[Nilus] Eine Handelskarawane

  • Am Morgen nach dem Auslaufen verließ Leonidas die kleine Kajüte, die sich auf dem Flaggschiff seiner kleinen Handelsflotte befand. Der Nil trieb ruhig dahin, aber ebensowenig blies der Wind. Daher hatte der Kapitän seine Ruderer aktiviert.


    Einen Augenblick lang lauschte Leonidas dem rhythmischen Pfeifen des Bootsmann, das die Ruder dirigierte. Sie kamen relativ gut voran, wie er fand. Als er sich jedoch zum Kapitän am Bug des Bootes stellte, belehrte ihn dieser eines Besseren.


    "Verdammter Seth! Etwas Wind und wir kämen doppelt so schnell vorwärts!"


    Leonidas verehrte die Götter nicht besonders eifrig und schon gar keine ägyptischen, aber dennoch mochte er es nicht, wenn Leute in seiner Umgebung fluchten - man wusste ja nie! Da dies jedoch der Kapitän war, verzichtete er auf rügende Worte. Stattdessen blickte er schweigend auf die grünlichen Wellen des Nils.


    Ein Fischerboot kam ihnen entgegen. Es bestand aus Papyrus-Stauden und war mit Ägyptern bemannt. Einige von ihnen trugen Speere - vielleicht waren sie auch auf der Jagd nach größeren, fluss-nahen Landtieren?


    Nicht zum letzten Male vermisste Leonidas seinen allmorgentlichen Gymnasion-Besuch...

  • Viele Tage waren die Schiffe bereits den Nil hinabgefahren. An jedem Abend wurden die Boote ans Ufer des Nils gesteuert und an Bäumen vertäut, während die Besatzung an Land ging und über offenem Feuer Getreidebrei kochte. Leonidas pflegte in einem Zelt zu schlafen, wenn es ihm nicht gelang, einen Bauern mit Hilfe von etwas Geld aus seiner Kate zu vertreiben, sodass er ein festes Dach über dem Kopf hatte.


    Tagsüber zogen endlose Getreidefelder an den Schiffen vorbei, wo die Bauern bereits begannen, die Halme mit kurzen Sicheln abzuschneiden. Leonidas stand immer am Bug des Flaggschiffes und betrachtete die Szenerie nachdenklich - für ihn wäre es gar nichts, in der Hitze mit bloßem Oberkörper über den Halmen zu bücken und sie mit der Sichel zu schneiden - es war wirklich gut, dass es diese Heloten gab!


    Eines Mittags - die Sonne brannte wieder einmal unbarmherzig auf das Deck, sodass Leonidas unter dem zu einem Pavillon umgebauten Segel saß - tauchte endlich eine Stadt am Horizont auftauchte. Zuerst sah man nur einen Turm, dann jedoch tauchte eine Mauer auf. Leonidas war aufgespruchen - seit Heliopolis, das neben seinem Sonnentempel kaum noch etwas aufzuweisen hatte (die Rhomäer hatten das, was die Ptolemäer übriggelassen hatten, auch noch abtransportiert), war dies die erst feste Siedlung seit langem, wenn man von den Bauerndörfern, die hin und wieder auftauchten, einmal absah.


    Der Kapitän sprach Leonidas plötzlich von hinten an, sodass er etwas erschrak.


    "Babylon."


    Leonidas wandte sich um. Er kannte die Stadt - hatte sie vor Jahren einmal besucht - allerdings war ihm dort nie der Turm aufgefallen. Kallimachos Didymou, der neben Leonidas stand, fragte neugierig


    "Beten die da auch zu Aphrodite?"


    Kallimachos war ebenfalls in Naukratis an Land gegangen. Dort war es eher lustig zugegangen und während Leonidas ein wenig von der berühmten Keramik gekauft hatte, war der junge Sohn des Metzgers im Vergnügungsviertel unweit des Aphrodite-Heiligtums versumpft. Die Sache hatte ihm offensichtlich viel Spaß gemacht, doch der Kapitän meinte nur


    "Ne, Ares."


    Kallimachos' Begeisterung nahm ein apruptes Ende und auch Leonidas freute sich nicht besonders auf die Stadt. Babylon war eine Garnisonsstadt - schlimmer als Nikopolis - und erhob die Nil-Zölle. Dieser Ort würde teuer werden...aber was blieb ihnen?


    So trieben die Boote langsam auf die immer größer werdende Stadt zu...

  • Nach dem unfreiwilligen Zwischenstop in Babylon fuhr Leonidas mit seinen Männern weiter den Nil hinauf. Die Reise war diesmal relativ kurz, sodass kaum Langeweile aufkam: Leonidas überprüfte die Steuerliste, die ihm die Beamten in Babylon gegeben hatten, Kallimachos verbesserte das Griechisch von Nubi, die Seeleute mussten die Güter neu vertäuen, damit bei schwererem Wind nichts durch die Gegend purzelte und die Begleiter des Handelsherrn hatten das Würfelspiel für sich entdeckt.


    So lief die Boots-Karawane nur einen Tag später in Men-Nefer, wie es der Kapitän nannte, in den Hafen Peru-Nefer ein.

  • Nach dem Ausflug zu den Pyramiden von Memphis machte sich die Karawane weiter auf den Weg. Die Boote folgten dem schier endlich langen Fluss (der ja tatsächlich der längste der Welt war), auf Deck trat wieder eine gewisse Apathie ein.


    Leonidas und Kallimachos saßen jeden Tag zusammen, sprachen über das, was sie sahen, aber auch Philosophie, Kunst und Politik. Obwohl Kallimachos aus einfachen Verhältnissen stammte, stellte Leonidas fest, wie gelehrig der Junge war. Es machte dem Kaufmann richtig Spaß, sich mit seinem Zögling zu unterhalten. Wenn sie nach Alexandreia zurückkehrten, so nahm er sich vor, würde er Kallimachos unterstützen, aufdass er eine politische Karriere beginnen konnte.


    Eines Nachmittags - die Sonne brannte wie immer unbarmherzig auf das Deck, weshalb die Seeleute ein Sonnensegel gespannt hatten - standen Leonidas und Kallimachos wieder einmal am Heck und sahen auf den Nil hinaus. Die Bauern holten gerade ihre Ernte ein und Leonidas blickte stumm über die goldenen Felder.


    "Kallimachos, mein Junge. Hast du eigentlich schon überlegt, was du tun wirst, wenn wir zurück sind?"


    Kallimachos sah leicht verwirrt zu seinem Mentor auf. Seiner Meinung nach hatte das Schicksal seinen Weg schon vorherbestimmt - den Weg seines Vaters.


    "Ich hatte gehofft, dass ich deine Metzgerei führen darf, wie mein Vater."


    Leonidas wandte sich um. Kallimachos wich dem Blick aus.


    "Wird das von dir erwartet, oder wünscht du dir es?"


    "Es wird...wohl erwartet. Aber ich bin auch geschickt mit dem Fleischermesser, sagt Vater."


    Leonidas legte seine Hand auf die Schulter des Jünglings.


    "Nicht nur mit dem Messer. Du hast eine saubere Schrift, kannst dir gut Dinge merken - du bist zu höherem bestimmt, als zum Pächter einer Metzgerei!"


    "Aber was soll ich denn sonst machen? Dichter vielleicht? Oder Schauspieler?"


    "Nein, doch nicht so etwas. Ich habe mir überlegt, ob du nicht weiter für mich arbeiten könntest. Ich brauche jemanden, der ein Auge auf meine Lager hat, mit meinen Handelspartnern spricht - kurz: Eine rechte Hand!"


    Kallimachos sah Leonidas erstaunt an. Dieser lächelte jedoch wohlwollend.


    "Du musst natürlich nicht. Es ist nur ein Angebot."

  • Die beiden unterhielten sich noch längere Zeit. Leonidas äußerte seine Wünsche, Kallimachos zuerst als rechte Hand zu gebrauchen, ihn später jedoch soweit zu unterstützen, dass er selbst politisch tätig werden konnte. Vielleicht würde der junge Grieche ja sogar die römische Bürgerschaft erringen und über die Provinz hinaus erfolgreich werden?


    Mit solchen Gesprächen füllten die beiden auch noch die folgenden Tage. Eine Tages erhob sich vor ihnen Theben, die Hauptstadt Oberägyptens. Zum letzten Male liefen die Boote nun mit ihrer Fracht in einen Nilhafen ein.


    "In Diospolis gibt es das Tal der Könige. Wenn du noch nicht genug von der alten ägyptischen Kunst gesehen hast, bist du da genau richtig!"


    erklärte Leonidas, als die Boote die Hafeneinfahrt passierten. Am Ufer befand sich allerdings nur ein Dorf - war das das berühmte hunderttorige Theben?

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