Die Reise war lang gewesen, und vor allem für Siv beschwerlich. Sie hatte buchstäblich die gesamte Zeit, die sie unterwegs gewesen waren, auf dem Wagen verbracht, eingekeilt zwischen den ganzen Sachen, die sie mitgenommen hatten. Es war kaum genug Platz da gewesen, dass sie ihre Füße hätte ausstrecken können, und ihr einziger Trost war Idolum, der recht lustlos hinter dem Karren, an dem er angebunden war, hertrottete – den sie so aber immerhin die ganze Zeit sehen konnte. Nur wenn sie bei einem Gasthaus Halt gemacht hatten oder sie wirklich ein dringendes Bedürfnis verspürte, wurde sie von dem Eisenring losgemacht, den Matho auf der Ladefläche des Karrens hatte anbringen lassen. Und natürlich, wenn es darum irgendwelche unangenehmen Arbeiten zu verrichten – Latrinen ausheben zum Beispiel, wenn sie kein Gasthaus rechtzeitig vor der Dunkelheit erreichten und draußen übernachten mussten. Und jedes Mal war sie so versteift, dass ihr alles weh tat und sie zuerst immer nur gebückt humpeln konnte, bis sich ihre Glieder wieder einigermaßen gestreckt und an aufrechte Haltung gewöhnt hatten. Zum Schlafen selbst musste sie allerdings wieder auf den Karren. Siv hatte sich zu Beginn der Reise noch gegen diese Maßnahme gewehrt, und sie wusste, dass die anderen eigentlich auf ihrer Seite waren, aber Matho hatte nun mal das Sagen, und er hatte ihre Gegenwehr nur als zusätzliches Argument genutzt, warum er sie unter keinen Umständen losmachen durfte. Natürlich hatte er die Maßnahmen auch nicht gelockert, als sie ihren Widerstand nach und nach aufgegeben hatte. Darüber hinaus hatte sie nur das allernötigste zum Essen bekommen – nur Wasser bekam sie nach einer im wahrsten Sinne des Wortes Durststrecke zu Beginn der Reise genug. Matho wusste sehr genau, dass er sie halbwegs gesund und bei Kräften in Rom abliefern musste, wollte er nicht Gefahr laufen, dass er unter Beschuss geriet. Aber es gab noch andere Methoden, seine Machtstellung zu unterstreichen – eine weitere davon war, dass Siv und die anderen nur selten miteinander reden durften. Woran sie sich zuerst nicht wirklich gehalten hatten, bis Matho mit kleineren Strafaktionen für die anderen – zum Beispiel eine Zeitlang hinter dem Karren herlaufen müssen anstatt zu reiten – deutlich gemacht hatte, dass es ihm ernst war. Und Siv hatte niemanden in Schwierigkeiten bringen wollen, also hatten sie die Gespräche schon bald auf die Momente beschränkt, in denen sie sich einigermaßen sicher sein konnten.
So war Siv, als sie vor der Villa Aurelia ankamen, zwar, diesmal deutlich, schmaler geworden, und sie wirkte müde – im Grunde befand sie sich tatsächlich in einem Zustand dauerhafter Erschöpfung, sowohl körperlich als auch geistig, den je wieder loszuwerden sie die Hoffnung schon fast aufgegeben hatte. Und nun waren sie da, endlich. Die ganze Reise über hatte sie sich Gedanken gemacht, hatte geschwankt, hatte Bilder im Kopf gehabt von diesem Moment, und die Szenen reichten von absolutem Verständnis für sie bis hin zum sofortigen Verkauf an den nächstbesten, oder eher nächstschlechtesten, Sklaventreiber. Sivs Magen zog sich zusammen, jetzt, wo der Moment des Wiedersehens so unmittelbar bevorstand. Ihre Finger schlossen sich um den Löwen, den sie in seinem Arbeitszimmer entdeckt hatte. Irgendwie war der Briefbeschwerer wieder bei den Sachen gelandet, die irgendwo herumstanden und nicht mitgenommen werden würden, aber Siv hatte das Bedürfnis gehabt, ihn mitzunehmen, also hatte sie ihn kurzerhand eingesteckt. Darüber hatte sie auch gegrübelt. Was Corvinus tatsächlich für sie bedeutete. Ob sie sich wirklich in ihn verliebt hatte, ob sie ihn liebte – und wenn ja, was eigentlich, wenn sie wirklich ehrlich zu sich war, keiner Überlegung mehr bedurfte, was es bedeutete. Was sie tun sollte. Ob sie es ihm sagen sollte. Wie sie damit umgehen sollte. Sie wusste es einfach nicht, zu verwirrend war nach wie vor allein die Tatsache, dass sie, ausgerechnet sie!, schließlich doch Liebe empfand, obwohl sie das immer als abwegig abgetan hatte. Und dann das Gefühl selbst… manchmal war es einfach und so klar, dass es keine Rolle spielte, was ihr alles an Problemen bevorstand – alles, was sie wollte, war für ihn da zu sein. Und dann wieder war es so verwirrend, und es tat weh, schon allein die Vorstellung, dass er nicht verstehen würde, die in ihren Augen so abwegig nicht war. Und sie würde das Geständnis nicht hinauszögern können, denn so wie sie aussah, allein schon die Tatsache, dass sie nicht auf Idolum saß, würde Corvinus zeigen, dass irgendetwas nicht stimmte. Sie wollte es gar nicht hinauszögern, aber sie sehnte sich nach einem freundlichen Wort, einem liebevollen Blick von ihm, bevor sie ihm erzählte, was passiert war. Nur kurz… Irgendwo zwischen banger Erwartung und vager Hoffnung wartete sie, bis Matho sie von der Fessel gelöst hatte, bevor sie sich steif erhob, von dem Karren hinunter kletterte und versuchte, wieder gelenkig zu werden – während sie gleichzeitig die ganze Zeit nach Corvinus Ausschau hielt.