Vor den Toren Romas | An einem alten Schrein oder: Ein Opfer in der Nacht!


  • Silbrig schimmerte Selene am schwarzen Firmament. Weiß und flau schickte sie ihren milchigen Glanz durch den scheinbar undurchdringlichen Äther, um das Diesseits schwach zu beleuchten. Ohne zu Zaudern hatte Hannibal den kleinen Trupp durch die nächtlichen und unbeleuchteten Straßen von Rom geführt, bestehend aus Asny und den seltsamen Kerl, den sie mitsamt des stattlichen Kalbes angeschleppt hatte. Er war den gefährlicheren Vierteln ausgewichen, hatte auf Laterne oder Fackeln verzichtet. Immer mal wieder wurde ihr Weg jedoch durch die störrischen Ausreißer des Kalbes unterbrochen. Ab und an fluchte Hannibal leise und kaum hörbar durch seine Zähne hindurch, sah sich misstrauisch in den Gassen um, immer bereit seinen Dolch zu ziehen. Denn nicht nur Fuhrwerke bewegten sich des Nachts durch die Straßen, sondern auch jene Gesellen, die sich nicht mit den Beuteln der reichen Herrschaft am Tage ab fanden. Die nicht vor einem niederträchtigen Mord zurück schreckten, wenn sich ein Mann oder gar eine Frau leichtsinnig auf die Straßen der Stadt begaben. Schon schälte sich aus der Dunkelheit das monumentale Gebäude des Marcellus- Theaters heraus, umrahmt von einem schwarzen Himmelsdom, beleuchtet von den Sternen und der Mondesscheibe. Hannibal hielt darauf zu, ließ das halb runde Theater dann jedoch zu seiner Linken liegen um in der Straße daneben weiter zu laufen. Immer mal wieder sah er zu Asny zurück und war erstaunt, wie ruhig sie schien. Aber eigentlich hatte er bisher an ihr wenige Züge entdecken können, die eigentlich für eine junge Frau typisch waren. Die Sklavin erstaunte ihn immer wieder. Aber Hannibal wandte sich um und schenkte Asny wenig Beachtung, denn sie würden über die Tiberinsel die Stadt verlassen und die Tiberinsel war um diese Zeit immer noch genug bevölkert.


    Schon trat er mit seinen Füßen auf die Brücke, die sich über den mächtigen Tiber hinweg streckte. Zahllose Gesellen tummelten sich hier. Aufschneider, Messerstecher, die ihre Frauen 'beschützten'. Frauen, die an dieser Stelle auf diejenigen warteten, die noch weniger Geld hatten, um einen Lupanarbesuch zu bezahlen oder auch so manch eine Frau, die in die Sänfte einer der ganz Reichen stieg, damit er ja nicht in einem Lupanar gesichtet wurde. Hannibals Hand ruhte jetzt an seinem Dolch, er drückte den Strick Milios in die Hand und ging der kleinen Gruppe voraus. Zwei Frauen, deren Gesichter stark geschminkt waren, ihre Wangen schienen in der Dunkelheit rot zu leuchten und ihre Lippen waren nicht minder angemalt, tuschelten leise. Die Jüngere von den Beiden grinste und rief mit heller Stimme, die etwas nasal klang. "Na, habt ihr euer Vieh net verkauf'n können?" Ein breitschultriger Mann mit Glatze und eine Narbe quer über das Gesicht schlendert wie zufällig heran und blieb neben den Frauen stehen, Hannibal und Asny, ebenso Milios mit den schmalen Augen fixierend. Hannibal musterte den Mann abschätzig, ein Hauch von Erkennen zog über Hannibals Gesicht und im selben Augenblick ebenso auf dem des Mannes. Der blinzelte verblüfft und ließ dann seine Mundwinkel nach oben wandern. "Ist das nicht die liebreizende Chrysantha?" Bellend lachte der Fremde, verstummte jedoch sofort als er sah, dass Hannibal ein Stück von seinem Dolch hervor zog. Hannibal sah hinter sich und zu Asny. Ohne ein Wort zu sagen marschierte Hannibal weiter, deutlich missmutiger als noch zuvor. Aber eisern schweigend. Hinter sich vernahm Hannibal noch das kichernde Gelächter der beiden Frauen, ehe er seinen Fuß auf die Tiberinsel setzte, um zwischen den Häusern entlang zu ziehen.


    Dem Äskulaptempel schenkte Hannibal wenig Beachtung, er strebte über die nicht sehr große Insel und erneut über eine Brücke. Die Zeit schien sich unendlich lange zu dehnen, wie zähe Wachstropfen bewegte sie sich, um langsam in einem trägen Strom sich nach vorne zu schieben. Lange schien es zu dauern, bis sie endlich die Häuser von Rom hinter sich gelassen hatten und auf der gepflasterten Via Aurelia entlang kamen, um endlich ihr Ziel zu erreichen, was bis anhin nur Hannibal kannte. Das laute Lärmen der Fuhrwerke, die nun endlich durch die Straßen rollen durften, um Waren zu Mann und Haus zu bringen, die den Römern die Nachtruhe raubten, verhallten langsam. In seinem Rücken rauschte der Tiber, breit und träge. Er blieb einen Augenblick lang stehen und sah sich zu der Stadt um, die durch den Schein zahlreicher Häuser in einen schwachen Lichtschein eingerahmt wurde. "Es ist nicht mehr weit!", verkündete Hannibal und schritt forsch aus. Die Bäume raschelten um sie herum, wenn der Wind durch die Blätter strichen. Graufahl wirkte das Laub der immergrünen Bäume, der Zypressen und Pinien, die ihren würzigen Duft ausstrahlten. In der Ferne waren die Geräusche von Nachttieren zu vernehmen, eine dunkle Silhouette strich über den Himmel und verschwand in den Zweigen der säumenden Bäume. Hannibal ging an einem Meilenstein vorbei, der auf der Rückseite den Namen Roma eingemeißelt trug. Noch einige Minuten vergingen, in denen Hannibal der Straße folgte, bis er schließlich auf einen schmalen Weg deutete, den er einschlug. Es wurde schlagartig dunkler als sie unter den Zweigen entlang schritten, durch die Selene schwer zu dringen vermochte. Immer mal wieder knackte ein Ast, Hannibal strich mal mit der Schulter an Zweigen entlang, die sich nach vorne bogen und dann leise zurück schnappten. Irgendwo im Wald schien eine andere Silhouette von einem mit einer kleinen Kuppel versehenen Bau zu stammen schien, aber dorthin wandte sich Hannibal nicht.


    Silbrig schimmerte Selene und brach durch das Dach der Zweige als diese Bäume ihrem Drängen nach zu geben schienen und sich zu einer Lichtung ausweiteten. Eine Lichtung, in der in der Mitte ein steinerner Schrein stand, ein großer und klobiger Klotz, der schon aus alter Zeit zu stammen schien, womöglich sogar schon von den Etruskern als Heiligtum genutzt wurde. Derart waren auch die Gestalten, die den Altar zierten, von grober Machart, der Sockel trug Schriftzeichen, die von den Menschen heute nicht mehr verstanden wurde. Das Gras um den Altar war welk und trocken und der Stein an manchen Stellen tief rot verfärbt als ob schon seit vielen, vielen Generationen das Blut hier floß. "Das ist der Schrein!", fügte Hannibal an. Er sah sich auf der Lichtung um und betrachtete die Bäume, die mit ihren noch kahlen Ästen in den Himmel stachen und sogar noch schwärzer als der Äther wirkten. Hannibal blieb einige Schritte vor dem Altar stehen und sah zu Asny. Es war ihr Opfer, darum wartete er darauf, was sie zu tun gedachte!

  • Den Gang durch das Rom der Nacht ließ Asny für sich untermalen von ihrem eigenen leisen, gleichmäßigen Herzschlag, auf den sie sich gleichsam konzentrierte wie auch von ihm geleitet wurde, als läge in ihm der Rhythmus verborgen, nach welchem sie sich bis zum Aufgang der Sonne richten wollte. Darin gründete auch die schon unnatürliche Ruhe, mit welcher sie der Welt dort draußen entgegen trat. Als hätten sie und ihre Schwester kurzzeitig ihre Plätze im Rad des Schicksals getauscht, so herrschte ein eigentümlich gelassener Friede in ihr, wie wenn sie selbst nur ein stiller Beobachter der gegenwärtigen und folgenden Szenerien wäre. Und obwohl sie doch voller Fokussierung war auf sich selbst, ihr Innerstes und ihr Ziel, so nahm sie doch die Außenwelt um einiges klarer und deutlicher zur Kenntnis, als gewöhnlich. Ihr eigener Geist, losgelöst von dem ihrer Schwester, schien eingefangen in noch höheren Sphären, als er sich für gewöhnlich ohnehin befand, unterstützt von grenzenlosem Selbstvertrauen und nicht minder mächtiger Arroganz, gänzlich ungeachtet des Urteils anderer und nur sich selbst verbunden. Als wäre sie nicht ein Teil der Welt, der Nacht, sondern als spüre sie ihren Einfluss, ihre Stimme, mit jedem ruhigen Herzschlag wachsen und sich auf das vorbereiten, was ihr außerhalb Roms noch bevorstand. Für jene Tat, die sie wie alles nicht zum Wohle eines anderen vollbrachte, sondern allein aus dem Grunde, weil sie es schlicht tun wollte. Der Ausgang dieser fleischgewordenen, lästerlichen Anmaßung baute lediglich auf ein einziges Grundprinzip des Kosmos': dass die Arroganz einer Gottheit die eines Menschen stets und immer überstrahlen würde.


    Tief in sich selbst ruhend spielte sich das Leben um Asny herum ab wie eine mäßig gut inszenierte Theateraufführung. Die eigenen gleichmäßigen Schritte, die weitaus unruhigeren der Männer und das nervöse Hufgeklapper des Stierkalbes vor einem gedämpften Lautteppich aus fernen Stimmen und nahen Zwischensequenzen von Holz auf Stein oder Metall auf Stein. Milios, der vor sich hinpfiff. Milios, der ihr erklärte, wie man einem Gegner am besten die Augen ausdrückte, weil er ganz offenbar der Meinung war, dass seine Begleiterin einige Lektionen in Selbstverteidigung gebrauchen konnte, so sie offenbar derart gerne alleine, mit Hannibal oder mit Kälbern des nächtens durch Rom lief. Der Stier, den Asas Anwesenheit immer wieder erschreckte und der die Muskeln der beiden Männer bis zum Äußersten anspannte. Die Berührung kalten klammen Windes. Der heiße Atem des Tieres, der in nebligen Wölkchen den Nüstern entstob und sogleich zerrissen wurde. Die Anwesenheit von im Verborgenen lauernden Gestalten, die mit zusammengebissenen Zähnen überlegten, ob sich ein Übergriff lohnte und deren Anzahl deutlich zunahm, als Hannibal sie den Tiber überqueren ließ. Asny bemerkte einen neuerlichen, fast greifbaren Wandel in der Luft, eine sich verstärkende Spannung in der Dunkelheit, das Gefühl zahlloser Augen und angriffsbereiter Hände. Selbst Milios' Pfeifen erstarb, was nicht nur darin seinen Grund fand, dass er plötzlich beide Enden des Seils in seiner Verantwortung fand. Asny achtete nicht auf ihn, nicht auf das Kalb und nicht einmal auf Hannibal, sondern ließ letzteren in seiner heldenmütigen Rolle mit der Offenbarung seiner Waffe. Nur ganz am Rande ihrer Aufmerksamkeit registrierte sie das Tun ihres älteren Mitsklaven, mit dem er die Hindernisse aus dem Weg räumte und ihre Weiterreise gewährleistete. Milios stieß wieder einen seiner nervösen, kehligen Kicheranfälle aus, in den er ein amüsiertes "Chrysantha, wa'? Isch han doch jesät, der si't us wie e' Mädsche!"
    Er hätte sich aber zumindest einen weniger peinlichen Namen aussuchen können. Chrysantha klingt dermaßen nach billiger Tavernenschlampe, dass man den miesen Wein schon riechen kann! gab nun auch Asa ihre fachgeisterhafte Meinung ab und nutzte den Moment somit angemessen, um sich selbst von ihrer juckenden Unruhe abzulenken, die sie seit Anbruch ihrer 'Reise' überkommen hatte und stets stärker geworden war, ganz besonders, als sie den Tiber überquert hatten.


    Man ließ die Stadt wie beabsichtigt hinter sich und nur Milios wandte ab und an noch seinen unauffälligen Blick zurück, als fühlte er sich von irgendetwas verfolgt. Dem Geist über ihnen schien es nicht viel anders zu gehen, nur das dessen silbertrübe Aufmerksamkeit die gesamte unbekannte Umgebung betraf und noch flinker von einem Fleck zum nächsten hetzte als ein aufgescheuchtes Eichhörnchen. Asa gefiel die von Hannibal bestimmte Richtung immer weniger und mit ihrer zunehmenden Unzufriedenheit wuchsen die Beleidigungstiraden, welche sie den Flaviersklaven als Ziel wie Stürme zu entfesseln verstand, die sie jedoch mit Annäherung an das Ziel eher leiser werdend hervorpresste.
    Von Hannibal also anscheinend unbemerkt rief die wechselnde Landschaft wie auch das kommende Ziel einigen Unmut in seiner kleinen Truppe hervor, natürlich mit Asny als bislang einzige, unnatürliche Ausnahme, die zwar recht viel registrierte, es jedoch nicht so nahe an sich heran ließ, als dass es sie ernsthaft beeinflußen konnte. Zudem hatte Milios zunehmend Schwierigkeiten, das Kalb im Zaum zu halten und schaffte diese Herausforderung des öfteren nur, indem er den Strick schnell um einen der schmalen Bäume wand und wartete, bis der kleine Stier sich ein wenig ausgetobt hatte, um ihm anschließend über das im Mondlicht inzwischen schweißnass glänzende Fell zu streichen.
    "Der is' janz schön bockisch, wa'?" warf er mit schrägem Grinsen ein, dabei nicht ganz die heitere Lockerheit widerspiegelnd, für die er gemeinhin bekannt war.
    "Der wittert sischerlisch dat ahle Bloot... ode' su", erklärte er schließlich mehr oder weniger überzeugt, als sie den Ort des Geschehens endlich erreicht hatten und er sich zum wiederholten Male gegen die aufgebrachte Kraft des Opfertieres stemmte, wieder unter Zuhilfename eines kräftigen Baumstammes, um welchen er den Strick auch so schnell wie irgend möglich zu befestigen versuchte.
    Ich... ich hasse Hannibal! Da...das macht er doch mit.... mit Absicht! Asas aufgebrachte wie panische Stimme schien von weit, weit fort zu ihrer Schwester zu dringen, ging unter im gezeitenartigen Flüstern, Beben und Raunen derer, die wie der tote Zwilling waren und doch ganz anders, festgebannt an diesen so alten, so blutigen Ort, fern von dem, was sie kannten, denen, die sie liebten und gefesselt in eine Zeit, die ihnen fremd war und sie mit Hass erfüllte.


    Asny war ebenfalls stehen geblieben und schien starr den Schrein vor ihnen zu betrachten, nur ihre Augen zeigten kleine, fast unscheinbare Bewegungen über ihre Umgebung, während ihr Haar durch den kleinsten Mondstrahl, der seinen Weg zu ihr fand, vollkommen farblos zu leuchten schien und das herrschende Unlicht ihre Gesichtszüge auf seltsame, fremde Art hervorhob.
    Siehst du sie?! Kannst du sie sehen?! Es sind viele... so viele....
    Für Asny waren sie nur wie losgelöste Schatten oder ein flüchtiges Blitzen in den Augenwinkeln oder wie ein schweres, bedrückendes Gefühl der Trauer oder der Wut, das sich ohne ersichtlichen Grund über sie legte und nicht zu ihr zu gehören schien. Sie fühlte, dass sich der Anflug einer Gänsehaut auf ihren unbedeckten Armen zu bilden begann. Ja, dieser Ort war alt und es existierten Gründe sowohl für seinen abgelegenen Standort als auch dafür, dass dieser Opferplatz immer noch genutzt wurde. Die weißblonde Sklavin spürte Hannibals Blick auf sich ruhen, als sie sich in Bewegung setzte und den Altar langsamen, gemessenen Schrittes zu umrunden begann, doch die Augen der Männer schienen wie Blütenblätter in einem Orkan verglichen mit dem, was hier möglicherweise sonst noch lauerte und wartete. Ihre Fingerspitzen spürten den kalten, grob behauenen Stein unter sich und fuhren die dunkelroten Spuren nach, bis die Schreie in ihrem Kopf unerträglich wurden und sich ihr Blick kurz senkte, ehe sie die Hand zurückzog.
    Es ist Wahnsinn, sag ihm das! Es ist zu alt, es ist nicht einmal römisch! Niemand von euch ist ein Priester oder auch nur ein halbwegs erfahrener Gläubiger! Mars wird diesem Schandfleck hier sowieso keine Beachtung schenken! Sag ihm das!
    In Kombination mit dem silbernen Mondlicht fast wie dünner Nebel gefärbte Augen fanden endlich wieder in die reale Welt zurück und richteten sich langsam auf die dunklen Seelenspiegel des Sklaven und, wie es schien, noch ein Stück weit in sie hinein, ohne das Asny mehr bewegte als die Lippen, umrahmt von fahlem, glattem Haar, das sich träge im schwachen Wind bewegte. Mit sachlicher wie leiser und abwesender Stimme, die sich nicht wesentlich von ihrer normalen abhob, erklärte sie:
    "Es ist gewiss, dass wir an diesem Ort Aufmerksamkeit erlangen werden. Fraglich ist allerdings, wessen. Vieles hat sich hier im Laufe der Jahrhunderte ereignet und vieles ist von der Zeit vergessen hier geblieben. Vieles, das nichts mit unseren Göttern zu tun hat. Das Kalb hier zu opfern ist entweder unsagbar mutig oder grenzenlos dumm. Aufgrund meiner natürlichen Aversion gegen alles Dumme tendiere ich zwar zu der Beschreibung 'mutig', fühle mich aber dennoch gezwungen zu betonen, dass Abgelegenheit kein Punkt sein muss, der für die Nutzung etwas so Außergewöhnlichem und Wichtigem wie einer Opferstätte sprechen muss - ganz im Gegenteil. Wir alle mögen Sklaven und unser Leben nichts wert sein, aber ich kann mir ein wahrhaft ansprechenderes Ableben vorstellen als dem zu unterliegen, was wir an diesem Ort unter Umständen treffen und erzürnen könnten."
    Derart normal und nüchtern sprach sie über alles andere als natürliche Dinge, dass man glauben mochte, sie wolle Hannibal lediglich über Marktpreise informieren und ihm vor Augen führen, dass die Portion Hammelfleisch nächste Woche gewiss billiger ausfallen würde als noch gegenwärtig, weswegen er seinen Spontankauf noch einmal überdenken sollte.

  • Schwarz und fasrig krochen die Wolken am nächtlichen Himmel entlang. Noch schwärzer als das Firmament das Licht aufsaugte, nur unterbrochen von einem silbrig schimmernden Mond, der sein Licht geisterhaft auf die Bäume scheinen ließ. Wie Knochen wirkten die Stämme, wie Gerippe ihre Kronen und wie fleischlose Finger das Geäst, das sich in den Himmel streckte und immer wieder erzitterte, wenn der Wind durch die Zweige spielte. Ein Kauz ließ seinen Ruf ertönen. Irgendwo in den schwarzen Verzweigungen, ohne selber sichtbar zu werden. Es raschelte leise im Unterholz. Gebannt von dem Mysterium des alten Ortes war Hannibal näher an den steinernen Schrein getreten. Seine Fingerspitzen berührten den kalten und schroffen Stein. Er fuhr an der Kante entlang und zu dem vorderen Teil, in denen Vertiefungen zu spüren waren. Es gab immer fleißig Hände, die den Stein von Flechten und Moos befreiten, so dass die Gravuren gut zu spüren waren. Kantig, eckig und unverständlich. Die alten Schriftzüge erkundend, lauschte Hannibal der jungen Frau. Was wir an diesem Ort unter Umständen treffen und erzürnen könnten? Hannibal drehte sich zu dem blonden Mädchen um. Sein Gesicht zeigte deutlich sein Amüsement über die Worte, die er gerade vernommen hatte. "Was wir an diesem Ort treffen könnten?" Einen skeptischen Kommentar unterdrückte Hannibal dann jedoch. Es war nicht so, dass Hannibal nicht an Geister oder übermenschliche Kreaturen glauben würde. Aber er brachte dem üblichen Geschwätz sehr viel mehr Skepsis entgegen als sein Herr oder manche Mitsklaven es taten. An manchen Tagen jedoch schwankte Hannibal sogar im Glauben daran, ob es überhaupt Götter gab. Hannibal konnte sich viel mehr mit dem Gedanken anfreunden, den schon Männer wie Thales von Milet hervor gebracht haben. Oder auch die Gedanken des Aristoteles. Vielleicht war das auch der Grund, warum Hannibal selber sich nicht zu einem Opfer an die Götter entschließen konnte, noch dem Bedürfnis mancher Sklaven folgte, die sich einem Sklavenkult anschlossen. Oder gar den Christen. Aber wer wußte schon, was eine solche Nacht bringen konnte und womöglich besaß Asny ein sehr viel feineres Gespür für solche Dinge als Hannibal


    Seelenruhig griff Hannibal in seine Tasche und zog eine kleine Öllampe hervor. Aus Ton geformt und in der Gestalt eines Bären. Hannibal entzündete schweigend die Lampe. Die kleine Flamme züngelte aus dem Maul des Bären hervor. Hannibal hob die Lampe und direkt über den Sockel, der von den Schriftzeichen verziert wurde. "Siehst Du das, Asny?" Die Flamme strich mit ihrem schwachen Licht über die eckigen Schriftzeichen. Immer wieder tanzte sie hin und her, wenn der Wind mit ihr spielte. Sie warf Schatten, erleuchtete und verdunkelte mit ihrer winzigen Flamme, die die Dunkelheit des Waldes natürlich nicht anzutasten wusste. "Das sind etruskische Schriftzeichen. Ich kenne diese Schriftzeichen allzu gut." Selbst wenn Hannibal nicht genau wusste, was sie bedeuteten, so war er doch ihrer Harmlosigkeit wegen nicht besorgt. Insbesondere was den Ort anging. Hannibal richtete sich auf und nahm das schwache Licht von der Schrift. "Die Etrusker standen den Römern nahe, sehr nahe, selbst wenn einiges von ihnen sehr fremdartig ist. Aber sogar die Götter sind sich sehr ähnlich. Dieser Schrein ist zwar nicht vom römischen Kult abgesegnet, aber er ist dem Göttertrias geweiht und war es in alter Zeit dem Gott Laran." Unbeeindruckt strich Hannibal über den Altar, der ihn nicht im Mindesten das Fürchten lehrte. Er sah in den dunklen Wald, der durch das wenige Licht in seiner Hand noch umso schwärzer wirkte. Es waren mehr die weltlichen Gefahren, die Hannibal in Sorge versetzte. Obwohl eher ein Skeptiker, war Hannibal durchaus gespannt, ob nicht doch etwas passieren könnte. "Wir sollten uns aber mehr um das Irdische Gedanken machen. Nicht, dass uns am Ende noch die Cohortes Urbanae aufgreift." Sie waren abseits genug von der Straße, um von dort auch nicht gesehen zu werden, selbst wenn sie Lichter entzünden wollten. "Aus dem Grund dachte ich mir, dass ein abgelegener Schrein besser ist als einer, der direkt am Wegesrand liegt oder gar in der Stadt. Meinst Du nicht auch, Asny?"


    Ein kleines Intermezzo:
    Nur einige Schritte entfernt, womöglich sogar sehr viele Schritte, aber fast noch in Steinwurf, huschte tatsächlich etwas höchst Irdisches vorbei. Vier Gestalten, in dunkelgrauer Kleidung gehüllt, darunter ledernen Schutz verbergend. Einer der Männer blieb stehen als er das flackernde Licht auf der Lichtung bemerkte. Er legte einen Finger an seine Lippen und deutete seinen Kumpanen, die mehr wie Schemen in der Dunkelheit wirkten, still zu verharren. Langsam trat der Mann über das Laub und die Äste hinweg und lehnte sich gegen einen Baum am Rande der Lichtung. Seine Augen hafteten sich auf die Drei in der Mitte und auf das Tier. Er zog die Augenbrauen zusammen und ballte die Faust, doch dann wandte er sich ab und verschmolz sofort wieder mit der Dunkelheit. "Was ist?", fragte ihn einer der Männer leise als er zurück kam. "Nichts, nur ein paar Verrückte mal wieder. Zu schade. Ist auch eine Frau dabei. Hätte gerne gesehen, ob es die sind, die sich dort immer nackt ausziehen und tanzen." Er erntete damit bei den anderen Männern ein leises Glucksen, nur eine Gestalt zischte leise und kalt. "Still! Wir haben zu tun. Kommt schon!" Schon schlichen die Gestalten weiter bis zum Rande der Straße, nicht unweit von dem Fleckchen Erde, wo Hannibal und Asny abgebogen waren, um zu dem Schrein zu gelangen. Die Gestalten sahen sich auf der Strasse um, einer ging voraus und ein Flüstern ertönte noch im Wind. Doch als sie sich in Richtung des Flussufers begaben, vermischte sich das Raunen ihrer Stimmen mit dem Wispern des Windes und verklang, so wie die Gestalten verschwanden.


    Zurück zu Hannibal und Asny, ebenso zu Milios und dem armen, namenlosen Kalb:
    Hannibal stellte die Öllampe auf dem Schrein ab und unterdrückte mühsam ein Seufzen. Auf was hatte er sich nur eingelassen? Zudem mochte er es ganz und gar nicht, wenn eine junge Frau wie Asny einen solch belehrenden Ton anschlug. Eine junge Frau, die doch, selbst wenn wie belesen sein mochte, gerade mal halb so alt wie er war. Hannibal warf dem Mann, der sie begleitet hatte, nur einen schnellen Blick zu, ehe er fragend zu Asny sah. "Dein Opfer ist ein ungewöhnliches Vorhaben für eine Sklavin. Somit sind wir auch zu ungewöhnlichen Orten gezwungen, Asny. Der Schrein ist den Göttern geweiht. Möchtest Du das Opfer alleine vollführen? Oder kann ich Dir noch helfen?" Seine Nasenflügel blähten sich auf, als er tief die Luft in sich hinein saugte und einfach abwartete. Es war ihr Opfer, es war ihre Entscheidung was sie wollte. Seine Hilfe oder nicht. Der Schrein oder ein Anderer. Der Schrein in der Nähe des Diana-Tempels war mehr als ungünstig, denn das Muhen des Kalbes könnte einer der dort lebenden Priesterinnen wecken und das Trara wäre laut und unangenehm.

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