cubiculum Helena | Die Feigheit des Seins

  • Ich wandle einsam,
    Mein Weg ist lang;
    Zum Himmel schau ich
    Hinauf so bang.

    Kein Stern von oben
    Blickt niederwärts,
    Glanzlos der Himmel,
    Dunkel mein Herz.


    Peter Cornelius



    Auf und ab gegangen war ich. Stetig. Unaufhörlich. Fast meinte ich, Spuren auf dem Boden meines cubiculums hinterlassen zu haben. Draußen war die Sonne hernieder gesunken. Düsternis erfüllte den Raum, als ich schließlich stehen blieb. "Helena. Es tut mir leid", sagte ich zu einer formschönen Vase. So ein Schwachsinn. Natürlich tat es mir leid, aber ihr das zu sagen, würde es nicht besser machen. Es musste etwas sein, dass sie nicht sogleich in Tränen ausbrechen ließ. Wenn nicht meine Anwesenheit schon ebendies bewirken würde. Ich fuhr mir durch die Haare und legte die Hand anschließend in den Nacken. "Wie geht es dir?" Schon besser, doch das war auch eine heikle Frage. Ich sah bereits den vorwurfsvollen Blick, den sie mir zuwerfen würde, so ich es tatsächlich wagte, sie das zu fragen. Irritiert schüttelte ich den Kopf. Die Vase stand stumm vor mir auf ihrem Sims, so unberührt von den Worten, wie es Helena wohl niemals bleiben würde.


    Die grauen Schlieren am Abendhimmel waren bereits endgültig verblasst, als ich mir endlich einen Ruck gab und das Zurechtlegen der Worte einfach bleiben ließ. Nur wenige Sätze gab es, die ich imstande zu sagen war, ohne dass ich befürchten musste, sogleich eine Tränenkaskade auszulösen oder vor bösen Worten in Deckung gehen zu müssen. Ein letztes Mal atmete ich tief durch, dann verließ ich meine Gemächer und schritt zu jenen meiner Cousine Helena. Je näher ich der Tür kam, desto mehr verließ mich der Mut, bis er sich schlussendlich zur Gänze verzehrt hatte, kaum dass ich vor der dunkel gemaserten Tür stand und zu klopfen bereit war. Der wohlbekannte Kloß war nun wieder da, wie immer, wenn es um Helena ging. Zögerlich hob ich die Hand und formte eine lockere Faust, die nur einen digitus über dem Holz schwebte. Ich konnte es nicht. Ein septemvir und quaestor, der auctor der Staatszeitung und zudem pater familias und damit Herr dieses Hauses - und ich konnte nicht einmal an einer simplen Tür klopfen aus Angst vor dem, was dahinter lauerte. Erneut fuhr ich mir über Haar und Gesicht, schwankte unschlüssig und klopfte in einem Anflug von Verzweiflung schließlich doch an. Die Ruhe nach dieser Tat rauschte augenblicklich in meinen Ohren, brandete gleich einem Crescendo auf und ließ meinen Körper elektrisiert kribbeln. Vielleicht... Vielleicht, schlief sie schon. Vielleicht hatte sie das Klopfen nicht gehört. Ich hoffte mit jeder Faser meines feigen Seins, dass dem so war.

  • Helena war schon wieder einige Zeit auf ihrem Zimmer. Nachdem sie ein kleines Abendessen zu sich genommen hatte und nochmal eine kleine Runde durch den Garten gedreht hatte, wollte sie sich nun noch in den Schriftrollen vertiefen, die sie aus der Bibliothek mitgenommen hatte. Sie hatte Titus' Vorschlag sogleich in die Tat umgesetzt und sich ein paar Exemplare mit politischem Inhalt besorgt. Nun lief sie, über eben jenen politischen Inhalt sinierend durch ihr Zimmer. Die Schriftrolle in der einen Hand, einen Becher Wein in der anderen. Da sie sich bis jetzt für dieses Thema noch nie interessiert hatte fiel es ihr sehr schwer hinter die wahren Intentionen des Schreibers zu blicken. Sie musste sich konzentrieren um nicht den Faden zu verlieren und zweifelt oftmals daran, ob sie sich das alles überhaupt würde merken können.


    Schließlich ließ sie mit einem resignierendem Seufzen die Schriftrolle sinken und nahm einen Schluck Wein. Er war nicht verdünnt, aber das störte sie nicht. Im Gegenteil. Sie hatte sich angewöhnt abends noch einen guten Wein zu trinken. Helena spürte wie ihre Gedanken abschweifen wollten und schüttelte energisch den Kopf. Sie nahm den Weg durch ihr Zimmer wieder auf, wedelte dabei mit der Rolle und zitierte einige Sätze, die ihr noch im Kopf geblieben waren. In diesem Moment klopfte es an der Tür. Helena reagierte nicht darauf, denn sie war überzeugt davon, dass es sich um Marina handeln musste, die eh nur ein paar Augenblicke später eintreten würde. Das trat allerdings nicht ein und auch das Klopfen wiederholte sich nicht noch einmal. Helena blieb stehen und starrte auf die Tür bevor sie entnervt die Augen verdrehte, das kurze Stück zur Tür überbrückte und sie energisch aufriss.


    "Marina, seit wann wartest..." Die Worte blieben ihr sprichwörtlich im Hals stecken als sie nicht Marina, sondern Marcus gewahr wurde, der vor der Tür wartete. Seit ihrer Tat hatten sie sich nicht mehr gesehen, geschweige denn miteinander gesprochen. In den wenigen Augenblicken die sie ihn anstarrte brach plötzlich wieder alles über sie herein. Sie spürte Angst, Verzweiflung und auch Hass. Auf ihn aber hauptsächlich auf sich selbst. Wahrscheinlich konnte man auf ihrem Gesicht deutlich sehen was sie spürte, denn sie war noch nie gut darin gewesen ihre Gefühle zu verbergen. Sie hatte gewusst, dass dieser Zeitpunkt kommen würde, aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass es so unverhofft passieren würde. Sie war nicht vorbereitet, hatte keine Möglichkeit gehabt sich innerlich zu verschließen. "Marcus?!" Keine sonderlich gelante Begrüßung aber zu mehr war sie momentan nicht fähig. Auch rührte sie sich nicht von der Stelle, denn sein plötzliches Auftauchen schien sie regelrecht zu lähmen.

    teeeeeeeeeeeeeeeeeeeessssssssssssssssssssssssttttttttttttttttttt

  • Die Zeit verstrich. Sie war nicht da. Fortuna hatte ein Einsehen mit mir. Ganz allmählich fiel die Anspannung von mir ab, auch wenn ich erst würde aufatmen können, wenn ich wieder in meinem Zimmer war und die Tür hinter mir geschlossen haben würde. Schon wollte ich die Flucht antreten und mich zurück in mein Schlafgemach stehlen, als eben jene Tür so schwungvoll aufgerissen wurde, vor der ich zuvor noch so bang gestanden hatte. Mein Herz setzte einen Schlag lang aus, um hernach mit doppelter Geschwindigkeit wieder einzusetzen. Helena sah mich ungläubig an, ihre Augen funkelten furchterfüllt. Instinktiv trat ich einen Schritt zurück und schluckte, um mich zu sammeln und nach jenen Worten zu greifen, welche ich mir zuvor schon zurechtgelegt hatte. Sie waren fort.


    "Ich..äh", entfuhr es mir als Lückenfüller in der Stille, die sich immer mehr ausdehnte nach dem Peitschenknall meines Namens. Die Kehle schnürte es mir zu, die Hände baumelten seitlich herab und die Daumenkuppen fuhren nervös über die Fingernägel der locker geballten Hände. Was sagen, was nur? Helena sah mich an. Ich starrte zurück. Ein gequälter Ausdruck trat auf meine Züge. Die Hände waren längst mit einer Eiseskälte gesegnet. "Ich... Ich wollte...mal...nach dir sehen." Ein Räuspern. "Darf ich hereinkommen oder... Wenn es ein schlechter Zeitpunkt ist, komme ich später wieder. Wirklich, das wäre gar kein Probem." Ich hoffte. Ich betete. Und ich fühlte mich hundsmiserabel, auch wenn ich den Anschein erwecken wollte, über den Dingen zu stehen. Helena kannte mich. Sie würde mitnichten übersehen, dass ich mich schuldig fühlte wie selten zuvor in meinem Leben.

  • Von Marcus' sonst so souveränen Gehabe war nicht viel zu sehen. Da Helena sich verzweifelt bemühte nicht an ihre eigenen Gefühle zu denken, die gerade in ihr brodelten, konzentrierte sie sich auf Marcus. Seine Mimik und seine Gestik deuteten darauf hin, dass er sich sehr unwohl fühlte und sie konnte nicht anders als eine gewisse Genugtuung zu verspüren als sie das sah. Er stotterte...Helena hätte fast spöttisch gelächelt, doch ihre Gesichtszüge schienen wie festgefroren. Noch wirkte der Schock ihn so plötzlich zu sehen und bewahrte sie vor dem inneren Chaos. Allerdings wusste sie nicht, wie lange das noch so anhalten würde. Er wollte also mit ihr reden. Helena hatte gewusst das es dazu kommen würde und es hatte keinen Sinn sich länger davor zu drücken. Unter großer Willensanstrengung trat sie ein Schritt zurück und zur Seite, um ihn eintreten zu lassen.


    "Komm rein!"


    Ihre Stimme klang seltsam in ihren Ohren. Unschlüßig sah sie sich im Zimmer um, denn sie wusste nicht was sie als nächstes tun sollte. Sie drehte Marcus den Rücken zu und ging zum Bett hinüber, um sich darauf nieder zu lassen. Doch der Anblick des Bettes rief wieder die Erinnerungen an diese Nacht wach und nun reagierte auch ihr Körper darauf. Sie begann zu zittern und sie musste sich beherrschen um die Schriftrolle, die sie immer noch in der Hand hielt nicht zu zerdrücken. Vorsichtig legte Helena die Rolle auf dem Nachttisch ab. Ihr Blick wanderte dabei über den Weinkrug und normalerweise hätte sie Marcus etwas davon angeboten, aber sie brachte es nicht über sich. Sie musste sich unbedingt beherrschen! Schreien, weinen, all das würde nichts bringen und sie schwächer aussehen lassen, als sie ihm gegenüber zeigen wollte. Was dachte er wohl gerade? Es war ihm unangenehm hier zu sein, da war sie sich sicher. Wahrscheinlich war es nur eine Art Pflichtbesuch und es wäre ihm wohl lieber, wenn sie ihn sofort wieder hinausgeschickt hätte. Aber diesen Gefallen würde sie ihm nicht tun. Schon alleine sich selbst zu Liebe, denn Helena wusste, dass sie sich mit ihm auseinander setzten musste, wenn sie ihr Leben wirklich wieder in den Griff bekommen wollte.


    "Wie du siehst geht es mir gut. Man hat sich sehr liebevoll um mich gekümmert." Klang da ein leichter Vorwurf mit, das er sich nicht hatte blicken lassen? Das Zittern in ihrer Stimme war kaum zu hören, aber Marcus kannte sie mittlerweile gut genug um vielleicht auch das heraus zu hören. "Du brauchst dir keine Sorgen zu machen." Machte er sich wirklich Sorgen? Helena konnte in seinem Blick nicht lesen und sie hielt dem Ausdruck in seinen Augen auch nicht lange stand. Stattdessen senkte sie ihren Blick auf ihre Hände, die sie verschränkt hatte, um sie nicht zu Fäusten zu ballen.

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  • Ein aufmerksamer Beobachter würde wohl die kleinen Bewegungen erkennen, die das harte Aufeinanderbeißen meiner Kiefer zur Folge hatten. Zuerst geschah gar nichts, dann jedoch wich Helena ein wenig seitlich zurück und gab den Weg in ihr Gemach frei. Bis ich mich dazu bewegen konnte, hineinzugehen, verging nochmals eine kleine Ewigkeit, doch dann setzten sich meine Beine mechanisch in Bewegung und verfrachteten mich in ihr cubiculum, wo ich vor der nächsten Frage stand: setzen oder stehen bleiben? Uneins mit mir selbst, wagte ich zunächst den Blick zu Helena, um in Erfahrung zu bringen, was sie tun würde. Sie setzte sich aufs Bett und legte die Rolle fort. Ich stand immer noch auf halbem Weg im Raum an der gleichen Stelle, als sie begann zu sprechen. Ihre Worte lösten augenblicklich das schlechte Gewissen in mir aus, zumal mir nicht entging, welche Überwindung es sie kosten musste, mir das zu sagen, ja, überhaupt mit mir zu sprechen.


    Statt einer Antwort riss ich den Blick von ihrem Gesicht, betrachtete flüchtig eine der schönen Wandmalereien und lenkte meine stocksteifen Schritte schließlich zur Sitzgruppe, um den ihr am weitesten entfernten Sitzplatz anzusteuern und in Beschlag zu nehmen. Ihre Versicherung, ich müsse mir keine Sorgen machen, war eine Floskel, das war mir bereits klar gewesen, noch ehe sie sie ausgesprochen, noch ehe ich ihr Zimmer betreten hatte. Wenn es etwas gab, das ich tun konnte - und musste - so war es, mich zu sorgen. Und das tat ich wirklich, denn aus keinem anderen Grund - sah man von meiner jämmerlichen Furcht einmal ab - hatte ich den Besuch bei ihr so lange herausgezögert. "Ich mache mir aber Sorgen." Meine Stimme klang ganz anders, passte gar nicht zu mir und wirkte belegt. Verwirrt runzelte ich die Stirn und räusperte mich kurz darauf. "Der...der Brief, ich wusste nicht..." Natürlich hatte ich es gewusst. Es war sowohl sinnlos als auch naiv, jetzt verbergen zu wollen, dass ich blind für sowas war, selbst nachdem sie mir auf dem Fest eröffnet hatte, was sie fühlte. Die Linke malträtierte ganz unbewust die lederbezogene Armlehne, man konnte die Knöchel weiß hervortreten sehen. "Ich meine, ich...hatte gedacht, dass es nicht so....hm, stark sei?" Seltendämlich. Ich machte eine zerknirschte Grimasse und quälte mich weiter. "Also, nun... Du hast uns allen ganz schön Angst eingejagt", wich ich auf die anderen aus, womit ich ebenfalls nicht glücklich war. Ich seufzte tief, beugte mich ein wenig vor und stützte die Ellbogen auf die Oberschenkel, um meinen Kopf schwer in die Hände zu betten, Helena immer noch ansehend. "Es tut mir so leid", sagte ich leise mit zusammengezogenen Brauen. "Wieso nur wolltest du gleich den Tod wählen?"

  • Es war seltsam. Helena hatte den Blick wieder gehoben und je länger sie Marcus beobachtete, desto ruhiger wurde sie. Eigentlich war sie davon ausgegangen, dass sie anfangen würde zu weinen, vielleicht sogar zu schreien, denn sie wusste genau, dass sie über die ganze Sache noch nicht hinweg war. Doch dem war nicht so. Sie konnte sehen wie er litt und je mehr er litt, desto besser ging es ihr. Helena erschrak fast ein wenig über sich selbst, denn solche Gefühle kannte sie gar nicht. Normalerweise hätte sie alles dafür getan, um ihn von seinem Leid zu erlösen, oder es zumindest zu lindern. Aber jetzt...Helena sah ihn unverwandt an und genoß diesen Anblick. Sie sah, wie sich seine Finger um die Armlehne klammerten und hörte, wie er sich fast jedes Wort herausquälen musste. Es war Genugtuung die sie verspürte und die sie auskostete. Vielleicht auch, um nicht an ihre eigenen Gefühle denken zu müssen, die unter dem süßen Geschmack der kleinen Rache verborgen blieben.


    Die Frage war nun, was sollte sie ihm antworten? Natürlich hatte er gewusst, dass sie ihn liebte, immerhin hatte sie es ihm selbst gesagt. Er hatte es einfach nur nicht genug beachtet, es wahrscheinlich sogar als eine dumme kleine Verliebtheit seiner jungen Cousine abgetan. Und jetzt, wo es fast zu spät war, glaubte er angekrochen kommen zu können und alles wäre wieder gut... Helena atmete tief durch als sie bemerkte, dass ihre Gedanken nur dazu führten, dass der Zorn in ihr wieder hoch kochte. Dabei wusste sie nur zu gut, dass sie eigentlich hauptsächlich auf sich selbst wütend war. Marcus Blick lastete auf ihr und sie wusste, dass er eine Antwort erwartete. "Auch die Liebe einer Frau in meinem Alter kann stark sein, Marcus, auch wenn, oder vielleicht gerade weil sie noch nicht so viele Erfahrungen gemacht hat." Ihre Stimme klang immer noch seltsam, aber wenigstens zitterte sie nicht mehr so. Helena zwang sich seinem Blick stand zu halten und sich nicht so wie früher in seinen Augen zu verlieren. Diese Zeiten waren vorbei, mussten vorbei sein. "Ich weiß, dass ich der Familie sehr viel Kummer bereitet habe und ich habe mich, sofern es mir möglich war auch schon dafür entschuldigt. Ich kann meine eigenen Gedanken kaum nachvollziehen. Ich kann dir nur sagen, dass sie von Verzweiflung und Schmerz gekennzeichnet waren und ich alleine aus diesem Abgrund nicht mehr herausgekommen bin. Aber irgendwie glaube ich nicht, dass du hier bist um mich nach meinen Gefühlen zu fragen."


    Helena senkte den Blick um auf die Narbe an ihrem Handgelenk hinunter zu sehen. Decimus Mattiacus hatte die Fäden schon gezogen. Es war gut verheilt, doch noch war die Narbe rot und gut zu sehen. Plötzlich schämte Helena sich deswegen. Es war ein Zeichen der Schwäche und in seinen Augen wahrscheinlich ein Zeichen der Dummheit. Sie legte die andere Hand auf die Narbe und verbarg sie somit vor seinen Augen. "Ich weiß warum du hier bist und ich kann dir versichern, dass von mir keine Gefahr mehr ausgeht. Ich werde weder dir nochmal zu nahe treten, noch die Familie in der Öffentlichkeit diskreditieren. Das war dir doch immer das Wichstigste. Ich habe aus der Sache gelernt, wenn es auch ein schmerzhaftes Lernen war. Du kannst also beruhigt sein und wieder gehen. Ich werd dich nicht aufhalten."

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  • Dem Blick - schien er mir nur voller Genugtuung oder war er es tatsächlich? - vermochte ich nicht lange standzuhalten. Viel lieber betrachtete ich die geschwungene, bauchige Form der Weinkaraffe und nagte an der Unterlippe herum. Auf ihre Belehrung gab es nichts zu erwidern. Sie hatte recht, natürlich hatte sie das. Nur kurz streifte mein Blick ihre Augen, zwang ich mich, sie anzusehen, dann glitt er weiter, blieb diesmal an einem Pfosten ihres Bettes hängen. In Anbetracht der Größe des Kloßes in meinem Hals, hätte ich inzwischen schon halb erstickt im Sessel sitzen müssen, doch irgendwie schien die Luft doch durch die Verengung zu gleiten. Als Helena schließlich schwieg und mir ihre Worte noch in den Ohren rauschten, gemeinsam mit dem Blut, wagte ich erneut einen Blick und stellte erleichtert fest, dass sie den ihren abgewandt hatte, um ihr Handgelenk zu begutachten. Automatisch sah ich ebenfalls dorthin, auf die deutlich sichtbare, gerötete Narbe, die wohl ewig zu sehen sein würde. Augenblicklich wurde der Druck der Schuld schwerer, die auf meinen Schultern lastete, und wieder war ich froh zu sitzen, da ich sonst gewiss in die Knie gegangen wäre.


    Eines jedoch verwirrte mich in nicht geringem Maße: Helena sprach in der Vergangenheit. Nicht, dass ihre Worte keine gelinde Erleichterung in mir auslösten - doch klang sie so, als würden all ihre Empfindungen in weiter Ferne liegen, kaum mehr greifbar und nicht mehr als eine verblasste, unliebsame Erinnerung. Empfand sie tatsächlich so oder gab sie es nur vor? Wer konnte so rasch zu lieben aufhören? Die Schlussfolgerung war einfach. Ich erinnerte mich an die Worte von Ursus und Prisca. Ich sollte ihr zeigen, dass ich für sie da war - nur wie? Nervös strich die Zungenspitze über meine Lippen, tastete ich nach Worten, um sie zu verwerfen und neue heranzuziehen. Doch zu langsam, wie ich war, war es erneut Helena, die mir zuvor kam und mich mit Worten bedachte, die mich mehr trafen als eine mit allen nur erdenklichen Flüchen begleitete Ohrfeige. Entgeistert starrte ich sie an und vergaß darüber sogar, dass mir dies unangenehm war. Die Kehle war mir zugeschnürt und kein Wort würde ihr entweichen, geschweige denn ein Atemzug.


    War mir wirklich das immer das Wichtigste gewesen? Ich riss den Blick los, wandte ihn ab, schaute beschämt zu Boden. Aufgewühlt rang ich nach Worten. Ich erhob mich, vermied Helenas Blick und begann eine kleine Wanderung im ihr entferntesten Bereich des Zimmers, auf der ich die Hände entweder zu Fäusten geballt hatte oder mir nervös durchs Haar fuhr. Selbst die Bekanntgabe meiner ersten Kandidatur im Senat war längstens nicht so schwer gewesen wie das, was diese Szenerie mir abverlangte.


    Schließlich gab ich zumindest den Anschein, ruhiger zu sein, auch wenn ich mich bei weitem nicht so fühlte, und blieb in der Mitte des Raumes stehen. "Ich habe nie gewollt, dass dir oder sonst jemandem aus der Familie leid widerfährt, Helena. Und doch habe ich genau das zu verantworten. Ich weiß, dass es meine Schuld ist, und ich kann sie nicht wiedergutmachen, ganz gleich, was ich auch tun könnte. Ich weiß das." Ich schluckte. "Ich weiß, dass ich versagt habe." Die Lippen waren zu einem blutleeren, bitteren Strich zusammengepresst, als ich dieses Eingeständnis machte, nun auch vor Helena. Prisca hatte ich mich bereits anvertraut. "Ich möchte versuchen, für dich da zu sein, aber ich glaube nicht, dass ich das allein schaffe. Du wirst mir helfen müssen, wenn..." Mein Blick wanderte gen Boden und wieder zurück zu ihren Augen. "Wenn du das überhaupt möchtest."

  • Er hatte es nicht gewollt...das glaubte Helena ihm sogar. Sie ging nicht davon aus, dass er es mit bösem Willen getan hatte. Nein, er hatte einfach so gehandelt wie immer und es war ihm nicht aufgefallen, dass er sie damit verletzte. "Von Schuld zu sprechen hat keinen Sinn. Und es ist noch nicht mal wirklich deine Schuld. Immerhin hast du das Messer nicht geführt, sondern ich." Warum sagte sie das? Natürlich war es seine Schuld, zumindest versuchte sie sich das einzureden. Aber scheinbar hatte ihr Verstand so langsam wieder Überhand über ihre Gefühle und ließ sie erkennen, dass sie sich vielleicht doch etwas zu sehr in die Sache hinein gesteigert hatte. Trotzdem wollte sie ihm nicht so einfach vergeben! Sie wehrte sich dagegen und wenn es auch nur aus kindlichem Trotz war. Noch immer sah sie ihn an, das Gesicht fast regungslos. Es musste ihm unheimlich schwer fallen so mit ihr zu reden. Seine Mimik sprach Bände. Was würde er wohl tun, wenn sie jetzt in Tränen ausbrechen würde? Aber selbst wenn sie es gewollt hätte, sie hätte es nicht gekonnt. Ihre Tränen waren versiegt und das war vielleicht auch ganz gut so.


    Mittlerweile war Marcus aufgestanden und wanderte durch das Zimmer. Helena blieb ruhig sitzen und wandte nur den Kopf, um seinen Bewegungen zu folgen. Er suchte nach einer Lösung, doch das was er vorschlug gefiel ihr nicht sonderlich. Er wollte ihr helfen, aber das konnte er nicht. Wie denn auch? Leider konnte er ihre Gefühle nicht für sie beherrschen. "Ich denke, es ist besser wenn wir uns erstmal aus dem Weg gehen." Diesem Satz folgte ein längeres Schweigen. Machte sie es ihm nicht zu einfach? Wahrscheinlich war er erleichtert, dass sie ihn in der nächsten Zeit nicht sehen wollte. "Ich werde natürlich bei allen familiären Anlässen dabei sein und dich auch wieder auf die nächsten Feste begleiten. Nach außen hin bleibt der Anschein einer friedlichen Familie gewahrt. Ansonsten bin ich einfach noch nicht bereit normal mit dir umzugehen. Ich brauche noch Zeit. Und dabei kannst du mir nicht helfen, auch wenn du es willst." Nun endlich wandte Helena den Blick ab und sah zum Fenster hinaus. Sie hatte geahnt, dass es schwer werden würde wieder ein normales Leben zu führen. Vielleicht wäre es ganz gut, wenn sie eine Weile weggehen würde? Möglicherweise zu ihrer Tante zurück? Aber damit würde sie den Gerüchten, die es sicher schon gab, nur zuspielen. Nein, wenn sie wirklich irgendwann wieder ein alltägliches Leben in Rom verbringen wollte, dann musste sie hier bleiben.

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  • Ein Schnauben entwich mir. "Willst du leugnen, dass du ohne meine Reaktion, ohne diese Reaktion je auch nur daran gedacht hättest, dein Leben wegzuwerfen?" fragte ich sie und schüttelte im gleichen Moment den Kopf. Eben noch hatte sie mir ein schlechtes Gewissen machen wollen, oder nicht? Und jetzt versuchte sie, mich zu beruhigen? Da stimmte etwas nicht. Ich setzte mich neuerlich in Bewegung und steuerte meine Schritte zum Fenster hin, dem ich dann den Rücken zuwandte, um Helena angesichtig zu werden. Kaum wies sie mein Hilfegesuch zurück und teilte mir mit, dass sie ein Aus-dem-Weg-gehen bevorzugte, senkte ich den Blick und musterte mit regem Interesse meine Sandalen. Als sie geendet hatte, schüttelte ich den Kopf, seufzte und sah sie erneut an. "Ich werde dir sicherlich nichts auszwingen, was du nicht möchtest. Besonders nicht jetzt. Es ist bisher nichts nach außen gedrungen von...der Sache, und Mattiacus wird nichts sagen. Ich möchte dir helfen, Helena, wirklich, aber ich weiß nicht wie. Vielleicht möchtest du eine Weile fortgehen aus Rom? Nicht, dass du denkst, ich würde dich loswerden wollen. Es ist nur... Ich weiß nicht, was du dir nun wünschst. Ich meine..." Außer dem Erwidern? Ich schüttelte verloren den Kopf und hob schlussendlich die Schultern. "Du bist doch meine Base, Helena. Ich möchte, dass es dir gut geht und es dir an nichts fehlt. Wenn es etwas gibt, dass ich tun kann, lässt du es mich wissen. Ja?" Ein zerknirschter Blick ruhte auf Helena, ein zaghaftes Nachfragen mittels einer Geste. Letztendlich würde sie es sein, die in dieser Angelegenheit entschied, was auch immer dies sein würde.

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