Opfern für Anfänger - Eine praktische Übung für die discipuli

  • Er dachte mit - auch das war etwas, das mir sehr gut gefiel, so etwas war bei den discipuli wirklich selten geworden. "Ich werde ein Gebet sprechen, das ist richtig, aber die Anrufung des Mars müsstest Du als der Opferpriester übernehmen - fühlst Du Dich dafür sattelfest genug?" Nicht jeder kannte alle Aspekte des Mars auswendig, und bevor er sich blamierte, konnte man immernoch einmal die Strategie abstimmen.
    "Das Vorpofer wäre üblich, aber da das Tier nun schon angebunden ist und alles bereit steht, denke ich, können wir auch darauf verzichten - bevor das Ferkel unruhig wird und durch zu lautes Gequieke das ganze Opfer stört. Auch das ist etwas, worauf Du achten musst, wenn Du ein Opfer leitest. Tiere werden sehr schnell unruhig, wenn sie nicht durch beruhigende Substanzen in ihrem Essen ein bisschen gleichgültiger gemacht wurden, und Du hast nicht ewig Zeit, das Voropfer durchzuführen, wenn die Tiere bereits vorbereitet wurden. Letztendlich hat jedes Lebewesen einen Überlebensinstinkt, und der kann nicht immer betäubt werden."

  • "Die Anrufung - muss ich Mars vor der Frage 'Agone?' anrufen? Und wie mache ich dies am Besten?", fragte Ticinius den Flavier. Er vermutete, dass es so etwas ähnliches wie das Gebet war - nur ohne eine Bitte. Aber sicher war er sich nicht. Während er nachdachte, konnte er die Opfergeräte entdecken, die ein camillus gerade auf einen Tisch legte. Nun war eigentlich alles bereit - nur die Frage musste noch beantwortet werden. Je näher das Opfer kam, desto nervöser wurde er. Unruhig sah er zum Ferkel, dass jedoch noch relativ ruhig war. Etwas beruhigt schaute Ticinius nun den sacerdos fragend an.

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  • "Genau das. Üblich ist, dass der Opferpriester in einem Gebet, in dem er den Gott, welchem das Opfer gilt, noch einmal kurz zusammenfasst, wieso man ihn anruft, was sich der Opfernde wünscht und natürlich die entsprechenden Ehrentitel und Anreden, die dem Gott gebühren .. bei Mars sind das so einige, und als Priester wird es später auch eine Deiner Aufgaben sein, den Opfernden zu helfen, die diese Ehrentitel nicht kennen. Viele Bürger kennen nur die gebräuchlichen Namen, aber je mehr Du davon kennst, desto besser ist es. Letztendlich ist es wie eine Schmeichelei für eine schöne Frau. Wenn Du nur ihr Kleid lobst, wird sie sich irgendwann fragen, wieso Du nur ihr Kleid schön findest, nicht aber ihr Lächeln, ihr Haar, ihre Lippen und so weiter - Du musst also versuchen, möglichst alle Aspekte einer Gottheit abzudecken, wenn Du betest, damit sich nicht einer dieser Aspekte zurückgesetzt fühlt und das Opfer verdirbt."
    Diese Auswendiglernerei hatte mir jedenfalls nie so wirklich gefallen, aber mit der Zeit gewöhnte man sich eben an alles. Hatte man erst einmal alle Ehrentitel und Aspekte des Mars hundert Mal bei einem Opfer herunter gebetet, dann behielt man sie sich auch im Gedächtnis. "Was meinst Du, welche Aspekte von Mars fallen Dir gerade ein? Ein paar dürften Dir sicher geläufig sein ..."

  • Beinahmen für Mars - natürlich war Mars Kriegsgott, doch welche Aspekte hatte Mars noch? Ticinius überlegte einige Sekunden, welche ihm einfielen, bevor er dem Flavier antwortete: "Die Ehrentitel des Mars - Mars Gradivus, der dem Heer vorangeht, Mars Ultor, der rächende Mars, und Mars Silvanus als Gott der Wälder und Felder." Gab es überhaupt noch mehr? Er wusste es nicht. "Mehr fallen mir im Moment nicht ein", sagte er daher.


    Bei dieser Gelegenheit fiel ihm ein, dass er auch nicht die Beinahmen der Fortuna kannte. Diese war für ihn aber noch bedeutsamer als die des Mars, denn schließlich hatte er sich für entschieden, Fortuna zu dienen. So nahm er sich vor, diese bei nächster Gelegenheit herauszufinden.

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  • "Damit hast Du drei der vier wichtigsten Personifikationen genannt - Dir fehlt nur noch Mars Quirinus, der Schutzgott des römischen Staates. Aber es muss nicht immer sein, dass Du alle vier Personifikationen dem Namen nach nennst, es hilft auch, zu allen vieren die wichtigsten Insignien und Funktionen zu nennen. Mars Gradivus ist der angreifende Mars mit Schild und Speer, Schlachtenlenker und größter Feldherr, Mars Ultor als rächender Mars ist vom göttlichen Zorn beseelt und wütet unter den Feinden des Staates und der Kaiser, Mars Silvanus kannst Du auch als Vater und Beschützer der Schwachen, der Frauen und der Feldfrüchte charakterisieren, und Mars Quirinus' Eigenschaften als Beschützer des Reiches und auch Stammvater unseres Volkes durch Romulus werden durch den Schild desgleichen dargestellt - wichtig ist, dass aus allen vier wichtigen Bereichen etwas genannt wird, die anderen Personifikationen des Mars, in denen er mit lokalen Gottheiten in den Provinzen verschmilzt, sind dabei nicht so bedeutend für uns hier in Rom. Schwert, Speer und Schild solltest Du also immer nennen, ebenso die Verbundenheit zum Kampf und die Schutzfunktionen, die ihm zukommen," sagte ich mit einem durchaus zufriedenen Klang der Stimme. Auf Anhieb hatte er drei von vieren gewusst, das war ein herausragend gutes Ergebnis. "Wenn Du nicht noch eine Frage hast, dann würde ich sagen, gehen wir gleich in medias res - das Opfern erlernt sich einfach am besten beim machen selbst, theoretische Erklärungen bleiben stets hinter der Realität zurück."

  • "Ich habe keine Fragen mehr und würde jetzt gerne anfangen wollen.", antwortete Ticinius dem Flavier. Seine Nervosität wich nun innerer Ruhe, die sich ihn nur auf das Opfer konzentrieren ließ. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass alle benötigten Opferutensilien bereitstanden, begann er mit dem Opfer.


    Zuerst überzeugte er sich, dass das Opfertier äußerlich unversehrt und richtig angebunden war. Vom Beistelltisch, auf dem die Opferutensilien lagen, nahm er das darauf liegende Wassergefäß. Mit einem Teil des Wassers besprengte er die Anwesenden (also Aquilius). Danach rief er: "Favete linguis!" in dessen Richtung. Danach drehte er sich wieder zum Beistelltisch und wusch im Wassergefäß seine Hände. Nachdem er dies vollbracht hatte, nahm er das malluium latum und trocknete damit seine Hände. Dann nahm er die mola salsa, schritt damit zum Tier und bestrich es damit. Das Ferkel ließ es erstaunlich ruhig über sich ergehen.


    Danach stellte Ticinius die Schale mit der mola salsa wiederum auf den Beistelltisch und nahm das Opfermesser. Damit ging er zu Aquilius und reichte es ihm - etwas sagen tat er nicht, schließlich wusste der Flavier, was er zu tun hatte, nämlich das Tier rituell entkleiden.

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  • Er fing gut an und machte gut weiter. Ich musste zwar kurz blinzeln, als ich das Wasser abbekam, aber es gehörte nun einmal zum Ritus und er konnte schließlich nichts dafür, wenn man einen Tropfen Wasser im Auge landen hatte. Das Ferkel machte keinen Radau und alles wäre wunderbar gewesen, hätte ich nicht in diesem Augenblick bemerkt, dass ich vergessen hatte, ihn auf die Weiheformel hinzuweisen - aber das war auch kein allzu schlimmer Punkt. So nahm ich das Opfermesser entgegen und sagte ruhig:
    "Sprechen wir die Weiheformel für das Tier gemeinsam: Hiermit weihe ich Dir, O Mars, dieses Ferkel, auf dass Du dieses Opfer annimmst und den Worten dieses Mannes Gehör schenkst!" Erst dann fuhr ich mit dem Messer über den Rücken des Tiers und vollendete die rituelle Entkleidung, reichte es dann an meinen Schüler zurück und blickte ihn erwartungsvoll an. Gut geschlagen hatte er sich bisher allemal. Ich war bei meinem ersten Opfer deutlich nervöser gewesen.

  • Als Ticinius dem sacerdos das Messer gegeben hatte, begann dieser mit der Weiheformel. Er sprach die Formel, wie aufgefordert, mit: "Hiermit weihe ich dir, O Mars, dieses Ferkel, auf dass Du dieses Opfer annimmst und den Worten dieses Mannes Gehör schenkst!" Dann sah er zu, wie der Flavier das Tier rituell entkleidete. Er überlegte einen Moment, wie er Mars am Besten anrief, doch da bekam er auch schon das Opfermesser von Aquilius zurückgereicht. Nun machte er wieder konzentriert weiter. Es folgte die Anrufung. Nachdem er das Messer auf den Beistelltisch zurückgelegt hatte, stellte er sich in die Nähe von Altar und Opfertier und begann die Anrufung:


    "O Mars, Du Angreifer mit Speer und Schild, der Du die Schlachten der römischen Armee lenkst und der größte Feldherr bist, O Mars, Du Rächer, der Du unter den Feinden des römischen Staates und des römischen Kaisers wütest, O Mars, Du Beschützer, der Du die Schwachen, die Frauen und die Feldfrüchte schützt, O Mars, Du Stammvater unseres Volkes, der Du den römischen Staat beschützt, O Mars, der Du uns alle schützt mit Schwert, Speer und Schild! Höre die Worte deines Priesters!"


    Hoffentlich war die Anrufung richtig, vor allem die Aufforderung am Ende, den sacerdos zu hören, der ja noch ein Gebet sprechen wollte.

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  • Na, ein bisschen holprig war die Zusammenstellung der einzelnen Aspekte noch, vor allem die direkt aufeinander folgenden Wiederholungen, aber für sein erstes Mal mit so vielen Dingen, die er gleichzeitig zu berücksichtigen hatte, hatte sich der junge discipulus sehr gut geschlagen, was wollte man mehr? Ich hatte ihm recht aufmerksam gelauscht, um einen etwaigen Fehler sofort korrigieren zu können, aber dieser war nicht gekommen und ich war unvermittelt dran.
    "O Mamarce, höre meine Worte! Am heutigen Tage stehe ich nicht nur als Dein Priester vor Dir, sondern auch als der Lehrer dieses Mannes, der in den Dienst der Götter getreten ist, um nicht nur den Göttern allein, sondern auch seinem Volk und Staat zu dienen. Ich bitte Dich, schütze diesen Mann vor Unbill und vor missgünstigen Feinden, auf dass sein Schritt nicht wanke und seine Entschlossenheit nicht fehl gehe, weiterhin zu dienen! Mögest Du allezeit Deine Aufmerksamkeit auch auf sein Tun und Werden richten, auf dass er das seinige jenen opfern kann, die seiner bedürfen." Damit nickte ich Ticinus auffordernd zu, zum Zeichen dessen, dass ich mit meinem Gebet am Ende angelangt war, und sah ihn erwartungsvoll an - der erste Schnitt war entscheidend, damit genug Blut floss, das Opfer also ordnungsgemäß verlief und wir auch eine günstige Antwort aus Mars' Richtung zu erwarten hatten.

  • Sim-Off:

    Ich nehm jetzt einfach mal an, dass Du 'Age' antworten wirst.


    Während Ticinius dem Gebet zuhörte, ging er in Gedanken noch einmal durch, was er jetzt tun musste. Außerdem vergewisserte er sich noch einmal, dass die Opferutensilien bereitlagen. Als das Gebet zu Ende war, nickte er einmal bestätigend dem sacerdos zu und ging zum Ferkel. Dort drehte er sich in Richtung Aquilius um und fragte rituell: "Agone?"


    Nach dessen Antwort nahm er den Opferhammer in die Hand. Einmal atmete er noch tief durch, dann schlug er mit voller Kraft den Hammer gegen den Kopf des Ferkels. Quiekend stürzte es zu Boden. Sofort nahm Ticinius das Opfermesser und schnitt damit dem Tier den Hals durch. Sofort begann das Blut zu fließen, und zwar reichlich - das war schonmal ein gutes Zeichen. Einige Blutspritzer, die auf seinen Beinen gelandet waren, beachtete er nicht weiter, sondern schnitt, als der Blutfluss aufhörte, die Leinen durch und hob das Ferkel auf den Altar. Dort begann er sofort, das tote Tier aufzuschneiden und die vitalia, Leber, Lunge, Herz, Bauchfell und Galle, auf ihre Unversehrtheit zu untersuchen.

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  • "Age!" hatte ich geantwortet und schon war er zur Tat geschritten, zögerte nicht, zauderte nicht, sondern erledigte einfach, was erledigt werden musste. Andere hätten sich gesträubt oder eine zaghafte Hand gehabt, aber es sah erstaunlich routiniert aus und ich war um einiges erleichterter, als ich sah, wie ruhig seine Hände geblieben waren. Auch, als er das Tier aufschnitt, machte er, soweit ich es sehen konnte, alles richtig - und so trat ich neben ihn, um ihm bei der Inspektion der vitalia über die Schulter zu schauen und eventuell vorhandene Details aufzuzeigen, die uns den Willen des Mars erläutern würden.


    Sim-Off:

    Die Antwort des Opferherrn kannst Du bei Opferhandlungen meist in einem Schwung mitposten - außer Du lässt Dir viel Zeit - die wenigsten haben da etwas dagegen. Jetzt müssen wir allerdings auf göttliche Rückmeldung warten. ;)

  • Der Beschützer der Schwachen, Frauen und Feldfrüchte, na das war ja mal eine tolle Zusammenstellung, die Mars dort als Anrede erfuhr. Der neue Priester, den er dort beschützen sollte, war ganz offensichtlich keine Frau und so wie er den Opferhammer schwang auch kein Schwächling - aber eine passende Feldfrucht wollte dem Kriegsgott auch nicht einfallen. Nach einer Weile stellte er die alberne Wortklauberei dann auch ein und ließ stattdessen das Opfer gelingen.

  • Sorgfältig untersuchte Ticinius die vitalia auf Unversehrtheit. Glücklicherweise befand sich in der Bibliothek der Matinier ein Medizinbuch, dessen Rezepte die Gesundheit zwar eher verschlechterten als verbesserten, dafür aber mit guten Bildern, auch der inneren Organe, aufwarten konnte.


    Zuerst stellte er sicher, dass die Organe überhaupt vorhanden waren. Danach nahm er sie heraus und legte sie in die Schale, die auf dem Altar stand. Dort nahm er jedes einzelne Organ heraus und untersuchte es auf Verwachsungen und Missbildungen. Doch auch diese waren nicht vorhanden. Deshalb verkündete Ticinius erleichtert: "Litatio!"

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  • Ich sah meinem Schüler genau über die Schulter, aber diesen Teil des Opfers musste er selbst zustande bringen, und so nickte ich nur leicht zu mir, als er schließlich verkündete, das Opfer sei angenommen worden. Einen Fehler der inneren Organe hatte ich auch nicht entdecken können - auch wenn diese Sorge seit dem dreimaligen Opfer immer eine leise Stimme in meinem Innersten erhob, sobald es an die blutigen Tatsachen eines Opfers ging - und so konnte ich nichts sehen, was gegen seine Interpretation des Opfers gesprochen hätte. Seine Genauigkeit jedenfalls sprach für ihn, und ich war mir, nachdem ich diesen ersten Versuch gesehen hatte, durchaus sicher, dass er seine Prüfungen gut bestehen würde. Alles andere war Übungssache, nach dem zehnten geopferten Tier verschwamm die Erinnerung ohnehin irgendwann.
    "Sehr gut!" lobte ich denn auch mit einem zufriedenen Nicken in die Richtung des Matiniers. "Und was passiert nun mit dem geopferten Tier? Was machst Du mit den vitalia und dem restlichen Leib?" Auch die Aufräumarbeiten mussten schließlich bedacht werden.

  • Immer noch erleichtert, dass das Opfer so gut geklappt hatte, antwortete Ticinius: "Die vitalia und der restliche Leib werden seperat in der Tempelküche gekocht. Die vitalia sind für Mars bestimmt. Nachdem sie gekocht worden sind, werden sie mit der mola salsa bestrichen und verbrannt. Den restlichen Leib dürfen wir essen. Dies machen wir entweder zusammen oder indem wir uns Anteile des Opfers in sportulae füllen und nach Hause mitnehmen." War dies alles? Er überlegte einen Moment, bis ihm noch eine dritte Möglichkeit einfiel: "Wir können den restlichen Leib natürlich auch ganz oder teilweise verkaufen."

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  • Ich nickte abermals und war mit der Antwort zufrieden - machte dann aber eine Geste zu dem Tierleib auf dem Altar. "Dann lass uns die Einzelteile nun ihrer passenden Bestimmung zuführen, bei einem kleinen Opfer ist das die Aufgabe des opfernden Priesters, bei den größeren Staatsopfern haben wir dafür Helfer. Aber grundsätzlich solltest Du die Verteilung der Einzelteile immer überwachen, damit die Götter auf jeden Fall ihren Anteil erhalten und Du Dir nicht wegen Schlamperei für die Zukunft göttlichen Ärger einhandelst. Gerade in dieser letzten Phase kann für die Zukunft gesehen noch so einiges schief gehen." Gemächlich klaubte ich die vitalia zusammen und legte sie in die dafür bestimmte Schüssel, während ich es ihm überließ, das Restferkel zusammenzuräumen - einer der Jungens, die im Tempel die Grundbegriffe des Priesterdaseins lernen sollten, stellte sich erwartungsvoll neben ihn, um zur Hand zu gehen, sollte der Matinier dies bedürfen.


    "Bei einem so kleinen Tier ist es das Beste, alles mitzunehmen, denn frisches Fleisch ist bei den meisten Familien als Ergänzung beliebt - außer Du weißt genau, dass es nicht gebraucht wird. Für sportulae taugen eher die großen Tiere, damit auch eine angemessene Menge Fleisch verschenkt werden kann, wie es bei den großen Opfern üblich wäre." Es war ein blutiges Handwerk, aber die notwendigen Arbeiten waren bald vollbracht und wir konnten einem nun doch aufgeklarten Tag entgegen sehen. "So, damit hast Du eine wichtige Lektion ohne Schrammen überstanden, ich bin sehr zufrieden. Ganz sicher wirst Du diesen Teil Deiner Prüfungen gut bewältigen können. Eine Grundregel, falls Du dann doch einmal nervös oder unsicher werden solltest, ist, dass Du Dir Zeit lässt. Die Götter leben ewig, und ein paar Momente, die für Dich wichtig sind, Dich wieder zu sammeln, werden keinen Gott stören - ein misslungenes Opfer aber sehr wohl, wenn Du Dich zu sehr eilst und Fehler machst."

  • Während der Flavier die vitalia aus dem Tierleib entfernte, überlegte Ticinius kurz. Ferkel hatte er noch nie so zubereitet, dass sie gekocht werden konnten. Dafür hatte er immer Sklaven gehabt. Unsicher schaute er sich das Ferkel an. Den Kopf, die Beine und den Schwanz konnte man wohl nicht essen, zumindest hatte er so etwas noch nie auf einem Teller gesehen. Deshalb schnitt er erst einmal diese Körperteile ab. Dann zerschnitt er den Rest des Tieres in handliche Stücke. Das sah schon einmal nicht schlecht aus. Zufrieden gab er dem Jungen diese Stücke und sagte zu ihm: "Bringe dies in die Tempelküche und lass es zubereiten.".


    Danach hörte Ticinius aufmerksam zu, wann man welche Variante benutzte: Kleine Tiere - alles mitnehmen, große Tiere - sportulae. Auch den Hinweis bezüglich der Zeit hörte er sich an. "Danke für die Hinweise,", sagte er zum Flavier, "ich werde sie beherzigen." Dennoch hoffte er, in der Prüfung nicht nervös oder unsicher zu werden.

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  • Geduldig beobachtete ich die Handlungen des discipulus und fand keinen Fehl darin - als schließlich das blutige Tagewerk endgültig seinem Ende zugeführt war und der Junge, wie man es ihn geheißen hatte, seinen Botengang ausgeführt hatte, blieb uns nichts weiter zu tun als die Opferhandlung für uns selbst abzuhaken.
    Wahrscheinlich würde es ein schöner Tag werden, das Wetter versprach es, und gutes Wetter lockte häufig auch viele Besucher zu den Tempeln.
    "Nungut, ich denke, wir haben alles getan, was zu tun ist - das fertige Fleisch wird Dir später ausgehändigt werden, während meine collegi die vitalia weiter nutzen werden - ich würde sagen, wir widmen uns dem zweiten Punkt, der für Deine Ausbildung und spätere Berufspraxis wichtig ist: Den Bittstellern. Hast Du heute noch Zeit dafür oder wäre Dir ein anderer Tag lieber?" Ich selbst hatte es nicht eilig, aber ich wusste nicht, ob er nicht doch noch andere drängende Pflichten erfüllen musste, die ihn von dieser Unterrichtseinheit abhalten konnten.

  • Drängende Pflichten hatte Ticinius am heutigen Tag nicht. Eigentlich hatte er außerhalb seiner Ausbildung zum Priester gar keine Pflichten. "Ich habe dafür heute noch Zeit", antwortete er deshalb dem Flavier. Was es genau mit den Bittstellern auf sich hatte, wusste er nicht - doch er vermutete, damit waren Leute gemeint, die Hilfe beim Opfern benötigten. Dennoch, sicher war er sich nicht, und fragte deshalb zur Sicherheit noch einmal nach: "Sind mit den Bittstellern die Tempelbesucher gemeint, die Hilfe beim Opfern suchen?". Fragen kostete schließlich nichts, und er war ja auch discipulus geworden, um solche Frage stellen zu können.

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  • "Genau jene," bestätigte ich und schmunzelte. "Wobei dies nicht ganz stimmt. Manche kommen auch einfach nur, weil sie den Rat des Gottes suchen - und man entscheidet dann gemeinsam je nach der Schwere des Anliegens, welche Art von Opfer benötigt wird oder ob einige geäußerte Gedanken nicht auch schon eine Hilfe sein können." Ich wusch mir die Hände an einem der dafür in der Nähe des Altars bereitstehenden Becken, trocknete sie nachlässig ab und fuhr fort: "Das Opfern ist eine Sache, damit stellt man sich direkt mit der jeweiligen Gottheit in Verbindung, dankt entweder oder bittet um etwas bestimmtes - aber manches Mal brauchen Menschen, die den Tempel aufsuchen, auch einfach nur jemanden, der ihr Problem anhört und ihnen dann eine Hilfe bietet. Dass ein Opfer, ob groß oder klein, damit dann verbunden ist, gehört dabei eher zu einem zweitrangigen Punkt, denn den Göttern muss schließlich immer Respekt erwiesen werden. Das kann man allerdings auch zuhause machen - wer in den Tempel kommt, hat doch zumeist ein Anliegen, mit dem er selbst glaubt nicht mehr leicht zurecht zu kommen, und für solche kannst Du als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Manchmal müssen sich Veteranen auch einfach schreckliche Erlebnisse von der Seele sprechen, weil sie sonst niemanden haben, der damit klar kommen würde - auch das gehört zum Krieg dazu, auch das gehört zum Dienst an Mars. Ehre und Ruhm sind nicht alles, was er verkörpert."

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