Antiochia - Die Rückkehr der Legionen

  • Ein neuer Tag begann am Himmel aufzuziehen. Er färbte sich bereits leicht rötlich und bald konnte man die Sonne über die Linie am Firmament aufgehen sehen. Es wurde Zeit für die Fischer in ihre Boote zu steigen und ihren Fang zu machen. Bald würden sie mit ihnen auf den Markt gehen und ihre Ware dort feil bieten. Die Geschäftigkeit nahm zu. Weitere Händler bevölkerten die Straßen um ihre Erzeugnisse und Güter zu verkaufen. Erste Sklaven mischten sich in die Reihen der Geschäftigen. Sie führten die Aufträge ihrer Herren aus. Stimmen, das Poltern der Wagen, Dinge, die kaputt gingen weil jemand unachtsam war. All dies ließ die Stadt langsam erwachen. Es war jenes Treiben einer großen Stadt am Hafen, in der viele Menschen zu Hause waren, eben jenes einer Hafenstadt.



    Vom Markt konnte man die Händler lautstark ihre Waren anpreisen hören, etwas ruhiger wurden die Verhandlungen um Menge und Preis geführt und noch ruhiger wurden jene Verhandlungen geführt, die nicht jeder mitbekomme sollte. Die vielen Gerüche verschiedener Speisen lagen in der Luft, erfüllten diese und so manch hungrige Nase wurde davon angelockt. Es war Antiochia wie man es seit langer Zeit kannte und sicher kennen würde. Ausgelassen, unruhig und groß.



    Für jeden Neuankömmling wirkte die Stadt so wie immer. Doch wer hier wohnte, wusste dass der Schein trog. Die Nachricht über den Tod des Kaisers hatte sie Menschen hier ebenso getroffen wie überall im Reich. Man war erschüttert. Sie traf die Menschen völlig unerwartet und in ihrer Ohnmacht ob dieses Ereignisses taten sie das was richtig war. Die Stadt pulsierte, lebte weiter und doch konnte man die Wolken, die diese Nachricht hatte aufziehen lassen nur all zu deutlich spüren.

  • Ein lange Zeit vergangen, seit die Prima das letzte Mal vor Antiochia gelagert hatte und eine Menge war in der zwischenzeit passiert. Meilen um Meilen waren sie marschiert, zahlreiche Kämpfe hatten sie geschlagen, Siege errungen und Verluste verkraften müssen. Unzählige Soldaten waren gefallen, unzählige waren verletzt wurden, nicht wenige waren verschollen. Die Prima hatte einen Legaten verloren und das Imperium seinen Kaiser.


    Doch etwas hatte sich nicht geändert, denn die Prima lagert genau an der Stelle, an der sie auch bei ihrem Eintreffen in Syria gelagert hatte, ein kleines Stück nördlich des Brückentores begann sie ihr Lager aufzugeschlagen.


    Wie jeden Tag auch, wurde auch wieder das Praetorium errichtet und wie jeden anderen Tag, sass Tiberius Vitamalacus recht schnell hinter seinem Tisch und beschäftigte sich mit der immer anfallenden Bürokratie. Er wollte sie so schnell es ging vom Tisch schaffen, um danach Zeit für einen Rundgang durch das Lager zu haben.


    "Die Stabsoffiziere zu mir," war einer der nicht unüblichen Befehle die er erteilte. Einen anderen Befehle erteillte er schriftlich, zur verteiluing an alle Offiziere.



    -Ausgangsregelung-


    Für die Dauer des Aufenthaltes der Prima vor Antiochia ist den Milites in kleineren Gruppen Ausgang zu erteilen.
    Das Bilden von Ansammlungen mit mehr als 8 Milites ist untersagt. Jegliches Fehlverhalten im Ausgang wird strengsten geahndet.


    gez.


    Q. Tib. Vita.
    L. Leg. I


  • Um sie herum mochte das übliche rege Treiben herrschen, welches immer Einsetzte, wenn die Legionen ein Lager errichteten, wenn an manchen Stellen noch geschanzt wurde, während an anderen schon der Puls köchelten. Doch hier im Zelt des Legatus herrschte Ruhe, Tiberius Vitamalacus begrüsste seine Stabsoffiziere mit einem leichten Nicken, wies einen Sklaven an, ihnen Wein zu servieren.


    "Meine Herren, die Rückreise steht unmittelbar bevor," eröffnete er, mit einer Feststellung, welche keinen sonderlich überraschen sollte. "Es gilt nun, die Rückreise mit der Classis zu besprechen. Tribun Terentius, du hattest schon auf der Hinreise mit der Classis zu tun, du wirst es auch diesmal übernehmen. Begib dich morgen zum Hafen."


    Kurz hielt er inne, bevor er weiter sprach.


    "Sollte die Classis da sein, gut,... wenn nicht und wenn sie nicht in den nächsten Tagen eintrifft, dann erteile ich dir freie Hand, den erforderlichen Schiffsraum zu requirieren."


    Er ging zwar davon aus, das Senator Quarto alles nötige geregelt hatte, aber sollte die Classis nicht bereit sein, konnte es ein Zeichen sein, das in Italia und anderen Provinzen bereits Unruhe herrschte. Und da wollte er nicht unnötige Kräfte in Gewaltmärschen durch Asia und Achaia verschwenden.


    "Die Reise wird zunächst nach Illyricum gehen, ein Ziel, das Quasi auf dem Weg nach Ravenna liegt. Wir werden unter der Küste Segeln, in jedem grösseren Hafen erkundigungen über die Lage und Stimmung einziehen..."


    Natürlich würde nicht die ganze Flotte immer anlegen, das die anderen soweit dachten, davon ging er aus. Doch eine Schnelle Liburne könnten sie immer hinschicken um Nachrichten zu empfangen. Allerdings bedeutete dies das,...


    "Wir werden einige Zeit auf See sein. Daher will ich, das sich die Milites vor der Einschiffung noch etwas entspannen. Daher habe ich eingeschränkten Ausgang gegeben,..."


    Er wies auf den zuvor verfassten Befehl und blickte dann zum Praefectus.


    "Ausgang, aber nur in kleinen Gruppen. Die Diziplin muss auf jedenfall gewahrt werden. Bestimme einen Centurio, der mit seinen Leuten darüber wachen wird, das niemand sich daneben benimmt. Und die Tabernen- und Lupanarbesitzer sollen unseren Milites gute Preise machen...."

  • Das Ziel ihrer bevorstehenden Reise stand also fest und es würde zum Caesar... oder Imperator, der er für die Prima, die den Eid geschworen hatte - da konnten die Senatoren in Rom beschließen was sie wollten, Kaiser wurden vom Militär gemacht - war. Illyricum also. Nun, das lag auf dem Weg, den sie ohnehin zurückgenommen hätten. Avitus wusste, dass die ersten paar Tage auf See furchtbar für ihn werden würden und diese Aussicht verdarb ihm jede Laune. Als ein Befehl an ihn gerichtet wurde, nickte er. Er hatte bereits einen Centurio im Auge. Eine gute Gelegenheit, seinen Vetter mit dieser Aufgabe zu betrauen und die Centurien der neunten Kohorte Patrouille in der Stadt laufen zu lassen.
    "Wird gemacht"
    sagte er.
    "Ich empfehle ausserdem, die Gruppen auf eine Mindestanzahl zubeschränken. Diese Vorsicht sollten wir walten lassen..."
    schlug er vor.

  • Avitus begab sich nach der Stabsbesprechung zu den Zeltreihen der neunten Kohorte und ließ die Centurionen rufen. Nachdem alle anwesend waren, richtete er ihnen die Befehle aus, die der Legatus gegeben hatte.
    "Comilitones..."
    begann er
    "... die neunte Kohorte hat die Aufgabe in der Stadt Patrouille zu laufen und cohortes urbanae zu spielen. Sorgt dafür, dass sich unsere milites benehmen und wahrt Disziplin"
    er gab ihnen die Wachtafeln mit den Befehlen, die im Praetorium angefertigt worden waren.
    "Wenn keine Fragen bestehen, wegtreten"

  • Nachdem ein Bote vorbei kam und Imperiosus davon berichtet, dass sich alle Centurionen der neuten zu melden hatten, beeilte er sich, um zu diesen Treffen zu kommen.
    Nun stand Avitus vor ihnen und teilten ihnen mit, dass alle Soldaten der Legio Prima ausgang hatten, nur eben die Neunte nicht. 'Na Toll !', dachte sich Tiberius, doch Befehl war eben Befehl und darum auch nichts machen.


    " Zu Befehl Praefectus. "
    stimmte der Artorier mit den anderen Centurionen ein und ging zu seiner Einheit zurück. Würde sie halt Patrouille laufen.

  • Nun war er asuf der Suche nach einem Verantwortlichen der Flotte: Ravanna oder welche auch immer hier gerade verantwortlich war. Er fragte sich also durch und hoffte man würde ihn zu einem Verantwortlichen bringen.


    Sim-Off:

    So ihr Flottenmenschen, euer einsatz ;)

  • Eigentlich war für den Legaten deutlich gewesen, das, wenn er Ausgang in Gruppen erteilte, damit mindesten zwei Milites gemeint waren. Aber er hatte auch kein Problem damit, dies noch einmal zu verdeutlichen.


    "Mindesten 2 in einer Gruppe !"


    Er blickte sich um.


    "Noch fragen, meine Herren ? Ansonsten, weggetreten !"

  • Der Bote der Flotte


    Kaum hatte der Bote seine Liburne verlassen und dem Hafen gemeldet, dass eine ganze Flotille Platz brauche machte er sich an seinen Hauptauftrag: Jemanden von der Legio I suchen und ihn über die Ankunft der Flotille informieren und wenn möglich zum Nauarchen bringen.



    Nach nur kurzer Orientierung - wenn man eine gewisse Anzahl von Hafenstädten kennen lernen durfte, kannte man quasi alle - traf er eine Gruppe von Milites der Legio I. Sie waren also schon da. Er fragte sich, ob er ins Standlager der Legio gehen sollte, außerhalb der Stadt, oder ob er sich noch weiter umschauen sollte. Gerade als er dies überdachte sah er einen Offizier in nur geringer Entfernung. Er schätzte, dass es ein Tribun sei - also wirklich jemand, der sich auskannte. So drängelte er sich durch die Menschenhaufen und sprach ihn an - nicht ohne dabei vorschriftsmäßig zu salutieren:


    "Salve, Tribune. Der Nauarch der angelandeten Flottille der Classis Misensis schickt mich. Ich soll den Kontaktmann der Legio I suchen und wenn es möglich ist zum Nauarchen, der in Seleukia Piera, dem Seehafen dieser Antiochiens vor Anker liegt."


  • Der Bote der Flotte


    Das konnte der Nauta nur Glück nennen. Er traf den Kontaktmann und er würde gleich mitkommen. Das gäbe sicherlich eine kleine Gratifikation - oder zumindest eine Schicht Freizeit oder ähnliches.


    Also führte er - um diesen Bonus nicht durch Trödelei zu verlieren gleich zum Nauarchen.

  • Nach unzähligen Tagen, vielleicht waren es sogar Wochen des Marsches erreichten die vier Legionen endlich wieder Antiochia, den Hafen von dem aus für Andronicus alles begonnen hatte. Lange war es her, dass die Legionen zum letzten Mal hier gelagert hatten... Damals war der Tiberier in die Legio Prima eingetreten und jetzt war er immerhin Duplicarius und hatte zwei Armiliae, eine, das heißt eigentlich zwei in Bronze und eine/zwei in Silber. Andronicus hatte irgendwo das Gerücht aufgeschnappt, es solle an jenem Tag Ausgang für die Milites der Legio Prima geben. Sein Decurio hatte ihm das bestätigt und auch erwähnt, dass sie in Gruppen gehen müssen. Bei der Gelegenheit hatte der Tiberier sich mit seinem Vorgesetzten, dem Tesserarius und dem Vexilarius verabredet eine solche Gruppe zu bilden.

  • Kurz nachdem sie der primus pilus über den Ausgang informiert hatte, hatte sich die Gruppe, mit der Licinus die Stadt erkunden wollte auch schon gebildet, es waren der primus pilus, der signifer und der tesserarius.
    Nur in einem unterschied sich diese Gruppe von wohl allen anderen, sie gingen nicht in die Stadt.
    Es lag einfach viel zu viel Schreibarbeit auf den Schreibtischen herum, die noch abgewickelt werden musste. Angefangenen bei Mannstärkeberichten, über Materialanforderungen, bis hin zum Abwickeln der Angelegenheiten der gefallenen Kameraden.
    Und so saß der Stab der ersten centuria über einer vom primus pilus spendierten Flasche Wein über den papyri und tabulae und versuchte Ordnung in das Chaos zu bringen.


    Während der tesserarius zusammen mit dem Chef die Materiallisten durchging versuchten Licinus und der Signifer endlich die Erbfolge der milites innerhalb der Einheit zu erstellen. Während der signifer die bei ihm hinterlegten Testamente vorlaß kritzelte Licinus für einen Außenstehenden unverständliche Zeichen auf ein großes Blatt Papyrus und verband diese Pfeile.
    Dieses Blatt stellte die Erbfolge in der Einheit da


    "Cornelius Tacitus, verstorben am ..., alles, Begräbnisfond"
    "Iunius Albus,verstorben am..., halb halb, Tulllius Tiro und Nonius Corbulo"
    und so weiter. Allmählich füllte sich das Blatt vor Licinus immer weiter, bis irgendwann alle Testamente ausgewertet waren.
    "So, weiter geht's wieviel haben denn die einzelnen Männer auf ihren Sparkonten? Und was Schulden sie noch für die Ausrüstung?"


    Wieder begann der Signifer mit vorlesen und neben den als tot markierten Abkürzungen Abkürzungen auf Licinus Blatt landeten Zahlen, die Angaben, wieviel der miles denn überhaupt zu vererben hatte.
    Anschließend verschoben die beiden Männer die Beträge der erstverstorbenen milites gemäß der Testmente weiter, solange bis am Ende alle Testamente der Verstorbenen vollstreckt waren und neben keinem "toten" Kürzel mehr ein Betrag stand.
    Einige Kameraden würden in den nächsten Tagen durch die Auszuzahlenden Beträge eine leichte Linderung des Verlustes ihrer Kameraden erfahren dachte Licinus zynisch.
    Ein letztes Mal kontrollierte Licinus die Erbfolge und reichte dann die Testamente an seinen primus pilus weiter.


    "Herr, wenn du bitte gegenzeichnen würdest?"
    "Mmh, dann zeig mal her." antwortete der primus pilus und ließ sich die Liste geben. "Mmh, mmh, mmh. Ja, scheint alles zu stimmen, okay" Dann versah er die Testamente mit dem Schriftzug "Innerhalb der Einheit vollstreckt" und dem Siegel der centuria. Nachdem der Wachs fest war steckte Licinus sieh in eine Ledermappe, an der ein Zettel hing "An die decemviri litibus iucandis", legte jene Testamente bei, die nicht innerhalb der Einheit vollstreckt werden konnten, weil beispielweise Verwandte außerhalb der legio beerbt wurden. Und versiegelte die Tasche ebenfalls.


    "Optio, signifer, prüft nochmal die Mannstärkeberichte, nicht dass wir einen Toten als lebend führen oder umgekehrt. Ich mache mit Battiacus solange an der Materialliste weiter."


    Still seufzend verpackten Licinus und der signifer die bisher verwendeten Dokumente und packten die letzten Mannstärkeberichte aus der großen Dokumententruhe.

  • Er hatte die Centurionen der neunten Kohorte angewiesen, Patrouille zu laufen, um in der Stadt nach dem rechten zu sehen. Die Milites hatten einen Feldzug hinter sich, bei dem ihnen ein glorreicher, triuphaler Sieg verwehrt wurde, bei dem sie ihren Kaiser und Legaten verloren hatten. Da war diese Vorsicht nicht unangebracht, aber danken würden sie es ihm natürlich nicht, dass er ihre Centurien mit Arbeit strafte, während andere Ausgang hatten.


    Avitus hatte sich einen kleinen Tisch vor seinem Zelt aufbauen lassen und saß im Schatten seines Zeltes. Die restlichen Schreibarbeiten, die hier in Antiochia wieder vermehrt anfielen, wie Rechnungen, Berichte und Meldungen, Briefe und Anfragen und anderes, wollte er lieber draussen erledigen, an der frischen Luft. Im Innern seines Zeltes wäre es unerträglich heiß und stickig gewesen. Er ließ sich einige Briefe vorlegen. Einiges an Post von Milites an daheim, das zensiert wurd und nun von ihm abgesegnet werden musste. Manch Versetzungs- oder Entlassungsgesuch, letzteres von Veteranen, die mit diesem Feldzug ihre Dienstzeit abgedient oder sogar vereinzelt überschritten hatten.


    Ein Brief war an ihn adressiert. Er brach das Siegel und rollte ihn aus, merkte gleich am Briefkopf, dass das Schreiben aus Germania kam, von seinem Vetter Reatinus, der bei der Zweiten Legion als Centurio diente. Sofort war da diese Erinnerung an die Befürchtung, er könnte womöglich zum Feind werden, falls die germanischen Legionen jemand anderen zum Kaiser ausrufen sollten, als die parthischen und mit ihnen die Prima... was sie den Göttern sei Dank nicht getan hatten. Dennoch, einmal jemand aus eigener Verwandschaft auf der anderen Seite zu wissen, war etwas, was wohl jeder Soldat befürchtete.


    Avitus las die ersten Zeilen und merkte sofort, dass der Brief einen alles andere als guten Anlass hatte. Die ersten Zeilen deuteten etwas schlimmes an, ohne zum Thema zu kommen und innerhalb weniger Augenblicke spürte Avitus, wie sein Herz schneller schlug. Die Legionen in Germania standen auf derselben Seite, wie die Prima, das konnte es also nicht sein. Schon im Lesen dieser ersten Zeilen überkam Avitus ein ungutes Gefühl, eine böse Vorahnung, was ihm die nächsten Zeilen offenbaren würden. Er las weiter... Und schon die nächsten Worte ließen die schlimme Vorahnung Wirklichkeit werden. Es geht um meinen Neffen, deinen Sohn, Severus... hatte Reatinus geschrieben. Avitus Gesichtszüge wurden härter, sein Blick ernster, er hatte Angst, die nächsten Zeilen zu lesen ... verstorben... Eine unsichtbare Hand griff nach Avitus Herz und riss es ihm aus dem Leib. So zumindest fühlte es sich an. Er legte den Brief ab, lehnte sich zurück, blickte ins Leere. Die Schreiber und Sklaven hatten gemerkt, dass etwas nicht stimmte, keiner traute sich jedoch, ihn anzusprechen. Diskret zogen sie sich zurück, ließen den Artorier allein.


    Avitus saß einige Minuten lang da, wirkte etwas geistesabwesend. Dann schüttelte er ungläubig den Kopf, nahm den Brief wieder in die Hand, wollte ihn weiterlesen. Doch es fiel schwer, immer wieder unterbrach Avitus, versuchte gegen die Gefühle, die ihn ihm aufstiegen, anzukämpfen. Er wusste, er saß draussen und auch wenn die Scribae und die Sklaven auf Abstand gegangen waren, beobachteten sie ihn, so wie jeder noch in der Castra verbliebene Legionär. Er musste die Fassung wahren, doch es kostete ihn viel Kraft, um die Selbstbeherrschung nicht zu verlieren. Das ganze wirkte so absurd. Er, der er im Kriege kämpfte, kehrte lebend zurück, hatte sich von seinen Verletzungen, die er im Kampf davon getragen hatte, längst erholt. Sein Sohn aber, der im derzeit eher friedlichen Germania stationiert war, lebte nicht mehr. Überfallen und ermordet. Wut, Zorn und gleichzeitig diese Ohnmacht. Spielten die Götter etwa eines ihrer perversen Spielchen mit ihm? Je mehr Avitus las, desto schwerer fiel es ihm, die Fassung zu wahren.


    Langsam erhob er sich, und trat in sein Zelt. Er wollte allein sein, keinen Blicken ausgesetzt sein, brauchte etwas Zeit, um durchzuatmen. Er musste es nicht sagen. Jeder, dem sein Leben lieb war, würde es nicht wagen, ihn wegen belanglosem zu stören. Dies Scribae und - vor allem - die Sklaven wussten es. Sie räumten den Schreibtisch ab, als der Artorier im Zelt verschwand. Eine bedrückte Stimmung herrschte, Ratlosigkeit und dennoch diese Gewissheit, dass etwas furchtbares geschenen war.

  • Fast eine Stunde lang war Avitus in seinem Zelt allein. Den Brief, der ihm die Hiobsbotschaft mitteilte, hatte er die ganze Zeit über in den Händen gehalten, hatte immer wieder die Zeilen überflogen, so als ob er durch mehrmaliges Lesen etwas ändern konnte. Doch das konnte er nicht. Etwas in ihm war heute gestorben. Seine Erziehung und seine momentane Situation verlangten von ihm, sich zusammenzureissen, sich nicht viel anmerken zu lassen. Einen zerstreuten, niedergeschlagenen Lagerpraefekt konnte die Legion jetzt nicht gebrauchen. Jetzt, wo es darum ging, Truppen und Material auf Schiffe zu verladen und die östlichen Provinzen hinter sich zu lassen.


    Die Bestattung seines Sohnes war bestimmt schon vonstatten gegangen. Zu fordern, Reatinus möge dafür sorgen, dass sie anständig sei, war also zu spät, aber er traute seinem Vetter zu, sich darum ordentlich gekümmert zu haben. Was dem Artorier blieb, war die Asche seines Sohnes - bei den Göttern, welch grausigen Worte das doch waren - nach Italia zu überstellen, damit sie auf der letzten Ruhestätte der Artorier nicht weit ausserhalb Roms aufbewahrt werden konnte. Und Avitus wusste, so schwer es auch fiel, so unmenschlich es ihm auch erschien, aber die Zeit, seinen Sohn zu betrauern, lag noch vor ihm. Hier und jetzt konnte er das nicht, so sehr er es auch gewollt hatte.


    Er hörte, dass offenbar jemand vor dem Zelteingang stand, sich aber nicht traute, reinzutreten, sondern wartete, bis Avitus wieder nach draussen schritt. Avitus rollte den Brief zusammen und steckte ihn ins Behältnis, in welchem er gebracht wurde. Er richtete seine Kleidung, wusch sich die Hände und das Gesicht, atmete tief und langsam durch, so als ob es ihm eine große Hürde war, unter Menschen zu treten - es war mehr als das - und trat nach draussen, kniff die Augen leicht zusammen, als ihm das grelle Licht der Sonne wieder ins Gesicht schien. Draussen stand ein Tesserarius der wachhabenden Centuria. Es war kurz vor dem Wachwechsel, er wargekommen, um die Tessera zu empfangen. Der Dienst ging weiter. So als wäre nichts geschehen. Das Leben und die Götter waren grausam...

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