In heimische Gefilde - Die Schöne und der quaestor

  • Mit einer edlen Dame, Flavia Celerina, an meiner Seite, umschwärmt von einigen Sklaven, hatte ich bald die Sklavenmärkte verlassen. Nur die Rufe der Händler drangen noch gelegentlich an unsere Ohren. Den Weg zur villa Flavia kannte ich, es war ein recht netter Frühlingstag und meine Gesellschaft bot gutes Unterhaltungspotential. "Hast du bereits viel unternommen, seitdem du in Rom weilst?" fragte ich sie. Bestimmt war Gracchus' Gemahlin hin und wieder recht gelangweilt und freute sich über Abwechslung.


    Pyrrus lief neben uns her und zog Grimassen. Er hasste es, zu laufen, und da wir nun diesen Umweg nahmen, würde der Weg zum Saturntempel um einiges länger als er sich wohl erhofft hatte. Wenigstens schwieg er. Ich konnte gegenwärtig keinen mürrischen, maulenden scriba gebrauchen.

  • So ein Spaziergang hatte doch einiges für sich! Man hatte Bewegung, die oftmals im bequemen Leben eines Patriziers viel zu kurz kam. Man sah und hörte Neues, was vielleicht schon immer da gewesen war, was man aber, geschützt durch den zarten Stoff der Sänfte, niemals mit seinen Sinnen hätte erfassen können und man hatte Unterhaltung, sofern man einen aufgeschossenen und dazu noch attraktiven Mann in seiner Begleitung hatte. Neben meiner Ylva begleitete uns auch noch sein scriba, der uns wie ein Schatten folgte, den ich allerdings gar nicht bemerkte. So genoß ich diese Promenade und bald entwickelte sich auch eine Unterhaltung.
    "Nun, um ehrlich zu sein, habe ich bislang noch nicht so viel unternommen. Lucanus hat mich mit den wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt bereits vertraut gemacht. Einen ersten groben Einblick in die Modeszene konnte ich auch schon gewinnen. Doch manchmal liebe ich es auch, einfach zu Hause zu bleiben. Die Villa Flavia verfügt über eine exzellente Bibliothek, die mich schon viele Stunden und lange Nächte in ihren Bann gezogen hat." Ja, man verfügte über einige Möglichkeiten, um sich die Zeit zu vertreiben. Sei es unmengen an Geld auszugeben, nette Freunde treffen oder einfach zu Hause faul auf der Haut zu liegen. Über meine allerliebste Freizeitbeschäftigung schwieg ich allerdings doch vorerst besser. Denn schließlich wollte ich niemanden erschrecken.

  • Mit einem Arm den Stoff der toga angemessen haltend, schritt ich einher. Ich zog das Gehen recht oft vor, besonders für kürzere Wege war es mir viel zu umständlich, die Sänfte herrichten zu lassen, und meistens dauerte genau das dann viel länger als der eigentliche Weg zum Ziel. So war mir die Bewegung nicht fremd oder unangenehm, und ich dachte nicht weiter über sie nach. Wohl aber sann ich über die Worte der Flavia nach. Sie ging also gern einkaufen und hielt sich oft zu Hause auf. Zudem schien sie gern zu lesen, und somit war sie entweder eine gebildetere Frau oder eine, die niedergeschriebene Lyrik oder - noch schlimmer - Romanzen verschlang. Ich musterte sie eingehend von der Seite, versuchte jedoch, dabei möglichst unbemerkt zu bleiben. Welcher Typ Mensch sie wohl war?


    Im Grunde war sie recht nett anzusehen, und ob sie nun viel Geld für unnützen Tand ausgab oder nicht, war mir zumindest im Moment recht gleich. Allerdings würde es spätestens dann ein Problem damit geben, wenn die villa überquoll vor Unnützem, ob das nun die flavische oder eine andere sein würde. Die Vorstellung, den ianitor - gerade den flavischen! - auf einer Welle von Krimskrams aus dem Haus gespült zu sehen, erheiterte mich ungemein. Noch hing ich diese Gedanken nach, und die Flavia schwieg. Ob aus Ratlosigkeit, was es weiters zu sagen gab, oder aus Scham, war dahingestellt. "Wenn du Schriften magst, solltest du Alexandrien besuchen. Die Bibliothek dort soll viele tausend Pergamente umfassen. Es heißt, dass es dort alles gibt, was sonst nirgends zu finden ist", sagte ich.

  • Wie schön doch dieser Frühlingstag war! Nur ein paar wenige weiße Wölkchen waren am azurblauen Himmel zu sehen und es war eine wahrhafte Freude, einmal auf diese Weise den Heimweg anzutreten.
    Als wir den Tumult der Märkte und Händler hinter uns gelassen hatten, war plötzlich wieder eine Stille eingekehrt. Um die Mittagszeit waren die Straßen wie leergefegt und nur das Zwitschern der Vögel konnte man hören. Langsam näherten wir uns einem kleinen Park, in dem einige Bäume des prunus dulcis standen, die bereits blühlten. Der Duft, der von ihnen ausging, erinnerte mich an meine Jugendzeit, zu Hause in Tarraco. Einen Moment hielt ich inne, um diesen wunderbaren Hauch einzufangen.
    "Riechst du auch den Duft der Mandeln? Sieh nur, wie schön sie blühen! Laß uns doch hier ein wenig verweilen!" Ich deutete auf eine marmorne Bank, die am Wegesrand stand. Langsam schlenderte ich auf sie zu und ließ mich nieder.
    "Ja, Alexandrien! Aegyptus zu bereisen, war schon immer mein Traum gewesen! Doch mein verstorbener Gatte hielt nicht viel davon. Leider! Man sagt, die Bibliothek dort, sei die größte der Welt! Unvorstellbar! Welche Schätze man dort finden kann! Archimedes, Platon, Homer und seine Ilias! So vieles wartet dort noch, um entdeckt zu werden!" Ich wurde immer überschwänglicher, denn hier war ich in meinem Element. Alerdings hoffte ich nur, ihn damit nicht zu langweilen.
    "Oh, bitte verzeih, ich wollte dich damit nicht ermüden! Doch wenn es um Bücher geht, bin ich nicht mehr zu halten!"

  • Unvermittelt blieb die Flavierin stehen, und ich tat es hr gleich und sah sie aufmerksam an. Ob sie etwas gehört hatte? Im nächsten Moment jedoch verwies sie auf den Duft, den ich erst wahrnahm, als sie mich darauf aufmerksam machte. Verdutzt betrachtete ich Celerina.


    "Ja, ein wunderbarer Anblick", pflichtete ich ihr bei, als sie sich in Bewegung setzte, um die Bank anzusteuern, und ich mich wieder gefangen hatte. Ich nahm an ihrer Seite Platz, strich abwesend eine Falte meiner toga glatt und sann über den eben verflogenen Moment nach. Ob sie rare Pflanzen schätzte? Bisher hatte ich noch niemanden getroffen, der diese meine Passion nicht belächelte, sondern teilte. Mandelbäume waren seit der Einfuhr aus den entfernten östlichen Gebieten des imperium beinahe allgegenwärtig geworden in römischen Parks. Im milden, italischen Klima gediehen sie gut, was sie für mich nicht mehr ganz so interessant machte wie schwer zu ziehende Pflanzen, obgleich sich auch im aurelischen Garten der ein oder andere Baum dieser Art fand.


    Celerina erlangte ein weiteres Mal meine Aufmerksamkeit, ihre Begeisterung steckte förmlich an und verleitete mich zu einem breiten Schmunzeln. "Es ist auch mein Wunsch, einmal die südlichste Provinz zu erkunden. Allerdings haben meine privaten Wünsche jenen nachzustehen, die das Reich betreffen. Als einer der Siebenmänner und vor allem als Magistrat Roms ist es nicht möglich, viel Zeit außerhalb Roms zu verbringen, um die Welt zu erkunden. Achaia und Germania müssen demnach diesbezüglich genügen", erwiderte ich auf ihre Worte hin. Als Senator würde mir ein Besuch in Ägypten schlussendlich vollkommen verwehrt bleiben. Milde lächelte ich. "Du scheinst mir eine begeisterte Forscherin zu sein, was die alten Autoren anbelangt", entgegnete ich und schüttelte sogleich den Kopf. "Es ist nicht verkehrt, wenn sich eine Frau von Schriften angezogen fühlt. Hast du auch die Ilias Latina gelesen?"

  • Natürlich war es nicht nur der herrliche Anblick Mandelbäume, der diese Pflanze für mich so interessant machte. Die Mandel, insbesondere die Bittermandel, schätzte ich als äußerst nützlichen Bestandteil für diverse Mixturen, da das Öl der Bittermandel über einen Giftstoff verfügt, der in größeren Dosen sogar tödlich sein konnte. Doch daran verschwendete ich nun nicht den geringsten Gedanken. Mein Begleiter schien ein überaus angenehmer Zeitgenosse zu sein, der offenkundig, einige meiner Leidenschaften teilte (und somit nichts zu befürchten hatte :D). Eine Konstellation, die man nicht so oft anzutreffen vermochte. Wenn ich da so an meinen verblichenen Gatten dachte, war der Aurelier das krasse Gegenteil dazu.
    "Oh, du kannst dich also auch für diese geheimnisvolle Kultur begeistern? Bereits als Kind träumte ich davon, einmal die Pyramiden zu sehen und wollte schon immer einmal das Orakel in Ammonion* besuchen. Es wäre sicher ein erhebendes Gefühl, an einem Ort zu sein, an dem vor einigen Jahrhunderten bereits Alexander der Große war."
    Mir war auf einmal, als könne ich über alle meine Träume, Wünsche und Leidenschaften sprechen, ohne dabei Gefahr zu laufen, jemanden damit zu langweilen. Das verleitete mich allerdings auch dazu, immer überschwänglicher zu werden. So hätte ich fast seine Einwände überhört, was ihn dazu bewog, eben nicht die südlichste Provinz des Reiches zu besuchen.
    "Oh ja, die Pflichten, natürlich! Unsere Pflichten haben natürlich Vorrang", pflichtete ich ihm schließlich bei. Ja, die Pflichten, die uns letztlich vom Leben abhielten und die auch mich noch bis vor kurzem vom Leben abgehalten hatten!
    Ja, tatsächlich! In mir schlummerte eine Forscherin und dies betraf nicht nur die Literatur. Dies hatte er ganz richtig erkannt! Wie gerne hätte ich all das nachgeholt, was mir in meiner Ehe und als Frau versagt geblieben war. Ich träumte von fremden Welten, exotischen Kulturen und von den Schätzen, die dort noch verborgen waren. Schätze, die nicht nur aus Gold und Silber waren. Offenbar war der Aurelier mir in einigen Dingen doch sehr ähnlich.
    "Ich muß gestehen, an die Ilias Latina habe ich mich zuerst heran gewagt, bevor ich mich dann auf das vierundzwanzig Bücher umfassende Werk Homers heran getraut habe. Aber wie ist es mit dir? Kannst auch du der Literatur etwas abgewinnen?" Eine Frage, die mich wirklich sehr interessierte, war doch mein Gemahl der Ansicht gewesen, Literatur sei nur dummes, unnützes Zeug!



    *= Ammonion ist der antike Name der Oase Siwa

  • "Durchaus", erwiderte ich, fasziniert vom euphorischen Klang ihrer Stimme. Selten traf man Weibsbilder an, die sich so begeistert zeigten. Bisher war mir nur eine Frau mit ähnlich überschwänglicher Art begegnet, eine Claudierin. Was ich davon halten sollte, war mir (noch?) nicht so ganz klar, also betrachtete ich Flavia Celerina interessiert und nachdenklich von der Seite und fragte mich, ob sie noch weitere Leidenschaften pflegte und wenn ja, welche das sein mochten und ob sie ihnen in ähnlich enthusiastischer Weise nachging. Einerseits war mir eine Frau mit Verstand viel lieber denn ein tumbes Heimchen, andererseits bargen besonders gewitzte Frauen stets ein gewisses Risiko. Ich stutzte, als ich bemerkte, dass ich die Flavia bereits hinsichtlich einer möglichen Verbindung analysierte, und nahm mir vor, dies zu unterlassen. Vorerst. "Ich bin mir sicher, dass du dereinst die großartigen Bauwerke Ägyptens wirst bewundern können, Flavia. Und dann wirst du mir davon berichten müssen", entgegnete ich und lächelte sie verschmitzt an. "Allerdings glaube ich nicht, dass das ammonische Orakel so sehr anders sein wird als die Sibylle." Womit ich verriet, dass auch ich bereits das römische Orakel aufgesucht hatte.


    "Ah, na das macht doch nichts. Es ist interessant zu sehen, worin sich beide Werke unterscheiden und was ihnen gleich ist, findest du nicht?" fragte ich sie. "Nun, es ist nicht zuletzt der Verdienst meines Vaters, dass die aurelische Bibliothek umfassend bestückt ist. Mit seiner Sammlerpassion einher ging sein Bestreben, mich zu einem ebenso begeisterten Leser zu machen, was, so fürchte ich, nur teilweise gelungen ist." Ich schmunzelte. "Ich schätze gute Lektüre zwar durchaus, doch gilt meine Passion vielmehr den exotischen Vertretern des Pflanzenreichs, zumal mir selten Zeit bleibt, um mich mit einer angenehmen Schriftrolle zurückzuziehen."

  • Wie erfrischend es doch war, endlich einmal einen Mann kennen zu lernen, der sich auch für andere Dinge außer fürs Geschäft und für die Politik interessieren konnte. Durch die wenigen Worte, die wir bislang gewechselt hatten, konnte ich bereits deutlich erkennen, dass sich uinsere Interessen gegenseitig ergänzten. Er konnte sogar meine Faszination für Aegyptus teilen, dem Land meiner fernen Träume! Mit einem Mal wurde es mir klar. So klar, wie selten in meinem bisherigen Leben zuvor! Ich musste den Göttern dafür danken, dass sie unsere Wege kreuzen ließen!
    "Du kennst also das hiesige Orakel? Welche Erfahrungen hast du denn damitgemacht. Ich stelle mir das ganz aufregend vor." Somit hatte ich auch meinerseits verraten, bisher noch nie ein Orakel aufgesucht zu haben. Ich konnte es nicht genau definieren, was mich bisher davon abgehalten hatte, dem Orakel einen Besuch abzustatten. Vielleicht war es auch einfach nur die Furcht von dem Unbekannten, das vor einem lag.
    Aber auch ich war ein Mensch, der am liebsten zuerst verglich, bevor er sich für etwas entschied. Nur leider gab es manchmal nun mal keine Vergleichsmöglichkeiten im Leben, sonst wäre so manches anders gelaufen. Doch dort, wo man eben das Glück hatte, Vergleiche ziehen zu können, zog ich sie und machte mir das Beste daraus zu Nutze.
    "Ich stimme dir voll und ganz zu. Die Ilias Latina hat mich auf das Original neugierig gemacht. Ich finde, nur wenn man beide Seiten einer Medaille kennt, weiß man, wovon man spricht. Das gilt in der Literatur, in der Kunst und auch anderswo. Es wäre natürlich auch interessant, beide Bibliotheken zu vergleichen, die aurelische und die flavische. Doch ich denke, eine gute Bibliothek sollte nicht nur dem Schöngeist Nahrung bieten, nein eine gute Bibliothek sollte auch genügend Fachwissen vermitteln können, und dies nicht nur in Dingen, wie der Philosophie, Politik oder Geschichte, sondern auch in praktischer Hinsicht, wie zum Beispiel auch über die Botanik. Aber auch ich muß dir gestehen, mein Interesse gilt nicht ausschließlich nur der Literatur. Ich bin auch praktisch veranlagt und liebe ebenso die Kräuterkunde. Ich experimentiere gerne damit, um so neue Heilmittel oder auch Kosmetika herzustellen." Sicher klang das nun sehr ungewöhnlich, doch ich hatte meinen Spaß daran. Diese Art von Freizeitbeschäftigung war alles gewesen, was man mir in Lutetia zugebilligt hatte.

  • "Ja, aber es ist lange her, dass ich da war. Ich hatte es damals mit einem meiner Brüder besucht. Wir wollten wissen, was die Zukunft und bringen würde. Rückwirkend kann ich schon behaupten, dass das meiste zugetroffen ist, was die Sibylle prophezeiht hat", fasste ich meine Erfahrung zusammen. Doch war es unmöglich gewesen, die Weissagungen der Sibylle nicht zu erfüllen. Das Orakel hatte vorhergesagt, dass sowohl Maxentius als auch ich selbst in ein fernes Land reisen würden, um dort zu lernen - dies war eingetreten, denn ein jeder Spross aus gutem Hause verbrachte eine gewisse Zeit für Studien im Ausland. Ebenso war von mehreren, nicht näher definierten Schicksalsschlägen die Rede gewesen, die ebenfalls eingetreten waren. Zugegebenermaßen blieb doch ein gewisses Maß an Skepsis zurück, nun, wo ich darüber nachdachte. Doch da die meisten Frauen von Orakelprophezeihungen viel hielten, verschwieg ich meine ehrliche Schlussfolgerung.


    Ein wenig unsicher ob ihres flatterhaften Wesens verfolgte ich nun Celerinas Worte, äußerlich ruhig und interessiert bleibend. Schließlich musste ich den Kopf schütteln und abwinken. "Ein Vergleich wäre vermutlich sinnfrei, da ich dem Vermächtnis meines Vaters nicht einmal halb so viel Aufmerksamkeit zolle wie dem Garten", erklärte ich. "Was nicht heißt, dass ich ein Lesemuffel bin. Mich interessiert das Sammeln seltener Schriften nur nicht halb so sehr wie die lebendige Vielfalt exotischer Pflanzen." Ich lächelte Celerina an und war gleichermaßen erstaunt darüber, dass sie der Pflanzenwelt ebenfalls etwas abgewinnen konnte. Allerdings...ein Kräuterweib? "Heilmittel und Kosmetik?" Irritiert musterte ich sie. Ihre Hände waren feingliedrig und schienen zart - insgesamt konnte ich sie mir durchaus vorstellen, wie sie Wurzeln schnitt und Blätter zerdrückte, hier einen Trank braute und dort eine Salbe zusammenrührte. Andererseits hätte sie sich keine untypischere Sache erwählen können für eine Frau ihres Standes. "Wie steht es mit Wagenrennen, Gladiatorenkämpfen und dergleichen?" fragte ich sie.

  • Ich schenkte dem Aurelier meine volle Aufmerksamkeit. Schon immer war ich von Orakeln und den Weissagungen der Sibylle fasziniert. Leider war es mir bisher nicht vergönnt gewesen, das Orakel zu befragen. Ein weiterer Punkt auf meiner Liste, den ich noch in Angriff nehmen wollte. Fragen, derer ich eine Antwort bedurfte, gab es genug.
    Daß er nicht wirklich ein Freund der Literatur war störte mich auch nicht weiter. Menschen mit unterschiedlichen Interessen konnten sich so viel besser ergänzen. Wichtig war für mich nur seine Fähigkeit, Toleranz gegenüber anderen zu üben. Eine Fähigkeit die meinem verstorbenen Gatten bis zuletzt verborgen geblieben war.
    "Ich finde es äußerst bemerkenswert, wenn sich ein Mann, wie du es bist, sich Freiräume schafft. Nur so findet man den nötigen Ausgleich, den man nach einem anstrengenden Tag braucht. Aber sage mir, sammelst du diese exotischen Pflanzen auch in einem Herbarium? Auf diese Weise kann man sie hervorragend katalogisieren und noch besser beschreiben." Wobei wir wieder beim Thema waren. Ich selbst hatte auch schon darüber nachgedacht, ein solches Werk anzulegen. Eine hilfreiche Maßnahme, um das Wissen meiner Kräuter betreffend, zu ordnen.
    Genau das war es, was ihn zu verunsichern schien, wenn ich seinen Blick richtig interpretierte.
    "Ja, durchaus! Dies ist eine wunderbare Freizeitbeschäftigung wobei man auch den nötigen Abstand von den Wirren des Alltags finden kann." Selbstredend vermied ich hinzuzufügen, das es sich bei diesen Heilmitteln meistens um Toxika handelte.
    Seine Frage betreffend, anderer Freizeitbeschäftigungen, ließen meine Gedanken in eine völlig andere Richtung schweifen. Jedoch Wagenrennen konnte ich nun wirklich nichts abgewinnen. Worin bestand nur der Sinn, wenn erwachsene Männer stets mit ihren Wägen im Kreis herum fuhren? Bislang hatte ich auf diese Frage keine Antwort gefunden. Doch ich wußte, daß die meisten meiner Zeitgenossen da anderer Meinung waren.
    "Gladiatorenkämpfe finde ich sehr anregend! Ich liebe es, wenn diese Kerle mit ihren starken prallen Körpern übereinander herfallen." Oh ja, das liebte ich! Wobei für mich nicht zwingend notwendig war, daß einer der Kontrahenten sterben mußte.

  • Ihre Worte schmeichelten mir, zugleich schürten sie aber auch den Argwohn in meinem Inneren - ein Mann, wie du es bist? Doch die Empfindungen erfuhren einen jähen Schnitt, kaum dass sie mich nach einem herbarium fragte. Schlagartig hatte sie nun wieder meine ganze Aufmerksamkeit inne, und abschätzend hob ich eine Braue. "In der Tat", erwiderte ich langsam und nickte anerkennend. "Wobei 'herbarium' für die Art Pflanzen, der meine Passion gilt, wohl eher ein ungewöhnliches Wort ist. Ich habe seltene Vertreter der unterschiedlichsten Arten nach Rom bringen lassen, sie sind Teil des gesamten aurelischen Gartens", erklärte ich ihr nicht ohne Stolz in der Stimme. Und seitdem sich Siv im Hause befand, gediehen die einzelnen Bäume und Sträucher beinahe ebenso gut wie die heimischen Gewächse, fügte ich in Gedanken an und unterdrückte den Impuls, gedanklich bei der hübschen Germanin hängen zu bleiben.


    Erstaunt musterte ich die Flavierin von der Seite. "Ungewöhnlich, aber bei genauerer Betrachtung doch nicht so abwegig, wie es zuerst scheint", kommentierte ich ihre Erklärung die Kosmetika betreffend und sann hernach eine Weile über die Freizeitbeschäftigung nach. Spontan kam mir ein Gedanke. "Dein Verwandter richtet doch demnächst ludi scaenici aus. Du hättest nicht zufällig Lust, mich dorthin zu begleiten? Ich wollte sie mir gern ansehen", sprach ich aus, ehe ich weiter darüber nachgedacht hatte. Einigermaßen verwundert über mich selbst schwieg ich hernach, äußerlich nur fragend schauend. "Zwar ist nicht davon auszugehen, dass dort halbnackte Männer übereinander herfallen, aber vielleicht hast du dennoch Freude daran, zumal Flavius Gracchus dieses Theaterstück organisiert", fügte ich ein wenig später hinzu und zwinkerte ihr kurz zu.

  • So, so! Ein Herbarium in Form eines Gartens also. Wie originell! "Interessant!" bemerkte ich nachdenklich, wobei in mir gleichzeitig der Gedanke kam, diesen exotischen Garten auch einmal in natura sehen zu wollen. Ob in seinem Garten auch Blumen ihren Platz fanden? Im Zuge meiner Leidenschaft für Pflanzen mit besonderen Wirkstoffen, hatte ich unlängst ein Buch in der flavischen Bibliothek ausgegraben. Geschrieben wurde es von einem griechischen Arzt, der unter Claudius und Nero als Militärarzt diente. Dieser Mann hatte ein bemerkenswertes Werk in fünf Bänden über Arzneimittellehre hinterlassen. Für meine Forschungen war es zu einem unerschöpflichen Brunnen des Wissens geworden.
    "Ich las kürzlich bei Pedanios Dioskurides in der de materia medica etwas über eine Pflanze, die aus dem fernen Asien stammt und dort auch als Heilpflanze genutzt wird. Man nennt sie orchidaceae. Verfügst du in deinem Garten auch über solch eine Pflanze?"


    Im nächsten Augenblick brachte er die bevorstehenden Spiele zur Sprache, die mein Onkel Gracchus auszurichten gedachte. Natürlich war dies ein Muß für alle Mitglieder der Familie und auch die Gelegenheit, in Kontakt mit den Mitgliedern der feinsten römischen Gesellschaft zu kommen. Seine Frage, ob ich ihn dahin begleiten wollte, kam für mich sehr überraschend, doch fand ich es auch sehr reizvoll, seiner Bitte zu entsprechen. "Nein, gewiss wird man dort keine halbnackten Männer zu sehen bekommen, die anschließen übereinander herfallen, doch wäre es mir eine Freude, deiner Bitte zu entsprechen." Ich warf ihm einen vielsagenden Blick zu und wählte dabei mein charmantestes Lächeln, welches ich mein eigen nennen konnte.

  • "Vielleicht wirst du einmal Gelegenheit haben, dir den Garten anzusehen, wenn du möchtest", sagte ich und wunderte mich im nächsten Augenblick ein wenig über die versteckte Einladung, die meinen Worten zu entnehmen war. Ob Celerina sie wahrgenommen hatte? Wieder dachte ich an Siv - sollte Celerina den Garten wirklich sehen wollen, so müsste sie zuerst die Pflanzen zur vollsten Pracht pflegen, denn seitdem Siv in Germanien weilte, litten besonders die wärmeliebenden Exemplare an dem kühleren Klima derzeit. Was die Germanin genau mit den Pflanzen anstellte, dass diese sonstig so gut gediehen, war mir ein Rätsel, doch solange alles bestens aussah, fragte ich nicht weiter nach und ließ sie einfach machen. Jedenfalls sollte Celerinas Besuch bis zur Rückkehr Sivs warten, damit ich ihr den Garten in seiner schönsten Pracht würde zeigen können. Und am besten in Begleitung, nicht dass man mir noch unschöne Dinge nachsagte. "orchidaceae? Zu dieser Gattung gehört doch das orchis italica, wenn mich nicht alles täuscht? Dieses Kraut hat recht ansprechende Blüten. Von Abkömmlingen aus Asien habe ich allerdings noch nichts gehört", erwiderte ich und blinzelte interessiert. Sicher wusste Celerina um die schleimlösenden und fruchtbarkeitsfördernden Eigenschaften dieses Gewächses. Ob es weiter östlich vielleicht eine größere Farben- und Formenvielfalt dieser orchidaceae gab? Ich musste jemanden darauf ansetzen...


    Eines Schmunzelns konnte ich mich nicht erwehren, als sie die nackten Männer erneut erwähnte. Celerina schien mir eine recht vielschichtige Frau zu sein, die über einen wachen Geist verfügte und gleichzeitig Humor besaß. Nicht die schlechteste Mischung, sagte ich mir, und erneut sann ich insgeheim über die Worte meines Patrons nach. Wenn doch nur der Kaiser endlich in Rom ankommen und seine Neigung bezüglich der Flavier aussprechen würde. "Dann werde ich dafür sorgen, dass eine Sänfte dich rechtzeitig aus der flavischen villa entführt und samt deinem Gefolge zum Marcellustheater bringt. Ich werde dort auf dein Eintreffen warten", schlug ich vor.

  • Ja, das wäre schön, dachte ich so bei mir und war im nächsten Moment doch sehr überrascht was ich da gehört hatte! Ob ich dies als eine Art Einladung werten durfte? Konnte ich wirklich darauf hoffen, Corvinus noch einmal treffen zu dürfen? Der Garten der Aurelier, was mich dort wohl erwarten würde? Eine exotische Oase der Entspannung, mit vielen, mir bis dato noch unbekannten Pflanzenarten? Es bliebe abzuwarten, ob es soweit überhaupt kommen würde. Natürlich verbot es meine Erziehung, überschwänglich auf diese angedeutete Einladung zu reagieren.
    "Ja, die orchis italica ist eine Pflanze die auch in unseren Breiten heimisch ist. Jedoch existieren noch viele andere Arten und im fernen China, so hörte ich, sei die Züchtung dieser Arten zu einer Kunst erhoben worden."
    Nun, man sprach ja der orchis italica eine aphrodisierende Wirkung zu, wobei ich davon weniger überzeugt war. Dies war wohl mehr Schein als Sein! Vielmehr war sie wirksam und hilfreich, wenn es um Husten ging.


    "Das wäre sehr schön! Ich lasse mich gerne entführen!" , erwiderte ich zwinkernd das Angebot des Aureliers. Mein Herz sprang vor Freude. Ich hatte es so gerne hinaus in die Welt getragen, wie sehr ich mich freute. Aber das wäre sicher nicht angemessen gewesen. Ich seufzte glücklich, als dann mein Aufmerksamkeit von meiner Sklavin abgelenkt wurde, die mir dezent etwas ins Ohr wisperte. "Oh, wirklich! Ist es schon so spät?" Nicht nur meiner Stimme, auch in meinem Gesicht war meine Enttäuschung abzulesen.
    "Ich fürchte, wir müssen nun weiter! Man erwartet mich bereits in der Villa Flavia. Es war mir ein großes Vergnügen, dich kennengelernt zu haben, Aurelius Corvinus.Ich kann unser erneutes Zusammentreffen kaum erwarten!"
    Schweren Herzens erhob ich mich von der Bank. Bis zur heimischen Villa war es nur noch ein kurzes Stück.

  • Die Züchtung bestimmter Pflanzen war zur Kunst erhoben worden? Das klang befremdlich, zugleich aber auch interessant. Vermutlich fehlte es den barbarischen Völkern des Ostens auch einfach nur an Beschäftigungsmöglichkeiten. In jedem Falle hatte Celerina damit meine Neugier geweckt, und ich würde veranlassen, dass ich mehr Informationen diesbezüglich erhalten würde.


    "Oh, ich werde schon dafür sorgen, dass die Entführung in angemessenem Stil erfolgt, verehrte Flavia", erwiderte ich und schmunzelte breit. Da trat die Sklavin Celerinas heran und ließ ihrer Herrin diskret eine Information zukommen. Kurz darauf reagierte diese mit Bestürzung, und einen weiteren Moment später erfuhr ich auch, woraus diese resultierte. Ich neigte den Kopf und erhob mich ebenfalls. "In Rom erlebt man zwar oft Überraschungen, aber seltenst sind sie so angenehm wie diese. Die Freude war ganz auf meiner Seite, Flavia, und ich hoffe, die Zeit bis zu unserem nächsten Treffen möge schnell vergehen", erwiderte ich und deutete automatisch eine leichte Verbeugung an. Ich war zur Höflichkeit erzogen worden, und zumal ich gern ihre Bekanntschaft gemacht hatte, fiel es mir auch nicht schwer, ebendies zu sein.


    Es war nicht nötig, sie weiter bis nach Hause zu begleiten, das Domizil der Flavier lag nicht mehr allzu weit entfernt. So sah ich ihr noch einen Moment nach, als sie ging, und versuchte, Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Alles in allem war Flavia Celerina ebenso erfrischend wie auch mysteriös, und besonders letzteres gereichte mir zur Verwirrung. Als sie den Park verlassen hatte, wandte ich mich ebenfalls ab und ging nachdenklich meines Weges.


    ~ finis ~

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