Opfer zu Ehren des verstorbenen Basileus - vor dem Kaisareion

  • Die Prozession erreichte den Platz vor dem Tempel des Basileus. Sie hielt inne. Die Klageweiber verstummten, ebenso der Schlag des Tympanions. Die Stille hielt eine Weile an, was ihr eine gespenstische Anmutung gab. Der Platz vor dem Kaisareion war gesäubert und mit Blumen geschmückt. Die üblichen Bettler waren an diesem Tag nicht hier, offenbar hatten die Schergen des Strategos sie vertrieben.
    Nikolaos ging die Treppe zur Vorhalle des Tempels hinauf. Er hoffte, der Eponminatograph würde bald aus dem Inneren des Tempels kommen, um die Opfertiere in Empfang zu nehmen.
    Auf dem Platz versprengten die Tempeldiener weiter Rosmarinwasser und ließen Räucherwerk verbrennen. Die Schwaden zogen zur Vorhalle des Tempels hinauf. Sie umhüllten Nikolaos wie Nebel und hinterließen ein dumpfes Gefühl der Betäubung.
    Ein Windstoß ging über den Platz und zerstreute die Rauchschwaden. Die Bänder aus schwargefärbter Seide, die um Kleopatras Nadeln gewickelt waren, flatterten im Wind, wie auch die Gewänder der auf dem Platz Stehenden. Als bräche sich an den steinernen Stufen des Kaisareions eine schwarze Brandung.

  • Der Weg der Prozession war kurz gewesen, was der Präfekt dankbar zur Kenntnis nahm. Ebenso froh war er, als das Geschrei der Weiber aufhörte. Er mochte Beerdigungsprozessionen nicht besonders.
    Die 'trauernde' Menge wartete. Auf den Eponminatographos - wie ihm einer seiner Begleiter zuraunte.

  • Obwohl Cleonymus selbst die "Entfernung" der Bettler und anderer zwielichtiger Subjekte angeordnet hatte, machte der so saubre Platz vor dem Kaisarion einen angenehmen Eindruck auf ihn.
    Nun da die Klageweiber ihr Geschrei beendet hatten nutzte Cleonymus die ruhige Minute um seine Gedanken zu sammeln und um nochmals nach seinen Männern zu sehen, die Lückenlos den Platz im Auge hatten und dafür sorgten das Alexandrias Köpfe ungestört blieben ...

  • Der Eponminatographos:


    Der Eponminatographos ließ sich Zeit, schließlich schickte es sich nicht für einen Mann seiner Stellung und seines Altes, zu eilen. Das Eilen überließ er den jungen Leuten, wie dem Exegetes, den er für sich einen unverschämten Grünschnabel nannte.
    Er hatte die Prozession erwartet, doch obgleich er hinter der Tür, die in die Säulenhalle hinausführte, gewartet hatte, kam er nicht sogleich hinaus. Er ließ sich sein purpurgesäumtes Gewand im Halbdunkel von einem jüngeren Priester richten. Dann ließ er sich weitere Augenblicke dazu Zeit, eine würdevolle Haltung anzunehmen. Schließlich gab er dem anderen Priester einen Wink, worauf dieser die Flügel der Tür aufzog.
    Der Eponminatographos trat hinaus. Sogleich wurde sein soeben gerichtetes Gewand von einem Windstoß, der über den Platz vor dem Kaisareion ging, wieder in Unordnung gebracht. Der Priester ließ sich nichts anmerken. Ihn kümmerten sehr wenige Dinge nur noch in letzter Zeit. Die Zeit, in der er als Demagoge gefürchtet und verehrt war, war vorbei. Dies würde sein letztes Amt bleiben, danach würde er dafür sorgen, dass ihn niemand mehr eine solche Bürde auflud.
    Mit einem huldvollen und etwas geringschätzigen Nicken begrüßte er den Exegetes. Inzwischen waren aus dem Tempelinneren dem Eponminatographos der jüngere Priester, zwei weitere Priester sowie eine größere Anzahl prachtvoll herausgeputzter Tempeldiener gefolgt. Diese gingen nun, an den Rändern der Freitreppe, um in der Mitte den Blick auf den Eponminatographos freizugeben, auf den Platz hinab, wo sie die Opfertiere in Empfang nahmen. Höflich, beinahe unterwürfig grüßte der Eponminatographos den Eparchos der Rhomäer, dann im Kollektiv alle übrigen Anwesenden, wobei sein Tonfall bei letzteren längst nicht so geringschätzig war wie beim Exegetes. Dieser hatte inzwischen die Säulenhalle wieder verlassen, um dem Eponminatographos nicht die Bühne zu nehmen, was dieser mit einem kaum merklichen ironischen Lächeln beantwortete. Gut hatte der Exegetes daran getan, anderenfalls hätte sich der Eponminatographos vielleicht sogar die Blöße gegeben, ihn zurechtzuweisen.
    Nach dem kurzen Gruß verschwand der Eponminatographos wieder im Tempel, Priester und Tempeldiener mit den Opfertieren folgten ihm.
    Als sich die schweren, hohen Türen hinter der Priesterschaft geschlossen hatten, begannen die Musikanten wieder zu spielen. Auch wurde wieder Räucherwerk verbrannt auf dem Platz.

  • Etwas pikiert hatte Nikolaos die Säulenhalle verlassen. Mit dem verkühlten Gruß hatte der Eponminatographos einen leichten Anflug von Ärger in Nikolaos ausgelöst, den er aber unterdrückte, denn ihn an sich sichtbar werden zu lassen, hätte die Würde dieser Veranstaltung befleckt. Er sah zu, wie das Opfertier der Stadt sowie sein eigenes Opfertier von den Opferhelfern mitgenommen wurden. Das Spiel der Musikanten hatte sich in seinen Ohren allmählich zu einem Dröhnen entwickelt. Die ihm sonst eigene Frömmigkeit war von Ungeduld getrübt. Nach außen hin jedoch gab er sich ehrfurchtsvoll.

  • Eigentlich fand Germanicus Corvus, dass er als Praefectus Aegypti bei der Opferung zu Ehren des verstorbenen Kaisers hätte anwesend sein sollen. Aber die Sitten in Alexandria waren anders und merkwürdig, der Eponminatographos und die Priester hatten die Opfertiere in das Innere des Kaisareions geführt und die Türen waren hinter ihnen verschlossen worden.
    Nun standen die Trauergäste, und mitten unter ihnen, fast wie ein gewöhnlicher Bürger auch Corvus, vor dem Tempel, ließen sich die Sonne auf die Köpfe scheinen und warteten darauf, dass sich die Türen wieder öffneten.

  • Der Eponminatographos:


    Wieder einmal nahm sich der Eponminatographos mehr Zeit, als er brauchte. So verging einige Zeit, bis die große Flügeltür sich öffnete und zusammen mit einem Schwall aus dem Rauch von Blumen und Duftkräutern der Priester auf die Vorhalle hinaustrat. Sein Gewand und seine Hände waren von Blut bespritzt. Diese blutigen Hände hielt er nun vor der Menge in die Höhe und sprach, begleitet von den Musikanten.


    "Er nahm unser Opfer an
    und er wird schützen
    diese Stadt und ausbrei
    ten seine Hände über
    diese Stadt; danken mö
    gen wir ihm, dem Un
    sterblichen, schützen
    möge er auch den Ba
    silieus, der seine Un
    sterblichkeit gab für
    uns, es lebe er, es le
    be der Basileus und es
    sei gepriesen der Gott."


    Allmählich verflüchtigte sich der Rauch. Das Räucherwerk war nun bald verbraucht, ebenso die Kraft der Musikanten. Auch der Eponminatographos wirkte etwas matt, als er den Rückweg in den Tempel antrat. Die Flügel der Tür schlossen sich wieder. Dabei enstand ein dumpfes Schlaggeräusch. Die Musikanten hatten zu spielen aufgehört, sodass dieser Schlag, vom Stein der Säulen weitergetragen und verstärkt, auf dem ganzen Platz zu hören war. Als das letzte Echo, das sehr lang anmutete, als dauere es ganze Bruchteile einer Stunde, verhallt war, begannen die Klageweiber wieder mit ihrem Geschrei. Die letzten Fetzen rissen sie sich von den unbedeckten Teilen ihrer Haut, die letzte Kraft der Stimmen warfen sie achtlos fort in die näher kommende Mittagshitze. Als endlich das letzte Klageweib heiser war, das letzte Bündel Räucherwerk verkohlt, der letzte Tropfen Thymianwasser verspritzt, löste sich die Menge langsam auf. Nur gewisse Würdenträger der Stadt blieben, um den Eparchos gescharrt.

  • Nikolaos ging einen Schritt auf den Eparchos zu. "Ich danke dir im Namen der Polis für deinen Beistand an diesen traurigen Tagen.", sagte er ernst und höflich. Die Kränkung durch den Eponminatographos wirkte noch lange nach, doch dies war nicht die Schuld des Eparchos, daher ließ Nikolaos sich ihm gegenüber nichts davon anmerken. Es hätte sich nun geschickt, dem hohen Gast Bewirtung in seinem Haus anzubieten, doch das einzige Haus des Nikolaos, das dafür geeignet gewesen wäre, lag außerhalb der Stadt. Und in sein Gasthaus oder gar in sein Lagerhaus wollte er den Eparchos nicht führen... . "Wenn du nicht sofort in deinen Palast zurückkehren möchtest, so wäre es mir eine Freude, dich im Tychaion zusammen mit deinen Begleitern und den Pyrtanen der Polis bewirten zu dürfen. Ich habe bereits einige meiner Sklaven losgeschickt, Speisen und Getränke zu kaufen und zu bereiten."


    edit: Rechtschreibungsschnitzer entfernt.

  • “Es währe mir eine große Ehre.“, antwortete Germanicus Corvus.
    Die Demütigung des Exegetes durch den Eponminatographos hatte er entweder gar nicht wahrgenommen, oder ließ es sich zumindest nicht anmerken.

  • Also zum Tychaion ... mit einem Seitenblick und einem kurzen Handzeichen wird das neue Ziel an den Geleitschutz des Trauerzuges weitergegeben und die Wächter beginnen sich neu zu formieren.
    Als alle auf ihrer Position sind nickt Cleonymus Nikolaos zu und bedeutet ihm somit das seine Leute bereit sind ...

  • "Das freut mich außerordentlich.", sagte Nikolaos in einem Ton, der beinahe die Wahrheit vermuten ließ. "Wenn es dir recht ist, können wir sogleich aufbrechen, es steht nun alles bereit, und zum Tychaion ist es nicht weit von hier."
    Und so gingen sie in Richtung Tychaion.

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