sich der Händler einen großen Schluck Wasser und setzte die Öllampe in die dafür vorgesehene, schützende Halterung. Hoffentlich geschah bei der momentan laufenden Fütterung der Tiere unten nicht noch irgendein weiteres dummes Unglück, doch als er etwas konzentrierter lauschte, schien seine Ware in gefräßiges Schweigen verfallen zu sein, was ihn einigermaßen beruhigt durchatmen ließ. Das Licht des Tages schmolz nun rasch in sich zusammen, als wäre dem Sonnengott das Lampenöl ausgegangen und schon bald stellte der Ziegenkopf die einzige Lichtquelle dar, abgesehen von einem schwachen Schein, der aus dem Erdgeschoss nach oben drang. Mit der Dunkelheit hielt auch der auffrischende Nachtwind Einzug, so dass Solidus sich mit leisem Ächzen und lauterem Fluch auf den Lippen bald wieder von seinem Stuhl hochstemmen musste, um die hölzernen Fensterläden zu schließen, und sich einen dicken Umhang über die dürren Schultern zu hängen. Dann kratzte der bronzene Stylus wiederum leise über die wächserne Tafel, auf welche sich die verengten Augen des Schreibers richteten, um überhaupt inmitten des diffusen Lichtes noch erkennen zu können, was man dort eigentlich gerade anfertigte. Womöglich sollte er so langsam doch einmal ernsthaft über die Investition in einen Schreibsklaven nachdenken, doch erneut sträubten sich Solidus' Prinzipien hartnäckig dagegen, einem Fremden seine Geschäftsunterlagen anzuvertrauen, solange er nicht völlig blind war und seine Hände nicht zitterten wie Lämmerschwänze. Nein, es steckte wahrhaftig noch genug Gesundheit und Energie in diesen alten Knochen, die so manchen jüngeren Kollegen durchaus das Fürchten lernen ließen!


    Das beunruhigende, hartnäckige Gefühl, dass etwas nicht stimmte, schlich sich auf so vorsichtigen Samtpfoten in sein Herz, dass er es erst bewusst wahrnahm, als sein Pulsschlag bereits spürbar angeschwollen war. Alarmiert zuckte sein Blick zur gegenüberliegenden, offen stehenden Tür, hinter welcher sich nichts als gähnende Schwärze erstreckte und ihm noch frech ins Gesicht zu grinsen schien, weil er zu geizig gewesen war, mehr als eine Öllampe zu entzünden. Grimmig versuchte sich Solidus mit leichtfertigen Begründungen wie Sklavenschritte und Einbildung abzuspeisen, trank noch einen weiteren Schluck und versuchte sich wiederum auf seine Zahlen zu konzentrieren. Allerdings wollte dieses dumme Gefühl, sich nicht alleine in jenem Stockwerk zu befinden, nicht weichen und zog die dunklen Augen des Händlers immer öfter zur Tür hinüber, bis er endlich mit einem lauten
    "Anthus!!" nach seinem Sklaven schrie und unter solchem Schwung von seinem Stuhl hochfuhr, dass jener klappernd nach hinten umfiel. Sowohl durch dieses Missgeschick, als auch aufgrund des ganz schwachen Zitterns in seiner Stimme, schwoll seine Verärgerung noch stärker an und verlagerte sich selbstredend auf den gleich danach eintreffenden Sklaven, der sich aber keiner Schuld bewusst war und seinen Kollegen, sobald man ihn wieder ins Erdgeschoss zurückgejagt hatte, mitteilte, dass der Alte anscheinend doch langsam irre würde.
    Solidus indes hatte dieser kleine Ausbruch gut getan, ebenso wie das Hören der eigenen, lauten Stimme, die das Haus erzittern ließ und sämtliche bösen Geister hoffentlich ein für alle Mal vertrieben hatte. Zufrieden mit sich selbst setzte er die Stylusspitze wieder an das Bienenwachs.
    Dann vernahm er das Knarren. Es war leise, doch es erschien umso lauter, wenn man seine Existenz als unmöglich erachtete. Wiederum verließ der Blick des Händlers seine Arbeit und irrte zu der Dunkelheit jenseits der Türe. Warum verdammt hatte er Anthus nicht beauftragt, die Lichter dort zu entzünden? Nichts als Stille hallte ihm entgegen, bis just zu dem Augenblick, da seine Aufmerksamkeit wieder auf die Tafeln abzusinken drohte. Erneut ein Knarren, ein wenig lauter diesmal, wie ein Schritt, unter welchem die alten Bodendielen ächzten. Nervös musste Solidus sich eingestehen, dass er das Eindringen eines kleinen Tieres, einer Katze etwa, angesichts dieses Geräuschs wohl würde ausschließen müssen. Der Eindringling musste zweifellos schwerer sein, als so ein kleines, geschmeidiges Fellknäuel. Unruhig befeuchtete er die trockenen Lippen mit der Zungenspitze und versuchte, seine aufgebrachten Gedanken durch das rauschende Blut in seinen Ohren, welches aufgrund des angestrengten Lauschens aufgewühlt wurde, überhaupt wahrzunehmen. Vermutlich war es nur einer dieser dummen Sklaven, der ihm einen üblen Streich spielte! Bestärkt durch diesen Gedanken griff er sich mit einem energischen Ruck die einzige Lichtquelle und erhob sich, um diesem angeblichen Scherz ein rasches Ende zu bereiten. Was bildeten sich diese Kerle ein? Hatte dieser Tag noch nicht genug Arbeit für sie bereitgehalten? Schön, dann würden sie morgen und übermorgen und die gesamte nächste Woche sehen, was wirklich harte Arbeit wäre! Er hatte sie allesamt viel zu sehr verwöhnt, das bekam ihnen nicht, dann wurden sie übermütig und verbrachten ihre überflüssige Freizeit damit, sich Blödsinn auszudenken!


    Angereichert mit einer vielleicht etwas überzogen lebendigen Wut in seinem schon wieder schmerzenden Bauch stampfte der Hausbesitzer in den Flur hinaus und wollte sich zügig in die Richtung wenden, aus welcher das Knarren und damit auch die Schritte zu ihm gedrungen waren, als er sich unvermittelt mit einer abgeschlossenen Tür konfrontiert sah, welche eben in sein heiliges Altarzimmer führte. Solidus spürte förmlich, wie ihm alle Farbe aus dem Gesicht wich und sich kleine kalte Tröpfchen auf seiner hohen Stirn zu bilden begannen. Mühsam schluckte er und stützte sich sicherheitshalber mit einer Hand an der weiß getünchten Wand neben ihm ab. Das konnte doch nicht sein! Niemand kam dort hinein ohne den passenden Schlüssel, und diesen trug er stets an einem Schlüsselbund bei sich, welches auch in diesem Moment seinen schmalen Ledergürtel zierte. Seine Lippen öffneten sich, um einen ungewöhnlich tiefen, zitternden Atemzug einzulassen, doch während er noch versuchte, Temperaturumschwünge und lebendes Holz für dieses Erlebnis verantwortlich zu machen, hörte er trotz des dröhnenden Herzschlages in seinem Körper, wie etwas von der anderen Seite an der Tür entlangkratzte, genau in Höhe seines Kopfes. Instinktiv und von einer ordentlichen Portion heißem Adrenalin getrieben machte der alte Händler einen zu Tode erschreckten Satz vom Zimmereingang fort, als habe ihn eine unsichtbare Macht mit Gewalt fortgestossen. Seine zitternde Hand presste sich inzwischen förmlich gegen die stützende Wand, während er mit aufgerissenen Augen darauf wartete, dass etwas durch das so dünne schützende Holz gebrochen käme und ihn verfluchte. Erst, als die Momente verstrichen, und er von unten das irgendwie beruhigende Pfeifen eines der Sklaven hörte, erwachte er aus seinem kurzfristigen Schockzustand und holte sich ins Gedächtnis zurück, wer bei den Göttern er eigentlich war, und dass er in seinem eigenen Hause nun wirklich nichts zu befürchten hätte. Der Tag war fürchterlich gewesen und in ähnlichen Bahnen verlief nun auch seine Laune.
    Ehe er sich dessen selbst völlig bewusst war, hatte er schon den richtigen Schlüssel von seinem Schlüsselbund geschoben, das metallene Ende ins Schloss getrieben und vernahm das deutliche Klicken, was die Entriegelung bekanntgab. Kurz durchströmte ihn noch einmal ein eisiger Schauder als er sich in Erinnerung rief, dass er tatsächlich jenseits eines abgeschlossenen Raumes Schritte und Kratzgeräusche gehört hatte, doch im nächsten Moment stieß er auch schon ärgerlich die Tür auf, welche sich mit einem herzerweichenden Quietschen öffnete, was seine ohnehin schon zum Zerreißen angespannten Nerven noch zusätzlich erbeben ließ.


    "Raus aus meinem Heiligtum, du dreckiger Bastard", knurrte er mit vielleicht etwas höherer Stimmlage als gewöhnlich und versuchte, fest mit beiden Füßen auf dem Boden stehend einen imposanten Anblick zu bieten. Viel zu spät bemerkte er dabei, dass es womöglich auch nicht falsch gewesen wäre, eine Waffe mitzunehmen, und sei es nur ein kleiner Zierdolch gewesen. So musste er sich notgedrungen tatsächlich auf seine heldenhafte Erscheinung verlassen.
    Stille schlug ihm entgegen, zusammen mit... Solidus' ausgeprägtes Riechorgan kräuselte sich leicht, als er zunächst ungläubig, dann mit aufsteigender Panik schnupperte. War das etwa... der Geruch von Blut? Die fast schon auf dem Rückweg befindliche Gesichtsfarbe machte noch einmal zackig kehrt marsch, bis der Teint des Händlers ebenso blass war wie die Wand hinter ihm.
    Ein Scherz... das konnte alles nur ein ganz ganz fieser Scherz sein und wenn er den Übeltäter erwischte, würde er ihm bei lebendigem Leibe die Haut vom Körper schälen!
    "Raus, sage ich!!" Auch weil er mit vor der Tür bleibendem Licht kaum etwas vom Inneren des Raumes erkennen konnte, kratzte er seinen letzten Rest Mut, durchmischt mit einer ordentlichen Portion Trotz, zusammen und machte einige wagemutige Schritte in den ihm doch eigentlich so bekannten Raum hinein, die Finger der freien Hand gekrümmt, als wäre er jederzeit bereit, dem Spaßvogel den Hals umzudrehen. Schon drei hektische Herzschläge später bereute er sein impulsives Vorgehen zutiefst und schalt sich einen dummen Narren, nicht einfach nach Anthus gebrüllt und ihn statt seiner hier hinein geschickt zu haben. Seine Lungen schienen kaum noch imstande, den Atem tiefer als bis zu einem heiseren Krächzen einzusaugen und es schien bereits zu viel, sich überhaupt in der Senkrechten zu halten, von heldenhafter Haltung ganz zu schweigen. Alle Figuren, alle Bilder, alle Darstellungen der zahlreichen Göttervielfalt, die sich an diesem Ort fanden und gläubig angebetet wurden, hatten sich von ihm fort und der Wand zugedreht, als würden sie verdeutlichen wollen, diesem kleinen Wurm auf ewige Zeit alle Gunst und jedweden Schutz zu verweigern. Mehr noch, der sich mitten im Raum noch verstärkende Blutgeruch wies darauf hin, dass sie ihn förmlich verflucht hatten, dass er womöglich schon sein eigenes Blut roch, das sich ohne die Hilfe der höheren Wesenheiten bald nicht mehr in seinem Körper befände, ebenso wenig wie sein Geist, der gewiss für alle Zeiten unendlichen Qualen ausgeliefert zwischen den Welten würde schweben und klagen müssen....
    Solidus' fassungsloser Blick zuckte von Figur zu Figur, von Bild zu Bild und fand nicht ein Augenpaar, das noch auf ihn gerichtet war. Schon drohte er, entweder auf die Knie zu fallen oder aus dem Raum zu stürzen, als er hinter sich einem Todesurteil gleich die Tür zuschlagen hörte, was ihm vermutlich endgültig den Schock seines Lebens verpasste und ihn herumfahren ließ, als erwartete er bereits gleich hinter ihm sein grauenvolles Ende aufragen.
    "Salve... Solidus...." Die unwirkliche Gestalt, welche bereits genau hinter ihm stand, deren schlohweiße Haare von unsichtbaren, unfühlbaren Winden getragen in der Luft schwebten, deren einziges, lebloses Auge sich in die seinen bohrte, interpretierte das überstrapazierte Nervenkostüm des Händlers innerhalb eines einzigen Herzschlags als das Grauenerregendste, was er jemals gesehen hatte. Als sich auch noch eiskalte Finger um seinen Hals legten, wie sie nur die eisigsten Untiefen des Totenreiches hervorbrachten und er seinen Namen wie mit Knochen geschrieben, heiser und kratzend vernahm, versagte sein altes Herz erst einmal endgültig seinen Dienst. Den Mund zum Schrei geöffnet, der nicht mehr über ein kaum hörbares Wimmern hinauskam, sank er in sich zusammen und wurde in eine gnädige Schwärze gezogen, die lautlos über ihm zusammenschlug und ihn mit Stille erfüllte.



    tbc~

  • [Blockierte Grafik: http://i177.photobucket.com/albums/w220/Michikotennis/solidus2.jpg]
    Solidus


    Davon kann man übrigens draufgehen.
    Asas Blick glitt trotz des kurzfristigen Ausflugs in die mahnende Wirklichkeit durchaus wohlwollend über den malerisch am Boden liegenden Corpus, dessen Hautfarbe problemlos mit einigen im Raum befindlichen Götterfiguren mithalten konnte. Dann hörte die Ähnlichkeit mit in überirdischer Schönheit eingefangener, immerjunger Mythengestalten allerdings auch schon rapide auf. Einige mehr oder weniger gleichmäßige Bewegungen des schmalen Brustkorbes sowie ein schwaches, kehliges Krächzen deuteten darauf hin, dass der renommierte Viehhändler zumindest gegenwärtig noch nicht vor Schreck in Plutos Reich hinabgefahren war. Was natürlich keinen Zufall darstellte.
    „Hätte sein Geist dich gesehen und für mich gehalten wäre er ohnehin stehenden Fußes zurück in seine trockene Hülle geeilt und hätte sich in seinen Falten verkrochen."
    Dass nur eine leichte Abweichung dieser perfekt berechneten Entwicklung sehr einseitige Geschäftsverhandlungen zur Folge hätte, schien in Asnys Kosmos wieder einmal einfach keine Existenzberechtigung zu besitzen und ihre Schwester sah es als müßig und ergebnislos an, weiterhin darauf herumzureiten. Obwohl es doch ein wenig an ihr nagte, dass ihr Zwilling als Lebende tatsächlich der bessere weil effektreichere Rachegeist sein sollte.
    Sich weiterhin überaus unbeeindruckt von den äußeren Umständen gebend ließ Asny ihre Finger, die aufgrund der abgebundenen Spitzen beinahe schon so gefühllos wie kalt waren, durch das lange hellblonde Haar gleiten. Dessen schlohblasse Strähnen schwebten teilweise noch immer wie vom Himmel angezogen in der Luft, was bewies, dass die Behandlung mit der Wolldecke weiterhin überaus einwandfrei funktionierte. Irgendwann würde sie sich mit diesem Phänomen einmal eingehender beschäftigen, welches ihr Aussehen so überaus erfolgreich dem einer keltischen Klagefee anglich. Zudem war ihr auch bei dieser Gelegenheit ein fast schmerzhafter Peitschenschlag verpasst worden, als sie den Hals von Solidus berührte, was jedoch, sollte er umgekehrt diesen Kontakt ebenfalls gespürt haben, sicherlich keinen Nachteil darstellte.
    Alles in allem war ihre Planung bislang konsequent und erfolgversprechend umgesetzt worden, gerade so, wie es der neuen Sklavin der Flaviervilla am Besten gefiel. Andererseits versuchte sie auch stets, für alle Eventualitäten gewappnet zu sein oder zumindest die Wahrscheinlichkeit zu berechnen, wie ihr Gegenüber vermutlich am Ehesten reagieren würde. Solidus war nun einmal so stur wie stolz, misstrauisch und abergläubisch; ein Mann, der die Dinge lieber höchstpersönlich in die Hand nahm, als sich Unterstützung zu suchen und einen dadurch vielleicht sichereren Weg einzuschlagen. Allerdings war nicht damit zu rechnen, dass die Dinge auch weiterhin derart glatt liefen. Außer einem kleinen, brennenden Fleck Lampenöl auf dem Boden, den man relativ rasch hatte ersticken können mit irgendeinem sicherlich sehr heiligen Teppich, war zumindest von Seiten der Eindringlinge noch kein Grund zur Beunruhigung gegeben. Trotz des kleinen Schocks hatte sich die als Ziegenkopf verkleidete Lampe wacker geschlagen und eine ebensolche Zähigkeit an den Tag gelegt, wie ihr Besitzer. Nach wie vor beleuchtete sie tapfer flackernd den schauerlich gestalteten Raum, beziehungsweise die zahlreichen göttlichen Rücken und Hinterköpfe, sowie die von lebenden Wesen gebildete Szene recht mittig gelegen.


    Asa fühlte sich zwar nicht sonderlich wohl in dieser Umgebung voller Götzen und Opfergaben, aber die Spannung der Situation hielt sie fest wie eine am Honig klebende Fliege. Aufmerksam achtete sie auf kleinste Anzeichen dafür, dass der Viehhändler in das Reich der Wirklichkeit zurückfände, während ihre Schwester sich mit behutsamen, leisen Bewegungen zum Kopf des Bewusstlosen begab und sich dort niederkniete, so dass sich ihr Gesicht vornübergebeugt genau über dem seinen befand, nur eben umgedreht und für den Erwachenden mit Sicherheit noch verwirrender wirkend. Langsam glitt ihr auch weiterhin verträumt-abwesender Blick über die sie umgebene Szenerie. Sollte sie außerdem noch etwas vorbereiten? Irgend etwas mit dem frischen Eimer Schweineblut, der in einer Ecke stand und dessen Duft den Raum mit der bekannten, leicht metallischen Süße schwängerte, ein Geruch, der wie kein zweiter dafür bekannt vor, alles Überirdische anzuziehen, sei es von Neid oder Interesse gelockt. Andererseits war zuviel des Guten womöglich eher schädlich und so beließ es die junge Sklavin letztendlich bei den bereits gefassten Absichten.
    Schließlich ging ihre stimmungsvolle Geduld auch zu Ende und ihr eiserne Wille meldete sich, endlich das zu Ende zu bringen, wonach es sie verlangte. Mit hauchzarten Berührungen und sehr vorsichtig drehte sie den Kopf vor sich derart, dass die lange gebogene Nase daran gerade zu ihr hinauf zeigte und sie das leichte Beben der Flügel sehen konnte. Die Pupillen unter den pergamentdünnen Augenlidern bewegten sich zuckend, ebenso wie die schmalen, trockenen Lippen. Noch einmal musterte Asny mit leichtem, sanftmütigem Lächeln die alternden, von Sorge und Geschäftigkeit gezeichneten Züge, ehe sie mit der rechten Hand knapp ausholte und Solidus eine derart schnelle, scharfe Ohrfeige verpasste, dass sie den Charakter eines Peitschenschlages besaß. Schmerzerfülltes Stöhnen antwortete ihr und die hohe Stirn bekam noch einige zusätzliche Furchen mehr, während das sicherlich peinerfüllte Haupt sich langsam von einer Seite auf die andere rollte. Vollkommen ruhig beobachtete die ehemalige Bürgerin Roms dieses Schauspiel und das abwartende, friedvolle Lächeln verschwand nicht einmal, als der Händler blinzelnd und ächzend versuchte, die flatternden Lider zu öffnen und ein paar Fetzen Erinnerung aus seinem malträtierten Kurzzeitgedächtnis zusammenzukratzen.
    Erst genau in dem Moment, als seine dunklen, blutunterlaufenen Augen sich weiter öffneten, sie genau ansahen und ein erkennender Funke in ihnen aufglomm, kam erneut Bewegung in Asnys bis dahin völlig starre Haltung. Solidus' Muskelfunktion war zugegebenermaßen noch nicht völlig wiederhergestellt, weswegen es auch nicht sonderlich schwierig war, ein rascheres Reaktionsvermögen zu besitzen als der alte Mann. Die Spitzen von Zeige- und Mittelfinger beider Hände legten sich gleichzeitig auf die pochenden Schläfen des Händlers, was sich für jenen aufgrund des schnell ansteigenden Drucks sowie der immer noch andauernden Kälte anfühlte, als triebe man ihm zwei entweder sehr heiße oder sehr kalte Nägel in den Schädel. Vermutlich würde er dieses unangenehme Gefühl auch noch behalten, wenn Asny schon längst wieder in die Villa Flavia zurückgefunden hatte - zusammen mit ihrem wohlgeratenen Opfertier, wie sie sich selbst ehrenvoll versprach. So konstant wie gnadenlos presste sie ihre Fingerknochen gegen die Schläfen und nahm sich erst wieder etwas zurück, als sie sicher war, dass ihr Gastgeber inzwischen vermutlich verstanden hatte, wie unangenehm diese Lage für ihn werden konnte, wenn er noch einmal versuchte, sich aufzurichten. Solidus war schließlich keineswegs einfältig, man benötigte bei ihm lediglich ein klein wenig Überredungskunst, um den alten Ziegenbock von seiner störenden Sturheit zu kurieren. Angesichts seines schmerzverzerrten Gesichtes glaubte Asny, sich gerade durchaus auf dem richtigen Pfad zu befinden.


    „Salve, Solidus - zum zweiten Male."
    So unruhig wie protestierend flackernde Augen öffneten sich nun wieder und begegneten ihrem wie stets sanft und ausdruckslosen Blick. Der Händler antwortete nicht sofort und Asny glaubte förmlich zu hören, wie es in ihm arbeitete. Tatsächlich hatte sich der Hauseigentümer bislang noch nicht richtig entscheiden können, wie er auf dieses.... Ding reagieren sollte, das ihm vom ersten Tag des Aufeinandertreffens an äußerst suspekt erschienen war. Mochte auch sein alter Freund Fabianus sie geschickt haben, weil sie die Tochter von dessen freigelassenen Sklaven war, so war dies für den von Natur aus misstrauischen und Zufällen gegenüber blinden Solidus doch noch lange kein Zeichen dafür, diesem seltsamen Gör uneingeschränktes Vertrauen entgegenzubringen. Ganz besonders, da die Kleine bereits in Zeiten fern von derartigen Überfällen immer wie aus dem Nichts hinter ihm aufgetaucht war und ihn alleine deswegen schon mehrere Jahre seines kostbaren Lebens gekostet hatte. Man wusste nie, was sie dachte und dieses immerwährende milde Lächeln ging einem deutlich impulsiven, ungeduldigen und geradlinigen Charakter wie dem des Händlers sehr schnell gehörig auf die Nerven. Schon oft hatte er sich retten wollen, indem er sie innerlich schlicht für schwachsinnig erklärte, dann aber gab sie wieder Dinge von sich, die in dieses Mosaik nicht recht passen wollten. Die ihm jedoch, wenn er ehrlich zu sich war, alleine in der Erinnerung prickelnd kühle Schauer die Wirbelsäule hinabregnen ließen. Man konnte in ihrer Gegenwart wirklich zum Paranoiden werden, ohne bereits die Veranlagung des starken Aberglaubens mitzubringen. Nie wurde er das beunruhigende Gefühl los, dass sie ihn pausenlos beobachtete, ihn vielleicht sogar beeinflußte - nicht 'vielleicht', sondern vielmehr ganz bestimmt. Eines schönen, ahnungslosen Tages war sie angekommen und hatte behauptet, ein Fluch würde auf ihm liegen. Sie sähe, nein, viel besser noch, ihre tote Schwester sähe es ganz deutlich, denn auf der Ebene der Geister wäre sein Kopf von dunklen Nebeln umhüllt und seine Gesichtszüge sähen völlig verzerrt und verschwommen aus. Dem gläubigen Menschen in ihm wäre beinahe der Käfig mit den jungen Küken aus den Händen gefallen angesichts dieser Überzeugung und Direktheit, mit denen diese kleine Hexe ihm jene Tatsache unterbreitet hatte, so wie es Pluto vermutlich auch bei den verstorbenen Seelen tat, über deren Ewigkeit er urteilte. Es hatte ihn ordentliche Portionen Selbstbeherrschung gekostet so zu tun, als interessiere er sich überhaupt nicht für derartigen Blödsinn, dennoch war er das sichere Gefühl nicht losgeworden, dass sie ihn problemlos hatte durchschauen können. Das hatte ihm ganz und gar nicht gefallen, ebensowenig wie den darauffolgenden Zwang, sich für teures Geld eine zusätzliche Ladung Göttergunst und Schutzzeichen zu holen, nur, um überhaupt wieder einmal eine Nacht einigermaßen auf seinem Lager zubringen zu können. Dann, bei ihrem nächsten, ungebetenen wie unerwünschten Besuch hatte sie behauptet, ihn von eben diesem Fluch befreit zu haben und ihm eine kleine, dumme Lumpenpuppe entgegengehalten, bei deren eingesticktem, hinterlistigem Grinsen Solidus erneut eisige Finger in seiner Nacken- und Rückengegend wahrzunehmen glaubte. Der Fluch wäre nun auf dieses Ebenbild übergegangen und er bräuchte sich keine Sorgen mehr zu machen, denn auch sein fortwährendes Unglück fände nun ein Ende. Tatsächlich war ihm damals derart viel Pech widerfahren, dass der heutige Tag dagegen wie ein lustiger Urlaub wirkte. Kaum etwas hatte ihm noch gelingen wollen, er suchte permanent verlegte Gegenstände, warf Termine durcheinander, verspürte unbekannte Schmerzen, stand geradezu neben sich sowie kurz davor, sein stolzes Händlerdasein an den Nagel zu hängen. Hinterher hatte er dies alles natürlich als Einbildung abgetan. Zumindest solange sich diese kleine Unruhestifterin ordentlich weit fort von ihm befunden hatte.


    Im Nachhinein schalt er sich einen Narren, nicht schon bei den ersten Anzeichen merkwürdiger Vorgänge in seinem Heim auf das Ding gekommen zu sein, was nun wie eine blonde Harpyie über ihm aufragte und ihre Klauen in seinen Kopf trieb. Zugegeben, derart handgreiflich und gewalttätig war sie bislang noch nie geworden, doch Solidus schwor bei sämtlichen, ihm gerade ihre Kehrseite zuwendenden Göttern, dass sie diese Vorgehensweise noch bitter bereuen würde. Allerdings sollte man ihr davor vermutlich keine Gelegenheit mehr geben, mit düsteren Gedanken um sich zu werfen.
    „Was willst du?" krächzte er mit entschieden leiserer Stimme, als er diese für das ‚Gespräch‘ mit diesem Gör am Liebsten ausgewählt hätte. Sein Kopf fühlte sich an wie in einen Schraubstock gezwängt und es fiel ihm nach all der Aufregung schwer, sich angemessen zu konzentrieren. Und irgendwie schmerzte seine rechte Wange, als hätte sie sich zu nahe an einem Feuer befunden. Hatte diese Irre ihn etwa geschlagen?? IHN???
    Das folgende, von seinem Sichtfeld aus auf den Kopf gestellte Lächeln ließ seine Kiefer angespannt aufeinander mahlen.
    „Ich interessiere mich für eines deiner Tiere. Du hast ein hübsches, rotbraunes Kalb in deinen Ställen. Es wäre schön, wenn..."
    „Hast... hast du jetzt völlig den Verstand verloren?!" presste der Händler in einer sonderbaren, sich verstärkenden Mischung aus Wut und Unruhe hervor, "Du kommst hierher, dringst in mein Haus ein, wendest Gewalt gegen mich an und erwartest dann noch allen Ernstes, dass ich dir ein Kalb verkaufe??"
    „Oh nein, keine Sorge..."
    „Da wäre auch die Wahrscheinlichkeit größer, dass du der neue Kaiser wirst, meine Liebe!"
    „... ich habe kein Geld, ich möchte das Kalb gerne umsonst von dir haben."
    Einige Herzschläge lang war die angespannte Luft durchsetzt von fassungslosem Schweigen, ehe sich Solidus' trockener Kehle ein heiseres, ganz und gar humorloses Kichern entwand und leider relativ erfolglos an Asnys freundlich-mildem Lächeln abprallte, um schließlich zu Staub zu zerfallen.
    „Ach, möchtest du das?! Nun, ich habe eine Neuigkeit für dich: ICH VERSCHENK...." Der zunehmende Schmerz in seinen Schläfen zwang ihn sanft dazu, seine Lautstärke ein wenig zu dämpfen.
    „Ich verschenke nichts an Einbrecher, Erpresser und Geisteskranke! Solcher Dreck hat in meinem Haus nichts verloren! Ich bin Händler, nicht der Circus Maximus! Wie... wie kommst du nur auf solch einen Irrsinn? Wieso gerade ich?!"


    Wieder folgte ein Lächeln, das ihm unwillkürlich die Innereien zusammenzog, als würde er sich nicht so bereits hundeelend genug fühlen. Der Aufprall auf dem Holzboden hatte seine Spuren an einigen Körperteilen hinterlassen, die er noch nicht gewillt war, verkrüppelt hinter sich her zu ziehen für den kümmerlichen Rest seines Lebens. Ohnehin schien es einem Wunder gleich, dass sein Herz überhaupt noch schlug.
    „Du bist ein gefühlskalter, sadistischer, geiziger, egozentrischer, alter Mann, der seine Sklaven wie den letzten Dreck behandelt", erklärte Asny mit derart sanfter Stimme, als erläutere sie einem kleinen Kind gerade das Alphabet. Oder vielmehr einem älteren, schwachsinnigen Kind.
    „Im Namen aller Sklaven ist es meine Pflicht, dir eine Lektion zu erteilen..."
    „WAS?! ICH... ich behandele meine Sklaven überhaupt nicht schlecht! Ich lasse ihnen ordentliches Essen zukommen und bringe sie zum Medicus! Ich schlage sie nicht einmal! Also warum...?!"
    „Nun ja, falls mein Leben irgendwann einmal literarisch nacherzählt werden sollte, brauche ich als die Heldin doch wenigstens einen heldenhaften Zug. Sonst sind all die Leser immer auf Seiten meiner Gegenspieler. Und dies wäre wohl kaum der Sinn einer Heldin.“
    Sowohl ein Geister- wie auch ein Menschenblick trafen sie mit grenzenlosem Unverständnis, woraufhin die ‚Heldin‘ schließlich mit den Schultern zuckte und sich eine leichte Wüstenwind-Trockenheit in ihre Verhandlungsstimme mischte.
    „Schon gut, Menschenfreundlichkeit und Selbstlosigkeit passen ohnehin nicht gut in mein Profil. Und wenn man sieht, was heutzutage alles als Held angesehen wird....“
    Heutzutage wärst du schon deswegen keine Heldin, weil dein Opfer noch keinen einzigen Tropfen Blut vergossen hat. Hach, ich liebe diese Welt...
    Asny spielte kurz mit dem Gedanken, noch ein wenig stärker an der schrumpeligen Haut unter ihren Fingern herumzukratzen, entschied sich dann jedoch aus hygienischen Gründen dazu, dies zu unterlassen. Statt dessen ließ sie die übliche Sanftheit in ihre Worte zurückkehren und erklärte im Tonfall eines allwissenden Mentors:
    „Wie du vielleicht schon gehört und mit deinem dir eigenen Triumphgebaren gefeiert hast, gehöre ich nun zu den Sklaven Roms. Mein neuer Herr Marcus Flavius Aristides weilt derzeit in Parthia im Krieg und ich möchte dein Kalb opfern, um bei Mars um seine gesunde und sichere Rückkehr zu beten. Deswegen auch der etwas unkonventionelle Weg über die Gewalt. Damit Mars auch sieht, dass ich würdig bin. Ach, und... ich bräuchte natürlich ein offizielles Schenkungsdokument von dir, damit deine großzügige Spende auch weiterhin von allen als solche anerkannt wird.“
    Diesmal mahlten Solidus‘ Kiefer sogar hörbar aufeinander und ein leises Knurren erfüllte den Raum. Ja, er hatte sehr wohl vernommen, dass man diese widernatürliche kleine Schlange verkauft hatte und zugegeben, er hatte sich daraufhin den Luxus eines edlen Vinum austerum gegönnt, was sich im Nachhinein – also in diesem Augenblick – als pure Verschwendung offenbart hatte. Da hatte er allerdings auch noch nicht gewusst, dass man den Dämon quasi in die Höllenfeste verkauft hatte. Kaum ein anderes Haus würde solch ein Ding wie Asny auch allein durch Rom stromern lassen.
    „Warum sollte ich daran interessiert sein, dass ein Flavier gesund und munter nach Hause zurückkehren kann? HÄ? Wenn Mars aus einer Laune heraus vorhat, einen massiven, ungemütlichen Felsen auf diesen Aristides fallen zu lassen, werde ich garantiert keinen Finger rühren, um ihn daran zu hindern! So! Und jetzt raus aus meinem Haus, bevor ich persönlich deine Hinrichtung herbeiführe!!
    Ein tiefer, bedauernder Seufzer folgte und Solidus versuchte sich einzureden, dass jener seinen Ursprung im zerschlagenen Plan seiner Besitzerin hatte. Inzwischen dröhnte sein Schädel als hätte eine ganze Elefantenherde einen dieser seltsamen keltischen Trippel-Tänze darauf aufgeführt, die ganze Aufregung vermischt noch mit dem in der Luft klebenden Blutgeruch – er wusste schon, weswegen er einen Handel mit lebenden Gütern einer Schlachterei vorzog – war ihm übelst auf den immer noch schmerzenden Magen geschlagen, und die persönliche Beleidigung seiner Person störte seinen Händlerstolz ebenfalls ganz ungemein. Alles in allem ein gelungener Abschluß eines tollen Tages.


    „Ich habe sie noch.“
    „Was hast du noch?“ blaffte er zurück und presste kurz die Augen zu, da sein Blick auf die Zimmerdecke unschärfer zu werden begann. Wenn ihn diese Hexe noch länger so malträtierte, würde er anschließend erst einmal zu seinem Bett kriechen und den Rest des Tages mit Faulenzen verbringen müssen, was im Folgenden seine gesamte Planung durcheinanderbrächte. Wie er das hasste! Und nur wegen...
    „Die Puppe.“
    Der Händler schluckte und die roten Flecken auf seinem ansonsten nach wie vor recht blassen Gesicht bekamen Zuwachs. Flüchtig ließ der Druck auf eine seiner Schläfen nach und er wollte bereits erleichtert aufatmen, als sein Kopf auch schon mit einem Ruck in Richtung der dünn flackernden Öllampe gedreht und gegen den Boden gedrückt wurde. Eine ihm leider nur zu bekannte, kleine Lumpengestalt hing dort von nur zwei Fingern gehalten über dem gierigen Flämmchen, das sich bereits das gefräßig glühende Maul nach den trockenen Stoffen und dem darin enthaltenen Stroh leckte. Über allem schwebte Asnys Stimme wie die Reinkarnation einer erklärenden wie sanft mahnenden Schicksalsgöttin.
    „Wenn ich sie vernichte, wird der Fluch unweigerlich wieder auf dich übergehen. Ich bin mir sicher, du weißt noch recht genau, was dies heißen kann. War es nicht damals, als du diese seltsamen Krankheiten in deinem Viehbestand hattest? Als deine Sklaven plötzlich meuterten? Als dein Sohn ohne Vorwarnung zur Schauspielerei wollte?“
    Ohja, auch wenn er diese Zeit nur zu gerne verdrängte, so erinnerte Solidus sich nur zu gut an die Kette von Katastrophen, von der sich eine so unglaublich wie desaströse Perle an die andere reihte. Wiederum zuckte seine Zunge hervor, um sich nervös die ausgetrockneten Lippen zu befeuchten.
    „Solidus, das ist kein Versuch, dich zu erpressen. Lediglich eine Berufung darauf, dass du gewiss weise, erfahren und vorausschauend genug bist, um für dich und deinen Handel die richtige Entscheidung zu treffen. Und du weißt: es geschieht alles nur für einen guten Zweck.“



    tbc~

  • Ein weiterer Sieg der Nacht über den Tag hatte sich zwischenzeitlich zugetragen und empfing jene, die sich noch nicht in heimischen Mauern befanden, mit einem dichten Mantel aus Schatten, bestickt mit dem winzigen Leuchten entfernter und naher Lichter, welche abwechselnd erblühten und verlöschten. Die vollkommene Wandlung vom Rom des Tages war begangen worden und ein tiefschwarzer Nachtfalter hatte sich nach und nach aus dem Kokon der Abenddämmerung geschält. Abseits der breiteren Straßen lag ein Netzwerk aus Düsternis, ein Adergeflecht gefüllt mit lichtlosem Blut, das selbst die daraus klingenden Laute und Stimmen verzerrte und die meisten davon abhielt, freiwillig die darin liegenden Orte aufzusuchen, so sie nicht zufällig selbst dort wohnten.
    Anthus fand an seiner Heimatstadt bei Nacht wenig Anziehendes. Schon zweimal hatte man ihn während Botengängen für seinen Herrn niedergeschlagen und bestohlen, wovon auch noch eine schmale aber deutlich sichtbare Narbe auf seiner Stirn zeugte. Dabei war er weder ein ängstlicher, noch ein sonderlich schwacher Mann, das Problem lag vielmehr darin, dass er sich nach Sonnenuntergang quasi in einem fremden Territorium befand, abseits von allem Vertrauten des Tages. Zum Glück hatte Solidus nicht den Wunsch besessen, noch ein drittes Mal sein Schicksal und das seines Sklaven herauszufordern und stellte sämtliche spätabendlichen und nächtlichen Auslieferungen weitesgehend ein, von Anlieferungen einmal abgesehen. Zumindest jene, die er noch nicht mit seinem guten Geld bezahlt hatte.
    Und nun befand sich Anthus also doch wieder auf einem dieser ungeliebten Liefergänge, bei dem es sein einziger Trost war, dass sich das Ziel in einer deutlich bessergestellten und häufiger patroullierten Gegend befand. Und er war nicht alleine unterwegs, obgleich er sich seine Begleiter betreffend nicht unbedingt sicherer fühlte.


    Da war zum einen natürlich seine Ware. Seine Ware von gut zehn Talenten Lebendgewicht. Immerhin gelang es dieser Ware recht ordentlich, ihn von Firlefanzereien wie seiner Umgebung, der einbrechenden und sich ausbreitenden Dunkelheit und Erinnerungen an allerlei ungemütliche Überfälle abzulenken, denn dieses Stierkalb auf dem besten Wege zum Erwachsenendasein hatte zwar bereits die Augen verbunden, um sich im finsteren Rom leichter gen blutiger Hinrichtung führen zu lassen, dennoch besaß es ab und an wie die meisten seiner Brüder einen ‚dezenten‘ Hang zur Bockigkeit und bedurfte liebevoller Klapse und sanfter Ermahnungen, um sich angemessen in Bewegung zu halten – oder sich nicht gar so weit in Bewegung zu setzen. Also hieß es wachsam zu bleiben und sich ebenfalls nicht mit der berechtigten Frage aufzuhalten, weshalb sein Herr gleich dreimal gegen seine ansonsten eisenerzhaltigen Prinzipien verstieß und nach Sonnenuntergang Ware an eine kaum erwachsene Sklavin auslieferte – umsonst! Anthus hatte dreimal nachgefragt und sich bei jedem Male lauter und aggressiver werdende Bestätigungen abholen müssen, um das wirklich zu glauben.
    Zum Zweiten begleitete sie ein weiterer Sklave Solidus‘, Milios mit Namen und ein Halb-Grieche, ausgerechnet. Anthus wurde nicht schlau aus seinem Charakter, was nicht unbedingt an den griechischen Wurzeln lag. Aber auch jetzt zum Beispiel schien Milios trotz des unruhigen Stierkalbes und der wenig vertrauenerweckenden Umgebung aus einem einzigen, breiten Grinsen zu bestehen. Einem keineswegs netten, sondern vielmehr überaus schadenfrohen Grinsen, das er nur mit Mühe einem ausgewachsenen Lachanfall vorschieben konnte. Entweder, dieser Kerl hatte seine Nase mal wieder in Dämpfe gehängt, die ihm zu gut bekamen oder er wusste mehr als Anthus, was diesen nicht gerade fröhlich stimmte. Denn wenn einer der Sklaven Mist baute, würde Solidus Anthus selbst zur Verantwortung ziehen. Womöglich müsste er sich auf dem Heimweg noch einmal mit diesem Thema und der etwaigen Verbindung zwischen dieser nächtlichen Merkwürdigkeit und Milios auseinandersetzen.
    Zum Dritten und Letzten bestand seine Begleitung natürlich aus der ‚Beschenkten‘ selbst, die allerdings vorneweg ging, um ihnen den Weg zu ihrem Ziel zu weisen, und von der er kaum mehr als die langen glatten Haare sah, welche sogar – oder gerade - in dem wenigen Licht ihrer Fackeln kalkweiß und vollkommen farblos wirkten. Anthus wüsste zu gerne, wie es den Flaviern gelungen war, seinen Herrn von einer Schenkung zu überzeugen und deren Abwicklung einer einzigen blutjungen Sklavin zu überlassen. Dem Sklaven war vollkommen unbekannt, dass Solidus irgendeine auch nur leichte Sympathie für die Gens Flavia hegte, wie er allgemein mit Sympathie ebenso sparsam umging wie mit seinem Geld. Ob irgendein flavisches Familienmitglied gesund und munter aus dem Krieg zurückkehrte sollte den alten, zähen Händler nicht mehr interessieren, als ein flohzerbissener Straßenhund. Vermutlich sogar noch weitaus weniger. Es brachte ihm nichts, also wandelte es sich zur Zeitverschwendung.
    Anthus kratzte sich unschlüssig am Hinterkopf, unruhig und unzufrieden über sein Nichtwissen.


    Dass der römische Sklave eigentlich noch einen weiteren Begleiter in seiner mysteriösen Auslieferung besaß, konnte er natürlich nicht wissen, in ruheloser, nervöser Stimmung befand er sich ohnehin schon und vermutlich war sein Gemüt auch nicht empfänglich genug für über- (oder eher unter-) irdische Schwingungen. Womöglich ging aber auf Asas Anwesenheit manches nicht direkt nachvollziehbare Zucken und Zaudern des Stierkalbes zurück, dem es unbewusst nicht behagte, dass der Geist eines Mädchens über seinem breiten, rotbraunen Kreuz schwebte. Und auf ihm zu reiten versuchte, wenn ihr der Gedanke gerade durch den nebeldurchwaberten Kopf zog.
    Im Gegensatz zu dem sehr ahnungslosen Anthus wusste der Geist über ihnen auch um Asnys Frontansicht. Diese hätte dem Sklaven zwar auch nicht wirklich weitergeholfen, da er das dazugehörige Gesicht einfach zu wenig kannte, doch der Schwester verriet dies eine ganze Menge. Denn Asny lächelte nicht. Nun musste man die junge Dame wahrlich ausgezeichnet kennen um zu wissen, was dies tatsächlich bedeutete, oder ob das Fehlen jenes ansonsten unersetzlichen Accessoires nicht nur auf ein flüchtiges Vergessen zurückzuführen war oder die Tatsache, dass sie momentan schlicht mit niemandem sprach und niemand sie richtig erkennen konnte. Doch nein, es waren tatsächlich die überaus erfolgreichen Umstände, die das ewige Lächeln erfolgreich zum Versiegen gebracht hatten, obgleich sie es doch eigentlich erst hervorlocken sollten. Nur gehörte dieser Bereich der Mimik eben zu Asny und deren Verhalten, was wiederum bedeutete, dass man nicht von allgemein üblichem Gebaren ausgehen konnte. Ja, sie war zufrieden mit sich und dem neuerlichen Durchsetzen ihres Willens, aber (nur wirklich, wirklich große) Freude drückte sie nun einmal mit einem ernsten Gesicht aus. Das Gegenstück dazu war ein so charmantes, herzliches und anziehendes Lächeln, dass man beinahe glaubte, die Welt um sich herum in zarte Pastelltöne und Sternenglimmen getaucht zu sehen. Allerdings sollten sich alle Empfänger tunlichst vor einem solchen Ausdruck von Anmut und Galanterie in acht nehmen, denn dann empfand Asny im Allgemeinen derartig Wut und Hass, wie man es von einem so zerbrechlichen Geschöpf nicht erwarten würde. Allzu oft war dieses ‚spezielle‘ Lächeln freilich noch nicht in Erscheinung getreten und befand sich auch eher im rückläufigen Zustand, viel zu wenig Einfluß vermochte die Umgebung noch auf die weißblonde Sklavin auszuüben. Zudem besaßen ihre Pläne und Absichten immer öfter die erfrischende Angewohnheit, aufzugehen.


    Asa stieß einen tiefen, unnötigen Seufzer aus und brachte das stolze Rind unter sich dazu, nervös zu schnauben und an den Seilen zu zerren, welche zu den Händen der beiden männlichen Sklaven führten und deren ohnehin schon festen Griff noch einmal zusätzlich verstärkten. Anthus entwich ein derber, gezischter Fluch und wohl zum zwanzigsten Mal fragte er sich, weshalb Solidus ihm nicht wenigstens noch einen Mann mehr mitgegeben hatte, um dieses nicht gerade schwächliche Tier den ganzen weiten Weg zur Villa Flavia zu bringen. Fast hatte es den irrwitzigen Anschein, als wollte der grantige Händler, dass das Kalb mit ihnen durchging und sich im Labyrinth der dunklen Straßen verlor wie ein zu seinen Wurzeln zurückgekehrter Minotaurus. Einen wirklichen Sinn machte dies alles jedenfalls immer noch nicht.
    Dem Sklaven wurde immer unbehaglicher, je weiter sie sich ihrem Ziel, eben der Villa Flavia, näherten. Eigentlich hätte er bei dieser Aussicht nichts als Erleichterung und Freude empfinden sollen, denn die Ankunft brachte schließlich das Ende des Auftrages mit sich. Nur behagten ihm die Flavier viel zu wenig, um deswegen in Jubel auszubrechen. Zwar würde man sie vermutlich nicht gleich an der Porta mit Blutfontänen begrüßen, aber sein Herzschlag beschwichtige sich durch das Wissen um den Endkunden trotzdem nicht. Befänden sie sich doch nur schon wieder bei Solidus. Zwar konnte Anthus nicht das Gefühl abschütteln, dann für die nächsten vier Wochen konstante miese Laune von seinem Herrn über sich ergehen lassen zu müssen, aber dies war er wenigstens gewohnt. Hier herrschte derzeit nichts als ein Heer von Fragen und Unstimmigkeiten, welches er so rasch wie möglich loswerden wollte.



    Finis
    ~> Porta Villa Flavia

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!