Siv war aufgeregt. Nein, aufgeregt war noch untertrieben. Sie war… es gab keine Worte, das zu beschreiben. Ihr Herz schien zu flattern wie ein kleiner Vogel, in ihrem Magen machte sich allerlei Getier breit, und beides sandte ein Kribbeln aus in ihren ganzen Körper, bis in Arme und Beine. Germanien. Zuerst hatte sie nicht glauben können, was Corvinus ihr gesagt hatte. Germanien. Der andere Aurelier, Ursus – seinen Namen hatte sie sich endlich merken können – ging aus irgendwelchen Gründen nach Germanien, für länger, und außerdem wollte er – also Corvinus, nicht Ursus – irgendwelche Sachen aus seiner Villa dort haben, und außerdem sollten sie – das hieß Matho – dort nach dem Rechten sehen, und eigentlich war ihr das alles völlig egal, nur das eine nicht: sie sollte mit. Germanien. Sie würde ihre Heimat wiedersehen. Sie würde wieder nach Hause kommen. Dass das so nicht ganz stimmte – weder von dem, was ihr Zuhause gewesen war in Germanien, noch von dem, was sie im Moment als Zuhause bezeichnen würde –, daran verschwendete sie keinen Gedanken. Was jetzt, im Augenblick, ihr Zuhause war, darüber dachte sie ohnehin lieber nicht nach. Sie hätte sich eingestehen müssen, dass die Villa Aurelia in den letzten Wochen zu dem geworden war, was man so nennen konnte, und das war etwas, womit sie Schwierigkeiten hatte. Es fiel ihr so schon nicht leicht, sich nach und nach an den Gedanken zu gewöhnen, dass nicht alle Römer gleich waren, dass es falsch war, das Volk als Ganzes abzulehnen, es fiel ihr nicht leicht, sich einzugestehen, dass sie zu manchen der Römer durchaus so etwas wie freundschaftliche Bande geknüpft hatte, immerhin waren auch unter den Sklaven einige Römer, was Siv sehr erstaunt hatte, als sie das das erste Mal erfahren hatte. Fakt war, dass es inzwischen Römer gab, die sie mochte, woran sie nach wie vor zu knabbern hatte, wenn sie sich bewusst machte, dass diese Menschen eben Römer waren – allen voran Corvinus, der noch dazu ihr Besitzer war. Und wo sie schon mal beim Thema Corvinus war, er verwirrte sie ohnehin nach wie vor. Mal mehr, mal weniger, aber eine leichte Unsicherheit, wie er dies oder das meinte, war bei ihr eigentlich fast immer vorhanden, und das war sie auch nicht gewohnt – nicht dass sie nicht immer wusste, was ihr Gegenüber meinte, aber dass sie das verunsicherte. Aber für den Moment war ihr auch das egal. Alles war egal, bis auf das eine: sie konnte heim.
Sie wie ein Wirbelwind durch das Haus gefegt, als ihr klar geworden war, was Corvinus’ Worte wirklich bedeuteten, nachdem sie ihm um den Hals gefallen war und ihn geküsst hatte, hieß das – was ihr im Nachhinein, sehr viel später, peinlich gewesen war, und außerdem dazu geführt hatte, dass sie knallrot geworden war, als er ihr das nächste Mal über den Weg gelaufen war. Jetzt kam sie ins Atrium, und sie hatte das Gefühl sie war viel zu hibbelig, um noch länger auf die Abreise zu warten. Heute sollte es endlich losgehen… Siv hoffte, dass noch Schnee liegen würde, wenn sie kam, dass es noch kalt war, so kalt, dass das Wasser draußen gefror, auch wenn sie wusste, dass das kaum der Fall sein würde. Aber vielleicht in den Bergen… Ihre alten Sachen aus Leder hatte sie, entgegen Brix’ Anweisungen, nicht weggeschmissen, sondern sie in einem unbeobachteten Moment gewaschen und geflickt, und diese Sachen trug sie jetzt in einem Beutel mit sich, in dem sonst recht wenig zu finden war – noch eine Tunika – obwohl sie nicht vorhatte, in ihrer Heimat etwas Römisches zu tragen –, ein grobgezinkter Kamm, ein Tuch, ein Band für die Haare. Siv brauchte nicht viel, und sie legte auch nicht viel Wert auf irgendwelchen Schnickschnack, im Gegensatz zu vielen anderen Frauen, und dementsprechend klein war ihr Gepäck. Was in ihrem Beutel allerdings zu finden war, war ein kleines Messer, ein Seil, eine Schleuder sowie ein kleines Netz – die Schleuder hatte sie schon vor einiger Zeit angefertigt, nicht weil sie glaubte, sie je gebrauchen zu können, sondern aus purem Heimweh, das Netz hatte sie erst in den letzten Tagen geknüpft. Es war zwar kaum zu erwarten, dass sie für ihr Essen selbst sorgen mussten, aber man konnte ja nie wissen, und wenn Siv ehrlich war, dann sehnte sie sich danach, endlich mal wieder jagen oder fischen zu können. Draußen zu sein und sich selbst zu versorgen, so wie sie es früher immer mit ihren Brüdern gemacht hatte, vor allem im Sommer, wenn sie oft tagelang im Wald herumgestreift waren… Mit dem, was sie dabei hatte, würde sie problemlos überleben können, vorausgesetzt sie war in einem Wald, in dem es genug Wild gab. Aber jetzt, wo bald Frühling wurde, kamen auch die Tiere wieder hervor. Siv tastete kurz nach ihren Habseligkeiten und grinste kurz, während sie darauf wartete, das die anderen endlich auftauchten, die ebenfalls mitkamen, aber noch war niemand zu sehen. War sie tatsächlich so früh dran? Einen Moment stand sie noch da und zappelte vor sich hin, während sie versuchte sich zu beruhigen, aber bald sah sie ein, dass das ohnehin keinen Erfolg haben würde. Irgendwie musste sie sich die Zeit vertreiben, und so legte sie kurzerhand das Bündel auf den Boden und begann, leichtfüßig durch das Atrium zu tanzen, auf den Lippen die Melodie eines Frühlingsliedes, das sie schon als Kind gekannt hatte.