• Am späten Vormittag versammelten sich wie jedes Jahr die Pontifices und Vestalinnen auf dem Capitol. Doch nicht nur hier, in der gesamten Stadt traten heute die Curien zusammen, um der Erde zu opfern. Doch für Durus war es dieses Jahr etwas Besonderes: Er durfte das Opfergebet auf dem Capitolium leiten.


    Reich mit Bändern geschmückte Rinder standen bereits auf dem Platz vor dem Tempel. Die Bäuche der Tiere wirkten aufgebläht, denn alle drei erwarteten ein Kalb, das sie jedoch nie gebären würden. Sie wirkten nervös, doch die Opferdiener hielten sie sicher an ihren Stricken. Eines der Tiere war bereits ausgetauscht worden: Die Kuh hatte gestern bereits gekalbt. Man hatte sich im Collegium Pontificium gestritten, ob dies als negatives Zeichen zu werten wäre, dann jedoch beschlossen, dass das Opfer trotzdem wie gehabt stattfinden würde.


    So war auch Durus leicht nervös, als er aus dem Kreis der Priester trat, um das Opfer zu beginnen. Zuerst prüfte er die drei Kühe auf ihre Unversehrtheit und vollzog die rituelle Händewaschung. Dann war alles bereit. Gemeinsam mit zwei anderen Pontifices trat er vor. Ein minister trat hinzu und rollte eine Papyrus-Rolle auf, auf der das alte Gebet zu diesem Anlass festgehalten war. Durus begann zu lesen:


    "O Tellus, Älteste aller Götter, Wächterin der Saaten, Beschützerin der Ehen, Herrin über die Fruchtbarkeit!
    Durch das Orakel des Faunus und das Wort der Egeria hast Du dem Numa Pompilius dieses Opfer aufgetragen und so die Dürre von unserer Stadt genommen.
    Seit diesen Tagen bieten Du jedes Jahr in allen Curiae der Stadt trächtige Kühe für die Fruchtbarkeit unserer Äcker an.
    Nimm also auch diese Kühe als gerechtes Opfer an und lass unser Korn aufgehen, aufdass unsere Felder reiche Frucht tragen und unser Volk sättigen und es uns wohlergehe.
    Dann mögen wir Dir weitere Opfer bringen im nächsten Jahr und in alle Ewigkeit."

  • Ticinius war bei der Opferung als Zuschauer anwesend, und das aus zwei Gründen. Erstens hielt er es für seine Pflicht als römischer Bürger, die Göttin Tellus um die Fruchtbarkeit der Felder zu bitten. Er wollte nämlich in diesem Jahr keinen Hunger leiden - obwohl dies bei einem Mann wie ihm unwahrscheinlich war. Zweitens wollte er als discipulus des Cultus Deorum anwesend sein, um das Opfer aufmerksam zu beobachten und vielleicht etwas über den Ablauf von Opfern zu lernen.


    Deshalb beobachte er aufmerksam die trächtigen Kühe, die auf dem Tempelvorplatz standen, den Pontifex, der die Kühe auf Unversehrtheit prüfte, sich rituell die Hände wusch, vortrat und das Gebet von einer Papyrus-Rolle vorlas. Ticinius hoffte, sich diese Handlungen merken zu können.

    statim sapiunt, statim sciunt omnia, neminem verentur, imitantur neminem atque ipsi sibi exempla sunt

  • Als Teil des Collegium Pontificium stand auch Gracchus zwischen den Pontifices auf dem Capitol, ließ seinen Blick über den blaugraufarbenen Himmel schweifen, welcher die ferne Landschaft hinter der Stadt in sich verschluckte. Er hatte schlecht geschlafen in der vorherigen Nacht, wie auch in vielen Nächten zuvor, und hörte kaum auf die traditionellen Worte, welche Tiberius verlas. Wenige Wochen zuvor hatte die Kunde über die Geburt eines doppelköpfigen Kalbes nahe Arretium das Collegium in Bangen versetzt, doch das Tier hatte es nicht bis nach Rom geschafft, nicht einmal tot, so dass es vermutlich nur ein Gerücht gewesen war. Für einige Herzschläge streiften Gracchus' Gedanken zu solch einer Missgeburt und was es würde bedeuten, wenn eine solche bei den Fordicidia zu Tage würde treten, doch er verscheuchte diesen Gedanken hastig, da zwangsläufig ein solches Ereignis als prodigium würde gewertet werden müssen.

    cdcopo-pontifex.png flavia.png

    IUS LIBERORUM

    PONTIFEX PRO MAGISTRO - COLLEGIUM PONTIFICUM

  • Durus Blick schweifte über die versammelten Männer. Flavius Gracchus war erschienen, was den Tiberier freute. Vielleicht konnte er ihm nach dem Opfer zu seinen Spielen gratulieren. Auf den jungen Discipulus nahm er wenig Rücksicht.
    Doch nun stand zuerst die Arbeit an. Die ministri brachten die Tiere in die Mitte, wo man sie an den im Boden eingelassenen Ringen festband. Zugleich erklangen die Tibices einiger Musikanten aus dem Hintergrund - ein vertrautes Nebengeräusch für Durus.


    Die Opfermetzger knieten sich zu den Köpfen der drei Rinder und sahen ihre jeweiligen Opferherren an.


    "Agone?"


    fragten sie fast gleichzeitig und ebenso gleichzeitig antworteten Durus und seine Collegae mit "Age!"


    Damit sanken die großen Hämmer herab, die die Kühe betäuben sollten. Kaum sackten die Tiere in sich zusammen, stachen die drei Metzger zu. Warmes Blut schoss aus den Halswunden und floss auf den Tempelvorplatz. Sofort eilten Knaben mit Schalen herbei und fingen das Blut auf, sodass es später auf dem Altar verbrannt werden konnte.


    Durus hingegen wartete mit versteinertem Blick, bis man begann, die Tiere aufzuschneiden. Auch drei Vestalinnen eilten herbei. Jede würde einen toten Fötus an sich nehmen, aus dem man das begehrte Sühnemittel für die Parilia gewann. Der Tiberier konnte es nicht lassen und sah zu, wie man per Kaiserschnitt die drei Tiere aus dem Bauch schnitt, wie man einst auch der erste Iulius Caesar auf die Welt gebracht hatte (zumindest Gerüchten zufolge). Man packte die Tiere, während auch die Innereien zutage gefördert wurden...


    Sofort war ein Haruspex bereit, die Vitalia zu untersuchen. Solange konnte Durus nur warten.

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